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Kriegserlebnisse und Gefangenschaft Aus der Erinnerung niedergeschrieben Heinz Neidhart Jahrgang 1926

Kriegserlebnisse und Gefangenschaft - Archiv-SeiteLandser lagen zerstreut auf den Straßen, ein Trümmerfeld neben dem anderen. Jetzt wußten wir, was auf uns wartete. Am Abend marschierten

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  • Kriegserlebnisse

    und

    Gefangenschaft

    Aus der Erinnerung niedergeschrieben Heinz Neidhart Jahrgang 1926

  • Kriegserlebnisse und Gefangenschaft aus der Erinnerung niedergeschrieben Heinz Neidhart

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    Der Zweite Weltkrieg tobte bereits im 4. Kriegsjahr und noch immer war kein Ende

    abzusehen. Trotzdem schien eine Wende eingetreten zu sein, als die Schlacht um

    Stalingrad Anfang 1943 verloren ging.

    Damals war ich in der 6. Klasse im Fürstenberg-Gymnasium in Donaueschingen.

    Beim Reichsarbeitsdienst

    Anfang Oktober 1943 erhielt ich den Stellungsbefehl und mußte am 13. Oktober

    nach HECHINGEN/HOHENZOLLEERN einrücken. Ich war gerade 17 Jahre alt.

    Wir waren in Holzbaracken untergebracht. Ich gehörte dem 3. Zug an. Unser Vor-

    mann hieß DOMAGALA. Er stammte aus Freiburg/Brsg. Gleich zu Beginn wehte ein

    frischer Wind. Es hieß stramm stehen und Befehle befolgen. Unser Tagesablauf war

    wie folgt: 6.00 Uhr wecken, anschl. Frühsport, dann kalt duschen, fertig machen zum

    Frühstück. Dann folgte der eigentliche Dienst mit exerzieren, Spaten klopfen und

    Ausbildung im Gelände. Um 22.00 Uhr war Zapfenstreich und absolute Ruhe.

    Trotz der vorgerückten Jahreszeit durfte in den Baracken nicht geheizt werden. Es

    hieß immer: "Ihr müßt hart werden wie Krupp-Stahl, zäh wie Leder und schnell wie

    die Windhunde".

    Kurz vor Weihnachten erkrankte ich an einer schweren Angina und hatte hohes Fie-

    ber. Ich wurde ins Lazarett nach Tübingen eingeliefert, wo ich bis 22. Januar 1944

    lag. In der Zwischenzeit wurde unser Lager aufgelöst. Nach Wiedergenesung erhielt

    ich die Entlassungspapiere und fuhr nach Hause zu meinen Eltern. Hier durfte ich

    dann bleiben bis zu meiner erneuten Einberufung.

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    Bei der Kriegsmarine

    Als Kriegsfreiwilliger der Marine bin ich dann am 13. Juni

    1944 in KIEL-ECKENFÖRDE/OSTSEE eingerückt. Wir

    waren in Kasernen untergebracht. Eine Woche später

    wurde ich dann mit anderen Kameraden nach KAMPEN

    auf der Insel SYLT/NORDSEE versetzt. Hier begann die

    eigentliche Ausbildung.

    Zunächst wurden wir in Kompanien und dann in Gruppen

    aufgeteilt. Unterbringung war in Baracken. Der Dienst

    war streng und intensiv. Die ersten Wochen war exer-

    zieren - "schleifen" angesagt. Glücklicherweise war das

    Jahr 44 ein Jahrhundertsommer mit viel Sonne und

    kaum Regen. Mit aufgezogener Gasmaske und vorgehaltenem Karabiner wurden wir

    die Dünen 'rauf und 'runter gescheucht. Im übrigen wurden wir täglich an den Waffen

    ausgebildet. So kannten wir den Karabiner und das MG 42 in- und auswendig. Auf

    Sport wurde großen Wert gelegt, den wir meistens am Strand durchführen mußten.

    Nach 6 Wochen, also Anfang August, wurden wir in WESTERLAND vereidigt. Bis

    dahin durften wir die Garnison nicht verlassen. Danach war an den Wochenenden

    "Landgang" angesagt. Meistens gingen wir an den Strand zum Baden und genossen

    Wind und Wellen. Das war immer ein großes Erlebnis.

    Auf meiner Stube hatte ich mich mit einem sehr sympathischen Kameraden ange-

    freundet. Er hieß GUNNAR VON WEIZENBERG und stammte aus REVAL - heute

    TALLIN/EST-

    LAND. Er war 2 Jahre älter als ich und hatte bereits das Abitur. Seine Eltern waren

    durch die Kriegswirren nach CUXHAVEN geflüchtet. Mit GUNNAR war ich einige Ma-

    le an Wochenenden in Westerland und besahen uns die einstige mondäne Bade-

    stadt. Bei Kaffee und Kuchen vergaß man, daß wir uns im Krieg befanden. Hier war

    noch tiefer Friede. Aber wie lange noch?

