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Kriterien des wirtschaitlichen Wachstums Von Reinhard Kamitz, Wien (Eingegangen am 1. September 1965) I. Einleitung Es fiillt auf, dab der Begriff ,Wirtschaftliches Wachstum" seit dem Ende des zweiten Weltkrieges in zunehmendem Mal3e in den Mittelpunkt wirtschaftspolitischer ErSrterungen geriiekt ist. War es in der Zwischen- kriegszeit die Arbeitslosigkeit, die die Gemiiter erregte und die zur tJber- priifung der Voraussetzungen ffihrte, auf denen die klassische Theorie aufbaute, so ist es heute das Streben der modernen Massengesellschaft nach Steigerung des wirtschaftlichen Wohlstandes, das ~hnliche Folgen in der Entwieklung der Theorie ausgelSst hat. Die Frage, die sich dabei sofort aufdr~ngt, ist die nach dem Neuen, das dabei behandelt werden soll, und nach seinen Kriterien. W~hrend die klassische Theorie der NationalSkonomie und ihre Weiterentwieklung bis in die dreil3iger Jahre durch die Entstehung und die Entwieklung der Weltwirtschaftskrise gezwungen wurde, ihre Erkenntnisse, die auf der Voraussetzung der Vollbeseh~iftigung der Produktionsfaktoren aufgebaut hatten, zu revidieren, scheint eine solche zwingende Notwendigkeit im gegenw~rtigen Zeitpunkt oder besser gesagt aus AnlaB der wirtschaftlichen Wachstumspolitik nicht gegeben zu sein. John Maynard K e y n e s hat ausdriieklieh darauf hingewiesen, dal3 er die Postulate der klassisehen Theorie nur in einem Sonderfall, abet nicht im allgemeinen als giiltig anerkenne 1. Er hiilt die Voraussetzung der Voll- besch~ftigung der Produktionsfaktoren nicht mehr ffir sinnvoll, da eine solche in Wirkliehkeit kaum gegeben w~re, und analysiert die wirtschaft- lichen Vorg~nge unter der Annahme, dab ein Tell der Produktionsfaktoren brachliegt. Viele seiner Epigonen haben diese entscheidende Feststellung, die Key n e s in seinem Standardwerk getroffen hat, leider iibersehen und meinten, dab die Schlul3folgerungen, zu denen Keynes unter diesen ge- ~nderten Voraussetzungen gekommen war, allgemeine Giiltigkeit besitzen. Dadurch ist es leider vielfaeh zu Fehlinterpretationen dieses genialen NationalSkonomen gekommen, die die Wirtschaftspolitik nicht immer in vorteilhafter Weise beeinfluBt haben. 1 j. M. K e y n e s : The General Theory of Employment, Interest and Money, London 1936.

Kriterien des wirtschaftlichen Wachstums

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Kriterien des wirtschaitl ichen Wachstums Von

Reinhard Kamitz, Wien

(Eingegangen am 1. September 1965)

I. Einleitung Es fiillt auf, dab der Begriff ,Wirtschaftliches Wachstum" seit dem

Ende des zweiten Weltkrieges in zunehmendem Mal3e in den Mittelpunkt wirtschaftspolitischer ErSrterungen geriiekt ist. War es in der Zwischen- kriegszeit die Arbeitslosigkeit, die die Gemiiter erregte und die zur tJber- priifung der Voraussetzungen ffihrte, auf denen die klassische Theorie aufbaute, so ist es heute das Streben der modernen Massengesellschaft nach Steigerung des wirtschaftlichen Wohlstandes, das ~hnliche Folgen in der Entwieklung der Theorie ausgelSst hat.

Die Frage, die sich dabei sofort aufdr~ngt, ist die nach dem Neuen, das dabei behandelt werden soll, und nach seinen Kriterien. W~hrend die klassische Theorie der NationalSkonomie und ihre Weiterentwieklung bis in die dreil3iger Jahre durch die Entstehung und die Entwieklung der Weltwirtschaftskrise gezwungen wurde, ihre Erkenntnisse, die auf der Voraussetzung der Vollbeseh~iftigung der Produktionsfaktoren aufgebaut hatten, zu revidieren, scheint eine solche zwingende Notwendigkeit im gegenw~rtigen Zeitpunkt oder besser gesagt aus AnlaB der wirtschaftlichen Wachstumspolitik nicht gegeben zu sein.

John Maynard K e y n e s hat ausdriieklieh darauf hingewiesen, dal3 er die Postulate der klassisehen Theorie nur in einem Sonderfall, abet nicht im allgemeinen als giiltig anerkenne 1. Er hiilt die Voraussetzung der Voll- besch~ftigung der Produktionsfaktoren nicht mehr ffir sinnvoll, da eine solche in Wirkliehkeit kaum gegeben w~re, und analysiert die wirtschaft- lichen Vorg~nge unter der Annahme, dab ein Tell der Produktionsfaktoren brachliegt. Viele seiner Epigonen haben diese entscheidende Feststellung, die K e y n e s in seinem Standardwerk getroffen hat, leider iibersehen und meinten, dab die Schlul3folgerungen, zu denen K e y n e s unter diesen ge- ~nderten Voraussetzungen gekommen war, allgemeine Giiltigkeit besitzen. Dadurch ist es leider vielfaeh zu Fehlinterpretationen dieses genialen NationalSkonomen gekommen, die die Wirtschaftspolitik nicht immer in vorteilhafter Weise beeinfluBt haben.

1 j. M. K e y n e s : The General Theory of Employment, Interest and Money, London 1936.

106 R. Kamitz:

Die Annahme der Voranssetzung der Vollbesch£ftigung der Produk- tionsfaktoren hat deshalb ffir die wissenschaftliehe Forschung ihren Wert noch lange nicht wrloren. Sic ist wohl auch weiterhin ein entscheidendes Instrmnent zur Gewinnung neuor Erkenntnisse e. Man kann neue Erkennt- nisse nut dutch Abstraktion gewinnen ~, also durch das vorl~ufige Weg- lassen yon Erscheinungen, die ffir das zu untersuchende Problem unwich- tig sind. Man mu~ sich nur immer darfiber im klaren sein, dal~ mit zu- nehmender Abstraktion der Zusammenhang mit der Welt der realen Vor- g~inge geringer wird. Das ist aber kein Grund, die Abstraktion als theore- tische Spielerei zu verwerfen. Vielmehr sind nach gewonnener Erkenntnis die Abstraktionsstufen wieder zu verringern und die Ergebnisse der For- schung der Wirklichkeit anzun~ihern. K e y n e s hat einen solchen ent- scheidenden Schritt getan. Er hat nicht die Erkenntnisse der klassischen Theorie verworfen, sondern sich die Frage gestellt, wie die wirtschaftlichen Zusammenhiinge zu beurteilen sind, wenn die Vollbesch~iftigung siimt- licher Produktionsfaktoren nicht gegeben ist. Damit hat er die Theorie der Wirklichkeit um vieles n~ibergebracht. Im iibrigen ist ancher deshalb nicht ohne andere Abstraktionen ausgekommen, die or in seiner Untersuchung immer wieder amvenden mui3te, um echte Zusammenh£nge zu erkennen.

Eine solehe Notwendigkeit der :4nderung von Voraussetzungen ist fiir das hier zu behandelnde Problem wohI nicht gegeben. Die klassisehe Theorie ist, wie bereits erw~ihnt, yon der Vollbesch£ftigung der Produk- tionsfaktoren ausgegangen. Auch eine Politik des wirtschaftlichen Waehs- turns kann nicht mehr als die Vollbesch~iftigung aller Produktionsfaktoren zum Ziele haben. Sie kann darauf bedacht sein, die Produktionsfaktoren in einer besseren oder besser gesagt produktiveren Form zu kombinieren; sie kann versuchen, StSrungen, die eine vorfibergehende Freisetzung yon

2 Auf Grund der Feststellung yon E. D. D o m a r : Essays in the Theory of Economic Growth, New York 1957, S. 97 ft., da~ jede Investition zwei Effekte, die in einer gewissen Wechselwirkung zueinander stehen, n~mlich einen Einkom- mens- und einen Kapazit~tseffekt, hat, kommt H. P e t e r s : Die unterschiedlichen Auffassungen yon der Wirkung des Sparens und die moderne Wachstumstheorie, Berlin 1960, zu folgender Zuordnung: ,,Da die klassische Theorie ihr Interesse mehr den Wirkungen auf lange Sicht widmet, steht im Mittelpunkt ihrer Betrach- tung, bewuBt oder unbewuBt, der Kapazit~tseffekt der Investitionen. K e y n e s dagegen ignoriert den Kapazit£tseffekt vSllig. Bei ihm haben die Investitionen eine andere Funktion, n~imlich Einkommen zu schaffen. Die moderne Wachstums- theorie greift beide Wirkungen der Investitionen auf. Sic fiberwindet die Uber- spitzung des K e y n e s schen Aspekts, indem sie den Produktionsapparat, die Bev51kerungszahl und den Stand der Technik als Konstante aufgibt und gerade na~h den Ver£nderungen dieser GrSl3en fragt. Damit aber n~hert sie sich gleich- zeitig wieder der Frage nach den langffistigen Wachstumserscheinungen, die ffir die klassische Theorie yon Interesse sind." (A. a. 0., S. 53 und 54.)

