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Algebraische Topologie III – (Ko)Homologie: Dualit¨ at und Produkte im SS 2014 – Kurzskript Prof. Dr. C. L¨ oh Sommersemester 2013/14 Inhaltsverzeichnis -1. Literaturhinweise 1 0. Einf¨ uhrung 3 1. Kohomologie 4 1.1. Axiomatische Kohomologie ......................... 4 1.2. Singul¨ are Kohomologie ............................ 8 1.3. Zellul¨ are Kohomologie ............................ 12 1.4. Klassifikation von Kohomologietheorien .................. 16 2. Produkte auf (Ko)Homologie 29 2.1. Multiplikative Strukturen auf Kohomologie ................ 29 2.2. Externe Produkte auf Kohomologie ..................... 33 2.3. Beispiele f¨ ur Kohomologieringe ....................... 38 2.4. Konstruktion des Cup-Produkts in singul¨ arer Kohomologie ....... 42 2.5. Diagonalapproximationen und der Satz von Eilenberg-Zilber ....... 50 2.6. Externe Produkte auf Homologie ...................... 55 2.7. Das Cap-Produkt zwischen Kohomologie und Homologie ......... 59 2.8. ¨ Ubersicht ¨ uber die Produkte auf singul¨ arer (Ko)Homologie ....... 65 3. Universelle Koeffiziententheoreme 67 3.1. Das universelle Koeffiziententheorem in Homologie ............ 67 3.2. Das universelle Koeffiziententheorem in Kohomologie ........... 70 3.3. Singul¨ are (Ko)Homologie von Produkten – das K¨ unneththeorem .... 73 3.4. Singul¨ are Kohomologie von aufsteigenden Vereinigungen ......... 77 4. (Ko)Homologie von Mannigfaltigkeiten 82 4.1. Topologische Mannigfaltigkeiten ...................... 82 4.2. Orientierbarkeit und Fundamentalklassen ................. 86 4.3. Poincar´ e-Dualit¨ at ............................... 94 4.4. Der Abbildungsgrad f¨ ur Mannigfaltigkeiten ................ 100 4.5. deRham-Kohomologie ............................ 102 A. Grundbegriffe aus der mengentheoretischen Topologie A.1 A.1. Topologische R¨ aume ............................. A.1 A.2. Stetige Abbildungen ............................. A.3 A.3. (Weg-)Zusammenhang ............................ A.4 A.4. Hausdorffr¨ aume ................................ A.5 A.5. Kompaktheit ................................. A.6 B. Homologische Algebra B.1 B.1. Exakte Sequenzen .............................. B.1 B.2. Kettenkomplexe und Homologie ....................... B.5 B.3. Kettenhomotopie ............................... B.9 B.4. Kokettenkomplexe und Kohomologie .................... B.14 B.5. Azyklische Modelle .............................. B.18 B.6. Abgeleitete Funktoren, axiomatisch ..................... B.21 B.7. Der Fundamentalsatz der homologischen Algebra ............. B.24 B.8. Konstruktion abgeleiteter Funktoren .................... B.29 Version vom 18. Januar 2018 [email protected] Fakult¨ at f¨ ur Mathematik, Universit¨ at Regensburg, 93040 Regensburg

Kurzskript zur Algebraischen Topologie III (Ko)Homologie: … · [6]W.S. Massey. A Basic Course in Algebraic Topology, dritte Auflage, Springer, 1997. Hinweis. In diesem Buch wird

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Algebraische Topologie III – (Ko)Homologie:

Dualitat und Produkte

im SS 2014 – Kurzskript

Prof. Dr. C. Loh Sommersemester 2013/14

Inhaltsverzeichnis

-1. Literaturhinweise 1

0. Einfuhrung 3

1. Kohomologie 41.1. Axiomatische Kohomologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.2. Singulare Kohomologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81.3. Zellulare Kohomologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121.4. Klassifikation von Kohomologietheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

2. Produkte auf (Ko)Homologie 292.1. Multiplikative Strukturen auf Kohomologie . . . . . . . . . . . . . . . . 292.2. Externe Produkte auf Kohomologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332.3. Beispiele fur Kohomologieringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382.4. Konstruktion des Cup-Produkts in singularer Kohomologie . . . . . . . 422.5. Diagonalapproximationen und der Satz von Eilenberg-Zilber . . . . . . . 502.6. Externe Produkte auf Homologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552.7. Das Cap-Produkt zwischen Kohomologie und Homologie . . . . . . . . . 592.8. Ubersicht uber die Produkte auf singularer (Ko)Homologie . . . . . . . 65

3. Universelle Koeffiziententheoreme 673.1. Das universelle Koeffiziententheorem in Homologie . . . . . . . . . . . . 673.2. Das universelle Koeffiziententheorem in Kohomologie . . . . . . . . . . . 703.3. Singulare (Ko)Homologie von Produkten – das Kunneththeorem . . . . 733.4. Singulare Kohomologie von aufsteigenden Vereinigungen . . . . . . . . . 77

4. (Ko)Homologie von Mannigfaltigkeiten 824.1. Topologische Mannigfaltigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 824.2. Orientierbarkeit und Fundamentalklassen . . . . . . . . . . . . . . . . . 864.3. Poincare-Dualitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 944.4. Der Abbildungsgrad fur Mannigfaltigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . 1004.5. deRham-Kohomologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

A. Grundbegriffe aus der mengentheoretischen Topologie A.1A.1. Topologische Raume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.1A.2. Stetige Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.3A.3. (Weg-)Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.4A.4. Hausdorffraume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.5A.5. Kompaktheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.6

B. Homologische Algebra B.1B.1. Exakte Sequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B.1B.2. Kettenkomplexe und Homologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B.5B.3. Kettenhomotopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B.9B.4. Kokettenkomplexe und Kohomologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B.14B.5. Azyklische Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B.18B.6. Abgeleitete Funktoren, axiomatisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B.21B.7. Der Fundamentalsatz der homologischen Algebra . . . . . . . . . . . . . B.24B.8. Konstruktion abgeleiteter Funktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B.29

Version vom 18. Januar [email protected] fur Mathematik, Universitat Regensburg, 93040 Regensburg

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-1. Literaturhinweise

Die folgenden Listen enthalten eine kleine Auswahl an Literatur zur algebraischenTopologie und verwandten Gebieten.

Algebraische Topologie ((Ko)Homologie)

[1] W.F. Basener. Topology and Its Applications, Wiley, 2006.

[2] J.F. Davis, P. Kirk. Lecture Notes in Algebraic Topology, AMS, 2001.

[3] A. Dold. Lectures on Algebraic Topology, Springer, 1980.

[4] A. Hatcher. Algebraic Topology, Cambridge University Press, 2002.http://www.math.cornell.edu/∼hatcher/AT/ATpage.html

[5] W. Luck. Algebraische Topologie: Homologie und Mannigfaltigkeiten, Vieweg,2005.

[6] W.S. Massey. A Basic Course in Algebraic Topology, dritte Auflage, Springer,1997.Hinweis. In diesem Buch wird singulare (Ko)Homologie mithilfe von Wurfelnstatt Simplizes definiert.

[7] P. May. A Concise Course in Algebraic Topology, University of Chicago Press,1999.

[8] T. tom Dieck. Algebraic Topology, European Mathematical Society, 2008.

Homologische Algebra und Gruppenkohomologie

[9] K.S. Brown. Cohomology of Groups, Band 87 von Graduate Texts in Mathema-tics, Springer, 1982.

[10] C. Loh. Group Cohomology & Bounded Cohomology, Skript zur Vorlesung Alge-braische Topologie III, Georg-August-Universitat Gottingen, WS 2009/10http://www.mathematik.uni-r.de/loeh/teaching/topologie3 ws0910/prelim.pdf

[11] C. Weibel. An Introduction to Homological Algebra, Cambridge University Press,2008.

Mannigfaltigkeiten

[12] E.A. Abbott. Flatland, A Romance of Many Dimensions, Dover Publications,1992.

[13] T. Brocker, K. Janich. Einfuhrung in die Differentialtopologie, korrigierter Nach-druck, Heidelberger Taschenbucher, Springer, 2013.

[14] M.W. Hirsch. Differential Topology, Band 33 von Graduate Texts in Mathema-tics, Springer, 1976.

[15] J.M. Lee. Introduction to Smooth Manifolds, Band 218 von Graduate Texts inMathematics, Springer, 2003.

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Vektorbundel

[16] M. Atiyah. K-Theory, Westview Press, 1994.

[17] J. Milnor, J.D. Stasheff. Characteristic Classes, Band 76 von Annals of Mathe-matics Studies, Princeton University Press, 1974.

Mengentheoretische Topologie

[18] K. Janich. Topologie, achte Auflage, Springer, 2008.

[19] J.L. Kelley. General Topology, Springer, 1975.

[20] A.T. Lundell, S. Weingram. Topology of CW-complexes. Van Nostrand,New York, 1969.

[21] J.R. Munkres. Topology, zweite Auflage, Pearson, 2003.

[22] L.A. Steen. Counterexamples in Topology, Dover, 1995.

Kategorientheorie

[23] H. Herrlich, G.E. Strecker. Category Theory, dritte Auflage, Sigma Series in PureMathematics, Heldermann, 2007.

[24] S. MacLane. Categories for the Working Mathematician, zweite Auflage, Sprin-ger, 1998.

[25] B. Richter. Kategorientheorie mit Anwendungen in Topologie, Vorlesungsskript,WS 2010/11, Universitat Hamburg,http://www.math.uni-hamburg.de/home/richter/cats.pdf

. . . und viele weitere Bucher; je nach eigenen Vorlieben werden Ihnen manche Bucherbesser gefallen als andere.

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0. Einfuhrung

Diese Vorlesung setzt die Einfuhrung in die algebraische Topologie fort.Die Kernidee der algebraischen Topologie ist es, topologische Probleme in algebrai-

sche Probleme zu ubersetzen; dabei werden topologische Raume in algebraische Ob-jekte (z.B. Vektorraume) und stetige Abbildungen in entsprechende Homomorphismen(z.B. lineare Abbildungen) ubersetzt. Die dafur geeignete Abstraktionsebene ist dieSprache der Kategorien und Funktoren.

Die algebraische Topologie beschaftigt sich mit der Klassifikation topologischer Rau-me bzw. stetiger Abbildungen bis auf

”stetige Deformationen,“ sogenannten Homo-

topien. Dazu versucht man, homotopieinvariante Funktoren zu konstruieren und zustudieren. Die Kunst dabei ist, dass solche Funktoren genug interessante Informationuber topologische Raume enthalten sollen, dabei aber trotzdem noch hinreichend gutberechenbar sein sollten.

Ein klassisches Beispiel homotopieinvarianter Funktoren sind (Ko)Homologietheo-rien wie singulare oder zellulare (Ko)Homologie. In der Vorlesung Algebraische Topo-logie II haben wir bereits Homologietheorien kennengelernt. Wir werden nun dual dazuKohomologietheorien und ihre Interaktion mit Homologietheorien betrachten. Insbe-sondere werden wir Produkte in Kohomologie und Dualitatsphanomene studieren unddiese Erkenntnisse auf Mannigfaltigkeiten und Gruppen anwenden.

Weitere Beispiele sind etwa Homotopiegruppen (s. Algebraische Topologie I).Die algebraische Topologie hat eine Vielzahl von Anwendungen, sowohl in der theo-

retischen als auch in der angewandten Mathematik, zum Beispiel:– Topologie

– Fixpunktsatze– (Nicht)Einbettbarkeitsresultate– Studium von Geometrie und Topologie von Mannigfaltigkeiten– . . .

– Andere Gebiete der theoretischen Mathematik– Fundamentalsatz der Algebra– (Nicht)Existenz gewisser Divisionsalgebren– Freiheits- und Endlichkeitsaussagen in der Gruppentheorie– Vorbildfunktion fur Teile der algebraischen Geometrie– . . .

– Angewandte Mathematik– Existenz von Nash-Gleichgewichten in der Spieltheorie– Konfigurationsprobleme in der Robotik– Untere Komplexitatsschranken fur verteilte Algorithmen– Hohere Statistik– Knotentheorie– . . .

Verweise der Form”Definition II.2.1“ verweisen auf

”Definition 2.1“ im Skript zur

Vorlesung Algebraische Topologie II:http://www.mathematik.uni-r.de/loeh/teaching/topologie2 ws1314/lecture notes.pdf

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1. Kohomologie

Wir werden im folgenden die Begriffe und Konstruktionen von axiomatischer, sin-gularer und zellularer Homologie dualisieren. Dies fuhrt zum Begriff der Kohomologie-theorie und insbesondere zu singularer und zellularer Kohomologie. In Abschnitt 1.4geben wir einen kurzen Uberblick uber die Klassifikation von Kohomologietheorien.

1.1. Axiomatische Kohomologie

Die Axiome fur Kohomologietheorien1 erhalten wir aus den Eilenberg-Steenrod-Axio-men fur Homologietheorien durch Dualisieren, d.h. durch

”Umdrehen der Pfeile“. Ins-

besondere werden dabei kontravariante Funktoren statt kovarianten Funktoren be-trachtet. Der Vollstandigkeit halber wiederholen wir kurz den Begriff des kontravari-anten Funktors:

Definition 1.1 (kontravarianter Funktor). Seien C und D Kategorien. Ein kontrava-rianter Funktor F : C −→ D besteht aus folgenden Komponenten:

– Einer Abbildung F : Ob(C) −→ Ob(D).– Zu je zwei Objekten X,Y ∈ Ob(C) einer Abbildung

F : MorC(X,Y ) −→ MorC(F (Y ), F (X)

).

Dabei mussen folgende Bedingungen erfullt sein:– Fur alle X ∈ Ob(C) ist F (idX) = idF (X).– Fur alle X,Y,X ∈ Ob(C) und alle f ∈ MorC(X,Y ) und alle g ∈ MorC(Y,Z) gilt

F (g f) = F (f) F (g).

Bemerkung 1.2 (kontravariante Funktoren). Seien C, D Kategorien. KontravarianteFunktoren C −→ D sind nicht anderes als kovariante Funktoren Cop −→ D bzw.C −→ Dop, wobei ·op jeweils die entsprechende duale Kategorie bezeichnet (die mandurch

”Umdrehen“ der Morphismen erhalt). Auf diese Weise ubertragen sich viele

Sachverhalte von kovarianten Funktoren direkt auf kontravariante Funktoren. ZumBeispiel folgt so, dass kontravariante Funktoren Isomorphismen auf Isomorphismenabbilden.

Beispiel 1.3 (Hom-Funktoren/Dualisieren). Sei R ein Ring und sei A ∈ ObR(RMod).Dann ist

HomRMod( · , A) : RMod −→ Ab

ein kontravarianter Funktor. Allgemeiner gilt (analog zu Beispiel II.1.33): Sei C eineKategorie und X ∈ Ob(C). Dann erhalten wir einen Funktor

MorC( · , X) : C −→ Set,

den von X dargestellten kontravarianten Funktor. Dieser kontravariante Funktor istwie folgt definiert:

1Das Prafix”Ko“ deutet immer auf ein

”Umdrehen der Pfeile“ hin – außer im Begriff

”kovariant“

. . .

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– Auf Objekten: Sei

MorC( · , X) : Ob(C) −→ Ob(Set)

Y 7−→ MorC(Y,X).

– Auf Morphismen: Sind Y,Z ∈ Ob(C), so definieren wir

MorC( · , X) : MorC(Y,Z) −→ MorSet

(MorC(Z,X),MorC(Y,X)

)f 7−→ (g 7→ g f).

Beispiel 1.4 (simpliziale Mengen). Sei ∆ die Simplexkategorie. Kontravariante Funk-toren ∆ −→ Set heißen simpliziale Mengen. Diese liefern wichtige Beispiele bei derKonstruktion von (Ko)Kettenkomplexen.

Wir ubertragen nun die Eilenberg-Steenrod-Axiome fur Homologie in diesen kontra-varianten Kontext:

Definition 1.5 (Eilenberg-Steenrod-Axiome fur Kohomologie). Sei R ein Ring mitEins. Eine Kohomologietheorie auf Top2 mit Werten in RMod ist ein Paar(

(hk)k∈Z, (δk)k∈Z

),

wobei– (hk)k∈Z eine Folge von kontravarianten Funktoren Top2 −→ RMod– und (δk)k∈Z eine Folge naturlicher Transformationen δk : hk U =⇒ hk+1, ge-

nannt Verbindungshomomorphismen, wobei U : Top2 −→ Top2 der Funktor ist,der Objekte (X,A) auf (A, ∅) und stetige Abbildungen von Paaren auf die ent-sprechende Einschrankungen abbildet,

mit folgenden Eigenschaften ist:– Homotopieinvarianz. Fur alle k ∈ Z ist hk : Top2 −→ RMod ein kontravarianter

homotopieinvarianter Funktor (analog zu Definition II.1.53).– lange exakte Paarsequenz. Fur alle Raumpaare (X,A) ist die Sequenz

. . .δk−1

// hk(X,A)hk(j)

// hk(X, ∅)hk(i)

// hk(A, ∅) δk // hk+1(X,A)hk+1(i)

// . . .

exakt (Definition B.2), wobei i : (A, ∅) −→ (X, ∅) und j : (X, ∅) −→ (X,A) dieInklusionen sind.

– Ausschneidung. Fur alle Raumpaare (X,A) und alle B ⊂ A mit B ⊂ A ist dievon der Inklusion (X \B,A \B) −→ (X,A) induzierte Abbildung

hk(X,A) −→ hk(X \B,A \B)

fur alle k ∈ Z ein Isomorphismus (Abbildung (1.6)).Man nennt

(hk(•, ∅)

)k∈Z die Koeffizienten der Theorie, wobei • := ∅ der Ein-

punktraum ist.Eine solche Kohomologietheorie

((hk)k∈Z, (δ

k)k∈Z)

heißt gewohnlich, wenn das Di-mensionsaxiom erfullt ist:

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X1

A \B

X \B

hk(X \B,A \B)

A

B

X

hk(X,A)

Abbildung (1.6): Ausschneidung, schematisch

– Dimensionsaxiom. Fur alle k ∈ Z \ 0 gilt

hk(•, ∅) ∼= 0.

Eine Kohomologietheorie((hk)k∈Z, (δ

k)k∈Z)

heißt additiv, wenn das Additivitatsaxiomerfullt ist:

– Additivitat. Fur alle Mengen I und alle Familien (Xi)i∈I topologischer Raumeinduzieren die kanonischen Inklusionen (Xi −→

⊔j∈I Xj)i∈I fur alle k ∈ Z einen

Isomorphismus

hk(⊔i∈I

Xi, ∅)−→

∏i∈I

hk(Xi, ∅).

Ist X ein topologischer Raum und k ∈ Z, so verwenden wir wie im Fall von Homologiedie Abkurzung hk(X) := hk(X, ∅).

Analog zu den Folgerungen aus den Eilenberg-Steenrod-Axiomen fur Homologie er-halten wir durch

”Umdrehen der Pfeile“ aus den Eilenberg-Steenrod-Axiomen fur Ko-

homologie:– mehr zu Homotopieinvarianz von Kohomologietheorien (Proposition II.2.5)– Abspalten der Kohomologie des Punktes (Proposition II.2.6)– reduzierte Kohomologie (Bemerkung II.2.7): SeiR ein Ring, sei

((hk)k∈Z, (δ

k)k∈Z)

eine Kohomologietheorie auf Top2 mit Werten in RMod und sei k ∈ Z. Dann istdie zugehorige k-te reduzierte Kohomologie hk : Top −→ RMod der wie folgtdefinierte Funktor:

– auf Objekten: Fur alle topologischen Raume X sei

hk(X) := coker(hk(cX) : hk(•)→ hk(X)

)= hk(X)

/imhk(cX),

wobei cX : X −→ • die konstante Abbildung bezeichnet. Man beachte, dassder Kokern das duale Gegenstuck des Kerns ist.

– auf Morphismen: Ist f : X −→ Y stetig, so ist hk(f) : hk(Y ) −→ hk(X) die(wohldefinierte!) von hk(f) induzierte Abbildung.

Wie im Fall von Homologie ist hk : Top −→ RMod ein homotopieinvarianterFunktor und fur alle topologischen Raume X und alle x0 ∈ X ist die von der In-klusion (X, ∅) → (X, x0) bzw. von der Projektion hk(X) −→ hk(X) induzierteKomposition

hk(X, x0

)−→ hk(X) −→ hk(X)

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ein Isomorphismus.– lange exakte Tripelsequenz fur Kohomologie (Proposition II.2.8)– Einhangungsisomorphismus fur Kohomologie (Satz II.2.14)– Kohomologie von Spharen (Korollar II.2.18)– Kohomologie von

”Addition“ von Abbildungen auf Spharen (Lemma II.2.21)

– Mayer-Vietoris-Sequenz fur Kohomologie (Satz II.2.27)– lange exakte Kohomologiesequenz fur Abbildungskegel (Satz II.2.33)– Kohomologieisomorphismen und Abbildungskegel (Korollar zu Satz II.2.33)– relative Kohomologie via Abbildungskegel (Korollar zu Satz II.2.33)

Außerdem gibt es analog zu Homologie die folgenden Existenz- und Eindeutigkeits-resultate:

– Existenz.– gewohnliche Kohomologietheorien:

– singulare Kohomologie auf Top2 (Abschnitt 1.2)– zellulare Kohomologie auf CW2 (Abschnitt 1.3)– deRham-Kohomologie auf glatten Mannigfaltigkeiten (Abschnitt 4.5)– simpliziale Kohomologie auf simplizialen Komplexen bzw. triangulier-

ten topologischen Raumen– stetige Kohomologie auf Top2

– . . .– Kohomologietheorien, die nicht gewohnlich sind:

– K-Theorie– . . .

– Eindeutigkeit. Die Resultate (Eindeutigkeits-/Vergleichssatze, Atiyah-Hirzebruch-Spektralsequenz) sind vollig analog zum Fall von Homologie; wir werden sie inAbschnitt 1.4 genauer auffuhren.

Warum betrachtet man dann uberhaupt Kohomologie?! Dafur gibt es diverse guteGrunde:

– Es gibt Theorien, die in naturlicher Weise in der kontravarianten Form auftreten(z.B. topologische K-Theorie, deRham-Kohomologie, . . . ).

– Kohomologie erlaubt die Definition sogenannter charakteristischer Klassen imKontext klassifizierender Raume: Viele Zusatzstrukturen (z.B. Isomorphieklassenvon C-Vektorbundeln auf CW-Komplexen) auf topologischen Raumen werdendurch einen sogenannten klassifizierenden Raum B bzw. den zugehorigen Funktor

[ · , B] : Toph −→ Set

klassifiziert. Ist nun((hk)k∈Z, (δ

k)k∈Z)

eine Kohomologietheorie auf Top2 undkennt man ausgezeichnete Klassen (cm ∈ hkm(B))m∈N in der Kohomologie von B(z.B. geeignete Erzeuger), so erhalt man fur jede Wahl einer entsprechenden (d.h.durch B klassifizerten) Zusatzstruktur auf X, d.h. fur jede Homotopieklasse [f ] ∈[X,B], zugehorige Kohomologieklassen(

hkm(f)(cm) ∈ hkm(X))m∈N

sogenannte charakteristische Klassen.

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– Haufig sind Kohomologietheorien mit einer Produktstruktur versehen. Diese zu-satzliche Struktur erlaubt es in vielen Fallen, mehr Homotopietypen zu unter-scheiden als die additive Struktur; z.B. zeigt die multiplikative Struktur in sin-gularer Kohomologie, dass der Torus und S1∨S1∨S2 nicht homotopieaquivalentsind, obwohl ihre singulare Homologie isomorph ist.

– (Ko)Homologietheorien treten oft in zueinander passenden Paaren auf und diein beiden Theorien enthaltene Information kann dann kombiniert werden. Diesfuhrt zu Dualitatsphanomenen; diese sind besonders im Kontext von Mannigfal-tigkeiten von zentraler Bedeutung.

1.2. Singulare Kohomologie

Wir dualisieren nun die Konstruktion singularer Homologie (mithilfe der Konzepte ausAbschnitt B.4) und erhalten so singulare Kohomologie. Im Anschluss weisen wir nach,dass es sich dabei um eine gewohnliche additive Kohomologietheorie handelt.

Setup 1.7. Im folgenden sei R ein Ring mit Eins und Z ein Links-R-Modul.

Definition 1.8 (singularer Kokettenkomplex mit konstanten Koeffizienten). Der sin-gulare Kokettenkomplexfunktor mit Koeffizienten in Z ist der kontravariante Funktor

C∗( · , · ;Z) := HomZ( · , Z) C( · , · ;Z) : Top2 −→ RCoCh,

wobei C( · , · ;Z) : Top2 −→ ZCh der singulare Kettenkomplexfunktor ist (Definiti-on II.3.9).

Bemerkung 1.9 (singularer Kokettenkomplex, explizit). Sei Z ∈ Ob(RMod). Ist(X,A) ein Raumpaar und k ∈ N, so ist

Ck(X,A;Z) = HomZ(Ck(X,A;Z), Z

)kanonisch und naturlich isomorph zu

f ∈ HomZ(Ck(X), Z)∣∣ ∀σ∈map(∆k,A) f(σ) = 0

.

Der Korandoperator bzw. die Kokettenabbildung fur eine gegebene stetige Abbildungvon Raumpaaren sind im wesentlichen durch Komposition mit den Inklusionen derSeiten des Standardsimplex bzw. der gegebenen stetigen Abbildung gegeben.

Definition 1.10 (singulare Kohomologie mit konstanten Koeffizienten). Sei Z ∈Ob(RMod). Der singulare Kohomologiefunktor mit Koeffizienten in Z ist der kontra-variante Funktor

H∗( · , · ;Z) := H∗ C∗( · , · ;Z) : Top2 −→ RGrad .

Analog zu singularer Homologie erhalten wir:

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Beispiel 1.11 (singulare Kohomologie des Einpunktraumes). Der singulare Koketten-komplex C∗(•;Z) des Einpunktraumes mit Koeffizienten in Z ist nach Konstruktion(bzw. Beispiel II.3.15 fur Z-Koeffizienten) isomorph zu dem Kokettenkomplex

Grad 2 1 0 −1

. . . ZidZoo Z

0oo ZidZoo Z

0oo 00oo 0

0oo . . .0oo

Also erhalten wir fur alle k ∈ Z, dass

Hk(•;Z) ∼=

Z falls k = 0

0 falls k ∈ Z \ 0.

Proposition 1.12 (starke Additivitat von singularer Kohomologie). Sei X ein to-pologischer Raum und sei (Xi)i∈I die Familie der Wegzusammenhangskomponentenvon X. Dann induzieren die Inklusionen (Xi → X)i∈I fur alle k ∈ Z Isomorphismen

Hk(X;Z) −→∏i∈I

Hk(Xi;Z)

in RMod.

Beweisskizze. Die Inklusionen (Xi → X)i∈I einen Isomorphismus⊕i∈I

C(Xi;Z) −→ C(X;Z)

in RCh (Beweis von Proposition II.3.17); die direkte Summe von Kettenkomplexen istdabei durch die gradweise direkte Summe der Kettenmoduln und der Randoperatorengegeben.

Anwenden von HomZ( · , Z) zeigt, dass die Inklusionen (Xi → X)i∈I einen Isomor-phismus

C∗(X;Z) −→∏i∈I

C∗(Xi;Z)

in RCoCh induzieren; das Produkt von Kokettenkomplexen ist dabei durch das gradwei-se Produkt der Kokettenmoduln und der Korandoperatoren gegeben. Da Kohomologievon Kokettenkomplexen mit Produkten vertraglich ist, folgt die Behauptung.

Satz 1.13 (singulare Kohomologie im Grad 0).1. Ist X ein wegzusammenhangender nicht-leerer topologischer Raum, so induziert

die konstante Abbildung X −→ • einen Isomorphismus

H0(•;Z) −→ H0(X;Z)

in RMod.

9

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2. Also ist H0( · ;Z) : Top −→ RMod naturlich isomorph zu

HomZ( · , Z) F π+0 : Top −→ RMod,

wobei F : Set −→ Ab der freie Erzeugungsfunktor (Beispiel II.1.32) und

π+0 := [•, · ] : Top −→ Set

der Wegzusammenhangskomponentenfunktor ist.

Beweisskizze. Der zweite Teil folgt mithilfe von Proposition 1.12 aus dem ersten Teil.Der erste Teil folgt analog zum Beweis von Satz II.3.18 aus der Definition von singularerKohomologie.

Singulare Ketten und singulare Zyklen lassen sich leicht veranschaulichen; fur sin-gulare Koketten und Kozyklen ist es mit unseren bisherigen Mitteln etwas muhsamer,eine anschauliche Interpretation zu geben. Wir werden spater im Zusammenhang mitdeRham-Kohomologie noch ein besseres Verstandnis dafur erhalten (Abschnitt 4.5).

Beispiel 1.14 (singulare Koketten auf S1).– Die Abbildung

C1(S1;Z) −→ Zmap(∆1, S1) 3 σ 7−→ 1

ist eine Kokette in C1(S1;Z), aber kein Kozykel, denn fur alle σ ∈ map(∆2, S1)gilt

(δ1f)(σ) = (−1)2 · f(∂2σ) = 1− 1 + 1 6= 0.

– Sei C ⊂ C(S;Z) der Unterkomplex, der von den singularen Simplizes erzeugtwird, deren Ecken auf 1 ∈ S1 abgebildet werden. Die Inklusion C → C(S1;Z) isteine Kettenhomotopieaquivalenz (Beweis von Satz II.3.81); sei r : C(S1;Z) −→ Cein Kettenhomotopieinverses. Dann ist die obere horizontale Abbildung in

C1(S1;Z) //

r

Z

C1// π1(S1, 1)

∼=

OO

ein Kozykel. Dabei ist die untere horizontale Abbildung dadurch gegeben, dasssingulare 1-Simplizes mit beiden Ecken in 1, als Schleifen aufgefasst, auf das ent-sprechende Element von π1(S1, 1) abgebildet werden. Die rechte vertikale Abbil-dung ist der Isomorphismus, der [idS1 ]∗ mit 1 ∈ Z identifiziert.Auf glatten Simplizes kann man diese Abbildung zum Beispiel auch als Inte-grationsprozess

”σ 7→ 1/2πi ·

∫σ

1/z dz“ im Sinne der Funktionentheorie verste-hen; die Tatsache, dass es sich um einen Kozykel handelt, folgt dabei aus demCauchyschen Integralsatz. Analog kann man auch viele andere Kozykel bzw.singulare Kohomologieklassen als geeignete Integrationsabbildungen auffassen(Abschnitt 4.5).

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Der folgende Satz zeigt insbesondere, dass gewohnliche Kohomologietheorien mitvorgegebenen Koeffizienten existieren:

Satz 1.15 (singulare Kohomologie als gewohnliche Kohomologietheorie). Sei R einRing mit Eins und sei Z ∈ Ob(RMod). Dann ist(

(Hk( · , · ;Z))k∈Z, (δk)k∈Z

)eine gewohnliche, additive Kohomologietheorie auf Top2 mit Werten in RMod mit Ko-effizienten isomorph zu Z. Die naturlichen Transformationen (δk)k∈Z sind dabei wiefolgt definiert: Ist (X,A) ein Raumpaar und k ∈ N, so ist

δk(X,A) : Hk(A;Z) −→ Hk+1(X,A;Z)

[f ] 7−→[c 7→ (−1)k+1 ·

”f(∂k+1(c))“

],

wobei wir f ∈ Ck(A;Z) auf Ck(X;Z) durch 0 auf σ ∈ map(∆k, X) | σ(∆k) 6⊂ Afortsetzen; ist k ∈ Z<0, so ist δk := 0.

Beweisskizze. Wir beweisen dies aufbauend auf den entsprechenden Argumenten fursingulare Homologie:

– Homotopieinvarianz: Seien f, g : (X,A) −→ (Y,B) mit f 'Top2 g. Dann gilt

C(f ;Z) 'ZCh C(g;Z) : C(X,A;Z) −→ C(Y,B;Z)

(Satz II.3.21). Also ist

C∗(f ;Z) 'RCoCh C

∗(g;Z) : C∗(Y,B;Z) −→ C∗(X,A;Z)

(Proposition B.51), und somit H∗(f ;Z) = H∗(g;Z).– Konstruktion der Verbindungshomomorphismen, Naturlichkeit und lange exakte

Paarsequenz: Sei (X,A) ein Raumpaar und seien i : A −→ X und j : (X, ∅) −→(X,A) die Inklusionen. Die (naturliche) Sequenz

0 // C(A;Z)C(i;Z)

// C(X;Z)C(j;Z)

// C(X,A;Z) // 0

in ZCh ist (gradweise) exakt; dabei besitzt die Inklusion C(i;Z) gradweise einenSpalt (Beweis von Satz II.3.20). Also ist auch die nach Anwenden von HomZ( · , Z)erhaltene Sequenz

0 // C∗(X,A;Z)C∗(j;Z)

// C∗(X;Z)C∗(i;Z)

// C∗(A;Z) // 0

gradweise exakt. Die Behauptung folgt nun aus der algebraischen langen exakten(Ko)Homologiesequenz (Satz B.23 gilt analog auch fur Kokettenkomplexe undKohomologie).

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– Ausschneidung: Sei (X,A) ein Raumpaar und sei B ⊂ X mit B ⊂ A. Seii : (X \B,A \B) −→ (X,A) die Inklusion. Dann ist

Hk(i;Z) : Hk(X \B,A \B;Z) −→ Hk(X,A;Z)

fur alle k ∈ Z ein Isomorphismus (Korollar II.3.40). Man uberlegt sich leicht, dassC(X \B,A\B;Z) und C(X,A;Z) aus freien Z-Moduln besteht und dass die Ket-tenmoduln in negativen Graden trivial sind. Dann folgt mit einem Argument ausder homologischen Algebra, dass C(i;Z) : C(X\B,A\B;Z) −→ C(X,A;Z) nichtnur ein Homologieisomorphismus, sondern sogar eine Kettenhomotopieaquiva-lenz in ZCh ist. Mit Korollar B.52 folgt nun, dass die induzierte AbbildungHk(i;Z) : Hk(X,A;Z) −→ Hk(X \B,A\B;Z) fur alle k ∈ Z ein Isomorphismusist.

– Dimensionsaxiom: Dies ist die Berechnung aus Bespiel 1.11.– Additivitat: Dies folgt aus Proposition 1.12.

Insbesondere besitzt singulare Kohomologie die in Abschnitt 1.1 genannten Eigen-schaften, die aus den Eilenberg-Steenrod-Axiomen folgen.

1.3. Zellulare Kohomologie

Wir konstruieren nun zellulare Kohomologie. Dies geschieht analog zur Konstruktionvon zellularer Homologie. Wir beschranken uns der Einfachheit halber auf den Fallgewohnlicher Kohomologietheorien.

Setup 1.16. Im folgenden sei R ein Ring mit Eins, sei h :=((hk)k∈Z, (δ

k)k∈Z)

einegewohnliche Kohomologietheorie auf Top2 mit Werten in RMod mit Koeffizienten Z :=h0(•).

Definition 1.17 (zellularer Kokettenkomplex). Der zellulare Kokettenkomplex zu hist der wie folgt definierte kontravariante Funktor Ch : CW2 −→ RCoCh:

– Auf Objekten: Sei (X,A) ein relativer CW-Komplex mit relativer CW-Struktur(Xn)n∈N∪−1. Fur alle n ∈ N sei

Cnh (X,A) := hn(Xn, Xn−1)

und fur alle n ∈ Z<0 sei Cnh (X,A) := 0. Fur alle n ∈ N>0 definieren wir δnh,(X,A)

durch:Cnh (X,A)

δnh,(X,A)

hn(Xn, Xn−1)

δn(Xn+1,Xn,Xn−1)

hn(Inklusion)

))

hn(Xn)

δn(Xn+1,Xn)uu

Cn+1h (X,A) hn+1(Xn+1, Xn)

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– Auf Morphismen: Ist f : (X,A) −→ (Y,B) eine zellulare Abbildung zwischenrelativen CW-Komplexen, so definieren wir

Cnh (f) := hn(f |Xn) : Cnh (Y,B) = hn(Yn, Yn−1) −→ hn(Xn, Xn−1) = Cnh (X,A)

fur alle n ∈ N und Cnh (f) := 0 fur alle n ∈ Z<0. Dann ist

Ch(f) :=(Cnh (f)

)n∈Z ∈ Mor

RCoCh

(Ch(Y,B), Ch(X,A)

).

Diese Konstruktion konnen wir auch als eine geeignete Dualisierung des zellularenKettenkomplexes auffassen:

Bemerkung 1.18 (zellularer Kokettenkomplex und Inzidenzzahlen). Analog zum zel-lularen Kettenkomplex einer gewohnlichen Homologietheorie (Proposition II.4.22 undBemerkung II.4.24) konnen wir auch den zellularen Kokettenkomplex einer gewohn-lichen Kohomologietheorie h durch Inzidenzzahlen beschreiben und man erhalt, dassdie kontravarianten Funktoren

Ch : CW2fin −→ RCoCh

undHomZ( · , Z) CH∗( · ;Z) : CW2

fin −→ RCoCh

naturlich isomorph sind. (Ist h additiv, so gilt dies auch auf CW2).

Definition 1.19 (zellulare Kohomologie). Wir definieren zellulare Kohomologie be-zuglich h als den kontravarianten Funktor

H∗h := H∗ Ch : CW2 −→ RGrad .

Beispiel 1.20 (zellulare Kohomologie reell-projektiver Raume). Sei n ∈ N. Auf RPnbetrachten wir die CW-Struktur

∅ ⊂ RP 0 ⊂ RP 1 ⊂ RP 2 ⊂ · · · ⊂ RPn = RPn = · · ·

(Beispiel II.4.26). Dann ist CH∗( · ;Z)(RPn) in ZCh isomorph zu

. . . // 0 // Z1+(−1)n

// Z // . . .0 // Z 2 // Z 0 // Z // 0 // . . .

n n− 1 2 1 0 −1

Mit Bemerkung 1.18 folgt somit, dass Ch(RPn) in RCoCh zu

. . . 0oo Zoo Z1+(−1)noo . . .oo Z

0oo Z2oo Z

0oo 0oo . . .oo

n n− 1 2 1 0 −1

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isomorph ist. Also ist

Hkh(RPn) ∼=

Z falls k = 0

x ∈ Z | 2 · x = 0 falls k ∈ 1, . . . , n− 1 ungerade ist

Z/2 · Z falls k ∈ 2, . . . , n gerade ist

Z falls k = n ungerade ist

0 sonst

fur alle k ∈ Z. Wir erhalten daher zum Beispiel:

Hkh(RPn)

Z = R k ∈ 1, . . . , n− 1 k ∈ 2, . . . , n falls k = nungerade gerade ungerade

Z 0 Z/2 ZZ/2 Z/2 Z/2 Z/2Q 0 0 Q

Beispiel 1.21 (zellulare Kohomologie komplex-projektiver Raume). Ist n ∈ N, sofolgt mit der CW-Struktur

∅ ⊂ CP 0 ⊂ CP 1 ⊂ CP 2 . . .CPn = CPn = . . .

(die in jeder gerade Dimension kleiner gleich 2 ·n genau eine offene Zelle besitzt), dass

Hkh(CPn) ∼=

Z falls k ∈ 0, . . . , 2 · n gerade

0 sonst

fur alle k ∈ Z gilt.

Beispiel 1.22 (zellulare Kohomologie des Torus). Die Standard-CW-Struktur aufdem Torus S1 × S1 (Abbildung II.(4.5)) liefert

Hkh(S1 × S1) ∼=

Z falls k ∈ 0, 2Z ⊕ Z falls k = 1

0 sonst

fur alle k ∈ Z.

Analog zum Fall von zellularer Homologie vergleichen wir nun zellulare Kohomologiemit der zugrundeliegenden gewohnlichen Kohomologietheorie; insbesondere konnen wirgewohnliche Kohomologie auf endlichen CW-Komplexen zellular berechnen:

Satz 1.23 (zellulare Kohomologie einer gewohnlichen Kohomologietheorie). Sei Rein Ring mit Eins, sei h :=

((hk)k∈Z, (δ

k)k∈Z)

eine gewohnliche Kohomologietheorieauf Top2 mit Werten in RMod und sei n ∈ Z. Dann sind die Funktoren

Hnh : CW2

fin −→ RMod,

hn : CW2fin −→ RMod

naturlich isomorph. Genauer gilt:

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1. Ist (X,A) ein endlicher relativer CW-Komplex und n ∈ Z<0, so ist

Hnh (X,A) ∼= 0 ∼= hn(X,A).

2. Ist (X,A) ein endlicher relativer CW-Komplex, so induzieren die von den Inklu-sionen induzierten Abbildungen

Cnh (X,A) = hn(Xn, Xn−1) −→ hn(Xn, A)←− hn(X,A)

einen Isomorphismus Hnh (X,A) ∼= hn(X,A).

Beweisskizze. Man kann den Beweis fur zellulare Homologie (Beweis von Satz II.4.28)in den entsprechenden Beweis fur zellulare Kohomologie ubersetzen.

Als Konsequenz erhalten wir auch die entsprechenden Endlichkeits-/Verschwindungs-und Eindeutigkeitsresultate fur gewohnliche Kohomologie.

Korollar 1.24 (Endlichkeits-/Verschwindungsresultate fur gewohnliche Kohomolo-gie). Sei R ein Ring mit Eins, sei h eine gewohnliche Kohomologietheorie auf Top2

mit Werten in RMod und sei (X,A) ein endlicher relativer CW-Komplex der Dimen-sion N .

1. Dann gilt fur alle k ∈ Z \ 0, . . . , N

hk(X,A) ∼= Hkh(X,A) ∼= 0.

2. Ist R noethersch (z.B. Z oder ein Korper) und ist h0(•) ∼=RMod R, so gilt: Furalle k ∈ 0, . . . , N ist hk(X,A) ∼= Hk

h(X,A) ein endlich erzeugter R-Modul.

Beweisskizze. Dies folgt wie im Fall von zellularer Homologie (Korollar II.4.30) ausSatz 1.23.

Korollar 1.25 (Eindeutigkeit gewohnlicher Kohomologietheorien auf CW2fin). Sei R

ein Ring mit Eins, sei h eine gewohnliche Kohomologietheorie auf Top2 mit Wertenin RMod, und sei Z := h0(•). Sei außerdem n ∈ Z.

1. Ist k eine gewohnliche Kohomologietheorie auf Top2 mit Werten in RMod undist k0(•) ∼= Z, so sind hn und kn als kontravariante Funktoren CW2

fin −→ RModnaturlich isomorph.

2. Insbesondere sind hn und Hn( · ;Z) als kontravariante Funktoren CW2fin −→

RMod naturlich isomorph.

Beweisskizze. Dies folgt wie im Fall von zellularer Homologie aus Satz 1.23 und der Be-schreibung des zellularen Kokettenkomplexes uber Inzidenzzahlen (Bemerkung 1.18).

Außerdem konnen wir die Euler-Charakteristik auch uber (zellulare) Kohomologieberechnen:

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Definition 1.26 (kohomologische Betti-Zahl). Sei X ein endlicher CW-Komplex undsei R ein noetherscher Ring mit Eins, der einen geeigneten Rangbegriff rkR fur endlicherzeugte R-Moduln besitzt.2 Ist n ∈ N, so ist

bn(X;R) := rkRHn(X;R) ∈ N

die n-te kohomologische Betti-Zahl von X.

Satz 1.27 (Euler-Charakteristik uber kohomologische Betti-Zahlen). Sei X ein end-licher CW-Komplex und sei R ein noetherscher Ring mit Eins, der einen geeignetenRangbegriff rkR fur endlich erzeugte R-Moduln besitzt. Dann ist

χ(X) =∑n∈N

(−1)n · bn(X;R).

Beweisskizze. Dies folgt mithilfe der expliziten Beschreibung des zellularen Koketten-komplexes (Bemerkung 1.18) wie im Fall von Homologie (Satz II.4.48).

Den Zusammenhang zwischen homologischen und kohomologischen Betti-Zahlenwerden wir im Zusammenhang mit universellen Koeffiziententheoremen genauer un-tersuchen (Abschnitt 3).

1.4. Klassifikation von Kohomologietheorien

Wir haben bereits gesehen, dass gewohnliche Kohomologietheorien auf (endlichen)CW-Komplexen im wesentlichen durch ihre Koeffizienten eindeutig bestimmt sind. Wirwerden nun einen kurzen Uberblick uber die Klassifikation (der additiven Struktur)verallgemeinerter Kohomologietheorien geben.

Wir beginnen mit Eindeutigkeitsaussagen: Analog zum Fall von Homologietheoriengibt es auch fur Kohomologietheorien einen entsprechenden großen Bruder zu zel-lularer Kohomologie: die Atiyah-Hirzebruch-Spektralsequenz auf endlichen relativenCW-Komplexen:

Satz 1.28 (Atiyah-Hirzebruch-Spektralsequenz fur Kohomologie). Sei R ein Ringmit Eins und sei h eine Kohomologietheorie auf Top2 mit Werten in RMod. Ist (X,A)ein endlicher relativer CW-Komplex, so gibt es eine (in (X,A) und h) naturliche,konvergente, kohomologische Spektralsequenz

Epq1 = hp+q(Xp, Xp−1) =⇒ hp+q(X,A)

bzw.Epq2 = Hp

(X,A;hq(•)

)=⇒ hp+q(X,A).

Damit verwandt ist das folgende elementare Eindeutigkeitsresultat; dabei ist CWÁ

die Kategorie der CW-Paare und Kohomologietheorien auf CWÁ und naturliche Trans-formatinen dazwischen sind analog zum homologischen Fall definiert.

