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Maria Luise EGGER Kultursensible Pflege - ein Leitfaden für den stationären Langzeitbereich Abschlussarbeit Karl-Franzens-Universität Graz Dr. Mag. Margit Schäfer 2013

Kultursensible Pflege - ein Leitfaden für den stationären ... · eingeht und das Thema der kultursensiblen Altenpflege entrollt, möchte sie die wichtigsten Erkenntnisse, welche

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Maria Luise EGGER

Kultursensible Pflege - ein Leitfaden

für den stationären Langzeitbereich

Abschlussarbeit

Karl-Franzens-Universität Graz

Dr. Mag. Margit Schäfer

2013

Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe

verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder

inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher

in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbe-

hörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der

eingereichten elektronischen Version.

26.09.2013 Maria Luise Egger

3

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................ 5

Abkürzungsverzeichnis....................................................................................................... 6

1 Einleitung ...................................................................................................................... 7

1.1 Motivation / Situationsbeschreibung .................................................................... 7

1.2 Zielsetzung............................................................................................................ 8

1.3 Fragestellung......................................................................................................... 8

1.4 Methodik ............................................................................................................... 9

2 Demographische Entwicklung in Vorarlberg............................................................ 9

2.1 Vorarlberg, ein Einwanderungsland?.................................................................... 9

2.2 Aktuelle ausländische Bevölkerungen Vorarlbergs.............................................. 9

2.3 Altersstruktur von Feldkirch ............................................................................... 12

2.4 Demographische Veränderungen im gesamtösterreichischen Gebiet................. 13

3 Begriffserklärungen ................................................................................................... 14

3.1 Migration............................................................................................................. 14

3.2 Kultur .................................................................................................................. 15

3.3 Kultursensibilität................................................................................................. 15

3.4 Islam.................................................................................................................... 16

4 Geschichte der Gastarbeiter...................................................................................... 17

5 Hintergründe .............................................................................................................. 18

5.1 Der Islam............................................................................................................. 18

5.1.1 Die sechs islamischen Glaubensprinzipien ............................................. 18

5.1.2 Die fünf islamischen Grundpflichten („Die fünf Säulen des Islam“) ..... 19

5.1.2.1 Das Glaubensbekenntnis (Schahada)...................................... 19

5.1.2.2 Das Pflichtgebet (Namaz) ....................................................... 19

5.1.2.3 Das Fasten (Oruc) ................................................................... 20

5.1.2.4 Die Armensteuer (Zakat)......................................................... 21

5.1.2.5 Die Wallfahrt nach Mekka (Hadsch) ...................................... 21

4

5.1.3 Feste im Islam ......................................................................................... 21

5.2 Ernährungsgewohnheiten und Speisevorschriften .............................................. 22

5.3 Waschen und Kleiden ......................................................................................... 23

5.4 Kleidungsvorschriften......................................................................................... 24

5.5 Schamgefühl und Intimsphäre ............................................................................ 24

5.6 Berührung ........................................................................................................... 25

6 Gesundheit und Krankheit ........................................................................................ 25

6.1 Wie erleben die türkischen BewohnerInnen den Schmerz?................................ 26

6.2 MigrantenInnen und Demenz ............................................................................. 27

7 Sterben und Tod im Islam ......................................................................................... 28

7.1 Der letzte Besuch ................................................................................................ 29

7.2 Rituale beim Sterbenden ..................................................................................... 29

7.2.1 Rituale bei den Verstorbenen .................................................................. 30

7.2.2 Trauer ...................................................................................................... 31

8 Senioren-Betreuung Feldkirch.................................................................................. 31

8.1 Derzeitige Situation in der Seniorenbetreuung Feldkirch................................... 32

8.2 Notwendige Bausteine in der Seniorenbetreuung Feldkirch .............................. 32

8.2.1 Organisatorische Maßnahmen................................................................. 33

8.3 Ressourcenmanagement...................................................................................... 33

8.4 Information und Kommunikation ....................................................................... 34

8.5 Anforderungen an die Pflege .............................................................................. 35

8.5.1 Aufbau eines Übersetzungsdienstes........................................................ 35

8.5.2 Umgang mit Religion und Glaube .......................................................... 36

9 Aus- und Weiterbildung ............................................................................................ 36

10 Resümee....................................................................................................................... 38

11 Literaturverzeichnis................................................................................................... 40

12 Internetadressen ......................................................................................................... 42

5

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Wohnbevölkerung Vorarlberg....................................................................... 10

Abbildung 2: Einbürgerungen in Vorarlberg....................................................................... 11

Abbildung 3: Tabelle Altersstruktur Feldkirch ................................................................... 12

Abbildung 4: Grafik Altersstruktur Feldkirch..................................................................... 12

Abbildung 5: Bevölkerungspyramide Österreich 2011, 2030 und 2060............................. 13

6

Abkürzungsverzeichnis

vgl. - vergleiche

bzw. – beziehungsweise

usw. – und so weiter

1 Einleitung

7

1 Einleitung

Noch bevor die Autorin dieses Leitfadens auf die Motivation bzw. Situationsbeschreibung

eingeht und das Thema der kultursensiblen Altenpflege entrollt, möchte sie die wichtigsten

Erkenntnisse, welche normalerweise erst im Resümee angeführt werden, bereits in der Ein-

leitung erläutern. Es ist eine Tatsache, dass es für die kultursensible Altenpflege kein „Pa-

tentrezept“ gibt. Die Voraussetzung für eine individuelle biographieorientierte Pflege sind

Hintergrundwissen, Selbstreflexion und Empathie. Ohne diese Bausteine ist der von der

Verfasserin erarbeitete Leitfaden nicht umsetzbar.

1.1 Motivation / Situationsbeschreibung

Ich arbeite als diplomierte Krankenschwester in der Seniorenbetreuung Feldkirch im Haus

Nofels. Immer wieder treffen wir in der Pflege der BewohnerInnen der Pflegeheime auf

Menschen, die einen türkisch muslimischen Hintergrund haben. Da in den kommenden

Jahren der Anteil der pflegebedürftigen Menschen aus anderen Kulturkreisen stark zuneh-

men wird, erscheint es mir sinnvoll, mich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. In mei-

ner langjährigen Tätigkeit als diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester fällt mir

auf, dass kultursensible Altenpflege in unserem Arbeitsalltag ohnehin ein verhältnismäßig

wenig behandeltes Thema ist, obwohl es doch von Tag zu Tag aktueller wird.

Mein Hauptaugenmerk möchte ich dabei auf jene Menschen richten, die zwischen den spä-

ten 1960er und frühen 1970er Jahren als (ursprüngliche) GastarbeiterInnen aus der Türkei

zu uns nach Vorarlberg gekommen sind. Sie kamen als ArbeitsmigrantenInnen, viele da-

von sind heute österreichische StaatsbürgerInnen und bedürfen der Pflege. Wenngleich die

Fürsorge dieser Menschen in vielen Familien traditionsgemäß von den Familienangehöri-

gen übernommen wird, ist dennoch damit zu rechnen, dass der stationäre Pflegebedarf für

SeniorenInnen mit Migrationsvergangenheit in absehbarer Zukunft stark ansteigen wird.

Aufgrund dieser Entwicklung wird auch das Personal in Wohn- und Pflegeheimen vor

neue Herausforderungen gestellt, da gerade die Menschen der ersten Generation aus der

Türkei oft andere Vorstellungen von der Pflege im Alter haben. Außerdem sind die oftmals

nur gering bis gar nicht vorhandenen Deutschkenntnisse dieser Menschen ein nicht zu un-

terschätzendes Problem. Deshalb müssen Wege gefunden werden, um die sprachlich-

kulturellen Barrieren zu SeniorenInnen mit türkischem Hintergrund zu überwinden, damit

eine optimale und vor allem menschenwürdige Pflege gewährleistet werden kann. Es stellt

1 Einleitung

8

sich also folgende grundlegende Frage: „Welche Grundpfeiler der türkischen Kultur und

Religion müssen berücksichtigt werden, damit kultursensible Altenpflege im stationären

Langzeitbereich gewährleistet werden kann?“

Um angemessene Pflege gewährleisten zu können, müssen sich die Leitungs- und Träger-

ebenen der Pflegeheime Basiswissen aneignen und dieses in der Organisation an die Pfle-

gekräfte weitergeben. Jede/r einzelne MitarbeiterIn in der Pflege muss sich in Fort- und

Weiterbildungen um mehr Wissen über die türkische Kultur und Religion bemühen. Die

(Zeit-) Ressourcen müssen von der Leitungsebene und der Trägerschaft gefördert werden.

Vor diesem Hintergrund ist folgendes Zitat aus der Zeitschrift „Die Schwester Der Pfleger“

sehr bezeichnend für meine Arbeit:

„Um individuelle Gewohnheiten berücksichtigen zu können, sollte die gesamte Organisati-

on über ein Grundwissen verfügen. Da viele verschiedene Einstellungen, Ansichten und

Ausprägungen in der Kultur und der Religiosität vertreten sind, ist es schwer ein Patentre-

zept für die Pflege türkischstämmiger Bewohner zu finden. Die sicher auftretenden Unter-

schiede sollten daher individuell behandelt werden.“ (Die Schwester Der Pfleger. 48 Jg.

09/09 S. 851)

1.2 Zielsetzung

Mein Ziel in dieser Arbeit ist es, die wichtigsten Eckpfeiler für die Heime der Senioren-

betreuung Feldkirch zu erarbeiten, die dabei helfen, eine kultursensible Pflege anzubieten.

Wichtig ist es, die oftmals tiefen sprachlich-kulturellen Klüfte zu pflegebedürftigen Senio-

renInnen mit Migrationshintergrund zu überbrücken. Somit soll ein Leitfaden für kultur-

sensible Seniorenbetreuung in Feldkirch entstehen.

1.3 Fragestellung

Welche organisatorischen und pflegerischen Anforderungen muss die Seniorenbetreuung

Feldkirch erfüllen, um sich auf die steigende Anzahl pflegebedürftiger Menschen mit tür-

kischem bzw. muslimischem Migrationshintergrund bestmöglich vorzubereiten?