Vgl. C. M e n g e r : Untersuchungen fiber die Methode der Sozialwissen- schaften und der politischen iJko~omie insbesondere, Leipzig ]883. Er unter- scheidct zwischen individuellen und generellen Erscheinungen in der Volkswirt- schaft. Letztgenannte stellen das Erkenntnisobjekt der theoretischen Forschung dar, w~ihrend die Erkl~rung der individuellen Erscheinmlgen Aufgabe der Ge- sdfichte und Statistik ist.

Kriterien des wirtschaftlichen Wachstums 107

Produktionsfaktoren und damit ihre Unergiebigkeit zur Folge haben, zu verhindern; sie kanu versuchen, die Produktiviti~t der Wirtschaft dadurch zu erhShen, dab der sichtlich vermehrbare Produktionsfaktor Kapital st~irker vermehrt wird; sie kann mit einem Wort alles zum Inhalt haben, was geeignet ist, die Versorgung der Menschen mit materiellen Giitern im bestm5glichen AusmaB zu gew~ihrleisten. Sie hat damit aber keine Auf- gaben iibernommen, die sich grunds~tzlich yon dem Erkennmisziel der NationalSkonomie unterscheiden, seit es fiberhaupt geordnete Systeme der Erkenntnis auf diesem wissenschaftliehen Gebiete gibt. Schon Adam S m i t h gab seinem Standardwerk den Titel: ,,An Inquiry into the Nature a~nd Causes of the Wealth of Nations" (London 1776). Nichts sagt deut- lieher aus als dieser Titel, wohin das Streben der NationalSkonomen seit Jahrhunderten gegangen ist. Schon vor Adam S m i t h haben die Physio- kraten in ihrem Tableau 6eonomique ~ sehr deutlich erkennen lassen, was der Gegenstand ihrer Untersuchungen sein soll. Wie sonst w~re es vor- stellbar, dab sie einen bestimmten Berufsstand als allein produktiven be- zeichnen konnten, dem sie sterile und unproduktive Berufssthnde gegen- fiberstellten 5.

W~hrend also irn Falle von K e y n e s ein neues Datum als Voraus- setzung gew~hlt werden mul]te, ist ein soleher Vorgang unter den heuti- gen Gegebenheiten nicht nStig. Das enthebt die Theorie selbstverst~ndlieh nicht der Notwendigkeit, in vielen anderen Belangen die Annahme anderer Voraussetzungen zu iiberpriifen und darans neue Schlfisse zu ziehen.

Dies gilt insbesondere fiir die Tatsache, dab sich seit Ende des zweiten Weltkrieges, aber zum Teit auch schon friiher, die 5ffentlichen Haushalte der L~inder in einem solchen MaB entwickelt haben, dab die dutch diese Haushalte verursachten wirtschaftlichen Vorgiinge einen immer hSheren Teil des Sozialproduktes betreffen 6. Damit wird z. B. die friihere An- nahme,~ da~ Geld- und W~hrungspolitik maBgebcnd von den Zentral- banken der betreffenden L~inder gestaltet werden kSnnen, entscheidend geiindert. Bei dem immer stiirker werdenden EinfluB der 5ffentlichen Hand auf die wirtschaftlichen Vorg~nge kann die Politik der Zentral- banken im wesentlichen nur noch unterstiitzende Hilfe, zum sehr geringen Tell jedoeh eine korrigicrende Funktion leisten 7. Aus dieser neuen An- nahme ergeben sich auch neue Erkenntnisse auf dem Gebiete der Geld- theorie und dariiber hinans auf dem Gebiete der Zins- und Kapitaltheorie.

4 F. Q u e s n a y : Tableau ~conomique, Versailles 1758. 5 Die einzige in wirtschaftlicher Hinsicht produktive Klasse sind die Land-

wirte (classe productive) im Gegensatz zu den Eigentfimern des Bodens (classe des propri6taires) und den Gewerbetreibenden und Hiindlern (classe sterile).

Womit A. W a gn e 1" s ,,Gesetz von den wachsenden Staatsausgaben" seine BestEtigung gefunden hat.

7 Das Maximum, welches die WEhrungspolitik heute noch zu leisten vermag, umreiBt H. S. E 11i s: Die W~hrungspolitik, ein Faktor des Fortschritts. Zeit- schrift fiir NationalSkonomie XV (1955): ,,Eine wirksa, me W~hrungspolitik ist nicht die Triebfeder der wirtschaftlichen Entwicklung, aber sie beschleunigt sie und verl~ngert und erh~ilt den Aktionsradius der Faktoren des Fortschrittes." (S. 170.)

108 R. Kamitz:

Ich wollte diesen Fall nur als eines der vielen Beispiele anfiihren, die immer wieder die Theorie zu ~nderungen der Voraussetzungen, yon denen sie ausgeht, zwingen. Ich glaube daher, da~ die Politik des wirtschaftlichen Wachstums nicht zu einer Theorie des wirtschaftlichen Wachstums werden kann, sondern dab die Politik des wirtschaftlichen Wachsmms anf den Erkenntnissen der Theorie aufzubauen hat.

Mir schien dieser kurze Exkurs gerade einleitend wichtig, weil man heute vielfaeh der Auffassung begegnet, dab das wirtschaftliehe Waehstum vollkommen neue und andersgeartete theoretische Be~rachtungen erfordere und man sich dabei auf die umw~Izenden Erkenntnisse yon K e y n e s in den dreiSiger Jahren beruft. Ich hoffe, glaubhaft dargetan zu haben, da~ ich diese Auffassung fiir eine Fehlmeinung halte.

Die Weltwirtschaftskrise, die im Jahre 1929 an jenem beriihmten schwarzen Freitag in New York ihren Ausgang nahm, verhielt sich anders, als es damals die Theorie zu erkennen geglaubt hatte. Es kam zu keinem SelbstliquidationsprozeB in der Krise, sondern zu einer immer stiirker werdenden Versch~rfung der Krise, die erst dann beendet wurde, als die Konturen eines weltweiten kriegerischen Konfliktes sich abzeichneten und grol3e Riistungsauftriige stillgelegte Kapazitiiten absorbierten und somit auch in der iibrigen Wirtschaft Hoffnungen auf eine steigende Besch~fti- gung erweckten s.

Fiir die Wirtschaftspolitik ergab sieh in der Folgezeit daraus jedoeh die Konsequenz, nicht mehr so wie in den dreil3iger Jahren auf die auto- matisehe Selbstliquidation und Selbstkorrektur des Gleichgewiehtes zu bauen, sondern zu versuchen, StSrungen dieser Art nach Tunlichkeit zu vermeiden. Welche Wege die Wirtschaftspolitik dabei beschreiten k5nnte, sell im folgenden behandelt werden.

Die Wirtschaftspolitik ist im Vergleich mit der Zeit der dreifliger Jahre aktiver geworden. Dis Wirtschaftspolitik ist daran, eine Wiederkehr der wirtschaftliehen Ereignisse der dreiBiger Jahre zu vermeiden. Sie hat sieh aber gleichzeitig auch das Ziel gesetzt, den Wohlstand der Menschen rascher als bisher zu mehren und vor allem zu sichern. Die Wir~schafts- politik schafft die Voraussetzungen, unter denen sieh die Wirtschaft ent- wiekelt. Wirtschaftspolitik ist nicht Dirigismus, ist nicht unmittelbarer Eingriff in die Einzelakte des Geschehens, sondern ist Schaffung yon Vor- aussetzungen. Die Voraussetzungen solten so geschaffen werden, da~ die in der Wirtschaft T~,tigen aus den knappen zur Verffigung stehenden Mit- teln ein jeweils mSgliehes Maximum erwirtschaften. Um eine solehe Wirt- schaftspolitik betreiben zu kSnnen, ist es notwendig, die wirtschaftliehen Zusammenh~nge zu erfassen. Die Ergriindung der wirtschaftliehen Zu- sammenh~nge ist Aufgabe der Theorie, und zwar der umfassenden Theorie der NationalSkonomie.

s Wie A. M a h r : Der unbew~ltigte Wohlstand, Berlin 1964, S. 36, nach- weist, konnte zwar die New Deal-Politik in den USA eine Milderung der Depres- sion und eine Abnahme der Arbeitslosigkeit herbeifiihren, doch stand infolge von Irrtiimern der Erfolg in keinem Verh~ltnis zum Aufwand der staatlichen Mittel.