2D.h. fur alle d ∈ N ist rkR Rd = d und rkR ist unter kurzen exakten Sequenzen endlich erzeugter R-Moduln additiv; einen solchen Rangbegriff gibt es zum Beispiel fur Hauptidealringe (und Korper).

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Satz 1.29 (Vergleichssatz fur Kohomologietheorien). Sei R ein Ring, seien h und h′

Kohomologietheorien auf CWÁ mit Werten in RMod und sei (T k)k∈Z eine naturlicheTransformation h =⇒ h′ von Kohomologietheorien auf CWÁ mit der Eigenschaft, dass

T k(•) : hk(•) −→ h′k(•)

fur alle k ∈ Z ein Isomorphismus in RMod ist. Dann folgt: Fur alle endlichen CW-Paare (X,A) ist

T k(X,A) : hk(X,A) −→ h′k(X,A)

ein Isomorphismus in RMod.

Beweisskizze. Dies folgt wie im homologischen Fall (Satz II.4.41) durch Induktion uberdie Skelette.

Nach diesen Eindeutigkeitsresultaten stellen sich die folgenden Fragen:–

”Wieviele“ Kohomologietheorien gibt es?

– Wie kann man Kohomologietheorien konstruieren?– Durch welche Objekte kann man Kohomologietheorien klassifizieren?

Wir werden im folgenden skizzieren, wie man diese Fragen mit homotopietheoretischenMethoden beantworten kann.

Der Schlussel dazu ist der Brownsche Darstellungssatz 1.33. Dazu betrachtet mandie folgende Klasse von Funktoren3:

Definition 1.30 (Brown-Funktor). Ein kontravarianter Funktor F : Top* −→ Set*ist ein Brown-Funktor, wenn er folgende Eigenschaften besitzt:

– Homotopieinvarianz. Der Funktor F faktorisiert uber den Homotopieklassen-funktor Top* −→ Top*h.

– (Schwaches) Wedge-Axiom. Fur alle (nicht-leeren) Familien (Xi, xi)i∈I punktier-ter topologischer Raume mit der Eigenschaft, dass (Xi, xi) '∗ (Xi t [0, 1]/(xi ∼0), [1]) fur alle i ∈ I gilt, induzieren die Inklusionen

((Xi, xi) →

∨j∈I(Xj , xj)

)i∈I

der Summanden eine Bijektion

F(∨i∈I

(Xi, xi))−→

∏i∈I

F (Xi, xi).

– Mayer-Vietoris-Axiom (Abbildung (1.31)). Ist (X,x0) ein punktierter topolo-gischer Raum und sind U, V ⊂ X mit U ∪ V = X und x0 ∈ U ∩ V undsind jU : U ∩ V −→ U , jV : U ∩ V −→ V , iU : U −→ X und iV : V −→ X dieInklusionen, so gilt: Fur alle u ∈ F (U, x0) und v ∈ F (V, x0) mit

F (jU )(u) = F (jV )(v)

gibt es ein z ∈ F (X,x0) mit

F (iU )(z) = u und F (iV )(z) = v.

3Es gibt in der Literatur im Detail einige Varianten dieses Begriffs; wir haben uns hier fur eine inunserem Kontext pragmatische, aber nicht fur die konzeptionellste, Version entschieden.

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(U, x0)

iU

!!

u:

(U ∩ V, x0)

jU==

jV !!

(X,x0) = z:

aa

(V, x0)

iV

==

v

aa

Abbildung (1.31): Mayer-Vietoris-Axiom fur Brown-Funktoren, schematisch

Dabei ist Set* die Kategorie der punktierten Mengen:– Objekte sind alle Paare (X,x0), wobei X eine Menge und x0 ∈ X ist.– Morphismen sind Abbildungen von Mengen, die den Basispunkt erhalten.– Die Verknupfungen sind durch gewohnliche Abbildungskomposition gegeben.

Das zentrale Beispiel fur Brown-Funktoren erhalt man aus Kohomologietheorien:

Proposition 1.32 (Kohomologietheorien als Brown-Funktoren). Sei R ein Ring mitEins, sei h eine Kohomologietheorie auf Top2 mit Werten in RMod und sei n ∈ Z.Dann ist

Top*// Top2 hn

//RMod // Set*

(was zum Funktor

Top*// Top

hn//RMod // Set*

naturlich isomorph ist) ein Brown-Funktor im obigen Sinne. Dabei ist Top* −→ Top2

der Funktor, der punktierte Raume als Raumpaare mit einpunktigem Unterraum auf-fasst und RMod −→ Set* ist der Funktor, der die Modulstruktur vergisst und dasneutrale Element 0 als Basispunkt interpretiert.

Beweisskizze. Dies folgt leicht aus den Eilenberg-Steenrod-Axiomen fur Kohomologieund der Mayer-Vietoris-Sequenz fur Kohomologie.

Wir werden nun sehen, dass alle Brown-Funktoren auf einer Kategorie hinreichendgutartiger Raume darstellbar ist. Dazu sei CW0∗ die Kategorie der wegzusammenhan-genden punktierten CW-Komplexe, wobei der Basispunkt eine 0-Zelle der entsprechen-den CW-Struktur ist. Außerdem sei CW0∗h die zugehorige Homotopiekategorie (bzgl.punktierter Homotopien).

Satz 1.33 (Brownscher Darstellungssatz). Sei F : Top* −→ Set* ein Brown-Funktor.Dann ist F im folgenden Sinne darstellbar: Es gibt ein (Y, y0) ∈ Ob(CW0∗) mit derEigenschaft, dass

CW0∗ // Top*F // Set*

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und

CW0∗ // CW0∗h[ · ,(Y,y0)]∗

// Set*

naturlich isomorph sind (wobei CW0∗ −→ CW0∗h der Homotopieklassenfunktor ist).

Mit dem Yoneda-Lemma folgt somit insbesondere, dass man Brown-Funktoren imwesentlichen durch ihre darstellenden Objekte verstehen kann:

Bemerkung 1.34 (Yoneda-Lemma). Sei C eine Kategorie.– Ist F : C −→ Set ein kontravarianter Funktor und ist Y ∈ Ob(C), so sind

”Menge“ der

naturlichen TransformationenMorC( · , Y )⇒ F

−→←−F (Y )

T 7−→ T (idY )(MorC(X,Y ) → F (X)

f 7→ F (f)(u)

)X∈Ob(C)

←− [ u

zueinander inverse Bijektionen.4

Ist F darstellbar, etwa durch Y ∈ Ob(C) und einen naturlichen Isomorphis-mus T : MorC( · , Y ) =⇒ F , so nennt man u := T (idY ) ∈ F (Y ) ein universellesElement fur F . Insbesondere ist die Bijektion T (X) : MorC(X,Y ) −→ F (X) furalle X ∈ Ob(C) von der Form

T (X) : MorC(X,Y ) −→ F (X)

f 7−→(F (f)

)(u).

– Sind F, F ′ : C −→ Set kontravariante darstellbare Funktoren, dargestellt durchY ∈ Ob(C) und einen naturlichen Isomorphismus T : MorC( · , Y ) =⇒ F bzw.durch Y ′ ∈ Ob(C) und T ′ : MorC( · , Y ′) =⇒ F ′, so sind

”Menge“ der

naturlichen TransformationenF ⇒ F ′

−→←− MorC(Y, Y ′)

S 7−→(T ′(Y )−1 S(Y ) T (Y )

)(idY )(

T ′(X) MorC(X, f) T (X)−1)X∈Ob(C)

←− [ f

zueinander inverse Bijektionen. Diese Tatsachen lassen sich leicht direkt nachrechnenund ubertragen sich auf die Kategorie Set* der punktierten Mengen.

Beweisskizze (des Brownschen Darstellungssatzes). Die zentrale Idee ist, induktiv ge-eignete CW-Komplexe zusammen mit immer universelleren Klassen zu konstruieren:

4Strenggenommen bildet die linke Seite keine Menge; es ist jedoch klar, wie die Aussage zu interpre-tieren ist.

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(Y, y0) u_

(Z, z0)?

OO

z

Abbildung (1.35): Beweis des Brownschen Darstellungssatzes: Schritt 1, schematisch

(X,x0)g// (Y, y0) x

_

uoo7

(A, x0)?

OO

f

;;

=

Abbildung (1.36): Beweis des Brownschen Darstellungssatzes: Schritt 2, schematisch

(Y ′, y′0)'∗ // (Y, y0) u′

_

uoo

7

(X,x0) ∪(A,x0) (Y, y0)?

OO ;;

z_

(X,x0) (Y, y0)?

OO

x u

Abbildung (1.37): Beweis des Brownschen Darstellungssatzes: Beweis von Schritt 2,schematisch

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0. Wir fuhren zunachst folgende Begriffe ein: Sei (Y, y0) ∈ CW0∗ und u ∈ F (Y, y0).– Ist n ∈ N, so ist ((Y, y0), u) ein n-universelles Paar (fur F ), falls

πk(Y, y0) =Set*

[(Sk, ek+1

1 ), (Y, y0)]∗ −→ F (Sk, ek+1

1 )

[f ]∗ 7−→ F (f)(u)

fur alle k ∈ 0, . . . , n− 1 bijektiv und fur k = n surjektiv ist.– Das Paar ((Y, y0), u) heißt ∞-universell (fur F ), wenn es fur alle n ∈ N einn-universelles Paar ist.

1. Sei (Z, z0) ∈ Ob(CW0∗) und sei z ∈ F (Z, z0).Behauptung. Dann gibt es ein ∞-universelles Paar ((Y, y0), u) mit folgenderEigenschaft: Es ist (Z, z0) ein Unterkomplex von (Y, y0) und fur die Inklusi-on i : (Z, z0) → (Y, y0) gilt

F (i)(u) = z.

Beweisskizze. Man konstruiert eine kompatible Folge(((Y (n), y

(n)0 ), u(n))

)n∈N>0

,

wobei ((Y (n), y(n)0 ), u(n)) fur alle n ∈ N>0 ein n-universelles Paar mit den ent-

sprechenden Eigenschaften ist.– Induktionsanfang: Sei

((Y (1), y(1)0 ), u(1)) := (Z, z0) ∨

∨F (S1,1)

(S1, 1).

Mit dem (schwachen) Wedge-Axiom erhalten wir ein u(1) ∈ F (Y (1), y(1)0 )

mitF((Z, z0) → (Y (1), y

(1)0 ))(u(1)) = z

und

∀w∈F (S1,1) F (Inklusion des w-ten Summanden in das Wedge)(u(1)) = w.

Nach Konstruktion ist ((Y (1), y(1)0 ), u(1)) ein 1-universelles Paar.

– Induktionsschritt: Ist n ∈ N>0, so konstruiert man ein (n + 1)-universelles

Paar ((Y (n+1), y(n+1)0 ), u(n+1)) aus ((Y (n), y

(n)0 ), u(n)), durch

– Ankleben geeigneter (n+ 1)-Zellen (wie im Induktionsanfang), um dieSurjektivitat im

”Grad“ n zu erhalten, und durch

– Ankleben geeigneter Abbildungskegel fur Elemente des”Kerns“ im

”Grad“ n, um die Injektivitat im

”Grad“ n zu erhalten.

Nun schließt man die Konstruktion ab, indem man

(Y, y0) := colimn→∞

((Y (n), y(n)0 ), u(n))

definiert und aus den (u(n))n∈N>0mithilfe des Mayer-Vietoris-Axioms eine

entsprechende ∞-universelle Klasse in F (Y, y0) konstruiert.1’. Aus dem ersten Schritt (angewendet auf den Einpunktraum) erhalten wir somit

ein ∞-universelles Paar ((Y, y0), u) fur F .

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2. Sei (X,x0) ∈ Ob(CW0∗) und sei A ⊂ X ein Unterkomplex mit x0 ∈ A.Behauptung. Ist x ∈ F (X,x0) und f : (A, x0) −→ (Y, y0), mit

F (f)(u) = F((A, x0) → (X,x0)

)(x),

so gibt es ein g : (X,x0) −→ (Y, y0) mit

g|A = f und F (g)(u) = x.

Beweisskizze. Mithilfe von Abbildungszylindern kann man sich auf den Fall be-schranken, dass f die Inklusion eines Unterkomplexes ist. Wir betrachten dannden CW-Komplex

(Z, z0) := (X,x0) ∪(A,x0) (Y, y0).

Aus dem Mayer-Vietoris-Axiom und der Voraussetzung erhalten wir eine Klas-se z ∈ F (Z, z0), die sich zu x bzw. u einschrankt. Nun wenden wir den erstenSchritt auf diesen Komplex an und finden so ein∞-universelles Paar ((Y ′, y′0), u′),das Z als Unterkomplex enthalt und sich u′ auf z einschrankt. Nach der Definitionvon∞-universell und dem Satz von Whitehead (Satz II.4.66) ist dann die Inklusi-on (Y, y0) → (Y ′, y′0) eine (punktierte) Homotopieaquivalenz; an dieser Stelle istes essentiell, dass wir mit CW-Komplexen arbeiten. Aus einem Homotopieinver-sen kann man dann die gewunschte punktierte Abbildung g : (X,x0) −→ (Y, y0)konstruieren.

3. Behauptung. Ist (X,x0) ∈ Ob(CW0∗), so ist[(X,x0), (Y, y0)

]∗ −→ F (X,x0)

[f ]∗ 7−→ F (f)(u)

bijektiv.Beweis. Die Surjektivitat folgt aus dem zweiten Schritt (angewendet auf denUnterkomplex x0 von X); die Injektivitat folgt mit dem Standardtrick ausder Homotopietheorie, indem man namlich den zweiten Schritt auf das CW-Paar (X × [0, 1], X × 0, 1) mit Basispunkt (x0, 0) anwendet.

Damit ist der Brownsche Darstellungssatz gezeigt.

Insbesondere konnen wir den Brownschen Darstellungssatz nach Proposition 1.32 aufadditive Kohomologietheorien anwenden und erhalten so entsprechende darstellendeObjekte.

Die Konstruktion im obigen Beweis des Brownschen Darstellungssatzes erinnert andie Konstruktion von Eilenberg-MacLane-Raumen; dies ist kein Zufall:

Beispiel 1.38 (komplexe topologische K-Theorie). Auf der (Homotopie-)Kategorieder CW-punktierten endlichen CW-Komplexe gilt

K0C∼= [ · , BU ]∗,

wobei K0C komplexe topologische K-Theorie und BU = colimn→∞BU(n) der klassifi-

zierende Raum der komplexen/unitaren Vektorbundel ist.

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Beispiel 1.39 (singulare Kohomologie, dargestellt auf CW-Komplexen). Sei Z eineabelsche Gruppe und sei n ∈ N>0. Nach Satz 1.33 und Proposition 1.32 gibt es einenwegzusammenhangenden CW-punktierten CW-Komplex (Yn, yn) und eine universelleKlasse u ∈ Hn(Yn, yn;Z), durch die Hn( · ;Z) auf CW0∗ dargestellt wird. Insbeson-dere ist

πk(Yn, yn) =[(Sk, ek+1

1 ), (Yn, yn)]∗ −→ Hk(Yn, yn;Z)

[f ]∗ 7−→ Hn(f ;Z)(u)

fur alle k ∈ N bijektiv. Ist k ∈ N>0, so folgt analog zu Lemma II.2.21 aus der Definitionder Gruppenstruktur auf πk, dass diese Bijektion sogar ein Isomorphismus (abelscher)Gruppen ist. Also ist

πk(Yn, yn) ∼= Hk(Yn, yn;Z) ∼=

Z falls k = n

0 sonst

fur alle k ∈ N. Da (Yn, yn) wegzusammenhangend ist, ist (Yn, yn) somit ein sogenannterEilenberg-MacLane-Raum vom Typ K(Z, n). Konkrete Beispiele sind (s. AlgebraischeTopologie I):

S1 ist vom Typ K(Z, 1)S1 × S1 ist vom Typ K(Z× Z, 1)RP∞ ist vom Typ K(Z/2, 1)CP∞ ist vom Typ K(Z, 2)

Insbesondere erhalten wir den folgenden Zusammenhang zwischen den verschiedenenBeschreibungen von H1(X, x0;Z): Es gibt ein fur (X,x0) ∈ Ob(CW0∗) ein naturli-ches, kommutatives Diagramm der Form:[

(X,x0), (S1, 1)]∗

//

π1( · )ab

H1(X, x0;Z)

HomZ(π1(X,x0)ab, π1(S1, 1)ab

)// HomZ

(π1(X,x0)ab,Z

)analog zu Beispiel 1.14

OO

Dabei ist der untere horizontale Homomorphismus durch Komposition mit dem Iso-morphismus π1(S1, 1) ∼= Z gegeben, der [id(S1,1)]∗ mit 1 identifiziert. Der obere Homo-morphismus ist durch Pullback der (universellen) Klasse [S1]∗ ∈ H1(S1, 1;Z) ∼= Zgegeben, die in Beispiel 1.14 konstruiert wurde.

Die Funktoren einer Kohomologietheorie in den einzelnen Graden hangen (z.B. uberdie Verbindungshomomorphismen) stark zusammen. Wie spiegelt sich dieser Zusam-menhang auf den entsprechenden darstellenden Objekten wider?

Bemerkung 1.40 (Folgen von darstellenden Raumen zu additiven Kohomologietheo-rien). Sei R ein Ring mit Eins und sei h eine additive Kohomologietheorie auf Top2

mit Werten in RMod. Zu jedem n ∈ Z gibt es dann ein (Yn, yn) ∈ Ob(CW0∗), das hn

auf CW0∗ im Sinne des Brownschen Darstellungssatzes darstellt.

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1. Ist (X,x0) ein CW-punktierter (nicht notwendigerweise wegzusammenhangen-der) CW-Komplex, so erhalten wir eine naturliche Bijektion

hn(X) = hn(X, x0)∼= hn+1

(Σ(X,x0)

)∼=[Σ(X,x0), (Yn+1, yn+1)

]∗

∼=[(X,x0),Ω(Yn+1, yn+1)

]∗.

Dabei haben wir folgendes verwendet:– Die zweite Bijektion ist der Einhangungsisomorphismus, wobei

Σ := · ∧ (S1, 1)

die reduzierte Einhangung bezeichnet (Definition I.3.1).– Die letzte Bijektion erhalt man aus dem Exponentialgesetz: In der Kategorie

der sogenannten kompakt erzeugten punktierten topologischen Raume5 ist[Σ(X,x0), (Yn+1, yn+1)

]∗ −→

[(X,x0),Ω(Yn+1, yn+1)

]∗.

[f ]∗ 7−→[x 7→ (t 7→ f(x ∧ t))

]∗

eine Bijektion; CW-Komplexe sind in diesem Sinne kompakt erzeugt undder Schleifenraum

Ω(Yn+1, yn+1) := map*

((S1, 1), (Yn+1, yn+1)

)wird mit der zur kompakt-offenen Topologie assoziierten kompakt erzeugtenTopologie versehen.

Man kann zeigen, dass Schleifenraume von CW-Komplexen den Homotopietypeines CW-Komplexes haben. Man definiert daher

(En, en) := Ω(Yn+1, yn+1)

(bzw. als einen dazu homotopieaquivalenten CW-punktierten CW-Komplex).2. Also erhalten wir auf der Kategorie der CW-punktierten CW-Komplexe einen

naturlichen Isomorphismus[· , (En, en)

]∗∼= hn

∼= hn+1 Σ

∼=[Σ · , (En+1, en+1)

]∗

∼=[· ,Ω(En+1, en+1)

]∗.

Da auch Ω(En+1, en+1) den Homotopietyp eines CW-punktierten CW-Komplexeshat, folgt mit dem Yoneda-Lemma, dass

(En, en) '∗ Ω(En+1, en+1)

gilt.

5N. Steenrod. A convenient category of topological spaces. Michigan Math. J., 14(2), S. 133–152,1967.

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Man definiert daher:6

Definition 1.41 (Praspektrum, Ω-Praspektrum).– Ein Praspektrum ist ein Paar

((En, en)n∈Z, (εn)n∈Z

), wobei (En, en) ∈ Ob(Top*)

undεn ∈ map∗

(Σ(En, en), (En+1, en+1)

)fur alle n ∈ Z gilt.

– Ein Ω-Praspektrum ist ein Praspektrum((En, en)n∈Z, (εn)n∈Z

)mit folgender

Eigenschaft: Fur alle n ∈ Z ist die zu εn : Σ(En, en) −→ (En+1, en+1) adjungierteAbbildung

(En, en) −→ Ω(En+1, en+1)

x 7−→(t 7→ ε(x ∧ t)

)eine punktierte Homotopieaquivalenz.

– Seien E und E′ Praspektren. Ein Morphismus f : E −→ E′ von Praspektrenist eine Folge (fn ∈ map*((En, en), (E′n, e

′n)))n∈Z mit folgender Eigenschaft: Fur

alle n ∈ Z gilt

fn+1 εn = ε′n Σfn.

Σ(En, en)εn //

Σfn

(En+1, en+1)

fn+1

Σ(E′n, e′n)

ε′n

// (E′n+1, e′n+1)

Auf diese Weise erhalten wir eine Kategorie preSp der Praspektren.

Bemerkung 1.42 (additive Kohomologietheorien Ω-Praspektren). Die Uberlegun-gen in Bemerkung 1.40 zeigen also (durch Adjungieren der Abbildungen zwischen dendarstellenden Raumen): Jede additive Kohomologietheorie liefert ein Ω-Praspektrum.

Es stellen sich nun die folgenden Fragen:– Warum betrachtet man auch Praspektren und nicht nur Ω-Praspektren?– Lasst sich dieser Prozess umkehren? Kann man also aus jedem Praspektrum eine

Kohomologietheorie konstruieren?

Beispiel 1.43 (Eilenberg-MacLane-Spektren). Ist Z eine abelsche Gruppe, so zeigt dieDiskussion in Beispiel 1.39, dass es ein Ω-Praspektrum HZ =

((En, en)n∈Z, (εn)n∈Z

)gibt, so dass (En, en) fur alle n ∈ N>0 ein Eilenberg-MacLane-Raum vom Typ K(Z, n)ist, das sogenannte Eilenberg-MacLane-Spektrum zu Z. Diese Konstruktion erweitertsich zu einem Funktor

H : Ab −→ preSp .6In der Literatur finden sich viele verschiedene Varianten dieses Begriffs; wir haben hier eine Variante

gewahlt, die sich leicht formulieren lasst. Fur viele Zwecke ist diese Definition jedoch etwas zu naiv.

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Beispiel 1.44 (Einhangungsspektren). Sei (X,x0) ein punktierter Raum. Dann gibtes ein Praspektrum Σ∞(X,x0) =

((En, en)n∈Z, (εn)n∈Z

), wobei wir

(En, en) :=

Σn(X,x0) falls n ≥ 0

• falls n < 0

fur alle n ∈ Z definieren und

εn : Σ(En, en) = ΣΣn(X,x0) −→ Σn+1(X,x0) = (En+1, en+1)

fur alle n ∈ N die Identitat ist. Dies ist das Einhangungsspektrum zu (X,x0). Man be-achte, dass dieses Praspektrum im allgemeinen kein Ω-Praspektrum ist (da nicht jederpunktierte Raum ein sogenannter unendlicher Schleifenraum ist). Diese Konstruktionerweitert sich zu einem Funktor

Σ∞ : Top* −→ preSp .

Satz 1.45 (Praspektren additive Kohomologietheorien).1. Sei

((En, en)n∈Z, (εn)n∈Z

)ein Ω-Praspektrum (bestehend aus CW-Komplexen).

Dann gibt es eine additive Kohomologietheorie h auf Top2 mit Werten in ZModmit folgender Eigenschaft: Fur alle n ∈ Z sind

CW0∗ // Top*hn// Set*

und

CW0∗ // CW0∗h[ · ,(En,en)]∗

// Set*

naturlich isomorph.2. Sei

((En, en)n∈Z, (εn)n∈Z

)ein Praspektrum (aus CW-Komplexen). Dann gibt es

eine additive Kohomologietheorie h auf Top2 mit Werten in ZMod mit folgenderEigenschaft: Fur alle n ∈ Z sind

CW0∗ // Top*hn// Set*

und

CW0∗ // CW0∗h[ · ,colimk→∞ Ωk(En+k,en+k)]∗

// Set*

naturlich isomorph. Fur Ω-Praspektren stimmt diese Konstruktion mit der obigenKonstruktion uberein.

3. Morphismen zwischen (Ω)-Praspektren liefern naturliche Transformationen zwi-schen den zugehorigen Kohomologietheorien.

Beweisskizzenskizze. Auf wegzusammenhangenden CW-punktierten CW-Komplexendefiniert man die gesuchten Kohomologietheorien durch die angegebenen dargestell-ten kontravarianten Funktoren. Auf diesen Mengen von Homotopieklassen erhalt man

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durch Aneinanderhangen von Schleifen auf zweifachen Schleifenraumen Ω2 . . . dieStruktur abelscher Gruppen. Methoden aus der elementaren Homotopietheorie (insbe-sondere die lange exakte Kofasersequenz von Barratt und Puppe (Satz I.3.57)) zeigendann, dass dies eine reduzierte Kohomologietheorie auf CW0∗ definiert. Durch Kegel-konstruktionen und geeignete CW-Approximationen lassen sich die Theorien dann aufganz Top2 fortsetzen.

Bemerkung 1.46 (Homologietheorien und Praspektren). Es gibt auch eine analogeBeziehung zwischen Homologietheorien und Praspektren: Ist

((En, en)n∈Z, (εn)n∈Z

)ein Praspektrum, so erweitert sich(

colimk→∞

πn+k( · ∧ (Ek, ek)))n∈Z

von CW0∗ zu einer additiven Homologietheorie auf Top2 mit Werten in ZMod.Umgekehrt lasst sich jede additive Homologietheorie auf CW0∗ durch Praspektren

beschreiben.

Bemerkung 1.42, Beispiel 1.44 und Satz 1.45 liefern also, dass die Kategorie preSp esermoglicht, topologische Raume und Kohomologietheorien (bzw. Homologietheorien,s. Bemerkung 1.46) im selben Rahmen und mit denselben Hilfsmitteln zu studieren.

Man ist daher daran interessiert, die Kategorie preSp genauer zu verstehen. Einerster Schritt ist es, geeignete Invarianten von Praspektren zu studieren, z.B. Homo-topiegruppen:

Definition 1.47 (Homotopiegruppen von Praspektren). Sei E = ((En, en)n∈Z, (εn)n∈ )ein Praspektrum und sei n ∈ Z. Die n-te Homotopiegruppe von E ist definiert als

πn(E) := colimZ≥−n3k→∞

πn+k(Ek, ek),

wobei der Kolimes uber die von den Strukturabbildungen (εn)n∈Z induzierten Homo-morphismen gebildet wird. Diese Konstruktion erweitert sich zu einem Funktor

πn : preSp −→ Ab .

Als nachsten Schritt fuhrt man eine geeignete Homotopietheorie von Praspektrenund die zugehorige Homotopiekategorie Sph ein; das Studium der Kategorie Sph be-zeichnet man auch als stabile Homotopietheorie. Es gibt verschiedene Zugange bzw.Modelle, die es erlauben, die Kategorie Sph zu konstruieren – sie sind jedoch alle imDetail technisch relativ aufwendig. Wir werden daher nicht auf diese Konstruktioneneingehen, sondern nur ein paar wesentliche Eigenschaften aufzahlen: 7

– Homotopiegruppen von Praspektren induzieren einen Begriff von Homotopie-gruppen auf Sph.

– Es gibt zueinander adjungierte Funktoren

Σ∞ : Top*h −→ Sph

Ω∞ : Sph −→ Top*h .7Cary Malkiewich. The stable homotopy category, http://math.stanford.edu/ carym/stable.pdf

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– Es gibt zueinander inverse Aquivalenzen von Kategorien

Σ: Sph −→ Sph

Ω: Sph −→ Sph,

die mit den entsprechenden Funktoren auf Top* kompatibel sind.– Die Kategorie Sph ist (im Gegensatz zu Top*h) additiv (aber nicht abelsch).

Grob gesprochen kann man sich also die Kategorie Sph so vorstellen, dass man sieaus Top*h erhalt, indem man den Einhangungsfunktor invertierbar macht. Außerdemgibt es die folgenden Parallelen zur homologischen Algebra: Analog zur homologischenAlgebra, in der gewisse Phanomene fur Moduln erst verstandlich werden, wenn man zurKategorie der Kettenkomplexe ubergeht (Kapitel 3), hilft auch der Ubergang von Top*

zu preSp topologische Raume besser zu verstehen.”Invertieren“ von Homologieisomor-

phismen fuhrt von RCh zur sogenannten derivierten Kategorie D(R). Analog kann manauch Sph erhalten, indem man schwache Aquivalenzen in preSp invertiert:

homologische Algebra Topologie

RMod Top*

RCh preSp

D(R) Sph

Eine prazise Darstellung dieses Zugangs zur stabilen Homotopietheorie findet sichzum Beispiel im Buch von Weibel [11, Kapitel 10].

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2. Produkte auf (Ko)Homologie

Bisher haben wir nur additive Struktur auf Kohomologietheorien untersucht. Wir wol-len diese Invarianten nun im folgenden durch Hinzufugen multiplikativer Strukturenauf Kohomologie bzw. Homologie und durch Paarungen gewisser Kohomologie- undHomologietheorien verfeinern.

Dies wird uns helfen, topologische Raume bzw. die Homotopiekategorie Top2h besser

zu verstehen und interessante Anwendungen zu behandeln.Wir beginnen mit einem axiomatischen Zugang und werden spater eine explizite

Konstruktion fur Produkte in singularer (Ko)Homologie angeben.

2.1. Multiplikative Strukturen auf Kohomologie

Wir geben nun Axiome fur multiplikative Strukturen auf Kohomologie. Die Grundideeist es, Kohomologietheorien zu Funktoren in die Kategorie der graduierten Algebrenstatt der graduierten Moduln zu verfeinern. Da es jedoch in vielen Fallen moglich ist,noch mehr als das zu erreichen, werden die Axiome etwas aufwendiger und zunachstumstandlich erscheinend formuliert.

Setup 2.1. Im folgenden sei R ein kommutativer Ring mit Eins8 und es sei h =((hk)k∈Z, (δ

k)k∈Z)

eine Kohomologietheorie auf Top2 mit Werten in RMod mit Koeffi-zienten

h0(•) ∼=R R;

ein solcher Isomorphismus sei im folgenden gewahlt. Wir schreiben 1 ∈ h0(•) fur dasElement, das unter diesem Isomorphismus 1 ∈ R entspricht.

Außerdem ist es fur die Formulierung der Axiome bequem, die folgende Notationeinzufuhren:

Definition 2.2 (Kategorie schnittiger Tripel). Die Kategorie Top3 besteht aus:– Objekte sind Tripel (X,A,B), wobei X ein topologischer Raum und A,B ⊂ X

Teilmengen mit A in A ∪ B ∪B in A ∪ B = A ∪B ist.– Morphismen: Zu solchen Tripeln (X,A,B) und (X ′, A′, B′) sei

MorTop3

((X,A,B), (X ′, A′, B′)

):=f ∈ map(X,X ′)

∣∣ f(A) ⊂ A′, f(B) ⊂ B′.

– Die Verknupfungen sind durch gewohnliche Abbildungskomposition gegeben.

Ist (X,A) ein Raumpaar, so sind (X,A, ∅), (X, ∅, A) und (X,A,A) Objekte in Top3.Wir fuhren nun multiplikative Strukturen ein:

8Statt”kommutativ“ genugt es auch, zu verlangen, dass der Ring eine Involution besitzt; eine solche

Involution erlaubt namlich auch eine Ubersetzung zwischen Links- und Rechtsmoduln. Z.B. sindGruppenringe im allgemeinen nicht kommutativ, besitzen aber eine Involution – namlich durchdas Invertieren in der Gruppe.

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Definition 2.3 (multiplikative Struktur auf einer Kohomologietheorie). Eine multi-plikative Struktur auf der Kohomologietheorie h ist eine Familie(

· ∪ · : hp(X,A)⊗R hq(X,B) −→ hp+q(X,A ∪B))p,q∈Z,(X,A,B)∈Ob(Top3)

von R-linearen Abbildungen (sogenannter Cup-Produkte) mit folgenden Eigenschaften:– Assoziativitat. SeiX ein topologischer Raum und seienA,B,C ⊂ X mit (X,A,B),

(X,B,C), (X,A,B∪C), (X,A∪B,C) ∈ Ob(Top3). Dann gilt fur alle p, q, r ∈ Zund alle x ∈ hp(X,A), y ∈ hq(X,B), z ∈ hr(X,C):

x ∪ (y ∪ z) = (x ∪ y) ∪ z.

– (graduierte) Kommutativitat. Fur alle (X,A,B) ∈ Ob(Top3), alle p, q ∈ Z undalle x ∈ hp(X,A), y ∈ hq(X,B) gilt:

x ∪ y = (−1)p·q · y ∪ x.

– Einselement. Sei (X,A) ein Raumpaar und sei 1X := h0(X → •)(1) ∈ h0(X).Dann gilt fur alle p ∈ Z und alle x ∈ hp(X,A), dass

1X ∪ x = x = x ∪ 1X .

– Naturlichkeit. Fur alle (X,A,B), (X ′, A′, B′) ∈ Ob(Top3), alle stetigen Abbil-dungen f ∈ MorTop3((X,A,B), (X ′, A′, B′)), alle p, q ∈ Z und alle x ∈ hp(X,A),y ∈ hq(X,B) gilt

hp+q(f)(x ∪ y) =(hp(f)(x)

)∪(hq(f)(y)

).

– Vertraglichkeit mit Verbindungshomomorphismen. Sei (X,A,B) ∈ Ob(Top3) undseien p, q ∈ Z.

1. Ist x ∈ hp(A) und y ∈ hq(X,B), so gilt

(δx) ∪ y = δÀ

(x ∪ hq(i)(y)

),

wobei δ : hp(A) −→ hp+1(X,A) der Verbindungshomomorphismus des Paa-res (X,A) ist, i : (A,A ∩ B) −→ (X,B) die Inklusion ist und δÀ die Kom-position

hp+q(A,A ∩B)←− hp+q(A ∪B,B) −→ hp+q+1(X,A ∪B)

aus dem Ausschneidungsisomorphismus und dem Verbindungsisomorphis-mus der Tripelsequenz von (X,A ∪B,B) ist.9

2. Ist x ∈ hp(X,A) und y ∈ hq(B), so gilt

x ∪ (δy) = (−1)p · δÁ

(hp(j)(x) ∪ y

),

9In anderen Worten:”· ∪ y“ liefert einen Morhpismus zwischen der Paarsequenz von (X,A) und

der Tripelsequenz von (X,A ∪B,B).

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wobei δ : hq(B) −→ hq+1(X,B) der Verbindungshomomorphismus des Paa-res (X,B) ist, j : (B,A ∩ B) −→ (X,A) die Inklusion ist und δÁ die Kom-position

hp+q(B,A ∩B)←− hp+q(A ∪B,A) −→ hp+q+1(X,A ∪B)

aus dem Ausschneidungsisomorphismus und dem Verbindungsisomorphis-mus des Tripels (X,A ∪B,A) ist.

Insbesondere erhalten wir aus multiplikativen Strukturen graduierte Algebren:

Definition 2.4 (graduierte Algebra).– Eine graduierte R-Algebra ist eine Folge (An)n∈Z in Ob(RMod) zusammen mit

einer Folge( · : Ap ⊗R Aq −→ Ap+q)p,q∈Z

von R-linearen Homomorphismen mit folgender Eigenschaft: Die direkte Sum-me

⊕n∈ZAn ist zusammen mit der eindeutigen R-linearen Fortsetzung von

”·“

auf die direkte Summe eine R-Algebra.– Graduierte Z-Algebren heißen auch graduierte Ringe.– Sind A = ((An)n∈Z, ·) und B = ((Bn)n∈Z, ·) graduierte R-Algebren so ist ein

Morphismus A −→ B von R-Algebren eine Folge (fn ∈ HomR(An, Bn))n∈Z mitfolgender Eigenschaft: Fur alle p, q ∈ Z und alle x ∈ Ap, y ∈ Aq gilt

fp+q(x · y) = fp(x) · fq(y).

– Zusammen mit gradweiser Verknupfung von Morphismen von graduierten R-Algebren erhalten wir so die Kategorie RGradAlg der graduierten R-Algebren.

Als nachsten Schritte kann man analog auch graduierte Algebren uber graduiertenRingen definieren.

Bemerkung 2.5 (multiplikative Strukturen liefern graduierte Algebren). Sei · ∪ ·eine multiplikative Struktur auf der Kohomologietheorie h und sei (X,A) ∈ Ob(Top2).

– Dann ist h∗(X) = (hn(X))n∈Z bezuglich · ∪ · ein graduierter Ring mitEins 1X ∈ h0(X).

– Und h∗(X,A) = (hn(X,A))n∈Z ist bezuglich · ∪ · eine graduierte R-Algebra(bzw. eine graduierte Algebra uber h∗(X)).

Auf diese Weise erhalt man aus h und · ∪ · einen Funktor Top2 −→ RGradAlg unddieser faktorisiert uber Top2

h. Homotopieaquivalente Raumpaare liefern also isomorphegraduierte Algebren.

Bevor wir zu den ersten Berechnungen von Kohomologieringen kommen, geben wireine Anwendung von multiplikativen Strukturen auf Kohomologie:

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U1

X

U2

X

Abbildung (2.8): Uberdeckung von Einhangungen durch zwei offene Mengen, die inder Einhangung kontraktibel sind

Definition 2.6 (Lusternik-Schnirelmann-Kategorie). Sei X ein topologischer Raum.Die Lusternik-Schnirelmann-Kategorie von X ist definiert als

cat(X) := minn ∈ N

∣∣∣ ∃U1,...,Un⊂X X =

n⋃k=1

Uk und

U1, . . . , Un offen und U1 → X, . . . , Un → X nullhomotop

− 1

∈ N ∪ −1 ∪ ∞.

Beispiel 2.7. Sei X ein topologischer Raum.– Es gilt genau dann catX = −1, wenn X = ∅ ist.– Es gilt genau dann catX = 0, wenn X kontraktibel ist.– Es ist catN =∞, wobei N die diskrete Topologie tragt.– Es gilt catS1 = 1.– Ist X ein topologischer Raum, so ist cat ΣX ≤ 1 (Abbildung (2.8)).

Im allgemeinen ist es jedoch sehr schwer, die Lusternik-Schnirelmann-Kategorietopologischer Raume exakt zu berechnen. Andererseits spielt die Lusternik-Schnirel-mann-Kategorie in vielen Anwendungen eine wichtige Rolle, z.B. in der topologischenRobotik.

Cup-Produkte liefern eine untere Abschatzung fur die Lusternik-Schnirelmann-Ka-tegorie:

Proposition 2.9 (Lusternik-Schnirelmann-Kategorie und Cup-Produkte). Sei · ∪ ·eine multiplikative Struktur auf h und sei X ein nicht-leerer topologischer Raum.

1. Sei n ∈ N, seien U1, . . . , Un ⊂ X offen mit X =⋃nk=1 Uk und der Eigenschaft,

dass die Inklusionen i1 : U1 → X, . . . , in : Un → X nullhomotop sind. Dann giltfur alle x1, . . . , xn ∈ h∗(X), dass

x1 ∪ · · · ∪ xn = 0 ∈ h∗(X).

2. Insbesondere ist

catX ≥ maxn ∈ N

∣∣ ∃x1,...,xn∈h∗(X) x1 ∪ . . . xn 6= 0 ∈ h∗(X).

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Ist X ein nicht-leerer topologischer Raum, ist x0 ∈ X und sind p, q ∈ Z, so erhaltenwir aus einer multiplikativen Struktur · ∪ · auf h ein Cup-Produkt

· ∪ · hp(X, x0

)⊗R hq

(X, x0

)−→ hp+q

(X, x0

).

Mit dem kanonischen Isomorphismus h∗(X) ∼= h∗(X, x0) erhalten wir so ein wohl-

definiertes Cup-Produkt auf reduzierter Kohomologie h.

Beweisskizze. Es genugt, den ersten Teil zu zeigen. Seien x1 ∈ hp1(X), . . . , xn ∈hpn(X). Fur alle k ∈ 1, . . . , n gilt: Da die Inklusion ik : Uk → X nullhomotop ist,

folgt hpk(ik) = 0. Die lange exakte Paarsequenz von (X,Uk) fur reduzierte Kohomo-logie zeigt, dass es ein yk ∈ hpk(X,Uk) mit

hpk(jk)(yk) = xk

gibt, wobei jk : (X, ∅) → (X,Uk) die Inklusion ist. Dabei gilt

y1 ∪ · · · ∪ yn ∈ h(X,

n⋃k=1

Uk

)= h(X,X) ∼= 0.

Mit der Naturlichkeit des Cup-Produkts folgt daher

x1 ∪ · · · ∪ xn = 0.

Insbesondere liefert dies ein notwendiges Kriterium dafur, dass ein Raum Einhangungeines anderen Raumes sein kann.

2.2. Externe Produkte auf Kohomologie

Wir fuhren nun externe Produkte auf Kohomologietheorien ein und untersuchen denZusammenhang mit multiplikativen Strukturen. Externe Produkte sind aus mehrerenGrunden interessant: Sie sind fur induktive Berechnungen besser geeignet als Cup-Produkte, besitzen eine naheliegendere geometrische Interpretation und lassen – imGegensatz zu multiplikativen Strukturen – auch homologische Versionen zu (Kapi-tel 2.6).

Setup 2.10. Im folgenden sei R ein kommutativer Ring mit Eins10 und es sei h =((hk)k∈Z, (δ

k)k∈Z)

eine Kohomologietheorie auf Top2 mit Werten in RMod mit Koeffi-zienten

h0(•) ∼=R R;

ein solcher Isomorphismus sei im folgenden gewahlt. Wir schreiben 1 ∈ h0(•) fur dasElement, das unter diesem Isomorphismus 1 ∈ R entspricht.

10Statt”kommutativ“ genugt es auch, zu verlangen, dass der Ring eine Involution besitzt; eine solche

Involution erlaubt namlich auch eine Ubersetzung zwischen Links- und Rechtsmoduln. Z.B. sindGruppenringe im allgemeinen nicht kommutativ, besitzen aber eine Involution – namlich durchdas Invertieren in der Gruppe.

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Sind (X,A) und (Y,B) Raumpaare, so schreiben wir

(X,A)× (Y,B) := (X × Y,A× Y ∪X ×B).

Zum Beispiel ist ([0, 1], ∂[0, 1])× ([0, 1], ∂[0, 1]) =([0, 1]2, ∂([0, 1]2)

).

Definition 2.11 (externes Produkt auf einer Kohomologietheorie). Ein externes Pro-dukt auf der Kohomologietheorie h ist eine Familie(· × · : hp(X,A)⊗Rhq(Y,B) −→ hp+q

((X,A)×(Y,B)

))p, q ∈ Z, (X,A), (Y,B) ∈ Ob(Top2)

mit (X × Y,A× Y,X × B) ∈ Ob(Top3)

von R-linearen Abbildungen (sogenannter Kreuz-Produkte) mit folgenden Eigenschaf-ten:

– Naturlichkeit. Fur alle (X,A), (Y,B), (X ′, A′), (Y ′, B′) ∈ Ob(Top2) mit (X × Y,A ×Y,X×B), (X ′×Y ′, A′×Y ′, X ′×B′) ∈ Ob(Top3), alle f ∈ MorTop2 ((X,A), (X ′, A′)), g ∈MorTop2 ((Y,B), (Y ′, B′)), alle p, q ∈ Z und alle x ∈ hp(X ′, A′), y ∈ hq(Y ′, B′) gilt

hp+q(f × g)(x× y) = hp(f)(x)× hq(g)(y).

– Assoziativitat. Fur alle Kohomologieklassen x, y, z, fur die die entsprechendenKreuz-Produkte definiert sind, gilt

x× (y × z) = (x× y)× z.

– (graduierte) Kommutativitat. Fur alle (X,A), (Y,B) ∈ Ob(Top2) mit (X×Y,A×Y,X ×B), alle p, q ∈ Z und alle x ∈ hp(X,A), y ∈ hq(Y,B) gilt

hp+q(τX,Y )(y × x) = (−1)p·q · x× y,

wobei

τX,Y : X × Y −→ Y ×X(x, y) 7−→ (y, x).

– Einselement. Fur alle Raumpaare (X,A), alle p ∈ Z und alle x ∈ hp(X,A) gilt

1× x = x = x× 1.

In den Gleichheiten gehen die kanonischen Homoomorphismen • × (X,A) ∼=(X,A) ∼= (X,A)× • ein.

– Vertraglichkeit mit Verbindungshomomorphismen. Seien (X,A), (Y,B) ∈ Ob(Top2)mit (X × Y,A× Y,X ×B) ∈ Ob(Top3) und seien p, q ∈ Z.

1. Ist x ∈ hp(A) und y ∈ hq(X,B), so gilt

(δx)× y = δÀ(x× y),

wobei δ : hp(A) −→ hp+1(X,A) der Verbindungshomomorphismus des Paa-res (X,A) ist und δÀ die Komposition

hp+q(A×Y,A×B)←− hp+q(A×Y ∪X×B,X×B) −→ hp+q+1((X,A)×(Y,B))

aus dem Ausschneidungsisomorphismus und dem Verbindungsisomorphis-mus der entsprechenden Tripelsequenz ist.

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2. Ist x ∈ hp(X,A) und y ∈ hq(B), so gilt

x× (δy) = (−1)p · δÁ

(x× y

),

wobei δ : hq(B) −→ hq+1(X,B) der Verbindungshomomorphismus des Paa-res (X,B) ist und δÁ die Komposition

hp+q(X×B,A×B)←− hp+q(A×Y ∪X×B,A×Y ) −→ hp+q+1((X,A)×(Y,B))

aus dem Ausschneidungsisomorphismus und dem Verbindungsisomorphis-mus des entsprechenden Tripels ist.