2 Demographische Entwicklung in Vorarlberg

9

1.4 Methodik

Die methodische Herangehensweise war im Wesentlichen die Literaturrecherche. Zuerst

fand eine allgemeine Recherche zur Thematik (kultursensible Pflege) statt. Nach Eingren-

zung des Themas wurde gezielt Fachliteratur aus der Vorarlberger Landesbibliothek, der

Connexia Fachbibliothek und aus Fachzeitschriften verwendet. Der größte Teil an Fachli-

teratur kam von meiner Betreuerin Dr. Margit Schäfer. Querverweise in Fachzeitschriften

enthielten weitere wertvolle Literaturtipps.

Die Internetrecherche erfolgte mit den Schlagwörtern „kultursensible Pflege“, „transkultu-

relle Pflege“, „Migration“ sowie „Pflegeheime“.

2 Demographische Entwicklung in Vorarlberg

2.1 Vorarlberg, ein Einwanderungsland?

Vorarlberg war immer schon ein Einwanderungsland und „echte“ VorarlbergerInnen, die

schon seit mehreren Generationen hier verwurzelt sind, wird man nur schwer finden. Das

hat damit zu tun, dass durch den Aufschwung der Textil-, Metall- und Bauindustrie in den

1960er Jahren um billige Arbeitskräfte aus der Türkei und aus Ex-Jugoslawien geworben

wurde. Viele dieser ArbeitsmigrantenInnen sind wieder in ihre Heimat zurückgekehrt, an-

dere dagegen sind hier alt geworden und viele davon auch pflegebedürftig. Der Wunsch

nach Pflege und Betreuung durch die Kinder ist auch bei den alten pflegebedürftigen Mig-

rantenInnen Illusion. Die Unkenntnis über Angebote im mobilen und stationären Bereich

verstärkt noch das Gefühl, allein gelassen zu sein, sowohl bei den alten Menschen als auch

bei deren Kindern und Kindeskindern. (vgl. okay. zusammen leben S. 1)

2.2 Aktuelle ausländische Bevölkerungen Vorarlbergs

„Der AusländerInnenanteil in Vorarlberg war Ende 2011 mit 13,5 % ähnlich hoch wie in

den Jahren zuvor. Vorarlberg hat damit nach Wien (21,5 %) weiterhin den zweithöchsten

AusländerInnenanteil und liegt über dem österreichischen Durchschnitt (11,0 %). Die

Stagnation bzw. der leichte Anstieg der letzten Jahre ist nicht auf den negativen Wande-

rungssaldo, sondern vor allem auf die hohen Einbürgerungszahlen bei den türkischen

2 Demographische Entwicklung in Vorarlberg

10

StaatsbürgerInnen und den BürgerInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien zurückzuführen.

Die größte Gruppe stellen nach wie vor die türkischen StaatsbürgerInnen dar, gefolgt von

den deutschen StaatsbürgerInnen.

Die größte Gruppe ausländischer EinwohnerInnen bildet mit 13.703 EinwohnerInnen die

türkischen StaatsbürgerInnen. Hier ist zu berücksichtigen, dass speziell in den letzten 15

Jahren viele türkischstämmige EinwohnerInnen eingebürgert wurden. Alleine 2010 war

dies bei 187 ehemaligen türkischen StaatsbürgerInnen der Fall, sodass dieser Rückgang

nicht auf einen negativen Wanderungssaldo, sondern auf die große Zahl an Einbürgerun-

gen zurückzuführen ist.“ (okay. zusammen. leben S. 1f.)

Abbildung 1: Wohnbevölkerung Vorarlberg Quelle: URL: http://www.okay-line.at/deutsch/wissen/aktuelle-beschreibung-vorarlbergs-als-gesellschaft-

mit-zuwanderu/,Stand:[ 2013-09-01] 20:42 Uhr

2 Demographische Entwicklung in Vorarlberg

11

Abbildung 2: Einbürgerungen in Vorarlberg

Quelle: URL:http://www.okay-line.at/deutsch/wissen/aktuelle-beschreibung-vorarlbergs-als-gesellschaft-mit-zuwanderu/einbrgerungen.html,Stand:[ 2013-09-01] 20:43 Uhr

„Vorarlberg verfügte bis Ende der 80er Jahre im österreichischen Vergleich über eine

niedrige Einbürgerungsrate. Speziell die beiden größten Zuwanderungsgruppen (die Tür-

kenInnen und JugoslawenInnen) waren bei den Einbürgerungen unterrepräsentiert. In den

90er Jahren stiegen aber die Einbürgerungen in beiden Zuwanderungsgruppen stark an.

Seit 2002 haben die Einbürgerungen konstant abgenommen, eine Tendenz, die auch für

Gesamtösterreich und die anderen Bundesländer zu beobachten ist.“ (okay. zusammen.

leben S. 9)

2 Demographische Entwicklung in Vorarlberg

12

2.3 Altersstruktur von Feldkirch

Alter in Jahren 2000

1. HJ 1998 2008

1. HJ 2009 2009 2010 2011 2012 2050

0 bis 9 3218 3.565 3.044 3.239 3.018 2.974 2.913 2.935 3369 10 bis 19 3454 3.403 3.764 3.806 3.743 3.719 3.620 3.617 3680 20 bis 29 4144 4.459 4.647 4.656 4.530 4.587 4.615 4.585 3935 30 bis 39 5691 5.577 5.020 5.040 5.042 5.024 5.010 5.032 4267 40 bis 49 4313 4.030 5.581 5.592 5.554 5.602 5.523 5.459 4443 50 bis 59 3408 3.414 4.072 4.067 4.199 4.329 4.453 4.610 4425 60 bis 69 2644 2.221 3.177 3.131 3.166 3.127 3.207 3.253 4021 70 bis 79 1758 1.745 2.017 1.985 2.156 2.299 2.367 2.402 3612 80 bis 89 853 718 1.148 1.087 1.128 1.112 1.110 1.140 2962 90 bis 94 151 113 143 136 177 232 185 282 597 95 bis 99 22 11 57 47 51 41 35 43 163 100 und > 2 4 3 6 6 4 6

Gesamt 29.256 32.674 32.789 32.770 33.052 33.042 33.364 35.474

Abbildung 3: Altersstruktur Feldkirch

Quelle: Sozialbericht der Stadt Feldkirch (2012) S. 8

Parallel zum Bevölkerungswachstum steigt auch die Anzahl der alten muslimischen Be-

völkerung.

Abbildung 4: Altersstruktur Feldkirch

Quelle: Sozialbericht der Stadt Feldkirch (2012): S. 8

2 Demographische Entwicklung in Vorarlberg

13

2.4 Demographische Veränderungen im gesamtösterreic hischen

Gebiet

Während in den nächsten Jahren die Gesamtbevölkerung zunimmt, verändert sich parallel

dazu auch die Altersstruktur. Die Bevölkerungszahl der Menschen ab 65 wird stark anstei-

gen. Wir sind eine alternde Gesellschaft. Heute sind 18 % der Bevölkerung 65 Jahre oder

älter, im Jahr 2020 werden es 20 % sein und ab 2030 sogar mehr als 25 %.

Das Durchschnittsalter der Gesamtbevölkerung nimmt im Prognosezeitraum um 5,3 Jahre

zu. (vgl. Statistik Austria 2012 Pressemitteilung)

Abbildung 5: Bevölkerungspyramide Österreich 2011, 2030 und 2060

Quelle: URL: http://www.statistik.at/web_de/statistiken/bevoelkerung/bevoelkerungsstruktur/bevoelkerung_ nach_staatsangehoerigkeit_geburtsland/index.html [Stand: 2013-09-24] 15:30 Uhr

Somit bewahrheitet sich die Feststellung von Doris Pfabigan:

„Aufgrund der zu erwartenden Alterstrukturverschiebung in der gesamten europäischen

Gesellschaft muss mit einem gesteigerten Bedarf pflegerischer Maßnahmen gerechnet

3 Begriffserklärungen

14

werden. Die Veränderungen in der Familienstruktur schlagen sich auch bei Migranten

nieder.“ (Pfabigan 2007, Österreichische Pflegezeitschrift Nr. 12, 2007, S. 34) Es ist somit

unumstritten, dass Bund und Land finanziell gefordert sind, obwohl sie schon in einigen

Projekten involviert sind, sowie solche initiiert haben.

„Auch die Finanzstruktur setzt Rahmenbedingungen für professionelles Handeln. Kultur-

sensible Pflege erfordert Investitionskosten und zeitintensives pflegefachliches Handeln,

die durch Pflegeversicherungsleistungen in der Regel nicht hinreichend abgedeckt werden.

Sie können nur dann pflegesatzrelevant verhandelt werden, wenn sie als Pflegebedarfe

erhoben und dokumentiert werden.“ (Arbeitskreis für eine Kultursensible Altenhilfe 2002,

S. 41)

Bei uns im Bundesland Vorarlberg ist das Thema zwar sehr aktuell, aber noch nicht akut.

Dennoch wurde schon einiges zum Thema Migration und Integration getan. Es ist an der

Zeit, dass der Staat Integrationsaufgaben nicht mehr nur an die Länder und Migran-

tenstrukturen delegiert, sondern diese in Form einer ihren Bedürfnissen angepassten Al-

terspolitik selber wahrnimmt. (vgl. Hungerbühler 2007, S. 406)

Dies bedeutet für uns in Feldkirch, Maßnahmen zu ergreifen, um der älteren Migrationsbe-

völkerung gleichberechtigte Zugangschancen zum österreichischen Altersbetreuungssys-

tem und eine bedürfnisgerechte Nutzung desselben zu ermöglichen.

3 Begriffserklärungen

3.1 Migration

„Migration stellt also eine besondere Situation dar, die von Unsicherheiten, Desinformati-

on, Orientierungs- und Hilflosigkeit begleitet sein kann, und die die Individuen ganz unter-

schiedlich bewerten und meistern.“ (Uzarewicz, 2003 S. 35)

„Die Gründe für Migration sind vielfältig. Manche Menschen flüchten vor Gewalt, Folter

oder Krieg, andere locken die möglicherweise besseren Bildungschancen und ein sicherer

Arbeitsplatz und wieder andere folgen einfach Familienmitgliedern nach, die bereits aus-

gewandert sind. Im neuen und fremden Land alt zu werden ist sicher nicht das vorrangige

Ziel der Migration. Sicherheit und Zukunftsvisionen, Träume und geheime Wünsche reisen

3 Begriffserklärungen

15

mit. Angekommen im neuen Land sind diese Menschen mit vielen Problemen konfrontiert.