    Am Ende unserer Ausbildung - es war Anfang September 1944 - wurden von 3 Kom-

    panien, 10 Mann für die Offizierslaufbahn vorgeschlagen. Ich war dabei und auch

    Heinz in Uniform 1944

  • Kriegserlebnisse und Gefangenschaft aus der Erinnerung niedergeschrieben Heinz Neidhart

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    mein Freund Gunnar. Wir wurden geimpft und sollten in den nächsten Tagen nach

    WAREN AN DER MÜRITZ/MECKLENBURG versetzt werden. Doch es kam ganz

    anders. Nachdem die Fronten in Ost und West zusammengebrochen waren, mußte

    der Oberkommandierende der Insel Sylt, auf Befehl von Adolf Hitler, 10 000 Mann für

    den Volkssturm abstellen. Das war ein schwerer Schlag für die Seeleute. Am Sonn-

    tag, 9. September 1944, verließen wir die schöne Insel Sylt mit unbekanntem Ziel.

    Am anderen Morgen, gegen 7.00 Uhr, landeten wir dann in LUSTINITZ und weiter

    gings nach MILOWITZ bei PRAG auf den Truppenübungsplatz. Wir ahnten nichts

    Gutes. Hier waren ca. 50.000 Mann stationiert, bestehend aus Luftwaffe, Marine,

    Genesenden und anderen Einheiten. In Tages- und Nachtübungen wurden wir auf

    unseren Einsatz als Volksgrenadiere ausgebildet. In 8 Tagen war es soweit. Mein

    Transport ging nach Westen und wir landeten etwa am 17. September 44 morgens

    um 4.00 Uhr in AMELN bei KÖLN. Hier war bereits Kriegszustand. Die feindlichen

    Jabos und Lightnings flogen über uns und warfen Bomben. Wir flüchteten in eine

    Zuckerrübenfabrik, wo wir uns tagsüber bis zur Abenddämmerung aufhalten mußten.

    Gegen 20.00 Uhr setzten sich die Heerwurm in Marsch, bis wir am anderen Morgen

    um 6.00 Uhr im Kampfgebiet AACHEN einmarschierten. Der erste Eindruck war

    schrecklich. Die Straßenbahnen waren von der Artillerie zerfetzt, tote Pferde und tote

    Landser lagen zerstreut auf den Straßen, ein Trümmerfeld neben dem anderen. Jetzt

    wußten wir, was auf uns wartete. Am Abend marschierten wir ins Stadtzentrum und

    bezogen Stellung. Der Hauptgefechtsstand war Hotel "Quellenhof", ein 10-stöckiges

    Gebäude. Unser Kampfkommandant hieß General GRAF VON SCHWERIN. Er wur-

    de später von Oberst WILK abgelöst.

    Die amerikanischen Streitkräfte waren uns haushoch überlegen. Die Artillerie trom-

    melte Tag und Nacht und aus der Luft wurden wir pausenlos angegriffen. Wir hatten

    nur wenig entgegenzusetzen. Die Amis rückten immer näher an die Stadt heran. An-

    fang Oktober waren wir total eingeschlossen. Am 9. Oktober schoß der Ami mit

    Pappgranaten Flugblätter ab. Ein Exemplar ist heute noch in meinem Besitz (Kopie

    anbei). Er bat um sofortige Einstellung der Kampfhandlungen und um ehrvolle Über-

    gabe der Stadt Aachen. Es herrschte 24 Stunden Waffenruhe, die auf beiden Seiten

    eingehalten wurde. Noch am gleichen Tag fuhr ein amerikanischer Parlamentär am

    Hauptgefechtsstand vor - ich hatte gerade Wache - und dieser führte ein Gespräch

    mit unserem Stadtkommandanten Oberst Wilk. Die Verhandlung war kurz, die ge-

    stellten Bedingungen wurden abgelehnt. Auf Befehl von Hitler sollte die Stadt Aachen

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    bis zum letzten Mann verteidigt werden. Die Waffenruhe endete am 10. Oktober

    11.11 Uhr. Das angekündigte Inferno begann.

    Am 12. Oktober sind die Amis mit ca. 40 Panzern in der Jülicher Straße zum Groß-

    angriff angetreten. Diese Straße ist ca. 3 km lang und schnurgerade - vergleichbar

    mit der Kaiser-Josef-Straße in Freiburg. Die Gruppe LANKES, so hieß unser Grup-

    penführer, der ich angehörte, mußte noch am gleichen Abend in Stellung gehen. Am

    anderen Tag, also am 13. Oktober rückten die Panzer immer näher und nahmen uns

    unter Beschuß. Unser MG-Schütze SEPP aus Bayern lag hinter einer Litfaßsäule

    und feuerte auf die heranrückende Infanterie, die hinter den Panzern Schutz suchten.

    Sepp erhielt einen Volltreffer. Sicher gilt er heute noch als vermißt. Am Nachmittag

    endete unser sinnloser Kampf undwir gerieten gegen 16.00 Uhr in Gefangenschaft.

    Dabei war auch Gunnar von Weizenberg und HANNES STEUßLOFF. Mit erhobenen

    Händen wurden wir hinter die Front getrieben, vorbei an der Schirmfabrik, Zentis-

    fabrik und dem Bahnhof Rote Erde. Endlich erreichten wir den Sammelplatz der ge-

    fangenen Kameraden. Jetzt war der Krieg für uns zu Ende - Gott sei Dank.

