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This work has been digitalized and published in 2013 by Verlag Zeitschrift für Naturforschung in cooperation with the Max Planck Society for the Advancement of Science under a Creative Commons Attribution 4.0 International License. Dieses Werk wurde im Jahr 2013 vom Verlag Zeitschrift für Naturforschung in Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. digitalisiert und unter folgender Lizenz veröffentlicht: Creative Commons Namensnennung 4.0 Lizenz. Kugelförmige Pigmentzellen als Anzeiger der Liquorströmung in den Gehirnventrikeln von Krallenfroschlarven Von HANS ADAM * Aus dem Zoologischen Institut der Universität Wien (Z. Naturforschg. 8 b, 250—258 [1953]; eingegangen am 7. Februar 1953) 1. Mittels der Bewegung der in den Gehirnventrikeln von Krallenfroschlarven befindlichen freien Pigmentzellen werden ausgiebige Strömungen beschrieben, die bereits in frühesten Stadien der Entwicklung auftreten. 2. Im Liquor sind Strömungsbahnen lokalisierbar, in denen die Bewegung immer mit gleicher Richtung erfolgt. Die Beobachtung von Linear- und Wirbelbewegungen ergibt in ihrer Ge- samtheit eine geschlossene, endlose Kreis- bzw. Umlaufströmung innerhalb der Gehirnhohl- räume. 3. Außerhalb der Ventrikel (Intermeningealräume) konnte keine ähnliche Bewegung fest- gestellt werden. Auf Grund der Liquorbewegungsbefunde und der histologischen Unter- suchung des 4. Ventrikels muß die Existenz von Verbindungen der Ventrikel mit circum- cerebralen Räumen (Foramina L u s c h k a e und M a g e n d i e) für Froschlarven verneint werden. 4. Als Hauptursache der Bewegungen muß der koordinierte Schlag der an der Oberfläche von Plexus- und Ependymzellen feststellbaren Cilien angesehen werden. Die Cilienbewegungen konnten an isoliertem Plexusgewebe im Phasenkontrastmikroskop festgestellt werden. 5. Die Pigmentkörperehen werden mit einer Geschwindigkeit von 50—800 «/Sek. bewegt. In jüngeren Larven erfolgt anscheinend die Liquorströmung mit größerer Geschwindigkeit als in älteren Larven und wahrscheinlich auch adulten Tieren. 6. Die Liquorströmung dürfte nach Art eines Rührwerkes die Stoffverteilungsgeschwindig- keit erhöhen. S eit den Arbeiten von W i l l i s (1664), Haller (1766), Cotugno (1770), Magendie (1825, 1842), L u s c h k a (1855) u.v.a. 1 beschäftigen sich zahlreiche Publikationen mit dem Liquor cerebrospi- nalis, welcher bie den Wirbeltieren die Hohlraum- systeme des Zentralnervensystems erfüllt. Zahlreiche Probleme haben eine umfangreiche Forschungstätig- keit in diesem Zusammenhang angeregt 2 , doch wesentliche Fragen in diesem Zusammenhang müs- sen noch heute als ungeklärt betrachtet werden. Erst neuerdings bemerkt M e y e r 3 zum Liquorproblem: „Es ist ein Komplex von Fragen, die unzertrennbar zusammen gehören und deren Lösung trotz großer Forschungsbemühungen bis heute nicht zum Ab- schluß gekommen ist. Hierher gehören die Fragen Die Arbeit wurde in den Jahren 1950—1952 aus- geführt. Für die Überlassung des Arbeitsplatzes und die Förderung danke ich dem verstorbenen Vorstand des Institutes, Herrn Prof. Dr. O. S t o r c h und dem der- zeitigen Leiter, Herrn Prof. Dr. W. M a r i n e 11 i. Den Dozenten Dr. H. H o f e r und Dr. F. S c h r e m m e r sei für zahlreiche Ratschläge und ihre immerwährende Hilfs- bereitschaft gedankt. Besonderen Dank sdiulde ich Herrn Prof. Dr. V o n w i 1 1 e r (Rheinau, Schweiz) für die Über- lassung seiner russischen Originalarbeit und die Freund- lichkeit der Übersetzung. nach dem Ort der Liquorentstehung, dem Mechanis- mus der Resorption und der Zirkulation und schließ- lich der Fragenkomplex nach dem Zweck und der Funktion des Liquors überhaupt." Was die Zirkulation, d. h. die Bewegungen des Liquors und seine Funktion betrifft, werden im fol- genden einige Befunde mitgeteilt, die von allgemei- nerem Interesse sein dürften. Eine Durchsicht der Literatur über den Liquor er- gibt, daß unsere derzeitigen Kenntnisse fast zur 1 Th. W i l l i s , Cerebri anatome Amstelodami [1664]; D. C o t u gn o, De ischiade nervosa commentarius, Viennae [1770]; A. v. H a l l e r , Elementa physiologiae corporis humanae, Tomus quartus, Lausannae 1762; M a g e n d i e , Memoire sur le liquide qui se trouve dans le cräne et l'epine de 1'homme et des animaux, Journ. de phvsiol. exper. T. IV. et VII [1825—1827]; Magendie, Re- cherches physiologiques et cliniques sur le liquide ce- phaloradiidien ou cerebrospinal, Paris 1842; H. L u s c h k a, Die Adergeflechte des menschlichen Gehirns, Berlin 1855. 2 Ö. F i s c h e r und F. G e o r g i , Humoralpatho- logie der Nervenkrankheiten, i n : F o e r s t e r u. Bumke. Handb. d. Neurol. VII/1 [1936]; L. G u t t m a n n , Phy- siologie und Pathologie der Liquormedianik und Liquor- dvnamik, in: F o e r s t e r u. B u m k e , Handb. d. Neu- rol. VII/2 [1936]. 3 H. H. M e y e r , Der Liquor, Berlin 1949, S. 7.

Kugelförmige Pigmentzellen als Anzeiger der Liquorströmung ...zfn.mpdl.mpg.de/data/Reihe_B/8/ZNB-1953-8b-0250.pdf · 6. Die Liquorströmung dürfte nach Art eines Rührwerkes die

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This work has been digitalized and published in 2013 by Verlag Zeitschrift für Naturforschung in cooperation with the Max Planck Society for the Advancement of Science under a Creative Commons Attribution4.0 International License.

Dieses Werk wurde im Jahr 2013 vom Verlag Zeitschrift für Naturforschungin Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung derWissenschaften e.V. digitalisiert und unter folgender Lizenz veröffentlicht:Creative Commons Namensnennung 4.0 Lizenz.

Kugelförmige Pigmentzellen als Anzeiger der Liquorströmung in den Gehirnventrikeln von Krallenfroschlarven

V o n HANS ADAM *

Aus dem Zoologischen Institut der Universität Wien (Z. Naturforschg. 8 b, 250—258 [1953]; eingegangen am 7. Februar 1953)

1. Mittels der Bewegung der in den Gehirnventrikeln von Krallenfroschlarven befindlichen freien Pigmentzellen werden ausgiebige Strömungen beschrieben, die bereits in frühesten Stadien der Entwicklung auftreten.

2. Im Liquor sind Strömungsbahnen lokalisierbar, in denen die Bewegung immer mit gleicher Richtung erfolgt. Die Beobachtung von Linear- und Wirbelbewegungen ergibt in ihrer Ge-samtheit eine geschlossene, endlose Kreis- bzw. Umlaufströmung innerhalb der Gehirnhohl-räume.