Ohne die Sprache zu können, gilt es, sich um Wohnraum zu kümmern, Arbeit zu finden und

den Aufenthalt zu sichern.“ (Die Schwester Der Pfleger 48. Jg. 09/09, S. 841)

3.2 Kultur

Jede Begriffsbestimmung wäre an sich schon kulturabhängig. Kultur ist keine menschliche

Eigenschaft, die man mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe erwirbt, auch

wenn dies im Alltagssprachgebrauch so nahe gelegt wird. Kulturen prägen Menschen und

Menschen verändern Kulturen. Es ist daher ebenfalls eine alltagssprachliche Verkürzung,

Kulturen mit nationalen Grenzen und mit ethnischen Gruppen gleichzusetzen. (vgl. Ar-

beitskreis für eine Kultursensible Altenhilfe 2002 S. 18)

3.3 Kultursensibilität

„Das zentrale Ziel kultursensibler Pflege ist, die Menschen mit einem Migrationshin-

tergrund in die Regelversorgung angemessen mit einzubeziehen. Es geht nicht darum, neue

spezialisierte Systeme zu schaffen, sondern der Blickwinkel ist der der Integration.“ (Hax-

Schoppenhorst, Jünger 2010, S. 128)

„Kultursensibilität als Paradigma der Altenpflege beschreibt eine Haltung, die auf Ver-

ständnis anderer Kulturen und Religionen beruht. Die Sensibilität liegt in der Aufmerk-

samkeit für die kulturellen Prägungen und Bedürfnisse pflegebedürftiger Menschen und für

die Folgen des Pflegehandelns. Sie ist in einer besonderen Weise Biographie- und subjekt-

orientiert. Eine kultursensible Altenpflege trägt immer auch der Tatsache Rechnung, dass

Migration ein erheblicher biographischer Einschnitt im Leben von Menschen darstellt.

Somit ist kultursensible Altenpflege auch immer migrationssensibel. Somit ist Wissen über

die psychodynamischen Folgen der Migration unerlässlich“. (Arbeitskreis für eine Kultur-

sensible Altenhilfe 2002, S. 19)

3 Begriffserklärungen

16

3.4 Islam

„Der Islam ist eine der drei großen monotheistischen Offenbarungsreligionen. Sprachlich

lässt sich der Begriff „Islam“ mit „Ergebung in Gottes Willen“ erfassen. Die folgenden

fünf Säulen bilden das Fundament des islamischen Glaubens: Glaubensbekenntnis, fünf

tägliche Pflichtgebete, Fasten im Monat Ramadan, die jährliche Sozialabgabe sowie die

Wallfahrt nach Mekka. Der Koran – das unveränderliche Wort Gottes – sowie die Überlie-

ferungen (hadithe) bilden die Grundlage des ethischen Lebens. Durch die daraus abgelei-

teten Gebote und Vorschriften wird eine Vielzahl von Abläufen im Alltag strukturiert. So ist

auch der Islam in ausgeprägtem Maß Lebensform und Handlungssystem. Es gibt verschie-

dene Richtungen und Gruppierungen, die Mehrheit lässt sich jedoch dem Sunnismus zu-

ordnen. Einzig im Iran bilden die SchiitInnen die Mehrheit. Der Islam wird in verschiede-

nen regionalen und sozialen Formen gelebt, dies kommt besonders auf der Ebene der

„Volksfrömmigkeit“ zum Ausdruck. Einige Gruppierungen haben stark abweichende Auf-

fassungen und Vorschriften entwickelt. Sie sind umstritten und werden zum Teil als Glau-

bensabtrünnige betrachtet. Im deutschsprachigen Raum sind als zahlenmäßig bedeutende

Gruppe die AlevitInnen aus der Türkei zu nennen. Es gibt religiöse Orden und Gruppen,

die sich mit der islamischen Mystik auseinandersetzen. Der Tod und die Auferstehung sind

häufig wiederkehrende Themen im Koran. Zu den Vorstellungen über das Sterben, das

Jenseits, das Jüngste Gericht, die Paradiesfreuden und die Höllenqualen gibt es zahlreiche

Überlieferungen. In der Hingabe an Gott verliert der Tod seinen Schrecken“. (Baumgart-

ner Bicer 2007, S. 71)

„Mit 1,2 Milliarden BekennerInnen in 172 Ländern der Welt ist der Islam die zahlenmäßig

größte der nicht christlichen Weltreligionen. 65,8 % der Muslime leben in Asien, 28,4 % in

Afrika, die übrigen verteilt auf die anderen Kontinente der Erde; darunter mehr als

500.000 in Österreich“. (Lenthe 2012 S. 60)

4 Geschichte der Gastarbeiter

17

4 Geschichte der Gastarbeiter

Der Start der Gastarbeiterbewegung lässt sich in Österreich ziemlich genau bestimmen. Im

Jänner 1962 wurde eine Höchstzahl von ausländischen Arbeitskräften, die Arbeitsbewilli-

gungen bekamen, festgelegt. Für Österreich galt, dass Aufgrund der wirtschaftlichen Ent-

wicklung Anfang der 60er Jahre Strategien entwickelt worden sind, die dazu führten, dass

für bestimmte Branchen (z.B. Gastgewerbe, Bau und Metall) und vor allem im Niedrig-

lohnbereich (Hilfsarbeiter, ungelernte Kräfte) sogenannte „Gastarbeiter“ ins Land geholt

wurden. (vgl. Genböck et al. 2003, S. 19f) Ein großer Teil der ArbeitsmigrantenInnen der

ersten Generation waren verarmte Bauern, die ihr Heil in der Landflucht suchten. Sie woll-

ten arbeiten, um die Existenz von sich und ihren Familien zu sichern. (vgl. Genböck et al.

2003, S. 11)

Die Migration umfasste das Abschiednehmen in allen Lebensbereichen. Die Trennung von

der Heimat bedeutet ein Stück Persönlichkeit zurücklassen. Das Gerüst an Werten und

Normen beginnt zu wanken, denn im neuen Land sind sie nicht mehr die gleichen wie im

Heimatland. Sehr oft ist man von anderen abhängig. Durch all diese Unsicherheiten entste-

hen Ängste und Hilflosigkeit, was hinderlich ist seine Möglichkeiten in der neuen Heimat

auszuschöpfen. (vgl. Genböck et al. 2003, S. 22)

Die Verfasserin dieser Arbeit nimmt an, dass viele MigrantenInnen in der neuen Heimat

eine ausgeprägte Kultur und Religionsbetonung entwickelten. Migration kann die Bedeu-

tung von Religion verändern, Migration verlangt nach einer neuen Lebensorientierung. So

kann der Integrationsprozess dazu führen, dass ein Mensch, der zu Hause kaum religiös

praktizierend war, sich in der neuen Heimat nun spirituell betätigt. (vgl. Baumgartner Bicer

2007, S. 74f)

Das medizinische Verständnis von alten und kranken MigrantenInnen wird stark von der

jeweils vorherrschenden Bildung beeinflusst. (vgl. von Bose, Terpstra, 2012, S. 98)

Viele ArbeitsmigrantenInnen, die in den 1960er und 1970er Jahren des letzten Jahrhun-

derts als GastarbeiterInnen zu uns nach Vorarlberg kamen, sind hier auch alt geworden.

Pflegebedürftig geworden, ist der Wunsch nachvollziehbar, von den eigenen Kindern ge-

pflegt zu werden. Doch aus verschiedenen Gründen kann dieser Wunsch nicht immer von

den Angehörigen wahrgenommen werden.

5 Hintergründe

18

Die Demographische Veränderung lässt erkennen, dass in naher Zukunft die Zahl der pfle-

gebedürftigen MigrantenInnen stark ansteigen wird. Darum wollte ich mit einem Leitfaden

der Seniorenbetreuung Feldkirch einen Anfang machen.

5 Hintergründe

Dieser Punkt gibt einen Überblick über den Islam und dessen Inhalte. Alle in den folgen-

den Unterkapiteln zitierten Suren bzw. Gebete können jedem Koran entnommen werden.

In Falle dieser Arbeit wurde Ilkilic 2005, S. 10f als Quelle verwendet.

5.1 Der Islam

Der Islam strukturiert und regelt das Alltagsleben eines gläubigen Muslims. Es gibt auch

nicht so starke Trennungslinien zwischen dem Islam als religiöse Lebensgrundlage und

volksislamischen Traditionen, die je nach Herkunftsregion stark variieren können. (vgl.

von Bose, Terpstra 2012, S. 98)

5.1.1 Die sechs islamischen Glaubensprinzipien

• Glaube an Gott „Sprich: Er ist Gott, ein Einziger, Gott, der Souveräne. Er hat nicht

gezeugt, und Er ist nicht gezeugt worden, und niemand ist ihm ebenbürtig“. (Sure

112/1-4)

• Glaube an die Engel, die Vermittler der göttlichen Offenbarung an die Propheten.

Der Schutz und die Bewachung der Menschen, die Unterstützung der Gläubigen

sowie das Abberufen der menschlichen Seele vom Körper beim Sterbeprozess sind

wichtige Aufgaben der Engel.

• Glaube an die heiligen Bücher, der Zabur Davids, die Thora, das Evangelium und

der Koran sind nach islamischem Glauben verschiedene Komponenten einer Tradi-

tion.

• Glaube an die Propheten, „Wir schickten Gesandte als Freudenboten und Warner,

damit die Menschen nach dem Auftreten der Gesandten keinen Beweisgrund gegen

Gott haben“ (Sure4/165)

5 Hintergründe

19

• Glaube an das Jenseits, der Glaube an den jüngsten Tag und ein Leben nach dem

Tod gehört zu den wesentlichen Glaubensartikeln des Islam. „Wenn dann einer

auch nur das Gewicht eines Stäubchens an Gutem getan hat, wird er es zu sehen

bekommen. Und wenn einer auch nur das Gewicht eines Stäubchens an Bösem ge-

tan hat, wird es ebenfalls zu sehen bekommen.“ (Sure 99/7-8)

• Glaube an die Vorherbestimmung (Qadar) – dieser beinhaltet das Wissen Gottes

über alle Ereignisse, alle Existenzen und die Festlegung Gottes ihrer Ursachen und

Bedingungen, ihrer innewohnenden Kräfte und Fähigkeiten und ihres zeitlichen

und lokalen Eintritts in die Welt. (vgl. Ilkilic 2005, S. 10f)

Aus der Literatur ist zu entnehmen, dass der Koran das heilige Buch aller Moslems ist, da

es Gottes Offenbarungen beinhaltet. Das Buch ist in 114 Suren (Abschnitte) unterteilt,

welche wiederum in einzelne Verse gegliedert sind.

