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Vor 20 Jahren wurde Techno erfunden. Sven Väth ist seit Tag eins dabei. Ein Gespräch mit einem DJ, der die Welt veränderte UND DANN MACHTE ES BUMMM! Väths Welt, wie sie Deutschlands teuers- ter Fotograf sieht. Andreas Gursky: „Cocoon II“, 2008 VON JÖRG ROHLEDER FOTO: ANDREAS GURSKY A ls Ende der 80er in den Clubs in Detroit, Lon- don und Frankfurt zum ersten Mal einige Leu- te zu Elektrobeats tanzten, ahnte niemand, dass dies der Beginn einer Jugendbewegung sein sollte. Techno war geboren. Einer der Taktgeber damals im „Dorian Gray“: der heute 43-jährige DJ Sven Väth. Zum Jubi- läum stellt der Starfotograf Andreas Gursky seine Serie über Väths Club „Cocoon“ vor. COPYRIGHT ANDREAS GURSKY/VG BILD-KUNST, BONN 2008; COURTESY MONIKA SPRÜTH/PHILOMENE MAGERS, KÖLN MÜNCHEN LONDON 84 VANITY FAIR 29 / 08 85 29 / 07 VANITY FAIR KULTUR

KULTUR - derrohleder.de · ter Fotograf sieht. Andreas Gursky: „Cocoon II“, 2008 VON JÖRG ROHLEDER A FOTO: ANDREAS GURSKY ls Ende der 80er in den Clubs in Detroit, Lon-don und

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Page 1: KULTUR - derrohleder.de · ter Fotograf sieht. Andreas Gursky: „Cocoon II“, 2008 VON JÖRG ROHLEDER A FOTO: ANDREAS GURSKY ls Ende der 80er in den Clubs in Detroit, Lon-don und

Vor 20 Jahren wurde Techno erfunden. Sven Väth ist seit Tag eins dabei. Ein Gespräch mit einem DJ, der die Welt veränderte

UND DANN MACHTE ES

BUMMM!Väths Welt, wie sie Deutschlands teuers-ter Fotograf sieht. Andreas Gursky: „Cocoon II“, 2008

V O N J Ö R G R O H L E D E RF O T O : A N D R E A S G U R S K YAls Ende der 80er in den Clubs in Detroit, Lon-

don und Frankfurt zum ersten Mal einige Leu-te zu Elektrobeats tanzten, ahnte niemand, dass dies der Beginn einer Jugendbewegung sein sollte. Techno war geboren. Einer der Taktgeber damals im „Dorian Gray“: der heute 43-jährige DJ Sven Väth. Zum Jubi-läum stellt der Starfotograf Andreas Gursky seine Serie über Väths Club „Cocoon“ vor.C

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XYZDE

V F Was war Ihr schlimmster Absturz?S.V. Da gab es einige. Ich habe wirklich wil- de Partys miterlebt, in Indien, mitten im Dschungel. Ich weiß gar nicht, wie oft ich schon gestorben oder auf LSD hängen ge-blieben bin. Das schlimmste Erlebnis war, als ich einmal meine Mutter angerufen habe und sie nur geheult hat. In Frankfurt ging das Gerücht um, ich sei tot. V F Wie lange wollen Sie ihr all das noch antun? S.V. Wie mein Kollege Westbam einst sagte: „We’ll never stop living this way!“V F Viele Electro-Liebhaber beschwören den er-holsamen Effekt des Abfeierns – die durchtanzte Nacht im Club als Kurzurlaub. S.V. So ist es. Wie soll man nach einer Woche voller Stress und Nerverei sonst runterkom-men? Mit Gartenarbeit?V F Wer an einem Sonntagmorgen um sieben Uhr in einen Club in Berlin geht, trifft dort im-mer mehr Leute an, die 30 Jahre und älter sind. Wie erklären Sie sich das?S.V. Ganz einfach. Die Leute sind in den 90er-Jahren groß geworden und interessieren sich heute noch für elektronische Musik. Die ge-hen nicht mehr jedes Wochenende raven, sondern nur alle zwei Monate – dafür aber bewusster. Warum sollte man als Erwachse-ner nicht feiern?V F Schämen Sie sich manchmal, wenn Sie alte Fotos von sich sehen? Zum Beispiel im Elefan-tenkostüm auf der Loveparade.S.V. Ich lebe immer im Hier und Jetzt. Das Elefantenkostüm hat damals Sinn gemacht. V F Und die grenzwertigen Frisuren? S.V. Ich hatte eigentlich nie wirklich schlim-me Frisuren. Okay, da war die Dauerwelle mit 15. Die war übel.V F Welches war denn das längste Set, das Sie je gespielt haben?S.V. 32 Stunden, auf der Loveparade.V F Und was mussten Sie nehmen, um so lange durchzuhalten?