Multiplikative Strukturen liefern externe Produkte (und auch die Umkehrung gilt,bis auf Schnittigkeitsvoraussetzungen):

Proposition 2.12 (× fur ∪). Sei · ∪ · eine multiplikative Struktur auf h. Daszu · ∪ · assoziierte Kreuz-Produkt · × · ist wie folgt definiert: Sind (X,A), (Y,B) ∈Ob(Top2) mit (X × Y,A× Y,X ×B) ∈ Ob(Top3) und sind p, q ∈ Z, so ist

· × · : hp(X,A)⊗R hq(Y,B) −→ hp+q((X,A)× (Y,B)

)x⊗ y 7−→ hp(pX)(x) ∪ hq(pY )(y),

wobei pX : (X × Y,A× Y ) −→ (X,A) und pY : (X × Y,X ×B) −→ (Y,B) die Projek-tionen sind.

1. Dann ist · × · ein externes Produkt auf h.2. Ist (X,A,B) ∈ Ob(Top3) mit (X × X,A × X,X × B) ∈ Ob(Top3) und sind

p, q ∈ Z und x ∈ hp(X,A), y ∈ hq(X,B), so gilt

x ∪ y = hp+q(∆X,A,B)(x× y),

wobei ∆X,A,B : (X,A ∪ B) −→ (X ×X,A×X ∪X × B) die Diagonalabbildungist.

Beweisskizze. Dies folgt durch Nachrechnen der Axiome.

Wir geben nun eine alternative Beschreibung des Einhangungsisomorphismus (Ab-bildung (2.13)), wobei wir I := [0, 1] abkurzen:

Proposition 2.14 (Einhangung via Kreuz-Produkt). Sei · × · ein externes Produktauf h und sei e als Bild von 1 ∈ h0(•) das Bild unter der Komposition

h0(•)←− h0(∂I, 0) −→ h1(I, ∂I),

wobei die linke Abbildung der Ausschneidungsisomorphismus und die rechte Abbildungder Verbindungshomomorphismus des Tripels (I, ∂I, 0) ist (dieser ist ein Isomor-phismus).

Ist X ein topologischer Raum und p ∈ Z, so ist

e× · : hp(X) −→ hp+1(I ×X, ∂I ×X)

ein Isomorphismus.

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X x0X x0

(I, ∂I)× (X, x0) Σ(X,x0)

Abbildung (2.13): Relatives Produkt vs. (reduzierte) Einhangung

Beweisskizze. Mithilfe der Naturlichkeit des Kreuz-Produkts, der Vertraglichkeit desKreuz-Produkts mit Verbindungshomomorphismen und den langen exakten Tripel-sequenzen von (I, ∂I, 0) bzw. (I × X, ∂I × X, 0 × X) erhalt man ein kommutativesDiagramm der Form

h0(•)⊗R hp(X)· × ·

// hp(X)

h0(∂I, 0)⊗R hp(X)· × ·//

OO

δ

hp+1(∂I ×X, 0×X)

OO

δ

h1(I, ∂I)⊗R hp(X)· × ·// hp+1(I ×X, ∂I ×X)

Dabei wird in der linken Komponente der linken Seite nach Definition 1 ∈ h0(•) auf e ∈h1(I, ∂I) abgebildet. Die vertikalen Homomorphismen sind Isomorphismen (dies folgtaus Ausschneidung bzw. der langen exakten Tripelsequenz) und der obere horizontaleHomomorphismus ist nach den Axiomen eines externen Produkts ein Isomorphismus.Also ist auch der untere horizontale Homomorphismus ein Isomorphismus. Da e nachKonstruktion ein Erzeuger von h1(I, ∂I) ∼=R R ist, folgt somit die Behauptung.

Im relativen Fall gehen wir (um bessere Schnittigkeitseigenschaften zu haben) vomEinheitsintervall ([0, 1], 0, 1) zu (R,R \ 0) uber. Wir fuhren dazu die folgende No-tation ein (insbesondere ist ∂J nicht im eigentlichen Sinne der Rand von J):

Definition 2.15 (aufgedicktes Einheitsintervall). Sei

J := R und ∂J := R \ 0

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und sei e(1) ∈ h1(J, ∂J) das Urbild von e ∈ h1(I, ∂I) unter dem von der Inklusion I ∼=I − 1/2 → J induzierten Isomorphismus

h1(J, ∂J) ∼= h1(I, ∂I).

Dann erhalten wir:

Korollar 2.16 (relativer Einhangungsisomorphismus via Kreuz-Produkt). Sei · × ·ein externes Produkt auf der Kohomologietheorie h, sei (X,A) ein Raumpaar mit (J×X, ∂J ×X, J ×A) ∈ Ob(Top3) und sei p ∈ Z. Dann ist

e(1)× · : hp(X,A) −→ hp+1((J, ∂J)× (X,A)

)ein Isomorphismus in RMod.

Beweisskizze. Dies folgt mit der langen exakten Paarsequenz von (X,A), der langenexakten Tripelsequenz von (J×X, ∂J×X∪J×A, ∂J×X), der Naturlichkeit von · × · ,der Vertraglichkeit von · × · und dem Funfer-Lemma B.6 aus Proposition 2.14.

Induktiv erhalten wir daraus das folgende Analogon zum außeren Produkt aus derlinearen Algebra und Orientierungen von Vektorraumen; diese Analogie werden wir imKontext von Mannigfaltigkeiten und deRham-Kohomologie nochmal genauer betrach-ten.

Korollar 2.17 (kohomologische Orientierung von Rn). Sei · × · ein externes Produktauf der Kohomologietheorie h und sei n ∈ N>0. Dann heißt das n-fache Kreuz-Produkt

e(n) := e(1)× · · · × e(1) ∈ hn(Rn,Rn \ 0

)kohomologische Orientierung von Rn bezuglich h und · × · .

1. Dann ist e(n) ein Erzeuger von hn(Rn,Rn \ 0) ∼=R R.2. Sind p, q ∈ N>0 mit p+ q = n, so ist

· × · : hp(Rp,Rp \ 0)⊗R hq(Rq,Rq \ 0) −→ hn(Rn,Rn \ 0)

ein Isomorphismus in RMod mit

e(p)× e(q) = e(n).

Beweisskizze. Dies folgt induktiv aus Korollar 2.16.

Korollar 2.18 (kohomologische Orientierung von Rn via Cup-Produkt). Sei · ∪ ·eine multiplikative Struktur auf der Kohomologietheorie h und seien p, q, n ∈ N>0

mit p+ q = n. Dann ist

· ∪ · : hp(Rn,Rn \ 0× Rq)⊗R hq(Rn,Rn \ Rp × 0) −→ hn(Rn,Rn \ 0)

ein Isomorphismus in RMod.

Beweisskizze. Sei · × · das zu · ∪ · assoziierte Kreuz-Produkt. Wir wenden nunKorollar 2.17 an und ubersetzen · × · mithilfe von Proposition 2.12 in · ∪ · .

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α1

α2

=

α1 ∪ α2

Abbildung (2.19): Kohomologiering des zweidimensionalen Torus, schematisch

2.3. Beispiele fur Kohomologieringe

Wir zeigen nun wie man mit den Beobachtungen uber das Kreuz-Produkt aus dem vo-rigen Abschnitt wichtige Beispiele von Kohomologieringen in singularer Kohomologieberechnen kann.

Proposition 2.20 (Kohomologieringe von Tori). Sei R ein kommutativer Ring mitEins und sei · ∪ · eine multiplikative Struktur auf H∗( · ;R). Sei n ∈ N>0 und seiTn := (S1)×n der n-dimensionale Torus.

1. Sei α ∈ H1(S1;R) ∼=R R ein Erzeuger; zu j ∈ 1, . . . , n sei pj : Tn −→ S1 dieProjektion auf den j-ten Faktor und

αj := H1(pj ;R)(α) ∈ H1(Tn;R).

Dann gilt: Ist k ∈ 0, . . . , n, so ist Hk(Tn;R) ein freier R-Modul mit Basis

(αj1 ∪ · · · ∪ αjk)j1,...,jk∈1,...,n,j1<···<jk .

2. Insbesondere folgt: Es gibt einen Isomorphismus∧R

(x1, . . . , xn) ∼= H∗(Tn;R)

in RGradAlg, wobei die außere Algebra∧R(x1, . . . , xn) die kanonische Graduie-

rung mit |x1| = · · · = |xn| = 1 tragt.

Beweisskizze. Dies folgt durch einen geeigneten Vergleich von ([0, 1], 0, 1) mit (S1, 1)bzw. S1 induktiv aus Proposition 2.14.

Man beachte, dass diese Darstellung der Kohomologie eines Torus als Ring effizienterist als die einzelnen Kohomologiemoduln einzeln aufzulisten und die Beziehungen zwi-schen den Kohomologiemoduln in den verschiedenen Graden gut erklart. Man beachtedabei, dass die Produktstruktur des Kohomologierings von S1×S1 der geometrischenIntuition entspricht, dass das Cup-Produkt der Kohomologieklassen, die den beidendefinierenden Kreisen entsprechen, eine Kohomologieklasse liefert, die dem gesamtenTorus entspricht. Diese Beziehung werden wir spater noch weiter prazisieren.

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Abbildung (2.22): Der Badeschaumraum aus Beispiel 2.21

Beispiel 2.21. Falls es eine multiplikative Struktur · ∪ · auf H∗( · ;Z) gibt, gilt:1. Ist n ∈ N>1, so gibt es keinen topologischen Raum X mit (S1)n ' ΣX; dies

folgt aus Proposition 2.20, Proposition 2.9 und Beispiel 2.7.2. Sei

B :=(S1 × 0

)∪((2, 0, 0) + (S1 × 0

))∪((4, 0, 0) + S2

)⊂ R3.

(Abbildung (2.22)). Dann gilt

H∗(B;R) ∼=RGrad H∗(S1 × S1;R)

H∗(B;R) ∼=RGrad H∗(S1 × S1;R)

fur alle kommutativen Ringe R mit Eins. Aber eine einfache Rechnung und Pro-position 2.20 zeigen, dass H∗(B;Z) und H∗(S1 × S1;Z) nicht in ZGradAlg iso-morph sind. Insbesondere ist B 6' S1×S1 (letzteres kann man zum Beispiel auchuber die Fundamentalgruppe sehen).

Satz 2.23 (Kohomologiering reell-projektiver Raume). Sei · ∪ · eine multiplikativeStruktur auf H∗( · ;Z/2), sei n ∈ N>0 und sei α ∈ H1(RPn;Z/2) ∼=Z/2 Z/2 ein/derErzeuger. Dann ist der kanonische Homomorphismus

Z/2[x]/

(xn+1) −→ H∗(RPn;Z/2)

x 7−→ α

ein Isomorphismus in Z/2GradAlg. Dabei tragt Z/2[x]/(xn+1) die kanonische Graduie-rung mit |x| = 1.

Beweisskizze.– Notation. Wir schreiben h fur die Kohomologietheorie H∗( · ;Z/2) und bezeich-

nen Punkte in RPn durch homogene Koordinaten:

Pn := RPn

= Sn/Antipodenoperation

∼= Rn+1 \ 0/R \ 0

=

[x0 : · · · : xn]∣∣ (x0, . . . , xn) ∈ Rn+1 \ 0

.

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– Reformulierung des Problems. Aus den Berechnungen in zellularer Kohomologiewissen wir bereits: Fur alle k ∈ Z ist

hk(Pn) ∼=Z/2

Z/2 falls k ∈ 0, . . . , n0 sonst.

D.h. als graduierte Z/2-Moduln sind Z/2[x]/(xn+1) und h∗(Pn) isomorph. Au-ßerdem gilt fur alle m ∈ 0, . . . , n und alle k ∈ 0, . . . ,m, dass der von derkanonischen Inklusion RPm → Pn induzierte Homomorphismus hk(Pn) −→hk(RPm) ein mit · ∪ · vertraglicher Isomorphismus ist. Induktiv folgt somit,dass es zu zeigen genugt, dass

· ∪ · : hp(Pn)⊗Z/2 hq(Pn) −→ hn(Pn)

fur alle p, q ∈ 1, . . . , n− 1 mit p+ q = n ein Isomorphismus ist.– Zusammenhang mit der kohomologischen Orientierung von Rn. Sei

P :=

[x0 : · · · : xp : 0 : · · · : 0]∣∣ (x0, . . . , xp) ∈ Rp+1 \ 0

∼= RP p

Q :=

[0 : · · · : 0 : xp : · · · : xn]∣∣ (xp, . . . , xn) ∈ Rq+1 \ 0

∼= RP q.

Dann ist

U :=

[x0 : · · · : xp−1 : 1 : xp+1 : · · · : xn]∣∣ (x0, . . . , xp−1, xp+1, . . . , xn) ∈ Rn

∼= Rn

eine offene Umgebung von z := [0 : · · · : 0 : 1 : 0 : · · · : 0] in Pn, wobeiP ∩Q = z ist.Wir betrachten das folgende Diagramm von Z/2-Moduln:

hp(Pn)⊗Z/2 hq(Pn)

· ∪ · // hn(Pn)

hp(Pn, Pn \Q)⊗Z/2 hq(Pn, Pn \ P )

· ∪ · //

OO

hn(Pn, Pn \ z)

OO

hp(Rn,Rn \ 0× Rq)⊗Z/2 hq(Rn,Rn \ Rp × 0) · ∪ ·

// hn(Rn,Rn \ 0)

Dabei sind die vertikalen Homomorphismen von den jeweiligen Inklusionen in-duziert; man beachte dabei, dass U ∼= Rn ist. Das Diagramm ist wegen derNaturlichkeit von · ∪ · kommutativ.Da der untere horizontale Homomorphismus nach Korollar 2.18 ein Isomorphis-mus ist, genugt es zu zeigen, dass die vertikalen Homomorphismen Isomorphis-men sind.

– Abschluss des Beweises. Zellulare Kohomologie und Ausschneidung zeigen, dassdie rechten vertikalen Homomorphismen Isomorphismen sind.

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Mithilfe von zellularer Kohomologie, Ausschneidung und der Homotopieaquiva-lenz P \ z → Pn \Q folgt aus dem Diagramm

hp(Pn) // hp(P )

hp(Pn, Pn \Q) //

OO

hp(P, P \ z)

OO

hp(Rn,Rn \ 0× Rq) // hp(Rp,Rp \ 0)

(und der analogen Situation fur die rechten Faktoren der Tensorprodukte), dassauch die linken vertikalen Homomorphismen Isomorphismen sind.

Mit denselben Methoden beweist man analog:

Satz 2.24 (Kohomologiering komplex-projektiver Raume). Sei · ∪ · eine multiplika-tive Struktur auf H∗( · ;Z), sei n ∈ N>0 und sei α ∈ H2(CPn;Z) ∼=Z Z ein Erzeuger.Dann ist der kanonische Homomorphismus

Z[x]/

(xn+1) −→ H∗(CPn;Z)

x 7−→ α

ein Isomorphismus in ZGradAlg. Dabei tragt Z[x]/(xn+1) die kanonische Graduierungmit |x| = 2.

Diese Berechnungen von Kohomologieringen von projektiven Raumen haben zahl-reiche Konsequenzen:

Beispiel 2.25. Falls es eine multiplikative Struktur auf H∗( · ;Z/2) bzw. H∗( · ;Z)gibt, folgt:

1. Fur alle n ∈ N istcatRPn = n = catCPn.

Dies folgt aus Proposition 2.9, Satz 2.23 bzw. 2.24 und den Uberdeckungen pro-jektiver Raume durch die Standardkartenumgebungen (Abbildung (2.26)).

2. Die Kohomologieringe aus Satz 2.23 bzw. 2.24 und die Struktur von Kohomolo-gieringen von gutartigen Einpunktvereinigungen zeigen

CP 2 6' S2 ∨ S4

RP 3 6' RP 2 ∨ S3

(wobei wir in den Einpunktvereinigungen die Basispunkte verschweigen).

Es gibt viele Anwendungen, in denen die Berechnung der Kohomologieringe projek-tiver Raume eine zentrale Rolle spielt; zum Beispiel:

– Der Satz von Borsuk-Ulam (Satz 3.12).

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Abbildung (2.26): Beispiel fur eine offene Uberdeckung durch Kartenumgebungen

– Die Tatsache, dass Rn nur dann die Struktur einer reellen Divisionsalgebrazulasst, wenn n eine Potenz von 2 ist (Satz 3.22).

– Der Zusammenhang zwischen Kohomologietheorien und formalen Gruppengeset-zen und algebraischer Geometrie (Bemerkung 3.31).

Wir werden diese Anwendungen behandeln, wenn uns die noch fehlenden Hilfsmittelzur Verfugung stehen.

2.4. Konstruktion des Cup-Produkts in singularer Kohomologie

Wir werden nun zeigen, dass singulare Kohomologie tatsachlich eine multiplikativeStruktur besitzt. Dazu werden wir ein solches Cup-Produkt explizit auf dem Koket-tenniveau konstruieren.

Setup 2.27. Im folgenden sei R ein kommutativer [oder involutiver] Ring mit Eins.Wir verwenden den Isomorphismus

H0(•;R) −→←−R

[const∆0→• 7→ a] 7−→←− [ a

in RMod.

Wir beginnen mit dem absoluten Fall und erklaren dann wie man daraus auch dasCup-Produkt im allgemeinen relativen Fall erhalt.

Definition 2.28 (absolutes Cup-Produkt auf C∗( · ;R)). Sei X ein topologischerRaum und seien p, q ∈ Z. Ist p < 0 oder q < 0, so sei · ∪ · : Cp(X;R)⊗RCq(X;R) −→

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σ0 1

2

σc10 1

21bσ

0 1

2

Abbildung (2.29): die 1-Vorderseite und 1-Ruckseite eines 2-Simplexes

Cp+q(X;R) die triviale Abbildung. Sind p, q ∈ N, so definieren wir

· ∪ · : Cp(X;R)⊗R Cq(X;R) −→ Cp+q(X;R)

f ⊗ g 7−→(

map(∆p+q, X) → Rσ 7→ (−1)p·q · f(σcp) · g(qbσ).

)Dabei ist

– das singulare Simplex σcp := σ[0, . . . , p] die p-Vorderseite– und qbσ := σ[p, . . . , p+ q] die q-Ruckseite

von σ ∈ map(∆p+q, X) (Abbildung (2.29)). Zu n, k ∈ N und j0, . . . , jk ∈ 0, . . . , nverwenden wir dabei die Abkurzung

[j0, . . . , jk] : ∆k −→ ∆n

(t0, . . . , tk) 7−→k∑r=0

tr · ejr .

Proposition 2.30 (Eigenschaften des absoluten Cup-Produkts auf C∗( · ;R)). Sei Xein topologischer Raum.

1. Einselement. Ist 1X := const1 ∈ C0(X;R), so gilt fur alle f ∈ C∗(X;R), dass

1X ∪ f = f = f ∪ 1X .

2. Assoziativitat. Fur alle f, g, h ∈ C∗(X;R) gilt

f ∪ (g ∪ h) = (f ∪ g) ∪ h.

3. Naturlichkeit. Fur alle stetigen Abbildungen f : X −→ Y und alle g, h ∈ C∗(Y ;R)gilt

C∗(f ;R)(g ∪ h) = C∗(f ;R)(g) ∪ C∗(f ;R)(h).

4. Kokettenabbildung. Durch die Cup-Produkte aus Definition 2.28 ist eine Koket-tenabbildung · ∪ · : C∗(X;R)⊗R C∗(X;R) −→ C∗(X;R) gegeben.

5. Kohomologie. Fur alle p, q ∈ Z ist

· ∪ · : Hp(X;R)⊗R Hq(X;R) −→ Hp+q(X;R)

[f ]⊗ [g] 7−→ [f ∪ g]

wohldefiniert und linear.

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Beweisskizze. All diese Eigenschaften folgen durch einfaches Nachrechnen aus der De-finition des absoluten Cup-Produkts und Teil 5 kann auch mithilfe des folgenden Lem-mas aus Teil 4 gefolgert werden.

Lemma 2.31 (algebraisches Kreuz-Produkt auf Kokettenkomplexen). Seien C,D ∈Ob(RCoCh) und seien p, q ∈ Z. Dann ist

· × · : Hp(C)⊗R Hq(D) −→ Hp+q(C ⊗R D)

[f ]⊗ [g] −→ [f ⊗ g]

wohldefiniert und linear.

Beweisskizze. Mithilfe der Definition des Korandoperators von Tensorprodukten vonKokettenkomplexen (Definition B.27) uberzeugt man sich leicht davon, dass f ⊗ g einKozykel in C ⊗R D ist, wenn f ∈ C und g ∈ D Kozykel sind und dass sich die davonreprasentierte Klasse nicht andert, wenn f bzw. g durch Addition von Korandernmodifiziert werden.

Bemerkung 2.32 (algebraisches Kreuz-Produkt auf Kettenkomplexen). Analog zuLemma 2.31 erhalt man auch ein algebraisches Kreuz-Produkt fur Kettenkomplexestatt Kokettenkomplexe.

Caveat 2.33 (strikte graduierte Kommutativitat). Das Cup-Produkt auf C∗( · ;R) istim allgemeinen nicht graduiert kommutativ, sondern nur graduiert kommutativ bis aufHomotopie (Proposition 2.34). Dieser

”Fehler“ wir durch die sogenannten Steenrod-

Quadrate gemessen.

Proposition 2.34 (graduierte Kommutativitat des absoluten Cup-Produkts). Sei Xein topologischer Raum und sei TX : C∗(X;R)⊗RC∗(X;R) −→ C∗(X;R)⊗RC∗(X;R)die naturliche Kokettenabbildung, die durch

Cp(X;R)⊗R Cq(X;R) −→ Cq(X;R)⊗R Cp(X;R)

f ⊗ g 7−→ (−1)p·q · g ⊗ f

fur alle p, q ∈ Z gegeben ist.1. Dann gibt es eine (in X und R naturliche) Kokettenhomotopie

( · ∪ · ) TX ' · ∪ · : C∗(X;R)⊗R C∗(X;R) −→ C∗(X;R).

2. Insbesondere gilt: Fur alle p, q ∈ Z und alle ϕ ∈ Hp(X;R), ψ ∈ Hq(X;R) ist

ϕ ∪ ψ = (−1)p·q · ψ ∪ ϕ.

Der Beweis beruht auf einem geeigneten”Umdrehen“ der singularen Simplizes:

Lemma 2.35 (umgedrehte singulare Simplizes). Sei X ein topologischer Raum. Zun ∈ N sei

%X,n : Cn(X) −→ Cn(X)

map(∆n, X) 3 σ 7−→ (−1)n·(n+1)

2 · σ[n, . . . , 0],

und zu n ∈ Z<0 sei %X,n : Cn(X) −→ Cn(X) der triviale Homomorphismus.

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−σ

ρX(σ)

−1

0

2 1

−1

0 1

2

Abbildung (2.36): Variante der Prismenzerlegung fur Lemma 2.35 in Dimension 1

1. Dann ist %X := (%X,n)n∈Z : C(X) −→ C(X) eine Kettenabbildung.2. Es gibt eine naturliche Kettenhomotopie %X 'ZCh idC(X).

Beweisskizze. Der erste Teil ergibt sich durch Nachrechnen. Der zweite Teil folgt mit ei-ner geeigneten Variante der Prismenzerlegung (Lemma II.3.22 und Abbildung (2.36)).

Beweisskizze (von Proposition 2.34). Es genugt den ersten Teil zu zeigen. Wir be-trachten die Kokettenabbildung

%∗X := HomZ(%X , R) : C∗(X;R) −→ C∗(X;R).

Nach Lemma 2.35 gibt es dann eine (in X und R naturliche) Kokettenhomotopie %∗X 'idC∗(X;R). Außerdem zeigt eine Rechnung, dass

( · ∪ · ) TX (%∗X ⊗R %∗X) = %∗X ( · ∪ · ).

Also erhalten wir eine (in X und R naturliche) Kokettenhomotopie

( · ∪ · ) TX ' · ∪ · TX (%∗X ⊗R %∗X)

= %∗X ( · ∪ · )' · ∪ · ,

wie gewunscht.

Die Konstruktion des absoluten Cup-Produkts in singularer Kohomologie ist da-mit abgeschlossen. Wir gehen nun zum relativen Fall uber und erklaren wie sich dieEigenschaften des absoluten Cup-Produkts in die entsprechenden Eigenschaften desrelativen Cup-Produkts ubersetzen.

Definition 2.37 (relatives Cup-Produkt auf H∗( · ;R)). Sei (X,A,B) ∈ Ob(Top3)und seien p, q ∈ Z. Dann definieren wir

· ∪ · : Hp(X,A;R)⊗R Hq(X,B;R) −→ Hp+q(X,A ∪B;R)

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als die von

Cp(X,A;R)⊗R Cq(X,B;R)· ∪ · // HomZ

(Cp+q(X)

Cp+q(A)+Cp+q(B) , R)

HomZ

(Cp+q(X)

Cp+q(A∪B) , R)

oo

Cp+q(X,A ∪B;R)

und vom algebraischen Kreuz-Produkt (Lemma 2.31) induzierte Abbildung in Koho-mologie; man beachte dabei:

– Die linke Abbildung ist aufgrund der Definition des absoluten Cup-Produktsauf C∗( · ;R) wohldefiniert.

– Die rechte Abbildung ist von der Inklusion C∗(A)+C∗(B) → C∗(A∪B) induziertund somit eine Kokettenhomotopieaquivalenz: Die Inklusion C∗(A) + C∗(B) →C∗(A∪B) ist wegen (X,A,B) ∈ Ob(Top3) und den Unterteilungsargumenten fursingulare Ketten (Satz II.3.34) ein Homologieisomorphismus; nach dem Funfer-Lemma (Proposition B.6) ist dann auch die induzierte Abbildung

C∗(X)

C∗(A) + C∗(B)−→ C∗(X)

C∗(A ∪B)

ein Homologieisomorphismus. Da es sich bei den betrachteten (Quotienten)Ket-tenkomplexen um freie Kettenkomplexe handelt, die nach unten beschrankt sind,ist diese Kettenabbildung bereits eine Kettenhomotopieaquivalenz. Mit Korol-lar B.52 ist somit auch das Dual davon eine Kokettenhomotopieaquivalenz.

– Wir schreiben im folgenden kurz

C∗(X,A+B;R) := HomZ(C∗(X)/(C∗(A) + C∗(B)), R

).

Ist A ⊂ B oder B ⊂ A (z.B. A = ∅ oder B = ∅, so ist die rechte Ausschneidungsabbil-dung die Identitat.

Satz 2.38 (multiplikative Struktur auf H∗( · ;R)). Das in Definition 2.28 und 2.37definierte Cup-Produkt auf H∗( · ;R) ist eine multiplikative Struktur auf der Kohomo-logietheorie H∗( · ;R) im Sinne von Definition 2.3.

Beweisskizze. Wir weisen nach, dass die Axiome aus Definition 2.3 erfullt sind (in eineretwas angenehmeren Reihenfolge):

1. Einselement. Wir betrachten 1X := H0(X → •;R)(1) ∈ H0(X;R). Da 1X eineKlasse in absoluter Kohomologie ist, muss in diesem Fall kein Ausschneidungs-isomorphismus angewendet werden und die Neutralitat von 1X folgt somit ausder entsprechenden Aussage fur das absolute Cup-Produkt aus Proposition 2.30.

2. Naturlichkeit. Naturlichkeit erhalten wir aus der Naturlichkeit des Cup-Produktsauf C∗( · ;R) (Proposition 2.30) und der Naturlichkeit der beteiligten Ausschnei-dungsisomorphismen.

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3. graduierte Kommutativitat. Sei (X,A,B) ∈ Ob(Top3). Wir betrachten das fol-gende Diagramm:

C∗(X,A;R)⊗R C∗(X,B;R)

induziert von TX

· ∪ · // C∗(X,A+B;R)

id

C∗(X,A ∪B;R)

id

'oo

C∗(X,B;R)⊗R C∗(X,A;R) · ∪ ·// C∗(X,A+B;R) C∗(X,A ∪B;R)'

oo

Die rechten horizontalen Abbildungen sind dabei durch die Inklusion C∗(A) +C∗(B) → C∗(A∪B) induziert und das rechte Quadrat ist offenbar kommutativ.Das linke Quadrat kommutiert bis auf Kokettenhomotopie – da die entsprechen-den Kokettenhomotopien im absoluten Fall naturlich sind (Proposition 2.34) undsich deshalb auf den relativen Fall ubertragen lassen. Anwenden von Kohomolo-gie liefert somit die graduierte Kommutativitat.

4. Assoziativitat. Die Assoziativitat folgt aus der Assoziativitat des absoluten Cup-Produkts auf Koketten und der Naturlichkeit des Cup-Produkts auf Koketten;man beachte dabei, dass jeweils die entsprechenden Ausschneidungsschritte ein-gebaut werden mussen.

5. Vertraglichkeit mit den Verbindungshomomorphismen. Sei (X,A,B) ∈ Ob(Top3)und seien p, q ∈ Z. Aufgrund der graduierten Kommutativitat genugt es dieerste Variante zu zeigen. Wir betrachten das Diagramm in Abbildung (2.39).Man beachte, dass der durch das Cup-Produkt auf Kokettenniveau gegebeneHomomorphismus À wohldefiniert ist (da die Koketten des zweiten Argumentsauf singularen Simplizes auf B verschwinden). Naturlichkeit des Cup-Produktsbzw. der Verbindungshomomorphismen in Tripelsequenzen zeigt, dass alle Drei-bzw. Vierecke dieses Diagramms kommutieren – mit Ausnahme des oberen linkenVierecks, fur das ein separates Argument notig ist: Seien f ∈ Cp(A;R) und

g ∈ Cq(X,B;R) Kozykel, und sei f ∈ Cp(X;R) eine Fortsetzung von f . Danngilt (Satz 1.15; es spielt dabei keine Rolle, welche Fortsetzung gewahlt wird, wieeine einfache Rechnung zeigt)

δ[f ] = [δf ].

Die linke untere Route in diesem Viereck ergibt also(δ[f ]

)∪ [g] = [(δf) ∪ g];

da f ∪g eine Fortsetzung von f ∪g von C∗(A)+C∗(B) auf C∗(X) ist und δg = 0ist, ergibt die rechte obere Route

δ[f ∪ g] =[δ(f ∪ g)

]=[(δf) ∪ g + (−1)p · f ∪ (δg)

]=[(δf) ∪ g].

Also ist auch dieses Viereck kommutativ. Damit ist das gesamte Diagramm kom-mutativ. Dies entspricht genau der Vertraglichkeit des Cup-Produkts mit Ver-bindungshomomorphismen.

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Hp(A;R)⊗R Hq(X,B;R) //

δ⊗Rid

· ∪ ·À

++

Hp(A;R)⊗R Hq(A,B;R)

· ∪ ·

Hp+q(A+B,B;R) //

δ

Hp+q(A,A ∩B;R)

Hp+1(X,A;R)⊗R Hq(X,B;R)· ∪ · //

· ∪ ·

Hp+1+q(X,A+B;R) Hp+q(A ∪B,B;R)

jj

∼=

OO

δ

Hp+1+q(X,A ∪B;R)

∼=

33

Hp+q+1(X,A ∪B;R)

∼=

jj

Abbildung (2.39): Vertraglichkeit des Cup-Produkts mit den Verbindungshomomor-phismen; die unbeschrifteten Abbildungen sind durch die entspre-chenden Inklusionen induziert.

Bemerkung 2.40 (assoziiertes Kreuz-Produkt, explizit). Wir definieren wie folgt einexternes Produkt · × · auf C∗( · ;R): Sind X und Y topologische Raume und sindp, q ∈ N, so definieren wir

· × · : Cp(X;R)⊗R Cq(Y ;R) −→ Cp+q(X × Y ;R)

f ⊗ g 7−→ Cp(pX)(f) ∪ Cq(pY )(g)

=(σ 7→ (−1)p·q · f((pX σ)cp) · g(qb(pY σ))

),

wobei pX : X × Y −→ X und pY : X × Y −→ Y die Projektionen sind; umgekehrtgilt: Ist ∆X : X −→ X × X die Diagonalabbildung, so folgt fur alle f ∈ Cp(X;R),g ∈ Cq(X;R), dass

f ∪ g = Cp+q(∆X ;R)(f × g).

Es induziert · × · ein externes Produkt auf H∗( · ;R) und dieses stimmt mit demzu · ∪ · assozierten Kreuz-Produkt (Proposition 2.12) uberein.

Bemerkung 2.41 (Vertraglichkeit des Cup-Produkts mit Koeffizientenwechsel). IstS ein kommutativer Ring mit Eins und ist ϕ : S −→ R ein unitaler Ringhomomorphis-mus, so induziert ϕ naturliche Transformationen

C∗( · ;R) =⇒ C∗( · ;S) : Top2 −→ ZCoCh

H∗( · ;R) =⇒ H∗( · ;S) : Top2 −→ ZGrad

C∗H∗( · ;R)( · ) =⇒ C∗H∗( · ;S)( · ) : CW2 −→ ZCoCh

und die ersten beiden sind mit den entsprechenden Cup-Produkten vertraglich.

Beispiel 2.42 (der Kohomologiering H∗(RPn;Z)). Sei n ∈ N≥2, sei p : Z −→ Z/2 dersurjektive Ringhomomorphismus und sei c : H∗(RPn;Z) −→ H∗(RPn;Z/2) der von p

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induzierte Koeffizientenwechselhomomorphismus. Den graduierten Modul H∗(RPn;Z)haben wir bereits in Beispiel 1.20 und Satz 1.23 berechnet. Sei α ∈ H2(RPn;Z) ∼=Z Z/2der Erzeuger; ist n ungerade, so sei β ∈ Hn(RPn;Z) ∼=Z Z ein Erzeuger. Außerdemschreiben wir k := bn/2c.

Aus der Betrachtung der zellularen Kokettenkomplexe folgt, dass das Bildelementc(α) ∈ H2(RPn;Z/2) ∼=Z/2 Z/2 der Erzeuger ist; insbesondere gilt

c(α∪m) =(c(α)

)∪m 6= 0 ∈ H2·m(RPn;Z/2)

fur alle m ∈ 1, . . . , k, und damit α∪m 6= 0 ∈ H2·m(RPn;Z). Aus Dimensionsgrundenerhalten wir somit:

– Ist n = 2 · k gerade, so ist

Z[x]/(2 · x, xk+1) −→ H∗(RPn;Z)

x 7−→ α

ein Isomorphismus graduierter Ringe, wobei |x| = 2.– Ist n = 2 · k + 1 ungerade, so ist

Z[x, y]/(2 · x, xk+1, x · y, y2) −→ H∗(RPn;Z)

x 7−→ α

y 7−→ β

ein Isomorphismus graduierter Ringe, wobei |x| = 2, |y| = n.

Bemerkung 2.43 (Cup-Produkt auf beschrankter Kohomologie). Die explizite Be-schreibung des Cup-Produkts auf C∗( · ;R) zeigt, dass es ein wohldefiniertes Cup-Produkt auf dem beschrankten Kokettenkomplexfunktor C∗b ( · ;R) induziert. Dieseswiederum induziert ein Cup-Produkt(

· ∪ · : Hpb (X,A;R)⊗R H

qb (X,A;R) −→ Hp+q

b (X,A;R))p,q∈Z,(X,A)∈Ob(Top2)

auf beschrankter Kohomologie H∗b ( · ;R).11 Dieses Cup-Produkt ist naturlich, assozia-tiv, graduiert kommutativ (hierbei geht ein, dass die (Ko)Kettenhomotopien im Fallsingularer Kohomologie naturlich sind und sich deshalb auf den beschrankten Koket-tenkomplex einschranken) und besitzt ein Einselement. Außerdem gilt eine geeigneteForm der Vertraglichkeit mit Verbindungshomomorphismen.

Man beachte dabei, dass es im allgemeinen kein vernunftiges Cup-Produkt der FormHpb (X,A;R)⊗RH

qb (X,B;R) −→ Hp+q

b (X,A∪B;R) gibt, da beschrankte Kohomologieim allgemeinen Ausschneidung nicht erfullt.

Bemerkung 2.44 (Cup-Produkt via Eilenberg-MacLane-Spektren). Zu p, q ∈ N kannman explizit eine stetige Abbildungm : K(R, p)×K(R, q) −→ K(R, p+q) konstruieren,

11Mehr zu beschrankter Kohomologie findet sich zum Beispiel im Skript zur Vorlesung AlgebraischeTopologie III, Georg-August-Universitat Gottingen, WS 2009/10http://www.mathematik.uni-r.de/loeh/teaching/topologie3 ws0910/prelim.pdf

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die die folgende Eigenschaft besitzt: Die Abbildung

Hp( · ;R)×Hq( · ;R) // Hp+q( · ;R)

[· ,K(R, p)

]∗ ×

[· ,K(R, q)

]∗

//

∼=

OO

[· ,K(R, p+ q)

]∗

∼=

OO

([f ]∗, [g]∗

) //[m (f, g)

]∗

stimmt auf CW0∗ mit dem Cup-Produkt · ∪ · uberein. Allgemeiner liefern Spektrenmit zusatzlicher multiplikativer Sturktur (sogenannte Ringspektren) auf den durch siereprasentierten Kohomologietheorien multiplikative Strukturen.

Es stellen sich nun die folgenden Fragen:– Wieviel Spielraum gibt es bei der Konstruktion des Cup-Produkts auf (Ko)Ket-

tenniveau? Man beachte dabei, dass das Cup-Produkt auf singularer Kohomo-logie von (endlichen) CW-Komplexen durch die kohomologische Orientierungvon Rn (Korollar 2.17 und 2.18) im wesentlichen eindeutig festgelegt ist.

– Wie konnen wir (externe) Produkte auf singularer Homologie konstruieren?– Wie konnen wir singulare Kohomolgoie und singulare Homologie und ihre Pro-

dukte durch geeignete Paarungen verbinden?All diese Fragen lassen sich bequem uber sogenannte Diagonalapproximationen unddie Methode der azyklischen Modelle (Kapitel B.5) beantworten.

2.5. Diagonalapproximationen und der Satz von Eilenberg-Zilber

Wir beginnen mit Diagonalapproximationen und dem Bezug zum Cup-Produkt aufsingularer Homologie. Im Anschluss betrachten wir eine analoge Situation in mehrerenVariabelen – den Satz von Eilenberg-Zilber (Satz 2.55) – der fur externe Produkteauf Homologie und den Zusammenhang zwischen homologischen und kohomologischenProdukten in singularer (Ko)Homologie relevant werden wird.

Definition 2.45 (Diagonalapproximation). Eine Diagonalapproximation ist eine na-turliche Transformation D : C( · ) =⇒ C( · ) ⊗Z C( · ) von Funktoren Top −→ ZChmit: fur alle topologischen Raume X und alle σ ∈ map(∆0, X) gilt

DX(σ) = σ ⊗ σ.

Der Name Diagonalapproximation leitet sich daraus ab, dass Diagonalapproxima-tionen im Grad 0 der Diagonalabbildung in das Tensorprodukt entsprechen und diesezu einer Kettenabbildung fortsetzen. Man beachte dabei, dass fur C ∈ Ob(ZCh) dieDiagonalabbildung

C −→ C ⊗Z C

x 7−→ x⊗ x

selbst im allgemeinen keine Kettenabbildung ist.

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Proposition 2.46 (Alexander-Whitney-Abbildung). Ist X ein topologischer Raum,so ist die Alexander-Whitney-Abbildung von X durch

AX : C(X) −→ C(X)⊗Z C(X)

map(∆n, X) 3 σ 7−→n∑p=0

σcp ⊗ n−pbσ

definiert. Dann ist (AX)X∈Ob(Top) eine Diagonalapproximation.

Beweisskizze. Die gewunschten Eigenschaften lassen sich leicht anhand der Definitio-nen nachrechnen.

Proposition 2.47 (von einer Diagonalapproximation induziertes Cup-Produkt). SeiR ein kommutativer Ring mit Eins und sei X ein topologischer Raum.

1. Sei D : C( · ) =⇒ C( · )⊗Z C( · ) eine Diagonalapproximation. Sind p, q ∈ Z, soist

· ∪D · : Hp(X;R)⊗R Hq(X;R) −→ Hp+q(X;R)

[f ]⊗ [g] 7−→[(−1)p·q ·mR (f ⊗Z g) DX

]wohldefiniert und linear. Dabei ist mR : R⊗Z R −→ R die Multiplikation.

2. Sind D und D′ Diagonalapproximationen mit DX 'ZCh D′X , so stimmen · ∪D ·

und · ∪D′ · auf H∗(X;R) uberein.

Beweisskizze. Nachrechnen zeigt, dass12

C∗(X;R)⊗R C∗(X;R) −→ C∗(X;R)

f ⊗ g 7−→ (−1)|f |·|g| ·mR (f ⊗Z g) DX

fur eine DiagonalapproximationD eine Kokettenabbildung ist. Daraus lassen sich leichtbeide Aussagen folgern.

Beispiel 2.48. Das Cup-Produkt auf H∗( · ;R) stimmt fur jeden kommutativenRing R mit Eins mit dem von der Alexander-Whitney-Diagonalapproximation A in-duzierten Cup-Produkt · ∪A · uberein.

Satz 2.49 (Eindeutigkeit von Diagonalapproximationen). Sind D und D′ : C( · ) =⇒C( · )⊗Z C( · ) Diagonalapproximationen, so gibt es eine naturliche Kettenhomotopiezwischen D und D′.

Als Vorbereitung betrachten wir singulare Kettenkomplexe von Simplizes genauer:

Lemma 2.50 (singulare Kettenkomplexe von Simplizes). Sei CZ ∈ Ob(ZCh) der Ket-tenkomplex, der im Grad 0 konzentriert ist und dort durch Z gegeben ist, und sein ∈ N.

12Ist C ein Kokettenkomplex, ist p ∈ Z und x ∈ Cp, so schreibt man auch |x| := p. Analog furKettenkomplexe.

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1. Dann ist C(∆n) 'ZCh CZ.2. Insbesondere gilt: Ist C ∈ Ob(ZCh), so folgt

C ⊗Z C(∆n) 'ZCh C.

Beweisskizze (von Lemma 2.50). Der zweite Teil folgt aus dem ersten; der erste Teilkann auf verschiedene Weisen aus den bereits bekannten Eigenschaften von C(∆n)gefolgert werden.

Beweisskizze (von Satz 2.49). Mithilfe von Lemma 2.50 folgt die Eindeutigkeit vonDiagonalapproximationen aus dem Satz uber azyklische Modelle (Satz B.60 und dieBeispiele aus Abschnitt B.5).

Korollar 2.51 (Cup-Produkt via Diagonalapproximationen). Sei R ein kommutativerRing mit Eins und sei D : C( · ) =⇒ C( · ) ⊗Z C( · ) eine Diagonalapproximation.Dann stimmt · ∪D · in der Kategorie Top auf H∗( · ;R) mit dem gewohnlichenCup-Produkt auf singularer Kohomologie uberein.

Beweisskizze. Dies folgt aus den Eigenschaften der Alexander-Whitney-Diagonalap-proximation und dem Eindeutigkeitssatz 2.49.

Die Eigenschaften des Cup-Produkts lassen sich nun alternativ zu den explizitenBerechnungen im vorigen Abschnitt auch aus den Eigenschaften von Diagonalapproxi-mationen ableiten; diesen Zugang werden wir im analogen Fall des externen Produktsauf singularer Homologie (Abschnitt 2.6) genauer betrachten.

Außerdem kann man zeigen, dass analoge Uberlegungen auch auf das relative Cup-Produkt zutreffen.

Wir betrachten nun die analoge Situation fur externe Produkte:

Definition 2.52 (Eilenberg-Zilber-Morphismen). Naturliche Transformationen derForm

P : C(À)⊗Z C(Á) =⇒ C(À×Á) : Top×Top −→ ZCh

Q : C(À×Á) =⇒ C(À)⊗Z C(Á) : Top×Top −→ ZCh

heißen Eilenberg-Zilber-Morphismen vom Typ ⊗ → × bzw. × → ⊗, falls

P (σ ⊗ τ) = (σ, τ) bzw. Q(σ, τ) = σ ⊗ τ

fur alle topologischen Raume X,Y und alle σ ∈ map(∆0, X), τ ∈ map(∆0, Y ) gilt.

Beispiel 2.53.– Ist D : C( · ) =⇒ C( · )⊗Z C( · ) eine Diagonalapproximation, so ist

(C(X × Y )

DX×Y// C(X × Y )⊗Z C(X × Y )

C(pX)⊗ZC(pY )// C(X)⊗Z C(Y )

)X,Y ∈Ob(Top)

ein Eilenberg-Zilber-Morphismus vom Typ × → ⊗; dabei sind pX : X×Y −→ Xund pY : X × Y −→ Y die Projektionen.

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Abbildung (2.54): Die moglichen Kantenwege von (2, 2)-Shuffles

– Explizite Eilenberg-Zilber-Morphismen vom Typ⊗ → × erhalt man zum Beispielaus dem sogenannten Shuffle-Produkt : Seien p, q ∈ N. Ein (p, q)-Shuffle ist eineAbbildung s : 0, . . . , p+ q −→ 0, . . . , p×0, . . . , q mit der Eigenschaft, dassdie beiden Komponenten s1 und s2 von s monoton wachsend sind und

s(0) = (0, 0) und s(p+ q) = (p, q)

gilt. Die Menge aller (p, q)-Shuffles bezeichnen wir mit S(p, q). Ist s ∈ S(p, q),so entspricht die Folge (s(0), . . . , s(p + q)) einem Kantenweg im Quadratgitterauf 0, . . . , p×0, . . . , q. Zum Beispiel sind die Elemente von S(2, 2) durch diein Abbildung (2.54) skizzierten Kantenwege in 0, 1, 2 × 0, 1, 2 gegeben.Zu einem Shuffle s ∈ S(p, q) sei (x1, . . . , xp, y1, . . . , yq) die eindeutige Permutati-on von 1, . . . , p+ q mit folgender Eigenschaft: Es gilt

x1 < x2 < · · · < xp und y1 < y2 < · · · < yq

∀j∈1,...,p s1(xj) > s1(xj − 1) und ∀j∈1,...,q s2(yj) > s2(yj − 1).