5.1.2 Die fünf islamischen Grundpflichten („Die fün f Säulen des Islam“)

„Das Befolgen der islamischen Grundpflichten pflegt und stärkt die innere Beziehung des

Muslims zu seinem Schöpfer und ist für ihn ein konkretes Zeichen seiner Zugehörigkeit

zum Islam und der muslimischen Gemeinschaft.“ (Ilkilic 2005, S. 13f)

5.1.2.1 Das Glaubensbekenntnis (Schahada)

„Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Gott gibt und ich bezeuge, dass Muhammed

sein Knecht und sein Gesandter ist.“ (Aschhadu an la ilahe illallah wa aschhadu anna mu-

hammadan abduhu wa rasuluhu)

Die freiwillige Aussprache dieses Satzes und der Glaube daran bedeutet „Muslimsein“ und

gleichzeitig die Anerkennung der Pflichten, Wertvorstellung und Handlungsnormen des

Korans.

5.1.2.2 Das Pflichtgebet (Namaz)

„Das Gebet ist für die Gläubigen eine für bestimmte Zeiten festgesetzte Vorschrift“ (Sure

4/103)

5 Hintergründe

20

Alle erwachsenen, mündigen Muslime sollten fünfmal am Tag dieses Pflichtgebet verrich-

ten. Vor dem Gebet findet eine rituelle Reinigung statt. Sie umfasst die Hände, den Mund,

die Nasenhöhlen, das Gesicht und die Arme bis zu den Ellenbogen sowie die Streichung

des Kopfes und der Füße. Das Gebet muss auf reinem Boden stattfinden oder einer dem-

entsprechenden Unterlage (z.B. Gebetsteppich). Das Gesicht ist während dem Gebet Rich-

tung Mekka ausgerichtet. Die verschiedenen Körperhaltungen während des Gebets sind

Ausdrucksformen des Glaubens.

Außerdem gibt es noch ein informelles Bittgebet (du’a). Es wird unabhängig von Zeit und

Ort individuell gestaltet. Diese Form von Gebet hat in Notsituationen und im Krankheits-

zustand eine besondere Bedeutung. (vgl. Ilkilic 2005, S. 13f)

5.1.2.3 Das Fasten (Oruc)

Der Fastenmonat Ramadan hat einen sehr hohen Stellenwert unter den Grundpflichten.

„Ihr Gläubigen! Euch ist vorgeschrieben zu fasten, so wie es auch denjenigen, die vor

euch lebten, vorgeschrieben worden ist“ (Sure 2/183)

Das Fasten beinhaltet den Verzicht auf feste und flüssige Nahrung sowie auf Rauchen und

Geschlechtsverkehr zwischen der Morgendämmerung und dem Sonnenuntergang. Ausge-

nommen sind Reisende, Stillende, Menstruierende, Schwangere und nicht zuletzt Kranke.

Das Fasten darf nicht auf den Verzicht von Essen und Trinken reduziert werden, sondern

man sollte auf alle verpönten und abzuratenden Verhaltensweisen verzichten. Es gibt eini-

ge pflegerische Tätigkeiten die in der Fastenzeit nicht erlaubt sind:

• Injektionen

• Mundspülungen

• Einläufe

• Lippen- und Nasenpflege

• Magensonden

• Dauerkatheder legen

• Infusionen

Aus deren Verweigerung könnten medizinisch-pflegerische Probleme entstehen. (vgl. Ilki-

lic 2005 S. 13f) Es liegt auch die Vermutung nahe, dass beim Ramadan die aktive Phase

5 Hintergründe

21

des Tages in die Nacht verlegt werden muss. Die Pflege sollte dies für die kurze Zeit res-

pektieren und auch organisatorisch ermöglichen.

5.1.2.4 Die Armensteuer (Zakat)

Nachdem der Muslim nicht der wahre Besitzer seines Eigentums ist, sondern Treuhänder

Gottes, gibt er einen Anteil an seinem Hab und Gut an die Armen zurück. Dann gibt es

noch die freiwilligen Almosen und die im Ramadan für ein sorgloses Fest der Armen be-

stimmten Spenden. (vgl. Ilkilic 2005, S. 13f)

5.1.2.5 Die Wallfahrt nach Mekka (Hadsch)

„Gott hat den Menschen die Pflicht zur Wallfahrt nach dem Haus auferlegt, allen, die dazu

eine Möglichkeit finden.“ (Sure 3/97)

Jeder erwachsene Muslim, der körperlich gesund und finanziell in der Lage ist, sollte ein-

mal im Leben zur heiligen Stätte in Mekka pilgern. (vgl. Ilkilic 2005, S.13f)

5.1.3 Feste im Islam

Das Ramadanfest und das Opferfest sind zwei der wichtigsten Feste der Muslime. Am En-

de des Ramadan findet das dreitägige Ramadanfest statt. An diesem Fest werden die El-

tern, die Verwandten und die Nachbarn besucht. Das Opferfest wird ähnlich gefeiert, es

findet sechsundsechzig Tage nach dem Ramadanfest statt.

Da die Muslime den Mondkalender benutzen, rücken diese beiden Feste jedes Jahr um elf

Tage vor. (vgl. Ilkilic 2002, S. 13f)

Es ist organisatorisch/baulich sicher noch eine Herausforderung einen geeigneten Gebets-

raum zur Verfügung zu stellen.

Der heilige Wochentag der Muslimen ist der Freitag. Praktizierende Muslime gehen an

diesem Tag in die Moschee, um zu beten. (vgl. Baumgartner Bicer 2007, S. 77) Es wäre

von Vorteil, wenn die Pflege einmal die Woche, bevorzugt am Freitag, einen Imam in die

Einrichtung einlädt.

Gerade bei Menschen der ersten Generation spielen diese Faktoren eine große Rolle. Diese

Menschen sind tief mit ihrem Glauben und ihren Wurzeln verbunden.

5 Hintergründe

22

5.2 Ernährungsgewohnheiten und Speisevorschriften

„Verboten hat er euch nur Fleisch von verendeten Tieren, Blut, Schweinefleisch und

Fleisch, worüber (beim Schlachten) ein anderes Wesen als Gott angerufen worden ist.

Aber wenn einer sich in einer Zwangslage befindet, ohne (von sich aus etwas Verbotenes)

zu begehen, trifft ihn keine Schuld. Gott ist barmherzig und bereit zu vergeben“ (Sure

2/173).

Wie aus der oben zitierten Sure ersichtlich ist, können Religionen Ernährungsgewohnhei-

ten beeinflussen. Das geht so weit, dass der Genuss von bestimmten Nahrungsmitteln ver-

boten wird. Im Islam gilt das Blut als unrein, also darf nur ausgeblutetes (geschächtetes)

Fleisch verzehrt werden, Alkohol ist ebenfalls verboten.

Auch bei der Zubereitung von Speisen muss darauf geachtet werden, dass reine Speisen

nicht mit unreinen Speisen in Berührung kommen. Es darf nicht mit Alkohol gekocht wer-

den und bei der Zubereitung von Speisen dürfen keiner tierischen Fette verwendet werden.

Für eine Großküche im Langzeitbereich ist es sicher eine große Herausforderung, türkisch

rein (halal, „erlaubt“) zu kochen. Das heißt, dass in Zukunft bei örtlichen türkischen Ge-

schäften eingekauft werden sollte, da diese Halal- Produkte anbieten. (vgl. Ilkilic 2005, S.

32) Da die Mahlzeiten gerade im Langzeitbereich ein zentrales Thema sind, ist es enorm

wichtig, für die alten muslimischen BewohnerInnen abwechslungsreich und schmackhaft

zu kochen. Wenn die alten muslimischen BewohnerInnen alles ablehnen, ist es nicht ver-

kehrt, die Verwandten das Essen von zu Hause mitbringen zu lassen, um es auf der Stati-

onsbewohnerküche aufzuwärmen. Eine vegetarische Kost wäre auch eine vorübergehende

Lösung. Die Angehörigen könnten auch gemeinsam mit den BewohnerInnen im Heim

kochen.

Es bietet sich auch hier beim Küchenpersonal eine Fort- und Weiterbildung in der traditio-

nellen türkischen Küche an.

Es hat sich gezeigt, dass Spannungsverhältnisse zwischen Pflegepersonen und muslimi-

schen BewohnernInnen vermieden werden können, wenn die Essensfragen gleich beim

Einzug ins Pflegeheim genau abgeklärt werden. Kranke Menschen müssen nicht fasten, sie

können es später nachholen. Das Nationalgetränk in der Türkei ist Tee, zum Essen wird

Wasser getrunken. Türkisch-muslimische BewohnerInnen nehmen in der letzten Lebens-

phase häufig sehr viel Flüssigkeit zu sich, da im Koran steht, der Weg ins Paradies ist lan-

ge und keiner soll durstig sterben. (vgl. Die Schwester Der Pfleger 2009, S. 852 48 Jg.

09/09)

5 Hintergründe

23

Für eine Einrichtung wie die Seniorenbetreuung Feldkirch, die eine Küche betreibt, die

Essen auf Rädern und Kindergärten beliefert sowie einen offenen Mittagstisch anbietet,

erfordert dies eine organisatorische und evtl. bauliche Umstrukturierung. Dies muss wie-

derum vom Träger bewilligt werden.

„Ein anderes von nicht wenigen muslimischen Menschen geachtetes Gebot verlangt den

Verzicht von Arzneien, die als verboten (Haram) gelten. Darunter fallen alkoholhaltige

flüssige Arzneimittel und aus dem Schwein gewonnene Präparate oder Arzneimittelbe-

standteile wie Gelatinekapseln oder Herzklappen.“ (Ilkilic 2005, S. 33)

5.3 Waschen und Kleiden

„Kontakte im Pflegebereich finden außerhalb der familiären Privatsphäre statt und sind

deshalb in besonderem Maße vom Handlungsspielraum betroffen, den religiöse Richtlinien

und gesellschaftliche Normen beschreiben. Insbesondere Berührungen durch das andere

Geschlecht werden oft tabuisiert und nur unter speziellen Bedingungen zugelassen. Es ist

aber nicht zuletzt das Vertrauensverhältnis, welches ausschlaggebend ist, wann eine Be-

rührung als tabubrechend und die Integrität oder Schamgefühl verletzend empfunden wird.