3. Außerhalb der Ventrikel (Intermeningealräume) konnte keine ähnliche Bewegung fest-gestellt werden. Auf Grund der Liquorbewegungsbefunde und der histologischen Unter-suchung des 4. Ventrikels muß die Existenz von Verbindungen der Ventrikel mit circum-cerebralen Räumen (Foramina L u s c h k a e und M a g e n d i e) für Froschlarven verneint werden.

4. Als Hauptursache der Bewegungen muß der koordinierte Schlag der an der Oberfläche von Plexus- und Ependymzellen feststellbaren Cilien angesehen werden. Die Cilienbewegungen konnten an isoliertem Plexusgewebe im Phasenkontrastmikroskop festgestellt werden.

5. Die Pigmentkörperehen werden mit einer Geschwindigkeit von 50—800 «/Sek. bewegt. In jüngeren Larven erfolgt anscheinend die Liquorströmung mit größerer Geschwindigkeit als in älteren Larven und wahrscheinlich auch adulten Tieren.

6. Die Liquorströmung dürfte nach Art eines Rührwerkes die Stoffverteilungsgeschwindig-keit erhöhen.

Seit den Arbeiten von W i l l i s (1664), H a l l e r (1766), C o t u g n o (1770), M a g e n d i e (1825,

1842), L u s c h k a (1855) u . v . a . 1 beschäftigen sich zahlreiche Publikationen mit dem Liquor cerebrospi-nalis, welcher bie den Wirbeltieren die Hohlraum-systeme des Zentralnervensystems erfüllt. Zahlreiche Probleme haben eine umfangreiche Forschungstätig-keit in diesem Zusammenhang angeregt2, doch wesentliche Fragen in diesem Zusammenhang müs-sen noch heute als ungeklärt betrachtet werden. Erst neuerdings bemerkt M e y e r 3 zum Liquorproblem: „Es ist ein Komplex von Fragen, die unzertrennbar zusammen gehören und deren Lösung trotz großer Forschungsbemühungen bis heute nicht zum Ab-schluß gekommen ist. Hierher gehören die Fragen

Die Arbeit wurde in den Jahren 1950—1952 aus-geführt. Für die Überlassung des Arbeitsplatzes und die Förderung danke ich dem verstorbenen Vorstand des Institutes, Herrn Prof. Dr. O. S t o r c h und dem der-zeitigen Leiter, Herrn Prof. Dr. W. M a r i n e 11 i. Den Dozenten Dr. H. H o f e r und Dr. F. S c h r e m m e r sei für zahlreiche Ratschläge und ihre immerwährende Hilfs-bereitschaft gedankt. Besonderen Dank sdiulde ich Herrn Prof. Dr. V o n w i 1 1 e r (Rheinau, Schweiz) für die Über-lassung seiner russischen Originalarbeit und die Freund-lichkeit der Übersetzung.

nach dem Ort der Liquorentstehung, dem Mechanis-mus der Resorption und der Zirkulation und schließ-lich der Fragenkomplex nach dem Zweck und der Funktion des Liquors überhaupt."

Was die Zirkulation, d. h. die Bewegungen des Liquors und seine Funktion betrifft, werden im fol-genden einige Befunde mitgeteilt, die von allgemei-nerem Interesse sein dürften.

Eine Durchsicht der Literatur über den Liquor er-gibt, daß unsere derzeitigen Kenntnisse fast zur

1 Th. W i l l i s , Cerebri anatome Amstelodami [1664]; D. C o t u gn o, De ischiade nervosa commentarius, Viennae [1770]; A. v. H a l l e r , Elementa physiologiae corporis humanae, Tomus quartus, Lausannae 1762; M a g e n d i e , Memoire sur le liquide qui se trouve dans le cräne et l'epine de 1'homme et des animaux, Journ. de phvsiol. exper. T. IV. et VII [1825—1827]; M a g e n d i e , Re-cherches physiologiques et cliniques sur le liquide ce-phaloradiidien ou cerebrospinal, Paris 1842; H. L u s c h k a, Die Adergeflechte des menschlichen Gehirns, Berlin 1855.

2 Ö. F i s c h e r und F. G e o r g i , Humoralpatho-logie der Nervenkrankheiten, i n : F o e r s t e r u. B u m k e . Handb. d. Neurol. VII/1 [1936]; L. G u t t m a n n , Phy-siologie und Pathologie der Liquormedianik und Liquor-dvnamik, in: F o e r s t e r u. B u m k e , Handb. d. Neu-rol. VII/2 [1936].

3 H. H. M e y e r , Der Liquor, Berlin 1949, S. 7.

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Gänze den Menschen, und diesen im wesentlichen nur im adulten Zustand betreffen. Die Untersuchung embryonaler und foetaler, im Falle mancher Wirbel-tiere, larvaler Individuen wird unsere Kenntnis sicher-lich erweitern und vertiefen können.

V o n w i 11 e r und Mitarbeiter4 berichten über die Beobachtung von Liquorströmungen im Gehirn älte-rer Kaulquappen (Prometamorphose) und Jung-fröschen von Rana nach beendeter Metamorphose. Die Befunde betreffen die Bewegung von Blutkörper-chen im Liquor, die bei mikrochirurgischen Operatio-nen an den Plexus chorioidei in den Gehirnhohlraum gelangten, und ferner Liquorbewegungen, die nach Farbstoffmikroinstillationen in den Ventrikeln er-kannt werden konnten. Die Beobachtung gelang also immer erst nach mehr oder weniger umfangreichen und komplizierten Eingriffen am Gehirn und nicht am ungestörten lebenden Objekt.

Gelegentlich der Untersuchung freier, kugelförmi-ger Pigmentzellen in den Gehirnventrikeln von Embryonen und Larven des Krallenfrosches 5 wurde ich auf die Bewegungen dieser Gebilde in den Ge-hirnventrikeln aufmerksam. Damit war ein Objekt gefunden, welches erlaubt, die Bewegungen des Liquors bereits in wesentlich jüngeren Stadien als bei den Untersuchungen V o n w i l l e r s 4 und zu-dem an völlig ungestörten Tieren zu beobachten und zu verfolgen. Im folgenden werden die Befunde ge-schildert, die einerseits unsere Kenntnis über die Liquorbewegung in den Gehirnhohlräumen von Wirbeltieren in früheste Entwicüdungsstadien ausdeh-nen, andererseits zur Analyse der Bewegungsvor-gänge beitragen.

M a t e r i a l u n d M e t h o d e

Als Anzeiger (Indikatoren) der Liquorbewegungen wer-den die in einer früheren Publikation5 beschriebenen, intraventrikulären Pigmentkörper verwendet (vgl. Abb. 1 u. 2 *). Die Beobachtung der Bewegungen dieser Körper erfolgte im auffallenden und durdifallenden Licht, teil-weise auch bei Misdilichtbeleuchtung. Als Beleuchtungs-quellen dienten Niedervoltpunktlampen (6 Volt, 3—5 Am-pere), als Untersudiungsinstrument ein binokulares Stereo-mikroskop (Typ G r e e n o u g h , Reidiert Mak K).