Kriterien des wirtschaftlichen Wachstums 109

Der Titel meiner Ausfiihrungen spricht yon Kriterien des wirtschaft- lichen Wavhstums. Ich mSchte mich daher im folgenden nur mit jenen theoretisehen Fragen auseinandersetzen, die fiir die wirtschaftliche Wachs- tumspolitik von besonderer Bedeutung sind. Ich will damit durchaus nicht zum Ausdruek bringen, da$ es sich dabei um die einzigen volkswirtschaft- lichen Probleme handelt, die in der wirtschaftlichen Wachstumspolitik eine Rolle spielen. Ich will nur jenes wirtschaftliche Denken vorfiihren, das am Anfang jeder Wachstumspolitik stehen sollte.

II. Das wirtschaftl iche Gleichgewlcht Die mit der Frage des wirtschaftliehen Gleichgewichtes verbundenen

Probleme stellen fiir die wirtschaftliehe Wachstumspolitik eine Kernfrage dar. Die Wachstumspolitik kann offenbar nur dann erfolgreich sein, wenn sie durch das Zusammenwirken der yon ihr auf den verschiedensten Ge- bieten der Wirtschaft geschaffenen Voraussetzungen eine dauernde Zu- nahme des Sozialproduktes bewirkt. Eine solehe dauernde Zunahme des Sozialproduktes setzt u. a. voraus, da$ Kapitalaufzehrungen dutch Fehl- investitionen vermieden werden, weft solche Prozesse restriktive Effekte mit deflationistischem Charakter hervorrufen, die, wenn ihnen nicht zeit- gerecht begegnet wird, durch die mit dem Ph~nomen der sekund~ren De- flation 9 verbundenen Erscheinungsformen (auf die bier nicht nKher ein- gegangen werden kann) unter Umst~nden eine Freisetzung yon Produk- tionsmitteln mit sich bringen. Eine Freisetzung yon Produktionsmitteln -- d. h. ihr Brachliegen start nutzbringender Verwendung -- ist aber eine Gegenkraft zur 5konomischen Wachstumspolitik yon nicht zu unterschKt- zender und auch oft nicht genau absch/~tzbarer Bedeutung. Wie hoch man auch immer die nachteiligen Auswirkungen eines solchen Zustandes ein- sch~tzen mag, eines ist sicher: Auf alle F/~lle verringert er ein sonst mSg- liches Wachstum der Wirtschaft. StSrungen des wirtschaftlichen Gleich- gewichtes mit restriktiven Effekten miissen daher yon einer wirtschaft- lichen Wachstumspolitik vermieden werden, wenn sie erfolgreich sein will lo.

Ich persSnlich glaube, da$ ausreichende Erkenntnisse der wirtschaft- lichen Vorgi~nge vorliegen, die es der Politik errnSglichen, festzustellen, w o u n d welche Voraussetzungen geschaffen werden miissen, um die Wirt- schaft zur Entfaltung zu bringen. Weitaus schwieriger zu beantworten ist jedoch die Frage, wie bei dieser einmal zur Entfaltung gebrachten Ent- wicklung deflationistische StSrungen verhindert werden k5nnen 11. Die

9 G. H a b e r l e r : ProsperitKt und Depression, Bern 1948, S. 63f. lo R. ]2. H a r r o d : Towards a Dynamic Economics, London 1948, S. 86,

ist sogar der Meinung, dab eine Abweichung des effcktiven Wachstums vom gleichgewichtigen Wachstumspfad ein Freiwerden yon zentrifugalen Kr~ften zur Folge hat.

21 j. S. D u e s e n b e r r y : Business Cycles and Economic Growth, NewYork 1958, hat die Ursazhen yon StSrnngen des wirtschaftlichcn Wachstums unter- sucht und kommt unter anderem zum Sdllul3, dal3 groBe Depressionen auf Grund yon verschiedenen Arten yon ,,shocks" und nicht durch einen zeitlichen Mecha- nismus entstanden sind.

110 R. Kamitz:

Problematik des Erfolges einer wirtsehaftliehen Wachstumspolitik findet bier ihren Schwerpunkt. Aus diesem Grund mSchte ich das wirtschaftliehe Gleichgewicht, soweit es fiir die bier aufgeworfenen Zusammenh~nge inter- essant ist, kurz behandeln.

Das wirtschaftliche G]eichgewicht hat viele Erscheinungsformen, davon sollen hier nur drei behandelt werden, und zwar der Gleichgewichtspreis im Zusammenhang mit dem 5konomischen Maximumtheorem, die Frage der BetriebsgrSt3e (Optimum) und sehlieglieh die Produktionsstruktur, n~mlich in ihrem Verh~ltnis von Produktionsmittelindustrien zu Kon- sumgfiterindustrien.

Diese drei Erscheinungsformen sind herausgehoben, weft man gerade aus diesen Kategorien die Bedeutung, die das wirtschaftliehe Gleiehgewicht fiir die 5konomisehe Wachstumspolitik hat, erkennen kann.

1. Der Gleichgewichtspreis

Der Preis des freien Marktes -- yon Preisbildungen bei unvollst~in- diger Konkurrenz oder Monopolen will ich hier absehen -- kommt dort zustande, wo alle Kaufinteressenten, die zu diesem Preis kaufen wollen, kaufen kSnnen, und alIe Verkaufsinteressenten, die zu diesem Preis ver- kaufen wollen, verkaufen kSnnen. Alle Kaufinteressenten, denen dieser Preis zu hoch ist, werden ebenso wie alle Verkaufsinteressenten, denen dieser Preis zu niedrig ist, von der MSglichkeit des Kaufens oder Ver- kaufens ausgeschlossen. Nur bei diesem Preis stimmen Angebot und Nach- frage miteinander iiberein; daher auch die Bezeichnung dieses Preises als Gleichgewichtspreis.

Fiir das Zustandekommen eines solchen Gleichgewichtspreises sind lediglich die am Markte angebotenen und nachgefragten Mengen eines bestimmten Gutes maflgebtich. Unmal3geblich sind ffir diese Untersuchung die Griinde, die zu dieser Marktsituation geffihrt haben.

Die gleiche Oberlegung ist anzustellen, wenn man yon dieser allge- meinen Feststellung in eine tiefere Abstraktionsstufe steigt und die Auf- teilung der Produktionsmittel auf die einzelnen Betriebe innerhalb eines Produktionszweiges beobachtet. ~beral l dolt, wo der Ertrag eines Pro- duktionsmittels ein geringerer ist, kann dieses Produktionsmittel auch nur eine geringere Bezahlung erhalten. Der Besitzer des Produktionsmittels wird daher bestrebt sein, es in jenen Verwendungen anzubieten, wo die Erzeugung einen grSl3eren Ertragszuwachs und damit auch eine hShere Entlohnung ermSglicht. Maflgebend fiir die Entlohnung nach den Erkennt- nissen der 5sterreichischen Schule der NationalSkonomie le ist das Grenz- produkt des Produktionsmittels. Innerhalb eines Produktionszweiges wird also so lange eine Verschiebung der Produktionsmittel stattfinden, bis das Grenzprodukt dieses Produktionsmittels in allen Produktionen dieses Zweiges gleich groB ist.

is Insbesondere C. Menger , F. v. W i e s e r sowie E. v. B S h m - B a w e r k . Von der jiingeren 5sterreichischen Schule (in 0sterreich) : H. M a y e r, A. M a h r, L. I l l y , W. W e b e r u. a. m.