Das Entblößen ist für viele Menschen (ob religiös oder nicht religiös) mit unangenehmen

Gefühlen verbunden. Es ist von Vorteil für alle Beteiligten, wenn in der Pflege dem ge-

schlechtsspezifischen Thema, dem Respekt vor Schamgefühlen und der Wahrung der Pri-

vatsphäre eine zentrale Bedeutung beigemessen wird.“ (Baumgartner Bicer 2007, S. 73)

Daraus lässt sich erahnen, dass für praktizierende Muslime viele Dinge unrein sind. Hier-

bei handelt es sich nicht um Schmutz im üblichen Sinne, sondern um Dinge, die Muslimen

verboten sind zu Essen und um Dinge, die, wenn sie berührt werden, sie daran hindern,

ihre religiösen Pflichten zu erfüllen.

Grundsätzlich sollten muslimische PatientenInnen, welche die Körperpflege nicht selb-

ständig durchführen können, nur von einer gleichgeschlechtlichen Pflegekraft gepflegt

werden.

Die Körperpflege hat für Muslime nicht nur eine hygienische, sondern auch eine rituelle

Bedeutung. Die Pflege sollte dabei die rituelle Ganzwaschung, die rituelle Gebetswa-

schung und die rituelle Benetzung unterscheiden. Die rituelle Ganzwaschung wird nach

jedem Geschlechtsverkehr, nach der Menstruation und an einem verstorbenen Muslim

5 Hintergründe

24

durchgeführt. Die rituelle Benetzung erfolgt mit der nassen Hand bei Verletzungen, Ver-

bänden und Wunden. Muslime waschen sich grundsätzlich unter fließendem Wasser. Ein

Bad in der Badewanne wird als unhygienisch empfunden, ebenso die Verwendung eines

Waschhandschuhs. Sollten medizinische Bäder erforderlich sein, sollte anschließend die

Möglichkeit zum Duschen geboten werden. Bei Bettlägerigen muslimischen Bewohner-

nInnen ist das Problem mit einer Duschliege zu lösen. (vgl. Lenthe 2011, S. 64)

Aus der Literatur ist zu entnehmen, dass zum Waschen und Benetzen des Körpers immer

frisches fließendes Wasser verwendet werden sollte. Es sollte dafür immer ein Krug mit

Wasser bereitgestellt werden, wenn jemand bettlägerig ist und nicht mehr duschen kann.

5.4 Kleidungsvorschriften

Die Kleidungsvorschriften der Muslime der ersten Generation gibt es sowohl für den Mann

als auch für die Frau. Sie dienen dazu, die Würde und Achtung voreinander zu bewahren

und sich vor begierigen Blicken zu schützen. Da die Haare der Frau eine sehr wichtige

Rolle für ihr Aussehen spielen und auch eine gewisse Anziehung ausüben können, gilt für

Frauen, dass sie ein Kopftuch tragen sollen. Das Tragen des Kopftuches ist kein Zeichen

der Unterdrückung sondern ein Ausdruck ihres Glaubens. Deshalb ist der Wunsch, im

Heim das Kopftuch zu tragen, zu respektieren, vor allem da auch männliche Bewohner im

Heim wohnen. (vgl. Lenthe 2011, S. 65)

Es hat sich gezeigt, dass es auch Frauen gibt, die kein Kopftuch tragen, die aber trotzdem

sehr gläubig sind.

5.5 Schamgefühl und Intimsphäre

„Das Schamgefühl ist ein allgemein bei allen Menschen vorzufindendes Gefühl, jedoch von

unterschiedlicher Intensität und Ausprägung. Die besondere Stellung des Körpers im isla-

mischen Glauben zieht spezifische Bekleidungsvorschriften und spezielle Umgangsformen

zwischen nichtverwandten und unverheirateten Gegengeschlechtern nach sich“. (Ilkilic

2005, S. 31)

Muslime der ersten Generation haben gelernt, ihren Körper so wenig wie möglich der Au-

ßenwelt preiszugeben. „Der Außenwelt wird so wenig wie möglich vom eigenen Körper

gezeigt. Sich anderen, Fremden gegenüber nackt zu zeigen, stellt für Muslime eine Demü-

6 Gesundheit und Krankheit

25

tigung dar.“(Paillon 2010, S. 95) Die Literatur lässt erkennen, dass diese Schamauffassung

einen wichtigen Grundsatz enthält, um Bescheidenheit und Respekt zu zeigen, insbesonde-

re gegenüber dem anderen Geschlecht. Die Regel, dass man von einer fremden Person des

anderen Geschlechts nicht nackt gesehen werden darf, besteht bis in den Tod.

5.6 Berührung

Das Händeschütteln zur Begrüßung oder Verabschiedung ist in der muslimischen Kultur

nicht üblich, da generell der Körperkontakt zwischen fremden Männern und Frauen tabu

ist. Bei Untersuchungen oder bei Begrüßungen kann diese Vorschrift der Situation ange-

passt werden. „Angesichts dieser Sachlage ist es empfehlenswert, schon bei der Aufnahme

über die Wertvorstellungen des Bewohners zu sprechen.“ (Ilkilic 2005, S. 32)

Erfahrungen haben gezeigt, dass, wenn ein Moslem bei der Begrüßung die Hand aufs Herz

legt oder die Arme verschränkt, von ihm kein Händedruck erwünscht ist. Die Geste ersetzt

den Händedruck.

6 Gesundheit und Krankheit

Die gläubigen MuslimInnen sind verpflichtet, ihre Gesundheit zu erhalten und dafür auch

präventive Maßnahmen zu ergreifen. Es ist ein göttliches Gebot die Gesundheit zu erhal-

ten. „ Wenn ich krank bin, so heilt er mich“ (Prophet Abraham Sure 26/80)

„Nach muslimischem Weltbild sind Gesundheit und Krankheit natürliche Phänomene, die

sich im menschlichen Leben abwechseln. Sie sind eine Gottesgabe, für die der Muslim ge-

gen über Gott Verantwortung trägt. Der Mensch ist Inhaber und Nutznießer seines Kör-

pers; Gott hingegen ist dessen Eigentümer. Es ist eine islamische Pflicht, die Gesundheit

zu bewahren und gegebenenfalls für deren Wiederherstellung erforderliche Maßnahmen zu

treffen.“ (Ilkilic 2005, S. 17)

Es sollte sich bewusst gemacht werden, dass es große Unterschiede bezüglich des Krank-

heitsverständnisses gibt, je nachdem aus welcher Region die MigrantenInnen stammen.

Das familiäre Umfeld und die Schulbildung spielen in diesem Zusammenhang eine wichti-

ge Rolle.

6 Gesundheit und Krankheit

26

Durch den Kulturwechsel bzw. die Migration selbst entstehen Konflikte, die die Gesund-

heit beeinträchtigen können. Daher wird auf die psychosoziale Situation der MigrantenIn-

nen, auf ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen, sowie auf Sprach- und Kulturbarrieren ein-

gegangen. (vgl. Peltzer et al 1992, S. 138)

Die Literatur beschreibt immer wieder, dass in den islamischen Ländern der erkrankte

Mensch im Mittelpunkt steht. Die vielen BesucherInnen haben eine wichtige Funktion und

übernehmen einen Großteil der psychosozialen Betreuung. Besuche werden als soziale und

religiöse Pflichten angesehen. Es sagte schon der Prophet, dass der, der einen Kranken

besucht, einen Platz im himmlischen Reich erhält. Es ist von Vorteil, dass beim Eintritt in

das Pflegeheim die Besuchszeiten besprochen werden. (vgl. Ilkilic 2005, S. 34). Allerdings

wird das in der Seniorenbetreuung Feldkirch nicht so streng gehandhabt.

Es hat sich gezeigt, dass Krankheit und Leiden von alten und kranken MuslimenInnen als

eine Prüfung Allahs angesehen werden.

PflegerInnen im Pflegeheim verbringen viel Zeit mit den BewohnerInnen. Daher können

sie auch Rückschlüsse auf die familiären, sozialen, kulturellen und auch religiösen Hinter-

gründe ziehen. In diesem Kontext müsste ein Lehren und Lernen in der kultursensiblen

Pflege darauf hinzielen, das Verständnis dahingehend zu fördern, dass Kranksein mehr

bedeutet, als bloße Erkrankung. Daraus sollte ein Verständnis gegenüber den oft unter-

schiedlichen Bewältigungsstrategien kulturfremder BewohnerInnen entstehen und dies

sollte auch akzeptiert werden, solange es den Heilungsprozess fördert. (vgl. Sich 1993, S.

139)

Aus der Literatur ist zu entnehmen, dass, wenn medizinische Maßnahmen wirkungslos

bleiben, traditionelle Heiler (Hoca) hinzugezogen werden. Der Volksglaube führt auch

viele Krankheiten auf den Schadenszauber oder den bösen Blick zurück. Die Pflege sollte

dies akzeptieren und den Wünschen der alten kranken MigrantenInnen entgegenkommen.

(vgl. Ilkilic 2005, S. 35)

6.1 Wie erleben die türkischen BewohnerInnen den Sc hmerz?

Schmerz ist nach Melzack (1973, S. 17) „wesentlich variabler und wandlungsfähiger, als

es die Menschen in der Vergangenheit geglaubt hatten. Schmerz ändert sich von Person zu

Person, von Kultur zu Kultur. Reize, die bei einer Person unerträgliche Schmerz hervorru-

6 Gesundheit und Krankheit

27

fen, werden von einer anderen, ohne mit der Wimper zu zucken ertragen.“(Larbig 1999, S.

44)

Schmerz ist immer ein subjektives Phänomen. Daher ist es schwierig zu definieren, was

der alte kranke Mensch genau beschreibt. Erschwerend kommt die Sprachbarriere dazu.

Die Literatur beschreibt, dass aus der Sicht des Islams jede Krankheit, auch Schmerz und

Tod, ihren Ursprung bei Gott hat. Muslimische PatientenInnen drücken Schmerzen inten-

siver, lauter und deutlicher aus als Menschen aus unserem Kulturkreis, auch was Mimik

und Gestik angeht. Die PatientenInnen versuchen dadurch ihren Schmerz erlebbar und

nachvollziehbar zu machen. Zusätzlich wird der Schmerzausdruck im Krankenhaus ver-

stärkt. (vgl. Becker 2001, S. 49)

„Nicht zuletzt können aber auch Sprachbarrieren die Ursache von heftigen Schmerzäuße-

rungen sein. Menschen, die sich mangels ausreichender Sprachkenntnisse nicht sicher

sind, ob ihre Bedürfnisse auch verstanden werden, neigen meist dazu, ihr Anliegen durch

drastisch überzogene Schilderungen zu verdeutlichen“. (Lenthe 2012, S. 113) Es wird

meistens so erlebt, als ob etwas von außen kommt und den gesamten Körper negativ beein-

flusst. Die Erkrankten wollen Zuwendung, Mitgefühl und Unterhaltung. Verständnis und

gutes Zureden ist der erste Schritt in die richtige Richtung.

