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Liebe Freund*innen der Stiftung Gertrud Kurz
Gertrud Kurz ist eine von 52 promi-nenten Frauen, deren Porträts im Rahmen des Projekts «Hommage 2021» in der Berner Altstadt zu sehen sind, weil sie mit ihren Engagements die Gegenwart und die Zukunft gestalte(te)n. Es ist heute selbstver-ständlich, dass Frauen politische Rechte haben. Doch 25 % der Schwei-zer Bevölkerung – nämlich alle, die keinen Schweizer Pass besitzen – dürfen noch immer nicht an politi-schen Prozessen teilhaben. Die Stif-tung Gertrud Kurz unterstützt deshalb besonders gerne Projekte, in denen das Prinzip der Selbstbestimmung gelebt wird.
In dieser Ausgabe der KurzNachrich-ten hoffen wir, einen Impuls zu geben und vermehrt Gesuche von Projekten zu erhalten, die sich mit Selbstbestim-mung befassen und diese in allen Schritten des Projekts umsetzen. Denn oft werden Integrationsprojekte von privilegierten Personen gestaltet, Machtverhältnisse werden reprodu-ziert, Stereotypen und diskriminieren-de Strukturen bleiben unhinterfragt. Im Zentrum steht dann die Optimie-rung der Zielgruppe: Die defizitären (traumatisierten, hilfs bedürftigen, schlecht informierten) Migrant*in-nen werden unterrichtet, informiert, therapiert.
Wir verstehen Selbstbestimmung als Prozess, der die betroffenen Perso-nen – im Falle unserer Projektförde-rung Personen mit Migrationsbezug – als handelnde und entscheidende Subjekte beteiligt, anstatt sie als (pas-sive) Objekte zu sehen. Das heisst, dass Migrant*innen in Projekten nicht nur als Teilnehmende angespro-chen oder als ehrenamtliche Schlüs-selpersonen ins Spiel gebracht wer-den, um Zugang zu bestimmten Per- sonen zu vermitteln, sondern auch als Projektleiter*in-nen und Entschei-dungsträge r*in-nen.
Sêvé Karakus, Stiftungsrätin
kurznachrichtenMitteilungen der Stiftung Gertrud Kurz Juni / 2021
Unterstützte Projekte 2020
Jürg Meyer, 1938–2021
Kurzgedanken von Dr. Phil. Marina Frigerio432kurznachrichten 4
Impressum
Verantwortliche Redaktion: Annina Indermühle, Sêvé Karakus
Lektorat: Sarah Fisch, lesenlassen.ch
Fotos: Marina Frigerio (S. 4), Arulini Murugaverl (S. 1), Lia Terry, (S. 2, 3), zvg (S. 3).
Layout und Druck: Rickli+Wyss AG, Bern
Auflage: 800 Ex.
Stiftung Gertrud KurzPostfach, 3001 Bern, [email protected]
Jedes Jahr unterstützen wir lokal verankerte Projekte, die zur Integration von Zugewanderten in der
Schweiz beitragen. Ohne Ihre Spende kämen diese Projekte nicht zustande. Spendenkonto 30-8732-5
Bestelltalon✁
Die «Kurznachrichten» der Stiftung Gertrud Kurz können gratis bezogen werden bei [email protected] mit dem Vermerk «Bestellung Kurznachrichten» und der Angabe Ihres Namens und Ihrer Adresse oder mit diesem Talon:
Ich bestelle Exemplar/e der «Kurznachrichten» als pdf per E-Mail gedruckt
Name/Vorname
Strasse/Nr.