Kriterien des wirtschaftlichen Wachstums 111

Dieser Grundsatz der Ausgleichung des Grenzproduktes gilt abet nieht nur innerhalb eines Produktionszweiges, sondern aueh im Verh~Itnis zu anderen Produktionszweigen. Die ver~chiedenen Produktionen sind fiber die Preisrechnung miteinander vergleiehbar. Es wird nun das Bestreben der Besitzer der Produktionsmittel sein, ihre Produktionsmittel immer dort anzubieten, wo der relativ hSchste Ertragszuwachs erreichbar ist, so dab es aueh zwischen den verschiedenen Produktionszweigen so lange zu Verschiebungen kommt, bis das Grenzprodukt der Produktionsfaktoren gleich ist. Damit ist wieder ein Gleichgewichtszustand erreicht, denn sobald die Produktionsmittel in allen Produktionsverwendungen den gleiehen Grenzertrag erzielen, bestehi kein Grund mehr zur Anderung ihrer Ver- wendung, und damit ergibt sieh ein Zustand, der sich so lange nieht ~n- dert, als nicht neue Ereignisse eine solehe )i.nderung hervorrufen. Jedes Einkommen wird gleich dem Grenzprodukt des Produktionsmittels, aus dessen Verwendung das Einkommen entsteht, wobei dieses Grenzprodukt ffir gleichartige Produktionsmittel gleich grol3 ist 13.

Man pflegt diesen Trend der Produktionsmittel, in die jeweils giinstig- sten VerwendungsmSglichkeiten zu streben, als das 5konomische Maxi- mumtheorem zu bezeichnen. Die Besitzer der ProduktionsmitteI sind be- strebt, aus diesen Produktionsmitteln das jeweils hSchstmSgliche Einkom- men zu erzielen, gleichgiiltig, ob es sieh dabei um das Produktionsmittel Arbeit oder Kapital handeln mag. Das Gleichgewicht ist erreicht, wenn kein Grund zu weiteren Ver~nderungen mehr gegeben ist, wie bereits oben erkl~rt wurde.

Das 5konomisehe Maximumtheorem geht yon einer Voraussetzung aus, die im Leben praktiseh zweifellos gegeben ist und die unter der Voraus- setzung der freien Be~veglichkeit der Produktionsmittel zur Maximierung des volkswirtschaftliehen Ertrages unter den jeweils mSgliehen Bedingun- gen ffihrt. Vorausgesetzt allerdings ist dabei, dab keine StSrungen ein- treten, die die Ma~mierung des Ertrages verhindern -- zweifellos eine Aufgabe der wirtschaftlichen Wachstumspolitik.

2. Die optimale Betriebsgr6fle

In einem Betrieb sind bestimmte Fabrikationskosten konstant, so z. B. die Menge eines bestimmten Rohstoffes, den man zur Herstellung einer Ware benStigt, a~dere innerhalb gewisser Grenzen ver~inderlich, aber der hergestellten Menge entgegengesetzt proportional (fixe Kosten), und andere schlieBlich so beschaffen, dab ihre Mehrverwendung die Minderverwen- dung anderer aufwiegt (z. B. die Substitution menschlicher Arbeit durch die Maschine). Wenn man BetriebsgrSfle und Produktionskosten n~iher untersucht, dann versteht man, weshalb sich Unternehmungen nieht un- begrenzt erweitern lassen und warum Grenzen fiir die hergestellten Waren- mengen bestehen, fiber die hinaus die Erzeugung nur mit Verlust aus- gedehnt werden kSnnte. Ich mSchte dabei zun~chst die Preise der im Pro-

23 Vgl. H. M a y e r : Artikel Zurechnung. HandwSrterbuch der Staatswissen- schaften, 4. Auflage, Band VIII, Jena (1928), S. 1206 ft.

112 R. Kaxnitz:

duktionsprozel3 notwendigen Leistungen (Rohstoffe, Arbeit usw.) und clas Verh~ltnis der Produktionskosten als gegeben annehmen.

Bei jenen Produktionskosten, bei clenen ihre Mehrverwendung die Minderverwendung anderer aufwiegt, muB as offenbar ffir jeden Produk- tionsumfang eine ganz bestimmte Kombination geben, die weniger kostet als jede andere, eben ein bestimmtes Optimum.

Ffir jede Unternehmung gibt es also eine bestimmte Erzeugungsmenge, bei der ffir den Unternehmer sin maximaler Gewinn entsteht. Ffir jede Unternehmung gibt as ebenso zweifellos eine Erzeugungsmenge, fiber die hinaus (infolge der Kosteugestaltung) der Unternehmer keinen Gewinn mehr erzielen wfirde, sondern einen Verlust in Kauf nehmen mfil3te, und schlieBlich auch eine Erzeugungsmenge, u_nter die der Unternehmer nicht gehen kSnnte, ohne ebenfalls Verluste zu erleiden. Die Konkurrenz zwischen den Unternehmern ffihrt dazu, da~ der Punkt des hSchsten Ge- winnes niemals gehalten werden kann, sondern mit der Zeit ein Zustand erreicht wird, wo Verkaufspreis und Kosten einander decken, also der Unternehmergewinn (natfirlich nicht der Unternehmerlohn, n~imlieh das Entgelt ffir die reine Unternehmerleistung) eliminiert wird. Die Konkur- renz zwingt also die Unternehmer, immer innerhalb der Grenzen der ab- nehmenden Stiiekkosten zu bleiben. Sobald as einem Unternehmer vor- teilhaft erscheinen wiirde, seinen Produktionsumfang auch fiber diese Grenzen auszudehnen, wird er durch die Konkurrenz gezwungen, den Marktpreis zu senken und den Unternehmergewinn verschwinden zu lassen.

Es wird also praktisch jeder Betrieb dazu veranlal3t, ffir denjenigen Tell des Produktionstunfanges, dessen Herstellung den ~bergang in den Bereich tier zunehmenden Stfickkosten bedeuten wfirde, die Existenz einer neuen Unternehmung zuzulassen, die den Bereich der abnehmenden Stfick- kosten nicht iiberschreitet. Durch die freie Konkurrenz wird die produ- zierte Menge demnaz~h zwischen den Untez~ehmungen mit den geringsten Kosten so verteitt, dab ihr Produktionsumfang durch die Grenze zwischen zunehmenden und abnehmenden Stfiekkosten bestimmt wird. Dies gilt selbstverstKndlich auch wieder nur unter der Annahme, dab die Preise aller Produktionsfaktoren unver/indert bleiben. Andern sieh die Preise, dann /indert sich zwar die Kombination der Produktionsfaktoren, nicht aber der entwickelte Grundsatz. So ffihrt also die Eigenart der Erzeugung unter der Annahme einer freien Konkurrenz auf dem Markt wieder zu einem Gleichgewichtszustand, bei dem ein Optimum erreicht ist, bei dem das 5konomische Maximumtheorem verwirklieht ist und bei dem die Kon- sumenten unter den eben gegebenen Voraussetzungen und Bedingungen zu den gfinstigsten Preisen versorgt werden kSnnen.

Die Erm5gliehung eines wirtschaftlichen Zustandes, in dem optimale BetriebsgrSl~en 14 in der geschilderten Art erreicht werden kSnnen und, nachdem sie erreicht sind, auch gehalten werden kSnnen, ist zweifellos ebenso sine Grundfrage der Politik des wirtschaftliehen Wachstums.