Die Verfasserin dieser Arbeit möchte im Rahmen dieser Abschlussarbeit, noch kurz auf die

wohl größte Herausforderung für die Pflege im stationären Langzeitbereich eingehen.

6.2 MigrantenInnen und Demenz

Die Sensibilität zum Thema MigrantInnen und Demenz hat stark zugenommen. Man weiß

noch sehr wenig über deren besondere Situation und deren pflegende Angehörige.

Kultursensible Arbeit mit demenzerkrankten MigrantenInnen wird eine große Herausforde-

rung für die Pflege in den kommenden Jahren. Durch die höhere Lebenserwartung der

MigrantenInnen der ersten Generation steigt auch die Gefahr, an Demenz zu erkranken.

Durch die oftmals schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen haben die altersbedingten

Beschwerden bei den MigrantenInnen mitunter zehn Jahre früher eingesetzt.

Die Diagnose Demenz stellt für die MigrantenInnen wie auch für die Pflege ein großes

Problem dar. Die MigrantenInnen der ersten Generation waren körperlich gesund, sind

aber zum Großteil Analphabeten und haben auch in ihrer Muttersprache keinen großen

7 Sterben und Tod im Islam

28

Wortschatz. Bei fortschreitender Krankheit lassen selbst gute Deutschkenntnisse nach und

eine Verständigung ist nur noch in der Muttersprache möglich. Das wiederum stellt die

Pflege vor ein fast unlösbares Problem. (vgl. Pflegezeitschrift 2011, Jg. 64, Heft 8, Balikci

2011, S. 464)

Für die Verfasserin ist daraus erkennbar, dass es unerlässlich ist, türkisch sprechendes

Fachpersonal einzustellen bzw. auszubilden. Hier ist die gesamte Organisation gefordert,

um adäquate Lösungen zu suchen. Aus der Literatur lässt sich ableiten, dass bei Krisen

immer die Familie der erste Ansprechpartner für die Pflege sein sollte. Im Islam hat die

Familie eine große Bedeutung.

7 Sterben und Tod im Islam

„Und zu den Eltern sollst du gut sein. Wenn einer von Ihnen (Vater oder Mutter) oder bei-

de bei dir im Haus hochbetagt geworden und mit Schwäche des Greisenalters behaftet

sind, dann sag nicht, „Pfui“ zu ihnen und fahre sie nicht an, sondern sprich ehrerbietig zu

ihnen, und senke für sie in Barmherzigkeit den Flügel der (Selbst-) Erniedrigung und sag“

Herr! Erbarme dich ihrer (ebenso mitleidig), wie sie mich aufgezogen haben, als ich klein

(und hilflos) war!“ (Sure 12/23-24)

Grundsätzlich gehen alle Religionen von einem Weiterleben nach dem Tod aus. Der Tod

wird als Übergang verstanden. (vgl. Baumgartner Bicer 2007, S. 82) Im Islam gibt es Ritu-

ale – vor allem im Umgang mit Sterbenden und Toten – die wir im christlichen Glauben

nicht kennen. Muslime glauben daran, dass ihr ganzes Leben und auch ihr Tod vorbe-

stimmt sind. Der Tod eines Menschen bedeutet nicht das Ende seines Lebens, sondern die

Trennung von Körper und Seele, die vor dem jüngsten Gericht wieder zusammengeführt

werden. „Nachdem der Todesengel (Azrail) die Seele des Verstorbenen vom Körper ge-

trennt hat, findet im Grab eine Befragung statt. Danach harrt die Seele des Verstorbenen

bis zum Jüngsten Gericht entweder in gelassener oder angstvoller Erwartung aus“ (Ilkilic

2005, S. 48)

Die Seelsorge übernimmt der religiöse Beauftragte (Imam) und nur auf ausdrücklichen

Wunsch der Familie des zu Pflegenden.

7 Sterben und Tod im Islam

29

Die Auseinandersetzung mit dem Tod ist ein kultursensibles Phänomen. Religionen bieten

Interpretations-, Sinngebungs- und Handlungsansätze. Religiöse Vorschriften sind unbe-

dingt zu respektieren, um die Integrität und Würde der/des Toten zu waren. (vgl. Baum-

gartner Bicer 2007 S. 84) Aus der Literatur ist zu entnehmen, dass in der Sterbestunde

niemand allein gelassen werden soll. Es hilft, über Gutes zu reden und sich an alles Gute

im Leben zu erinnern.

7.1 Der letzte Besuch

Fehler, zwischenmenschliche Rechtsverletzungen und Beleidigungen, die einander zuge-

fügt wurden, sollen beim letzten Besuch unter den Betroffenen geregelt werden. Zur Wie-

dergutmachung ist die persönliche Entschuldigung bei Betroffenen zu empfehlen. Dadurch

gewinnt der letzte Besuch bei einem kurz vor dem Sterben stehenden Muslim sehr an Be-

deutung. Hier geht es um die letzte Chance, begangene Fehler wieder gut zu machen bzw.

zu verzeihen. (vgl. Ilkilic 2005, S. 48) Die Vermutung liegt daher nahe, dass eine hohe

Anzahl von BesuchernInnen zu erwarten ist. Die Koranrezitation am Bett ist sowohl für

den Sterbenden als auch für das Personal eine Ausnahmesituation. Es wäre von Vorteil, im

Vorfeld über diese Situation zu sprechen.

7.2 Rituale beim Sterbenden

Wenn es möglich ist, sollte man immer dafür Sorge tragen, dass BewohnerInnen, die im

Sterben liegen, Einzelzimmer bekommen. Es zeugt von Respekt, wenn man Symbole des

christlichen Glaubens aus dem Zimmer entfernt.

Zur Vorbereitung auf den Tod gehören das Gebet, die Koranrezitation am Sterbebett und

die Artikulation des Glaubenssatzes (Schahada: Aschhadu an la ilahe illallahwa aschhadu

anna muhammadan abduhu wa rasuluhu). Der Koran und der Glaubenssatz kann bei ster-

benden MuslimInnen auch der Imam übernehmen. (vgl. Ilkilic 2005, S. 49) Die Literatur

beschreibt, dass die Sterbenden beim Gebet Rechenschaft über das gelebte Leben ablegen,

um somit im Angesicht des Todes „rein“ zu werden. Ebenso ist das Gebet für die Angehö-

rigen ein wichtiges Mittel das Sterben zu gestalten.

Wenn sterbende Muslime niemanden haben oder die Familie sich überfordert fühlt, kann

ein Imam eingeladen werden, der die Gebete spricht. (vgl. Ilkilic 2005, S. 49)

7 Sterben und Tod im Islam

30

Die Pflege sollte sich im Vorfeld darüber informieren, welcher Kultusgemeinde die/der

jeweilige BewohnerIn angehört und in der Dokumentation den Namen und die Telefon-

nummer festhalten. (z.B. IGMG – Milli Görüs, UIKZ – Union, DIYANET)

Die Sterbenden sollten, wenn möglich, in einem Einzelzimmer untergebracht werden, was

in der Seniorenbetreuung Feldkirch Standard ist. Aus der Literatur ist zu entnehmen, dass

die Sterbenden, wenn möglich, auf die rechte Seite, oder auf den Rücken gelagert werden

sollten. Der Kopf sollte leicht angehoben sein, damit das Gesicht gegen Mekka (liegt im

Südosten) gerichtet werden kann. (vgl. Becker, Wunderer, Schultz-Gambard 2006, S. 94)

7.2.1 Rituale bei den Verstorbenen

Nach dem Sterbeprozess werden der/m BewohnerIn die Hände auf dem Bauch gekreuzt

oder je nach Glaubensrichtung auf die Seite gelegt. Die Augenlider werden geschlossen

und das Kinn mit einem Stück Stoff festgebunden. Dann wird die Kleidung ausgezogen

und der Körper einer rituellen Waschung unterzogen. (vgl. Ilkilic 2005, S. 50f) Die Wa-

schung der Verstorbenen ist eine zentrale Pflicht der Hinterbliebenen. Dafür wird ein

Raum benötigt, der den bestimmten Anforderungen dieses Rituals entsprechend genutzt

werden kann. Es sollte die Möglichkeit bestehen, dass das Wasser, welches für die Wa-

schung benutzt wird, abfließen kann. (vgl. Ilkilic 2005, S. 50 f)

Die oben erwähnten Handlungen dürfen nur von muslimischen Personen vorgenommen

werden. Es ist auch damit zu rechnen, dass viele Verwandte und Freunde zu Besuch kom-

men, um von dem Verstorbenen Abschied zu nehmen. Nach der Waschung werden die

Verstorbenen mit einem weißen Totentuch umhüllt. Danach wird der Verstorbene für den

Transport in einen Sarg gelegt.

Die wichtigste Pflicht der muslimischen Gemeinde ist es, von einem Iman das Totengebet

für die Verstorbenen verrichten zu lassen. Der muslimische Verstorbene wird ohne Sarg,

nur in einem Tuch, auf die rechte Seite gelagert und mit dem Gesicht Richtung Mekka be-

stattet.

Autopsien sind nur erlaubt, wenn eine eindeutige Indikation erstellt wurde.

Die Kremierung wird von den Muslimen kategorisch abgelehnt. (vgl. Ilkilic 2005, S. 50)

8 Senioren-Betreuung Feldkirch

31

7.2.2 Trauer

Jeder Mensch trauert anders. Dies ist abhängig vom Individuum und der jeweiligen Kultur.

Die Trauer mit Schreien und Wehklagen wurde vom Propheten Muhammed untersagt.

Dennoch begegnet man in der Praxis Szenen mit Weinen, Schreien und Wehklagen. (vgl.

Ilkilic 2005 S. 50f)

Es lässt sich unschwer erahnen, dass es für einen effektiven Trauerprozess notwendig ist,

das Klagen zu ermöglichen und die Familien in ihrer Trauer zu unterstützen. Hier sind ne-

ben dem üblichen professionellen Auftreten vor allem Geduld und Akzeptanz gefordert.