    In der Gefangenschaft

    Noch am gleichen Abend wurden wir weit hinter die Front zurückgekarrt. Erst jetzt

    sahen wir, welch ungeheures Kriegsmaterial der Ami zu Verfügung hatte. Und wel-

    che Verwüstung der Krieg angerichtet hatte. Große Viehherden lagen zerrissen und

    zerfetzt auf den Weiden. Welch ein Verbrechen. Wir landeten in einer großen Halle.

    Es war stockdunkel. Am Geräuschpegel vermuteten wir weit über Tausend Mitgefan-

    gene. Wir waren total erschöpft und schliefen die ganze Nacht. Am nächsten Mor-

    gen, es war der 14. Oktober, ging es auf LKW's weiter nach HEINRICHS KAPELL in

    BELGIEN, ca. 40 km hinter der Front. Das eilig hergerichtete Lager befand sich auf

    einer Wiese. Hier mußten wir 4 Tage und Nächte unter freiem Himmel ausharren. Es

    regnete fas ununterbrochen. Abends taten wir uns mit 8 Mann zusammen. Vier De-

    cken auf den Boden und vier zum Zudecken, so verbrachte wir die Nächte. Länger

    als 1 Stunde hielt man es nicht aus. Dann mußte man sich bewegen. Die Nacht woll-

    te nicht enden. Tagsüber mußten wir auf dem nahe gelegenen Soldatenfriedhof Grä-

    ber ausheben, wo die Gefallenen aus Aachen bestattet wurden. Mit LKW's wurden

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    die Toten angekarrt. Meist voll bis unter die Decke. Ein schrecklicher Anblick. Ob

    Schwarze oder Weiße, ob Amis oder Deutsche, alle wurden sie gleich begraben und

    zwar in Einzelgräber. Am dritten Tag erhielten wir zum ersten Mal etwas zu essen.

    Man glaubt nicht was der Mensch aushält.

    Vierzig Jahre später habe ich diesen Friedhof mit meiner Frau wieder besucht. Er

    war nicht mehr zu erkennen. In der Zwischenzeit erfolgte die Umbettung der Gefalle-

    nen, so daß ein rein amerikanischer Friedhof daraus entstand. Hier ruhen 7989 Sol-

    daten aus den USA, gefallen in Aachen und bei der Ardennen-Offensive. Am 18. Ok-

    tober wurden wir in Viehwagons verladen. Endlich ein Dach über dem Kopf. Wohin

    es ging, wußten wir nicht. Immer wieder standen wir auf toten Gleisen. Zu essen be-

    kamen wir spärlich, aber nichts zu trinken. Das war das Schlimmste. Nach 3 Tagen

    landeten wir in COMBIEN/FRANKREICH. Hier hausten wir 1 Woche in Steinbara-

    cken.

    Am 29. Oktober ging es weiter - wieder in Viehwagons und wieder wie gehabt. Nach

    3 Tagen wurden wir in LÜTTICH/BELGIEN ausgeladen. Es war der 1. November.

    Unterbringung in einem ausgedienten Schießstand unter freiem Himmel. Tagsüber

    mußten wir auf einem großen Platz Planierarbeiten verrichten. Eine Vorarbeit für ein

    amerikanisches Verpflegungslager. Am 9. November ratterte die erste V1 über uns

    hinweg, in Richtung ROTTERDAM. Dort landeten Geleitzüge aus den USA mit

    Kriegsmaterial und Verpflegung für die geplante Frühjahrsoffensive. Einige Tage

    später schlug die erste V1 bei uns in Lüttich ein. Dies wiederholte sich alle 45 Minu-

    ten. Egal wo die Dinger einschlugen, wir Gefangene mußten stehen bleiben wo wir

    waren. Am 15. November verließen wir den Schießstand. Wir wurden in einer Fabrik

    mitten in der Stadt untergebracht. Welch ein Komfort -ein Dach über dem Kopf,

    wenngleich wir auf dem Betonboden schlafen mußten. Täglich trafen 7 Güterzüge

    aus Rotterdam in Lüttich ein. Diese mußten wir Gefangene entladen. Es handelte

    sich überwiegend um Verpflegung in Holzkisten, die auf dem vorgesehenen Platz

    gestapelt werden mußten. Wir waren ca. 3000 Mann. Morgens um 5 Uhr mußten wir

    aufstehen. Um 6 Uhr ging es im Galopp durch die Stadt an die Maas, wo wir in

    Schüben übergesetzt wurden. Der Lagerplatz befand sich auf der andere Flußseite.

    Dann schlug die erste V2 bei uns ein und wieder im 45-Minuten-Takt. Die Wirkung

    war verhältnismäßig groß, aber nicht kriegsentscheidend. Wo diese "Koffer" - so

    nannten wir die Dinger, einschlugen, hatten wir im Gehör. Erst hörte man ein fernes

    Brummen, das sich immer mehr steigerte, bis zu einem ohrenbetäubenden Lärm.

  • Kriegserlebnisse und Gefangenschaft aus der Erinnerung niedergeschrieben Heinz Neidhart

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    Ähnlich einer Dreschmaschine. Dann setzte der Antrieb aus und die Rakete kippte

    und schlug ein. Solch ein Einschlag erlebte ich bei Aufräumarbeiten in der Nähe vom

    Bahnhof, nicht mehr als 100 Meter von uns entfernt. Wir hatten Todesangst und

    dachten, jetzt ist es aus. Gott sei Dank blieben wir unversehrt. Der Schock saß tief

    und abends waren wir noch alle leichenblaß.