V F Waren Sie mit Gursky mal raven? S.V. Logisch. Andreas ist ein Marathontänzer. Der Mann hat Kondition. V F Letztendlich wählt er in seinen Bildern oft eine DJ-Perspektive: Es geht immer um die Masse, immer um den ganz großen Ausschnitt.S.V. Stimmt. Das ist eigentlich der Techno-ansatz. Und genau wie ein DJ nimmt er die Zutaten und fertigt daraus seinen eige-nen Mix.V F Wann haben Sie gemerkt, dass ein Rave etwas anderes ist als ein Abend in der Disco? S.V. Das war im Omen. Damals, als wir be-gannen, so richtig konsequent und ohne Rücksicht auf Verluste zu feiern. Plötzlich kamen die Leute nicht mehr, um Hits zu hö-ren. Plötzlich hieß es: „Sven, wir sind dabei. Gib Vollgas. Nimm uns mit auf die Reise!“ Das schlug energetisch total um, der Laden explodierte. Der reinste Exzess.V F Gleichzeitig wurde Techno mit jedem Jahr kommerzieller. S.V. Ich wusste immer, dass der Kern gesund bleibt. Klar kamen Mitte der 90er die Parasi-ten, aber die wurden wieder abgeschüttelt. Trotzdem setzte sich unsere Musik weltweit durch, ohne das Fernsehen, ohne Radio und dieses ganze Promotionzeugs.V F Hat Techno die Gesellschaft verändert?S.V. Auf jeden Fall. Wir haben Menschen aus aller Welt zusammengeführt und ihnen bei-gebracht, toleranter zu denken, über den Tel-lerrand zu schauen. V F Gab es für Sie den Moment, in dem Sie gemerkt haben: Was hier geschieht, das ist rich-tig groß?S.V. Auf der Loveparade, 1992, als eine Mil-lion Menschen tanzte und friedlich feierte – da habe ich verstanden, dass Techno ein glo-bales Ding ist. Und wichtig für Deutschland: Was so eine Imagekampagne gekostet hätte! Dank Techno war das verkrampfte Deutsch-land auf einen Schlag cool.V F Vor Techno war die im Ausland be-kannteste deutsche Jugendbewegung die Hitlerjugend.S.V. Sehen Sie, auch das haben wir Raver geändert. Leider ist unsere Leis-tung nie so richtig anerkannt worden. Dabei zieht das Gütesiegel Made in Germany bei elektronischer Clubkul-tur weltweit. Ein Exportschlager.V F Das sind Sie auch. Der Schriftsteller Rainald Goetz („Rave“) hat geschrieben, Sie stünden mit Feen, Faunen und Teu-feln im Bunde.S.V. Da hat er wohl den Wahnsinn in meinen Augen gesehen.V F Haben Sie auch schon Dämonen getroffen?S.V. Ich habe schon mal über die Mauer geschaut, ja.