Sei εs ∈ −1, 1 das Signum dieser Permutation (x1, . . . , xp, y1, . . . , yq). Außer-dem sei σs :=

([s1(0), . . . , s1(p+q)], [s2(0), . . . , s2(p+q)]

)∈ map(∆p+q,∆p×∆q):

σs : ∆p+q −→ ∆p ×∆q

(t0, . . . , tp+q) 7−→(p+q∑j=0

tj · es1(j),

p+q∑j=0

tj · es2(j)

)Sind X und Y topologische Raume, so definieren wir das Shuffle-Produkt

SX,Y : Cp(X)⊗Z Cq(Y ) −→ Cp+q(X × Y )

σ ⊗ τ 7−→∑

s∈S(p,q)

εs · (σ, τ) σs.

– Fur kubische singulare Homologie konnen Eilenberg-Zilber-Morphismen vomTyp ⊗ → × einfach durch kartesische Produktbildung singularer Wurfel kon-struiert werden (da kartesische Produkte von Wurfeln wieder Wurfel sind).

Satz 2.55 (der Satz von Eilenberg-Zilber).1. Es gibt Eilenberg-Zilber-Morphismen vom Typ ⊗ → × und vom Typ × → ⊗ und

diese sind jeweils bis auf naturliche Kettenhomotopie eindeutig.

53

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2. Sind P und Q Eilenberg-Zilber-Morphismen vom Typ ⊗ → × bzw. × → ⊗, sosind P Q und Q P jeweils naturlich kettenhomotop zur Identitat.

3. (Ko)Assoziativitat. Seien P und Q Eilenberg-Zilber-Morphismen vom Typ ⊗ →× bzw. × → ⊗. Dann sind

PÀ×Á, (PÀ,Á ⊗Z id) und PÀ,Á× (id⊗ZPÁ,Â)

bzw.(QÀ,Á ⊗Z id) QÀ×Á, und (id⊗ZQÁ,Â) QÀ,Á×Â

jeweils naturlich kettenhomotop als naturliche Transformationen von Funkto-ren Top×Top×Top −→ ZCh.

4. (Ko)Kommutativitat. Seien P und Q Eilenberg-Zilber-Morphismen vom Typ ⊗ →× bzw. × → ⊗. Fur topologische Raume X und Y seien

τX,Y : X × Y −→ Y ×X(x, y) 7−→ (y, x)

bzw.

TX,Y : C(X)⊗Z C(Y ) −→ C(Y )⊗Z C(X)

x⊗ y 7−→ (−1)|x|·|y| · y ⊗ x

die entsprechenden Vertauschungsabbildungen. Dann sind

C(τÀ,Á) PÀ,Á und PÁ,À TÀ,Á

bzw.QÁ,À C(τÀ,Á) und TÀ,Á QÀ,Á

jeweils naturlich kettenhomotop als naturliche Transformationen von Funkto-ren Top×Top −→ ZCh.

Beweisskizze. Mithilfe von Lemma 2.50 (bzw. Varianten davon) folgen diese Aussagenaus dem Satz uber azyklische Modelle (Satz B.60 und die Beispiele aus Abschnitt B.5)und konkreten Berechnungen im Grad 0.

Aus der Naturlichkeit der involvierten Kettenabbildungen bzw. -homotopien erhal-ten wir auch entsprechende relative Varianten:

Bemerkung 2.56 (relative Eilenberg-Zilber-Morphismen). Seien P und Q Eilenberg-Zilber-Morphismen vom Typ ⊗ → × bzw. × → ⊗. Sind (X,A) und (Y,B) Raumpaare,so erhalten wir folgendes Diagramm mit exakten Zeilen und kommutativen Quadraten:

0 // C(A)⊗Z C(Y ) + C(X)⊗Z C(B) //

C(X)⊗Z C(Y ) //

PX,Y

C(X,A)⊗Z C(Y,B) //

P (X,A),(Y,B)

0

0 // C(A× Y ) + C(X ×B) //

OO

C(X × Y ) //

QX,Y

OO

C(X×Y )C(A×Y )+C(X×B)

//

Q(X,A),(Y,B)

OO

0

54

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Die vertikalen Abbildungen sind dabei von P bzw. Q induziert, die horizontalen vonden entsprechenden Inklusionen. Fur die Exaktheit der oberen Zeile beachte man, dassC(X) bzw. C(Y ) gradweise frei sind. Dann gilt:

1. Es gibt naturliche Kettenhomotopien zwischen P Q bzw. Q P und den ent-sprechenden Identitaten.

2. Insbesondere sind auch P und Q bis auf naturliche Kettenhomotopie eindeutigbestimmt.

3. Aus P erhalten wir eine naturliche Transformation

P : C(À)⊗Z C(Á) =⇒ C(À×Á)

von Funktoren Top2×Top2 −→ ZCh+ durch(

C(X,A)⊗ C(Y,B)P (X,A),(Y,B)

// C(X×Y )C(A×Y )+C(X×B)

// C((X,A)× (Y,B)

) )(X,A),(Y,B)∈Ob(Top2)

(wobei der rechte Morphismus von der Inklusion C(A × Y ) + C(X × B) →C(A×Y ∪X×B) der herausgeteilten Unterkomplexe induziert ist). Dann ist auch

P bis auf naturliche Kettenhomotopie eindeutig bestimmt, und diese naturlicheTransformation ist bis auf Homotopie assoziativ bzw. kommutativ.

2.6. Externe Produkte auf Homologie

Wir betrachten nun Produkte auf Homologie.

Caveat 2.57. Es gibt auf H∗( · ;Z) kein nicht-triviales naturliches internes Produkt!

Wir betrachten daher nur externe Produkte auf Homologietheorien. Wir beginnenmit einer axiomatischen Beschreibung (analog zu externen Produkten auf Kohomolo-gietheorien, Definition 2.11) und zeigen dann, wie man mithilfe von Eilenberg-Zilber-Morphismen ein externes Produkt auf singularer Homologie erhalt.

Setup 2.58. Im folgenden sei R ein kommutativer13 Ring mit Eins.

Definition 2.59 (externes Produkt auf einer Homologietheorie). Sei h eine Homo-logietheorie auf Top2 mit Werten in RMod und sei ein Isomorphismus h0(•) ∼=R Rgegeben; sei 1 ∈ h0(•) das entsprechende Einselement. Ein externes Produkt auf derHomologietheorie h ist eine Familie(· × · : hp(X,A)⊗Rhq(Y,B) −→ hp+q

((X,A)×(Y,B)

))p, q ∈ Z, (X,A), (Y,B) ∈ Ob(Top2)

von R-linearen Abbildungen (sogenannter Kreuz-Produkte) mit folgenden Eigenschaf-ten:

13bzw. involutiver

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– Naturlichkeit. Fur alle (X,A), (Y,B), (X ′, A′), (Y ′, B′) ∈ Ob(Top2), alle f ∈MorTop2((X,A), (X ′, A′)), g ∈ MorTop2((Y,B), (Y ′, B′)), alle p, q ∈ Z und al-le x ∈ hp(X,A), y ∈ hq(Y,B) gilt

hp+q(f × g)(x× y) = hp(f)(x)× hq(g)(y).

– Assoziativitat. Fur alle Homologieklassen x, y, z, fur die die entsprechenden Kreuz-Produkte definiert sind, gilt

x× (y × z) = (x× y)× z.

– (graduierte) Kommutativitat. Fur alle (X,A), (Y,B) ∈ Ob(Top2), alle p, q ∈ Zund alle x ∈ hp(X,A), y ∈ hq(Y,B) gilt

hp+q(τX,Y )(x× y) = (−1)p·q · y × x,

wobei

τX,Y : X × Y −→ Y ×X(x, y) 7−→ (y, x).

– Einselement. Fur alle Raumpaare (X,A), alle p ∈ Z und alle x ∈ hp(X,A) gilt

1× x = x = x× 1.

In den Gleichheiten gehen die kanonischen Homoomorphismen • × (X,A) ∼=(X,A) ∼= (X,A)× • ein.

– Vertraglichkeit mit Verbindungshomomorphismen. Seien (X,A), (Y,B) Raum-paare mit (X × Y,A× Y,X ×B) ∈ Ob(Top3) und seien p, q ∈ Z.

1. Ist x ∈ hp(X,A) und y ∈ hq(Y,B), so gilt

(∂x)× y = ∂À(x× y),

wobei ∂ : hp(X,A) −→ hp−1(A) der Verbindungshomomorphismus des Paa-res (X,A) ist und ∂À die Komposition

hp+q(X×Y,A×Y ∪X×B) −→ hp+q−1(A×Y ∪X×B,X×B)←− hp+q−1(A×Y,A×B)

aus dem Verbindungsmorphismus der entsprechenden Tripelsequenz unddem Ausschneidungsisomorphismus ist.

2. Ist x ∈ hp(X,A) und y ∈ hq(Y,B), so gilt

x× (∂y) = (−1)p · ∂Á(x× y),

wobei ∂ : hq(X,B) −→ hq−1(B) der Verbindungshomomorphismus des Paa-res (X,B) ist und ∂Á die Komposition

hp+q(X×Y,A×Y ∪X×B) −→ hp+q−1(A×Y ∪X×B,A×Y )←− hp+q−1(X×B,A×B)

aus dem Verbindungsmorphismus der entsprechenden Tripelsequenz unddem Ausschneidungsisomorphismus ist.

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Caveat 2.60. Da Homologie kovariant ist, kann man im Fall von externen Produk-ten auf Homologie im allgemeinen kein internes Produkt auf Homologie mithilfe derDiagonalabbildung (wie in Proposition 2.12) konstruieren.14

Bemerkung 2.61 (Einhangungsisomorphismus und homologisches Kreuz-Produkt).Analog zum Fall von Kohomologie (Proposition 2.14 und Korollar 2.16) erlauben esexterne Produkte auf Homologie, eine alternative Beschreibung des Einhangungsiso-morphismus auf Homologie zu geben.

Wir erwahnen hier nur explizit die folgende Konsequenz:

Proposition 2.62 (homologische Orientierung auf Rn). Sei h eine Homologietheo-rie auf Top2 mit Werten in RMod, sei · × · ein externes Produkt auf der Ho-mologietheorie h, es sei ein Isomorphismus h0(•) ∼=R R gegeben, und es sei ε(1) ∈h1(R,R\0) ∼=R R als Bild von 1 ∈ h0(•) unter der folgenden Komposition definiert:

h0(•)h0(•7→−1)

// h0

(R \ 0, 1

)h1

(R,R \ 0

)∂oo

(Dabei ist der rechte Morphismus ein Isomorphismus, wie man leicht anhand der lan-gen exakten Tripelsequenz abliest.) Sei n ∈ N>0. Dann heißt das n-fache Kreuz-Produkt

ε(n) := ε(1)× · · · × ε(1) ∈ hn(Rn,Rn \ 0

)homologische Orientierung von Rn bezuglich h und · × · .

1. Dann ist ε(n) ein Erzeuger von hn(Rn,Rn \ 0) ∼=R R.2. Sind p, q ∈ N>0 mit p+ q = n, so ist

· × · : hp(Rp,Rp \ 0)⊗R hq(Rq,Rq \ 0) −→ hn(Rn,Rn \ 0)

ein Isomorphismus in RMod mit

ε(p)× ε(q) = ε(n).

Beweisskizze. Dies folgt analog zu Korollar 2.17 aus der entsprechenden Beschreibungdes Einhangungsisomorphismus.

Dies liefert, dass externe Produkte auf endlichen CW-Komplexen auf gewohnlichenHomologietheorien im wesentlichen eindeutig bestimmt sind.

Wir konstruieren nun ein/das externes Produkt auf singularer Homologie mithilfevon Eilenberg-Zilber-Morphismen:

Setup 2.63. Im folgenden identifizieren wir H0( · ;R) durch den Isomorphismus

H0(•;R) −→←−R

[a · const] 7−→←− [ a

mit dem Ring R.14Fur spezielle Raume ist dies moglich; so erhalt man zum Beispiel das sogenannte Pontryagin-

Produkt auf singularer Homologie fur gewisse Raume.

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Proposition und Definition 2.64 (Kreuz-Produkt auf singularer Homologie). Sei

P ein Eilenberg-Zilber-Morphismus vom Typ ⊗ → × und sei P die zugehorige relativeVersion (Bemerkung 2.56). Seien (X,A), (Y,B) ∈ Ob(Top2) und seien p, q ∈ Z. Danndefinieren wir das Kreuz-Produkt

· × · : Hp(X,A;R)⊗R Hq(Y,B;R) −→ Hp+q((X,A)× (Y,B);R)

durch die Komposition

Hp(X,A;R)⊗R Hq(Y,B;R)À // Hp+q

(C(X,A;R)⊗R C(Y,B;R)

) Á // Hp+q((X,A)× (Y,B);R),

wobei À das algebraische homologische Kreuzprodukt ist und Á von der folgenden Ket-tenabbildung induziert ist:

C(X,A;R)⊗R C(Y,B;R) −→ (R⊗Z C(X,A))⊗R (R⊗Z C(Y,B))

−→ (R⊗R R)⊗Z C(X,A)⊗Z C(Y,B)

−→ R⊗Z C((X,A)× (Y,B)

);

dabei ist die erste Abbildung der kanonische Isomorphismus, die zweite Abbildung istdurch Umordnung der Faktoren (Kettenabbildung!) gegeben, und die dritte Abbildung

ist (x⊗y 7→ x·y)⊗RP (X,A),(Y,B). Diese Definition hangt nicht vom gewahlten Eilenberg-Zilber-Morphismus P ab.

Beweisskizze. Die Unabhangigkeit vom gewahlten Eilenberg-Zilber-Morphismus folgtaus der relativen Version des Satzes von Eilenberg-Zilber (Bemerkung 2.56).

Insbesondere erhalten wir zum Beispiel eine konkrete Beschreibung des homologi-schen Kreuz-Produkts durch das Shuffle-Produkt (Beispiel 2.53).

Beispiel 2.65 (homologisches Kreuz-Produkt im Torus). Wir betrachten den zwei-dimensionalen Torus T := S1 × S1. Sei σ ∈ C1(S1;Z) der 1-Zykel, der durch einma-liges, positives Umlaufen von S1 gegeben ist; dann ist [σ] ∈ H1(S1;Z) ein Erzeugervon H1(S1;Z) ∼=Z Z. Um welche Klasse handelt es sich bei [σ]× [σ] ∈ H2(T ;Z) ∼=Z Z ?

Aus der expliziten Beschreibung des Kreuz-Produkts auf H∗( · ;Z) uber das Shuffle-Produkt folgt

[σ]× [σ] =[SS1,S1(σ ⊗ σ)

]= [τ1 − τ0],

wobei τ0, τ1 ∈ C2(T ;Z) in Abbildung (2.66) skizziert sind. Nach den Berechnungen inBeispiel II.3.45 ist dies ein Erzeuger von H2(T ;Z) ∼=Z Z. Es gilt also auch in Homologiedie Gleichung

× =

Satz 2.67 (externes Produkt auf singularer Homologie). Das in Definition 2.64 ein-gefuhrte Kreuz-Produkt auf H∗( · ;R) ist ein externes Produkt auf H∗( · ;R).

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τ0

0

1 2

τ1

0 1

2

b

a

Abbildung (2.66): Shuffle-Produkt im Torus

Beweisskizze. Wir weisen nach, dass die entsprechenden Axiome erfullt sind:– Naturlichkeit folgt aus der Naturlichkeit der relativen Eilenberg-Zilber-Morphis-

men.– Assoziativitat und– (graduierte) Kommutativitat folgen aus den entsprechenden Eigenschaften von

relativen Eilenberg-Zilber-Morphismen (Bemerkung 2.56).– Die Eigenschaft des Einselements kann man zum Beispiel uber das Shuffle-

Produkt nachprufen.– Die Vertraglichkeit mit den Verbindungshomomorphismen folgt aus der Tatsa-

che, dass (relative) Eilenberg-Zilber-Morphismen Kettenabbildungen liefern, undder expliziten Beschreibung der Verbindungshomomorphismen.

2.7. Das Cap-Produkt zwischen Kohomologie und Homologie

Als letztes Produkt betrachten wir das sogenannte Cap-Produkt, das Kohomologieund Homologie verbindet und das Kronecker-Produkt verallgemeinert.

Setup 2.68. Sei R ein kommutativer15 Ring mit Eins.

Definition 2.69 (Dualitatspaarung zwischen Kohomologie und Homologie). Sei k eineKohomologietheorie und sei h eine Homologietheorie auf Top2 mit Werten in RMod.Außerdem sei ein Isomorphismus h0(•) ∼=R R gegeben und 1 ∈ h0(•) das entsprechendeEinselement. Eine Dualitatspaarung zwischen k und h ist eine Familie(

· ∩ · : kp(X,A)⊗R hn(X,A ∪B) −→ hn−p(X,B))p,n∈Z,(X,A,B)∈Ob(Top3)

von R-linearen Abbildungen (sogenannter Cap-Produkte) mit folgenden Eigenschaften:– Naturlichkeit. Sei (X,A,B) ∈ Ob(Top3), sei (X ′, A′, B′) ∈ Ob(Top3), und sei f ∈

MorTop3((X,A,B), (X ′, A′, B′)). Dann gilt fur alle n, p ∈ Z, alle x ∈ kp(X ′, A′)und alle y ∈ hn(X,A ∪B), dass

hn−p(f)(kp(f)(x) ∩ y

)= x ∩ hn(f)(y).

15oder involutiver

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– Einselement. Fur alle p ∈ Z ist

· ∩ 1: kp(•) −→ h−p(•)

ein Isomorphismus.– Vertraglichkeit mit den Verbindungshomomorphismen. Seien n, p ∈ Z, und es sei

(X,A,B) ∈ Ob(Top3), sowie y ∈ hn(X,A ∪B).1. Dann gilt fur alle x ∈ kp(X,A), dass

kp(jB)(x) ∩ ∂Ày = (−1)p · ∂(x ∩ y),

wobei ∂ der Verbindungshomomorphismus des Paares (X,B) bezuglich hist, jB : (B,A ∩B) → (X,A) die Inklusion ist und ∂À die Komposition

hn(X,A ∪B) −→ hn−1(A ∪B,A)←− hn−1(B,A ∩B)

aus dem Verbindungshomomorphismus der Tripelsequenz und des Aus-schneidungsisomorphismus ist.

2. Und fur alle x ∈ kp(A) gilt

hn−p(jA)(x ∩ ∂Áy) = (−1)p+1 · (δx) ∩ y,

wobei δ der Verbindungshomomorphismus des Paares (X,A) bezuglich kist, jA : (A,A ∩B) → (X,B) die Inklusion ist und ∂Á die Komposition

hn(X,A ∪B) −→ hn−1(A ∪B,B)←− hn−1(A,A ∩B)

aus dem Verbindungshomomorphismus der Tripelsequenz und des Aus-schneidungsisomorphismus ist.

Ist · ∪ · eine multiplikative Struktur auf k (mit Einselement 1 ∈ k0(•) ∼=R R)und ist · × · ein externes Produkt auf h, so ist · ∩ · kompatibel mit diesenProduktstrukturen, wenn folgendes gilt:

– Cup-Cap-Relation. Fur alle (Ko)Homologieklassen x, x′, y, fur die die nachfol-genden Produkte definiert sind, gilt

1 ∩ y = y

(x ∪ x′) ∩ y = x ∩ (x′ ∩ y).

(Insbesondere: Ist X ein topologischer Raum, so wird h∗(X) durch · ∩ · zueinem k∗(X)-Modul).

– Vertraglichkeit mit den Kreuz-Produkten. Fur alle (Ko)Homologieklassen x, x′, y, y′,fur die die nachfolgenden Produkte definiert sind, gilt

(x× x′) ∩ (y × y′) = (−1)|x′|·|y| · (x ∩ y)× (x′ ∩ y′).

Die Intuition dahinter ist folgende: Besitzt k ein Cup-Produkt · ∪ · und istϕ ∈ kp(X,A), so erhalten wir einen Homomorphismus

ϕ ∪ · : kn−p(X,B) −→ kn(X,A ∪B).

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h0 h1 . . . hn−p . . . hn

kp

Abbildung (2.70): Cap-Produkt, schematisch

”Dual“ dazu liefert ϕ einen Homomorphismus

ϕ ∩ · : hn(X,A ∪B) −→ hn−p(X,B).

Eine schematische Darstellung ist in Abbildung (2.70) gegeben.Die folgende Beobachtung erklart, warum Cap-Produkte als Dualitatspaarungen

bezeichnet werden:

Proposition 2.71 ((ko)homologische Dualitat fur Rn). Seien k bzw. h eine Kohomo-logietheorie bzw. Homologietheorie auf Top2 mit Werten in RMod und seien Isomor-phismen k0(•) ∼=R R ∼=R h0(•) gegeben. Sei · ∪ · eine multiplikative Struktur auf k,sei · × · ein externes Produkt auf h und sei · ∩ · eine mit diesen Produkten kom-patible Dualitatspaarung zwischen k und h. Zu n ∈ N>0 sei ε(n) ∈ hn(Rn,Rn \ 0)die entsprechende (ko)homologische Orientierung von Rn. Dann sind

· ∩ ε(n) : kp(Rn) −→ hn−p(Rn,Rn \ 0),· ∩ ε(n) : kp(Rn,Rn \ 0) −→ hn−p(Rn)

fur alle p ∈ Z Isomorphismen.

Beweisskizze. Dies folgt induktiv aus der Konstruktion der homologischen Orientie-rung uber das homologische Kreuz-Produkt, die Eigenschaften der entsprechendenEinselemente (bzgl. der Kreuz-Produkte und des Cap-Produkts) und der Vertraglich-keit des Cap-Produkts mit den Kreuz-Produkten.

Bemerkung 2.72.– Die obige Proposition kann auch ohne Produktstrukturen auf auf den beteiligten

(Ko)Homologietheorien formuliert und bewiesen werden (mithilfe von geeignetenEinhangungsisomorphismen).

– Die obige Proposition ist eine lokale Version von Poincare-Dualitat (Satz 4.35)und fungiert im Beweis von Poincare-Dualitat als Induktionsanfang.

Wir konstruieren nun das Cap-Produkt auf singularer (Ko)Homologie:

Definition 2.73 (Cap-Produkt auf singularer (Ko)Homologie). Seien n, p ∈ Z.– Dann definieren wir das Cap-Produkt auf singularen (Ko)Ketten fur einen topo-

logischen Raum X durch

· ∩ · : Cp(X;R)⊗R Cn(X;R) −→ Cn−p(X;R)

f ⊗ a · σ 7−→ (−1)p·(n−p) · f(pbσ) · a · σcn−p.

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(Dabei nehmen wir ohne Einschrankung n ∈ N und p ∈ 0, . . . , n an, sowiea ∈ R und σ ∈ map(∆n, X) an.)

– Ist (X,A,B) ∈ Ob(Top3), so definieren wir das Cap-Produkt auf singularer(Ko)Homologie durch die Komposition

Hp(X,A;R)⊗R Hn(X,A ∪B;R)· ∩ · // Hn−p(X,B;R)

Hp(X,A;R)⊗R Hn

(C(X;R)

C(A;R)+C(B;R)

)id⊗RHn(Inklusion) ∼=

OO

// Hn−p(X,B;R)

[f ]⊗ [c] // [f ∩ c]

(Dabei fassen wir f als Abbildung auf map(∆p, X) auf, die auf map(∆p, A) trivialist, und c als Kette in Cn(X;R), deren Rand in C(A;R) + C(B;R) liegt.)

Bemerkung 2.74.– Dass das obige Cap-Produkt auf singularer (Ko)Homologie wohldefiniert ist, folgt

aus einer einfachen Rechnung.– Das Cap-Produkt auf singularer (Ko)Homologie besitzt auch eine Beschreibung

mithilfe von Diagonalapproximationen; die obige explizite Beschreibung erhaltman dann aus der Alexander-Whitney-Abbildung (Proposition 2.46).

Beispiel 2.75 (Cap-Produkte fur den Torus). Wir betrachten den zweidimensionalenTorus T := S1×S1. Seien p1, p2 : T −→ S1 bzw. i1, i2 : S1 −→ T die Projektionen bzw.Inklusionen der S1-Faktoren. Sei f ∈ C1(S1;Z) der Umlaufzahlkozykel (Beispiel 1.14)und sei σ ∈ C1(S1;Z) der Zykel, der durch einmaliges, positives Umlaufen von S1

gegeben ist. Wir betrachten nun die folgenden (Ko)Homologieklassen

ϕ1 := H1(p1;Z)[f ] ∈ H1(T ;Z)

ϕ2 := H1(p2;Z)[f ] ∈ H1(T ;Z)

[T ] := [σ × σ] = [τ1 − τ0] ∈ H2(T ;Z)

α1 := H1(i1;Z)[σ] ∈ H1(T ;Z)

α2 := H1(i2;Z)[σ] ∈ H1(T ;Z).

Dabei sind τ0, τ2 die singularen 2-Simplizes aus Beispiel 2.65.Mit der expliziten Darstellung des Cap-Produkts erhalt man dann (Abbildung (2.76))

ϕ1 ∩ [T ] = α2

ϕ2 ∩ [T ] = −α1

ϕ1 ∩ α1 = 1 · [const(1,1)]

ϕ1 ∩ α2 = 0.

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ϕ1

[T ]

=

α2

ϕ2

[T ]

=

−α1

ϕ1

α1

=

1

ϕ1

α2

=

0

Abbildung (2.76): Cap-Produkte im zweidimensionalen Torus, schematisch

63

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Beispiel 2.77 (Modulstruktur auf singularer Homologie von CPn). Sei n ∈ N>0.Dann ist H∗(CPn;Z) bezuglich der durch das Cap-Produkt induzierten Modulstrukturein freier H∗(CPn;Z)-Modul vom Rang 1. Eine allgemeinere Erklarung dafur wirdauch durch Poincare-Dualitat gegeben (Satz 4.35).

Als nachstes zeigen wir, dass das Cap-Produkt auf singularer (Ko)Homologie tat-sachlich eine Dualitatspaarung zwischen singularer Kohomologie und singularer Ho-mologie ist:

Satz 2.78 (Cap-Produkt auf singularer (Ko)Homologie als Dualitatspaarung).1. Das Cap-Produkt aus Definition 2.73 ist eine mit dem Cup-Produkt und dem

homologischen Kreuz-Produkt kompatible Dualitatspaarung zwischen H∗( · ;R)und H∗( · ;R).

2. Außerdem verallgemeinert dieses Cap-Produkt das Kronecker-Produkt: Ist (X,A)ein Raumpaar und n ∈ Z, so ist das Kronecker-Produkt durch

〈 · , · 〉 : Hn(X,A;R)⊗R Hn(X,A;R) −→ R

[f ]⊗ [c] 7−→ f(c)

gegeben (dies ist wohldefiniert). Dann gilt

〈ϕ, α〉 = ε(ϕ ∩ α)

fur alle ϕ ∈ Hn(X,A;R) und α ∈ Hn(X,A;R), wobei ε die folgende (wohldefi-nierte) Abbildung ist:

ε : H0(X;R) −→ R[ m∑j=1

aj · σj]7−→

m∑j=1

aj

Beweisskizze. Bis auf die Vertraglichkeit des Cap-Produkts mit den Kreuz-Produktenkonnen alle behaupteten Eigenschaften (analog zu den anderen Produkten) mit derexpliziten Beschreibung auf (Ko)Kettenniveau nachgerechnet werden.

Fur die Vertraglichkeit mit den Kreuz-Produkten bietet es sich an, die Beschreibun-gen der beteiligten Produkte mithilfe der Diagonalapproximationen bzw. der Eilenberg-Zilber-Morphismen und die Methode der azyklischen Modelle zu verwenden [3, Exer-cise VII.12.24.4].

64

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2.8. Ubersicht uber die Produkte auf singularer (Ko)Homologie

Im folgenden geben wir einen kurzen (und entsprechend unprazisen) Uberblick uber die be-handelten Produkte auf singularer (Ko)Homologie. Genauere Erklarungen finden sich in denjeweils angegebenen Abschnitten.

Setup 2.79. Im folgenden sei R ein (der Einfachheit halber) kommutativer Ring mit Eins.

Cup-Produkt (Abschnitt 2.1 und 2.4)

– Typ. Multiplikative Struktur auf H∗( · ;R):(· ∪ · : Hp(X,A;R)⊗R H

q(X,B;R) −→ Hp+q(X,A ∪B;R))p,q∈Z,(X,A,B)∈Ob(Top3)

– Konstruktion (absolut, auf (Ko)Kettenniveau).

· ∪ · : Cp(X;R)⊗R Cq(X;R) −→ Cp+q(X;R)

f ⊗ g 7−→(

map(∆p+q, X) → Rσ 7→ (−1)p·q · f(σcp) · g(qbσ).

)Alternativ kann das Cup-Produkt uber Diagonalapproximationen beschrieben werden.

– Eigenschaften.

x ∪ (y ∪ z) = (x ∪ y) ∪ z

x ∪ y = (−1)|x|·|y| · y ∪ x1X ∪ x = x = x ∪ 1X

H∗(f ;R)(x ∪ y) =(H∗(f ;R)(x)

)∪(H∗(f ;R)(y)

)(δx) ∪ y = δÀ

(x ∪H∗(i;R)(y)

)x ∪ (δy) = (−1)|x| · δÁ

(H∗(j;R)(x) ∪ y

)x ∪ y = H∗(∆X,A,B ;R)(x× y).

– Anwendungen. Algebrenstruktur auf Kohomologie (verfeinerte Homotopieinvariante),Lusternik-Schnirelmann-Kategorie, Hopf-Invariante, . . .

Kohomologisches Kreuz-Produkt (Abschnitt 2.2 und 2.4)

– Typ. Externes Produkt auf H∗( · ;R):(· × · : Hp(X,A;R)⊗RH

q(Y,B;R) −→ Hp+q((X,A)×(Y,B);R))

p, q ∈ Z, (X,A), (Y,B) ∈ Ob(Top2)

mit (X × Y,A× Y,X × B) ∈ Ob(Top3)

– Konstruktion (absolut, auf (Ko)Kettenniveau).

· ∪ · : Cp(X;R)⊗R Cq(Y ;R) −→ Cp+q(X × Y ;R)

f ⊗ g 7−→(

map(∆p+q, X × Y ) → R(σ, τ) 7→ (−1)p·q · f(σcp) · g(qbτ).

)Alternativ kann man das Kreuz-Produkt uber Diagonalapproximationen beschreiben.

– Eigenschaften.

x× (y × z) = (x× y)× z

H∗(τX,Y ;R)(y × x) = (−1)|x|·|y| · x× y1× x = x = x× 1

H∗(f × g;R)(x× y) = H∗(f ;R)(x)×H∗(g;R)(y)

(δx)× y = δÀ(x× y)

x× (δy) = (−1)|x| · δÁ

(x× y

)x× y = (H∗(pX ;R)(x)) ∪ (H∗(pY ;R)(y)).

– Anwendungen. alternative Beschreibung des Einhangungsisomorphismus, kohomologi-sche Orientierung von Rn, Kunneththeoreme, . . .

Page 67: Kurzskript zur Algebraischen Topologie III (Ko)Homologie: … · [6]W.S. Massey. A Basic Course in Algebraic Topology, dritte Auflage, Springer, 1997. Hinweis. In diesem Buch wird

Homologisches Kreuz-Produkt (Abschnitt 2.6)

– Typ. Externes Produkt auf H∗( · ;R):(· × · : Hp(X,A;R)⊗RHq(Y,B;R) −→ Hp+q

((X,A)×(Y,B);R

))p, q ∈ Z, (X,A), (Y,B) ∈ Ob(Top2)

– Konstruktion (absolut, auf (Ko)Kettenniveau).

· ∪ · : Cp(X;R)⊗R Cq(Y ;R) −→ Cp+q(X × Y ;R)

a · σ ⊗ b · τ 7−→ a · b · PX,Y (σ ⊗ τ)

Man kann das Kreuz-Produkt auch explizit uber den Shuffle-Morphismus beschreiben.– Eigenschaften.

x× (y × z) = (x× y)× z

H∗(τX,Y ;R)(x× y) = (−1)|x|·|y| · y × x1× x = x = x× 1

H∗(f × g;R)(x× y) = H∗(f ;R)(x)×H∗(g;R)(y)

(∂x)× y = ∂À(x× y)

x× (∂y) = (−1)|x| · ∂Á

(x× y

)– Anwendungen. alternative Beschreibung des Einhangungsisomorphismus, homologische

Orientierung von Rn, Kunneththeoreme, . . .

Cap-Produkt (Abschnitt 2.7)

– Typ. Kompatible Dualitatspaarung zwischen H∗( · ;R) und H∗( · ;R):(· ∩ · : Hp(X,A;R)⊗R Hn(X,A ∪B;R) −→ Hn−p(X,B;R)

)p,n∈Z,(X,A,B)∈Ob(Top3)

– Konstruktion (absolut, auf (Ko)Kettenniveau).

· ∩ · : Cp(X;R)⊗R Cn(X;R) −→ Cn−p(X;R)

f ⊗ a · σ 7−→ (−1)p·(n−p) · f(pbσ) · a · σcn−p

Alternativ kann man das Cap-Produkt uber Eilenberg-Zilber-Morphismen beschreiben.– Eigenschaften.

H∗(f ;R)(H∗(f ;R)(x) ∩ y

)= x ∩H∗(f ;R)(y)

H∗(jB ;R)(x) ∩ ∂Ày = (−1)|x| · ∂(x ∩ y)

H∗(jA;R)(x ∩ ∂Áy) = (−1)|x|+1 · (δx) ∩ y1 ∩ y = y

(x ∪ x′) ∩ y = x ∩ (x′ ∩ y)

(x× x′) ∩ (y × y′) = (−1)|x′|·|y| · (x ∩ y)× (x′ ∩ y′).

– Anwendungen. Dualitatsphanomene, insbesondere Poincare-Dualitat (und ihre geome-trischen Anwendungen), . . .

Kronecker-Produkt (Satz 2.78)

– Typ. Spezialfall des Cap-Produkts:(〈 · , · 〉 : Hn(X,A;R)⊗R Hn(X,A;R) −→ R

)n∈Z,(X,A)∈Ob(Top2)

– Konstruktion (absolut, auf (Ko)Kettenniveau.

〈 · , · 〉 : Cn(X,A;R)⊗R Cn(X,A;R) −→ R

f ⊗ c 7−→ f(c)

– Eigenschaften. Diese leiten sich aus den Eigenschaften des Cap-Produkts ab, denn

〈x, y〉 = ε(x ∩ y).

– Anwendungen. Universelle Koeffiziententheoreme und deren Anwendungen, . . .

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3. Universelle Koeffiziententheoreme

Wir werden nun die folgenden Fragen betrachten:– Wie hangt singulare (Ko)Homologie von den Koeffizienten ab?– Wie kann man singulare (Ko)Homologie von Produkten aus der (Ko)Homologie

der Faktoren berechnen?– Wie kann man singulare Kohomologie aus singularer Homologie berechnen?– Wie kann man singulare Kohomologie von aufsteigenden Vereinigungen berech-

nen?Das Problem in all diesen Fallen ist, dass die unterliegenden Funktoren nicht exakt

sind, und somit nicht mit (Ko)Homologie vertraglich sind. Das entsprechende Hilfs-mittel aus der homologischen Algebra sind abgeleitete Funktoren (Anhang B.6–B.8).Dies fuhrt zu den sogenannten universellen Koeffiziententheoremen und Kunneththeo-remen.

3.1. Singulare Homologie mit Koeffizienten:das universelle Koeffiziententheorem in Homologie

Wir geben nun eine Antwort auf die Frage wie singulare Homologie von den Koef-fizienten abhangt. Wir beginnen mit der entsprechenden algebraischen Variante undleiten daraus das topologische universelle Koeffiziententheorem16 ab.

Satz 3.1 (universelles Koeffiziententheorem fur Homologie, algebraisch). Sei R einHauptidealring mit Eins, sei Z ∈ Ob(ModR) und sei C ∈ Ob(RCh) ein R-Kettenkom-plex, der aus freien R-Moduln besteht. Dann gibt es fur alle n ∈ Z eine (in Z und Cnaturliche) exakte Sequenz

0 // Z ⊗R Hn(C) // Hn(Z ⊗R C) // TorR1(Z,Hn−1(C)

)// 0

z ⊗ [c] // [z ⊗ c]

(die linke Abbildung ist also das algebraische Kreuz-Produkt). Diese Sequenz besitzteinen in Z naturlichen Spalt; insbesondere gibt es fur alle n ∈ Z einen (in Z naturli-chen) Isomorphismus

Hn(Z ⊗R C) ∼=Z Z ⊗R Hn(C)⊕ TorR1(Z,Hn−1(C)

).

Caveat 3.2. Es gibt keinen Spalt der obigen kurzen exakten Sequenz, der im gege-benen Kettenkomplex naturlich ist; wir werden im topologischen Fall ein explizitesBeispiel dafur kennenlernen (Beispiel 3.4).

Beweisskizze (von Satz 3.1). Zu n ∈ Z sei

Zn := ker ∂n ⊂ CnBn := im ∂n+1 ⊂ Cn.

16”Universelles Koeffiziententheorem“ wird in der Literatur oft als UCT (universal coefficient theo-rem) abgekurzt.

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Da Cn frei ist und R ein Hauptidealring ist, sind Zn und Bn freie R-Moduln.Die gewunschte kurze exakte Sequenz erhalten wir aus den folgenden exakten Se-

quenzen:1. Nach Definition von Hn(C) ist

0 // Bnjn // Zn

Projektion// Hn(C) // 0

exakt. Da TorR(Z, · ) der links-abgeleitete Funktor von Z⊗R · ist, erhalten wirdaraus die exakte Sequenz

TorR1 (Z,Zn) // TorR1(Z,Hn(C)

)// Z ⊗R Bn

Z⊗Rjn// Z ⊗R Zn.

Da Zn frei ist, ist Torr1(Z,Zn) ∼= 0 (Beispiel B.91), und somit

TorR1(Z,Hn−1(C)

) ∼=Z ker(Z ⊗R jn).

2. Außerdem ist

0 // Znin // Cn

∂n // Bn−1// 0

fur alle n ∈ Z exakt. Da Bn−1 frei ist, spaltet diese Sequenz; also ist auch

0 // Z ⊗R ZnZ⊗Rin// Z ⊗R Cn

Z⊗R∂n// Z ⊗R Bn−1// 0

exakt. Wir fassen nun (Z ⊗R Zn)n∈Z und (Z ⊗R Bn−1)n∈Z zusammen mit demtrivialen Randoperator als Kettenkomplexe C ′ bzw. C ′′ auf. Dann ist

0 // C ′Z⊗Ri // Z ⊗R C

Z⊗R∂ // C ′′ // 0

eine Sequenz von Kettenkomplexen und Kettenabbildungen, die gradweise exaktist. Somit erhalten wir mit der algebraischen langen exakten Homologiesequenz(Satz B.23) die exakte Sequenz

Hn+1(C ′′)∂n+1

// Hn(C ′)Hn(Z⊗Ri)

// Hn(Z ⊗R C) // Hn(C ′′)∂n // Hn−1(C ′)

Z ⊗R BnÀ// Z ⊗R Zn Z ⊗R Bn−1

Á// Z ⊗R Zn−1

Die explizite Beschreibung des Verbindungshomomorphismus (wie im Beweis vonSatz B.23) zeigt, dass À mit Z⊗R jn und Á mit Z⊗R jn−1 ubereinstimmt. Somiterhalten wir die exakte Sequenz

0 // cokerZ ⊗R jninduziert von Z ⊗R i

// Hn(Z ⊗R C) // kerZ ⊗R jn−1// 0.

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Da Z ⊗R · rechts-exakt ist, ist

Z ⊗R Hn(C) −→ cokerZ ⊗R jnz ⊗ [c] 7−→ [z ⊗ c]

ein Isomorphismus, und wir erhalten aus den beiden obigen Uberlegungen die gewunsch-te exakte Sequenz (inklusive der Beschreibung der linken Abbildung als algebraischesKreuz-Produkt).

Warum spaltet diese Sequenz? Aus der ersten exakten Sequenz im zweiten Schritterhalten wir (da Bn−1 frei ist) einen Spalt der linken Abbildung, d.h. einen R-Homo-morphismus tn : Cn −→ Zn mit tn in = idZn

. Man rechnet nun leicht nach, dass

Hn(Z ⊗R C) 7−→ Z ⊗R Hn(C)[ m∑j=1

zj ⊗ cj]7−→

m∑j=1

zj ⊗[tn(cj)

]wohldefiniert ist, dass es sich dabei um einen Spalt des algebraischen Kreuz-Produktshandelt und dass dieser Homomorphismus in Z naturlich ist.

Dieser Satz steht außerdem Modell fur die noch folgenden universellen Koeffizien-tentheoreme (die alle von derselben Gestalt sind).

Wir leiten nun daraus die entsprechende topologische Version ab:

Korollar 3.3 (universelles Koeffiziententheorem fur singulare Homologie). Sei (X,A)ein Raumpaar und sei n ∈ Z.

1. Sei R ein Hauptidealring mit Eins und sei Z ∈ Ob(ModR). Dann gibt es eine(in Z und (X,A) naturliche) exakte Sequenz

0 // Z ⊗R Hn(X,A;R) // Hn(X,A;Z) // TorR1(Z,Hn−1(X,A;R)

)// 0.

z ⊗ [c] // [z ⊗ c]

Diese Sequenz spaltet (naturlich in Z, aber nicht naturlich in (X,A)).2. Ist R ein Ring mit Eins und ist Z ∈ Ob(RMod), so gibt es eine (in Z und (X,A)

naturliche) exakte Sequenz

0 // Z ⊗Z Hn(X,A;Z) // Hn(X,A;Z) // TorZ1(Z,Hn−1(X,A;Z)

)// 0.

z ⊗ [c] // [z ⊗ c]

in RMod. Diese Diese Sequenz spaltet (naturlich in Z, aber nicht naturlichin (X,A)).

3. Insbesondere gilt: Ist R ∈ Q,R,C, so ist

R⊗Z Hn(X,A;Z) −→ Hn(X,A;R)

z ⊗ [c] 7−→ [z ⊗ c]

ein Isomorphismus in RMod.

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Beweisskizze. Der erste bzw. zweite Teil folgen aus dem algebraischen universellenKoeffiziententheorem fur Homologie, angewendet auf die (gradweise freien!) Ketten-komplexe C(X,A;R) bzw. C(X,A;Z). Der dritte Teil folgt aus dem zweiten Teil, daQ, R und C uber Z flach sind, und somit die auftretenden TorZ1 -Terme trivial sind(Beispiel B.91).

Beispiel 3.4. Die Projektion RP 2 −→ RP 2/RP 1 zeigt fur H2( · ;Z/2), dass es imuniversellen Koeffiziententheorem nicht moglich ist, die Spalte naturlich zu wahlen.

Beispiel 3.5 (Homologie von reell-projektiven Raumen). Das universelle Koeffizien-tentheorem erklart insbesondere das Ergebnis fur Homologie von RPn mit Koeffizi-enten (ohne uber zellulare Homologie zu argumentieren). Zum Beispiel gilt fur al-le n ∈ N≥2:

H1(RPn;Q) ∼=Q Q⊗Z H1(RPn;Z) ∼=Q Q⊗Z Z/2 ∼= 0

H2(RPn;Z/2) ∼=Z/2 Z/2⊗Z H2(RPn;Z)⊕ TorZ1 (Z/2, H1(RPn;Z))

∼=Z/2 Z/2⊗Z 0⊕ TorZ1 (Z/2,Z/2)∼=Z/2 Z/2

(die letzte Isomorphie folgt aus den Berechnungen in Beispiel B.91).

Außerdem erklart das universelle Koeffiziententheorem auch auf Ebene der Homolo-gie, warum die Euler-Charakteristik uber verschiedene Koeffizienten berechnet werdenkann, obwohl die einzelnen Betti-Zahlen durchaus von den Koeffizienten abhangenkonnen: Durch die Tor-Terme werden die entsprechenden Unterschiede in benachbar-ten Dimensionen ausgeglichen.

3.2. Singulare Kohomologie aus singularer Homologie – das universelleKoeffiziententheorem in Kohomologie

Wir zeigen nun wie singulare Kohomologie mithilfe von Ext-Termen aus singularerHomologie berechnet werden kann. Analog zum universellen Koeffiziententheorem furTensorprodukte gibt es das folgende universelle Koeffiziententheorem fur Hom-Funk-toren:

Satz 3.6 (universelles Koeffiziententheorem fur Kohomologie, algebraisch). Sei R einHauptidealring mit Eins, sei Z ∈ Ob(RMod) und sei C ∈ Ob(RCh) ein R-Kettenkom-plex, der aus freien R-Moduln besteht. Dann gibt es fur alle n ∈ Z eine (in Z und Cnaturliche) exakte Sequenz

0 // Ext1R

(Hn−1(C), Z) // Hn

(HomR(C,Z)

)// HomR

(Hn(C), Z) // 0

ϕ // 〈ϕ, · 〉

(die rechte Abbildung ist also das algebraische Kronecker-Produkt). Diese Sequenz be-sitzt einen in Z naturlichen Spalt; insbesondere gibt es fur alle n ∈ Z einen (in Znaturlichen) Isomorphismus

Hn(HomR(C,Z)

) ∼=Z HomR

(Hn(C), Z

)⊕ Ext1

R

(Hn−1(C), Z

).