    Welch eine Ironie des Schicksals. Bei der Gefangennahme glaubten wir, der Krieg

    sei für uns vorbei. Doch jetzt mußten wir das Gegenteil erfahren. Sollten wir jetzt

    noch vor die Hunde gehen? Und zudem durch die eigenen Leute. Wir haben's über-

    standen.

    Am 25. November wurden ca. 1000 Mann abgestellt. Ich war auch dabei. Wir mußten

    früh morgens antreten. Der amerik. Transportoffizier hatte eine Liste in der Hand und

    rief HEINZ NEIDHART und ERICH WEBER vortreten. Wir erhielten Schaufel und

    Besen und wurden von zwei bewaffneten Schwarzen zum Bahnhof gebracht. Dort

    mußten wir die bereitgestellten Wagons sauber machen und die Verpflegungskisten

    für den Transport in den letzten Wagen befördern. Hier ereignete sich ein folgen-

    schweres Mißgeschick. Ein belgischer Bahnarbeiter wollte gerade eine Kiste klauen,

    als wir uns wieder dem letzten Wagon näherten. Als er uns sah, ließ er von seinem

    Vorhaben ab. Fabrikarbeiter auf der gegenüberliegenden Seite beobachteten diesen

    Zwischenfall und schrien "Hitler kaputt, Hitler kaputt". Unsere beiden Wachmänner

    glaubten, wir wollten die Kiste klauen und so entstand dieses Mißverständnis. Die

    beiden Schwarzen schlugen mit den Gewehrkolben auf uns ein, während die Fabrik-

    arbeiter immer noch schrien "Hitler kaputt". Glücklicherweise kam in diesem Augen-

    blick unser Transport anmarschiert und so ließen die beiden von uns ab. Hier sieht

    man, was blinder Haß von Menschen anrichten kann.

    Unser Zug setzte sich in Bewegung und wieder mußten wir 3 Tage und 3 Nächte in

    den Viehwagons ausharren. Zwar erhielten wir spärliche Verpflegung, aber kein

    Wasser. Wohin es ging wußte niemand. Wir landeten in STENAY, ca. 50 km westlich

    von Luxemburg. Hier wurden wir in ein Schlammlager getrieben, wo vor uns schon

    tausend Kameraden durchgeschleust worden sind. Es regnete. Wir standen Mann an

    Mann unterm freien Himmel und die Nacht wollte nicht enden. Die nächste Nacht

    durften wir in Steinbaracken verbringen. Dann ging es wieder weiter. Irgendwohin in

    Frankreich.

    Am 3. Tag unserer Reise - ich glaube es war der 1. Dezember 44 - rollte der Zug in

    CHERBOURG ein. Der Bahnhof liegt unten am Hafen. Unser Lager ganz oben am

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    äußersten Zipfel der COTATAIN-Halbinsel. Wir mußten also 3 Stunden marschieren

    bis wir oben ankamen. Hier sahen wir das Ausmaß dieses großen Lagers. Es be-

    stand aus 50 000 Gefangenen, eingeteilt in 50 Käfige. So nannten wir die einzelnen

    Lager. Diese bestanden wiederum aus je 10 Zelten links und rechts. In jedem Zelt

    vegetierten 50 Mann, als 1000 Mann in einem Käfig. So verbrachten wir den Winter

    1944 auf 1945 auf nacktem Boden, ohne Arbeit und ohne zu wissen, wie es wohl

    weiter gehen würde.

    Am 25. Februar 45 wurden alle Angehörigen der SS, Luftwaffe und Kriegsmarine he-

    rausgezogen. Niemand wußte was das bedeuten sollte. Wir marschierten also wie-

    der hinunter zum Bahnhof, wo die Viehwagons unseres Transportes bereit standen.

    Und ab ging die Reise ins Niemandsland. Dadurch, daß etliche Gleiskörper und

    Bahnhöfe durch den Krieg zerstört waren, wurden Gefangenentransporte kreuz und

    quer durchs Land gekarrt. Am 2. Tag erspähte ein Kamerad durch die Ritze des Wa-

    gons den Eiffelturm und wir wußten, jetzt sind wir in der Nähe von Paris. Mehr wuß-

    ten wir allerdings nicht. Am dritten Tag erreichten wir BOLBEC, ca. 50 km von LE

    HAVRE entfernt. Das Lager befand sich oben auf einem Berg. Ich erinnere mich

    noch ganz genau an diesen Tag. Es war Sonntag. Denn, als wir ins Lager marschier-

    ten, begegneten wir den sonntäglich gekleideten Franzosen, die in die Kirche zum

    Gottesdienst gingen. Welch ein Gegensatz! In Bolbec waren wir einige Tage. Es

    hieß, dies sei ein Verschiffungslager. Und tatsächlich am 3. März 1945 um 3.00 Uhr

    morgens wurden wir geweckt. Wir mußten zunächst über Felder marschieren, bis wir

    dann an eine Straße kamen, wo etliche Sattelschlepper auf uns warteten. Die Fahrt

    ging in rasendem Tempo auf offenen Fahrzeugen durch nebelnassen Morgen nach

    LE HAVRE. Die Stadt war buchstäblich dem Erdboden gleich gemacht. Wir fuhren

    durch eine Trümmerlandschaft und plötzlich hielten wir im Hafen, wo die "Montecello"

    auf uns wartete. Dieses große Schiff, ein ehemaliges italienisches Luxusschiff als

