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BuchMarkt April 2013 Whisper | Szene Wie sieht die Buchhandelslandschaft in Frankreich aus? Trotz aller Krisen hat Dietrich Dobis den Eindruck gewonnen, dass die dortigen Kollegen mit Mut und Optimismus agieren. Auch Edition Con- tra-Bass-Verleger Astrid Schmeda und Gerd Stange haben in Frankreich einen ganz besonderen Buchort aufgetan. Dietrich Dobis, selber Buchhändler, war in Paris mit der Kamera unterwegs, um den Zustand des dortigen Buchhandels abzulich- ten. Dabei ist er auf spannende Konzeptideen gestoßen, und fasst seine Beobachtungen in drei Thesen zusammen, die erklären könnten, woran es liegt, dass die Buchhandelskolle- gen in der Grand Nation so angstfrei agieren: These 1: Die Ästhetische Erziehung des Menschen Die französischen Buchhändler schei- nen davon zu profitieren, dass der Ge- danke der Erziehung des Menschen in Frankreich noch weit verbreitet ist. Er- staunlicherweise antworteten die meisten der von mir befragten Personen, warum sie es vorziehen eine Buchhandlung zu besuchen, statt bei Amazon zu bestellen, dass sie eben gerne zu ihrem persönli- chem „Libraire“ gehen würden. Man sagte mir: „Von Babybeinen an ist der Buchhändler so eine Art Vertrauensper- son. So wie man selbstverständlich nie- mals einen Café im Gehen trinken würde, so selbstverständlich geht man in Frank- reich eben in seine Buchhandlung, voilá.“ Nur woher kommt diese so klare Haltung der Franzosen? Dass sie Dickköpfe sind, wissen wir nicht erst seit Asterix & Obe- lix! Sind sie vielleicht alle in den großen Buchhandelszaubertrank gefallen? Buchhandelszaubertrank – so könnte man auch den Ausstellungs-, Vorlesungs-, Spiel- und Ausruh-Keller der Buchhandlung „Le Rideau Rouge“ im 18ten Quartier in Pa- ris bezeichnen: Fast jeden Samstag findet Bodenlos: Impressionen aus Pariser Buchhandlungen zeigen den Einfallsreichtum und die Kreativität der dortigen Buchhandelskollegen 116 Buchhandel Buchhandelszaubertrank im Nachbarland

Krise? …pfff… ça m‘est égal!

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Buchhandel im Nachbarland Frankreich

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BuchMarkt April 2013

Whisper | Szene

Wie sieht die Buchhandelslandschaft in Frankreich aus? Trotz aller Krisen hat Dietrich Dobis den Eindruck gewonnen, dass die dortigen Kollegen mit Mut und Optimismus agieren. Auch Edition Con-tra-Bass-Verleger Astrid Schmeda und Gerd Stange haben in Frankreich einen ganz besonderen Buchort aufgetan.

Dietrich Dobis, selber Buchhändler, war in Paris mit der Kamera unterwegs, um den Zustand des dortigen Buchhandels abzulich-ten. Dabei ist er auf spannende Konzeptideen gestoßen, und fasst seine Beobachtungen in drei Thesen zusammen, die erklären könnten, woran es liegt, dass die Buchhandelskolle-gen in der Grand Nation so angstfrei agieren:

These 1: Die Ästhetische Erziehung des Menschen

Die französischen Buchhändler schei-nen davon zu profitieren, dass der Ge-

danke der Erziehung des Menschen in Frankreich noch weit verbreitet ist. Er-staunlicherweise antworteten die meisten der von mir befragten Personen, warum sie es vorziehen eine Buchhandlung zu besuchen, statt bei Amazon zu bestellen, dass sie eben gerne zu ihrem persönli-chem „Libraire“ gehen würden. Man

sagte mir: „Von Babybeinen an ist der Buchhändler so eine Art Vertrauensper-son. So wie man selbstverständlich nie-mals einen Café im Gehen trinken würde, so selbstverständlich geht man in Frank-reich eben in seine Buchhandlung, voilá.“ Nur woher kommt diese so klare Haltung der Franzosen? Dass sie Dickköpfe sind,

wissen wir nicht erst seit Asterix & Obe-lix! Sind sie vielleicht alle in den großen Buchhandelszaubertrank gefallen?