Es wurden mehrere hundert lebende Larven ohne An-wendung einer Narkose und ohne Verwendung irgend-welcher mikrochirurgischer Eingriffe untersucht. Meist

4 P . V o n w i l l e r u. W i g o d s k a j a , Mikrosko-pische Beobachtung der Bewegung des Liquors im leben-den Gehirn, Z. Anatomie u. Entwicklungsgeschichte 102, 290—297 [1933]; P. A. V o n w i l l e r u. S. I. I t k i n , Die Bewegung des Liquors in den Ventrikeln des Froschhirns, Bull. Biol. Med. exp. URSS 5, 401—403 [1938],

wurden aus Gründen der besseren Beobachtbarkeit dunkeladaptierte Tiere (kontrahierte Melanophoren der Meningen und Epidermis) untersucht, da bei helladaptier-ten Tieren die starke Pigmentierung (Ausdehnung des Pigmentes) der Gehirnhäute und der Epidermis einen wenig günstigen Einblick in die Ventrikel gestattet.

Prinzipiell eignen sich für die Beobachtung der Pigment-körperbewegungen alle Larvenstadien, vom Schlüpfen der Tiere angefangen bis zum Beginn der Metamorphose. In eben geschlüpften Larven sind jedoch die über dem Ge-hirn liegenden Epithellagen wegen ihres starken Gehaltes an Dotterplättchen milchig weiß und undurchsichtig. Audi liegen in diesen Stadien lediglich ungefärbte bzw. nur schwach pigmentierte Vorstufen der Pigmentkörper vor, es fehlen also die Anzeiger für eine Liquorbewegung. Es wurden daher für die Untersuchung Larven einer Länge von etwa 9—13 mm verwendet, in welchen die Trans-parenz der Gewebe bereits einen Grad erreicht hat, der einen günstigen Einblick in die Ventrikel ermöglicht.

Ältere Larven wurden nicht untersucht, da infolge der Größenzunahme des Gehirns und der zunehmenden Ge-samtpigmentierung über dem Gehirn ein gleichzeitiger, vollständiger Überblick über alle Ventrikel im Gesichts-feld des Binokulars nicht mehr möglich ist und ferner die Kontraktion der Melanophoren in den dorsalen Pigment-decken durch Lichtentzug nicht mehr derartig prompt erfolgt wie bei jüngeren Larven. Dazu kommt noch, daß die Pigmentkörper als Anzeiger der Liquorbewegungen in älteren Stadien bereits den Höhepunkt ihrer Entwick-lung überschritten haben5. Die Beschränkung auf die geschilderte Larvengröße (Gesamtlänge 9 bis 11 mm) wurde in Kauf genommen, dafür aber in diesem Stadium die Bewegungen eingehender untersucht. Die geschilder-ten Einzelheiten der Liquorbewegung, besonders im 4. Ventrikel, gelten daher speziell für dieses Stadium. In älteren Stadien sind wegen des komplizierteren Baues des Plexus chorioideus etwas modifizierte Verhältnisse zu erwarten.

Zur Häufigkeit des Auftretens bzw. zur Beobaditbarkeit der Pigmentkörperbewegungen ist zu bemerken, daß sie mitunter nicht sofort und nidit gleichzeitig an allen Pigmentkörpern einer Larve wahrgenommen werden können. Ein Stillstand der Pigmentkörperbewegungen kann beispielsweise durch Verkeilung bzw. Verklebung der Pigmentkörper in einzelnen Plexuskrypten und ähn-lidie Ursachen bewirkt sein. Um die Häufigkeit zahlen-mäßig zu erfassen, wurden 213 Larven des gleichen Ent-wicklungsstadiums unter identischen Bedingungen je 2 Min. zur Feststellung der Bewegungen geprüft. Bei 80 Larven (37,5%) wurde eine Bewegung der Körper fest-gestellt. Dieser Prozentsatz mag zunädist niedrig erschei-nen, erhöht sich jedoch bei länger andauernder Beobach-tung der einzelnen Versuchstiere.

Für die Analyse der Bewegungsarten und die Fest-stellung der Hauptströmungsbahnen im Liquor wurde die

5 H. A d a m [1953], im Druck. Es handelt sich dabei um schwarze, kugelförmige Gebilde, die bei Vergröße-rungen von etwa 30—100-fadi mit dem Stereomikroskop in den Gehirnventrikeln feststellbar sind (vgl. Abb. 1 u. 2 auf der Tafel S. 248 b).

* Abb. 1 u. 2, s. Tafel S. 248 b.

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Untersuchung, insbesondere an besonders günstigen Ob-jekten, manchmal bis auf etwa 20 Min. ausgedehnt. Eine längere Untersuchung ist weder erforderlich, noch rat-sam, da erstens die grelle Beleuchtung eine Schädigung der Larven bewirken kann und ferner die durch die Be-leuditung bedingte, allmählich zunehmende Ausdehnung des Melanophorenpigmentes die Verfolgung der Bewe-gungen erschwert bzw. unmöglich macht.

Die einzelnen beobachteten Bewegungsbahnen wurden aufgezeidmet, teilweise audi die Geschwindigkeit der Bewegungen mit Stoppuhr und Okularmikrometer be-stimmt und auf diese Art ein allgemeines Bild von der Liquorströmung erhalten (vgl. Abb. 3 und 4).

B e f u n d e

1. D i e B e w e g u n g e n d e r i n t r a v e n t r i k u -l ä r e n P i g m e n t k ö r p e r u n d d i e A n a -l y s e d e r L i q u o r b e w e g u n g e n

Betrachtet man Xenopus-Larven von der Dorsal-seite unter den im vorigen Abschnitt im einzelnen erörterten Bedingungen, so findet man die Pigment-körper meist in den volumsmäßig größten Gehirn-hohlräumen, im 3. und 4. Ventrikel.

Während sie in diesen Räumen meist kreisende Be-wegungen ausführen, bewegen sie sich in den röhren-förmigen, teilweise hohen Hohlräumen zwischen den Ventrikeln, z. B. im Aquädukt, immer in geradliniger Bahn. Die Bewegungen der Pigmentkörper zeigen, daß im Liquor Strömungen stattfinden. Sie sind nicht autonom, d. h. von den Pigmentkörpern selbst ver-ursacht, sondern erfolgen passiv im Liquor, zeigen also dessen Bewegungen an. Oberflächen- als An-triebselemente (etwa Cilien u. ä.) konnten an diesen Körpern niemals festgestellt werden 5.

Für die Analyse der Liquorströmung ist die ver-schiedene Wandbeschaffenheit der Gehirnhohlräume von Wichtigkeit. Die großen Hohlräume des 3. und 4. Ventrikels sind in den dorsalen Abschnitten von der Lamina epithelialis des Tegmen ventriculi I I I . et IV. bedeckt. Sie wölbt sich in ihren mittleren Teilen zu-sammen mit den pialen Anteilen der Tela chorioidea und zahlreichen Blutgefäßen in Form von Falten und Zotten in die Ventrikel vor (Plexus chorioideus). Die Höhe dieser Gebilde nimmt ebenso wie der Grad ihrer Faltung im Laufe der Larvenentwicklung zu. Bei Xenopus-Larven einer Länge von 9—13 mm ist die Einwucherung noch nicht sehr weit fortgeschritten. Die Begrenzung der Ventrikel gegenüber dem Paren-chym des Gehirns erfolgt in den übrigen Teilen durch die epithelial angeordneten Ependvmzellen. Auf die Oberflächendifferenzierungen der Plexus- und Epen-dymzellen (Cilien, Stäbchensaum, Basalapparat) wird

in Zusammenhang mit der Besprechung der Ursachen der Liquorbewegung eingegangen werden.