    Truppentransporter umgebaut, hatte 24.000 BRT. Jetzt wußten wir, es geht nach

    Amerika. Gleich nach Betreten des Schiffes - wir waren 3.000 Gefangene - stürzten

    sich die Landser auf die Aschenbecher, die mit halb gerauchten Zigarettenstummel

    gefüllt waren. Sofort erschien ein amerikanischer Marineoffizier und sagte: "Does

    anybody of you boys speak English?" Meine Kameraden deuteten auf mich. Und so

    fungierte ich 14 Tage auf dem Schiff als Dolmetscher, obwohl mein Englisch noch

    nicht perfekt war. Zuerst mußte ich aus den Reihen der Gefangenen Köche, Bäcker

  • Kriegserlebnisse und Gefangenschaft aus der Erinnerung niedergeschrieben Heinz Neidhart

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    und Metzger zusammentrommeln, die in den beiden Kombüsen Hilfsdienst leisten

    sollten. Und dies funktionierte reibungslos.

    Von der ersten Stunden an, fühlten wir uns auf dem Schiff in guten Händen und ge-

    borgen. Das Essen war traumhaft. Wir bekamen 3 warme Mahlzeiten, genau so wie

    die Besatzung. Im Gegensatz zu den zurückliegenden Monaten fühlten wir uns wie

    im Paradies. Wir liefen zunächst SOUTHAMPTEN/ENGLAND an und nahmen einige

    Zivilisten - vermutlich Geschäftsleute- auf. Dies konnte ich mit eigenen augen sehen.

    Am 3. Tag, wir befanden uns bereits auf hoher See auf dem Atlantik, durften die

    Landser zum ersten Mal an Deck, um frische Luft zu schnappen. Was wir da sahen,

    überstieg unser Fassungsvermögen. Wir befanden uns als Mutterschiff in einem

    Convoi von schätzungsweise 100 Schiffen aller Gattungen. Soweit man sah - von

    Horizont zu Horizont - Schiffe über Schiffe. Jetzt spürte man die Macht der USA.

    Von den 3.000 Gefangenen waren mindestens 2.000 Mann seekrank. Entsprechend

    sahen die Toiletten aus. Ich selbst wurde verschont, da ich ständig unterwegs war.

    Nach 14 Tagen, erreichten wir am 17.03.1945 NEW YORK. Unsere "Montecello"

    wurde der Größe wegen von 2 Schleppern in den Hafen gebracht. Wir landeten an

    der Habak Peer. Im Hintergrund sahen wir die Wolkenkratzer (Manhatten) von New

    York. Ein gigantisches Erlebnis.

    In riesigen Hallen wurden wir zunächst entlaust. D. h., die Kleider wurden unter hei-

    ßen Dampf gesetzt. Entsprechend erhielten wir sie zurück, nachdem wir die Uniform

    ein halbes Jahr am Körper getragen hatten. Dann durften wir den Pullmanzug

    besteigen. Immer 3 Mann in ein Abteil. Die Sitze waren mit Mohairplüsch bezogen.

    Alles Dinge, die wir nicht fassen konnten. Ein Tag und zwei Nächte rauschten wir

    durch den mittleren Osten der USA. Die Fahrt ging über die APPALACHEN - PITTS-

    BURG (vergleichbar mit dem früheren Ruhrgebiet), LOUSVILLE in OHIO nach FORT

    KNOX in KENTUCKY. Man schrieb den 19. März.

    Hier gab es 2 Lager. Im oberen waren die Gefangenen aus dem Afrika-Corps von

    1943. Wir kamen ins untere Lager, das neu errichtet worden war. Zuerst mußten wir

    unter die Dusche. Jeder erhielt zuvor eine Toiletten-Seife und ein Frottierhandtuch.

    Die Sanitär-Anlagen waren auf dem neuesten Stand. Unsere alten zerschlissenen

    Uniformen konnten wir wegschmeißen. Dafür wurden wir komplett neu eingekleidet.

    Ich sagte es bereits - wir kamen aus dem Staunen nicht heraus.

    Unsere Unterkunft bestand aus stabilen Holzbaraken, die Fenster mit Moskitonetzen

    bespannt. Die Betten sehr bequem mit 2 Steppdecken. Für uns das reinste Himmel-

  • Kriegserlebnisse und Gefangenschaft aus der Erinnerung niedergeschrieben Heinz Neidhart

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    bett. Dann blies der Trompeter zum Essen. Es ging in die Speisebaracke. Ich erinne-

    re mich noch genau an die erste Mahlzeit. Es gab für 6 Mann eine große Platte mit

    Hackepeter und Weißbrot so viel man essen konnte. Dazu wurde Bohnenkaffee ge-

    reicht. Die Landser hauten rein "wie Max in die Graupen".

    Da sich die USA an die Abmachung der Genfer Konvention hielt, erhielten wir fast

    das gleiche Essen wie die eigenen Soldaten. D. h. bis zum 8. Mai, dem Tag der be-

    dingungslosen Kapitulation. Dann wurde alles anders. Statt Schnitzel gab es jetzt

    Bohnensuppe usw., aber wir wurden immer satt. Und die Behandlung war sehr gut.