14 Vgl. H. v. S t a c k e 1 b e r g : Grundlagen der theoretischen Volkswirt- schaftslehre, Bern 1948, S. 61 und 64 ff.

Kriterien des wirtschaftlichen Wachstums 113

8. Die Produktionsstruktur, und zwar als Verh~Utnis der Produktions. giiterindustrien zu den Konsumgiiterindustrien

Wir wissen schon aus den Untersuchungen yon F. H. K n i g h t 15 und sehr ausfiihrlich aud~ aus den Werken von K e y n e s und seinen Nach- folgern, da~ die Investitionsneigung der Unternehmer (inducement to invest) is von so aul3erordentlichen ~iul]eren Umst~nden und Voraussetzun- gen abh~ngt, da~ dabei der Zins eine offenbar nu t sehr untergeordnete Rolle spiett. Insbesondere K e y n e s ha t in seiner bereits zitierten General Theory auf diesen Umstand hingewiesen und hat das, was man als die Erwartungen der Unternehmer bezeichnet, genau definiert i7. Es eriibrigt sich daher, an dieser Stetle darauf n£her einzugehen. Es ist vollkommen klar, dal] alle diese Voraussetzungen gegeben sein mfissen, um Unterneh- mer zu Investitionen zu veranlassen, die K e y n e s als notwendig bezeich- net, und zwar miissen sowohl die langfristigen als auch die kurzfristigen Erwartungen der Unternehmer gfinstig sein. Nur dann wird die Risiko- bereitschaft bestehen und nu t dann werden Initiativen entfaltet werden. Es ist aber doch wohl ebenso einleuchtend, daB, wenn die Unternehmer sich auf Grund gewisser Erwartungen und einer gewissen Risikobereit- schaft zur Durchfiihrung yon Investitionen entschlossen haben, die HShe des Zinsful3es als ein Element ihrer Kosten in den ]etzten Entschlfissen dann doch eine entscheidende Rolle in der Weise spielen wird, in welcher Richtung sich die Investitionen bewegen. Sicher hat niemand, auch nicht die Vertreter der klassischen Schule oder gar W i c k s e l l , gemeint, dal3 der Zins das allein ausschlaggebende Kriterium f/it die Verteilnng der Produktion auf die beiden Giiterbereiche sei. Es ist den genannten Unter- suchungen von K n i g h t und K e y n e s zu danken, dab eine mSgliche Ein- seitigkeit der Betrachtung in der weiteren Entwicklung vermieden wurde. Es soil aber anch festgehalten werden, dal] trotz aller dieser Umst£nde die Rolle des Zinses in der Verteilung des Kapit~ls auf den Produktions- mittel- und Konsumgfitersektor nicht g£nzlich eliminiert werden kann is. Ich meine dies nicht nur in der Bedeutung der Ableitungen yon W i c k - s e 11, sondern auch in dem Sinn, dal~ HShe und Ver~nderungen des Zins- satzes die Erwartungen der Unternehmer mitbeeinflussen, bevor die ge- naue Kalkulation ihrer Kosten einsetzt.

1~ F. H. K n i g h t : Risk, Uncertainty and Profit, Boston -- New York 1933. 16 j. M. K e y n e s , a. a. O., S. 135 ff. iT A. a. O., S. 147 ft. 18 W. E h r t i c h e r : Geldkapitalbildung und Reatkapitalbildung, Tfibingen

1956, gelangt auf Grund yon empirischen Untersuchungen der Investitionst£tig- keit in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen zu einer Aufgliederung der In- vestitionen in solche, deren Kapazit~tseffekt im Vergleich zum Einkommenseffekt relativ hoch ist (es handelt sich ~ebei um konjunkturabh~ingige Investitionen mit kurzer Lebensdauer; Kreditkosten spielen keine entscheidende Rolle), und in solche, bei denen der Einkommenseffekt den Kapazit~tseffekt fibertrifft (weniger abh£ngig yon einer augenblicklich gegebenen oder in naher Zukunft erwarteten Marktlage; es handelt sich um Investitionen yon langer Lebensdauer, wobei die langfristige Finanzierung eine entscheidende Rolle spielt).

Zeitsehr. f. National~konomie, XXVI. Bd., Heft 1-3 8

114 R. Kamitz:

In der Praxis kSnnen Abweichungen vom Gleichgewicht aus vielen Griinden eintreten, z. B. durch Naturkatastrophen, MiBernten, kriegerische Ereignisse, AuBenhandelsver/inderungen, verfehlte Wirtschaftspolitik und anderes mehr. Eines ist aber immer sicher, n/imlich die Tatsache, daB ein gestiirtes Gleichgewicht zwischen Produktionsmittel- und Konsumgiiter- industrie zu einer Bereinigung dr~ngt. Besteht infolge eines solchen ge- stSrten Gleichgewichtes ein zu hohes Angebot an Produktionsgiitern, so werden die Produktionsmittelindustrien Teile ihrer Produktionskapazit/~t stillegen und Arbeiter entlassen miissen, so lange, bis das Gleichgewic~t zwischen diesen beiden Industriegruppen wiederhergestellt ist. Ein solcher Vorgang aber ruft das hervor, was ich restriktive Effekte oder deflations- ~hnliche Erscheinungen nennen mSchte, also eine Entwieklung, die, wie ich bereits mehrmals betonte, dem wirtschaftlichen Wachstum entgegen- gesetzt ist.

IlL Mittel und Methoden einer wirtschaftlichenWachstumspolitik

Die Behandlung der dargelegten Erscheinungsformen des wirtschaft- lichen Gleichgewichtes fiihrt zwangsl/~ufig und unmittelbar in jenen Bereich tier Wirtschaftspolitik, der heute iiblicherweise als antizyklische Wirt- schaftspolitik bezeichnet wird. Meiner Auffasung nach sollte man eine solche Wirtschaftspolitik eher eine kompensierende oder wachstumsorien- tierte Wirtschaftspolitik nennen. Es handelt sich gewiB nach wie vor urn die Vermeidung yon Konjunkturzyklen mit ihren deflationistischen Wir- kungen, abet es handelt sieh dariiber hinans noch mn etwas mehr, niim- Iich darum, in einer sich st~z~dig fortentwickelnden Wirtschaft das Gleich- gewicht zwischen den verschiedenen wirtschaftlichen Bereichen so weit auf- rechtzuerhalten, daB yon deft aus keine restriktiven Effekte eintreten.

Das Gleichgewicht hat nicht nut einen hohen Erkenntniswert als Be- griff, sondern spielt auch in der Welt der Tatsachen eine entscheidende Rolle. Auch in einer Wirtschaft, in der es gelingt, das Sozialprodukt stUn- dig zu vergrSBern, gibt es Gleichgewichtspreise, gibt es das 5konomische Maximumtheorem, gibt es die Position der Einzelbetriebe an der Grenze der fallenden Stiickkosten und gibt es ein dem Ziel der Konsumenten ent- sprechendes Verh~iltnis zwisehen Produktionsmittelindustrien und Kon- sumgiiterindustrien. Auch in einer Dynamik sind Gleichgewichtsvorstel- lungen damit durchaus realistiseh. Sie sind so realistisch, dab bei Gleich- gewichtsstSrungen zwar keine Krisen auftreten, aber doch riickl~iufige Entwicklungen, die entweder Rezessionen bleiben oder die den Charakter einer Stagnation annehmen.

Die Mittel, die der Wirtschaftspolitik heute zur Erreichung des Zieles ,Wachstum" zur Verfiigung stehen, sind neben anderen in erster Linie die Budget- und Finanzpolitik. In Zeiten einer sich intensivierenden Kon- junktur, die sich allm~ihlieh in der steigenden Nachfrage nach Produktions- mitteln aller Art i~uBert und Preissteigerungen zun~chst in diesen Sek- toren hervorruft, sollte die Finanzpolitik d~npfende Einfliisse, in Zeitell einer Rezession expansive Wirkungen zeitigen.

Kriterien des wirtschaftlichen Wachstums 115

Diese ~berlegungen betreffen naturgem~B in erster Linie die 5ffent- lichen Haushalte, die heute im wirtschaftlichen Geschehen eine so domi- nierende Stellung einnehmen. Zweifellos enthalten diese Haushalte Aus- gabenpositionen, die, wie z. B. Geh~lter, Sozialversicherung und vieles andere mehr, als unbeweglieh - oder hSchstens nach oben ver~nderlieh -- betrachtet werden kSnnen 19. Die 5ffentliehen Haushalte haben aber in steigendem Mal]e im Vergleich zu frfiher Aufgaben fibernommen, die die Infrastruktur der Volkswirtsehaft betreffen. Der Bau neuer und moderner Verkehrsstra•en und Eisenbahnen, Autobuslinien, Flugpl~tze, Fernsprech- und Fernmeldeeinrichmngen, Television, Weltraumforschung und vieles audere sind nur einige Beispiele. Es ha~udelt sich dabei um sehr bedeu- tende Aufgaben auf dem Investitionssektor, die ohne Zweifel alle niitzlich sind und der Volkswirtsehaft dienen, die aber der Volkswirtschaft noch vieI mehr dienen kSnnten, wenn das Tempo ihrer Durchffihrung der Ent- widdungslage der Volkswirtschaft angepa~t wiirde und somit ein kompen- sierender Einflul3 yon dort ausginge.

Die Durchffihrung einer solehen Politik stSflt in der Pra~xis auf groBe Widerst~nde. Viele Menschen verstehen nicht, warum der Staat in Zeiten der Hochkonjunktur, in denen auch seine Einnahmen steigen, weniger Geld ffir alle diese notwendigen Belange ausgeben sollte als in Zeiten einer Rezession und da~nit aueh einer Einnahmenstagnation. Dennoch han- delt es sieh bier um ein bedeutendes Anliegen der modernen Wachstums- potitik, das aber wahrscheinlieh erst in einer groBen interDationalen Kooperation seine Realisierung linden kann.