Die Bewegungen der Pigmentkörper in den Ven-trikeln sind bald rotierende, bald wirbelnde. Sie er-folgen minutenlang in bestimmten Zonen, wobei der Drehsinn im allgemeinen beibehalten wird. Es han-delt sich um lokale Wirbelbewegungen im Liquor, die sie veranlassen. Die Pigmentkörper bieten nach er-folgter Rotation dem Beschauer immer andere Teile ihrer Oberfläche dar, ein Anzeichen für die wirbel-artige Bewegung. Die Bahnen, in denen die Pigment-körper herumgewirbelt werden, haben verschiedene Durchmesser. Man kann kleinste Wirbelbewegungen auf einem Raum von etwa 20—30 p beobachten, je-doch auch solche mit einer Exkursionsweite von etwa 150 p, was dem dreifachen Durchmesser eines Pig-mentkörperaggregates, dem zehnfachen eines Pig-mentkörpers entspricht5.

Die Pigmentkörper verweilen nicht dauernd in sol-chen Liquorwirbeln, sondern man beobachtet immer wieder, daß sie plötzlich ihre Wirbelbahn verlassen und dann über relativ weite Strecken, etwa vom caudalen Ende des 4. Ventrikels (Calamus scriptorius) durch den Aquädukt bis in den 3., ja bisweilen sogar bis in die Seitenventrikel hinein fortbewegt werden. Ihre Bewegung erfolgt dabei in gerade oder nahezu gerader Bahn mit beträchtlicher Geschwindigkeit (bis über 200 p/Sek.).

Diese Art der Pigmentkörperbewegungen zeigt an. daß im Liquor lineare Strömungsbahnen existieren. Am Ende einer solchen geradlinigen Bahn können die Pigmentkörper erneut in Wirbelströmungen gelangen und in ihnen einige Zeit rotierend verweilen. Es kommt jedoch auch vor, daß sie in strömungsfreie Zonen gelangen bzw. sich an bestimmten Stellen (Plexuskrypten, Engen der Ventrikel u. ä.) festsetzen, was aus dem Aussetzen der Bewegungen hervorgeht.

Die linearen Pigmentkörperbewegungen findet man, wie aus den anatomischen Verhältnissen zu er-warten ist, in den geraden, die Ventrikel verbinden-den Kanälen, etwa im Aquädukt und im Foramen interventriculare, ebenso wie in den Seitenventrikeln, die ja einseitig blindgeschlossene, schlauchförmige Räume darstellen. Besonders auffällig ist eine aus dem 3. Ventrikel durch den Aquädukt und entlang der Fossa rhomboidea von oral nach caudal bis gegen den Zentralkanaleingang ziehende Bahn.

Auf Grund der an zahlreichen Larven angestellten Beobachtungen kann man ungefähr folgendes Ge-samtbild von den Strömungsverhältnissen des Liquors im Gehirn der Xenopus-Larven entwerfen (vgl. Abb. 3

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und 4): Am Boden des 4. Ventrikels zieht ein Strom in rostro-eaudaler Richtung, der sidi am Übergang vor der Einmündung des Rückenmarkkanals in den 4. Ventrikel (oberhalb des Calamus scriptorius) staut und in einen aufsteigenden Strom übergeht. Mög-licherweise zweigt an dieser Stelle ein caudal in den Zentralkanal gerichteter Strom ab, der nach Umkehr

mungssinn im Caudalwirbel ist in der Tiefe rostro-caudal, mehr oberflächlich, also in der Nähe des un-gefalteten, caudalen Abschnittes der Lamina epithe-lialis, caudo-rostral. An dieser Stelle ist die rotierende Bewegung von Pigmentkörpern und häufig auch von Pigmentkörperaggregates besonders auffällig und regelmäßig beobachtbar.

Abb. 3. Schematische Darstellung der Strö-mungsverhältnisse im Liquor von Xenopus-Larven einer Länge von etwa 9 mm. Aus mehreren Schnitten rekonstruiert. Pfeile geben die jeweilige Bewegungsrichtung an. T Telencephalon (im Schema punktiert und in die Mediane gezeichnet), L.V. La-teralventrikel, PI. ch. III. Plexus chorioideus des 3. Ventrikels, Ep. Epiphyse, Sc. O. Subcommissurales Organ, M. Mesencepha-lon, PI. ch. IV. Plexus chor. ventr. IV., RF. Reissnerscher Faden, Wi. großer Wir-bel im caudalen 4. Ventrikel, L. e. 4. La-mina epith. des 4. Ventrikels, Zk. Zentral-kanal, Sdib. Schädelbasis, Rpo. Recessus praeopticus, Inf. Infundibulum, H. Hypo-physe, Ci. Inf. Cilienbesatz im caudo-dor-salen Infundibulum, Ci. Aq. Cilien entlang

des Sulcus longitudinalis.

Abb. 4. Sdiematische Darstellung der Strö-mungsverhältnisse. Ansicht von dorsal. Mittlerer medianer Frontalschnitt durch die Ventrikel als Grundlage für die Ein-tragung der einzelnen Strömungen. L.V. Lateralventrikel, PI. III. Plexus chor. ventr. III., 3. V. 3. Ventrikel, Aq. Aquaeductus cerebri (SYL VII), 4. V., 4. Ventrikel, F. Plexusfalten, K. Plexuskrypten, U.Zk. Über-gangszone zum Zentralkanal des Rücken-marks, Zk. Zentralkanal, a) Liquorbewe-gungen in den höheren, dem Beschauer näheren Teilen der Ventrikel; b) in der Tiefe der Ventrikel; c) Sammelbild, Strö-mungen im Aquädukt nebeneinander ge-zeichnet, tatsächlich untereinander; d) Schraubenbewegung der Pigmentkörper durch die hintereinander liegenden Plexus-krypten im 4. Ventrikel. Der Plexus chor.

ventr. IV. ist punktiert ausgewiesen.

Abb. 3.

Abb. 4.

im Terminalventrikel (blasenförmige Erweiterung am Ende des Zentralkanals) an der dorsalen Seite des 4. Ventrikels unterhalb des dreieckigen caudalen Ab-schnittes der Lamina epithelialis in den caudo-rostra-len Strom einmündet.

Durch die Stauung vor dem Zentralkanal kommt es zu einem Überschlag des Hauptanteils des Boden-stromes, wodurch der besonders markante, fast stets leicht beobachtbare Wirbel im caudalen Abschnitt des 4. Ventrikels zustande kommt (Abb. 3, Wi). Der Strö-

Die höher gelegene, caudo-rostrale Bewegungskom-ponente teilt sich in zwei, ungefähr symmetrische, in Richtung gegen die Plexuskrypten ziehende Ströme.

Am Dach des 4. Ventrikels sind die Bewegungsver-hältnisse nicht so einheitlich und einfach zu analysie-ren wie in den Basalteilen der Ventrikel, da hier die Falten des Plexus chorioideus IV. in den Ventrikel einragen. Es gibt hier zunächst in Fortsetzung der oben geschilderten seitlichen Bewegungskomponenten des caudalen Wirbels zwei, dem Bodenstrom ent-

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gegengesetzt gerichtete, mehr seitlich gelagerte Strö-mungen.