    Ich möchte sagen gentleman-like.

    Die Arbeit, die wir verrichten mußten war vielseitig. Dafür bekamen wir pro Monat 23

    Dollar als Vergütung in Form von Gutscheinen, die wir in der Kantine einlösen konn-

    ten. Hier gab es Milch, Erdnüsse, Schokolade, Chewing-gum, Zigaretten und Tabak

    usw.

    Zunächst arbeitete ich im Wald. Wir mußten Telefonstangen schlagen. Ein ruhiger

    Job. Etwas später wurde ich mit noch 2 Kameraden einige Monate auf dem Golfplatz

    eingesetzt, wo wir Gras mähen mußten. Der Golfplatz lag ganz in der Nähe von der

    streng bewachten Anlage, wo das Gold der USA deponiert war. Danach arbeitete ich

    in einem Service-Club, ähnlich einem Wehrmachtsheim, wo ich als Abservierer fun-

    gierte. Andere Kameraden arbeiteten in der Küche als Beikoch oder als Spüler usw.

    Entsprechend wurden wir mit guten Happen versorgt. Und als letzte Tätigkeit wurde

    ich in einem Kegelclub eingesetzt, wo ich im 2-Stunden-Takt Kegel aufstellen mußte.

    Hier konnten die Amis auf 10 Bahnen kegeln.

    Nach 18 Monaten erhielt ich die erste Post von daheim, auf die ich sehnlichst gewar-

    tet hatte. Es war im Januar1945. Apropos Winter. Wir hatten 2 Öfen in der Baracke

    und hatten Kohle soviel wir wollten. Frieren brauchten wir nie.

    Abschließend kann ich sagen, die Zeit in Amerika als Gefangener war eine schöne

    Zeit, gemessen an dem, was wir vorher erlitten hatten. Von den Kameraden in Ruß-

    land ganz zu schweigen. Das einzige was uns belastete, war die Sehnsucht nach

    Daheim.

    Am 25. Februar 1946 war große Aufbruchstimmung. Wir verließen Fort Knox und

    fuhren wieder im Pullmanzug ins Lager Camp-Shangs bei NEW-JERSEY. Von hier

    sollten wir nach Deutschland entlassen werden. Die Vorfreude war riesengroß. Und

  • Kriegserlebnisse und Gefangenschaft aus der Erinnerung niedergeschrieben Heinz Neidhart

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    tatsächlich, am 3. März, also genau nach einem Jahr, sagten wir Amerika good-bye

    und stachen von New-York aus in See. Dieses Mal mit einem Liberty-Schiff von

    7.000 BRT. Eine Nußschale gegenüber der Montecello auf der Hinreise. Wir hatten

    uns zu früh gefreut, denn am 9. März befanden wir uns in der irischen See und lan-

    deten dann am 12. März statt in Bremerhaven in LIVERPOOL/ENGLAND. Der Ami

    hatte uns also an den Tommy verkauft. Ein englischer Offizier, er war Jude und

    sprach perfekt deutsch, sagte uns wortwörtlich: "Meine Herrn, sie haben sich noch

    mit 7 Jahren Aufenthalt in England gefaßt zu machen." Unsere Stimmung fiel auf den

    Nullpunkt. Jetzt ging es ins Lager nach Nottingham. Hier waren die Verhältnisse

    ganz anders als in den USA. Sowohl die Unterkunft als auch die Verpflegung. Man

    spürte, daß England unter der

    Last des Krieges sehr zu

    leiden hatte. Nach ca. 1 Wo-

    che wurde ich mit noch

    anderen Kameraden nach

    SELBY versetzt, etwa 50 km

    westlich von HULL. Von hier

    wurden wir täglich nach GOOL

    gefahren, wo wir auf einem

    Militär-Depot arbeiten mußten.

    Ende Mai hieß es erneut Seesack

    packen und ab gings ins nächste

    Lager. Es hieß BISHOFS-

    MONKTON, in der Nähe von YORK,

    Grafschaft NORTHUMBERLAND.

    Hier waren wir mit nur 50 Mann in

    Nissen-Hütten (Wellblechhütten)

    untergebracht. Der übliche

    Stacheldraht fehlte gänzlich. Und die Lage des Lagers war wunderschön. Links und

    rechts Mischwald, dazwischen Wiesen und Felder und nicht weit davon ein Fluß,

    ähnlich der Donau in Donaueschingen. Wir fühlten uns frei und nicht wie Gefangene.

  • Kriegserlebnisse und Gefangenschaft aus der Erinnerung niedergeschrieben Heinz Neidhart

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    Hier lernte ich meinen Freund Horst Neugebauer aus SCHWERIN/MECKLENBURG

    kennen, auf den ich später noch zu sprechen komme.

    Wir wurden in einem nahe gelegenen englischen Militärstützpunkt eingesetzt, wo

    junge Pioniersoldaten ausgebildet wurden. D. h. die Tommys bauten Brücken über

    den Fluß und wir Gefangenen bauten sie wieder ab. Dieses Spiel wiederholte sich

    Tag für Tag im gleichen Rhythmus.