PLZ/Ort
Tel.
kurzgedankenIch treffe immer wieder gut ausgebildete, intellektuelle Frauen, die ihre Fähigkeiten nicht einsetzen können, weil ihre Diplome und Erfahrungen hier nicht anerkannt werden. Ich spüre dann Traurigkeit und Wut, vor allem wenn der Migrationsdiskurs innerhalb der einheimischen Forschungskreise verharrt und diese Frauen zum Forschungsobjekt werden. Sie, die so gut wüssten, wo der Schuh drückt, und die richtigen Fragen stellen würden! So wird seit Jahrzehnten viel über, aber zu wenig mit Migrantinnen der 1. Generation diskutiert und geforscht. Selbst-ständigkeit ist nicht nur Sache der einzelnen Frauen; es braucht dringend eine feministische Gemeinschaft, welche den einzelnen Zeit für ihre Emanzipation lässt, ihre Kompetenzen anerkennt, fördert und Migrantinnen als Protagonistinnen wahrnimmt.
Dr. Phil. Marina Frigerio, Fachpsychologin FSP für Psychotherapie und Kinder- und Jugendpsychologie, Praxis der Kulturen
Selbstbestimmung in IntegrationsprojektenEin Gespräch mit Nanthini Murugaverl, Schlüsselperson im Netzwerk MiAu-Q in Bern
Sêvé Karakus, Stiftungsrätin (SK): Könntest du bitte erklären, was MiAu-Q ist?Nanthini Murugaverl (NM): MiAu-Q (Mitwirkung von Ausländerinnen und Ausländern in den Quartieren Bümpliz und Bethlehem) ist ein Netzwerk von Personen, die einen privaten oder be-ruflichen Bezug zur Migrationsbevöl-kerung des Stadtteils haben. Das Netz-werk macht sich für mehr Teilhabe der Migrationsbevölkerung in allen gesell-schaftlichen Bereichen stark. Es bietet eine Plattform, wo Migrant*innen ihre Anliegen einbringen können und stösst entsprechende Projekte an. Zudem setzt sich das Netzwerk dafür ein, dass sich Behörden und Institutionen aktiv der Themen der Migrant*innen annehmen und ihre Unterstützungsfunktion wahr-nehmen. So organisiert MiAu-Q z.B. das «Mikrofon Bern-West», um die Mitwir-
kung der Migrationsbevölkerung im Stadtteil zu fördern. Migrant*innen können dort Themen einbringen und diskutieren. Die Ergebnisse übergibt MiAu-Q den zuständigen Stellen der Stadt Bern zur Weiterbearbeitung oder setzt diese selbst in Projekten um. Ein solches Projekt ist «Infotime», wo ich mitarbeite. Es bietet Beratung in der Erstsprache, Übersetzung und Beglei-tung an, z.B. im Kontakt mit Behörden.
SK: Wie sah dein eigener Weg zu MiAu-Q aus?NM: Aufgewachsen bin ich im Norden von Sri Lanka. Ich habe Betriebswirt-schaft studiert und danach an einem Gymnasium unterrichtet. Daneben ar-beitete ich in einem Treuhandbüro. Es herrschte Krieg. Ich fand Fehler in den Buchhaltungen und sagte dies. Darauf-hin hiess es, ich würde mich politisch
kurznachrichten kurznachrichten2 3engagieren. Ich wurde festgenommen und beschloss danach, das Land zu ver-lassen. Im Juni 2000 kam ich in die Schweiz. Ich bildete mich zur interkul-turellen Übersetzerin aus und machte nochmals einen Bachelor in Betriebs-ökonomie. Eines Tages fragte mich die Leiterin des Kirchgemeindehauses, wo meine Tochter einen Malkurs besuchte, ob ich in der Cafeteria mithelfen wollte. Dort hatte ich Kontakt mit vielen Leu-ten. Ich übersetzte, korrigierte Briefe und beteiligte mich als Moderatorin am Projekt Femmes-Tische. So kam ich als Schlüsselperson zu MiAu-Q und betei-ligte mich am Aufbau des Projektes Infotime- Beratung in der Erstsprache, wo ich seit 2018 als Beraterin für die ta-milische Quartierbevölkerung arbeite.