Buchhandelszaubertrank – so könnte man auch den Ausstellungs-, Vorlesungs-, Spiel- und Ausruh-Keller der Buchhandlung „Le Rideau Rouge“ im 18ten Quartier in Pa-ris bezeichnen: Fast jeden Samstag findet

Bodenlos: Impressionen aus Pariser Buchhandlungen zeigen den Einfallsreichtum und die Kreativität der dortigen Buchhandelskollegen

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man dort eine Horde von Kindern, die wie wild mit einer Kollegin der Buchhandlung eine Kalligraphie-Übung absolvieren. Die Eltern shoppen ganz entspannt, während die Kleinen sich amüsieren. Der Keller, gleichzeitig Ausstellungsfläche, wird an zahlreichen Tagen im Monat dazu genutzt, Vorlesungen abzuhalten, Theaterstücke auf-zuführen oder Autorentage zu organisieren.

These 2: La Vie en RoseDas Leben durch die rosa Brille sehen:

Das Motto Edith Piafs, nichts zu bedau-ern, um den Moment zu genießen, betrifft ebenfalls die Buchhandlungen: Buchhand-lung ist Genuss, ist Liebe für den Moment,

Moment der bezaubert. Eintauschen will das keiner, wie aber können das junge Buchhandlungen konservieren? Ganz einfach – sie schließen sich zusammen! Auf einem gemeinsamen Webauftritt der Buchhandlungen des Ostens von Paris (www.librest.com) zeigt jeder, was er kann. Das spart nicht nur Geld und Zeit, sondern es zeigt, dass man da sind.

These 3: Krise? …pfff… ça m‘est égal!In der Krise hat man viel Zeit. Egal, ob

Spanien oder Frankreich, eines bringt die Krise mit sich: Zeit für Kreatives. Während man sonst doch eher dem Alltag folgt, das

Konto stets gefüllt, Abendessen im Restau-rant, so ist in dieser Zeit mehr Platz für neue Ideen. Bei einem Spaziergang durch das Quartier Montmartre bin ich an einer Buch-handlung vorbeigelaufen, aus der es köst-lich roch. Ich musste stehenbleiben, und mich vergewissern, dass es kein Restau-rant sei. Beim Nachfragen, was denn hier stattfinde, kam die Antwort: „Wir probieren unsere neuen Kochbücher aus – live! Kom-men Sie doch rein!“ Der Autor des getes-

teten kleinen Kochbuchs sitzt direkt neben mir. Auf die Frage, wo ich sein Kochbuch erwerben könne, sagt er mir: „Na, gleich hier in der Buchhandlung. Die geben das Kochbuch auch gleich heraus! Falls Sie Ideen für neue Rezepte haben, fragen Sie nach. Sie können es evt. auch gleich hier herausgeben. Ist zwar eine kleine Auflage, aber es kommt an!“ Draußen auf der Schau-fensterscheibe der Buchhandlung ist ein riesiger Mund aufgemalt. Jetzt verstehe ich besser: Das was drauf ist, das ist auch drin.