    In der Freizeit spielten wir Faustball und abends Skat oder Schach. So verging der

    Sommer und das Jahr 1946.

    Bis zum 9. Januar1947 - das Datum weiß ich noch ganz genau - hatten wir noch kei-

    nen Schnee in England. Aber in der darauf folgenden Nacht ging es los und es

    schneite 1 Woche lang ohne Unterbrechung. Fallschnee ca. 1 Meter. Danach

    herrschte eine große anhaltende Kälte, die uns schwer zu schaffen machte. Die

    Wasserrohre froren ein und an waschen war nicht zu denken. Nachts kamen die Rat-

    ten und suchten die Brotkrümel auf.

    So hielt sich der strenge Winter bis Gründonnerstag. Dann kam der Frühling mit Fön

    und Tauwetter und in wenigen Tagen war der Schnee verschwunden. Entsprechend

    hatten wir mit dem Hochwasser und Überschwemmung zu kämpfen.

    Ende April 47 wurde das Lager Bischofs-Monkton aufgelöst. Wir kamen in ein großes

    Lager von ca. 2.000 Mann nach PONTELAND, ca. 15 km von NEWCASTLE UPON

    TYNE entfernt. Ebenfalls in Northumberland. Mein Freund Horst war mit mir in der

    gleichen Baracke. Hier fertigten wir beide Hausschuhe (slippers) an, die wir draußen

    in der Stadt verklopften wollten. Aber wie aus dem Lager herauskommen? Das war

    das Problem, da rings um das Lager ein hoher Stacheldrahtzaun angebracht war.

    Jeden morgen um 7 Uhr mußten wir zur Zählung antreten. Und an diesem Morgen

    nach der Zählung, während die anderen Kameraden zum Frühstück gingen, machte

    ich mich auf den Weg. Ich schlüpfte mit meinen 10 Paar Slippers im hintersten Eck

    des Lagers durch ein kleines Loch. Ich war draußen. Jetzt ging's über Felder zur

    nächsten Bushaltestelle und dann per Bus in die Stadt Newcastle upon Tyne. A-

    bends kam ich unbemerkt zurück und hatte8 Paar Hausschuhe zum Preis von à 10

    Shilling verkauft. Das nächste Mal sollte Horst die gleiche Tour machen, doch er

    weigerte sich - er war kein Verkäufer. So startete ich noch 2 mal mit ähnlichem Er-

    folg. Mit dem Erlös kauften wir Kaffee, Kakao, Nadeln, Faden und andere

  • Kriegserlebnisse und Gefangenschaft aus der Erinnerung niedergeschrieben Heinz Neidhart

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    Gebrauchsgegenstände, die wir nach Hause schickten. Denn in Deutschland gab es

    zu jener Zeit nicht das Notwendigste.

    Mittlerweile gab es die Möglichkeit, sich auf eine Farm zum Arbeiten zu melden. Vor-

    ausgesetzt, man konnte melken und traktorfahren. Beides konnten weder Horst noch

    ich. Trotzdem meldeten wir uns auf der Schreibstube. Und tatsächlich, nach ca. 14

    Tagen wurden wir beide mit dem Jeep abgeholt. Wir landeten auf einer Farm, na-

    mens HOLE-ROW, etwa 40 km vom Lager entfernt; in der Nähe von Consett. Die

    Farm gehörte einem Multimillionär, namens ATKINSON und wurde von einem Ver-

    walterehepaar namens RONNIE und WINNIE LOWDEN verwaltet. Wir beide waren

    in einem Nebengebäude untergebracht und fühlten uns vogelfrei. Endlich kein Sta-

    cheldraht. Die Farm hatte eine Größe von ca. 100 ha, bestehend aus Weide- und

    Ackerland. Dazu gehörten 150 Kühe (Ammenhaltung) und 350 Schafe.

    Der Sommer1947 war ein Jahrhundertsommer mit viel Sonne und kaum Regen. Aty-

    pisch für England. Die Heuernte

    wurde gut eingebracht und die

    Frucht (Weizen, Gerste, Roggen,

    Hafer) wurde gleich auf dem Feld

    gedroschen und heimgefahren. Die

    Arbeit machte uns viel Spaß und wir

    wurden vorbildlich behandelt.

    Rundum, es war eine schöne Zeit

    auf der Hole-Row-Farm.

    Das Essen war gut und reichlich und

    wurde gemeinsam mit dem

    Verwalterehepaar und den beiden

    Kindern John und Regie eingenommen.

    Die Verwalterin Winnie war nur wenige

    Jahre älter als wir und war uns sehr

    zugetan. Hier bestand für uns eine

    gewisse Gefahr, der wir standhielten.

    Wann immer möglich, stellte uns Winnie

    heimlich einen Topf Milch aufs Fenstersims, die wir mit großem Genuß tranken.

  • Kriegserlebnisse und Gefangenschaft aus der Erinnerung niedergeschrieben Heinz Neidhart

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    An Sonntagen, außerhalb der Erntezeit, hatten wir frei. Wir gingen ins Kino oder zum

    Baden am nahegelegenen Fluß. Hier lernten wir eine sehr nette junge Dame kennen,

    namens ETHEL ROBINSON, Jahrgang 1921, mit der ich heute noch in Briefverbin-

    dung stehe. Übrigens, sie wird jetzt am 2. Juli 2001 80 Jahre alt. Wie doch die Jahre

    vergehen. Horst würde ihr sicher auch zum Geburtstag gratulieren, wenn er noch

    leben würde. Leider ist er vor 2 1/2 Jahren verstorben.