SK: Woran fehlt es bei Projekten, welche die Teilhabe, Integration und Partizipation der migrantischen Be-völkerung fördern?NM: Viele Projekte basieren auf Frei-willigenarbeit. Das ist ein Privileg, das viele Migrant*innen sich nicht leisten können. Gerade in Bern-West sind viele Migrant*innen wenig privilegiert. Sie müssen die Sprache erlernen, eine Ar-beitsstelle finden, ihre Kinder begleiten und gleichzeitig ihre Familien im Hei-matland unterstützen. Da ist es oft nicht möglich, sich noch freiwillig fürs Ge-meinwohl einzusetzen. Doch die Mitar-beit von uns Migrant*innen im Aufbau von Projekten ist wichtig. Deshalb ver-suchen wir bei MiAu-Q bei der Lancie-rung von Projekten immer, einen Teil der Arbeit der Schlüsselpersonen zu entlöhnen.
SK: Wie äussern sich Selbstbestim-mung und Empowerment der Migrant- *innen in eurer Projektgestaltung?NM: Migrant*innen sind seit der Lan-cierung von MiAu-Q auf allen Ebenen beteiligt: in der Themenfindung und –bearbeitung, in der Ausgestaltung und der Durchführung von Projekten. Wir sind fünf Schlüsselpersonen in der Koordinationsgruppe. Alle sind im Stadtteil verankert und haben dort eine Sensorfunktion. Die Auswahl der The-men, die MiAu-Q aufgreift, erfolgt bot-tom-up, und die Ergebnisse werden an
die Teilnehmenden zurückgetragen. Jede*r kann Anliegen einbringen und mit machen, unsere Koordinations- und Projektgruppentreffen sind offen. Wenn wir öffentliche Veranstaltungen ma-chen, werden diese mehrsprachig ge-führt, und die Kinder werden betreut. So können auch Personen teilnehmen, die Betreuungspflichten haben oder sich nicht auf Deutsch beteiligen können.
SK: Könntest du dies am Beispiel eines MiAu-Q-Projekts konkretisieren?NM: «Infotime» ist ein Beratungspro-jekt, das von Migrant*innen initiiert und massgeblich mitaufgebaut wurde. Mit «Infotime» ermöglichen wir unse-ren Landsleuten einen raschen Zugang zu Informationen, mit denen sie ihren Alltag besser meistern können. Bei «Infotime» geht es aber auch um die Honorierung der unzähligen Freiwilli-genstunden, die wir Migrant*innen für unsere Communities leisten, wenn wir unsere Landsleute beraten, für sie über-setzen und sie zu Behörden begleiten. Fünf Berater*innen mit Migrationshin-tergrund sind nun für den Stadtteil an-gestellt, und ab 2022 wird das Projekt ein festes Angebot, das von der Stadt mitgetragen wird.
SK: Die MiAuQ-Koordinationsgruppe besteht grösstenteils aus Schweizer-*innen. Gibt es diesbezüglich Debat-ten?NM: Aktuell sind fünf Schlüsselperso-nen und sieben Vertreter*innen (z.T auch mit Migrationshintergrund) von Organisationen aus Bern-West im Netz-werk MiAu-Q vertreten. In den Pro- jektgruppen engagieren sich viele Mi-grant*innen, dort sind die Aufgaben themenzentriert und näher an den Be-dürfnissen der Quartierbevölkerung. Die Koordinationsaufgaben scheinen weniger attraktiv zu sein für Mi-grant*innen. Wir würden uns über zusätzliche Mitstreiter*innen mit Mi-grationshintergrund in der Koordina-tionsgruppe freuen.
SK: Was denkst du, wo sollte ein Pers-pektivenwechsel in Bezug auf zivil-gesellschaftliches Engagement statt-finden?