Selbstverst~ndlich sind nicht nur die Budgets der 5ffentlichen Haus- halte in der Lage, eine waehstumsorientierte Wirtschaftspolitik zu beein- flussen, auch die Finanzpolitik selbst kann dazu einiges beitragen. So empfiehlt man, in Zeiten iiberhitzter Konjunktur den Verbrauch durch hShere Steuern zu vermindern, um somit die Oberhitzung einzud~mmen. Andererseits miil3te als Iogisehe Konsequenz in einer Rezession eine ent- spreehende steuerliehe Entlastung eintreten.

Die Anwendung dieser Steuerpolitik ist jedoeh nur unter folgenden Voraussetzungen sinnvolt: erstens wean man gewillt ist, sie in beiden Richtungen wirksam werden zu lassen, also nicht nur als SteuererhShung, sondern auch als Steuersenkung, and zweitens wenn im Falle tier Steuer- erhShung die vereinnahmten Betr~ge sterilisiert werden. Diese zweite Annahme ist jedoch vSllig unrealistiseh, da in fast allen L~ndern die Wfinsche an die 5ffentliehen Haushalte st~udig steigen und jede neuer- schlossene Steuerquelle sofort eine Verwendung finder. Wean aber die durch kunjunkturpolitisehe SteuererhShungen vereinnahmten Betr~ge wie- der ausgegeben werden, und zwar gleichgiiltig auf welehe Weise, dann be- deutet dies keine Verringerung des Konsums, sondern nur eine Verschiebung desselben vom privaten auf den 5ffentlichen Sektor. Dal~ damit keine Kor- rektur der Uberhitzung erfolgen kann, ist wohl augenf~llig (es sei denn, es tritt der unwahrscheinliehe Fall ein, dab es getingt, die Nachfrage in

i~ Diese Erscheinung wird auch als ratchet effect bezeichnet.

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116 R. Kamitz:

Wirtschaftszweige zu verlagern, bei welchen noch keine Uberhitzungser- scheinungen aufgetreten sind oder welche sieh gar im ,,Konjunkturschat- ten" befinden) 2°.

Die Finanzpolitik hKtte auch Mittel und Wege, nicht in dieser unmit- telbaren Form, sonderu indirekt durch steuerliche MaBnahmen die Ent- wicklung zu beeinflussen. Man kSnnte sich z. B. vorstellen, dab in Zeiten der Konjunktur den Unternehmungen gestattet wird, steuerlich begiinstigte Reserven zu bilden, die erst in Zeiten einer Rezession wieder aufgelSst werden diirfen. Eine/ihnliche Regelung wurde z. B. in der Schweiz getrof- fen. Aber sicher gibt es noch andere Mittel, mit denen die Steuerpolitik regelnd in den Verlauf der Dinge eingreifen kann, vor allem auch iiber die Z511e und sonstigen Abgaben, aber dann allerdings wieder nut unter der Voraussetzung, dab es zu einer echten AbschSpfung und nicht nur zu einer Umleitung der Einnahmen kommt.

Bis jetzt wurden zun~chst die Mittel der Wirtschaftspolitik dargestellt, die sich zwangsl~iufig aus den (~berlegungen hinsichtlich der Bedeutung des wirtschaftlichen Gleichgewichtes im wirtschaftlichen WachstumsprozeB ergeben. Es w/~re vielleicht logischer gewesen, zuerst jene Bereiche der Wirtschaftspolitik zu behandeln, die das wirtschaftliche Wachstum in Gang bringen. Aus der groi]en Bedeutung, die ich aber den mSglichen deflationistischen Entwicklungen beimesse, schien es angezeigt, den bier eingeschlagenen Wag zu beschreiten. Nunmehr sollen jene wirtschaftspoliti- schen Methoden behandelt werden, die unmittelbar wachstumsfSrdernd wirken.

Unmittelbar wachstumsfSrdernd werden offenbar alle Mabnahmen sein, die ganz generell die Erwartungen der Unternehmer giinstig beein- flussen. Dieser Umstand ist yon groBer Bedeutung, namentlieh K e y n e s ist die Aufdeckung dieser Zusammenh£nge -- wie bereits ausgefiihrt -- zu danken. Es kann und soil hier auf die Details nicht niiher eingegangen werden, die in K e y n e s ' Hauptwerk nachgelesen werden kSnnen. Hier sol1 vielmehr nut der allgemeine Aspekt dieser Erscheinung Darstellung finden.

Allgemeine Voraussetzung ffir die Entwicklung der Investitionst/~tig- keit ist ein Klima, das die Erfolge der unternehmerischen Tiitigkeit einigermaBen absch/~tzen t£Bt. Das bedeutet Vertranen in die weltpoli- tische Entwicklung, in die allgemeine Konjunkturlage, in die Best£ndig- keit der Wirtschaftspolitik, in eine den Wert des Geldes sichernde Wiih- rungspolitik und in die Aufrechterhaltung des sozialen Friedens. Alle diese Voraussetzungen wirken in verschiedener Richtung und in verschie- dener St/~rke. Fiir manche Bereiche, wie z. B. ffir die Riistungsindustrien, mag die weltpolitische Sicherheit keinen besonderen Investitionsreiz dar, bieten. Aber die Ausnahmen best/itigen die Regel.

Wenn ein allgemeines Klima des Vertrauens gegeben ist, haben ge- zielte wirtschaftspolitische Aktionen in der Richtung der WachstumsfSrde- rung zweifellos groBe Erfolgschancen. Es gibt eine Unzahl derartiger wirt-

2o Vgl. dazu auch die Diskussion urn das sogenannte Haavelmo-Theorem.

Kriterien des wirtschaftlichen Wachstums 117

schaftspolitischer Ma~nahmen, deren Erfolg je nach den speziellen vor- liegenden Voraussetzungen unterschiedlich sein mag. Die wohl wichtigsten davon so llen im folgenden behandelt werden.

a) M a B n a h m e n z u r S t i m u l i e r u n g d e r P r o d u k t i o n

Dazu gehSren jene MaBnatunen, die auf die ErhShung der Gewinn- chancen der Unternehmungen abzielen. Sie kSnnen vielgestaltiger Natur sein. Es w~re z. B. mSglich, durch besondere handelspolitische Verein- barungen oder fiberhaupt durch eine besondere Aktivit~t der AuBenhan- delspolitik die Gewinnaussichten jener Unternehmungen, die am AuBen- handel interessiert sind, zu erhShen. Ein solcher Effekt kSnnte sich auch durch besonders umfangreiche Programme 5ffentlicher Investitionen er- geben. Es w~re aber auch mSglich, dab der gleiche Effekt durch Kosten- senkungen eintritt, die insbesondere durch Erleichterung und Entlastung des Imports wichtiger Produktionsgiiter erfolgen kSnnen.

Dariiber hinaus hat aber sicher die Finanzpolitik selbst einen groBen Anteil an dieser Entwicklung zu tragen. Gerade bei der heute meist gege- benen steuerlichen ~berlastung ergeben sich unz~hlige Ansatzpunkte, die Investitionst~tigkeit durch spezifische MaBnahmen zu fSrdern. Eine solche ist zum Beispiel die in 0sterreich gew~hrte hShere Abschreibung ffir Neu- investitionen (,,Bewertungsfreiheit"), durch die die Investitionst~tigkeit einen alle Erwartungen fibersteigenden Impuls erhalten hat: GewiB mag es auch da und dort Fehlentscheidungen und Fehlinvestitionen gegeben haben. An diesen ist aber nicht die steuerliche MaBnahme, sondern der Unternehmer selbst schuld. Investitionsfehlentscheidungen gibt es immer und hat es immer gegeben. Ihre Korrektur ist jedoch in einer freien Wirt- schaft in einer kurzen, absehbaren Zeit zu erwarten, w~hrend Fehlent- scheidungen in einer totalen Planwirtschaft erst nach vielen Jahren often- sichtlich werden und daun durch ffihlbare Konsumeinschr~nkungen be- zahlt werden mfissen.

InvestitionsfSrdernd wirkt sicher nicht nur die gezielte steuerliche Entlastung, wie etwa im Falle der Bewertungsfreiheit, sondern vor atlem eine allgemeine steuerliche Entlastung, so etwa die Vermeidung yon Dop- pelbesteuerungen im produktiven Sektor und die Verminderung des An- teiles, der vom gesamten Reingewinn dem Staat abzuliefern ist. Je h5her dieser Anteil wird, vor allem je mehr er die 50-°/0-Grenze fiberschreitet, umso mehr nimmt in progressivem Sinne die Investitionsneigung der Unternehmer ab. Abnehmende Investitionsneigung bedeutet aber Verrin- gerung der wirtschaftlichen A_ktivit/it und damit letzten Endes auch eine Verringerung der Einnahmen, die sich der Staat durch das fiberverein- fachte Rezept der SteuererhShungen zu verschaffen vermeinte. Dieses all- gemeine Rezept galt vielleicht noch vor 50 Jahren, hat aber angesichts der heutigen Belastungsgrenzen jeden Weft verloren, ja sich in sein Gegenteil verkehrt.