Auch abseits der Großstadt findet man in Frankreich überzeugende Buchhan-

delskonzepte: Die Lieblingsbuchhand-lung der Edition Contra-Bass-Verleger Astrid Schmeda und Gerd Stange liegt fern der Zivilisation, oben in den Bergen. Eine Art Liebeserklärung der beiden an

„Le Bleuet“:Le Bleuet – Die Kornblume, so heißt

unsere Lieblingsbuchhandlung. Es ist die schönste von allen, die wir je gesehen haben, obwohl wir die 60 überschritten haben und ganz gut herumgekommen

sind. Wir sind Schriftsteller und Verleger, und betreiben in Saint Saturnin bei Apt ein Gästehaus. Wir leben im Herzen der Provence, eine Stunde von der nächsten Stadt (Avignon), 800 km von der Haupt-stadt Paris entfernt. Zum Buchladen fahren wir aber nicht in die Stadt, sondern in die entgegengesetzte Richtung: tausend Meter hoch auf das Plateau des Vaucluse-Gebir-ges. Dort, wo im Juli der Lavendel blüht, weder Weinstöcke, noch Olivenbäume ge-deihen, Ziegen ihr karges Dasein fristen, aber kaum ein Mensch lebt, liegt ein Dorf mit 1.000 Einwohnern, das durch seinen Ziegenkäse bekannt wurde: Banon. Eine gute halbe Stunde fahren wir über diese einsame Hochebene, bevor wir den Ort erreichen, nur um in die Buchhandlung Le Bleuet zu gehen. Sie ist ein verwinkeltes Haus über vier Etagen, wie es Pippi Lang-strumpf gefallen könnte. Fast 200.000 Titel sind dort vorrätig. Alle Sparten von der Poesie bis zur Regionalliteratur sind reichlich vertreten, Neuerscheinungen selbstverständlich, aber auch andernorts

Einladend: Für viele Franzosen ist der Besuch der örtlichen Buchhandlung eine Selbstverständlichkeit – auch dank der vielfältigen Angebote dort

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Förderung nachhaltiger Waldbewirtschaftung und Recycling – nähere Informatinen unter www.pefc.org

Dieses Produkt wurde auf PEFC- zertifizierten Papieren produziert

Druck: rewi druckhaus, Reiner Winters GmbH, Wiesenstr. 11, 57537 Wissen, Tel. (0 27 42) 9 32 38, Fax (0 27 42) 93 23 70, e-Mail: [email protected], Anzeigen: [email protected], www.rewi.de, PEFC/04-31-0829

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vergriffene Bücher, die aufgekauft wurden, um die Vielfalt zu wahren. Meist werden wir fündig, wenn wir etwas suchen, und müssen uns nicht vertrösten lassen. Anders als in Deutschland gibt es in Frankreich für viele Bücher Lieferzeiten von ein bis zwei Wochen. Nur einige größere Verlage haben eigene Auslieferungen, als selbstän-dige Branche hat sich die Auslieferung in Frankreich nicht etabliert.

In „unsere“ Buchhandlung Le Bleuet kommen die Menschen aus einem Radius von mindestens 100 Kilometern, selbst aus Aix-en-Provence, mit seinen guten Buch-handlungen, weil es allein schon berei-chernd ist, dort zu stöbern. Stundenlang kann man sich lesend inspirieren lassen. 1990 kaufte Joël Gattefossé eine kleine Papierwarenhandlung mit Buchladen, 52

qm Fläche, 77 Bücher. Sein Vater hatte eine Druckerei, er selbst lernte Tischler und baute seine schönen Holzregale selbst; inzwischen sind es 5.000 laufende Meter geworden, die Buchhandlung ist in ein Haus mit 860 qm Verkaufsfläche umge-zogen. 2011 verkaufte Le Bleuet 170.000 Bücher für fast 2 Millionen Euro Umsatz. Marie-Claire und Joël Gattefossé leiten ein Team von 13 Festangestellten. Ein La-ger mit mehr als einer Million Titel ist am Dorfrand entstanden, in dem auch sechs Gästezimmer für Schriftsteller in Residenz geschaffen wurden. Wenn im Mai das gro-ße Dorffest zur Feier der lokalen Produkte stattfindet, zu dem zigtausende Besucher von weit her kommen, werden der Banon-Käse und das Buch gefeiert, denn beides hat das Dorf bereichert.

Idyll: Fernab der Großstadt haben Astrid Schmeda und Gerd Stange ihr Buchhandelsparadies entdeckt