S.V. Weiß ich nicht mehr, ist aber auch neben-sächlich. Viel interessanter ist doch die Fra-ge, wie viel die Buben und Mädchen genom-men haben, die 32 Stunden zu meiner Musik getanzt haben. Ohne Pause.V F Bereuen Sie Ihre Drogenerfahrungen? S.V. Nicht alle. Dass ich mit 24 Jahren total zugekokst im Kreißsaal stand, als meine Tochter geboren wurde – das würde ich gern streichen. Andererseits habe ich da erkannt, dass ich diese Teufelsdroge aus meinem Le-ben verbannen muss.V F Hat das geklappt?S.V. Es war ein harter Kampf. Ich musste mein Umfeld ändern und wieder lernen, nüchtern durch die Nacht zu kommen. Aber nach zwei Jahren war der Kampf durchge-standen, und ich bin stolz darauf, dass ich nie wieder eine Linie gezogen habe. V F Gibt es Drogen, die Sie nicht missen wollen?S.V. Ja, Ecstasy. Das war immer positiv. Alles andere hat mich gar nicht interessiert. Mit den Mixturen, die heute so angesagt sind, kenne ich mich zum Glück gar nicht mehr aus. Aber wie soll jemand gut drauf kom-men, der sich schon mit 19 mit Ketamin oder GHB zuballert?V F Einer Ihrer einstigen Weggefährten, der DJ Mark Spoon, bezahlte den Rausch vor zwei Jah-ren mit dem Leben. S.V. Markus war immer auf der Überholspur und hat die Warnsignale nicht gesehen. V F Sie sind jetzt 43 Jahre alt und legen schon seit über 20 Jahren auf. Wie lange halten Sie das noch durch?

„Gude Laune“: Sven Väth am

Arbeitsplatz im Amnesia auf

Ibiza, Juni 2008

S.V. Mick Jagger steht doch auch noch auf der Bühne, und der ist 65. Was der kann, kann ich schon lange.V F Und was sagt Ihre Frau dazu? Sie haben vor wenigen Wochen geheiratet. S.V. Na ja, ich habe Nina beim Feiern auf Ibiza kennengelernt. Sie wusste von Anfang an, was ich für einer bin. Eigentlich wollte ich nie heiraten, aber jetzt bin ich froh, dass ich den Schritt gemacht habe. Man fühlt sich so komplett, so aufgehoben. V F Stimmt es eigentlich, dass Sie sich einmal im Jahr Ihr Blut reinigen lassen?S.V. Nein, nie gemacht.V F Und wie erholen Sie sich denn dann von all Ihren Raves?S.V. In meinem Alter spürt man schon, dass man mehr auf seinen Körper achten muss. Deshalb folge ich einem perfekt ausgeklügel-ten System: Den Januar über nehme ich im-mer eine Auszeit in Asien, ganz ohne Sound. Dann gehe ich dreieinhalb Monate auf Welt-tournee. Im Sommer ist dann wieder Peak-Time auf Ibiza. Und Mitte Oktober ist dann irgendwann auch wieder gut. Danach starte ich meine Zen-Phase: Ich mache für zwei Wochen eine Ayurveda-Kur und verzichte

bis Weihnachten auf Fleisch und Alkohol. Das tut mir gut.V F Wissen Sie eigentlich immer, ob Sie gerade in Schanghai oder Vancouver sind, wenn Sie in einem Hotelzimmer aufwachen? S.V. Glücklicherweise gibt es Telefone. Ich rufe dann einfach bei der Rezeption an und checke, welche Sprache die sprechen. V F Hätten Sie gedacht, dass man mit Auflegen Millionär werden kann?S.V. Niemals. V F Und programmieren Sie immer noch Klingel-töne für die Telekom? S.V. Schon lange nicht mehr.V F Es war sogar schon mal ein Sven-Väth-Com-puterspiel geplant.S.V. Gott sei Dank wurde mir das erspart. Ich musste in den vergangenen Jahren einige absurde Angebote ausschlagen. V F Zum Beispiel?S.V. Socken. Schuhe habe ich ja schon gemacht.