Jürg Meyer mit Stiftungsrät*innen, Januar 2020
Projektträgerschaft Projekt
Betrag (CHF)
INES, Postmigrantisches Schulprojekt
1000
AsyLex, Financial Inclusion von geflüchteten Menschen
1000
Effe, Männer-Tische
1000
infoklick.ch (allrights.org), radio2action
500
Solidaritätsnetz Bern, Expansion der Anlaufstelle vom Solidaritätsnetz Bern
1560.60
Organisationskomitee Velotour d’Horizon, Etappe Basel
500
IG offenes Davos, Café International
1500
Verein Offener Hörsaal, Offener Hörsaal Basel
1000
Verein Sprachmobil, Sprachmobil
500
Verein Medina 2000
Verein Hommage 2021, 50 Jahre Frauenstimm- und Wahlrecht
2000
Total 12 560.60
Unterstützte Projekte 2020
www.gertrudkurz.ch/projektförderung/ förderbereiche
Jürg Meyer, 1938–2021
Infos und Tipps für Antragsteller*innen
Bis vor kurzem hat Jürg mit grösster Ver-lässlichkeit vor jeder Stiftungsratssit-zung eine Übersicht der eingegangenen Gesuche erstellt und an allen Sitzungen teilgenommen. 35 Jahre lang gehörte er unserem Stiftungsrat an. Das ist länger, als einige von uns Stiftungsrät*innen auf der Welt sind. Ob er schon immer aufmerksam zugehört hat, wenn Projekt-gesuche diskutiert wurden, ohne sich zu Wort zu melden, um dann am Schluss ein engagiertes, überzeugendes Votum dazu abzugeben, weshalb das fragliche Ge-such unterstützenswert sei? Genauso durften wir ihn in den letzten Jahren er-leben. Ganz speziell lagen ihm Projekte am Herzen, die besonders vulnerable Migrant*innen und Personen ohne Zu-gang zu öffentlichen Gütern unterstütz-ten.
Jürg war auf sehr selbstverständliche Art ein Teil unseres Gremiums. Er be-gegnete allen stets auf Augenhöhe, auch wenn jemand neu oder zwei Genera-tionen jünger war als er. So fühlten wir uns ihm verbunden. Ende April ist Jürg in Basel gestorben. Wir werden seine zurückhaltende, immer wertschätzende Art und sein konsequentes Engagement für die Schwächsten in Erinnerung be-halten.
Die Stiftung Gertrud Kurz erhält jährlich 60 bis 70 Projektanträge. Die Mitglieder des Stiftungsrats arbeiten ehrenamtlich und die Stiftung verfügt über vergleichs-weise wenige Mittel, um Projekte zu un-terstützen. Wir bemühen uns deshalb, unseren Entscheidungsprozess mög-lichst einfach und transparent zu gestal-ten. Dazu haben wir Ausschlusskriterien definiert, die auf unserer Website zu fin-den sind. Zudem ist die Höhe unserer Beiträge auf max. 2000 CHF beschränkt. Sie als Antragsteller*innen erleichtern
uns die Arbeit, wenn Sie dies berück-sichtigen.
Zweimal pro Jahr prüfen wir alle voll-ständigen Gesuche, die keines der Aus-schlusskriterien erfüllen. Wir priorisie-ren Projekte, welche kaum Zugang zu Geldern der öffentlichen Hand oder zu Beiträgen von grossen Stiftungen haben. Ausserdem unterstützen wir besonders gerne Projekte, die selbstbestimmt von migrantischen Gruppen initiiert und umgesetzt werden.
Kennen Sie Gertrud Kurz?
Heute wie gestern braucht die Schweiz Menschen, die sich beharrlich für das Los von Flüchtlingen einsetzen. Wie damals Gertrud Kurz. Und heute die Stiftung, die ihren Namen trägt.
Ruth Dreifuss, Alt-Bundesrätin
NM: Es wäre schön, wenn freiwilliges Engagement in unserer Gesellschaft einen höheren Stellenwert hätte. Viele Migrant*innen würden sich gerne mehr einbringen, haben aber die zeit-lichen Ressourcen nicht oder treffen in Vereinen, Elternräten etc. auf sprach-liche oder kulturelle Hürden. Bei MiAu-Q arbeiten wir daran, nieder-schwellige Mitwirkungsmöglichkeiten zu schaffen und Zugangshürden abzu-bauen, so dass alle, die sich im Quartier engagieren möchten, dies auch tun kön-nen.
Mehr Infos zu MiAu-Q unter:www.miau-q.ch