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Beweisskizze. Der Beweis ist analog zum Beweis von Satz 3.1, wobei wir”Z ⊗R · “

durch HomR( · , Z) und entsprechend TorR1 durch Ext1R ersetzen.

Caveat 3.7. Es gibt keinen Spalt der obigen kurzen exakten Sequenz, der im gege-benen Kettenkomplex naturlich ist.

Korollar 3.8 (universelles Koeffiziententheorem fur singulare Kohomologie). Sei (X,A)ein Raumpaar und sei n ∈ Z.

1. Sei R ein Hauptidealring mit Eins und sei Z ∈ Ob(RMod). Dann gibt es eine(in Z und (X,A) naturliche) exakte Sequenz

0 // Ext1R

(Hn−1(X,A;R), Z

)// Hn(X,A;Z) // HomR

(Hn(X,A;R), Z

)// 0.

ϕ // 〈ϕ, · 〉

Diese Sequenz spaltet (naturlich in Z, aber nicht naturlich in (X,A)).2. Insbesondere gilt: Ist K ein Korper, so ist

Hn(X,A;K) −→ HomK

(Hn(X,A;K),K

)ϕ 7−→ 〈ϕ, · 〉

ein K-Isomorphismus.3. Ist R ein Ring mit Eins und ist Z ∈ Ob(RMod), so gibt es eine (in Z und (X,A)

naturliche) exakte Sequenz

0 // Ext1Z(Hn−1(X,A;Z), Z

)// Hn(X,A;Z) // HomZ

(Hn(X,A;Z), Z

)// 0.

ϕ // 〈ϕ, · 〉

in RMod. Diese Sequenz spaltet (naturlich in Z, aber nicht naturlich in (X,A)).4. Insbesondere gilt: Ist R ∈ Q,R,C, so ist

Hn(X,A;R) −→ HomZ(Hn(X,A;Z), R

)ϕ 7−→ 〈ϕ, · 〉

ein Isomorphismus in RMod.

Beweisskizze. Der erste bzw. dritte Teil folgen aus dem algebraischen universellen Ko-effiziententheorem fur Kohomologie, angewendet auf die (gradweise freien!) Ketten-komplexe C(X,A;R) bzw. C(X,A;Z). Der zweite bzw. vierte Teil folgen aus demersten bzw. dritten, da die auftretenden Ext-Terme trivial sind (Beispiel B.94).

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Beispiel 3.9 (Kohomologie von reell-projektiven Raumen). Fur alle n ∈ N≥2 ist

H1(RPn;Z) ∼=Z HomZ(H1(RPn;Z),Z

)⊕ Ext1

Z(H0(RPn;Z),Z

)∼=Z HomZ(Z/2,Z)⊕ Ext1

Z(Z,Z)∼=Z 0⊕ 0,

H1(RPn;Z/2) ∼=Z/2 HomZ(H1(RPn;Z),Z

)⊕ Ext1

Z(H0(RPn;Z/2),Z

)∼=Z/2 HomZ(Z/2,Z/2)⊕ Ext1

Z(Z,Z)∼=Z/2 Z/2⊕ 0.

Allgemeiner gilt:

Korollar 3.10 (Singulare Kohomologie im Grad 1). Sei R ein Ring mit Eins und seiZ ∈ Ob(RMod).

1. Dann ist

H1(X;Z) −→ HomZ(H1(X;Z), Z

)ϕ 7−→ 〈ϕ, · 〉

ein (in Z und X naturlicher) Isomorphismus in RMod.2. Insbesondere gilt: Ist (X,x0) ein wegzusammenhangender punktierter Raum, so

ist

H1(X;Z) −→ HomZ(π1(X,x0)ab, Z

)ϕ 7−→

([γ]∗ 7→ 〈ϕ, [”γ“]〉

ein (in Z und (X,x0) naturlicher) Isomorphismus in RMod.

Beweisskizze. Der erste Teil folgt aus Korollar 3.8 und den Berechnungen in Bei-spiel B.94, da H0(X;Z) ein freier Z-Modul ist (Proposition II.3.17). Der zweite Teilfolgt mit dem Satz von Hurewicz (Satz II.3.81) aus dem ersten Teil.

Mit den bisherigen Ergebnissen zur Uberlagerungstheorie (Algebraische Topologie I),der obigen Beschreibung von singularer Kohomologie im Grad 1 und der Berechnungdes Kohomologierings von reell-projektiven Raumen erhalten wir einen eleganten undkurzen Beweis des Satzes von Borsuk-Ulam (Abbildung (3.11)):

Satz 3.12 (Satz von Borsuk-Ulam). Sei n ∈ N>0. Dann gibt es keine stetige antipo-denerhaltende Abbildung Sn −→ Sn−1. Dabei heißt eine Abbildung f : Sn −→ Sn−1

antipodenerhaltend, wenn

∀x∈Sn f(−x) = −f(x).

Beweisskizze. Sei ohne Einschrankung n ≥ 2. Angenommen, es gibt eine stetige an-tipodenerhaltende Abbildung f : Sn −→ Sn−1. Dann induziert diese Abbildung einewohldefinierte stetige Abbildung f : RPn −→ RPn−1. Uberlagerungstheorie zeigt, dassdie von f induzierte Abbildung auf den Fundamentalgruppen nicht trivial ist. Nunfuhren kohomologische Argumente zu einem Widerspruch.

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Abbildung (3.11): antipodale Punkte auf S2

Der Satz von Borsuk-Ulam besitzt zahlreiche Anwendungen, z.B. auch auf Farbungs-probleme in der Kombinatorik17

3.3. Singulare (Ko)Homologie von Produkten – das Kunneththeorem

Wir erklaren nun wie man singulare Homologie bzw. Kohomologie von Produktraumenaus der (Ko)Homologie der Faktoren berechnen kann. Wir beginnen mit der algebrai-schen, homologischen Situation:

Satz 3.13 (Kunneththeorem fur Homologie, algebraisch). Sei R ein Hauptidealringmit Eins, sei C ∈ Ob(RCh) ein R-Kettenkomplex, der aus freien R-Moduln besteht undsei D ∈ Ob(ChR). Dann gibt es fur alle n ∈ Z eine (in D und C naturliche) exakteSequenz

0 //⊕

p∈ZHp(D)⊗R Hn−p(C) // Hn(D ⊗R C) //⊕

p∈Z TorR1(Hp(D), Hn−1−p(C)

)// 0

[d]⊗ [c] // [d⊗ c]

(die linke Abbildung ist also das algebraische Kreuz-Produkt). Diese Sequenz besitzteinen in D naturlichen Spalt; insbesondere gibt es fur alle n ∈ Z einen (in D naturli-

17J. Matousek. Using the Borsuk-Ulam Theorem, Lectures on topological methods in combinatoricsand geometry. Written in cooperation with Anders Bjorner and Gunter M. Ziegler, Universitext,Springer, 2003.

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chen) Isomorphismus

Hn(D ⊗R C) ∼=Z⊕p∈Z

Hp(D)⊗R Hn−p(C)⊕⊕p∈Z

TorR1(Hp(D), Hn−1−p(C)

).

Caveat 3.14. Es gibt keinen Spalt der obigen kurzen exakten Sequenz, der in beidengegebenen Kettenkomplexen gleichzeitig naturlich ist.

Beweisskizze. Dies folgt analog zum Beweis des algebraischen universellen Koeffizien-tentheorems fur Homologie (Satz 3.1), wobei wir

”Z⊗R · “ durch D⊗R · ersetzen.

Korollar 3.15 (Kunneththeorem fur singulare Homologie). Seien (X,A), (Y,B) Raum-paare mit (X × Y,A× Y,X ×B) ∈ Ob(Top3) und sei n ∈ Z.

1. Sei R ein kommutativer Hauptidealring mit Eins. Dann gibt es eine (in R undden Raumpaaren naturliche) exakte Sequenz

0 //⊕

p∈ZHp(X,A;R)⊗R Hn−p(Y,B;R)· × ·// Hn

((X,A)× (Y,B)

)//⊕

p∈Z TorR1(Hp(X,A;R), Hn−1−p(Y,B;R)

)// 0

Diese Sequenz spaltet (aber nicht naturlich in beiden Raumpaaren gleichzeitig).2. Ist K ein Korper, so ist das homologische Kreuz-Produkt⊕

p∈ZHp(X,A;K)⊗K Hn−p(Y,B;K) −→ Hn

((X,A)× (Y,B);K

)α⊗ β 7−→ α× β

ein K-Isomorphismus.

Beweisskizze. Der erste Teil folgt aus dem algebraischen Kunneththeorem fur Homo-logie, zusammen mit den (naturlichen) relativen Eilenberg-Zilber-Morphismen

C(X,A;R)⊗R C(Y,B;R) ' C((X,A)× (Y,B);R

)(Bemerkung 2.56) und der Konstruktion des homologischen Kreuz-Produkts (Defini-tion 2.64).

Beispiel 3.16.– Zum Beispiel kann man mit Korollar 3.15 induktiv H∗(S

1×· · ·×S1;Z) (zusam-men mit den entsprechenden homologischen Kreuz-Produkten) aus H∗(S

1;Z)berechnen.

– Es gilt fur alle n ∈ N≥2, dass

H2(RPn × RPn;Z) ∼=Z H0(RPn)⊗Z H2(RPn)

⊕H1(RPn)⊗Z H1(RPn)

⊕H2(RPn)⊗Z H0(RPn)

⊕ TorZ1(H0(RP 2), H1(RP 2)

)⊕ TorZ1

(H1(RP 2), H0(RP 2)

)∼=Z 0⊕ Z/2⊕ 0⊕ 0⊕ 0.

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Als nachsten Schritt leiten wir aus dem algebraischen Kunneththeorem fur Homo-logie eine entsprechende kohomologische Version fur duale Komplexe her:

Satz 3.17 (Kunneththeorem fur Kohomologie, algebraisch). Sei R ein kommutativerHauptidealring mit Eins, sei C ∈ Ob(RCh) ein R-Kettenkomplex, der aus freien R-Moduln besteht und sei D ∈ Ob(RCh). Außerdem sei Hn(C) fur alle n ∈ Z uber Rendlich erzeugt. Dann gibt es fur alle n ∈ Z eine (in D und C naturliche) exakteSequenz

0 //⊕

p∈ZHp(D′)⊗R Hn−p(C ′)

· × ·// Hn(D′ ⊗R C ′) //

∼=

⊕p∈Z TorR1

(Hp(D′), Hn+1−p(C ′)

)// 0

Hn(HomR(C ⊗R D,R)

)(die linke Abbildung ist das algebraische Kreuz-Produkt). Dabei schreiben wir C ′ :=HomR(C,R) und D′ := HomR(D,R) Diese Sequenz besitzt einen in D naturlichenSpalt; insbesondere gibt es fur alle n ∈ Z einen (in D naturlichen) Isomorphismus

Hn(HomR(D ⊗R C,R)

) ∼=R

⊕p∈Z

Hp(D′)⊗R Hn−p(C ′)

⊕⊕p∈Z

TorR1(Hp(D′), Hn+1−p(C ′)

).

Caveat 3.18. Es gibt keinen Spalt der obigen kurzen exakten Sequenz, der in beidengegebenen Kettenkomplexen gleichzeitig naturlich ist.

Beweisskizze. Wir beginnen mit einem Trick aus der homologischen Algebra: Da C ausfreien R-Moduln besteht und Hn(C) fur alle n ∈ Z uber R endlich erzeugt ist, gibt es

einen Kettenkomplex C ∈ Ob(RCh) mit C 'RCh C, der aus endlich erzeugten freien R-

Moduln besteht. Insbesondere gilt dann auch HomR(C,R) 'RCoCh HomR(C, R) etc..

Es genugt also, die Behauptung fur C statt C zu zeigen.Da C aus endlich erzeugten freien R-Moduln besteht, besteht auch HomR(C, R) aus

(endlich erzeugten) freien R-Moduln. Wir wenden nun das algebraische Kunneththeo-

rem (Satz 3.13) fur Homologie auf HomR(C, R) und HomR(D,R) an (Beispiel B.43).

Insbesondere erhalten wir auch die korrespondierende Version fur singulare Koho-mologie:

Korollar 3.19 (Kunneththeorem fur singulare Kohomologie). Seien (X,A), (Y,B)Raumpaare mit (X × Y,A × Y,X × B) ∈ Ob(Top3), sei R ein kommutativer Haupt-idealring mit Eins und fur alle n ∈ Z sei Hn(Y,B;R) uber R endlich erzeugt. Seiaußerdem n ∈ Z.

1. Dann gibt es eine (in (X,A) und (Y,B) naturliche) exakte Sequenz

0 //⊕

p∈ZHp(X,A;R)⊗R Hn−p(Y,B;R)

· × ·// Hn

((X,A)× (Y,B);R

)//⊕

p∈Z TorR1(Hp(X,A;R), Hn+1−p(Y,B;R)

)// 0

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Die linke Abbildung ist dabei das kohomologische Kreuz-Produkt. Die Sequenzspaltet (naturlich in (X,A), aber nicht naturlich in (Y,B)).

2. Ist K = R ein Korper, so ist das kohomologische Kreuz-Produkt⊕p∈Z

Hp(X,A;K)⊗K Hn−p(Y,B;K) −→ Hn((X,A)× (Y,B);K

)ϕ⊗ ψ 7−→ ϕ× ψ

ein K-Isomorphismus. Insbesondere induziert das kohomologische Kreuz-Produkteinen Isomorphismus

H∗(X,A;K)⊗K H∗(Y,B;K) ∼=KGradAlg H∗((X,A)× (Y,B);K

)graduierter K-Algebren.18

Beweisskizze. Der erste Teil folgt, indem wir das algebraische Kunneththeorem furKohomologie auf den singularen Kettenkomplex C( · ;R) anwenden, dem Satz vonEilenberg-Zilber (Bemerkung 2.56), und dem Zusammenhang zwischen Diagonalappro-ximationen bzw. Eilenberg-Zilber-Morphismen und dem kohomologischen Kreuz-Pro-dukt bzw. Cup-Produkt (Korollar 2.51, Beispiel 2.53).

Der zweite Teil folgt aus dem ersten, da die entsprechenden Tor-Terme trivial sind(Beispiel B.91), der Naturlichkeit des Cup-Produkts und dem Zusammenhang zwischendem Cup-Produkt und dem kohomologischen Kreuz-Produkt (Proposition 2.12).

Caveat 3.20. Bereits diskrete Raume und singulare Kohomologie im Grad 0 zeigen,dass die Endlichkeitsvoraussetzung an die Kohomologie eines der beiden Faktoren nichteinfach fallengelassen werden kann.

Beispiel 3.21. Seien n,m ∈ N>1. Zusammen mit Satz 2.23 und 2.24 erhalten wir diefolgenden Isomorphismen

H∗(RPn × RPm;Z/2) ∼= Z/2[x]/(xn+1)⊗Z/2 Z/2[y]/(ym+1) mit |x| = 1 = |y|∼= Z/2[x, y]/(xn+1, ym+1)

H∗(CPn × CPm;Z) ∼= Z[x]/(xn+1)⊗Z Z[y]/(ym+1) mit |x| = 2 = |y|∼= Z[x, y]/(xn+1, ym+1)

von graduierten Algebren. Im Fall komplex-projektiver Raume gilt dies auch uber Z,da die entsprechenden Tor-Terme trivial sind (alle Kohomologiemoduln von CPnbzw. CPm sind frei).

18Sind A und B graduierte K-Algebren, so definieren wir die graduierte K-Algebra A⊗K B durch

(A⊗K B)n :=⊕p∈Z

Ap ⊗K Bn−p

fur alle n ∈ Z und durch die durch

∀a,a′∈A ∀b,b′∈B (a⊗ b) · (a′ ⊗ b′) := (−1)|a′|·|b| · (a · a′)⊗ (b · b′)

gegebene Multiplikation.

76

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Insbesondere erhalten wir:

Satz 3.22 (Eingrenzen der Dimensionen reeller Divisionsalgebren). Sei n ∈ N>0. FallsRn die Struktur einer reellen Divisionsalgebra zulasst, ist n eine Potenz von 2.

Beweisskizze. Dies folgt ahnlich zum Beweis des Satzes von Borsuk-Ulam (Satz 3.12)mithilfe des Kohomologierings H∗(RPn−1 × RPn−1;Z/2).

3.4. Singulare Kohomologie von aufsteigenden Vereinigungen– die lim1-Sequenz

Als letztes universelles Koeffiziententheorem betrachten wir die Frage, wie man sin-gulare Kohomologie von aufsteigenden Vereinigungen aus der Kohomologie der einzel-nen Raume berechnen kann. Auch diese Situation kann wie das algebraische universelleKoeffiziententheorem fur Homologie modelliert werden – mit der technischen Schwie-rigkeit, dass die betrachteten Funktoren nicht direkt auf einer Modulkategorie agieren.Man kann nun den Formalismus abgeleiteter Funktoren auf abelschen Kategorien ein-setzen oder die notigen Terme ad-hoc definieren und studieren. Wir werden uns hiermit letzterer Variante begnugen.

Satz 3.23 (lim1-Sequenz fur Kohomologie, algebraisch). Sei R ein Ring mit Eins,sei C := (C(k), r(k))k∈N ein inverses System in RCoCh und fur jedes n ∈ Z erfulle(Cn(k), rn(k))k∈N die Mittag-Leffler-Bedingung. Dann gibt es fur alle n ∈ Z einenaturliche exakte Sequenz

0 // lim←−1R

k∈NHn−1(C(k)) // Hn(lim←−

1R C) // lim←−

k∈NHn(C(k)) // 0

wobei das inverse System in Kohomologie von den Strukturabbildungen von C induziertwird und die rechte Abbildung die kanonische Abbildung in den inversen Limes ist.

Wir erklaren kurz die auftretenden Begriffe und Hilfsmittel; hierbei ist lim←−1R eine

ad-hoc Variante des abgeleiteten Funktors des inversen Limes und die Mittag-Leffler-Bedingung stellt das Verschwinden hinreichend vieler lim←−

1R-Terme sicher (analog zur

Freiheits-Voraussetzung im universellen Koeffiziententheorem).

Definition 3.24 (lim1). Sei R ein Ring mit Eins. Zu einem inversen System A :=(Ak, rk : Ak −→ Ak−1)k∈N in RMod (wobei wir kurz A−1 := 0 schreiben) definiert man

lim←−1R A := coker

(∏k∈NA

k →∏k∈NA

k

x 7→ (xk − rk+1(xk+1))k∈N

).

Bemerkung 3.25 (kurze exakte lim1-Sequenz). Sei R ein Ring mit Eins. Sei

0 // Af// B

g// C // 0

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eine kurze exakte Sequenz von inversen Systemen in RMod, d.h. f und g sind Folgenvon Homomorphismen, die mit den Strukturabbildungen von A und B vertraglich sind,und fur jedes k ∈ N ist die zugehorige Sequenz

0 // Akfk

// Bkgk// Ck // 0

exakt in RMod. Dann zeigt eine passende lange exakte Homologiesequenz, dass es einenaturliche exakte Sequenz in RMod der folgenden Form gibt:

0 // lim←−Alim←− f

// lim←−Blim←− g

// lim←−C// lim←−

1R A

lim←−1R f// lim←−

1R B

lim←−1R g// lim←−

1R C

// 0

Bemerkung 3.26 (Mittag-Leffler-Bedingung). Sei R ein Ring mit Eins. Ein inver-ses System A in RMod erfullt die Mittag-Leffler-Bedingung, wenn folgendes gilt: Zujedem k ∈ N gibt es ein K ∈ N≥k, so dass fur alle m ∈ N≥K die Gleichheit

im(fk+1 · · · fm : Am → Ak) = im(fk+1 · · · fK : AK → Ak)

gilt.Eine Rechnung zeigt: Erfullt ein inverses System A in RMod die Mittag-Leffler-

Bedingung, so ist lim←−1R A∼= 0.

Beweisskizze (von Satz 3.23). Wir verfahren nach demselben Beweismuster wie im al-gebraischen universellen Koeffiziententheorem fur Homologie (Satz 3.1).

Aus der lim1-Sequenz erhalten wir die folgende topologische Version:

Korollar 3.27 (singulare Kohomologie aufsteigender Vereinigungen). Sei X ein to-pologischer Raum und sei (Xk)k∈N eine aufsteigende Folge von Unterraumen mit X =⋃k∈NXk und der folgenden Eigenschaft: Zu jeder kompakten Teilmenge K ⊂ X gibt

es ein k ∈ N mit K ⊂ Xk. Sei außerdem Z ∈ Ob(RMod). Dann gibt es fur alle n ∈ Zeine (in X und Z) naturliche exakte Sequenz

0 // lim←−1R

k∈NHn−1(Xk;Z) // Hn(X;Z) // lim←−

k∈NHn(Xk;Z) // 0,

wobei das inverse System bzw. die rechte Abbildung von den Inklusionen (Xk →Xk+1)k∈N bzw. (Xk → X)k∈N induziert wird.

Beweisskizze. Dies folgt, indem wir Satz 3.23 auf die entsprechenden singulare Ko-kettenkomplexe anwenden. Die Voraussetzungen an die Folge der Unterraume stelltsicher, dass diese Komplexe gradweise die Mittag-Leffler-Bedingung erfullen.

Mit diesem Hilfsmittel sehen wir insbesondere, dass wir singulare Kohomologie vonallgemeinen CW-Komplexen durch den zugehorigen zellulare Kokettenkomplex berech-nen konnen:

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Korollar 3.28 (singulare Kohomologie via zellulare Kohomologie). Sei X ein CW-Komplex und sei R ein Ring mit Eins. Dann gibt es fur alle n ∈ Z einen (in R undin zellularen Abbildungen naturlichen) Isomorphismus

Hn(X;R) ∼=R HnH∗( · ;R)(X).

Beweisskizze. Da H∗( · ;R) additiv ist, ist leicht zu sehen, dass Satz 1.23 im Fallvon H∗( · ;R) auch fur endlich-dimensionale CW-Komplexe gilt.

Man wendet nun Korollar 3.27 auf die Filtrierung von X durch die Skelette undSatz 3.23 auf die entsprechende Situation fur zellulare Kokettenkomplexe an. Ein Ver-gleich der entsprechenden exakten Sequenzen und die Tatsache, dass singulare undzellulare Kohomologie fur die (endlich-dimensionalen!) Skelette ubereinstimmen, lie-fert nun mithilfe des Funfer-Lemmas (Proposition B.6) die Behauptung.

Beispiel 3.29 (Kohomologieringe unendlich-dimensionaler projektiver Raume). MitKorollar 3.28 (fur den additiven Isomorphismus) und Korollar 3.27 (fur die multipli-kative Struktur) erhalten wir die folgenden Isomorphismen graduierter Algebren:

H∗(RP∞;Z/2) ∼= Z/2[x] mit |x| = 1

H∗(RP∞ × RP∞;Z/2) ∼= Z/2[x, y] mit |x| = 1 = |y|H∗(CP∞;Z) ∼= Z[x] mit |x| = 2

H∗(CP∞ × CP∞;Z) ∼= Z[x, y] mit |x| = 2 = |y|

Zum Beispiel zeigt diese Berechnung von H∗(RP∞×RP∞;Z/2), dass Z/2×Z/2 nichtfrei auf einer Sphare operieren kann.

Allgemeiner gilt:

Bemerkung 3.30 (Kohomologie der Grassmannschen und charakteristische Klas-sen). Sei n ∈ N. Wir bezeichnen die unendlich-dimensionalen reellen bzw. komplexenGrassmannschen von n-dimensionalen Unterraumen mit Gn(R∞) bzw. Gn(C∞). Mankann nun (z.B. mithilfe einer geeigneten CW-Struktur und Zusatzinformationen uberVektorbundel) zeigen, dass es Isomorphismen

H∗(Gn(R∞);Z/2

) ∼= Z/2[w1, . . . , wn] mit |wj | = j

H∗(Gn(C∞);Z

) ∼= Z[c1, . . . , cn] mit |cj | = 2 · j

graduierter Algebren gibt.Da diese Grassmannschen klassifizierende Raume fur n-dimensionale reelle bzw.

komplexe Vektorbundel sind, erhalten wir mit der auf Seite 7 beschriebenen Methodecharakteristische Klassen fur reelle bzw. komplexe Vektorbundel. Im reellen Fall lie-fert dies die sogenannten Stiefel-Whitney-Klassen, im komplexen Fall die sogenanntenChern-Klassen.

Zum Abschluss skizzieren wir wie die Kohomologie von CP∞ eine interessanteBrucke zwischen Algebra bzw. algebraischer Geometrie und algebraischer Topologiebaut:

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Bemerkung 3.31 (Kohomologietheorien und formale Gruppengesetze). Sei h eineadditive Kohomologietheorie auf Top2, die eine multiplikative Struktur tragt. Einekomplexe Orientierung von h ist eine Klasse u ∈ h2(CP∞), die unter der Komposition

h2(CP∞) // h2(CP 1) = h2(S2) oo∼= // h0(•)

auf das Einselement des Rings h0(•) abgebildet wird; dabei ist der linke Homomor-phismus von der Inklusion CP 1 → CP∞ induziert und der rechte Isomorphismus istder Einhangungsisomorphismus.

Man kann nun mithilfe der Atiyah-Hirzebruch-Spektralsequenz (Satz 1.28) zeigen,dass

h∗(CPn)←− E[x]/(xn+1) mit |x| = 2

u←− [ x

fur alle n ∈ N ein Isomorphismus graduierter Algebren ist; dabei schreiben wir Efur den graduierten Ring h∗(•). Mithilfe einer geeigneten lim1-Sequenz fur allgemeineadditive Kohomologietheorien und einem entsprechenden Kunneththeorem erhaltenwir daraus entsprechende Isomorphismen

h∗(CP∞) ∼= EJxKhh∗(CP∞ × CP∞) ∼= EJx, yKh

graduierter Algebren.19

Es gibt eine kanonische, interessante stetige Abbildung m : CP∞ ×CP∞ −→ CP∞(die zum Beispiel durch komplexe Geradenbundel beschrieben werden kann). Man kanndann zeigen, dass die formale Potenzreihe

Fh := h2(m)(u) ∈ h∗(CP∞ × CP∞) ∼= EJx, yKh

ein sogenanntes formales Gruppengesetz ist. Dies kann zum Beispiel (mithilfe einesgeeigneten Spaltungsprinzips fur komplexe Vektorbundel bzgl. h) genutzt werden, umh-wertige charakteristische Klassen fur komplexe Vektorraumbundel zu konstruieren.

Zum Beispiel gilt:– Reelle topologische K-Theorie KO besitzt keine komplexe Orientierung.– Singulare Kohomologie H∗( · ;Z) mit Z-Koeffizienten besitzt eine komplexe Ori-

entierung (dies zeigt unsere Berechnung von H∗(CP∞;Z)); das zugehorige for-male Gruppengesetz ist das sogenannte additive formale Gruppengesetz

”x+ y.“

– Komplexe topologische K-Theorie KU besitzt eine komplexe Orientierung; dasformale Gruppengesetz ist das multiplikative formale Gruppengesetz

”x+y+x·y.“

19Fur einen graduierten Ring A bezeichnet AJxKh den graduierten homogenen formalen Potenzrei-henring: Ist n ∈ Z, so ist

AJxKnh =∑j∈N

aj · xj∣∣∣ ∀j∈N |aj |+ |x| · j = n

.

Die Multiplikation ist wie ublich durch Ausmultiplizieren der Potenzreihen gegeben.

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– Komplexer Kobordismus MU besitzt eine komplexe Orientierung; das zugehori-ge formale Gruppengesetz ist das sogenannte universelle formale Gruppengesetzuber dem Lazard-Ring.

Umgekehrt liefert das Landweber exact functor theorem ein hinreichendes Kriteri-um dafur, wann ein formales Gruppengesetz zu einer Kohomologietheorie fuhrt. ZumBeispiel erhalt man aus elliptischen Kurven formale Gruppengesetze und daraus ent-sprechend die sogenannten elliptischen Kohomologietheorien.

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4. (Ko)Homologie von Mannigfaltigkeiten

Wir werden nun die Geometrie und Topologie von Mannigfaltigkeiten mithilfe vonsingularer (Ko)Homologie studieren. Insbesondere betrachten wir die folgenden Frage-stellungen:

– Wie kann man Orientierbarkeit von Mannigfaltigkeiten mithilfe von singularer(Ko)Homologie formulieren?

– Welche Konsequenzen hat dies fur die (Ko)Homologie von Mannigfaltigkeiten?Welche Dualitatseigenschaften ergeben sich dadurch?

– Wie kann man (Ko)Homologietheorien auf der Kategorie der Mannigfaltigkeitenvergleichen? Was hat Kohomologie mit Integration zu tun?

In all diesen Fallen spielen geeignete Induktionsprinzipien fur Mannigfaltigkeiten eineSchlusselrolle.

4.1. Topologische Mannigfaltigkeiten

Wir beginnen mit einer kurzen Wiederholung der Grundbegriffe, geben Standardbei-spiele fur Mannigfaltigkeiten und beschreiben dann Induktionsprinzipien fur Mannig-faltigkeiten. Im wesentlichen werden wir uns im folgenden mit topologischen Mannig-faltigkeiten beschaftigen:

Definition 4.1 (topologische Mannigfaltigkeit). Sei n ∈ N. Eine n-dimensionale to-pologische Mannigfaltigkeit ist ein topologischer Raum M mit folgenden Eigenschaften(Abbildung (4.2)):

– der topologische Raum M ist lokal homoomorph zu Rn, d.h. fur alle x ∈M gibtes eine offene Umgebung U ⊂M von x mit

U ∼=Top Rn,

– der topologische Raum M ist hausdorffsch,– der topologische Raum M erfullt das zweite Abzahlbarkeitsaxiom (d.h. er besitzt

eine abzahlbare Basis der Topologie).Wir schreiben Mfdn fur die Kategorie der n-dimensionalen topologischen Mannigfal-tigkeiten (mit stetigen Abbildungen als Morphismen) und Mfd6=∅n fur die Kategorie dernicht-leeren Mannigfaltigkeiten in Mfdn.

Wir betrachten nur topologische Mannigfaltigkeiten wie in der obigen Definition, d.h.Mannigfaltigkeiten ohne Rand. Kompakte Mannigfaltigkeiten ohne Rand bezeichnetman auch als geschlossene Mannigfaltigkeiten.

Bemerkung 4.3 (Wohldefiniertheit der Dimension). Nach dem Satz uber die Invari-anz der Dimension (Korollar II.2.19) besitzt jede nicht-leere topologische Mannigfal-tigkeit nur genau eine Dimension.

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x

U ∼=Top Rn

?

Abbildung (4.2): Topologische Mannigfaltigkeiten sehen lokal wie Rn aus; das Beispielrechts ist daher keine topologische Mannigfaltigkeit.

Bemerkung 4.4 (Mannigfaltigkeiten und CW-Strukturen). Wir werden hin und wie-der die folgenden Fakten uber topologische Mannigfaltigkeiten Mannigfaltigkeiten ver-wenden:20

– Jede topologische Mannigfaltigkeit ist zu einem abzahlbaren CW-Komplex ho-motopieaquivalent.

– Jede kompakte topologische Mannigfaltigkeit M wird von einem endlichen CW-Komplex dominiert, d.h. es gibt einen endlichen CW-Komplex X und stetigeAbbildungen i : M −→ X, r : X −→M mit

r i 'Top idM .

Insbesondere folgt daraus, dass fur jeden Ring R mit Eins und jedes n ∈ Z derHomologiemodul Hn(M ;R) uber R endlich erzeugt ist und dass die Fundman-talgruppe π1(M,x) fur jedes x ∈M endlich erzeugt ist.

Beispiel 4.5 (topologische Mannigfaltigkeiten).– Ist n ∈ N, so ist ∅ eine topologische n-Mannigfaltigkeit.– Ein diskreter topologischer Raum ist genau dann eine topologische Mannigfal-

tigkeit (der Dimension 0), wenn er hochstens abzahlbar ist.– Fur alle n ∈ N sind der euklidische Raum Rn (bzw. alle offenen Teilmengen

von Rn) und die Sphare Sn topologische Mannigfaltigkeiten der Dimension n.– Fur alle n ∈ N sind die projektiven Raume RPn bzw. CPn topologische Man-

nigfaltigkeiten der Dimension n bzw. 2 · n.– Sind n,m ∈ N, so sind die Grassmannschen Gn(Rm) bzw. Gn(Cm) topologische

Mannigfaltigkeiten.– Fur alle n ∈ N sind GL(n,R), SL(n,R), O(n), SO(n) etc. bezuglich der Stan-

dardtopologien auf Matrizen topologische Mannigfaltigkeiten.– Sind M und N topologische Mannigfaltigkeiten, so ist M×N bzgl. der Produkt-

topologie eine topologische Mannigfaltigkeit mit dim(M×N) = dimM+dimN .Insbesondere sind Tori topologische Mannigfaltigkeiten.

– Ist M eine topologische Mannigfaltigkeit und ist N −→ M eine abzahlbareUberlagerung, so ist auch N eine topologische Mannigfaltigkeit.

20J.W. Milnor. On Spaces Having the Homotopy Type of a CW-Complex. Transactions of the Ame-rican Mathematical Society, 90(2), S. 272–280, 1959.

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M

ϕ−1(Dn) N

ψ−1(Dn)

M #N

Abbildung (4.6): Konstruktion der zusammenhangenden Summe

Abbildung (4.7): Die Kleinsche Flasche

– Totalraume von Faserbundeln, deren Faser und Basisraum topologische Man-nigfaltigkeiten sind, sind topologische Mannigfaltigkeiten; z.B. ist das (offene)Mobiusband eine topologische Mannigfaltigkeit.

– Seien M und N (nicht-leere) topologische Mannigfaltigkeiten derselben Dimensi-on n. Die zusammenhangende Summe M #N von M und N wird wie folgt defi-niert (Abbildung (4.6)): Seien x ∈M und y ∈ N und seien U ⊂M bzw. V ⊂ Noffene Umgebungen von x bzw. y in N mit Homoomorphismen ϕ : U −→ Rnbzw. ψ : V −→ Rn. Man setzt nun:

M #N :=((M \ ϕ−1(Dn) t (N \ ψ−1(Dn)

) /(∀x∈Sn−1 ϕ(x) ∼ ψ(x)).

Man kann zeigen, dass M #N eine topologische n-Mannigfaltigkeit ist und dassdiese Konstruktion tatsachlich (bis auf Homoomorphie) von den gewahlten Punk-ten und den gewahlten Umgebungen unabhangig ist.

– Die Kleinsche Flasche K := [0, 1]× [0, 1]/∼, wobei die Aquivalenzrelation

”∼“

die Verklebung in Abbildung (4.7) modelliert, ist eine 2-dimensionale topologi-sche Mannigfaltigkeit.

– Allgemeiner erhalt man alle kompakten Flachen durch geeignete Verklebungenregularer Polygone (Abbildung (4.8)).

Caveat 4.9. Es gibt kompakte topologische Mannigfaltigkeiten, die keine glatte Struk-tur zulassen und es gibt sogar kompakte topologische Mannigfaltigkeiten, die nichttriangulierbar sind.

Bemerkung 4.10 (Unberechenbarkeit der Klassifikation). Sei n ∈ N≥4. Man kannbeweisen, dass man triangulierte kompakte topologische n-Mannigfaltigkeiten nicht

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ab

a

b

a′ b′

a′

b′

Abbildung (4.8): orientierte, geschlossene, zusammenhangende Flache mit”zwei Hen-

keln“ aus einem Achteck

algorithmisch bis auf Homoomorphie oder bis auf Homotopieaquivalenz klassifizierenkann, indem man Klassifikationsprobleme dieser Art mit dem Wortproblem in derGruppentheorie (und damit mit dem Halteproblem fur Turingmaschinen) in Verbin-dung setzt.

Ein zentrales Hilfsmittel, um Aussagen uber alle Mannigfaltigkeiten einer gegebenenDimension zu beweisen, sind Induktionsprinzipien, die jeweils nur aus Mannigfaltig-keitsbausteinen bestehen (im Gegensatz zu z.B. CW-Zerlegungen). Ein Beispiel dafurist:

Satz 4.11 (Induktionsprinzip fur Mannigfaltigkeiten und kompakte Teilraume). Sein ∈ N und sei P eine Klasse von Paaren der Form (M,K), wobei M ∈ Ob(Mfdn) undK ⊂M kompakt ist. Die Klasse P besitze die folgenden Eigenschaften:

1. Es ist (∅, ∅) ∈ P .2. Ist K ⊂ Rn kompakt und konvex, so ist (Rn,K) ∈ P .3. Ist (M,K) ∈ P , ist N ∈ Mfdn und ist f : M −→ N ein Homoomorphismus, so

ist auch (N, f(K)) ∈ P .4. Ist M ∈ Ob(Mfdn), ist U ⊂ M offen und K ⊂ U kompakt mit (U,K) ∈ P , so

ist auch (M,K) ∈ P .5. Fur alle (M,K1), (M,K2) ∈ P mit (M,K1∩K2) ∈ P ist auch (M,K1∪K2) ∈ P .6. Sind (M,Kj)j∈N ⊂ P und K :=

⋂j∈NKj mit den Eigenschaften (siehe Abbil-

dung (4.12))– Fur alle j ∈ N ist Kj+1 ⊂ Kj– Fur alle j ∈ N und alle x ∈ Kj gibt es eine offene Umgebung U ⊂M von x

mitU ∼=Top Rn und U ∩K 6= ∅ und U ⊂ Kj−1.

so folgt (M,K) ⊂ P .Dann ist

P =

(M,K)∣∣M ∈ Ob(Mfdn), K ⊂M kompakt

.

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K

Kj

Kj−1

U

x

Abbildung (4.12): Approximation von kompakten Teilmengen von außen

Beweisskizze.a Aus 1. und 4. folgt per Induktion: Ist m ∈ N und sind K1, . . . ,Km ⊂ Rn kompakt

und konvex, so ist(Rn,K1 ∪ · · · ∪Km) ∈ P,

denn (K1 ∪ · · · ∪Km−1) ∩Km = (K1 ∩Km) ∪ · · · ∪ (Km−1 ∩Km) und Schnittekompakter konvexer Mengen sind kompakt und konvex.

b Ist K ⊂ Rn kompakt, so ist (Rn,K) ∈ P , denn man kann ohne Schwierigkeiteneine Folge (Kj)j∈N von Teilmengen mit den Eigenschaften aus a. und mit K =⋂j∈NKj konstruieren, die die Bedingungen aus 4. erfullt (z.B. als Vereinigungen

kleiner abgeschlossener Balle um endlich viele Punkte aus K).c Ist M ∈ Ob(Mfdn) und ist K ⊂ M kompakt mit der Eigenschaft, dass es eine

offene Teilmenge U ⊂ M mit U ∼=Top Rn und K ⊂ U gibt, so ist (U,K) ∈ P(nach b.), und somit (M,K) ∈ P (nach 3.).

d Ist M ∈ Ob(Mfdn) und ist K ⊂ M kompakt, so existiert ein m ∈ N undK1, . . . ,Km wie in c. mit K = K1 ∪ · · · ∪Km. Analog zu a. folgt mit c. und 4.induktiv, dass (M,K) ∈ P .

Weitere Beispiele werden wir im Beweis von Poincare-Dualitat und beim Vergleichvon Theorien auf glatten Mannigfaltigkeiten mit singularer (Ko)Homologie kennenler-nen.

4.2. Orientierbarkeit und Fundamentalklassen

Wir fuhren nun mithilfe von singularer Homologie einen Orientierbarkeitsbegriff furMannigfaltigkeiten ein. Grob gesagt ist eine Mannigfaltigkeit orientierbar, wenn manlokal (wo die Mannigfaltigkeit aussieht wie Rn) Orientierungen von Rn wahlen kann,die

”stetig“ zusammenpassen (Abbildung (4.13)). Eine prazise Formulierung dieser

Vorstellung erhalt man zum Beispiel uber singulare Homologie:

Definition 4.14 (Orientierung einer topologischen Mannigfaltigkeit). Sei n ∈ N, seiM eine topologische n-Mannigfaltigkeit und sei R ein Ring mit Eins.

– Eine R-Orientierung von M ist eine Familie(µx ∈ Hn(M,M \ x;R)

)x∈M mit

folgenden Eigenschaften:

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orientierbar nicht orientierbar

?

Abbildung (4.13): (Nicht-)Orientierbarkeit, anschaulich

– Fur alle x ∈M ist

µx ∈ Hn(M,M \ x;R) ∼=R Hn(Rn,Rn \ 0;R) ∼=R R

eine Einheit.– Zu jedem x ∈ M gibt es eine offene Umgebung U ⊂ M von x und eine

Homologieklase µU ∈ Hn(M,M \ U ;R) mit: Fur alle y ∈ U gilt

Hd(iUy ;R)(µU ) = µy,

wobei iUy : (M,M \ U) −→ (M,M \ y) die Inklusion ist.– Die Mannigfaltigkeit M heißt R-orientierbar, wenn es eine R-Orientierung auf M

gibt.– Die Mannigfaltigkeit M heißt orientierbar, wenn sie Z-orientierbar ist.

Eine orientierte Mannigfaltigkeit ist eine topologische Mannigfaltigkeit zusammen miteiner Z-Orientierung.

Bemerkung 4.15 (Orientierbarkeit glatter Mannigfaltigkeiten). Man kann zeigen,dass eine glatte Mannigfaltigkeit genau dann im Sinne der Differentialtopologie (d.h.definiert uber das Tangentialbundel) orientierbar ist, wenn sie im Sinne von Definiti-on 4.14 orientierbar ist.

Beispiel 4.16. Ist R ein Ring mit Eins, so ist jede topologische 0-Mannigfaltigkeitoffenbar R-orientierbar.

Proposition 4.17 (Orientierbarkeit bzgl. verschiedener Koeffizienten). Sei M einetopologische Mannigfaltigkeit.

1. Dann gibt es genau eine Z/2-Orientierung auf M .2. Sei R ein Ring mit Eins. Ist M orientierbar, so ist M auch R-orientierbar.

Beweisskizze. Der erste Teil folgt im wesentlichen daraus, dass es in Z/2 genau eineEinheit gibt.

Der zweite Teil folgt, da die lokalen Koeffizientenwechselabbildungen Einheiten aufEinheiten abbilden und diese Abbildungen naturlich sind.

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Proposition 4.18 (Orientierbarkeit von Rn). Sei n ∈ N und sei R ein Ring mit Eins.1. Sei r ∈ R>0 und K := r ·Dn := r · x

∣∣ x ∈ Dn. Ist k ∈ Z und x ∈ K, so sinddie von den Inklusionen induzierten Abbildungen

Hk(Rn,Rn \K;R) −→ Hk(Rn,Rn \ x;R)

Hk(Rn,Rn \K;R) −→ Hk(Rn,Rn \ x;R)

Isomorphismen in RMod.2. Insbesondere ist Rn eine R-orientierbare topologische n-Mannigfaltigkeit. Ist x ∈

Rn, so ist eine R-Orientierung µ auf Rn bereits durch µx ∈ Hn(Rn,Rn \ x;R)eindeutig bestimmt.

3. Insbesondere liefert die homologischer Orientierung ε(n) aus Proposition 2.62eine R-Orientierung auf Rn.

Beweisskizze. Der erste Teil folgt aus der verallgemeinerten Homotopieinvarianz vonsingularer Homologie (Proposition II.2.5) und dem folgenden kommutativen Diagrammvon Inklusionen:

(Rn,Rn \K) // (Rn,Rn \K) // (Rn,Rn \ x)

(2 · r ·Dn, 2 · r · Sn−1)

ii OO 55

Der zweite Teil folgt aus dem ersten Teil (da Translationen auf Rn Homoomorphis-men sind). Der dritte Teil folgt aus dem zweiten Teil.

Wir werden nun die lokalen Klassen einer Orientierung zu einer globalen Homolo-gieklasse (einer sogenannten Fundamentalklasse) verkleben. Als ersten Schritt zeigenwir, dass eine solche Verklebung – wenn sie denn existiert – eindeutig ist:

Proposition 4.19 (Eindeutigkeit von Fundamentalklassen). Sei n ∈ N, sei R einRing mit Eins, sei M eine topologische n-Mannigfaltigkeit und sei K ⊂M kompakt.

1. Dann gilt:a) Fur alle k ∈ N>n ist Hk(M,M \K;R) ∼=R 0.b) Sei α ∈ Hn(M,M \ K;R) und fur alle x ∈ K gelte Hn(iKx ;R)(α) = 0 ∈

Hn(M,M \ x;R). Dann ist ist α = 0.2. Ist K zusammenhangend, so ist

Hn(iKx ;R) : Hn(M,M \K;R) −→ Hn(M,M \ x;R)

fur alle x ∈ K injektiv.

Beweisskizze. Beweis von Teil 1. Wir beweisen diese beiden Aussagen gleichzeitig mit-hilfe des Induktionsprinzips fur Mannigfaltigkeiten und kompakte Teilraume (Satz 4.11)und weisen dafur die entsprechenden Eigenschaften der Klasse P der Paare (M,K),die beide Behauptungen erfullen, nach:

1. Offenbar besitzt (∅, ∅) die gewunschte Eigenschaft.

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2. Ist K ⊂ Rn kompakt und konvex (und ohne Einschrankung nicht-leer), soist (Rn,K) ∼=Top2 (Rn, Dn). Mit Proposition 4.18 folgt somit, dass die behaupte-ten Aussagen fur (Rn,K) gelten.

3. Die behaupteten Aussagen bleiben unter Homoomorphismen offensichtlich erhal-ten, da H∗( · ;R) homoomorphieinvariant ist.