„ICH WEISS NICHT, WIE OFT ICH SCHON

GESTORBEN BIN“

BIOGRAFIE

Sven Väth, 43LEBEN Geboren am 26. Oktober 1964 in Offenbach. Abgebrochene Lehre als Bau-schlosser. Er kann weder Gitarre spielen noch Noten lesen und begann in der Diskothek der Eltern, dem Queens Pub, aufzulegen.

KARRIERE Er war mit 18 DJ im legendären Dorian Gray in Frankfurt. 1986 landete er unter dem Namen OFF den weltweiten Hit „Electrica Salsa“. Väth eröffnete 1988 in Frankfurt das Omen und 2004 das Cocoon. Er reist seit 20 Jahren als DJ nach Ibiza, Ja-pan, Amerika und Australien.

VANITY FAIR Herr Väth, leiden Sie unter einem Tinnitus?SVEN VÄTH Hören Sie mal. Der gehört bei mir zum Beruf. V F Wissen Sie eigentlich, wie oft Sie in den ver-gangenen 20 Jahren aufgelegt haben?S.V. Keine Ahnung.V F Wie oft pro Monat?S.V. Etwa zehnmal.V F Also 2 400-mal in 20 Jahren.S.V. Ich tippe eher auf 4 000.V F Und wie halten Sie das durch? S.V. Ganz einfach. Ich finde es geil, ständig neue Platten zu entdecken und die Leute zum Abfeiern zu bringen. Außerdem ist mein Leben doch toll: Ich komme irgendwo an, werde abgeholt, fahre in ein fantastisches Hotel, gehe schick essen und betrete danach einen vollen Club. Da schreien die Leute. Drehen durch und machen Party. V F Ein ewiger „Summer of Love“?S.V. Ja, der Geist von 1988 weht noch immer. Damals, als alles damit anfing, dass die Eng-länder die Acid-House-Keule auspackten und uns damit erschlugen. Plötzlich trugen wir alle Smiley-T-Shirts, schrien: „Aciiid!“ und sangen die Hymnen mit. Eine Erwe-ckung, die totale Abfahrt. Feiern auf einem ganz anderen Level. Plötzlich gab es Raves, Techno, Ekstase. Wir haben in Frankfurt das Omen aufgemacht, und ab ging’s. Ach, war das schön. V F Und unschuldig?S.V. Absolut. Es war frisch und ansteckend. Ein großer Aufruf zum Durchdrehen, Mitfei-ern, Schreien. Irgendwie waren sich alle auf einmal einig.V F Und selbst der Ostblock machte mit. Laut einer Dokumentation der BBC ließen nicht die Schulden die Sowjetunion zusammenbrechen, sondern die Raver. S.V. Na klar. Techno war der Soundtrack zum Mauerfall.V F Das behaupten auch die Scorpions von ihrem Hit „Wind of Change“?S.V. Quatsch.V F 20 Jahre später ist Techno im Museum ange-kommen. Andreas Gursky, Deutschlands teuers-ter Fotokünstler, hat Ihren Frankfurter Club Cocoon verewigt. S.V. Wir haben uns vor zehn Jahren in Thai-land getroffen. Da wusste ich gar nicht, was Andreas überhaupt macht. Als ich dann vor vier Jahren in Frankfurt das Cocoon eröffne-te, kam auch Andreas. Die Membranwand faszinierte ihn sofort. Später lud ich Andreas dann mal nach Ibiza ein. Die Masse, wie sie dabei war durchzudrehen, das hat ihn total überwältigt. So entstand dann das Bild: die Ibizatänzer vor der Cocoon-Wand. Andreas ist ein genialer Komponist, er macht aus Fak-ten überlebensgroße Fiktionen. FO

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ANDREAS GURSKY: COCOON/FRANKFURT … Museum für Moderne Kunst (MMK), Frankfurt am Main, bis 17. August 2008

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