Haben die Pigmentkörper den Plexus erreicht, so können sie entweder in mittlerer Höhe innerhalb der Ventrikel, unmittelbar unterhalb der Plexusfalten, nach rostral weitergeführt werden, oder sie gelangen in lokale Wirbel innerhalb der Plexuskrypten. Im ersten Fall bewegen sich die Pigmentkörper etwas seitlich von der Medianen bis zum Vorderende des Plexus chorioideus IV. in einer geradlinigen Bahn und gelangen schließlich etwas absteigend in den Aquä-dukt. Es müssen also zwei entsprechende Strömungs-bahnen im Liquor existieren.

Neben der geradlinigen Bewegung der Pigment-körper in caudo-rostraler Richtung unterhalb der Plexuskrypten kann man jedoch auch häufig Wirbel-bewegungen der Pigmentkörper innerhalb der Plexus-krypten (Abb. 4 und 5 *) feststellen. Es müssen daher entsprechende wirbelartige Liquorbewegungen in die-sen Räumen stattfinden. Die Wirbel innerhalb der Plexuskrypten ragen in das Ventrikellumen über den Rand der Plexusfalten etwas vor, was aus entspre-chenden Bewegungen der Pigmentkörper hervorgeht. Sie sind daher augenscheinlich neben der Vortriebs-komponente des großen Caudalwirbels an der Ent-stehung der seitlichen caudo-rostralen Ströme betei-ligt, jedoch sind sie auch in der Lage, den rostro-caudalen Bodenstrom zu unterstützen (s. u.).

Die größte Geschwindigkeit während ihres Um-laufes durch eine solche Wirbelbahn erreichen die Pigmentkörper in den tiefsten Stellen der Plexus-krypten, also an der dem Beschauer bei Betrachtung von dorsal am nächsten liegenden Partie der Wirbel-bewegungen. Hier sind die Pigmentkörper dem Cilienbesatz der Plexuszellen am nächsten gekommen (diese Tatsache ist ein wichtiger Hinweis darauf, daß die Ursache der Liquorbewegungen im wesentlichen im koordinierten Schlag der Plexuscilien liegt!). Aus den Plexuskrypten stürzen die Pigmentkörper entlang einer ungefähr kreisförmigen Bahn schräg gegen den rostro-caudalen Bodenstrom hinab und erreichen den-selben mit einem Einfallswinkel von ungefähr 30—45°, also gleitend. Die angezeigte Bewegungskomponente ist also in der Lage, den rostro-caudalen Längsstrom am Ventrikelgrund zu unterstützen. Die Pigmentkör-per treten allerdings meist nicht in diesen Strom selbst ein, sondern dürften nur seine oberflächlichen Partien erreichen (Tangentialwirkung). Meist steigen sie vom Bodenstrom sofort wieder gegen die Plexus-

* Abb. 5—7, s.Tafel S.248b.

krvpten auf. An der Eintrittstelle in eine solche Krypte treffen sie erneut unter einem Winkel von ungefähr 30 ~ tangential auf den seitlichen, caudo-rostralen Längsstrom. Die auftretende Tangential-komponente ist also auch hier in der Lage, die vor-handene Linearkomponente zu unterstützen. Haben die Pigmentkörper wieder die höchste Stelle ihrer Bahn innerhalb einer Plexuskrypte erreicht, so erfolgt neuerlich eine Beschleunigung ihrer Bewegung, und sie stürzen wieder gegen den Bodenstrom in die Tiefe der Ventrikel, womit der lokale Kreislauf geschlos-sen ist.

Bisweilen findet man etwas modifizierte Strömungs-verhältnisse innerhalb der Plexusteile des 4. Ventri-kels, die jedoch mit dem dargestellten Grundschema durchaus vereinbar sind. So erfolgt die Pigment-körperbewegung im 4. Ventrikel bisweilen in Form einer Schraubenbewegung durch die hintereinander-liegenden Plexuskrypten, ausgehend von den am weitesten caudal gelegenen Plexusteilen bis in die Gegend der Aquäduktusmündung. In insgesamt 5 bis 6 Umläufen wird diese Bahn durchlaufen und die Pigmentkörper gelangen am vorderen Ende des 4. Ventrikels in den rostro-caudalen Längsstrom, der sie wieder zum Ausganspunkt der Bewegung ober-halb des großen Caudalwirbels zurückführt. Diese spiralige Bewegung konnte ich unmittelbar hinter-einander am gleichen Tier bis zu 50-mal beobachten (vgl. Abb. 4d).

Die Schraubenbewegung ist augenscheinlich da-durch bedingt, daß die Pigmentkörper nach dem Durchlaufen einer Wirbelbahn innerhalb einer Plexuskrypte sofort in die nächst vordere Plexus-krypte befördert werden usw. Der Ubertritt von einer Plexuskrypte in die nächst vordere ist augenschein-lich durch eine Verstärkung des seitlichen, caudo-rostralen Längsstrom bedingt. Die Verstärkung be-ruht wahrscheinlich darauf, daß die Intensität der Strömung vom großen caudalen Wirbel erhöht wird. Daneben dürfte auch die jeweilige Lage der seitlichen Längsströme von Belang sein, da dadurch die Rich-tung der einzelnen Bewegungskonponenten verän-dert werden kann.

Aus den Pigmentkörperbewegungen ist zu schlie-ßen, daß die beiden seitlichen Längsströme des 4. Ventrikels am Vorderende gegen den Aquädukt konvergieren und schließlich als einziger Strom den Aquädukt in seinen dorsalen Teilen durchziehen.

Bereits vorhin wurde erwähnt, daß im Aquädukt eine Strömung in rostro-caudaler Richtung erfolgt, also mit umgekehrter Bewegungsrichtung. Im Aqua-

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dukt erfolgen also in unmittelbarer Nähe zwei ein-ander entgegengesetzte Strömungen, die sich jedoch offenbar nicht stören, da in dieser Zone niemals Wir-belbewegungen als Folge einer solchen Strömung festgestellt werden konnten. Der caudo-rostrale Längsstrom liegt in höheren, der rostro-caudale in einer tieferen, ventralen Zone des Aquädukts.

Nach dem Verlassen des Aquädukts teilt sich der caudo-rostrale Strom im 3. Ventrikel wieder in meh-rere Komponenten. Zu beiden Seiten und unterhalb des Plexus chorioideus III. verlaufen die einzelnen Bahnen in die beiden Seitenventrikel. Hier erfolgt in den medialen Teilen die Strömung in caudo-rostraler, in den lateralen in rostro-caudaler Richtung. In den Seitenventrikeln, die eine Art Sackgasse darstellen, kommt es zu einer Umkehr der Strömung, im Vorder-teil mitunter auch zu lokalen Wirbelbildungen.

Die in rostro-caudaler Richtung aus den Seiten-ventrikeln kommenden Bahnen durchlaufen den 3. Ventrikel in mittlerer Höhe bzw. auf dessen Grund und gelangen schließlich sich vereinigend in den Aquädukt, wodurch der Kreislauf innerhalb der Ven-trikel geschlossen ist.