4. Die Abgeschlossenheit unter Ubermannigfaltigkeiten folgt aus Ausschneidung.5. Die Vererbung unter Verklebung zweier kompakter Teilmengen folgt mithilfe der

(relativen) Mayer-Vietoris-Sequenz (Satz II.2.27).6. SeiM ∈ Ob(Mfdn) und seiK =

⋂j∈NKj mit den Voraussetzungen aus Satz 4.11.6.

Sei nun k ∈ Z und sei α ∈ Hk(M,M \K;R); sei c ∈ Ck(M ;R) eine singulare Ket-te mit ∂c ∈ Ck−1(M\K;R), die α in Hn(M,M\K;R) reprasentiert. Da singulareKetten kompaktes

”Bild“ haben, gibt es ein j ∈ N mit ∂c ∈ Ck−1(M \Kj−1;R)

(Abbildung (4.20)). Insbesondere gibt es ein α ∈ Hk(M,M \Kj ;R) mit

Hk(iKj

K ;R)(α) = α ∈ Hk(M,M \K;R).

Ist k > n, so ist nach Voraussetzung Hn(M,M \Kj ;R) ∼=R 0, und somit insbe-sondere α = 0.Sei nun k = n und es gelte fur alle x ∈ K, dass Hn(iKx ;R)(α) = 0 ist. Seinun y ∈ Kj . Nach Voraussetzung gibt es eine offene Umgebung U ⊂ M von ymit

U ∼=Top Rn und U ∩K 6= ∅ und U ⊂ Kj−1.

Also ist ∂c ∈ Cn−1(M \U ;R); somit definiert c eine Klasse in Hn(U,U \ y;R).Sei etwa x ∈ U ∩K. Mit Proposition 4.18 folgt daher, dass

Hn(iKjy ;R)(α) = Hn

((U,U \ y) → (M,M \ y)

)([c])

= Hn(iKx ;R)(α)

= 0.

Nach der Voraussetzung an (M,Kj) ist somit α = 0, und damit insbesondereauch α = 0.

Also ist P = (M,K) |M ∈ Ob(Mfdn), K ⊂M kompakt, wie behauptet.Beweis von Teil 2. Sei x ∈ K und sei α ∈ Hn(M,M \ K) mit Hn(iKx ;R)(α) = 0.

Wenden wir Proposition 4.18 lokal an, so sehen wir, dass

U :=y ∈ K

∣∣ Hn(iKy ;R)(α) = 0,

V :=y ∈ K

∣∣ Hn(iKy ;R)(α) 6= 0

in K offen sind. Wegen U = K \V ist U also auch abgeschlossen. Da x ∈ U ist und Kzusammenhangend ist, folgt U = K. Mit dem ersten Teil erhalten wir somit

α ∈⋂y∈K

kerHn(iKx ;R) = 0.

Also ist Hn(iKx ;R) : Hn(M,M \K;R) −→ Hn(M,M \ x;R) injektiv.

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K

Kj

Kj−1

U

xy

∂c

Abbildung (4.20): relative Zykel und approximierende kompakte Teilmengen im Be-weis der Eindeutigkeit von Fundamentalklassen

Die Existenz von Fundamentalklassen entlang kompakter Teilmengen erhalten wirnun induktiv durch Verkleben:

Satz 4.21 (Fundamentalklassen orientierter Mannigfaltigkeiten entlang kompakterTeilmengen). Sei n ∈ N, sei R ein Ring mit Eins, sei M eine topologische n-Mannig-faltigkeit und sei µ eine R-Orientierung auf M .

1. Ist K ⊂M kompakt, so gibt es genau ein µK ∈ Hn(M,M \K;R) mit folgenderEigenschaft: Fur alle x ∈ K gilt

Hn(iKx ;R)(µK) = µx,

wobei iKx : (M,M \K) −→ (M,M \ x) die Inklusion bezeichnet.2. Ist K ⊂M kompakt und zusammenhangend, so ist

Hn(iKx ;R) : Hn(M,M \K;R) −→ Hn(M,M \ x;R)

fur alle x ∈ K ein R-Isomorphismus.

Beweisskizze. Wir beginnen mit dem ersten Teil: Die Eindeutigkeit wurde in Proposi-tion 4.19 gezeigt. Wir zeigen nun induktiv die Existenz:

– Sei K ⊂ M kompakt und es gebe eine offene Menge U ⊂ M mit K ⊂ U , sowieeine Klasse µU ∈ Hn(M,M \ U ;R) mit

∀x∈U Hn(iUx ;R)(µU ) = µx.

Dann hat µK := Hn

((M,M \U) → (M,M \K);R

)(µU ) offenbar die gewunschte

Eigenschaft.– Sind K1 und K2 kompakte Teilmengen von M und gilt die Behauptung fur K1

und K2, so zeigt die relative Mayer-Vietoris-Sequenz fur (M,K1) und (M,K2)zusammen mit dem ersten Teil von Proposition 4.19, dass dann die Behauptungauch fur (M,K1 ∪K2) gilt.

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– Ist K ⊂ M eine kompakte Teilmenge, so gibt es – nach Definition der Orien-tierbarkeit und aufgrund der Kompaktheit von K – ein m ∈ N und kompakteTeilmengen K1, . . . ,Km ⊂ M mit den Eigenschaften aus dem ersten Schrittund K ⊂ K1 ∪ · · · ∪ Km. Induktiv folgt mit dem zweiten Schritt, dass K ′ :=K1 ∪ · · · ∪Km eine entsprechende Fundamentalklasse µK′ ∈ Hn(M,M \K ′;R)zulasst. Dann hat µK := Hn

((M,M \K ′) → (M,M \K);R

)(µK′) offenbar die

gewunschte Eigenschaft.Damit ist der erste Teil gezeigt.

Zum zweiten Teil: Die Surjektivitat folgt direkt aus dem ersten Teil. Da K zusam-menhangend ist, folgt die Injektivitat aus dem zweiten Teil von Proposition 4.19.

Korollar 4.22 (Fundamentalklasse kompakter orientierter Mannigfaltigkeiten). Sein ∈ N und sei M eine kompakte zusammenhangende topologische n-Mannigfaltigkeit.

1. Sei R ein Ring mit Eins und sei µ eine R-Orientierung von M . Dann istHn(iMx ;R) : Hn(M ;R) −→ Hn(M,M \ x;R) fur alle x ∈ M ein Isomorphis-mus und es gibt genau eine Homologieklasse [M ]R ∈ Hn(M ;R) mit folgenderEigenschaft: Fur alle x ∈M gilt

Hn(iMx ;R)[M ]R = µx.

Ist M nicht-leer, so wird Hn(M ;R) ∼=R R von [M ]R erzeugt. Man nennt [M ]Rdie R-Fundamentalklasse von M bzgl. der R-Orientierung µ. Singulare Zykel,die [M ]R reprasentieren heißen auch R-Fundamentalzykel von M bzgl. der R-Orientierung µ.

2. Ist M nicht-leer, so sind die folgenden Aussagen aquivalent:a) Die Mannigfaltigkeit M ist orientierbar.b) Es ist Hn(M ;Z) ∼=Z Z.c) Es ist Hn(M ;Z) 6∼=Z 0.

Beweisskizze. Der erste Teil ist eine direkte Konsequenz von Satz 4.21.Wir beweisen nun den zweiten Teil. Die Implikation

”a) =⇒ b)“ folgt aus dem

ersten Teil. Die Implikation”b) =⇒ c)“ ist klar. Es bleibt also,

”c) =⇒ a)“ zu zeigen:

Es gelte Hn(M ;Z) 6∼=Z 0. Aufgrund von Proposition 4.19.2 und da M kompakt ist, ist

Hn(iMx ;Z) : Hn(M ;Z) −→ Hn(M,M \ x;Z) ∼=Z Z

fur alle x ∈ M injektiv; da M nicht-leer ist, folgt somit, dass Hn(M ;Z) ∼=Z Z gilt.Sei etwa α ∈ Hn(M ;Z) ∼=Z Z ein Erzeuger. Aufgrund der eben erwahnten Injektivitatgibt es dann fur jedes x ∈ M genau einen Erzeuger µx ∈ Hn(M,M \ x;Z), fur denes mx ∈ N>0 mit

Hn(iMx ;Z)(α) = mx · µxgibt. Man kann nun leicht nachrechnen (mithilfe von Proposition 4.18), dass (µx)x∈Meine Orientierung auf M ist.

Beispiel 4.23 (Spharen). Ist n ∈ N>0, so ist Sn wegen Hn(Sn;Z) ∼=Z Z orientierbar.

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Beispiel 4.24 (Tori). Fur alle n ∈ N ist (S1)n orientierbar. Die in Beispiel II.3.45bzw. Beispiel 2.65 konstruierte Klasse in H2(S1×S1;Z) ist eine Z-Fundamentalklassevon S1 × S1.

Beispiel 4.25 (Kleinsche Flasche). Sei K die Kleinsche Flasche (Beispiel 4.5 undAbbildung (4.7)). Dann ist H2(K;Z) ∼=Z 0. Da K eine kompakte zusammenhangendetopologische 2-Mannigfaltigkeit ist, ist die Kleinsche Flasche also nicht orientierbar.

Beispiel 4.26 (Orientierbarkeit projektiver Raume). Sei n ∈ N>0.– Da CPn eine kompakte zusammenhangende topologische 2 · n-Mannigfaltigkeit

ist und H2·n(CPn;Z) ∼= Z gilt, ist CPn orientierbar.– Die topologische n-Mannigfaltigkeit RPn ist kompakt und zusammenhangend.

Wegen

Hn(RPn;Z) ∼=Z

Z falls n ungerade ist

0 falls n gerade ist

folgt somit, dass RPn genau dann orientierbar ist, wenn n ungerade ist.

Beispiel 4.27 (Fundamentalklasse einer Produktmannigfaltigkeit). Seien M und Norientierte geschlossene zusammenhangende nicht-leere Mannigfaltigkeiten. Dann istauch M ×N orientierbar und

[M ×N ]Z := [M ]Z × [N ]Z

ist nach dem Kunneththeorem fur Homologie (Korollar 3.15) eine Fundamentalklassevon M×N (fur die Produktorientierung auf M×N). Dies verallgemeinert Beispiel 2.65.

Insbesondere erlauben uns Fundamentalklassen kompakter orientierter Mannigfal-tigkeiten, Abbildungsgrade fur stetige Abbildungen zwischen solchen Mannigfaltigkei-ten zu definieren. Dies werden wir in Abschnitt 4.4 etwas genauer betrachten.

Bemerkung 4.28 (simpliziale Fundamentalklasse). Ist M eine triangulierte orien-tierte geschlossene zusammenhangende Mannigfaltigkeit, so kann man aus den Sim-plizes der Triangulierung kanonisch einen singularen Zykel konstruieren; dieser Zykelreprasentiert [M ]Z. Die Fundamentalklasse ist also in diesem Sinne ein homologischesAbbild der Mannigfaltigkeit (Abbildung (4.29)).

Bemerkung 4.30 (simpliziales Volumen). Sei n ∈ N und sei M eine orientierte ge-schlossene zusammenhangende nicht-leere n-Mannigfaltigkeit. Das simpliziale Volumenvon M ist definiert als

‖M‖ :=∥∥[M ]R

∥∥1

= inf k∑j=1

|aj |∣∣∣ k∑j=1

aj · σj ∈ Cn(M ;R) ist ein R-Fundamentalzykel von M

∈ R≥0.

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Abbildung (4.29): (Ausschnitt einer) Triangulierung, schematisch

Das simpliziale Volumen misst also, wie effizient man eine Mannigfaltigkeit (singular,mit reellen Koeffizienten) triangulieren kann. Das simpliziale Volumen besitzt zahlrei-che Anwendungen in der Geometrie von Mannigfaltigkeiten (Kapitel II.3.6) und liefertinsbesondere ein Hindernis fur die Existenz von Abbildungen mit gewissen Abbildungs-graden (Proposition 4.48).

Bemerkung 4.31 (Darstellung von singularen Homologieklassen durch Mannigfal-tigkeiten). Aus den Arbeiten von Thom zur Berechnung der Bordismusgruppen folgt:Ist X ein topologischer Raum, ist n ∈ N und ist α ∈ Hn(X;Z), so gibt es eineorientierte zusammenhangende geschlossene n-Mannigfaltigkeit M , eine stetige Abbil-dung f : M −→ X und ein d ∈ Z \ 0 mit

Hn(f ;Z)[M ]Z = d · α.

Bis auf Vielfache kann also jede singulare Homologieklasse durch eine Mannigfaltigkeitdargestellt werden. Im Fall n = 1 ist dies mit dem Satz von Hurewicz verwandt,denn die einzige orientierte geschlossene zusammenhangende 1-Mannigfaltigkeit (bisauf Homoomorphie) ist S1.

Bemerkung 4.32 (Orientierungsuberlagerung). Alternativ zum obigen Zugang zurOrientierbarkeit uber singulare Homologie kann man mithilfe der singularen Homolo-giegruppen auch die sogenannte Orientierungsuberlagerung konstruieren; diese ist einezweiblattrige Uberlagerung der gegebenen Mannigfaltigkeit. Die Orientierungsuberla-gerung ist dann genau dann die triviale zweiblattrige Uberlagerung, wenn die unter-liegende Mannigfaltigkeit M orientierbar ist. Schnitte der Orientierungsuberlagerungentsprechen dann genau den moglichen Orientierungen von M . Zum Beispiel ist fur ge-rade n ∈ N>0 die kanonische Projektion Sn −→ RPn die Orientierungsuberlagerung.Uberlagerungstheorie zeigt somit insbesondere, dass alle einfach zusammenhangendenMannigfaltigkeiten orientierbar sind (da sie keine nicht-trivialen zweiblattrigen Uebr-lagerungen besitzen).

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4.3. Poincare-Dualitat

Poincare-Dualitat ist ein zentraler Ausgangspunkt fur das topologische Verstandnisder Welt der Mannigfaltigkeiten. Im wesentlichen beruht Poincare-Dualitat auf derfolgenden Beobachtung:

Bemerkung 4.33 (duale Zellenzerlegung und Dualitat). Sei n ∈ N und sei M eine ori-entierte geschlossene zusammenhangende triangulierte nicht-leere n-Mannigfaltigkeit.Aus dieser Triangulierung erhalt man eine duale Zellenzerlegung (Abbildung (4.34)):Wir ersetzen n-Simplizes durch 0-Zellen, n− 1-Simplizes durch 1-Zellen zwischen denentsprechenden 0-Zellen, die zu den benachbarten n-Zellen gehoren, . . .

Mithilfe der Orientierung stellt man nun fest, dass

C∗(M ;Z) 'ZCoCh C∗zellular(M,duale Zellenzerlegung;Z)

'ZCoCh Csimplizialn−∗ (M, gegebene Triangulierung;Z)

'ZCoCh Cn−∗(M ;Z).

Dabei ist die zweite Kettenhomotopieaquivalenz durch”Durchschnitte zahlen“ gegeben

(mit den Vorzeichen, die durch die Orientierung gegeben sind). Letzteres erinnert andas Cap-Produkt und liefert somit einen Hinweis auf eine Moglichkeit, wie der obigeSachverhalt ohne Triangulierungen etc. formuliert und bewiesen werden kann.

In der Sprache singularer (Ko)Homologie formuliert sich dies also wie folgt:

Satz 4.35 (Poincare-Dualitat). Sei R ein kommutativer Ring mit Eins, sei n ∈ Nund sei M eine R-orientierte geschlossene zusammenhangende nicht-leere topologischen-Mannigfaltigkeit. Dann ist

· ∩ [M ]R : Hk(M ;R) −→ Hn−k(M ;R)

fur alle k ∈ Z ein Isomorphismus in RMod.

Der Beweis beruht auf einem Induktionsprinzip fur nicht-kompakte Mannigfaltig-keiten. Da der Satz fur nicht-kompakte Mannigfaltigkeiten jedoch keinen Sinn ergibt(mangelnde Fundamentalklasse) bzw. falsch ist (es gibt uberhaupt keine solchen Iso-morphismen), mussen wir die Induktionsbehauptung anders formulieren. Dies lasst sichzum Beispiel mit Kohomologie mit kompaktem Trager erreichen – die nach Definitionbesser auf Kompaktheit abgestimmt ist als singulare Kohomologie:

Definition 4.36 (singulare Kohomologie mit kompaktem Trager). Sei R ein Ringmit Eins, sei X ein topologischer Raum und sei K(X) die Menge aller kompaktenTeilraume von X (partiell geordnet durch Inklusion). Der Unterkomplex C∗c (X;R) derKoketten auf X mit kompaktem Trager auf X mit R-Koeffizienten von C∗(X;R) istfur k ∈ N durch

Ckc (X;R) :=f ∈ Ck(X;R)

∣∣ ∃K∈K(X) f |map(∆k,X\K) = 0

gegeben (Abbildung (4.37)). Die Kohomologie H∗c (X;R) := H∗(C∗c (X;R)) heißt Ko-homologie von X mit kompaktem Trager mit R-Koeffizienten. Diese Definition ist funk-toriell unter eigentlichen stetigen Abbildungen (d.h. stetigen Abbildungen mit der Ei-genschaften, dass Urbilder kompakter Mengen kompakt sind).

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(Ausschnitt einer) Triangulierung von M

Ausschnitt der dualen Zellenzerlegung von M

Abbildung (4.34): duale Zellenzerlegung zu einer Triangulierung

K

?

0

0

?

Abbildung (4.37): singulare Kohomologie mit kompaktem Trager, schematisch

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Proposition 4.38 (Kohomologie mit kompaktem Trager via Kolimiten). Sei R einRing mit Eins, sei X ein topologischer Raum und sei k ∈ Z. Dann induzieren dieInklusionen naturlichen Isomorphismus

colimK∈K( · )

Hk( · , · \K;R) ∼=R Hkc ( · ;R).

Beweisskizze. Dies folgt aus der Definition von singularer Kohomologie mit kompak-tem Trager und der konkreten Konstruktion des Kolimes.

Satz 4.39 (Poincare-Dualitat fur allgemeine Mannigfaltigkeiten). Sei R ein kommu-tativer Ring mit Eins, sei n ∈ N und sei M eine R-orientierte topologische n-Man-nigfaltigkeit. Fur alle k ∈ Z ist dann die von den lokalen Fundamentalklassen (µK ∈Hn(M,M \K;R))K∈K(M) (Satz 4.21) induzierte Abbildung

Hkc (M ;R)

PDM,k// Hn−k(M ;R)

colimK∈K(M)Hk(M,M \K;R)

∼=

OO

induziert von ( · ∩ µK)K∈K(M)

44

wohldefiniert und ein R-Isomorphismus.

Beweisskizze. Die Wohldefiniertheit folgt aus der Naturlichkeit des Cap-Produkts, derlokalen Charakterisierung von (lokalen) Fundamentalklassen und der universellen Ei-genschaft des Kolimes.

Wir zeigen, dass PDM,k fur alleR-orientierten topologischen n-MannigfaltigkeitenMund alle k ∈ Z ein Isomorphismus ist, indem wir ein geeignetes Induktionsprinzip ver-wenden: Offenbar gilt die Behauptung fur die leere Mannigfaltigkeit; wir betrachtendaher im folgenden nur nicht-leere Mannigfaltigkeiten.

1. Die Behauptung gilt fur Rn, denn: Ohne Einschrankung konnen wir als Orien-tierung, die von ε(n) induzierte Orientierung betrachten (Proposition 4.18; jedeandere Orientierung ist durch Multiplikation mit einer Einheit in R gegeben).Das Diagramm

Hkc (Rn;R)

PDRn,k// Hn−k(Rn;R)

colimK∈K(Rn)Hk(Rn,Rn \K;R)

∼=

OO

induziert von ( · ∩ µK)K∈K(M)

44

colimr∈NHk(Rn,Rn \ r ·Dn;R)

∼=

OO

∼=

OO

Hk(Rn,Rn \ 0;R)· ∩ε(n)

//

∼=

OO

Hn−k(M ;R)

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ist kommutativ und die untere Zeile ist nach Proposition 2.71 ein Isomorphismus.Zusammen mit den vertikalen Isomorphismen folgt somit, dass auch die obereZeile ein Isomorphismus.

2. Seien U, V ⊂ M offen und die Behauptung gelte fur U , V und U ∩ V (jeweilsbezuglich der von M induzierten R-Orientierung). Dann gilt die Behauptungauch fur U ∪ V , denn: Sind K ⊂ U und L ⊂ V kompakt, so erhalten wir eineexakte relative Mayer-Vietoris-Sequenz fur singulare Kohomologie fur (M,M\K)und (M,M \ L); mithilfe von Ausschneidung bekommen wir daraus eine exakteMayer-Vietoris-Sequenz der Form

Hk(U ∩ V,(U ∩ V ) \ (K ∩ L);R)

−//Hk(U,U \K;R)

⊕Hk(V, V \ L;R)

⊕// Hk(U ∪ V,(U ∪ V ) \ (K ∪ L);R)

∆ // Hk+1(U ∩ V,(U ∩ V ) \ (K ∩ L);R)

−//Hk+1(U,U \K;R)

⊕Hk+1(V, V \ L;R)

(Man beachte dabei die Richtungen der Pfeile, die von der relativen Mayer-Vietoris-Sequenz in Kohomologie herruhren.) Ubergang zu Kolimiten liefert nuneine entsprechende exakte Mayer-Vietoris-Sequenz fru singulare Kohomologiemit kompaktem Trager. Somit erhalten wir ein Leiterdiagramm der Form (wobeidie vertikalen Abbildungen die jeweiligen Dualitatsabbildungen sind)

Hkc (U ∩ V ;R)

−// Hk

c (U ;R)⊕Hk+1c (V ;R)

⊕//

Hkc (U ∪ V ;R)

∆ //

Hk+1c (U ∩ V ;R)

−//

Hk+1c (U ;R)⊕Hk+1

c (V ;R)

Hn−k(U ∩ V ;R)−// Hn−k(U ;R)⊕Hn−k−1(V ;R)

⊕// Hn−k(U ∪ V ;R)

∆// Hn−k−1(U ∩ V ;R)

−// Hn−k−1(U ;R)⊕Hn−k−1(V ;R)

Die Zeilen sind exakt (Mayer-Vietoris-Sequenzen) und die Quadrate, die keineVerbindungshomomorphismen beinhalten sind aufgrund der Naturlichkeit desCap-Produkts kommutativ. Die verbleibenden Quadrate (mit den Verbindungs-homomorphismen der Mayer-Vietoris-Sequenzen) sind auch kommutativ – diesist jedoch eine aufwendige (aber elementare) Rechnung [6, Kapitel XIV.8]. Mitdem Funfer-Lemma (Lemma B.6) folgt somit aus der Induktionsvoraussetzungauch die Behauptung fur U ∪ V .

3. Sei (Uj)j∈N eine aufsteigende Folge offener Teilmengen von M und die Be-hauptung gelte fur Uj fur alle j ∈ N (bezuglich der von M induzierten R-Orientierung). Dann gilt die Behauptung auch fur

⋃j∈N Uj , denn: Dies folgt

aus Standard-Kompaktheitsargumenten, da singulare Zykel”kompaktes Bild“

haben.4. Ist M ⊂ Rn offen, so folgt die Behauptung fur M , indem wir M als abzahlbare

Vereinigung von offenen Ballen (B`)`∈N schreiben. Induktiv folgt mit 1. und 2.,dass die Behauptung fur alle j ∈ N fur

Uj :=⋃

`∈0,...,j

B`

gilt (Durchschnitte konvexer Mengen sind konvex und damit homoomorph zu Rn).

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Mit Schritt 3. folgt somit, dass die Behauptung auch fur⋃j∈N

Uj =⋃j∈N

Bj = M

gilt.Im allgemeinen Fall konnen wir (mithilfe des zweiten Abzahlbarkeitsaxioms) M alsabzahlbare Verinigung von offenen Teilmengen (V`)`∈N schreiben, die zu offenen Teil-mengen von Rn homoomorph sind. Induktiv folgt mit 4. und 2., dass die Behauptungfur alle j ∈ N fur

⋃`∈0,...,j V` gilt. Mit 3. erhalten wir somit, dass die Behauptung

auch fur⋃j∈N Vj = M gilt.

Beweisskizze (von Satz 4.35). Poincare-Dualitat fur geschlossene Mannigfaltigkeitenist ein Spezialfall von Satz 4.39: im kompakten Fall stimmen singulare Kohomologiemit kompaktem Trager offenbar mit singularer Kohomologie uberein und die Poincare-Dualitatsabbildung aus Satz 4.39 ubersetzt sich in das Cap-Produkt mit der Funda-mentalklasse.

Wir geben nun ein paar erste Anwendungen von Poincare-Dualitat:

Korollar 4.40 (Euler-Charakteristik von Mannigfaltigkeiten ungerader Dimension).Sei M eine orientierte geschlossene zusammenhangende (nicht-leere) Mannigfaltigkeitder Dimension n = 2 ·N + 1 mit N ∈ N. Dann ist

χ(M) = 0.

Beweisskizze. Hierbei verwenden wir die Beschreibung/Definition der Euler-Charak-teristik durch Betti-Zahlen mit Q-Koeffizienten (diese sind nach Bemerkung 4.4 end-lich). Mit Poincare-Dualitat (Satz 4.35) und dem universellen Koeffiziententheorem(Korollar 3.8) folgt

χ(M) =

n∑k=0

(−1)k · bk(M ;Q)

=

N∑k=0

(−1)k · bk(M ;Q) +

n∑k=N+1

(−1)k · bn−k(M ;Q)

=

N∑k=0

(−1)k · bk(M ;Q) +

n∑k=N+1

(−1)n−k+1 · bn−k(M ;Q)

= 0,

wie behauptet.

Beispiel 4.41 (einfach zusammenhangende 3-Mannigfaltigkeiten). Ist M 6= ∅ eineeinfach zusammenhangende (nicht-leere) orientierte geschlossene topologische 3-Man-nigfaltigkeit, so ist

M 'Top S3,

denn:

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– Es ist H0(M ;Z) ∼=Z Z, da M wegzusammenhangend und nicht-leer ist.– Nach dem Satz von Hurewicz (Satz II.3.81) ist H1(M ;Z) ∼=Z 0.– Mit Poincare-Dualitat (Satz 4.35) und dem universellen Koeffiziententheorem

(Korollar 3.10) folgt H2(M ;Z) ∼=Z 0.– Außerdem ist H3(M ;Z) ∼=Z Z (Korollar 4.22).– Desweiteren ist Hk(M ;Z) ∼=Z 0 fur alle k ∈ Z \ 0, . . . , 3 (Proposition 4.19).

Sei f : M −→ S3 die Abbildung, die alles außerhalb eines kleinen Balles in M zueinem Punkt kollabiert. Dann folgt uber die lokale Beschreibung der Homologie in Top-Dimensionen, dass deg f = 1 ist. Mit den obigen Berechnungen erhalten wir daher, dassH∗(f ;Z) ein Isomorphismus ist. Also zeigt der Satz von Whitehead (Korollar II.4.68),dass f : M −→ S3 eine Homotopieaquivalenz ist.

Ein weiterer wichtiger Aspekt von Poincare-Dualitat ist die geometrische Interpre-tation von Cup-Produkten durch sogenannte Schnittprodukte.

Proposition 4.42 (Schnittform, Signatur). Sei n ∈ N und sei M eine R-orientiertegeschlossene zusammenhangende nicht-leere topologische n-Mannigfaltigkeit.

1. Sei k ∈ Z. Dann ist die Bilinearform

sM,k : Hk(M ;R)⊗R Hn−k(M ;R) −→ R

ϕ⊗ ψ 7−→⟨ϕ ∪ ψ, [M ]R

⟩regular.

2. Ist n ≡ 0 mod 4, so ist sM,n/2 symmetrisch. Man bezeichnet sM,n/2 als Schnitt-form von M . Die Signatur σ(M) der symmetrischen Bilinearform sM,n/2 heißtSignatur von M . Ist M nicht zusammenhangend, so ist die Signatur von M alsSumme der Signaturen der Komponenten definiert.

3. Ist n ≡ 2 mod 4, so ist sM,n/2 antisymmetrisch.

Beweisskizze. Der erste Teil folgt aus dem universellen Koeffiziententheorem (Korol-lar 3.8), Poincare-Dualitat (Satz 4.35) und der Cup-Cap-Relation.

Der zweite und dritte Teil folgen aus der graduierten Kommutativitat des Cup-Produkts.

Die entsprechende geometrische Bedeutung dieser Bilinearform wird zum Beispielin Abbildung (2.76) deutlich.

Satz 4.43 (Bordismusinvarianz der Signatur). Ist W eine orientierte kompakte zu-sammenhangende nicht-leere topologische Mannigfaltigkeit mit nicht-leerem Rand ∂Wund ist dimW ≡ 1 mod 4, so ist

σ(∂W ) = 0.

Beweisskizze. Dies folgt aus einer geeigneten Variante von Poincare-Dualitat fur kom-pakte Mannigfaltigkeiten mit Rand und aus einem Trick aus der homologischen Alge-bra (Lagrange-Unterraume).

99

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Insbesondere konnen wir damit nicht-triviale Beispiele fur Mannigfaltigkeiten ange-ben, die nicht nullbordant sind:

Korollar 4.44. Fur alle n ∈ N>0 ist CP 2·n nicht Rand einer kompakten Mannigfal-tigkeit mit Rand.

Beweisskizze. Da Hn(CP 2·n;R) eindimensional und die Schnittform regular ist, istσ(CP 2·n) 6= 0. Damit folgt die Behauptung aus dem Satz.

Eine interessante Mischung von Geometrie und Algebra ergibt sich fur Gruppen,die auf (Ko)Homologie ein algebraisches Analogon zu Poincare-Dualitat besitzen: diesogenannten Poincare-Dualitatsgruppen.

4.4. Der Abbildungsgrad fur Mannigfaltigkeiten

Die Fundamentalklasse orientierter geschlossener Mannigfaltigkeiten, erlaubt es, denAbbildungsgrad fur stetige Abbildungen zwischen Mannigfaltigkeiten einzufuhren:

Definition 4.45 (Abbildungsgrad). Sei n ∈ N und seienM undN orientierte geschlos-sene zusammenhangende nicht-leere topologische n-Manngifaltigkeiten. Ist f : M −→N stetig, so ist der Abbildungsgrad von f die eindeutig bestimmte ganze Zahl deg f ∈ Zmit

Hn(f ;Z)[M ]Z = deg f · [N ]Z.

Dieser Abbildungsgrad folgt dem allgemeinen Schema fur Abbildungsgrade aus Pro-position II.1.58 und verallgemeinert den Abbildungsgrad fur stetige Abbildungen aufSpharen (Korollar II.2.20).

Der Abbildungsgrad beschreibt grob gesagt, wie oft die Startmannigfaltigkeit durchdie stetige Abbildung um die Zielmannigfaltigkeit herumgewickelt wird. Dies kann zumBeispiel im Falle simplizialer Beschreibungen der Fundamentalklasse oder mithilfe vondifferentialtopologischen Begriffen prazisiert werden. Ein einfacher Spezialfall davonist (der zum Beispiel aus Proposition 4.19 folgt):

Beispiel 4.46 (Abbildungsgrad nicht-surjektiver Abbildungen). Sei n ∈ N und seienM , N orientierte geschlossene zusammenhangende nicht-leere topologische Mannigfal-tigkeiten derselben Dimension und sei f : M −→ N stetig. Ist f nicht surjektiv, sofolgt deg f = 0.

Der Abbildungsgrad erlaubt es, orientierte geschlossene Mannigfaltigkeiten”der

Große nach“ zu”ordnen“:

Proposition 4.47 (Abbildungen von nicht-trivialem Grad). Sei n ∈ N und sei-en M und N orientierte geschlossene zusammenhangende n-Mannigfaltigkeiten. Seif : M −→ N eine stetige Abbildung.

1. Ist deg f 6= 0, so ist Hk(f ;Q) : Hk(M ;Q) −→ Hk(N ;Q) fur alle k ∈ Z surjektivund Hk(f ;Q) : Hk(N ;Q) −→ Hk(M ;Q) injektiv.

2. Fur alle x0 ∈M hat π1(f)(π1(M,x0)

)endlichen Index in π1(N, f(x0)).

100

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Beweisskizze. Der erste Teil folgt mit einer einfachen Rechnung aus Poincare-Dualitat(Satz 4.35). Der zweite Teil folgt aus Uberlagerungstheorie und der Bestimmung vonHomologie von nicht-kompakten Mannigfaltigkeiten in der Dimension der Mannigfal-tigkeit (zum Beispiel uber allgemeine Poincare-Dualitat (Satz 4.39)).

Im allgemeinen ist es sehr schwierig, fur gegebene Mannigfaltigkeiten M und Ndie Menge deg f | f ∈ map(M,N) der moglichen Abbildungsgrade fur Abbildun-gen M −→ N zu berechnen – selbst im Fall, dass M = N ist. Ein weiteres Hindernis(außer Proposition 4.47) fur die Existenz von stetigen Abbildungen mit gewissen Ab-bildungsgraden liefert das simpliziale Volumen:

Proposition 4.48. Sei n ∈ N, seien M und N orientierte geshlossene zusammenhangen-de nicht-leere topologische n-Mannigfaltigkeiten und sei f : M −→ N stetig.

1. Dann ist |deg f | · ‖N‖ ≤ ‖M‖.2. Insbesondere gilt: Ist ‖N‖ 6= 0, so folgt

|deg f | ≤ ‖M‖‖N‖

.

3. Ist ‖M‖ 6= 0, so gibt es keine stetige Abbildung f : M −→M mit |deg f | ≥ 2.

Beweisskizze. Dies folgt direkt aus der Tatsache, dass (nach Definition der `1-Halbnorm)die Abschatzung ‖Hn(f ;Z)‖ ≤ 1 gilt.

Beispiel 4.49 (Spharen sind klein). Ist n ∈ N>0 und ist M eine orientierte geschlos-sene zusammenhangende nicht-leere topologische n-Mannigfaltigkeit, so gibt es einestetige Abbildung f : M −→ Sn mit deg f = 1 wie man sich leicht durch Kollabierenvon M außerhalb eines kleinen n-Balls uberlegen kann.

Homotopieaquivalenzen haben naturlich Grad 1 oder −1. Umgekehrt erlaubt es derAbbildungsgrad in manchen Fallen, Homotopieaquivalenzen zu erkennen:

Proposition 4.50 (Selbstabbildungen von einfach-zusammenhangenden Manngifal-tigkeiten). Sei M eine einfach zusammenhangende orientierte geschlossene Mannig-faltigkeit und sei f : M −→ M stetig mit |deg f | = 1. Dann ist f bereits eine Homo-topieaquivalenz.

Beweisskizze. Dies folgt aus Proposition 4.47, Bemerkung 4.4 und dem Satz von White-head fur Homologie (Korollar II.4.68).

Diese Beobachtung ist der Ausgangspunkt fur die Hopf-Vermutung fur Abbildungs-grade. Im allgemeinen ist diese Vermutung jedoch noch offen (es sind aber zum BeispielTeilresultate fur gewisse Arten von Fundamentalgruppen bekannt).

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4.5. deRham-Kohomologie

Wir skizzieren zum Abschluss kurz den Zusammenhang zwischen deRham-Kohomolo-gie und singularer Kohomologie; dies wird insbesondere eine geometrische Interpreta-tion von singularer Kohomologie als Integrationsprozesse liefern.

Zur Vorbereitung betrachten wir eine glatte Version von singularer (Ko)Homologie:

Definition 4.51 (glatte singulare (Ko)Homologie). Sei M eine glatte Mannigfaltig-keit.

– Zu k ∈ N sei C∞(∆k,M) die Menge aller stetigen Abbildungen ∆k −→ M ,die sich zu einer glatten Abbildung auf einer offenen Umgebung von ∆k ⊂ Rk+1

fortsetzen lassen. Die Elemente von C∞(∆k,M) heißen glatte k-Simplizes auf M .– Man erhalt nun einen entsprechenden Kettenkomplex Cs(M ;R) der glatten sin-

gulare Ketten auf M und glatte singulare Homologie von M :

Hs,∗(M ;R) := H∗(Cs,∗(M ;R)

).

– Analog liefert der Kokettenkomplex C∗s (M ;R) := HomR(Cs(M ;R),R) glatte sin-gulare Kohomologie von M :

H∗s (M ;R) := H∗(C∗s (M ;R)

).

Satz 4.52 (glatte singulare (Ko)Homologie ist singulare (Ko)Homologie). Sei M eineglatte Mannigfaltigkeit. Die Inklusion Cs(M ;R) → C(M ;R) induziert fur alle k ∈ ZIsomorphismen

Hs,k(M ;R) −→ Hk(M ;R)

Hk(M ;R) −→ Hks (M ;R)

von R-Vektorraumen.

Beweisskizze. Dies folgt aus einem geeigneten Approximationssatz fur stetige Abbil-dungen durch glatte Abbildungen und einem passenden Induktionsprinzip fur glatteManngifaltigkeiten.

DeRham-Kohomologie zeigt insbesondere, dass wir (glatte) singulare Kohomolo-gieklassen (zumindest im Fall glatter Mannigfaltigkeiten) in Verallgemeinerung vonBeispiel 1.14 als geeignete Integrationsprozesse auffassen konnen:

Satz 4.53 (singulare Kohomologie ist de Rham-Kohomologie). Sei M eine glatteMannigfaltigkeit und sei k ∈ N. Dann induziert die Integrationsabbildung

IkM : Ωk(M ;R) −→ Cks (M ;R)

ω 7−→(C∞(∆k,M) → C

σ 7→∫

∆k σ∗ω

)einen Isomorphismus Hk

dR(M ;R) −→ Hks (M ;R) zwischen deRham-Kohomologie und

singularer Kohomologie. Dabei bezeichnet Ω∗(M ;R) den Kokettenkomplex der glat-ten reellwertigen Formen auf M und H∗dR(M ;R) := H∗(Ω∗(M ;R)) die deRham-Kohomologie von M .

102

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Beweisskizze. Dass diese Integrationsabbildung auf Kohomologie wohldefiniert ist, isteine Konsequenz des Satzes von Stokes.

Die Isomorphie folgt mithilfe eines geeigneten Induktionsprinzips fur glatte Mannig-faltigkeiten; das Poincare-Lemma fur deRham-Kohomologie liefert dabei den Indukti-onsanfang.

Einfache differentialtopologische/-geometrische Argumente zeigen dabei:

Beispiel 4.54 (Fundamentalklasse und Volumen). Sei M eine orientierte geschlossenezusammenhangende nicht-leere Riemannsche glatte Mannigfaltigkeit der Dimension nund sei ω ∈ Ωn(M ;R) die Volumenform auf M . Dann gilt⟨

[InM (ω)], [M ]R⟩

= volM.

Insbesondere kann man umgekehrt Integration nutzen um herauszufinden, welchesVielfache von der Fundamentalklase [M ]R ein gegebener glatter n-Zykel von M re-prasentiert.

Man kann die Aussagen aus Satz 4.53 wie folgt verfeineren: Unter dieser Identifika-tion stimmt das Cup-Produkt mit dem außeren Produkt von Differentialformen unddas Kronecker-Produkt mit der Integration uber (glatte) Zykel uberein.

103

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A. Grundbegriffe aus der mengentheoretischen Topologie

Wir sammeln die wichtigsten Grundbegriffe und Aussagen aus der mengentheoreti-sche Topologie aus den Grundvorlesungen. Detailliertere Erklarungen, sowie Beispielefinden sich in allen Buchern uber mengentheoretische Topologie.

A.1. Topologische Raume

Die Grundidee topologischer Raume ist, Nahe nicht durch Abstande, sondern durchSysteme von Teilmengen auszudrucken – den sogenannten offenen Mengen:

Definition A.1 (topologischer Raum, Topologie). Ein topologischer Raum ist einPaar (X,T ), wobei X eine Menge und T eine Topologie auf X ist, d.h. T ist eineTeilmenge der Potenzmenge P (X) von X mit folgenden Eigenschaften:

– Es ist ∅ ∈ T und X ∈ T .– Ist U ⊂ T , so ist

⋃U ∈ T .

– Ist U ⊂ T endlich, so ist⋂U ∈ T .

Die Elemente von T heißen offene Mengen (bezuglich T ); ist A ⊂ X und X \ A ∈ T ,so heißt A abgeschlossen (bezuglich T ).

Warum man gerade diese Axiome fur offene Mengen betrachtet, kann man gut an-hand des Beispiels metrischer Raume illustrieren:

Proposition A.2 (die von einer Metrik induzierte Topologie). Sei (X, d) ein metri-scher Raum. Dann ist

T :=U ⊂ X

∣∣ ∀x∈U ∃ε∈R>0U(x, ε) ⊂ U

eine Topologie auf X. Man nennt T die von d auf X induzierte Topologie. Dabeiverwenden wir fur x ∈ X und ε ∈ R>0 die Notation

U(x, ε) :=y ∈ X

∣∣ d(y, x) < ε.

Bemerkung A.3.– Der Begriff offener Mengen bezuglich der Standardmetrik auf R stimmt also mit

dem Begriff aus der Analysis I uberein.– Die von der euklidischen Metrik auf Rn induzierte Topologie auf Rn heißt Stan-

dardtopologie auf Rn.– Ist (X, d) ein metrischer Raum, ist x ∈ X und ist ε ∈ R>0, so ist U(x, ε) in X

offen. D.h. offene Balle sind tatsachlich offene Mengen bezuglich der von derMetrik induzierten Topologie.

– Analog zum Fall von Teilmengen von R kann Abgeschlossenheit in metrischenRaumen auch durch Konvergenz von Folgen ausgedruckt werden. Daraus folgt,dass abgeschlossene Balle tatsachlich bezuglich der von der Metrik induziertenTopologie abgeschlossen sind.

Caveat A.4. Nicht jeder topologische Raum ist metrisierbar! (Korollar A.26).

A.1

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Bemerkung A.5 (Klumpentopologie, diskrete Topologie). Sei X eine Menge.– Dann ist ∅, X eine Topologie auf X, die sogenannte Klumpentopologie auf X.– Außerdem ist P (X) eine Topologie auf X, die sogenannte diskrete Topologie

auf X; iese stimmt mit der von der diskreten Metrik induzierten Topologie ube-rein.

Zwei elementare Konstruktionen topologischer Raume sind Teilraume und Produkte:

Bemerkung A.6 (Teilraumtopologie). Sei (X,T ) ein topologischer Raum und Y ⊂X. Dann ist

U ∩ Y | U ∈ Teine Topologie auf Y , die sogenannte Teilraumtopologie. Ist T auf X von einer Metrik dauf X induziert, so stimmt die Teilraumtopologie auf Y mit der von d auf Y induziertenMetrik induzierten Topologie uberein.

Bemerkung A.7 (Produkttopologie). Seien (X,TX) und (Y, TY ) topologische Raume.Dann ist

U ⊂ X × Y∣∣ ∀x∈U ∃UX∈TX

∃UY ∈TYx ∈ UX × UY ⊂ U

eine Topologie auf X × Y , die sogenannte Produkttopologie.

Die Standardtopologie auf R2 = R× R stimmt dabei mit der Produkttopologie derStandardtopologie auf R uberein. Die Produkttopologie erfullt auch die universelleEigenschaft des Produkts im kategorientheoretischen Sinne.

Außerdem ist es oft nutzlich, die folgenden Begriffe zur Verfugung zu haben:

Definition A.8 ((offene) Umgebung). Sei (X,T ) ein topologischer Raum und x ∈ X.– Eine Teilmenge U ⊂ X ist eine offene Umgebung von x, wenn U offen ist undx ∈ U ist.

– Eine Teilmenge U ⊂ X ist eine Umgebung von x, wenn es eine offene Umge-bung V ⊂ X von x mit V ⊂ U gibt.

Definition A.9 (Abschluss, Inneres, Rand). Sei (X,T ) ein topologischer Raum undsei Y ⊂ X.

– Das Innere von Y ist

Y :=⋃U | U ∈ T und U ⊂ Y .

D.h. Y ist die (bezuglich Inklusion) großte in X offene Menge, die in Y enthaltenist.

– Der Abschluss von Y ist

Y :=⋂A | X \A ∈ T und Y ⊂ A.

D.h. Y ist die (bezuglich Inklusion) kleinste in X abgeschlossene Menge, die Yenthalt.

– Der Rand von Y ist∂Y := Y ∩ (X \ Y ).

A.2

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A.2. Stetige Abbildungen

Stetige Abbildungen spielen die Rolle der strukturvertraglichen Abbildungen in derWelt der topologischen Raume:

Definition A.10 (stetig). Seien (X,TX) und (Y, TY ) topologische Raume. Eine Ab-bildung f : X −→ Y ist stetig (bezuglich TX und TY ), wenn

∀U∈TYf−1(U) ∈ TX ,

d.h., wenn Urbilder offener Mengen offen sind.

Bemerkung A.11.– Fur Abbildungen vom Typ X −→ R mit X ⊂ R stimmt dieser Begriff von

Stetigkeit mit dem aus der Analysis I uberein.– Dasselbe Argument uber das ε-δ-Kriterium zeigt: Fur Abbildungen zwischen

metrischen Raumen stimmt dieser Begriff von Stetigkeit mit dem bereits zuvordefinierten uberein.

– Sei X eine Menge und seien T bzw. T ′ Topologien auf X. Dann ist die IdentitatidX : (X,T ) −→ (X,T ′) genau dann stetig, wenn T ′ ⊂ T ist, d.h. wenn T ′ groberals T ist.

– Die Abbildungen +, ·,− : R2 −→ R und / : R × (R \ 0) −→ R sind bezuglichder Standardtopologie stetig.

– Ist (X,T ) ein topologischer Raum und Y ⊂ X, so ist die Inklusion Y → Xbezuglich der Teilraumtopologie auf Y stetig.

– Konstante Abbildungen sind stetig.