    Mit Ethel machten wir schöne Spaziergänge und hatten viele schöne Gespräche.

    Freitags waren wir von ihren Eltern, die uns sehr schätzten, eingeladen. Es gab im-

    mer "Fish and Chips". Mit großer Dankbarkeit denke ich heute noch an diese liebe

    Familie zurück. Noch ein Wort zu Mr. Atkinson. Sein Enkel, Mr. Bean, so sein Künst-

    lername, in England ein sehr bekannter Komiker, sieht man hier in Deutschland öf-

    ters im Fernsehen. Welch ein Zufall.

    Ende November war die Arbeit auf der Farm getan und wir mußten wieder zurück ins

    Camp nach Ponteland. Tage vorher, sobald wir die Küche zum Essen betraten,

    stand Winnie in einer Ecke, die Schürze vor dem Gesicht und weinte bitterlich. Der

    Abschied fiel ihr sichtlich schwer.

    Das Jahr 1947ging zu Ende - Weihnachten stand vor der Tür. Die 5. Weihnacht, die

    ich in der Fremde verbringen mußte. Kurz vorher erhielt ich Post von Rosmarie

    Höfler mit der Mitteilung, daß meine Klasse das Abitur gemacht hatte. Und ich war

    immer noch in Gefangenschaft. Ein schwerer Tag für mich.

    Die Freude war groß, als Horst und ich von

    Familie Robinson zu Weihnachten eingeladen

    wurden. Diese Möglichkeit gab es 1947, als die

    Fraternisierung bekannt gegeben wurde. Wir

    verbrachten 3 unvergeßliche Tage in der

    Familie.

    Ende Februar 1948 wurde das Lager in Ponte-

    land aufgelöst. Es gab2 Transporte. Der eine

    ging nach WESTMOORS in Südengland in der

    Nähe von BORNMOUTH, wo ich dabei war.

    Der andere Transport nach Südostengland, wo

    Horst hinkam. So wurden wir getrennt und sahen uns erst nach 42 Jahren wieder,

    nachdem die Mauer der DDR im Juni 1990 gefallen war. In der Zwischenzeit wurden

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    wir je nach Gefangennahme in Entlassungsgruppen eingeteilt. Wer bei der Invasion

    im Juni 1944 in Frankreich in Gefangenschaft geriet, erhielt die Entlassungsgruppe

    18. Der Juli 19 usw. - der Oktober, als ich geschnappt wurde 22. So konnte man aus-

    rechnen, wann man dran war.

    Im April war es soweit. Ich kam ins Entlassungslager nach SHEFFIELD, wo wir noch

    einige Tage festgehalten wurden. Und am 16. April 1948 wurden wir in HARWICH

    eingeschifft, wo ich meinem "little, old, lovely England good-bye sagte. Am anderen

    Tag trafen wir in HOOK VAN HOLLAND ein, wo es anschließend im überfüllten Zug

    in Richtung Deutschland ging.

    Morgens um 6.00 Uhr passierten wir die holländisch-deutsche Grenze und fuhren im

    Bahnhof BENTHEIM ein. Mit den Worten: "Die Heimat grüßt Euch" wurden wir herz-

    lich empfangen. Dann ging es durch deutsche Lande. Überall waren die Menschen

    auf den Feldern und winkten uns freundlich zu. Wir Landser hingen an den Fenstern

    und keiner schämte sich seiner Tränen. Endlich sind wir wieder Daheim! Und jeder

    wußte und fühlte was es heißt "Deutsche Erde." Gegen Mittag - es war ein Sonntag -

    machte der Zug halt in WANNE-EICKEL. Ein Männergesangsverein brachte uns ein

    Ständchen zur Begrüßung und Hände wurden geschüttelt. Weiterging die Fahrt ins

    Munsterlager in der Lüneburger Heide. Hier wurden wir nach einigen Tagen in die

    jeweilige Zone weiterbefördert. So erreichte ich BREZENHEIM, das französische

    Entlassungslager. Und am 27. April 1948 11.11 Uhr marschierte ich als freier Mann

    durch das Lagertor. Leicht und beschwingt, den Seesack auf dem Rücken, mar-

    schierte ich zur Bahnstation BAD KREUZNACH. Es waren ja nur 3 km, entlang den

    schönen Rebbergen. Nur noch eine Nacht, dann fuhr der Zug morgens gegen 6 Uhr

    in DONAUESCHINGEN ein. Und weiter ging es nach GEISINGEN in meine Heimat-

    stadt, nach der ich mich all die Jahre so sehr gesehnt hatte. Der Empfang bei meinen

    Eltern und Geschwistern war unbeschreiblich.

    Dann hieß es einen Beruf zu ergreifen. Das Abitur nachzuholen erschien mir nach

    fast 5-jähriger Schulunterbrechung nicht der richtige Weg. Dafür entschied ich mich

    für eine kaufmännische Ausbildung.

    Lenzkirch, im Juni 2001

    Heinz Neidhart