Dies sotlten vor allem jene iiberlegen, die eine Bedeckung neuer For- derungen an den Staat durch die ,,ErschlieBung neuer Einnahmequellen" vorschlagen.

118 R. Kamitz:

b) F S r d e r u n g de s K o n s u m s

Diese Mal3nahmen sind darauf gerichtet, den Konsum in expansivem Sinne mit der Produktions- und Produktivit~tsentwicklung Schritt halten zu lassen. Der Konsum wird aus dem Einkommen der Produktionsfaktoren bestritten. Konsumiert werden kann nut, was vorher verdient und erar- beitet wurde. Man pflegt daher heute vielfach von ,Einkommenspolitik" zu sprechen und diese als wesentlichen Bestandteil einer wirtschaftliehen Wachstumspolitik zu bezeichnen.

Nach wie vor empfiehlt es sich, daran festzuhalten, dab Einkommen nur Produktionsfaktoren, im Sinne des Entgeltes fiir eine produktive Leistung, erzielen kSnnen. In der modernen Welt hat dieser einfache Zu- sammenhang allerdings eine in der Wirkliehkeit schillernde Ausdrucks- form erhalten. Durch die Fortschritte der Sozialpolitik gibt es immer mehr Einkommensbezieher, die keine produktive Leismng mehr erbringen. So beispielsweise die Bezieher yon Renten, Pensionen, Unterstiitzungen und sonstigen Zuwendungen aller Art. Hier ist allerdings zu bedenken, dab solehe Zahlungen im allgemeinen nu t unter der Voraussetzung geleistet werden kSnnen, dab ffiiher einmal durch eine gewisse Zeit hindurch pro- duktive Leistungen erbracht wurden. Das Einkommen des Produktions- faktors Arbeit teilt sieh in diesem Fall in einen Teil, der sofort ausbezahlt wird, und in einen Tell, der im Wege der Sozialversicherung sp~ter zur Verfiigung gestellt wird. Immer ist es aber das Einkommen des Produk- tionsfaktors Arbeit. Auch wenn die Arbeitgeber zur Sozialversicherung Beitr~ige leisten oder wenn der Staat aus 5ffentlichen Mitteln, also aus allgemeinen Steuerertr~gen, Subsidien an diese Institute zahlt, so heiBt das eben, dab das nominelle Einkommen des Produktionsfaktors Arbeit am diese Betr~ge zu erhShen, also grSBer ist, als es nach den Lohnlisten erscheinen wiirde.

Durch diese Teilung des Einkommens des Produktionsfaktors Arbeit ergibt sich naturgem~iB die MSglichkeit, im Wege der sogenannten ,,Um- verteilung" des Sozialproduktes Einflu~ auf die absolute HShe dieser Ein- kommen zu gewinnen. Damit gewinnt man, theoretiseh gesprochen, Ein- fluB auf das Verh~ltnis zwischen Produktion und Verbrauch. Das kann ein wesentliehes wirtschaftliehes Instrument sein, kann aber auch im Falle einer falsch angewendeten Sozialpolitik schwere StSrungen durch Vor- prellen der Konsumkapazit~t bewirken.

Eine ErhShung des Konsums, die an sich wfinschenswert ist, kann immer nur im Gteichschritt mit der notwendigen Produktivit~ssteigerung und Ausweitung der Produktion erfolgen. Zwischen dieser Erkenntnis und den wahren Interessen der Wirtschaftssubjekte -- die eine mSgliehst stSrungsfreie, stetige Aufw~rtsentwieklung bedeuten -- steht allerdings in Wirkliehkeit die Potitik mit verlockenden Zielsetzungen, die sie dem W~hler aus taktischen ~berlegungen glaubhaft machen zu miissen meint.

Selbstverst~ndlieh sind alle Bestrebungen zu begriiBen, die eine An- passung der Einkommen des Produktionsfaktors Arbeit an die gestiegene Produktivit~t -- und zwar eine mSglichst rasche Anpassung -- zum Ziele haben. Je harmonischer diese Entwicklung vor sich geht, umso geringer

Kriterien des wirtschaftlichen Waohstums 119

sind die sonst etwa zu befiirchtenden StSrungen, die sich durch ein Aus- einanderklaffen zwischen Produktion und Konsum ergeben mSgen.

Nicht vergessen werden sell scblief31ich auch die MSgliehkeit, den Konsum dnrch Steuer- oder Zollsenkungen zu stimulieren. Gedacht ist hier in erster Linie an die den Konsum direkt belastenden indirekten Steuern, Verbrauchsteuern, ZSlle und sonstigen Importabgaben. Auch hier ergibt sich je nach der Elastizit~t der Nachfrage nach den betreffenden Giitern durchaus die MSglichkeit, dab durch die Senkung der Abgaben eine stgr- kere Steigerung des Konsums erfolgt and somit der Staat keine Einbui]e an Einnahmen erleidet. Man daft auch nicht vergessen, dab die Einhebung yon solchen Abgaben Kosten erfordert, und zwar sehr oft nicht unerheb- liche Kosten -- die nicht nur in der Einhebung, sondern auch in der Kon- trolle liegen --, die dadurch erspart werden kSnnten. Die Steuer- und Ab- gabenpolitik erweist sich hiermit -- allerdings yon einer ganz anderen Seite, als sie in der Einleitung zu Abschnitt III geschildert wurde -- als ein wertvolles und niitzliches Mittel, Wachstumspolitik zu betreiben.

c) P o l i t i k d e r w i r t s c h a f t l i c h e n I n t e g r a t i o n

Diese Ausrichmng der Politik sell nur wegen ihrer Besonderheit hier ebenfalls Erw~hnung finden, obwohl sie sich in ihren Auswirkungen ent- weder in der Richtung der Entwicklung des Punktes a) und/oder des Punk- tes b) ~uBert. Die Integrationspolitik sell nicht lediglich eine ErhShung des AuBenhandels der einzelnen L~nder zum Ziete haben, sie sell vielmehr die Produktivit~t der Wirtschaft steigern und die Produktion auf ein hShe- res Niveau heben. Dieser Erfolg sell dadurch erreicht werden, daft durch weitgehenden Abbau der Zollschranken, der Handelshindernisse und der durch die W~hrungspolitik errichteten Hfirden eine immer stiirkere An- wendung des Grundsatzes der internationalen Arbeitsteilung erfolgt. Dies bedeutet eine t~nderung der bestehenden wirtschaftlichen Strukturen in der Richmng, dab sich die L~nder immer mehr auf die Erzeugung jenex Produkte spezialisieren, in denen sie den verhalmism~ig grSl3ten Vorteil oder den verh~ltnism~Big geringsten Nachteil gegeniiber anderen L~ndern haben.

DaB solche Strukmri~nderungen, gleichgiiltig in welc~en Organisations- formen sie erfolgen, durch die fallweise notwendige Liquidierung nicht mehr existenzfiihiger wirtschaftlicher Positionen den Widerstand der da- yon Betroffenen hervorrufen, ist begreiflich. Das erkl~irt auch das fang- same Tempo, in dora diese wirtschaftliche Integration vor sich geht. Eine weltweite wirtschaftliche Integration liegt vermutlich noch welt in der Zukunft. Da abet, gesamtwirtschaftlich betraehtet, die produktivere Ver- wendung der Produktionsfaktoren der unproduktiveren vorzuziehen ist, weft sie ein grSBeres Produkt liefert, so stellt trotz voriibergebender Reibungswiderstande die wirtschaftliche Integrationspolitik einen be- deutenden Bestandteil der wirtschaftlichen Wachstumspolitik dar, ja sie ist sogar geeignet, Fortschrit~ im wirtschaftlichen Wachstum zu erzielen, fiber die wir uns heute noch gar keine genauen Vorstellungen zu machen vermSgen.

120 R. Kamitz:

d) N a t i o n a l e K r e d i t p o l i t i k

Es ist eine heute noch weitverbreitete Auffassung, dab die Bereit- stellung eines reiehlichen Kreditangebotes zu niedrigen Zinsen allein aus- reichend ist, um das wirtschaftliche Wachstum zu fSrdern. Diese Meinung finder heute noch, insbesondere in den Vereinigten Staaten yon Nord- amerika, eine weite Verbreitung; ja sie ist dort fast ein Tabu.