Aus den Bewegungen einzelner Pigmentkörper in den tiefsten Teilen des 3. Ventrikels ist ersichtlich, daß im Infundibulum ebenfalls eine Liquorströmung existiert, die eine Art Nebenbahn darstellt. Sie be-ginnt anscheinend am Boden des 3. Ventrikels am rostralen Ende der Aussackung des Infundibulums, gelangt über den Chiasmawulst in den etwas erwei-terten Grund desselben, steigt an der caudo-dorsalen Wand entlang des starken Cilienbesatzes dieser Zone (Abb. 3 und 7) wieder gegen den Ventrikel empor und erreicht über den Haubenwulst den rostro-cauda-len Längsstrom. Diese Bewegung ist nur schwer ver-folgbar, da sie vom Beschauer in den am weitesten entfernt liegenden Teilen der Ventrikel erfolgt.

Im 3. Ventrikel werden häufig Wirbelbewegungen, bevorzugt in den seitlichen Partien zwischen Plexus chorioideus und den Gehirnwänden des Hypothala-mus, angetroffen. Entlang der Ventrikelwände herrscht eine rostro-caudale Bewegungsrichtung, während in der Nähe des Plexus caudo-rostrale Bewegung erfolgt (vgl. Abb. 4 a und d).

Interessant ist noch die genauere Verfolgung der Geschwindigkeiten der Pigmentkörperbewegungen. In der Nähe der Plexuszellen, besonders gut beob-achtbar im 4. Ventrikel, wird die höchste beobachtete Geschwindigkeit erreicht (700—800 p!Sek.). In den Wirbelströmungen der Plexuskrypten des 4. Ventrikels beträgt sie beim Aufsteigen der Pigmentkörper gegen

die Krypten ungefähr 300—400 ///Sek. Diese Ge-schwindigkeitsunterschiede führen bei den Schrauben-bewegungen der Pigmentkörper (s. S. 254) zu einer ruckartigen, rhythmischen Bewegung. Die Strömungs-geschwindigkeit im rostro-caudalen Längsstrom wurde mit 150—200 ///Sek. bestimmt, ein Wert, der im all-gemeinen für die Linearströmungen charakteristisch ist. Die vergleichsweise ausgeführte Messung der Strömungsgeschwindigkeiten in einigen Teilen des Blutgefäßsystems der selben Larven ergab Werte von 500 ///Sek. (Blutgefäße des Plexus chorioideus) und etwa 2000—3000 ///Sek. (Aortenbögen) und soll eine Vorstellung von der Intensität der Pigmentkörper-bewegungen vermitteln.

Die Geschwindigkeit der Pigmentkörperbewegun-gen und daher auch der Liquorbewegungen ist so-wohl innerhalb der Ventrikel eines Tieres, als auch bei verschiedenen Tieren mitunter stark verschieden, die angegebenen Geschwindigkeiten daher Mittel-werte. Worauf solche Unterschiede im einzelnen zu-rückzuführen sind, konnte nicht festgestellt werden. Möglicherweise ist die Intensität des Cilienschlages im einzelnen verschieden. Innerhalb einer Larve sind die Unterschiede sowohl aus der Lage der Antriebs-zonen als auch den jeweiligen hydrodynamischen Be-dingungen erklärbar, die von der Raumbeschaffenheit abhängig sind.

Die Darstellung der Strömungsbahnen ist ein aus vielen Einzelbeobachtungen gewonnenes Idealbild. Im einzelnen ergeben sich mannigfaltige Abweichun-gen und Besonderheiten, die z. Tl. ebenfalls aus den Bewegungen der Pigmentkörper erschlossen werden können. Überlagerungen einzelner Bewegungskom-ponenten, die Gleichzeitigkeit der verschiedenen Be-wegungen sowie insbesondere die Wirbelbildungen u. a. lassen die Grundzüge der Vorgänge am Anfange der Beobachtung nicht sofort erkennen.

Aus den geschilderten Pigmentkörperbewegungen geht jedoch hervor, daß im Gehirn von Xenopus-Larven eine endlose Umlauf Strömung existiert, die alle Ventrikel durchzieht und so einer Durchmischung und Beförderung des Liquors bedingt.

Die Liquorbewegung konnte auf Grund der vor-liegenden Untersuchung nur in den Ventrikeln des Gehirns selbst festgestellt werden (intraventrikuläre Liquorströmung). Außerhalb des Gehirns, in den Räumen zwischen den Gehirnhäuten waren ähnliche Bewegungen nicht feststellbar. Bei höheren Wirbel-tieren befinden sich dort bekanntlich Liquorräume (Subarachnoidealräume), die mit den Ventrikeln selbst an mehreren Stellen kommunizieren (Apertura me-

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diane = Foramen M a g e n d i e , und Aperturae laterales = Foramina L u s c h k a e ) . Würden bei denXenopus-Larven entsprechende Verbindungen vorhanden sein, so müßte eine Bewegung des Liquors durch sie hin-durch beobachtbar sein. Auf Grund der Pigment-körperbewegungen muß die Existenz solcher Liquor-strömungen verneint werden, allem Anschein nach sind überhaupt keine derartigen Aperturen bei den Xenopus-Larven vorhanden. Auch histologisch konnte bisher für ihre Existenz kein Anhaltspunkt erhalten werden.

2. D i e U r s a c h e n d e r b e o b a c h t e t e n L i q u o r b e w e g u n g e n b e i X e n o p u s l a r v e n

Die Bewegungen der Pigmentkörper zeigen ein-deutig, daß im Liquor von Xenopus-Larven Strö-mungen stattfinden. Die Oberfläche und der Bau der Pigmentkörper und Pigmentkörperaggregate selbst bieten uns keinerlei Anhaltspunkte zur Erkennung der Bewegungsursachen. Für autonome (d. h. durch die Pigmentkörper selbst bedingte) Bewegungen der gemessenen Geschwindigkeiten (50—800 p/Sek.) wären kräftige Bewegungsorganellen (Cilien, Geißeln u. ä.) erforderlich. Solche Gebilde konnten an ihnen nicht nachgewiesen werden. Auch wäre in einem solchen Falle keine Gleichheit der Bahnen in Lage und Bewegungsrichtung zu erwarten. Als Ursache der Pigmentkörperbewegungen, die danach nur passiv erfolgen kann, kommen nur Strömungen im Liquor in Betracht.

Für ihre Entstehung kommen als Ursachen in Frage: 1. Eine Strömung des Liquors von seinen Produktions- zu seinen Resorptionsorten. Voraus-setzung dafür ist die verschiedene Lokalisation der genannten Orte. Die motorische Quelle wird nach dieser Vorstellung durch das Druckgefälle zwischen dem Überdruck an den Produktionsorten (Sekretions-druck) und dem Unterdruck an den Resorptionsorten (Resorptionssog) gebildet. Zu dem Problem dieser Art von Liquorströmung liegen zahlreiche Arbeiten bzw. Hypothesen vor (vgl. G u 11 m a n n 2 u. a.). Tatsächlich beobachtet wurde eine solche Bewegung nicht, sondern aus gewissen Experimenten (z. B. Farb-stoffversuche) und aus pathologischen Befunden (Hydrocephalus internus, experimenteller Hydro-

6 W. E . D a n d y u. K. D. B l a c k f a n , An experimen-tal and clinical study of internal hydrocephalus. Amer. Med. Assoc. 61, 2216 [1913]. — Hydrocephalus internus; Eine experimentelle, klinische und pathologische Unter-suchung. Bruns' Beitr. z. klin. Chir. 93, 392—486 [1914],

cephalus, D a n d y und B l a c k f a n 1913 und 1914° u. a.) erschlossen. Dieses Gebiet der klassischen Liquordynamik ist untrennbar verbunden mit den Problemen der Liquorbildung und Resorption. Die Liquor-Bewegung selbst ist im Rahmen dieser Frage-stellungen von geringerem Interesse. Physikalisch be-trachtet handelt es sich entsprechend der Konzeption um eine Flüssigkeitsbewegung in einer Richtung ver-ursacht durch ein Druckgefälle.