Aus der gesichteten Literatur ist zu entnehmen, dass der Leichnam innerhalb der ersten 24

Stunden beigesetzt werden muss.

Am 2. Juni 2012 wurde in Altach (Vorarlberg) der zweite islamische Friedhof eröffnet. Die

Anlage verfügt über 700 Gräber, einen Waschraum für die rituelle Waschung, einen über-

dachten Verabschiedungsraum und einen Gebetsraum. Die Toten werden in Särgen bestat-

tet (Sargpflicht).

Nachdem sich die Verfasserin dieser Arbeit mit der Religion und Kultur der MigrantenIn-

nen auseinandergesetzt hat, möchte sie noch konkrete Aufgaben der Organisation und

Pflege aufzeigen.

8 Senioren-Betreuung Feldkirch

Die Senioren-Betreuung Feldkirch betreibt vier Pflegeheime mit 176 Betten in Feldkirch.

Neben diesen Pflegeheimen gibt es noch zusätzlich einen privaten Betreiber (Antonius-

haus) mit ca. 60 Betten. „Essen auf Rädern“, Betreutes Wohnen und der Servicestelle

„Pflege und Betreuung“ erweitern das Angebot der Senioren-Betreuung im ambulanten

Bereich. Zusätzlich sind in der Senioren-Betreuung unterschiedliche Systempartner behei-

matet – Mobiler Hilfsdienst, Hauskrankenpflege, Tagesbetreuung und Tagespflege, Kin-

derbetreuungseinrichtungen und öffentliche Bibliotheken.

Die meisten Bereiche werden in Zukunft vermehrt mit migrantischen PatientenInnen kon-

frontiert werden.

Grundkenntnisse für die kultursensible Pflege und Betreuung erfordert Interesse, Offenheit

und Geduld für andere Kulturen und Religionen.

8 Senioren-Betreuung Feldkirch

32

8.1 Derzeitige Situation in der Seniorenbetreuung F eldkirch

Momentan hat die gesamte Seniorenbetreuung Feldkirch zwei muslimische Bewohner zur

Betreuung.

Durch die demographischen Veränderungen in den nächsten zwanzig Jahren ist das Migra-

tionsthema in Feldkirch nach wie vor sehr aktuell. Sicher werden sich auch die Familien-

strukturen, Haltungen und Ideologien der Migranten der dritten und vierten Generation

verändern.

8.2 Notwendige Bausteine in der Seniorenbetreuung F eldkirch

Ein spürbarer Wandel in der Institution kann nur dann erfolgreich sein, wenn er seinen

Ausgangspunkt in den Leitungsebenen hat. Erst das komplette „Hinter–dem–Wandel–

stehen“ der Leitungsebene gibt dem Fachpersonal die dafür notwendige Handlungsmacht.

Eine transkulturelle Organisationsentwicklung muss in allen Managementbereichen veran-

kert werden. Die transkulturelle Dimension soll dabei in die bestehenden Modelle integ-

riert werden

Um eine transkulturelle Organisationsentwicklung einzuleiten, braucht es zuerst eine IST–

und eine SOLL Analyse. (vgl. Domenig 2007, S. 354)

Da bei uns in Feldkirch die Situation noch nicht prekär ist, haben wir im Pflegeheim noch

genügend Spielraum, um uns auf die transkulturellen Kontakte gezielt vorzubereiten.

Daher wäre es sicher von Vorteil, in der Organisation eine fachlich kompetente und für das

transkulturelle Thema verantwortliche Person zu integrieren. Diese Fachperson könnte in

alle laufenden Projekte und Prozesse miteinbezogen werden. Die Aufgaben einer migrati-

onsverantwortlichen Person wären sehr vielfältig und setzen ein hohes Wissen und Kennt-

nisse aus dem Migrationsbereich voraus. Da trotz Sensibilisierung und transkultureller

Kompetenz immer wieder Unsicherheiten entstehen, wäre eine Aufgabenhilfe für das Pfle-

geheim sicher eine gute Hilfestellung. (vgl. Domenig 2007, S. 355 ) Dies lässt erkennen,

dass in absehbarer Zeit auch bei der Seniorenbetreuung Feldkirch eine Migrations-

beauftragtenstelle für die Langzeitpflege geschaffen werden muss.

8 Senioren-Betreuung Feldkirch

33

8.2.1 Organisatorische Maßnahmen

Im Konkreten müssen folgende Maßnahmen innerhalb der Organisationsebene in nächster

Zeit umgesetzt werden, um die wachsende Zahl HeimbewohnerInnen mit Migrationshin-

tergrund ihrer Kultur entsprechend pflegen zu können:

• Eine migrationsspezifische Anpassung von Dokumenten, Leitbildern, Richtlinien,

Standards in türkischer Sprache.

• Information der breiten Öffentlichkeit über die transkulturelle Öffnung der Pflege-

heime mit dementsprechenden Veranstaltungen (z.B. Tag der offenen Tür). Außer-

dem kann man Besuche von Migranten in Altenheimen und anderen Einrichtungen

der Altenhilfe organisieren (Mobiler Hilfsdienst, Hauskrankenpflege).

• Türkischsprachige Flyer und Infobroschüren an den Orten verteilen, die häufig von

Migranten frequentiert werden (Arztpraxen, Schulen, Ämter, Krankenhäuser, Am-

bulanzen, Moscheen).

• Aufbau und Kontakt zu anderen Migrantengemeinschaften (Kultusgemeinschaft)

und externen Fachgruppen aufbauen, die sich mit dem Thema Migration befassen

(z. B. Bildungshaus Batschuns).

• Eine Vernetzung mit anderen Gesundheitseinrichtungen wäre ebenfalls von Vorteil,

zum Beispiel mit Kuranstalten, Physiotherapeuten, Arbeiterkammer, Caritas, Femail

(Fraueninformationszenter) usw.

• Information der MigrantenInnen über muttersprachliche Medien wie Zeitung, Fern-

sehen oder Radio.

• Bewusstseinsbildung in der migrantischen Bevölkerung.

• Einstellung vermehrt türkischsprachigen Pflegepersonals.

8.3 Ressourcenmanagement

Ressourcenmanagement betrifft die Erbringung von erforderlichen Mitteln für Mitglieder,

MitarbeiterInnen, Finanz- und Sachmittel vom Träger der Einrichtung. Die finanziellen

und personellen Mittel müssen in das Budget mit eingeplant werden. Migrationsverant-

wortliche sollten genügend Mittel haben, um sich und das Pflegepersonal in Weiterbildun-

gen weiter hinauf den neusten Stand zu bringen. (vgl. Domenig 2007 S. 360)

8 Senioren-Betreuung Feldkirch

34

Da es momentan noch nicht viele MigrantenInnen in den Heimen der Stadt Feldkirch gibt,

hat es in dieser Richtung noch keine gravierenden Veränderungen gegeben.

8.4 Information und Kommunikation

„Alte zugewanderte Menschen nutzen bisher die Institutionen der Altenhilfe kaum. Fehlen-

de Informationen, schlechte Erfahrungen mit Institutionen, geringe Deutschkenntnisse so-

wie auch Angst vor möglichen ausländerrechtlichen Konsequenzen sind oft große Barrie-

ren. Information, Beratung und Gesundheitsaufklärung liegen in Interesse und in der Ver-

antwortung aller Beteiligten: Kommunen, Pflegekassen, Pflegeeinrichtungen, Migrations-

dienste und Migrantenorganisationen. Entsprechende präventive Maßnahmen und Infor-

mationen sind für und mit Migrantinnen und Migranten zu gestalten.“ (Arbeitskreis für

eine Kultursensible Altenhilfe, 2002, S. 11)

Es ist erkennbar, dass auch in anderen Berufsparten eine multikulturelle Öffnung von Vor-

teil wäre. „Mit bestehenden Angeboten in den Migrantengemeinschaften sowie mit so ge-

nannten Schlüsselpersonen sollte vermehrt zusammen gearbeitet werden. Eine Vernetzung

und Zusammenarbeit mit der Migrationsbevölkerung und ihren eigenen Angeboten garan-

tieren, dass Angebote der Regelversorgung bekannt sowie Informationsbotschaften bei der

Migrationsbevölkerung auch angenommen werden. Gemeinsame Tagungen und andere

Aktionen geben der Zusammenarbeit ein für alle sichtbares Gesicht.“ (Domenig, 2007 S.

359)

Aus der persönlichen Erfahrung der Verfasserin, kann berichtet werden, dass im ganzen

Land bereits solche Tagungen und Treffen stattfinden.

Zum Beispiel wurde im Bildungshaus Batschuns ein Pilotprojekt („Hand in Hand altern -

Elele yaslanmak“) mit folgenden Schwerpunkten gestartet:

• Sensibilisierung, Bewusstseinsbildung und Information migrantischer MitbürgerIn-

nen zu den Themen Alter und Migration sowie Betreuung und Pflege.

• Begleitung und Unterstützung von betreuenden und pflegenden Angehörigen.

• Die Stadt Feldkirch gab der FH- Schule in Dornbirn ein Projekt in Arbeit, mit dem

Thema „ Kultursensible Altenarbeit in der Stadt Feldkirch“ Die fachliche Beglei-

tung dieses Projekts hat Hr. Prof. (FH) PD Dr. Frederic Fredersdorf inne, Studien-

8 Senioren-Betreuung Feldkirch

35

richtung Soziale Arbeit, Vertiefungsschwerpunkt „Interkulturelle Soziale Arbeit“,

Dornbirn, 12. Juli 2013.

• Das Land Vorarlberg unterstützt ein Projekt für Zuwanderung und Integration:

„okay zusammen leben“.