Zun~chst sei ein praktisches Beispiel gegeben. In der Zeit der Wett- wirtschaftskrise in den dreiBiger Jahren war das Kreditangebot iiberreich- lich, und die Zinss~tze hatten einen Rekordtiefstand erreicht. In einem europ~ischen Land gab es sogar negative Zinss~tze, d. h. man muBte etwas daffir bezahlen, wenn man dort Geld deponieren wollte. Trotzdem konnte all dies den Fortgang der Krise nicht aufhalten, offenbar, well die Er- wartungen der Unternehmer so schlecht waren, dab sie nicht geneigt waren, auch Geld, das nichts oder fast nichts gekostet h~tte, zu investieren.

Auf der auderen Seite erfolgte der Wiederaufbau der durch den Krieg verwiisteten europ~ischen Wirtschaft unter knappen Kreditbedingungen und hohen Zinss~itzen. Die Wachstumsraten in dieser Zeit waren in ein- zelnen L~ndern yon bisher ungeahnter HShe.

GewiI] spielt die Kreditpoiitik im Rahmen einer wirtschaftliehen Wachstumspolitik eine groi]e Rolle, aber nach meiner Auffassung nu t in- sofern, als sie angetan sein muB, die MaBnahmen der wirtschaftlichen Waehstumspolitik, die, wie ich mich zu zeigen bemiiht habe, wesentlieh auf anderen Gebieten liegen, nicht zu stSren. Die Kreditpolitik sell mit- helfen, die unter den friiheren Punkten angedeuteten konstruktiven wirt- sehaftspolitischen Wege zum Ziele f/ihren zu kSnnen. Sie dfirfte also nieht dureh eine kiinstliche Verknappung des Kreditangebotes und durch eine mit den tats~ichlichen Verh~ltnissen im Widerspruch stehende Politik des teuren Geldes die Verwirklichung dieser Vorhaben verhindern.

Es w/~re allerdings aueh ein Irrglaube, anzunehmen, dab durch eine besondere VergrSBerung des Kreditangebotes und Verbilligung der Zins- s~tze eine FSrderung der fibrigen Wachstumspolitik erwartet werde~ kaun. Solche Vorgi~nge, die zweifellos zu schweren GleichgewichtsstSrungen fiih- ten, wiirden der Waehstumspolitik vielmehr ernste Rfickschl~ge zufiigen.

Die Kreditpolitik ist also lediglieh ein Tell einer ganzen Fiille yon wirtschaftspolitischen MaBnahmen, die nur in einem einheitlichen Gesamt- konzept ein wirtschaftliches Wachstum erreichen kSnnen, und unter diesen vielen MaBnahmen wahrscheinlieh gar nieht der entscheidende Teil.

e) I n t e r n a t i o n a l e W ~ h r u n g s p o l i t i k

Wie aus meinen bisherigen Ausfiihrungen schon hervorgeht, ist die wirtschaftliehe Wachstumspolitik nicht auf ein einzelnes Land bezogen denkbar, sondern nur in wettweiter Sicht. Wenn man abet yon diesem Standpunkt ausgeht, dana trifft man unmittelbar auf ein entscheidendes Problem, das auch heute wieder im Mittelpunkte tier theoretisehen und wirtschaftspolitischen Diskussionen steht, nKmlieh auf die internationale WKhrungsordnung.

Kriterien des wirtschaftiichen Wachstums 121

Die heutige internationale Wiihrungsordnung beruht auf den Abkom- men yon Bretton Woods. Diese Abkommen sind eine Folge der Lehren, die aus den Effahrungen der Zwischenweltkriegszeit gezogen wurden. In den Abkommen von Bretton Woods sind zwei Grundgedanken verankert: dab eine W~ihrungsordnung bestehen mul3, die erstens die Entwicklung des Welthandels fSrdert, die also keine Rfiekkehr zu dem bedenkliehen Autarkiegedanken der Zwischenweltkriegszeit beinhaltet, und die zweitens in der Lage sein mut3, StSrungen des internationalen Gleichgewiclltes nicht durch deflationistische Vorg~inge, sondern evolution~r zu beseitigen.

Bei einer reinen Goldw£hrung bedeutet die StSrnng des Zahtungs- biIanzgleichgewichtes kein Problem. Das Land, das ein Zahlungsbilanz- passb, mm erwirtschaftet hat, mul3 dieses Passivum mit Gold bezahlen, Gold fliel3t aus diesem Land ab, die umlaufende Celdmenge dieses Landes wr - ringert sich, dadurch wird ein Druek auf LShne und Preise ausgefibt, das Land wird wieder konkurrenzf~hig, die Exporte steigen, und die Zahlungs- bilanz findet ihren Ausgleich. Dieser Ausgleich wird aber durch einen deflationistischen Prozel3 erzwungen.

Im heutigen System, das im Internationaten W~ihrungsfonds konzen- triert ist, sucht das Land, dessen Zahlungsbilanz gestSrt ist, bei diesem um einen 0berbriickungskredit an, den es erh~lt, wenn es sich verpflich- tet, MaBnahmen einzuleiten, die die Wiederherstellung des Gleichgewichtes zum Ziele haben. Diese MaBnahmen wirken in die Zukunft. Sie bewirken keinen deflationistischen Prozel], sondern steuern die Entwicklung so, dab ein Ausgleich wi~der mSglieh wird.

Man erkennt bier den grundlegenden Unterschied zwischen der W~h- rungsordnung, wie wir sie heute haben und wie sie zu Zeiten der reinen Goldw~hrung bestand, aber auch zu dem Zwitterzustand, der zwischen den beiden Weltkriegen gegeben war. Gewil] erfolgt durch dieses System keine Riickfiihrung von Preisen, abet es soll eine weitere ErhShung von Preisen verhindert werden. Man sieht sofort, dab damit restriktive Entwicklungen ausgeschaltet sind und wachstumsfSrdernde Maf3nahmen der beteiligten L~nder nicht durch Rezessionsprozesse gestSrt werden. Die internationale W£hrungsordnung, wie sie heute besteht, ist daher der von allen L~ndern verfolgten Wachstumspolitik absolut angemessen. Das Verlassen dieses Systems und die Riiekkehr zu bereits fiberholten Methoden wiirde einen fatalen Riiekschritt in der Weltwirtschaft bedeuten.

Auf der anderen Seite daft nicht fibersehen werden, dab sich gerade durch das System der evolution~ren Anpassung eine schleichende Geld- entwertung entwickelt hat, die im }tinblick auf das Wachstum zweifellos lange Zeit hindurch hingenommen werden konnte. Das AusmaB, das sie aber in den letzten Jahren in einzelnen L£ndern erreicht hat, mahnt zur Vorsicht. Es milssen Mittel und Wege gefunden werden, um durch eine internationale Kooperation in den Grundsatzfragen der W~hrungs- und Finanzpolitik ein erhShtes Mab an W~hrungsstabilit£t zu siehern. Dies ist eine Grundvoraussetzung fiir das Klima des Vertrauens und der Zu- versicht, unter dem allein sich die Investitionslust der Unternehmer ent- falten kann. Es ist aber auch die wesentlichste Voraussetzung fiir eine

122 R. Kamitz: Kriterien des wirtschafflichen Wachstums

st/irkere Kapitalbildung, die ihrerseits wieder das ei, nzige Mittel ist, mit dessen Hilfe das wirtschaftliche Wachstum in einem st/irkeren Mail als bisher gefSrdert werden kann.

GewiB -- wirtschaftliches Wachstum ist nicht das einzige auf dieser Welt. Inwieweit es das Lebensgliiek der Menschen erhSht, bleibt often. Die NationatSkonomie hat sich damit abet nicht auseinanderzusetzen. Ihr Bereich ist die Erkenntnis der Zusammenh/inge, die sich aus dem wirt- schaftlichen Handeln der Menschen verschiedenster Wettauftassungen er- geben. Die Wirtschaftspolitik ihrerseits hingegen bemiiht sich, diese Er- kenntnisse fiir ihre Maflnahmen nutzbar zu machen. Das ist der ihr eigen- t/imliche Bereich.

Anschrift des Verfassers: Pr/~sident der Oesterreichisehen Nationalbank, Prof. Dr. Reinhard Kami tz , A-1090 Wien, Otto-Wagner-Platz 3.