Die vorliegende Arbeit an Xenopus-Larven hat für eine einsinnig gerichtete Liquorbewegung im obigen Sinne keine Anhaltspunkte geliefert. Ihr Ziel war nicht die Untersuchung der Liquorproduktion und -resorption, die, wie oben ausgeführt, die alleinigen Kriterien einer gefälleartigen Liquorbewegung sind. Es sei hier aber ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die bei den untersuchten Xenopus-Larven be-obachteten Liquorströmungen auf diese Ursache nicht zurückgeführt werden kann. Sie besitzt, wie gezeigt werden konnte, nicht den Charakter einer einsinni-gen, gefälleartigen Bewegung, sondern es kommen ihr vielmehr Eigenheiten zu, die mit Hilfe der obigen Vorstellung nicht erklärbar sind (Wirbelbewegungen, Gesamtcharakter der endlosen Umlaufströmung).

2. Die Druckübertragung aus dem Blutgefäß-system und aus dem respiratorischen Apparat. Drude-übertragungen dieser Art kommen wohl in erster Linie nur als Ursache für die Entstehung von Druck-schwankungen (Oscillationen) im Liquor in Frage. Von derartigen Bewegungen berichten bereits M a -g e n d i e und L u s c h k a 1 . Jedoch handelt es sich auch in diesem Falle nicht um einen objektiv fest-gestellten Tatbestand, sondern lediglich um eine Vorstellung. Es ist vorstellbar, daß diese Druck-schwankungen zu einer Vibrationsbewegung (Pul-sation) im Liquor führen, die in ihrer Gesamtheit eine Art Liquorströmung ergeben könnten.

Für derartige Liquorbewegungen (Oscillationen) haben meine Untersuchungen bei Xenopus-Larven keine Anhaltspunkte ergeben. Die Untersuchung wurde allerdings auch nicht in dieser speziellen Rich-tung ausgeführt. Eventuell vorhandene Pulsations-bewegungen dürften jedoch bei den untersuchten Xenopt/s-Larven im Verhältnis zur aktiven Liquor-strömung (s. Pkt. 3) nur von untergeordneter Bedeu-tung sein bzw. vollständig von ihr überlagert werden.

3. Der koordinierte Cilienschlag der Plexus- und Ependymzellen. Die beiden vorhin diskutierten mög-lichen Bewegungsursachen der Liquorbewegungen sind nicht in der Lage, die beobachteten Bewegungen

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der Pigmentkörper und damit die Bewegung des Liquors selbst zu erklären. Die wichtigste motorische Quelle der Liquorströmung muß daher im Gehirn der Xenopus-Larven im koordinierten Schlag der Cilien von Plexus- und Ependymzellen gelegen sein.

Die Cilien (Flimmerhärchen) sind an fast allen Plexuszellen bei guter Fixierung und Färbung nach-weisbar, während ihre Darstellung an Ependymzellen schwieriger ist und nicht immer gelingt. Sie sind dünne, fadenförmige Gebilde mit einer Länge von 10—15 p (Abb. 6 und 7). Mit der Differenzierungs-höhe der Plexus- und Ependymzellen nimmt ihre Länge allmählich zu, ferner werden sie leichter nach-weisbar und machen einen „kräftigeren" Eindruck. In Frühstadien bereitet ihre Darstellung große tech-nische Schwierigkeiten, die durch ihre außerordent-liche Feinheit und Hinfälligkeit bedingt sind. In den untersuchten Entwicklungsstadien dürften die Cilien in bestimmten Zonen des Ependyms überhaupt fehlen.

Die Cilien der Plexuszellen sind im allgemeinen stärker entwickelt als die der Ependymzellen. In ein-zelnen Regionen können jedoch auch Ependymzellen sehr „kräftige" Cilien aufweisen. So sind die Cilien des Ependyms im caudo-dorsalen Teil des Infundi-bulums auffallend kräftig und meist sehr gut nach-weisbar (Abb. 7). Ähnlich kräftige Cilien findet man auch entlang des Sulcus longitudinalis der Rauten-grube sowie zu beiden Seiten desselben. Auch die Lebendbeobachtung der Pigmentkörperbewegungen weist auf einen verstärkten motorischen Impuls in diesen Zonen, als Folge der kräftigeren Cilien, hin. Entlang der dünnen Hinterwand des Infundibulums erfolgt eine Strömung in Richtung Haubenwulst-Aquädukt, während der erwähnte verstärkte Cilien-besatz in der Rautengrube am Antrieb der Liquor-bewegung 3. Ventrikel — Aquädukt — 4. Ventrikel wesentlich beteiligt ist (vgl. Abb. 3). Auch hier ist be-reits auf Grund der Lebendbeobachtung der Pigment-körperbewegungen eine Verstärkung der motorischen Zonen zu erwarten. Auch der besonders kräftige Bau der Plexuscilien ist bereits aus der Lebendbeobach-tung erschließbar. Die Pigmentkörper bewegen sich nämlich in unmittelbarer Nähe der Plexus chorioidei

" A . M a x i m o w , Bindegewebe und blutbildende Organe. In: M ö l l e n d o r f f , Handb. d. mikr. Anat. d. Mensch. 2, 1 [1927].

8 J. S c h a f f e r , Lehrbuch der Histologie und Histo-genese, 2. Aufl., Leipzig 1922.

9 F. K. S t u n d n i c k a , Untersuchungen über den Bau des Ependyms der nervösen Centraiorgane, Anat. Hefte 15 [1900].

und besonders innerhalb der Plexuskrypten, die ja allseitig von Cilien besetzte Räume darstellen, mit der größten, im Liquor feststellbaren Geschwindig-keit (bis 800 ///Sek.).

Die Plexuszellen weisen neben den Cilien an ihrer apikalen (ventrikulären) Seite weitere Gebilde auf, die im Schnitt als Stäbchensaum erscheinen (Bürsten-besatz7). Er stellt eine dichte, flächenhafte Differen-zierung der Zelloberflächen dar und kann mitunter eine beträchtliche Höhe erreichen (Abb. 6), ist jedoch in manchen Präparaten nicht nachweisbar (? Fixie-rungs-Färbungsunterschiede, Funktionsunterschiede). Der Stäbchensaum dürfte mit der Entstehung der Liquorströmungen in keinem Zusammenhang stehen, sondern wahrscheinlich mit spezifischen Leistungen der Plexuszellen (Resorption oder Sekretion u. ä., vgl. auch M a x i m o w 7 ) .