Proposition A.12 (Vererbungseigenschaften stetiger Abbildungen). Seien (X,TX),(Y, TY ) und (Z, TZ) topologische Raume und seien f : X −→ Y und g : Y −→ ZAbbildungen.

1. Sind f und g stetig, so ist auch g f : X −→ Z stetig.2. Ist f stetig und ist A ⊂ X, so ist auch die Einschrankung f |A : A −→ Y stetig

(bezuglich der Teilraumtopologie auf A).3. Die Abbildung f : X −→ Y ist genau dann stetig, wenn f : X −→ f(X) bezuglich

der Teilraumtopologie auf f(X) stetig ist.

Proposition A.13 (Verkleben stetiger Funktionen). Seien (X,TX) und (Y, TY ) topo-logische Raume, seien A,B ⊂ X abgeschlossene Teilmengen mit A∪B = X und seienf : A −→ Y und g : B −→ Y stetige Abbildungen (bezuglich der Teilraumtopologieauf A bzw. B) mit f |A∩B = g|A∩B. Dann ist die (wohldefinierte) Abbildung

f ∪A∩B g : X −→ Y

x 7−→

f(x) falls x ∈ A,g(x) falls x ∈ B

stetig.

Der Isomorphiebegriff in der Kategorie der topologischen Raume ist Homoomorphie:

A.3

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Definition A.14 (Homoomorphismus). Seien (X,TX) und (Y, TY ) topologische Raume.Eine Abbildung f : X −→ Y ist ein Homoomorphismus, wenn sie stetig ist und es einestetige Abbildung g : Y −→ X mit g f = idX und f g = idY gibt. Falls es einenHomoomorphismus X −→ Y gibt, heißen X und Y homoomorph.

Caveat A.15. Nicht jede stetige bijektive Abbildung ist ein Homoomorphismus!

Anschaulich gesprochen sind topologische Raume genau dann homoomorph, wennman sie durch

”verbiegen“ und

”aufblasen/schrumpfen“ ineinander uberfuhren kann,

ohne zu”schneiden“ oder zu

”kleben“.

A.3. (Weg-)Zusammenhang

Einer der zentralen Satze uber stetige Funktionen vom Typ [0, 1] −→ R ist der Zwi-schenwertsatz. Im allgemeineren Kontext der topologischen Raume kann man diesesPhanomen durch die Begriffe Wegzusammenhang und Zusammenhang beschreiben.

Definition A.16 (Weg, wegzusammenhangend). Sei (X,T ) ein topologischer Raum.– Ein Weg in X ist eine stetige Abbildung γ : [0, 1] −→ X (bezuglich der Standard-

topologie auf [0, 1] ⊂ R). Man nennt γ(0) den Startpunkt und γ(1) den Endpunktvon γ. Der Weg γ heißt geschlossen, wenn γ(0) = γ(1) ist.

– Der Raum X ist wegzusammenhangend, wenn folgendes gilt: Fur alle x, y ∈ Xgibt es einen Weg γ : [0, 1] −→ X mit γ(0) = x und γ(1) = y.

Bemerkung A.17.– Das Einheitsintervall ist (bezuglich der Standardtopologie) wegzusammenhangend.– Ist n ∈ N, so ist Rn wegzusammenhangend (bezuglich der Standardtopologie).– Ist X eine Menge mit |X| ≥ 2, so ist X bezuglich der diskreten Topologie nicht

wegzusammenhangend.

Proposition A.18 (Stetigkeit und Wegzusammenhang). Seien (X,TX) und (Y, TY )topologische Raume und sei f : X −→ Y stetig. Ist X wegzusammenhangend, so istauch f(X) bezuglich der Teilraumtopologie wegzusammenhangend.

Insbesondere gilt: Sind X und Y homoomorph, so ist X genau dann wegzusam-menhangend, wenn Y wegzusammenhangend ist. Mit anderen Worten: Wegzusammen-hang ist eine topologische Invariante.

Zum Beispiel kann man diese Eigenschaft (und einen kleinen Trick) verwenden, umzu zeigen, dass R nur dann zu Rn homoomorph ist (bezuglich der Standardtopologie),wenn n = 1 ist.

Eine Abschwachung des Wegzusammenhangsbegriffs ist Zusammenhang:

Definition A.19 (zusammenhangend). Ein topologischer Raum (X,TX) ist zusam-menhangend, wenn folgendes gilt: Fur alle U, V ∈ TX mit U ∩ V = ∅ und U ∪ V = Xist bereits U = ∅ oder V = ∅. (D.h. X lasst sich nur trivial in offene Mengen zerlegen).

Bemerkung A.20. Das Einheitsintervall [0, 1] ist bezuglich der Standardtopologiezusammenhangend.

A.4

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Proposition A.21 (Wegzusammenhang impliziert Zusammenhang). Jeder wegzu-sammenhangende topologische Raum ist zusammenhangend.

Caveat A.22. Es gibt topologische Raume, die zusammenhangend, aber nicht weg-zusammenhangend sind!

In diesem allgemeinen Kontext lautet der verallgemeinerte Zwischenwertsatz nunwie folgt:

Proposition A.23 (Verallgemeinerter Zwischenwertsatz). Seien (X,TX) und (Y, TY )topologische Raume und sei f : X −→ Y stetig. Ist X zusammenhangend, so ist auchf(X) zusammenhangend (bezuglich der Teilraumtopologie).

Insbesondere: Sind X und Y homoomorph, so ist X genau dann zusammenhangend,wenn Y zusammenhangend ist. Mit anderen Worten: Zusammenhang ist eine topolo-gische Invariante.

In der algebraischen Topologie studiert man außer Zusammenhang und Wegzusam-menhang auch noch hohere Zusammenhangsbegriffe.

A.4. Hausdorffraume

Die Klumpentopologie zeigt bereits, dass es viele exotische und unintuitive Topologiengibt. Daher gibt es viele Begriffe fur topologische Raume, die sicherstellen, dass Raumehinreichend gutartig sind. Ein Beispiel ist der folgende Begriff, der zu den sogenanntenTrennungseigenschaften gehort:

Definition A.24 (hausdorffsch). Ein topologischer Raum (X,T ) ist hausdorffsch,wenn folgendes gilt: Fur alle x, y ∈ X mit x 6= y existieren offene Mengen U, V ⊂ Xmit x ∈ U , y ∈ V und U ∩ V = ∅. (D.h. je zwei Punkte konnen durch offene Mengengetrennt werden.)

Proposition A.25 (metrische Raume sind hausdorffsch). Ist (X, d) ein metrischerRaum, so ist X bezuglich der von der Metrik d auf X induzierten Topologie haus-dorffsch.

Korollar A.26. Sei X eine Menge mit |X| ≥ 2. Dann gibt es keine Metrik auf X,die die Klumpentopologie auf X induziert.

Bemerkung A.27. Sind (X,TX) und (Y, TY ) homoomorphe topologische Raume, soist X genau dann hausdorffsch, wenn Y hausdorffsch ist.

Es gibt noch weitere Trennungseignschaften topologischer Raume, sowie sogenannteAbzahlbarkeitseigenschaften; die Zusammenhange zwischen diesen Begriffen sind et-was unubersichtlich und konnen gut in dem Buch Counterexamples in Topology vonL.A. Steen und J.A. Seebach Jr nachgelesen werden.

A.5

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A.5. Kompaktheit

Einer der wichtigsten und nutzlichsten topologischen Begriffe ist Kompaktheit; grobgesprochen ist Kompaktheit eine Art topologische Endlichkeitsbedingung. Wir begin-nen mit der abstrakten Definition als Endlichkeitsbedingung von Uberdeckungen undzeigen spater, dass dieser Begriff den bisherigen Kompaktheitsbegriff in R verallgemei-nert (Satz A.36).

Definition A.28 (kompakt). Ein topologischer Raum (X,T ) ist kompakt, wenn jedeoffene Uberdeckung von X eine endliche Teiluberdeckung enthalt, d.h., wenn folgendesgilt: Fur alle U ⊂ T mit

⋃U = X gibt es eine endliche Teilmenge V ⊂ U mit

⋃V = X.

Bemerkung A.29. Sei X eine Menge. Dann ist X bezuglich der Klumpentopologiekompakt. Außerdem ist X genau dann bezuglich der diskreten Topologie kompakt,wenn X endlich ist.

Wir werden spater eine Charakterisierung kompakter Mengen in Rn geben undzunachst allgemeine Eigenschaften kompakter Mengen aus der Definition ableiten:

Proposition A.30 (Verallgemeinertes Extremalprinzip). Seien (X,TX) und (Y, TY )topologische Raume und sei f : X −→ Y stetig. Ist X kompakt, so ist auch f(X)kompakt (bezuglich der Teilraumtopologie).

Korollar A.31 (Kompaktheit ist eine topologische Invariante). Insbesondere gilt: Sind(X,TX) und (Y, TY ) homoomorphe topologische Raume, so ist X genau dann kompakt,wenn Y kompakt ist.

Proposition A.32 (Abgeschlossenheit und Kompaktheit). Sei (X,T ) ein topologi-scher Raum und sei Y ⊂ X.

1. Ist X kompakt und Y in X abgeschlossen, so ist Y bezuglich der Teilraumtopo-logie kompakt.

2. Ist X hausdorffsch und Y bezuglich der Teilraumtopologie kompakt, so ist Y in Xabgeschlossen.

Korollar A.33. Sei (X,TX) ein kompakter topologischer Raum, sei (Y, TY ) ein Haus-dorffraum und sei f : X −→ Y stetig und bijektiv. Dann ist f bereits ein Homoomor-phismus(!).

Zum Abschluss des Abschnitts uber allgemeine Kompaktheitseigenschaften betrach-ten wir noch die Vertraglichkeit von Kompaktheit mit Produkten:

Proposition A.34 (Produkt zweier kompakter Raume). Seien (X,TX) und (Y, TY )kompakte topologische Raume. Dann ist das Produkt X × Y bezuglich der Produktto-pologie kompakt.

Bemerkung A.35 (Satz von Tychonoff). Der Satz von Tychonoff

Beliebige (auch unendliche!) Produkte kompakter topologischer Raume sind kom-pakt.

A.6

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ist aquivalent zum Auswahlaxiom (!), und damit auch aquivalent zum Zornschen Lem-ma bzw. dem Wohlordnungssatz.

In euklidischen Raumen gibt es eine einfache Charakterisierung kompakter Mengen:

Satz A.36 (Satz von Heine-Borel). Sei n ∈ N und sei A ⊂ Rn. Wir betrachtenauf A die von der Standardtopologie auf Rn induzierte Teilraumtopologie. Dann sinddie folgenden Aussagen aquivalent:

1. Die Menge A ist kompakt.2. Die Menge A ist in Rn bezuglich der euklidischen Metrik beschrankt und abge-

schlossen.3. Die Menge A ist bezuglich der euklidischen Metrik folgenkompakt, d.h. jede Folge

in A besitzt eine bezuglich der euklidischen Metrik konvergente Teilfolge, derenGrenzwert auch in A liegt.

Etwas allgemeiner gilt auch:

Proposition A.37. Kompakte Mengen in metrischen Raumen sind beschrankt undabgeschlossen.

Caveat A.38. Die Umkehrung der obigen Proposition gilt im allgemeinen nicht !D.h. es gibt beschrankte und abgeschlossene Mengen in gewissen (sogar vollstandigen)metrischen Raumen, die nicht kompakt sind (zum Beispiel sind unendliche Mengenbezuglich der diskreten Metrik in sich selbst beschrankt und abgeschlossen, aber nichtkompakt).

A.7

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B. Homologische Algebra

Dieses Kapitel enthalt die fur die algebraische Topologie notigen Grundlagen aus derhomologischen Algebra. Homologische Algebra ist die Algebra von exakten bzw. nicht-exakten Sequenzen und Funktoren, die Exaktheit erhalten bzw. nicht erhalten.

Wir betrachten der Einfachheit halber nur homologische Algebra in Modulkategorienstatt in allgemeinen sogenannten abelschen Kategorien; nach dem Einbettungssatz vonFreyd-Mitchell ist dies jedoch keine wesentliche Einschrankung.

B.1. Exakte Sequenzen

Wir geben eine kurze Einfuhrung in exakte Sequenzen; wir formulieren alles fur Links-moduln – analog geht dies naturlich auch fur Rechtsmoduln.

Setup B.1. Im folgenden sei R ein Ring mit Eins.

Definition B.2 ((kurze) exakte Sequenz).

– Eine Sequenz Af// B

g// C von Morphismen in RMod ist exakt an der

Stelle B, wenn im f = ker g ist.– Wir nennen eine Sequenz

0 // Af// B

g// C // 0

in RMod eine kurze exakte Sequenz in RMod, wenn die Sequenz an allen Stellenexakt ist (d.h. f ist injektiv, g ist surjektiv, und im f = ker g).

– Eine N- oder Z-indizierte Sequenz

. . . // Akfk // Ak−1

fk−1// Ak−1

fk−1// Ak−2

// . . .

in RMod ist exakt, wenn sie an allen Stellen exakt ist.

Beispiel B.3. Die Sequenzen

x // (x, 0)

0 // Z // Z⊕ Z/2 // Z/2 // 0

(x, y) // y

undx // 2 · x

0 // Z // Z // Z/2 // 0

x // [x]

B.1

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in ZMod = Ab sind exakt; man beachte dabei, dass die mittleren Moduln nicht iso-morph sind, obwohl die außeren isomorph sind. Die Sequenz

x // x

0 // Z // Z // Z // 0

x // x

ist nicht exakt.

Caveat B.4. Ist S ein Ring mit Eins, so bilden Funktoren RMod −→ SMod imallgemeinen exakte Sequenzen nicht auf exakte Sequenzen ab.

Besonders einfache exakte Sequenzen sind die sogenannten spaltenden exakten Se-quenzen (die sich außerdem auch unter Funktoren besser verhalten als allgemeine ex-akte Sequenzen):

Proposition B.5 (spaltende exakte Sequenzen). Sei

0 // Ai // B

p// C // 0

eine kurze exakte Sequenz in RMod. Dann sind folgende Aussagen aquivalent:1. Es gibt einen R-Modulhomomorphismus r : C −→ B mit p r = idC .2. Es gibt einen R-Modulhomomorphismus s : B −→ A mit s i = idA.

Falls diese Aussagen zutreffen, nennt man die obige Sequenz eine spaltende kurzeexakte Sequenz in RMod und in diesem Fall sind

A⊕ C // B // A⊕ C

(a, c) // (i(a), r(c))

b // (s(b), p(b))

Isomorphismen in RMod.

Beweisskizze. Wir zeigen die Implikation 2 =⇒ 1: Sei also s : B −→ A ein Homomor-phismus mit s i = idA. Wir betrachten den Homomorphismus

r : B −→ B

b 7−→ b− i s(b).

Dann ist ker p ⊂ ker r, denn: Sei b ∈ ker p. Wegen der Exaktheit existiert also ein a ∈ Amit i(a) = b und es folgt

r(b) = i(a)− i s(i(a)) = i(a)− i(idA(a)) = 0.

Nach der universellen Eigenschaft des Quotienten induziert r somit einen Homomor-phismus r : C ∼= B/ ker p −→ B und dieser erfullt nach Konstruktion p r = idC .

Ahnlich zeigt man die Implikation 1 =⇒ 2.Falls die Aussagen 1 und 2 erfullt sind, rechnet man leicht nach, dass die angegebenen

Homomorphismen zwischen B und A⊕C bijektiv (und somit Isomorphismen in RMod)sind.

B.2

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Beim Vergleich von exakten Sequenzen ist oft das Funfer-Lemma nutzlich:

Proposition B.6 (Funfer-Lemma). Sei

Aa //

fA

Bb //

fB

Cc //

fC

Dd //

fD

E

fE

A′a′// B′

b′// C ′

c′// D′

d′// E′

ein kommutatives Diagramm in RMod mit exakten Zeilen. Dann gilt:1. Sind fB, fD injektiv und ist fA surjektiv, so ist fC injektiv.2. Sind fB, fD surjektiv und ist fE injektiv, so ist fC surjektiv.3. Insbesondere gilt: Sind fA, fB, fD, fE Isomorphismen, so ist fC ein Isomor-

phismus.

Beweisskizze. Wir beweisen den ersten Teil mithilfe einer sogenannten Diagrammjagd(viele Aussagen in der homologischen Algebra werden auf diese Weise bewiesen). DerBeweis des zweiten Teils geht analog; der dritte Teil ist eine direkte Folgerung aus denersten beiden Teilen.

Es seien also fB und fD injektiv und fA sei surjektiv. Sei x ∈ C mit fC(x) = 0.Dann ist x = 0, denn (Abbildung (B.7)):

– Wegen fD c(x) = c′ fC(x) = c′(0) = 0 und der Injektivitat von fD folgtc(x) = 0.

– Wegen im b = ker c existiert ein y ∈ B mit b(y) = x.– Wegen b′ fB(y) = fC b(y) = fC(x) = 0 und im a′ = ker b′ folgt: Es gibt

ein z′ ∈ A′ mit a′(z′) = fB(y).– Da fA surjektiv ist, existiert ein z ∈ A mit fA(z) = z′.– Dabei ist a(z) = y, denn: Es gilt

fB(a(z)

)= a′ fA(z) = a′(z′) = fB(y)

und fB ist injektiv.– Also ist (wegen im a ⊂ ker b)

x = b(y) = b a(z) = 0,

wie gewunscht.

Fur den Beweis der Mayer-Vietoris-Sequenz (Satz II.2.27) verwenden wir die folgen-de Konstruktion langer exakter Sequenzen:

Proposition B.8 (algebraische Mayer-Vietoris-Sequenz). Sei R ein Ring mit Einsund sei

. . .ck+1

// Akak //

fA,k

Bkbk //

fB,k

Ckck //

fC,k

Ak−1

ak−1//

fA,k−1

. . .

. . .c′k+1

// A′k a′k

// B′k b′k

// C ′k c′k

// A′k−1 a′k−1

// . . .

B.3

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A B C D E

A′ B′ C ′ D′ E′

x

0 0

0

A B C D E

A′ B′ C ′ D′ E′

x

0 0

0y

A B C D E

A′ B′ C ′ D′ E′

x

0 0

0y

•z′

A B C D E

A′ B′ C ′ D′ E′

x

0 0

0y

•z′

z

A B C D E

A′ B′ C ′ D′ E′

x

0 0

0y

•z′

z

Abbildung (B.7): Die Diagrammjagd aus dem Funfer-Lemma

B.4

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ein (Z-indiziertes) kommutatives Diagramm in RMod mit exakten Zeilen. Außerdemsei fC,k : Ck −→ C ′k fur alle k ∈ Z ein Isomorphismus. Fur k ∈ Z sei

∆k := ck f−1C,k b

′k : B′k −→ Ak−1.

Dann ist die Sequenz

. . .∆k+1

// Ak(fA,k,−ak)

// A′k ⊕Bka′k⊕fB,k

// B′k∆k // Ak−1

// . . .

exakt.

Beweisskizze. Dies folgt aus einer Diagrammjagd.

B.2. Kettenkomplexe und Homologie

Wir fuhren nun allgemeine algebraische Begrifflichkeiten zur Konstruktion von Homo-logie ein; diese beruhen historisch auf den ersten geometrischen Homologietheorien.

Setup B.9. Im folgenden sei R ein Ring mit Eins.

Definition B.10 (Kettenkomplex, Zykel, Rand). Ein Links-R-Modul-Kettenkomplexist eine Paar C = (C∗, ∂∗), wobei C∗ = (Ck)k∈Z eine Folge von Links-R-Moduln(den sogenannten Kettenmoduln) und ∂∗ = (∂k : Ck −→ Ck−1)k∈Z eine Folge von R-Modulhomomorphismen (den sogenannten Randoperatoren oder Differentialen) mit

∀k∈Z ∂k ∂k+1 = 0

ist. Sei k ∈ Z.– Die Elemente von Ck heißen k-Ketten.– Die Elemente von ZkC := ker ∂k heißen k-Zykel.– Die Elemente von BkC := im ∂k+1 heißen k-Rander.

Analog kann man z.B. auch N-indizierte Kettenkomplexe definieren.

Beispiel B.11 (Kettenkomplexe).– Lange exakte Sequenzen liefern Kettenkomplexe, aber nicht alle Kettenkomplexe

sind exakt.– Ist C = (C∗, ∂∗) ein Links-R-Modul-Kettenkomplex und ist Z ∈ Ob(ModR), so

istZ ⊗R C :=

((Z ⊗R Ck)k∈Z, (idZ ⊗R∂k)k∈Z

)ein Kettenkomplex abelscher Gruppen.

Caveat B.12. Ist ein Kettenkomplex C exakt und ist Z ∈ ModR, so ist Z ⊗R C imallgemeinen nicht exakt!

Beispiel B.13 (Kettenkomplexe simplizialer Moduln). Sei S : ∆op −→ RMod einFunktor (ein sogenannter simplizialer Links-R-Modul); dabei bezeichnet ∆op die duale

B.5

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Kategorie der Simplexkategorie (die man durch”Umdrehen“ der Morphismen erhalt).

Zu k ∈ Z sei

Ck(S) :=

S(∆(k)

)falls k ≥ 0

0 falls k < 0,

∂k :=

∑kj=0(−1)j · S(dkj ) falls k > 0

0 falls k ≤ 0;

dabei ist dkj ∈ Mor∆(∆(k− 1),∆(k)) der Morphismus, dessen Bild 0, . . . , k \ j ist.Wir schreiben

C(S) :=((Ck(S))k∈Z, (∂k)k∈Z

).

Dann ist C(S) ein Links-R-Modul-Kettenkomplex. Dies ist eine der zentralen Kon-struktionen von Kettenkomplexen, die hinter vielen Homologietheorien steckt.

Die passenden strukturerhaltenden Abbildungen zwischen Kettenkomplexen sindKettenabbildungen:

Definition B.14 (Kettenabbildung). Seien C = (C∗, ∂C∗ ) und D = (D∗, ∂

D∗ ) Links-

R-Modul-Kettenkomplexe. Eine Kettenabbildung f : C −→ D ist eine Folge (fk ∈Mor

RMod(Ck, Dk))k∈Z mit∂Dk fk = fk−1 ∂Ck

fur alle k ∈ Z.

. . . // Ck∂Ck //

fk

Ck−1//

fk−1

. . .

. . . // Dk∂Dk

// Dk−1// . . .

Beispiel B.15 (Kettenabbildungen).– Ist C = (C∗, ∂∗) ein Kettenkomplex, so ist idC := (idCk

)k∈Z eine Kettenabbil-dung C −→ C.

– Die gradweise Komposition von Kettenabbildungen ist eine Kettenabbildung.– Zum Beispiel ist

. . . // 0 //

0

Z 2 //

idZ

Z 0 //

x7→(x,x)

Z //

0

0 //

0

. . .

. . . // 0 // Z0// Z⊕ Z

0// Z // 0 // . . .

keine Kettenabbildung.

Somit erhalten wir eine Kategorie von Kettenkomplexen:

Definition B.16 (Kategorie der Kettenkomplexe). Die Kategorie RCh der Links-R-Kettenkomplexe besteht aus:

B.6

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– Objekte: die Klasse aller Links-R-Kettenkomplexe,– Morphismen: Kettenabbildungen von Links-R-Kettenkomplexen,– Verknupfungen: gradweise Komposition von Kettenabbildungen.

Beispiel B.17 (Kettenkomplexe von simplizialen Moduln, funktoriell). Zum Beispiellasst sich die Konstruktion aus Beispiel B.13 zu einem Funktor

∆(RMod) −→ RCh

erweitern. Dabei ist ∆(RMod) die Kategorie, deren Objekte Funktoren ∆op −→ RModund deren Morphismen naturliche Transformationen zwischen solchen Funktoren sind.

Wir konnen nun Homologie fur Kettenkomplexe definieren:

Definition B.18 (Homologie). Sei C = (C∗, ∂∗) ∈ Ob(RCh). Die Homologie von Cist die Folge H∗(C) := (Hk(C))k∈Z, wobei wir fur alle k ∈ Z

Hk(C) := ker ∂k/

im ∂k+1 ∈ Ob(RMod)

definieren.

Homologie misst also die Abweichung von Exaktheit:

Bemerkung B.19 (Homologie vs. Exaktheit). Sei C = (C∗, ∂∗) ∈ Ob(RCh). Dannsind aquivalent:

1. Die Sequenz

. . . // Ck+1

∂k+1// Ck

∂k // Ck−1// . . .

ist exakt.2. Fur alle k ∈ Z ist Hk(C) ∼= 0.

Beispiel B.20. Sei C der Kettenkomplex

. . . // 0 // Z 2 // Z 0 // Z // 0 // . . .

abelscher Gruppen (wobei sich die nicht-trivialen Moduln im Grad 0, 1, 2 befinden).Dann gilt fur alle k ∈ Z, dass

Hk(C) ∼=

Z falls k = 0

Z/2 falls k = 1

0 falls k ∈ Z \ 0, 1.

Caveat B.21. Ist C ∈ Ob(RCh) und ist Z ∈ Ob(ModR), so gilt im allgemeinenfur k ∈ Z

Hk(Z ⊗R C) 6∼= Z ⊗R Hk(C).

B.7

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Proposition B.22 (Homologie als Funktor).1. Sei f : C −→ D eine Kettenabbildung in RCh. Zu k ∈ Z sei

Hk(f) : Hk(C) −→ Hk(D)

[c] 7−→[fk(c)

].

Dann ist Hk(f) ein wohldefinierter Links-R-Modul-Homomorphismus.2. Dies macht Homologie zu einem Funktor

H∗ : RCh −→ RGrad .

Dabei ist RGrad die Kategorie der Z-graduierten Links-R-Moduln (d.h. Z-Folgenvon Links-R-Moduln mit Folgen von Homomorphismen und komponentenweiserKomposition).

Beweisskizze. Zum ersten Teil: Aus der Definition von Kettenabbildungen folgt:– Ist c ∈ Ck ein Zykel, so ist auch fk(c) ein Zykel.– Sind c, c′ ∈ Ck Zykel, die dieselbe Homologieklasse reprasentieren (d.h. sich um

einen Rand in C unterscheiden), so unterscheiden sich auch fk(c) und fk(c′) umeinen Rand in D und liefern somit dieselbe Homologieklasse.

Also ist Hk(f) wohldefiniert. Offenbar ist Hk(f) mit der Modulstruktur vertraglich.Der zweite Teil folgt aus der Konstruktion im ersten Teil.

Zum Abschluss dieser Einfuhrung in die Grundbegriffe von Kettenkomplexen undHomologie leiten wir die wichtigste Quelle fur lange exakte Homologieseuqenzen her:

Satz B.23 (algebraische lange exakte Homologiesequenz). Sei

0 // Ai // B

p// C // 0

eine kurze exakte Sequenz in RCh (d.h. die entsprechenden Sequenzen in jedem Gradsind exakt in RMod). Dann gibt es eine lange exakte Sequenz

. . .∂k+1

// Hk(A)Hk(i)

// Hk(B)Hk(p)

// Hk(C)∂k // Hk−1(A) // . . .

Diese ist im folgenden Sinne naturlich: Ist

0 // Ai //

fA

Bp//

fB

C //

fC

0

0 // A′i′// B′

p′// C ′ // 0

ein kommutatives Diagramm in RCh mit exakten Zeilen, so ist das zugehorige Leiter-diagramm

. . .∂k+1

// Hk(A)Hk(i)

//

Hk(fA)

Hk(B)Hk(p)

//

Hk(fB)

Hk(C)∂k //

Hk(fC)

Hk−1(A) //

Hk−1(fA)

. . .

. . .∂k+1

// Hk(A′)Hk(i′)

// Hk(B′)Hk(p′)

// Hk(C ′)∂k

// Hk−1(A′) // . . .

B.8

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kommutativ (mit exakten Zeilen).

Beweisskizze. Sei k ∈ Z. Wir konstruieren den Verbindungshomomorphismus

∂k : Hk(C) −→ Hk−1(A)

wie folgt: Sei γ ∈ Hk(C); sei c ∈ Ck ein Zykel, der γ reprasentiert. Da pk : Bk −→ Cksurjektiv ist, existiert ein b ∈ Bk mit

pk(b) = c.

Da p eine Kettenabbildung ist, ist pk−1 ∂Bk (b) = ∂Ck pk(b) = ∂Ck (c) = 0; aufgrundder Exaktheit im Grad k existiert somit ein a ∈ Ak−1 mit

ik−1(a) = ∂Bk (b).

Wir nennen in dieser Situation (a, b, c) ein kompatibles Tripel fur γ und definieren

∂k(γ) := [a] ∈ Hk−1(A).

Mit einfachen Diagrammjagden zeigt man nun:– Ist (a, b, c) ein kompatibles Tripel fur γ, so ist a ∈ Ak−1 ein Zykel und reprasen-

tiert somit tatsachlich eine Klasse in Hk−1(A).– Sind (a, b, c) und (a′, b′, c′) kompatible Tripel fur γ, so ist [a] = [a′] in Hk−1(A).

Daran lasst sich leicht ablesen, dass ∂k ein Homomorphismus ist und dass ∂k naturlichist.

Weitere Diagrammjagden liefern, dass die entstehende lange Sequenz exakt ist.

B.3. Kettenhomotopie

Im folgenden studieren wir einen algebraischen Homotopiebegriff fur Kettenabbildun-gen.

Setup B.24. In diesem Abschnitt sei R ein Ring mit Eins.

Wir erinnern uns zunachst an den Homotopiebegriff in Top: Stetige Abbildun-gen f, g : X −→ Y zwischen topologischen Raumen sind homotop, wenn es eine stetigeAbbildung h : X × [0, 1] −→ Y mit

h i0 = f und h i1 = g

gibt; dabei bezeichnen i0 : X → X×0 → X×[0, 1] und i1 : X → X×1 → X×[0, 1]die kanonische Inklusion als Boden bzw. Deckel des Zylinders uber X.

Wir ubersetzen dies nun in die Kategorie RCh der Kettenkomplexe: Als erstenSchritt modellieren wir das Intervall [0, 1] durch einen geeigneten Kettenkomplex (Ab-bildung (B.26), vgl. Beispiel II.4.19):

B.9

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Grad 1 Grad 0

Z Z⊕ Zx (−x, x)

Abbildung (B.26): ein algebraisches Modell fur [0, 1]

Definition B.25 (algebraisches Modell fur [0, 1]). Sei I ∈ Ob(ZCh) der Kettenkom-plex

Grad 2 1 0 −1

. . .0// 0

0// 0

0// Z // Z⊕ Z

0// 0

0// 0

0// . . .

x // (−x, x)

Das Produkt topologischer Raume ersetzen wir durch das Tensorprodukt von Ket-tenkomplexen; die Definition leitet sich dabei von dem Gedanken ab, dass die Ket-tenmoduln in Grad k Information uber k-dimensionale Phanomene enthalten und sichdaher die Grade der Tensorfaktoren jeweils auch zum entsprechenden Grad summierensollten:

Definition B.27 (Tensorprodukt von Kettenkomplexen). Sei C ∈ Ob(ChR) und D ∈Ob(RCh). Dann definieren wir C ⊗R D ∈ Ob(ZCh) durch

(C ⊗R D)k :=⊕j∈Z

Cj ⊗R Dk−j

und die Randoperatoren

(C ⊗R D)k −→ (C ⊗R D)k−1

Cj ⊗R Dk−j 3 c⊗ d 7−→ ∂Cj c⊗ d+ (−1)j · c⊗ ∂Dk−jd

fur alle k ∈ Z. (Dies ist tatsachlich ein Kettenkomplex!) Man beachte dabei: Tragt Cauch noch eine Linksstruktur bezuglich einem Ring S, so vererbt sich diese Strukturauf das Tensorprodukt C ⊗R D.

Bemerkung B.28 (Wahl von Vorzeichen). Wir halten uns bei der Wahl von Vorzei-chen an die folgende Konvention: Wird ein Randoperator an einem Element

”vorbei-

gezogen“, so fuhren wir das Vorzeichen

(−1)Grad dieses Elements

ein. Man beachte jedoch, dass in der Literatur manchmal auch andere Vorzeichenkon-ventionen getroffen werden. Bei der Ubernahme von Formeln ist also Vorsicht geboten.

B.10

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Bemerkung B.29 (Funktorialitat des Tensorprodukts). Seien C,C ′ ∈ Ob(ChR), seienD,D′ ∈ Ob(RCh) und seien f ∈ MorChR

(C,C ′) und g ∈ MorRCh(D,D′). Dann ist

f ⊗R G : C ⊗R D −→ C ′ ⊗R D′

c⊗ d 7−→ f(c)⊗ g(d)

eine wohldefinierte Kettenabbildung in ZCh.

Als nachsten Schritt modellieren wir die Inklusionen von Boden und Deckel vonZylindern:

Definition B.30 (algebraisches Modell der Inklusionen von Boden und Deckel inZylindern). Ist C ∈ Ob(RCh), so definieren wir die Kettenabbildungen

i0 : C −→ C ⊗Z I

Ck 3 c 7−→ (c, 0, 0) ∈ Ck ⊕ Ck−1 ⊕ Ck ∼= (C ⊗Z I)k

i1 : C −→ C ⊗Z I

Ck 3 c 7−→ (0, 0, c) ∈ Ck ⊕ Ck−1 ⊕ Ck ∼= (C ⊗Z I)k.

Bemerkung B.31. Seien C,D ∈ Ob(RCh) und seien f, g ∈ MorRCh(C,D). Eine

Kettenabbildung h : C ⊗Z I −→ D in RCh mit h i0 = f und h i1 = g entsprichteiner Familie (hk ∈ Mor

RMod(Ck, Dk+1))k∈Z mit

∂Dk+1 hk = hk−1 ∂Ck + (−1)k · gk − (−1)k · fk

(Abbildung (B.32)) bzw.

∂Dk+1 (−1)k · hk + (−1)k−1 · hk−1 ∂Ck = gk − fk

fur alle k ∈ Z.

Man definiert daher:

Definition B.33 (kettenhomotop, nullhomotop, kontraktibel). Seien C,D ∈ Ob(RCh).– Kettenabbildungen f, g ∈ Mor

RCh(C,D) heißen kettenhomotop (in RCh), wennes eine Folge h = (hk ∈ Mor

RMod(Ck, Dk+1))k∈Z mit

∂Dk+1 hk + hk−1 ∂Ck = gk − fk

fur alle k ∈ Z gibt. Man nennt dann h eine Kettenhomotopie von f nach g(in RCh) und schreibt f '

RCh g.– Wir nennen f ∈ Mor

RCh(C,D) eine Kettenhomotopieaquivalenz (in RCh), fallses ein g ∈ Mor

RCh(D,C) mit

f g 'RCh idD und g d '

RCh idC

gibt. In diesem Fall schreiben wir auch C 'RCh D.

B.11

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(C ⊗Z I)k+1 =

Ck+1

⊕Ck

⊕Ck+1

= (C ⊗Z I)k

Ck

⊕Ck−1

⊕Ck

Dk+1 Dk

∂Ck+1

∂Ck+1

∂Ck+1

−(−1)k

(−1)k

∂Dk+1

fk+1 ⊕ hk ⊕ gk+1 fk ⊕ hk−1 ⊕ gk

Abbildung (B.32): Herleitung des Begriffs der Kettenhomotopie

– Kettenabbildungen, die (in RCh) zur Nullabbildung kettenhomotop sind, heißennullhomotop (in RCh).

– Der Kettenkomplex C ist kontraktibel (in RCh), falls idC nullhomotop (in RCh)ist (bzw. aquivalent, falls C zum Nullkomplex kettenhomotopieaquivalent ist).Homotopien (in RCh) von idC zur Nullabbildungen werden auch Kettenkontrak-tionen (in RCh) von C genannt.

Beispiel B.34. Sei C ∈ Ob(RCh). Dann ist i0 'RCh i1 : C −→ C ⊗Z I.Wir betrachten außerdem die Kettenabbildung

p : C ⊗Z I −→ C

Ck ⊕ Ck−1 ⊕ Ck 3 (c0, c, c1) −→ c0 + c1 ∈ Ck

in RCh. Dann gilt p i0 = idC und i0 p 'RCh idC⊗RI . Also ist

C 'RCh C ⊗Z I.

Analog zur topologischen Situation gilt:

Proposition B.35 (grundlegende Eigenschaften von Kettenhomotopie).1. Seien C,D ∈ Ob(RCh) und seien f, f ′, g, g′ ∈ Mor(RCh) mit f '

RCh f ′ undg '

RCh g′. Dann gilt

a · f + b · g 'RCh a · f ′ + b · g′

fur alle a, b ∈ R.2. Sind C,D ∈ Ob(RCh), so ist

”'

RCh“ eine Aquivalenzrelation auf MorRCh(C,D).

3. Seien C,D,E ∈ Ob(RCh), seien f, f ′ ∈ MorRCh(C,D) und g, g′ ∈ Mor

RCh(D,E)mit f '

RCh f′ bzw. g '

RCh g′. Dann folgt

g f 'RCh g

′ f ′.

B.12

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4. Seien C,C ′ ∈ Ob(ChR), D,D′ ∈ Ob(RCh) und seien f, f ′ ∈ MorChR(C,C ′),

g, g′ ∈ MorRCh(D,D′) mit f 'ChR

f ′ bzw. g 'RCh g

′. Dann folgt

f ⊗R g 'ZCh f′ ⊗R g′.

Beweisskizze. All diese Eigenschaften lassen sich direkt anhand der Definitionen nach-rechnen.

Insbesondere ist die folgende Kategorie wohldefiniert:

Definition B.36 (Homotopiekategorie der Kettenkomplexe). Die Homotopiekategorieder Kettenkomplexe RCh ist die Kategorie RChh, die durch die folgenden Daten gegebenist:

– Objekte: Sei Ob(RChh) := Ob(RCh).– Morphismen: Zu C,D ∈ Ob(RCh) sei

[C,D] := MorRChh

(C,D) := MorRCh(C,D)

/'

RCh .

– Verknupfungen: reprasentantenweise Verknupfung von Kettenabbildungen.

Die zentrale Eigenschaft des Begriffs der Kettenhomotopie ist, dass Homologie indiesem algebraischen Sinne homotopieinvariant ist:

Proposition B.37 (Homologie von Kettenkomplexen ist homotopieinvariant). DerFunktor H∗ : RCh −→ RGrad faktorisiert uber RChh.

Beweisskizze. Seien C,D ∈ Ob(RCh) und seien f, g ∈ MorRCh(C,D) mit f '

RCh g; seietwa h eine solche Kettenhomotopie. Dann ist Hk(f) = Hk(g) fur alle k ∈ Z, denn: Istc ∈ Ck ein Zykel, so gilt nach Definition (in Hk(D))

Hk(f)[c] =[fk(c)

]=[gk(c)− ∂Dk+1 hk(c)− hk−1 ∂Ck (c)

]=[gk(c)− ∂Dk+1 hk(c)− 0]

=[gk(c)

]= Hk(g)[c],

wie gewunscht.

Analog zum topologischen Fall gibt es auch im Kontext von Kettenkomplexen Ab-bildungskegel:

Definition B.38 (Abbildungskegel von Kettenabbildungen). Seien C,D ∈ Ob(RCh)und sei f ∈ Mor

RCh(C,D). Der Abbildungskegel von f ist der Kettenkomplex Cone(f) ∈Ob(RCh) mit (

Cone(f))k

:= Ck−1 ⊕Dk

und den Randoperatoren(Cone(f)

)k7−→

(Cone(f)

)k−1

Ck−1 ⊕Dk 3 (c, d) 7−→(∂Ck−1c, ∂

Dk d+ (−1)k · fk−1(c)

)fur alle k ∈ Z. (Dies ist tatsachlich ein Kettenkomplex.)

B.13

Page 125: Kurzskript zur Algebraischen Topologie III (Ko)Homologie: … · [6]W.S. Massey. A Basic Course in Algebraic Topology, dritte Auflage, Springer, 1997. Hinweis. In diesem Buch wird

Im algebraischen Kontext spiegeln Abbildungskegel die Eigenschaften von Kettenab-bildungen sogar noch etwas besser wider als im topologischen Fall:

Proposition B.39 (Abbildungskegel und Isomorphismen). Seien C,D ∈ Ob(RCh)und sei f ∈ Mor

RCh(C,D).1. Dann ist f : C −→ D genau dann eine Kettenhomotopieaquivalenz in RCh, wenn

Cone(f) in RCh kontraktibel ist.2. Es ist H∗(f) : H∗(C) −→ H∗(D) genau dann ein Isomorphismus in RGrad, wenn

H∗(Cone(f)) ∼= 0 ist.

Caveat B.40. Kettenabbildungen, die Homologieisomorphismen induzieren, sind imallgemeinen keine Kettenhomotopieaquivalenzen!

Zum Beispiel liefert die Kettenabbildung

. . . // 0 //

0 //

Z 2 //

Z //

mod 2

0 //

0 //

. . .

. . . // 0 // 0 // 0 // Z/2 // 0 // 0 // . . .

in ZCh Isomorphismen in Homologie; da die einzige Kettenabbildung in die andereRichtung die Nullabbildung ist und die Kettenkomplexe aber nicht kontraktibel sind(die Homologie ist nicht trivial), kann es sich dabei aber nicht um eine Kettenhomo-topieaquivalenz handeln.

B.4. Kokettenkomplexe und Kohomologie

Wir dualisieren nun die Begriffe Kettenkomplex/Homologie etc. durch”Umdrehen der

Pfeile.“ Dies fuhrt zu Kokettenkomplexen/Kohomologie etc..

Setup B.41. Im folgenden sei R ein Ring mit Eins.

Definition B.42 (Kokettenkomplex, Kozykel, Korand). Ein Links-R-Modul-Koket-tenkomplex ist eine Paar C = (C∗, δ∗), wobei C∗ = (Ck)k∈Z eine Folge von Links-R-Moduln (den sogenannten Kokettenmoduln) und δ∗ = (δk : Ck −→ Ck+1)k∈Z eineFolge von R-Modulhomomorphismen (den sogenannten Korandoperatoren) mit

∀k∈Z δk δk−1 = 0

ist. Sei k ∈ Z.– Die Elemente von Ck heißen k-Koketten.– Die Elemente von ZkC := ker δk heißen k-Kozykel.– Die Elemente von BkC := im δk+1 heißen k-Korander.

Analog kann man z.B. auch N-indizierte Kokettenkomplexe definieren.

Der Begriff des Kozykels tritt in der Mathematik an vielen Stellen auf – im Nor-malfall gibt es dann auch tatsachlich einen sinnvollen zugehorigen Kokettenkomplex(auch wenn dieser nicht immer explizit erwahnt wird).

B.14

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Beispiel B.43 (Kettenkomplexe als Kokettenkomplexe). Ist C = (C∗, ∂∗) ein Links-R-Modul-Kettenkomplex, so ist

C− :=((C−k)k∈Z, (∂−k)k∈Z

)ein Links-R-Modul-Kokettenkomplex. Analog erhalt man zu einem Links-R-Modul-Kokettenkomplex durch Umindizierung einen Links-R-Modul-Kettenkomplex C−.

Mithilfe dieser Konstruktion konnen wir nun alle Begriffe/Ergebnisse fur Ketten-komplexe in entsprechende Begriffe/Ergebnisse fur Kokettenkomplexe ubersetzen. Wirgeben hier nur die wichtigsten Beispiele an:

Definition B.44 (Kohomologie). Sei C = (C∗, δ∗) ein Links-R-Modul-Koketten-komplex. Die Kohomologie von C ist der graduierte Modul

H∗(C) :=(Hk(C)

)k∈Z ∈ Ob(RGrad),

wobei wir fur alle k ∈ Z

Hk(C) := ker δk/

im δk−1 ∈ Ob(RMod)

definieren.

Definition B.45 (Kokettenabbildung, Kokettenhomotopie). Seien C = (C∗, δ∗C) undD = (D∗, δ∗D) Links-R-Modul-Kokettenkomplexe.

– Eine Kokettenabbildung f : C −→ D ist eine Folge (fk ∈ MorRMod(Ck, Dk))k∈Z

mitδkD fk = fk+1 δkC

fur alle k ∈ Z.

. . . // CkδkC //

fk

Ck+1 //

fk+1

. . .

. . . // Dk

δkD

// Dk+1 // . . .

– Kokettenabbildungen f, g ∈ MorRCoCh(C,D) heißen kokettenhomotop (in RCoCh),

wenn es eine Folge h = (hk ∈ MorRMod(Ck, Dk−1))k∈Z mit

hk+1 δkC + δk−1D hk = gk − fk

fur alle k ∈ Z gibt. Man nennt dann h eine Kokettenhomotopie von f nach g(in RCoCh) und schreibt f '

RCoCh g.

Die Eigenschaften aus Proposition B.35 ubertragen sich entsprechend auf Koketten-homotopien. Somit erhalten wir eine (Homotopie-)Kategorie von Kokettenkomplexen:

Definition B.46 ((Homotopie-)Kategorie der Kokettenkomplexe).– Die Kategorie RCoCh der Links-R-Kokettenkomplexe besteht aus:

B.15

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– Objekte: die Klasse aller Links-R-Kokettenkomplexe,– Morphismen: Kokettenabbildungen von Links-R-Kokettenkomplexen,– Verknupfungen: gradweise Komposition von Kokettenabbildungen.

– Die Homotopiekategorie der Kokettenkomplexe ist die Kategorie RCoChh, diedurch die folgenden Daten gegeben ist:

– Objekte: Sei Ob(RCoChh) := Ob(RCoCh).– Morphismen: Zu C,D ∈ Ob(RCoCh) sei

[C,D] := MorRCoChh

(C,D) := MorRCoCh(C,D)

/'

RCoCh .

– Verknupfungen: reprasentantenweise Verknupfung von Kokettenabbildun-gen.