• Das Land Vorarlberg hat ein Integrationsleitbild erarbeitet. Quelle: URL:

http://www.vorarlberg.at/pdf/gemeinsamzukunftgest,

8.5 Anforderungen an die Pflege

„Ein sensibles und reflexives Handeln beruht darauf, dass der Mensch als leibhaftiges

Subjekt zum Ausgangspunkt aller Betrachtungen wird.“ (Uzarewicz 2005, S. 11)

8.5.1 Aufbau eines Übersetzungsdienstes

„ Verständigung lässt sich nicht auf Sprache reduzieren. Viele grundlegende Bedürfnisse

und Belange in der Pflege lassen sich auch mit wenigen sprachlichen Mitteln mit Pikto-

grammen und Bildern und mit Hilfe nonverbaler Ausdrucksformen erkunden. Dies setzt die

Bereitschaft von beiden Seiten voraus sich verständlich machen zu wollen und sich um

Verständnis zu bemühen. Die suchende Haltung nach Kontakt und Verständigung garan-

tiert allerdings nicht automatisch ein Verstanden werden und lässt umso mehr Raum für

Phantasie und Missverständnisse.“ (Arbeitskreis für eine Kultursensible Altenhilfe. 2002

S. 35)

In der Praxiserfahrung ist zu beobachten, dass alte muslimische PatientenInnen oftmals mit

dem Kopf nicken, obwohl sie die jeweils angesprochenen Themen und Sachverhalte nicht

verstanden haben. Das heißt laut Baumgartner Bicer, in erster Linie muss das Gespräch

gesucht werden, um Bedürfnisse und Befindlichkeiten zu klären und allfälligen Missver-

ständnissen vorzubeugen. Es empfiehlt sich je nach Situation und Kontext eine Dolmet-

scherIn und Familienangehörige hinzuzuziehen. (vgl. Baumgartner Bicer 2007, S. 84)

Damit eine umfassende transkulturelle Anamnese durchgeführt werden kann, muss ein

professioneller Übersetzungsdienst aufgebaut werden. Geklärt werden muss, wann profes-

sionelle ÜbersetzerInnen beigezogen werden müssen oder mit internen ÜbersetzerInnen

gearbeitet werden darf. Die Finanzierungsfrage sollte im Vorfeld geklärt werden. (vgl.

Domenig 2007, S. 360f)

9 Aus- und Weiterbildung

36

8.5.2 Umgang mit Religion und Glaube

Begegnung und Umgang mit unterschiedlichen Glaubensrichtungen verlangt in erster Linie

Respekt. Es gilt Respekt für Abbildungen, Statuen, religiöse Symbole aufzubringen, eben-

so für religiöse Praktiken, Rituale und Gebete. Der Glaube kann alte und kranke Menschen

spirituell und emotional unterstützen, ihnen Trost und Sicherheit geben. Für gläubige Be-

wohnerInnen ist der Glaube ein Teil der Therapie und sollte deshalb nicht nur geduldet,

sondern in seiner breiten Bedeutung anerkannt werden. (vgl. Baumgartner Bicer 2007, S.

75)

Der Glaube spielt in allen Lebensbereichen eine große Rolle, so prägt er das Gesundheits-

und Krankheitsverständnis, die Essgewohnheiten und Speisevorschriften, das Waschen und

Kleiden sowie den Umgang mit dem Sterben und dem Tod.

Es hat sich gezeigt, dass in der Pflegelandschaft noch sehr viel Unerfahrenheit über die

Religion, Sitten und Gebräuche vorherrschen. Daher wollte die Verfasserin dieses Leitfa-

dens einige der ihr am wichtigsten erscheinenden, religiösen und kulturellen Grundlagen

aufzeigen.

9 Aus- und Weiterbildung

Die kultursensible Pflege muss in erster Linie vom Träger der Institution, der Leitungsebe-

ne sowie den Pflegekräften gefordert und gefördert werden. Es zeigt sich, dass es in dieser

Richtung zu einigen Umwälzungen und Veränderungen kommen wird. Das fängt bei ver-

pflichtenden Fort- und Weiterbildungen im und außer Haus für alle MitarbeiterInnen an.

Die Institutionen der Aus-, Fort- und Weiterbildung sind aufgefordert, das Thema kultur-

sensible Pflege als Querschnittsthema zu verankern. (Baric- Büdel 2005 S. 11) Es reicht

nicht aus, die Themen Integration und Migration in der Schule zu unterrichten. Um kultur-

sensibel zu pflegen, bedarf es von Seiten der Pflegekräfte ein vertieftes Verständnis über

die Lebenswelten von MigrantenInnen. (vgl. Arbeitskreis für eine Kultursensible Altenhil-

fe 2002, S. 13)

So schreibt Domenig „Fachpersonen müssen zuerst lernen, ihre eigene Lebenswelt in ei-

nem selbstreflexiven Prozess wahrzunehmen. Erst dann sind sie fähig, individuelle Le-

9 Aus- und Weiterbildung

37

benswelten von MigrantInnen besser einzuordnen und zu verstehen.“ (Domenig 2007, S.

174f)

Hintergrundwissen, Erfahrung, Selbstreflexion und narrative Empathie unterstützen das

Verstehen von MigrantInnen und ihrer Geschichten. (vgl. Domenig 2007, S. 174) Selbstre-

flexion heißt, die eigene Lebenswelt zu hinterfragen und bewusst zu machen, und auch die

Lebenswelt der MigrantInnen bewusst zu machen und somit deren Perspektiven zu erfas-

sen. So meint Domenig „In der Interaktion zwischen Fachkräften und MigrantenInnen

geht es darum sich die eigene Lebenswelt bewusst zu machen, und im zweiten Schritt die

Lebenswelt der MigrantenInnen wertneutral zu erfassen.“(Domenig 2007, S. 176f)

Für die Verfasserin der Arbeit heißt dass, wenn den Pflegekräften bewusst ist, dass die

eigene Lebenswelt nur eine von vielen ist, kann nachempfunden werden, dass es auch an-

dere Varianten von Lebenswelten gibt.

Hintergrundwissen ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu kultursensiblen Pflege.

Das Wissen wird nicht nur über die kognitive Ebene sondern auch über die Erfahrungsebe-

ne einverleibt. (vgl. Domenig 2007, S. 177) Das heißt für die Verfasserin dieser Arbeit,

dass die Pflegekräfte Beziehungen zu den migrantischen BewohnernInnen aufbauen und

Interesse zeigen am gelebten Leben der BewohnerInnen. Das Aneignen von Hintergrund-

wissen kann in diesem Zusammenhang von Vorteil sein.

Empathie heißt, sich in einen anderen Menschen hineinzuversetzen und sich über sein Ver-

stehen und Handeln klar zu sein. (vgl. Domenig 2007 S. 178)

In der Vermittlung ethnologischer Inhalte besteht die Gefahr, statt den ethnologischen

Blick zu schulen, Stereotypisierungen und der Kulturalisierung Vorschub zu leisten. [Do-

menig 1999, b] (vgl. Domenig 2007 S. 185f)

Wie Fachpersonen darin befähigt werden können, individuelle Migration, spezifische und

soziokulturelle Hintergründe zu entdecken und Handlungen entsprechend anzupassen, ist

eine Frage, nach deren Beantwortung im Kontext zur Pflege gesucht werden muss. (vgl.

Domenig 2007, S. 185) Aus-, Fort- und Weiterbildung, um interkulturelle Kompetenz zu

erwerben, sollte ein fester Bestandteil jeder Einrichtung im stationären Langzeitbereich

werden. Sie müssen in Zukunft zum beruflichen Selbstverständnis von Pflegekräften gehö-

ren. (vgl. Stanjek 2007, S. 325)

10 Resümee

38

10 Resümee

Migration, Integration und kultursensible Pflege sind Begriffe, die momentan in aller

Munde sind. Sie sind bundes- und landesweit sowie in der Stadt Feldkirch ein zentrales

Thema. Darum wollte die Verfasserin ihre Arbeit zu diesem Thema verfassen.

Zu Beginn der Arbeit hat die Verfasserin ihre Beweggründe zu dieser Arbeit erläutert,

dann die demographischen Veränderungen im Bundes-, Landes und Stadtgebiet aufgezeigt.

Weiters hat die Verfasserin versucht, Einstellungen zu Religion, Essen und Trinken, Wa-

schen und Kleiden, Gesundheit und Krankheit, Sterben und Tod von Muslimen der ersten

Generation hinsichtlich deren Pflege aufzuzeigen, um somit das Informationsdefizit der

Organisation und in der Pflege zu beheben, damit eine angemessene Pflege ermöglicht

werden kann.

Bei den Literaturrecherchen für diese Arbeit ist der Verfasserin klar geworden, dass in der

Basis, (Bund, Land, Stadt) schon sehr viel getan wurde, in der Peripherie (Pflegeheime) es

jedoch gewaltigen Handlungsbedarf gibt. Aus der Praxis der Verfasserin ist zu berichten,

dass in allen vier Heimen der Stadt Feldkirch zwei Bewohner mit Migrantenhintergrund

leben. Weil dieses Thema momentan nicht akut ist, wird es auch nicht konkret angegangen.

Die Überraschung wird umso größer sein, wenn die ersten MigrantenInnen im Heim ein-

ziehen und bis dahin keine adäquate Vorbereitung erfolgt ist. Auf dieses Veränderung dann

schnell und akkurat zu reagieren, damit die Pflegeheime dann auch kultursensible Pflege

anbieten können, wird die größte Herausforderung werden.

Die Kranken- und Altenpflegeschulen im Land sind gefordert, das Unterrichtsfach kultur-

sensible Pflege auszudehnen. Von Vorteil wäre, wenn man mehr junge Menschen mit Mig-

rationshintergrund ausbilden würde. Auch in dieser Richtung ist bisher noch nicht wirklich

viel passiert.

In den Pflegeheimen von Feldkirch, wo die Situation noch nicht akut ist, ist jetzt der opti-

male Zeitpunkt das gesamte Personal zu schulen. Das Wissen über Kultur und Religion

muss Grundvoraussetzung sein. Wichtig ist, den Pflegekräften über die Selbstreflexion klar

zu machen, wie sehr wir selber von unserer Kultur geprägt sind, wie selbstverständlich

viele Dinge für uns sind. Oft haben wir keine Vorstellung mehr davon, dass es auch eine

andere Sicht der Dinge gibt. Wir müssen lernen die Dinge aus einer anderen Perspektive zu

sehen und zu akzeptieren dass sie von unserer Lebenswelt abweicht. Die persönlichen Er-

fahrungen und Hintergrundwissen im Umgang mit MigrantenInnen können die Pflegekräf-

te nur im persönlichen Umgang mit dem zu Pflegenden lernen. Der ganze Lernprozess ist

10 Resümee

39

sicher nicht von heute auf Morgen umzusetzen, doch jede Veränderung braucht seine Zeit.

Das Interesse, das Bewusst machen, und das Bemühen um diese Veränderungen ist ein

erster Schritt in die richtige Richtung.

11 Literaturverzeichnis

40

11 Literaturverzeichnis

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