Die Cilien sind unterhalb des Stäbchensaumes in den Plexuszellen verankert (vgl. Abb. 6). Ihre Basis wird durch ein Blepharosom8 bzw. Diplosom gebil-det, welches jedoch nicht immer nachweisbar ist. Be-kanntlich sind jedoch derartige Gebilde nicht immer leicht darstellbar und man darf aus ihrer Nichtnach-weisbarkeit daher nicht sofort auf ihre Nichtexistenz schließen.

Als Kriterium kommt an fixierten Präparaten nach S t u d n i c k a 9 der Nachweis von „Basalkörnchen" (Blepharosomen8) in Frage. S t i l l i n g 1 0 fand schon derartige Gebilde an der Basis von Cilien, die sich mit Kernfarbstoffen stärker anfärben. Auch bei L u s c h k a 1 findet man bereits Angaben über körn-chenartige Verdichtungen an der Basis der Cilien. Da ich ebenfalls wiederholt an Cilien von Plexus- und teilweise auch Ependymzellen Blepharosomen nach-weisen konnte, ist histologisch ebenfalls der Beweis erbracht, daß es sich um Kinocilien handelt, obwohl allein der Befund am lebenden Objekt bereits ein-deutig zu Gunsten einer Bewegung der Cilien ge-sprochen hatte. Die Nichtnachweisbarkeit der Ble-pharosomen in manchen Schnittserien ist wahrschein-lich auf Mängel in der verwendeten Technik zurück-zuführen.

Die Cilienbewegung scheint weitgehend autonom zu sein und ist noch viele Stunden nach dem Tod des Tieres feststellbar11.

10 B. S t i l l i n g , Neue Untersudiungen über den Bau des Rückenmarks, Kassel 1859.

11 L. S t o k l a s a , Ependym a jeho cilie s blepharo-somy (tschech.). Spisy Lekarske Fak. Masarykovy Univ. v Brno, Sign. A 88, 1—24 [1930]; L. S t o k 1 a s a , Über die Flimmerbewegung in den nervösen Zentralorganen der Wirbeltiere, Anat. Anz. 69, 525—532 [1930].

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3. Zur Bedeutung der Liquorbewegung

Die beobachtete aktive Liquorströmung kann eine Beschleunigung der Lösungs-, Diffusions- und Vertei-lungsvorgänge im Liquor bewirken, ist also vergleich-bar einem Rührwerk. Letzteres beleuchtet die noch wenig bekannte physiologisch-chemische Funktion des Liquors (vgl. F i s c h e r und G e o r g i 2 u.a.). Hier wurde weniger die physiologische Funktion, als die

physikalische Bedeutung einer Durchmischung in Be-tracht gezogen.

Worauf ich abschließend aber noch besonders hin-weisen möchte, ist die Tatsache, daß die beobachteten Liquorströmungen an Amphibien-Laroen gewonnen wurden, also in bestimmten Phasen der Individual-entwicklung. Uber die Funktionen des Liquors wäh-rend der Embryonalentwicklung ist derzeit fast nichts bekannt.

Ein Beitrag zur Frage des Kalkstoffwechsels unserer Süßwasserschnecken

V o n E W A L D F R Ö M M I N G * (Z. Naturforschg. 8 b, 258—263 [1953]; eingegangen am 17. März 1953)

Die herrschende Theorie, wonach unsere Süßwasserschnecken den zum Bau ihres Gehäuses notwendigen Kalk dem Wasser bzw. mineralischem Vorkommen entnehmen, wird abgelehnt. Es trifft nicht zu, daß nur in kalkhaltigem Wasser wohlausgebildete Gehäuse angetroffen wer-den, während umgekehrt in saurem Wasser die Schneckengehäuse stets kümmerlich, dünn und korrodiert sind und die dort lebenden Gastropoden sich ihren Kalk durch Benagen anderer Gehäuse beschaffen. Gehäuse-Korrosionen werden auch in kalkreichem Wasser beobachtet und sind in erster Linie auf Zerstörungen durch bohrende Algen zurückzuführen — die chemische Auflösung der Kalkschicht ist eine sekundäre Erscheinung.

Am Beispiel von Vertretern der Gattung Viviparus wird gezeigt, daß die Gehäusestärke genotypisch bedingt und nicht vom Kalkgehalt des Wohngewässers abhängig ist. Sofern in einem kalkreichen Gewässer Populationen mit statistisch realen starken Gehäusen auftreten, ist dies auf den höheren Kalkgehalt der Nahrungspflanzen zurückzuführen. Ausschlaggebend für das Gedeihen unserer limnischen Gastropoden ist nicht der Härtegrad oder die aktuelle Reaktion ihres Milieus, sondern das Vorhandensein geeigneter Nahrungspflanzen.

Seit bekannt ist, daß die Süßwasserschnecken ihr Gehäuse aus kohlensaurem Kalk (Aragonit) auf-

bauen, besteht auch die Ansicht, daß die Tiere den dazu benötigten Kalk durch Benagen von geeignetem Gestein oder direkt aus dem umgebenden Wasser gewinnen — die Schnecken sind also an kalkreiches Wasser gebunden (wie diese Kalkgewinnung vor sich gehen soll, ist übrigens ein Geheimnis) und nur in kalkreichem Wasser entstehen wohlausgebildete, große Gehäuse. Umgekehrt aber heißt es: kalkarmes Wasser ist arten- und individuenarm, wo aber doch Schnecken vorkommen, handelt es sich um sehr dünn-schalige Kümmerlinge; geraten Exemplare mit aus-gebildetem Gehäuse in solches Wasser, werden diese korrodiert und schließlich zerstört. Auch fallen die Tiere über einander her und benagen eifrig die Ge-häuse, ganz gleich ob diejenigen fremder Arten oder von Artgenossen, um so ihren Kalkhunger zu stillen, wie man es besonders in Aquarien beobachten kann.

Die scheinbar in die Augen springende Logik die-ser Theorie (denn es ist nur eine Theorie, bisher noch

* Berlin N 20, Osloer Straße 99.

durch kein Experiment bewiesen) war so zwingend, daß noch keine gegenteilige Ansicht durchgedrungen ist. Gelegentliche Hinweise darauf, daß gerade in den kalkarmen Urgesteinsbächen die dickschaligsten Mu-scheln gefunden werden, daß auch in kalkarmen Moorgewässern durchaus normal gebildete Mol-luskengehäuse vorkommen können und daß kor-rodierte Gehäuse auch in kalkreichem Wasser zu finden sind, wurden entweder ignoriert oder als Zu-fälligkeiten abgetan.

Neuerdings hat nun H u b e n d i c k zu diesen Fragen Stellung genommen 1 und kam zu dem Schluß, „daß der Kalk der wichtigste Milieufaktor für die limnische Gastro-podenfauna" ist und daß Kalkmangel der wesentlichste begrenzende Faktor für diese Fauna ist". Weiter heißt es dann bei diesem Autor: „Daß die Kalkversorgung wirk-lich ein kritischer Faktor für die limnischen Gastropoden in kalkarmen Gebieten sein kann, habe ich durch Messun-gen der Schalendicke festgestellt." Ihm scheinen jedoch dann selbst Bedenken an der Beweiskraft dieser Me-thode gekommen zu sein, denn am Sdiluß des Absatzes heißt es einschränkend: „Daß die Sdialenbildung in den kalkarmen Gebieten wirklich gehemmt ist, sdieint also festzustehen." In bezug auf die Reaktion des Wassers hat