Analog zum Fall der Kettenkomplexe erweitern wir die Definition von Kohomologiezu einem (kovarianten!) Funktor

H∗ : RCoCh −→ RGrad,

indem wir fur C,D ∈ Ob(RCoCh) und k ∈ Z folgendes definieren:

MorRCoCh(C,D) −→ Hom

RMod

(Hk(C), H(D)

)f 7−→

([c] 7→ [fk(c)]

)Dieselbe Rechnung wie im Fall von Homologie zeigt:

Proposition B.47 (Kohomologie ist homotopieinvariant). Der KohomologiefunktorH∗ : RCoCh −→ RGrad faktorisiert uber den Homotopieklassenfunktor RCoCh −→RCoChh.

Außerdem erhalten wir:– die naturliche lange exakte Kohomologiesequenz fur gradweise kurze exakte Se-

quenzen von Kokettenkomplexen (analog zu Satz B.23),– Abbildungskegel fur Kokettenabbildungen und den Zusammenhang zwischen

”Isomorphismen“ und Abbildungskegeln (analog zu Definition B.38 und Pro-

position B.39).Wir geben nun das fur uns zentrale Beispiel von Kokettenkomplexen an:

Definition B.48 (dualer Kokettenkomplex). Sei Z ∈ Ob(RMod). Der kontravarianteFunktor

HomR( · , Z) : RCh −→ ZCoCh

ist wie folgt definiert:– Ist C ∈ Ob(RCh), so definieren wir HomR(C,Z) als den Kokettenkomplex((

HomR(Ck, Z))k∈Z,

(HomR(Ck, Z) → HomR(Dk, Z)

f 7→(c 7→ (−1)k+1 · f(∂k+1(c))

))k∈Z

)abelscher Gruppen.

B.16

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– Ist f : C −→ D eine Kokettenabbildung in RCoCh, so ist

HomR(f, Z) : HomR(D,Z) −→ HomR(C,Z)

die durch

HomR(Dk, Z) −→ HomR(Ck, Z)

g 7−→(c 7→ g(f(c))

)fur alle k ∈ Z gegebene Kokettenabbildung.

Woher kommt die Wahl des Vorzeichens in der Definition des dualen Korandopera-tors?

Proposition B.49 (Auswertungsabbildung). Sei C ∈ Ob(RCh) und sei Z ∈ RMod.Dann ist

HomR(C,Z)− ⊗Z C −→ Z

HomR(C−k, Z)⊗Z Cm 3 f ⊗ c 7−→

f(c) falls −k = m

0 sonst

eine wohldefinierte Kettenabbildung. Dabei fassen wir Z als im Grad 0 konzentriertenKettenkomplex auf.

Beweisskizze. Dies folgt aus einer einfachen Rechnung aus der Definition des dua-len Kokettenkomplexes und der Definition des Tensorproduktes von Kettenkomplexen(Definition B.27).

Caveat B.50. Ist C ∈ Ob(RCh) und ist Z ∈ Ob(ModR), so gilt im allgemeinenfur k ∈ Z

Hk(HomR(C,Z)

)6∼= HomR

(Hk(C), Z

).

Proposition B.51 (Dualisieren von Kettenhomotopien). Seien C,D ∈ Ob(RCh) undsei Z ∈ Ob(RMod). Ist (hk)k∈Z eine Kettenhomotopie zwischen f, g : Mor

RMod(C,D)in RCh, so ist(

(−1)k ·HomR(hk−1, Z) : HomR(D,Z)k −→ HomR(C,Z)k−1)k∈Z

eine Kokettenhomotopie zwischen HomR(f, Z) und HomR(g, Z).

Beweisskizze. Dies folgt durch einfaches Nachrechnen.

Aus der Homotopieinvarianz von Kohomologie und der Funktorialitat von Kohomo-logie folgt somit:

Korollar B.52 (Dualisieren von Kettenhomotopieaquivalenzen). Seien C und D ∈Ob(RCh), sei Z ∈ Ob(RMod), und sei f : C −→ D eine Kettenhomotopieaquivalenzin RCh. Dann ist HomR(f, Z) : HomR(D,Z) −→ HomR(C,Z) eine Kokettenhomoto-pieaquivalenz in RCoCh. Insbesondere ist

Hk(HomR(f, Z)

): Hk

(HomR(D,Z)

)−→ Hk

(HomR(C,Z)

)fur alle k ∈ Z ein Isomorphismus.

B.17

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B.5. Azyklische Modelle

Die Methode der azyklischen Modelle liefert eine Moglichkeit, systematisch naturli-che Kettenabbildungen bzw. Kettenhomotopien zu konstruieren, und beruht auf einerfunktoriellen Variante des Fundamentalsatzes der homologischen Algebra (Satz B.83).Genauer, erlaubt es der Satz uber azyklische Modelle (Satz B.60) naturliche Ketten-abbildungen/-homotopien von freien in azyklische Funktoren zu konstruieren:

frei

azyklisch

Definition B.53 (freier Funktor, Modelle fur freie Funktoren). Sei C eine Katego-rie. Ein Funktor F : C −→ ZMod heißt frei, wenn es eine Menge I und eine Fami-lie (Bi, bi)i∈I von Objekten Bi ∈ Ob(C) und Elementen bi ∈ F (Bi) mit folgenderEigenschaft gibt: Fur alle X ∈ Ob(C) ist F (X) ein freier Z-Modul mit Basis(

F (f)(bi))i∈I,f∈MorC(Bi,X)

.

Man nennt (Bi, bi)i∈I dann auch Modelle fur F .

Wir erweitern diesen Begriff nun auf Kettenkomplexe: Ist C eine Kategorie, so ent-spricht ein Funktor F : C −→ ZCh einer Folge (Fn : C −→ ZMod)n∈Z von Funktorenzusammen mit einer Folge (dFn : Fn =⇒ Fn−1)n∈Z von naturlichen Transformationenmit dFn dFn+1 = 0 fur alle n ∈ Z. Unsere Argumente im folgenden werden auf induktivenKonstruktionen beruhen; daher betrachten wir sogenannte beschrankte Kettenkomple-xe:

Definition B.54 (beschrankte Kettenkomplexe). Die Kategorie ZCh+ der beschrank-

ten Kettenkomplexe von Z-Moduln ist die Unterkategorie von ZCh, deren ObjekteKettenkomplexe C mit Cn ∼=Z 0 fur alle n ∈ Z<0 sind.

Definition B.55 (freier Funktor in beschrankte Kettenkomplexe). Sei C eine Kate-gorie. Ein Funktor F : C −→ ZCh

+ heißt frei, wenn fur alle n ∈ Z (bzw., aquivalent,fur alle n ∈ N) der von F induzierte Funktor Fn : C −→ ZMod frei ist.

Beispiel B.56. Sei n ∈ Z. Dann ist Cn( · ) : Top −→ ZMod ein freier Funktor: Istn < 0, so liefert die leere Familie Modelle. Ist n ≥ 0, so ist (∆n, id∆n) ein Modell.

Also ist C( · ) : Top −→ ZCh+ ein freier Funktor.

Fur freie Funktoren gilt die folgende Variante des Yoneda-Lemmas (Bemerkung 1.34),wie man leicht nachrechnen kann:

Bemerkung B.57 (Yoneda-Lemma fur freie Funktoren). Sei C eine Kategorie, seiF : C −→ ZMod ein freier Funktor mit Modellen (Bi, bi)i∈I und sei G : C −→ ZMod

B.18

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ein Funktor. Dann sind

”Menge“ der

naturlichen TransformationenF =⇒ G

−→←−∏i∈I

G(Bi)

T 7−→(TBi(bi)

)i∈I F (X) → G(X)

∀f∈MorC(Bi,X) ∀i∈IF (f)(bi) 7→ G(f)(ci)

X∈Ob(C)

←− [ (ci)i∈I

zueinander inverse Bijektionen.21

Definition B.58 (azyklischer Funktor). Sei C eine Kategorie und sei F : C −→ ZCh+

ein freier Funktor mit (gradweise) Modellen (Bni , bni )n∈N,i∈In . Ein Funktor G : C −→

ZCh+ ist azyklisch bezuglich F und diesen Modellen, wenn

Hn

(G(Bmi )

) ∼=Z 0

fur alle m ∈ N, alle i ∈ Im und alle n ∈ N>0 gilt.

Beispiel B.59. Der singulare Kettenkomplexfunktor C( · ) : Top −→ ZCh+ ist frei mit

Modellen (∆n, id∆n)n∈N (Beispiel B.56) und azyklisch bezuglich sich selbst und diesenModellen, denn fur alle m ∈ N und alle n ∈ N>0 folgt aus der Homotopieinvarianzsingularer Homologie, dass

Hn

((C(∆m)

) ∼=Z Hn(∆m) ∼=Z Hn(•) ∼=Z 0.

Satz B.60 (der Satz uber azyklische Modelle). Sei C eine Kategorie, sei F : C −→ZCh

+ frei mit Modellen (Bni , bni )n∈N,i∈In und sei G : C −→ ZCh

+ ayzklisch bezuglich Fund diesen Modellen. Außerdem sei eine naturliche Transformation ϕ : H0 F =⇒H0 G gegeben.

1. Dann existiert eine naturliche Transformation T : F =⇒ G

Fn−1

Tn−1

Fn∂Fnks

Tn

Gn−1 Gn

∂Gn

ks

von Funktoren C −→ ZCh+ mit

H0 T = ϕ.

21Strenggenommen bildet die linke Seite keine Menge; es ist jedoch klar, wie die Aussage zu interpre-tieren ist.

B.19

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2. Sind S, T : F =⇒ G naturliche Transformationen mit H0 T = ϕ = H0 S,so gibt es eine naturliche Kettenhomotopie zwischen S und T , d.h. es gibt eineFolge (Kn : Fn =⇒ Gn+1)n∈Z naturlicher Transformationen mit

∂Gn+1,X Kn,X +Kn−1,X ∂Fn,X = Tn,X − Sn,X

fur alle n ∈ Z und alle X ∈ Ob(C).

Beweisskizze. Wir beginnen mit dem ersten Teil: Wir konstruieren induktiv eine naturli-che Transformation T : F =⇒ G mit H0 T = ϕ:

– Induktionsanfang. Fur alle n ∈ Z<0 sei Tn := 0.Wir definieren T0 : F0 =⇒ G0 durch das Yoneda-Lemma fur freie Funktoren(Bemerkung B.57): Sei i ∈ I0. Da die betrachteten Kettenkomplexe in ZCh

+

liegen, ist F0(b0i ) ∈ F0(B0i ) ein Zykel. Wir wahlen dann einen Zykel ci ∈ G0(B0

i ),der

[ci] = ϕB0i

([F (b0i )]

)in H0(G(B0

i )) erfullt. Mit dem Yoneda-Lemma fur freie Funktoren liefert dieFamilie (ci)i∈I eine naturliche Transformation T0 : F0 =⇒ G0 und nach Kon-struktion gilt

”H0 T0“ = ϕ.

– Induktionsschritt. Sei n ∈ N und es seien bereits (Tj : Fj =⇒ Gj)j∈Z≤nmit

”H0

T0“ = ϕ und∀j∈Z≤n

∂Gj Tj = Tj−1 ∂Fjkonstruiert. Wir konstruieren nun mit dem Yoneda-Lemma fur freie Funktoreneine naturliche Transformation Tn+1 : Fn+1 =⇒ Gn+1 mit

Tn ∂Fn+1 = ∂Gn+1 Tn+1.

Sei also i ∈ In+1. Dann ist

Tn,Bn+1i ∂F

n+1,Bn+1i

(bn+1i ) ∈ im ∂G

n+1,Bn+1i

denn (Abbildung (B.61)): Wir unterscheiden dabei die folgenden Falle:– Sei n = 0. Dann ist ∂F

n+1,Bn+1i

(bn+1i ) ein Zykel bzw. sogar auch ein Rand

in F0(Bn+1i ) und nach Induktionsvoraussetzung ist daher[

Tn ∂Fn+1,Bn+1i

(bn+1i )

]=[T0 ∂F1,B1

i(b1i )

]= ϕ

[∂F1,B1

i(b1i )

]= ϕ(0) = 0

in H0(G(B1i )), wie gewunscht.

– Sei n > 0. Dann ist nach Induktionsvoraussetzung

∂Gn,Bn+1

i

Tn,Bn+1i ∂F

n+1,Bn+1i

(bn+1i ) = Tn−1,Bn+1

i ∂n,Bn+1

i ∂F

n+1,Bn+1i

(bn+1i )

= 0.

Da G azyklisch ist, ist Hn(G(Bn+1i )) ∼=Z 0 bzw. ker ∂G

n,Bn+1i

= im ∂Gn+1,Bn+1

i

.

Also ist auch in diesem Fall Tn,Bn+1i ∂F

n+1,Bn+1i

(bn+1i ) ∈ im ∂G

n+1,Bn+1i

, wie

behauptet.

B.20

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Fn−1(Bn+1i )

Tn−1,B

n+1i

Fn(Bn+1i )

∂F

n,Bn+1ioo

Tn,B

n+1i

Fn+1(Bn+1i )

∂F

n+1,Bn+1ioo

Gn−1(Bn+1i ) Gn(Bn+1

i )∂G

n,Bn+1i

oo Gn+1(Bn+1i )

∂G

n+1,Bn+1i

oo

Abbildung (B.61): Induktionsschritt im Beweis des Satzes uber azyklische Modelle

Insbesondere existiert ein ci ∈ Gn+1(Bn+1i ) mit

Tn,Bn+1i ∂F

n+1,Bn+1i

(bn+1i ) = ∂G

n+1,Bn+1i

(ci).

Wenden wir das Yoneda-Lemma fur freie Funktoren auf (ci)i∈In+1an, so er-

halten wir eine naturliche Transformation Tn+1 : Fn+1 =⇒ Gn+1; diese besitztdie gewunschten Eigenschaften, da sie sie nach Konstruktion auf den Model-len (Bn+1

i , bn+1i )i∈In+1 erfullt.

Die so konstruierten naturlichen Transformationen (Tn)n∈Z ergeben somit zusammeneine naturliche Transformation T : F =⇒ G mit H0 T = ϕ.

Analog kann man den zweiten Teil uber eine induktive Konstruktion beweisen; alter-nativ kann man eine relative Variante des ersten Teils auf F⊗Z I und G anwenden.

B.6. Abgeleitete Funktoren, axiomatisch

Abgeleitete Funktoren ermoglichen es, systematisch mit den Exaktheitsdefiziten halb-exakter Funktoren zu arbeiten. Genauer gesagt sind abgeleitete Funktoren von halb-exakten Funktoren

”universelle exakte Fortsetzungen“ der betrachteten Funktoren.

Wir wiederholen zunachst einige Grundbegriffe und geben dann die Axiome fur abge-leitete Funktoren. Die Konstruktion erfolgt dann in Abschnitt B.7 und B.8.

Wir betrachten weiterhin, der Einfachheit halber, nur den Fall von Funktoren zwi-schen Modulkategorien; die Terminologie mit links-, rechts-, ko- und kontra- wird al-lerdings transparenter, wenn man die allgemeinere Situation in abelschen Kategorienbetrachtet [11].

Setup B.62. Seien im folgenden R und S Ringe mit Eins.

Definition B.63 (rechts-/links-exakter Funktor).– Ein [kontravarianter] Funktor RMod −→ SMod ist additiv, wenn er zwischen den

Homomorphismenmengen Gruppenhomomorphismen induziert (wobei die Ho-momorphismenmengen bezuglich punktweiser Addition von Homomorphismenals abelsche Gruppen betrachtet werden).

– Ein kovarianter additiver Funktor F : RMod −→ SMod ist rechts-exakt, wenn furjede kurze exakte Sequenz

0 // Af// B

g// C // 0

B.21

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in RMod die entsprechende Sequenz

F (A)F (f)

// F (B)F (g)

// F (C) // 0

in SMod exakt ist. Analog definiert man kovariante links-exakte Funktoren.– Ein kontravarianter additiver Funktor F : RMod −→ SMod ist links-exakt, wenn

fur jede kurze exakte Sequenz

0 // Af// B

g// C // 0

in RMod die entsprechende Sequenz

0 // F (C)F (g)

// F (B)F (f)

// F (A)

in SMod exakt ist. Analog definiert man kontravariante rechts-exakte Funktoren.– Ein [kontravarianter] additiver Funktor ist exakt, wenn er sowohl links- als auch

rechts-exakt ist.Analog werden die entsprechenden Begriffe definiert, wenn Rechtsmoduln involviertsind.

Bemerkung B.64 (Exaktheit und lange exakte Sequenzen). Additive Funktoren sindgenau dann exakt, wenn sie lange exakte Sequenzen in lange exakte Sequenzen uber-setzen (dies kann man z.B. per

”Splicing“ zeigen).

Beispiel B.65. Sei A ∈ RMod. Elementare algebraische Argumente zeigen:– Der Funktor A⊗Z · : ZMod −→ RMod ist rechts-exakt.– Der Funktor · ⊗R A : ModR −→ ZMod ist rechts-exakt.– Der (kovariante) Funktor HomR(A, · ) : RMod −→ ZMod ist links-exakt.– Der (kontravariante) Funktor HomZ( · , A) : ZMod −→ RMod ist links-exakt.

Homologische ∂-Funktoren sind Folgen von Funktoren, die sich zu naturlichen langenexakten

”Homologie“-Sequenzen zusammenfugen:

Definition B.66 (homologischer ∂-Funktor, kohomologischer δ-Funktor).– Ein homologischer ∂-Funktor auf RMod mit Werten in SMod ist ein Paar(

(Tn : RMod→ SMod)n∈Z,(∂n : Tn(A′′)→ Tn−1(A′)

)n ∈ Z,

0→ A′ → A→ A′′ → 0 kurz exakt

)

mit folgender Eigenschaft: Fur jedes kommutative Diagramm

0 // A′ //

A //

A′′ //

0

0 // B′ // B // B′′ // 0

B.22

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in RMod mit exakten Zeilen ist das entsprechende Diagramm

. . . // Tn(A′) //

Tn(A) //

Tn(A′′)∂n //

Tn−1(A′) //

. . .

. . . // Tn(B′) // Tn(B) // Tn(B′′)∂n

// Tn−1(B′) // . . .

in SMod kommutativ und hat exakte Zeilen.– Ein kontravarianter kohomologischer δ-Funktor auf RMod mit Werten in SMod

ist ein Paar((Tn : RMod→ SMod)n∈Z,

(δn : Tn(A′)→ Tn+1(A′′)

)n ∈ Z,

0→ A′ → A→ A′′ → 0 kurz exakt

),

wobei die (Tn)n∈Z kontravariant sind, mit folgender Eigenschaft: Fur jedes kom-mutative Diagramm

0 // A′ //

A //

A′′ //

0

0 // B′ // B // B′′ // 0

in RMod mit exakten Zeilen ist das entsprechende Diagramm

. . . // Tn(A′′) // Tn(A) // Tn(A′)δn // Tn+1(A′′) // . . .

. . . // Tn(B′′) //

OO

Tn(B) //

OO

Tn(B′)δn//

OO

Tn+1(B′′) //

OO

. . .

in SMod kommutativ und hat exakte Zeilen.

Definition B.67 (links-/rechts-abgeleiteter Funktor).– Sei F : RMod −→ SMod ein rechts-exakter Funktor. Ein links-abgeleiteter Funk-

tor von F ist ein homologischer ∂-Funktor LF mit folgenden Eigenschaften:– Fortsetzung. Es gilt LF0

∼= F und fur alle n ∈ Z<0 ist LFn∼= 0.

– Universalitat. Ist T ein homologischer ∂-Funktor und ist τ0 : T0 =⇒ LF0 einenaturliche Transformation, so gibt es genau eine naturliche Transformati-on22 von T nach LF , die τ0 fortsetzt.

– Sei F : RMod −→ SMod ein kontravarianter links-exakter Funktor. Ein rechts-abgeleiteter Funktor von F ist ein kontravarianter kohomologischer δ-Funktor RFmit folgenden Eigenschaften:

– Fortsetzung. Es gilt R0F∼= F und fur alle n ∈ Z<0 ist RnF

∼= 0.

22D.h. eine Folge (Tn =⇒ LFn )n∈Z naturlicher Transformationen, die mit den

”Verbindungshomo-

morphismen von T und LF vertraglich ist.

B.23

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Abbildung (B.69): Eindeutigkeit universeller Objekte; gereimt und vertont (”Bruder-

chen, komm tanz mit mir“)

– Universalitat. Ist T ein kontravarianter kohomologischer δ-Funktor und istτ0 : R0

F =⇒ T 0 eine naturliche Transformation, so gibt es genau eine naturli-che Transformation von RF nach T , die τ0 fortsetzt.

Bemerkung B.68 (Eindeutigkeit abgeleiteter Funktoren). Je zwei abgeleitete Funk-toren eines gegebenen halb-exakten Funktors sind naturlich isomorph; dies folgt ausdem Standardargument fur die Eindeutigkeit universeller Objekte (Abbildung (B.69)).

Beispiel B.70. Ist F : RMod −→ SMod ein exakter Funktor, so ist (L∗, ∂∗) mit

Ln :=

0 falls n ∈ Z \ 0F falls n = 0

und ∂n := 0 fur alle n ∈ Z ein links-abgeleiteter Funktor von F .

Warum existieren abgeleitete Funktoren immer? Die Konstruktion besteht aus denfolgenden Schritten:

– Wir ersetzen Objekte durch Zerlegungen in einfachere Objekte, sogenannte pro-jektive bzw. injektive Auflosungen (Abschnitt B.7).

– Wir wenden den betrachteten halb-exakten Funktor auf diese Zerlegungen anund messen dann die Abweichung von Exaktheit mithilfe von (Ko)Homologie(Abschnitt B.8).

B.7. Projektive/injektive Auflosungenund der Fundamentalsatz der homologischen Algebra

Wir fuhren nun die geeigneten Zerlegungen von Objekten fur die Konstruktion abge-leiteter Funktoren ein: projektive bzw. injektive Auflosungen. Insbesondere beweisenwir dabei auch den Fundamentalsatz der homologischen Algebra (Satz B.83).

B.24

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Setup B.71. Im folgenden sei R ein Ring mit Eins.

Wir erinnern kurz (ohne Beweise) an die grundlegenden Definitionen, Beispiele undEigenschaften von projektiven bzw. injektiven Moduln:

Definition B.72 (projektiver Modul). Ein Modul A ∈ Ob(RMod) ist projektiv, wenner die folgende Liftungseigenschaft besitzt: Fur jeden Epimorphismus π : B −→ Cin RMod und jeden R-Homomorphismus α : A −→ C gibt es einen R-Homomorphis-mus α : A −→ B mit π α = α.

A

α

α

Bπ// C // 0

Proposition B.73 (Charakterisierung projektiver Moduln). Sei A ∈ Ob(RMod).Dann sind aquivalent:

1. Der R-Modul A ist projektiv.2. Der R-Modul A ist ein direkter Summand in einem freien R-Modul.3. Der Funktor HomR(A, · ) : RMod −→ ZMod ist exakt.4. Jede kurze exakte Sequenz 0 −→ B′ −→ B −→ A −→ 0 in RMod besitzt einen

Spalt.

Bemerkung B.74.– Jeder freie Modul ist projektiv. Die Umkehrung gilt im allgemeinen nicht. Dieser

Unterschied wird fur endlich erzeugte Moduln durch algebraische K-Theorie imGrad 0 gemessen.

– Jeder projektive Modul ist flach. Die Umkehrung gilt im allgemeinen nicht.

Bemerkung B.75 (es gibt genug projektive Moduln). Die Kategorie RMod enthaltgenug projektive Moduln, d.h. zu jedem A ∈ Ob(RMod) gibt es einen projektivenR-Modul P und einen Epimorphismus P −→ A.

Dual dazu ergibt sich das Bild injektiver Moduln:

Definition B.76 (injektiver Modul). Ein Modul A ∈ Ob(RMod) ist injektiv, wenn erdie folgende Erweiterungseigenschaft besitzt: Fur jeden Monomorphismus i : B −→ Cin RMod und jeden R-Homomorphismus α : B −→ A gibt es einen R-Homomorphis-mus α : C −→ A mit α i = α.

A

0 // Bi//

α

OO

C

α

__

Proposition B.77 (Charakterisierung injektiver Moduln). Sei A ∈ Ob(RMod). Dannsind aquivalent:

B.25

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1. Der R-Modul A ist injektiv.2. Der Funktor HomR( · , A) : RMod −→ ZMod ist exakt.

Beispiel B.78.– Alle divisiblen abelschen Gruppen sind injektive Z-Moduln, z.B. Q,Q/Z, . . .– Der Links-R-Modul

R′ := HomZ(R,Q/Z)

(wobei R als Rechts-R-Modul aufgefasst wird) ist injektiv.– Produkte injektiver Moduln sind injektiv.

Bemerkung B.79 (es gibt genug injektive Moduln). Die Kategorie RMod enthaltgenug injektive Moduln, d.h. zu jedem A ∈ Ob(RMod) gibt es einen injektiven R-Modul I und einen Monomorphismus A −→ I, z.B.

A −→∏

HomR(A,R′)

R′

a 7−→(f(a)

)f∈HomR(A,R′)

Als nachsten Schritt fuhren wir die geeigneten Zerlegungen ein:

Definition B.80 (projektive/injektive Auflosung). Sei A ∈ Ob(RMod).– Eine projektive Auflosung von A in RMod ist ein N-indizierterR-Kettenkomplex P

projektiver R-Moduln zusammen mit einem R-Homomorphismus ε : P0 −→ A,so dass der durch

. . .∂2 // P1

∂1 // P0ε // A // 0 // . . .

definierte zusammengesetzte Kettenkomplex P ε exakt ist.– Eine injektive Auflosung von A in RMod ist ein N-indizierterR-Kokettenkomplex I

injektiver R-Moduln zusammen mit einem R-Homomorphismus η : A −→ I0, sodass der durch

. . . // 0 // Aη// I0 δ0 // I1 δ1 // . . .

definierte zusammengesetzte Kokettenkomplex η I exakt ist.

Bemerkung B.81 (Existenz projektiver/injektiver Auflosungen). Aus der Existenzvon genug projektiven bzw. injektiven Moduln (Bemerkung B.75 bzw. B.79) kann maninduktiv zu jedem R-Modul eine projektive bzw. injektive Auflosung konstruieren.

Beispiel B.82. Sei n ∈ Z. Dann ist

. . . // 0 // Z n· // Z ε // Z/n

eine projektive Auflosung von Z/n als Z-Modul, wobei ε : Z −→ Z/n die kanonischeProjektion ist. Man beachte dabei, dass Z/n außer in den trivialen Fallen nicht pro-jektiv ist.

B.26

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Die Frage, in welchem Sinne projektive bzw. injektive Auflosungen eindeutig sind,wird durch den Fundamentalsatz der homologischen Algebra beantwortet:

Satz B.83 (Fundamentalsatz der homologischen Algebra). Seien A,B ∈ Ob(RMod)und sei f ∈ HomR(A,B).

1. Sei P (ε : P0 → A) eine projektive R-Auflosung von A und sei C (γ : C0 → B)eine exakte Sequenz in RMod. Dann kann f : A −→ B zu einer Kettenabbil-dung f f : P ε −→ C γ fortgesetzt werden und die Kettenabbildung f : P −→ Cist bis auf R-Kettenhomotopie eindeutig bestimmt.

2. Sei (η : B → I0)I eine injektive R-Auflosung von B und sei (γ : A→ C0)C eineexakte Sequenz in RMod. Dann kann f : A −→ B zu einer R-Kokettenabbildungf f : γ C −→ η I fortgesetzt werden und die Kokettenabbildung f : C −→ Iist bis auf R-Kokettenhomotopie eindeutig bestimmt.

Beweisskizze. Wir beweisen nur die Existenzaussage im projektiven Fall; die anderenAussagen folgen mit analogen induktiven Konstruktionen. Wir konstruieren induktiveine R-Kettenabbildung f f : P ε −→ C γ:

– Induktionsanfang. Da γ : C0 −→ B surjektiv ist und P0 projektiv ist, erhaltenwir einen R-Homomorphismus f0 : P0 −→ C0 mit γ f0 = f ε:

P0ε //

f0

A

f

// 0

C0 γ// B // 0

– Induktionsschritt. Sei n ∈ N und eine Fortsetzung f : P −→ C sei bereitsbis Grad n als R-Kettenabbildung konstruiert. Wir konstruieren nun einen R-Homomorphismus fn+1 : Pn+1 −→ Cn+1 mit ∂n+1 fn+1 = fn ∂n+1: Da C γexakt ist und nach Induktionsvoraussetzung

∂ fn ∂n+1 = fn−1 ∂n ∂n+1 = 0

gilt, folgt im fn ∂n+1 ⊂ ker ∂n = im ∂n+1. Da Pn+1 projektiv ist, gibt es also

einen R-Homomorphismus fn+1 : Pn+1 −→ Cn+1 mit ∂n+1 fn+1 = fn ∂n+1:

Pn+1

∂n+1//

fn+1

im ∂n+1

fn|im ∂n+1

Cn+1∂n+1

// im ∂n+1// 0

Damit ist die Existenz im projektiven Fall gezeigt.

Korollar B.84 (Eindeutigkeit projektiver/injektiver Auflosungen). Sei A ∈ Ob(RMod).1. Bis auf R-Kettenhomotopieaquivalenz (mit kanonischer R-Kettenhomotopieklasse)

gibt es genau eine projektive R-Auflosung von A.

B.27

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2. Bis auf R-Kokettenhomotopieaquivalenz (mit kanonischer R-Kokettenhomoto-pieklasse) gibt es genau eine injektive R-Auflosung von A.

Beweisskizze. Die Existenz folgt aus Bemerkung B.81. Eindeutigkeit folgt aus demFundamentalsatz der homologischen Algebra (Satz B.83) – angewendet auf idA : A −→A mit dem klassischen Eindeutigkeitsargument bei universellen Eigenschaften.

Außerdem ist es moglich, fur kurze exakte Sequenzen von R-Moduln kompatibleprojektive Auflosungen zu konstruieren:

Proposition B.85 (Hufeisenlemma).

1. Sei 0 // A′f ′// A

f ′′// A′′ // 0 eine kurze exakte Sequenz in RMod

und seien P ′ ε′ bzw. P ′′ ε′′ projektive R-Auflosungen von A′ bzw. A′′:

...

...

P ′0

ε′

? P ′′0

ε′′

0 // A′f ′//

Af ′′// A′′ //

0

0 0

Dann gibt es eine projektive R-Auflosung P ε von A und R-Kettenabbildungen f ′

f ′ : P ′ ε′ −→ P ε bzw. f ′′ f ′′ : P ε −→ P ′′ ε′′, so dass

0 // P ′nf ′n // Pn

f ′′n // P ′′n // 0

fur alle n ∈ N exakt ist.2. Ist

0 // A′ //

A //

A′′ //

0

0 // B′ // B // B′′ // 0

ein kommutatives Diagramm in RMod mit exakten Zeilen, so gibt es projektiveR-Auflosungen dieser sechs Moduln und R-Kettenabbildungen dazwischen, diedieses Diagramm fortsetzen, und die Eigenschaft besitzten, dass die entsprechen-den Leiterdiagramme in jedem Grad kommutativ sind und exakte Zeilen besitzen.

Beweisskizze. Fur den ersten Teil definiert man P ε auf Modulebene als direkteSumme der außeren Auflosungen und wahlt fur f ′ bzw. f ′′ die entsprechende Inklusion

B.28

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bzw. Projektion. Mithilfe der Projektivitat der Pn konstruiert man dann induktivgeeignete Randoperatoren Pn+1 −→ Pn.

Fur den zweiten Teil beginnt man mit den außeren Moduln, lost diese projektivauf und setzt die außeren vertikalen Homomorphismen mit Hilfe des Fundamentalsat-zes zu Kettenabbildungen fort. Der erste Teil liefert nun entsprechende Auflosungender mittleren Moduln. Nun konstruiert man induktiv eine Fortsetzung des mittlerenvertikalen Homomorphismus zu einer Kettenabbildung [11, Theorem 2.4.6].

B.8. Konstruktion abgeleiteter Funktoren

Wir konstruieren nun abgeleitete Funktoren nach dem am Ende von Abschnitt B.6beschriebenen Prinzip und betrachten erste Beispiele.

Setup B.86. Im folgenden seien R und S Ringe mit Eins.

Satz B.87 (Existenz abgeleiteter Funktoren). Sei F : RMod −→ SMod ein rechts-exakter Funktor. Dann besitzt F einen links-abgeleiteten Funktor LF . Genauer gilt: IstA ∈ Ob(RMod) und ist P ε eine projektive R-Auflosung von A, so gilt fur alle n ∈ N,dass

LFn (A) ∼=R Hn

(F (P )

).

(Man beachte dabei, dass Homologie und F nur auf den Komplex P , nicht auf P εangewendet wird.)

Bemerkung B.88 (weitere Varianten abgeleiteter Funktoren). Analog erhalt manabgeleitete Funktoren

– fur links-exakte Funktoren durch injektive Auflosungen– fur rechts-exakte kontravariante Funktoren durch injektive Auflosungen– fur links-exakte kontravariante Funktoren durch projektive Auflosungen.

Die Systematik dahinter ergibt sich wieder durch Betrachtung der Situation in allge-meinen abelschen Kategorien; die duale Kategorie einer abelschen Kategorie ist abelschund Dualisieren vertauscht Projektivitat und Injektivitat.

Bevor wir Satz B.87 beweisen, geben wir wichtige Beispiele abgeleiteter Funktoren:

Definition B.89 (Tor). Sei A ∈ Ob(ModR). Fur n ∈ N definiert man dann

TorRn (A, · ) := LA⊗R ·n : RMod −→ ZMod .

∼= Hn(A⊗R projektive R-Auflosung des Arguments).

Der Name”Tor“ leitet sich aus dem Zusammenhang der Tor-Funktoren mit Torsi-

onsmoduln ab (Beispiel B.91).

Bemerkung B.90 (Varianten von Tor).– Die Konstruktion der Tor-Funktoren zeigt, dass die Tor-Funktoren auch in der

ersten Variablen funktoriell sind.– Ist A ∈ Ob(RMod), so konnen wir TorZn(A, · ) fur alle n ∈ N als Funk-

tor ZMod −→ RMod auffassen (da die R-Modulstruktur auf A die Konstruktionuberlebt).

B.29

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Beispiel B.91 (Berechnung von Tor). Sei A ∈ Ob(ModR) und sei B ∈ Ob(RMod).1. Ist A flach uber R (z.B. projektiv), so ist A⊗R · exakt, und damit

∀n∈N≥1TorRn (A,B) ∼= 0.

2. Ist B projektiv uber R, so ist

∀n∈N≥1TorRn (A,B) ∼= 0,

da . . . // BidB // B // 0 eine projektive R-Auflosung von B ist.

3. Ist R ein Hauptidealring, so gilt

∀n∈N≥2TorRn (A,B) ∼= 0,

denn Untermoduln freier R-Moduln sind frei, und somit liefert die kanonischeProjektion ε :

⊕B R −→ B eine kurze projektive R-Auflosung

. . . // 0 // ker(ε) //⊕

B Rε // B // 0

von B.4. Da Tensorprodukte und Homologie mit direkten Summen vertraglich sind und

direkte Summen von projektiven Auflosungen projektive Auflosungen liefern,folgt: Fur alle Mengen I und alle Familien (Ai)i∈I ⊂ Ob(ModR), (Bi)i∈I ⊂Ob(RMod) sind die kanonischen R-Homomorphismen⊕

i∈ITorRn (Ai, B) −→ TorRn

(⊕i∈I

Ai, B)

⊕i∈I

TorRn (A,Bi) −→ TorRn

(A,⊕i∈I

Bi

)fur alle n ∈ N Isomorphismen von R-Moduln.

5. Fur alle n,m ∈ Z ist

TorZ1 (Z/n,Z/m) ∼= x ∈ Z/n | m · x = 0∼= Z/(n,m)

wie die projektive Z-Auflosung . . . // 0 // Z m · // ZProjektion

// Z/m // 0

von Z/m zeigt.

Insbesondere gibt es uber Korpern keine nicht-trivialen Tor-Terme und Tor-Termevon endlich erzeugten Moduln uber Hauptidealringen lassen sich mit den obigen Tech-niken berechnen.

Definition B.92 (Ext). Sei B ∈ Ob(RMod). Fur n ∈ N definiert man dann denkontravarianten Funktor

ExtnR( · , B) := RnHomR( · ,B) : RMod −→ ZMod .

∼= Hn(HomR(projektive R-Aufosung des Arguments, B)

).

B.30

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Der Name”Ext“ leitet sich aus dem Zusammenhang der Ext-Funktoren mit Erwei-

terungsproblemen ab.

Bemerkung B.93 (Varianten von Ext).– Die Konstruktion der Ext-Funktoren zeigt, dass die Ext-Funktoren auch in der

zweiten Variablen (kovariant) funktoriell sind.– Ist B ∈ Ob(RMod), so konnen wir ExtnZ( · , B) fur alle n ∈ N als kontravari-

anten Funktor ZMod −→ RMod auffassen (da die R-Modulstruktur auf B dieKonstruktion uberlebt).

Analog zu den Berechnungen von Tor erhalten wir:

Beispiel B.94 (Berechnung von Ext). Seien A,B ∈ RMod.1. Ist A projektiv oder B injektiv uber R, so gilt

∀n∈N≥1ExtnR(A,B) ∼= 0.

2. Ist R ein Hauptidealring, so gilt

∀n∈N≥2ExtnR(A,B) ∼= 0.

3. Ist I eine Menge und ist (Ai)i∈I ⊂ Ob(RMod), so ist der kanonische R-Homo-morphismus

ExtnR

(⊕i∈I

Ai, B)−→

∏i∈I

ExtnR(Ai, B)

fur alle n ∈ N ein Isomorphismus von R-Moduln.4. Fur alle n,m ∈ Z ist

Ext1Z(Z/n,Z/m) ∼= (Z/m)

/n · (Z/m)

∼= Z/(n,m).

Insbesondere gibt es uber Korpern keine nicht-trivialen Ext-Terme und Ext-Termevon endlich erzeugten Moduln uber Hauptidealringen lassen sich im wesentlichen mitden obigen Techniken berechnen.

Die Funktoren Tor und Ext spielen bei den universellen Koeffiziententheoremen(Kapitel 3) eine zentrale Rolle.

Als Spezialfall erhalt man aus Tor und Ext außerdem algebraische (bzw. axiomati-sche) Beschreibungen von Gruppen(ko)homologie:

Beispiel B.95 (Gruppen(ko)homologie). Sei G eine Gruppe und sei n ∈ N.– Dann ist die n-te Gruppenhomologie von G definiert als

Hn(G; · ) := TorZGn ( · ,Z) : ModZG −→ ZMod .

– Analog ist die n-te Gruppenkohomologie von G der kontravariante Funktor

Hn(G; · ) := ExtnZG(Z, · ) : ZGMod −→ ZMod .

B.31

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Dabei ist ZG der ganzzahlige Gruppenring von G, d.h. ZG ist die abelsche Grup-pe⊕

G Z zusammen mit der Multiplikation

ZG× ZG −→ ZG(∑g∈G

ag · g,∑g∈G

bg · g)7−→

∑g∈G

(∑h∈G

ah · bh−1·g

)· g.

(Die Multiplikation auf ZG setzt also die Multiplikation auf G fort.) Ist G nicht abelsch,so ist ZG nicht kommutativ; jedoch liefert die Inversenbildung auf G eine Involutionauf ZG. Wir betrachten in der obigen Definition Z als ZG-Modul bezuglich der trivialenG-Operation auf Z.

Man kann zeigen, dass diese Konstruktionen von Gruppen(ko)homologie auch in Gfunktoriell sind.

Der Schlussel zu den reichhaltigen Querverbindungen, die Gruppen(ko)homologiezwischen Gruppentheorie und Topologie erzeugt, ist die Tatsache, dass gewisse topo-logische Situationen (z.B. Eilenberg-MacLane-Raume vom Typ K( · , 1)) interessanteprojektive Auflosungen von Z uber Gruppenringen liefern. Daraus ergeben sich An-wendungen in der Gruppentheorie (z.B. Endlichkeitsbedingungen) und auch in derTopologie (z.B. welche endlichen Gruppen operieren frei auf Spharen?).

Bemerkung B.96 (abgeleitete Funktoren sind uberall). Abgeleitete Funktoren tretenan vielen Stellen in der modernen theoretischen Mathematik auf. Zum Beispiel konnenauch

– Garbenkohomologie– etale Kohomologie– hohere direkte Bilder von Garbenmorphismen– lim1-Terme– . . .

als abgeleitete Funktoren auf geeigneten abelschen Kategorien aufgefasst werden. Derrichtige konzeptionelle Rahmen fur abgeleitete Funktoren sind sogenannte derivierteKategorien, die man nach dem folgenden Schema aus abelschen Kategorien erhalt:

A

abelsche Kategorie

Ch(A)

Kettenkomplexe uber A

Ch(A)h

Lokalisierung an Homologieisomorphismen

zugehorige Homotopiekategorie

D(A) derivierte Kategorie von A

Wir beweisen nun Satz B.87:

B.32

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Beweisskizze (von Satz B.87).– Konstruktion der Funktoren (LFn )n∈Z: Zu jedem Objekt A ∈ Ob(RMod) wahlen

wir eine projektive R-Auflosung PAεA von A. Wir definieren dann fur alle n ∈ Z

LFn : Ob(RMod) −→ Ob(SMod)

A 7−→

0 falls n < 0

Hn

(F (PA)

)falls n ≥ 0.

Ist f : A −→ B ein R-Homomorphismus, so gibt es nach dem Fundamentalsatzder homologischen Algebra (Satz B.83) eine (bis auf Kettenhomotopie eindeuti-

gen) Fortsetzung f f : PA εA −→ PB εB . Wir definieren dann fur alle n ∈ Z:

LFn (f) :=

0 falls n < 0

Hn

(F (f)

)falls n ≥ 0.

Mit dem Fundamentalsatz der homologischen Algebra bzw. Korollar B.84 folgtaußerdem:

– Bis auf kanonische Isomorphie hangen die Moduln LFn (A) nicht von dergewahlten projektiven Auflosung ab.

– Die Homomorphisen LFn (f) hangen nicht von der gewahlten Fortsetzungvon f ab.

– Fur alle n ∈ Z ist LFn : RMod −→ SMod tatsachlich ein Funktor.

– Es gilt LF0∼= F , denn: Sei f : A −→ B ein R-Homomorphismus und sei f

f : PA εA −→ PB εB eine entsprechende Fortsetzung. Aus dem kommutativenDiagramm

PA1∂1 //

f1

PA0εA //

f0

A

f

// 0

PB1 ∂1

// PB0 εB// B // 0

mit exakten Zeilen erhalten wir wegen der Rechts-Exaktheit von F somit daskommutative Diagramm

LF0 (A)

LF0 (f)

H0(F (PA))

H0(F (f))

F (PA0 )/F (im ∂A1 )

F (PA0 )/F (ker εA)via F (εA)

∼=//

F (A)

F (f)

LF0 (B) H0(F (PB)) F (PB0 )/F (im ∂B1 ) F (PB0 )/F (ker εB)via F (εB)

∼= // F (B)

Insbesondere ist LF0∼= F .

– Erweiterung von (LFn )n∈Z zu einem homologischen ∂-Funktor: Die Verbindungs-homomorphismen fur (LFn )n∈Z kann man mithilfe des (zweiten Teils des) Huf-eisenlemmas (Proposition B.85), des Fundamentalsatzes der homologischen Al-gebra (Satz B.83), sowie der algebraischen langen exakten Homologiesequenz(Satz B.23) konstruieren.

B.33

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– Der homologische ∂-Funktor LF ist universell, denn: Sei T ein homologischer∂-Funktor auf RMod mit Werten in SMod und sei τ0 : T0 =⇒ LF0 eine naturlicheTransformation. Dann gibt es genau eine naturliche Transformation homologi-scher ∂-Funktoren zwischen T und LF , die τ0 fortsetzt, denn: Wir konstruiereninduktiv durch

”dimension shifting“ eine (eindeutige) Folge (τn : Tn =⇒ LFn )n∈Z

naturlicher Transformationen, die mit den Verbindungshomomorphismen ver-traglich sind: Fur n ∈ Z<0 sei τn := 0. Ist n ∈ N und sind τ0, . . . , τn bereitskonstruiert, so gibt es genau eine naturliche Transformation τn+1 : Tn+1 =⇒LFn+1, die mit den Verbindungshomomorphismen vertraglich ist, denn: Sei A ∈Ob(RMod). Dann gibt es eine kurze exakte Sequenz

0 // A′i // P // A // 0

in RMod, wobei P ein projektiver R-Modul ist. Da T und LF homologische ∂-Funktoren sind und da τn eine naturliche Transformation ist, erhalten wir daskommutative Diagramm

Tn+1(A)∂n+1

//

τn+1(A)

Tn(A′)Tn(i)

//

τn(A′)

Tn(P )

τn(P )

0 = LFn+1(P ) // LFn+1(A)∂n+1

// LFn (A′)LF

n (i)

// LFn (P )

mit exakten Zeilen; da P projektiv ist, gilt dabei LFn+1(P ) ∼= 0 (denn P besitzteine projektive Auflosung der Lange 0), und somit ist ∂n+1 : LFn+1(A) −→ LFn (A′)injektiv. Eine einfache Diagrammjagd zeigt, dass im τn(A′)∂n+1 ⊂ im ∂n+1 gilt.Also gibt es genau einen Homomorphismus τn+1(A) : Tn+1(A) −→ LFn+1(A), derin das obige Diagramm passt.Man rechnet nun nach, dass τn+1 : Tn+1 =⇒ LFn+1 eine naturliche Transformationist und dass τn+1 mit allen Verbindungshomomorphismen zu kurzen exaktenSequenzen vertraglich ist.

B.34