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Längere Verjährungs- fristen im Kauf- und Werkvertragsrecht Die Neuerungen im Überblick Jörg Kilchmann / Nadine Trachsler-Schneider VERTRAGS- UND HANDELSRECHT kpmg.ch/Legal

Längere Verjährungsfristen im Kauf- und Werkvertragsrecht

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Seit dem 1. Januar 2013 gelten im Kauf- und Werkvertragsrecht längere Verjährungsfristen für Klagen auf Gewährleistung wegen Mängeln einer gekauften Sache (Art. 210 OR) oder Mängeln eines Werkes (Art. 371 OR).

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Längere Verjährungs-

fristen im Kauf- und Werkvertragsrecht

Die Neuerungen im Überblick

Jörg Kilchmann / Nadine Trachsler-Schneider

VERTRAGS- UND HANDELSRECHT

kpmg.ch/Legal

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Längere Verjährungsfristen im Kauf- und Werkvertrags-

recht – Die Neuerungen im Überblick

Jörg Kilchmann / Nadine Trachsler-Schneider

Zusammenfassung

Seit dem 1. Januar 2013 gelten im Kauf- und Werkvertragsrecht längere Verjäh-

rungsfristen für Klagen auf Gewährleistung wegen Mängeln einer gekauften

Sache (Art. 210 OR) oder Mängeln eines Werkes (Art. 371 OR). Für beide Ver-

tragstypen gilt neu eine ordentliche gesetzliche Verjährungsfrist von zwei Jah-

ren statt der bisher geltenden einjährigen Frist. Eine Verlängerung oder Verkür-

zung dieser Frist ist grundsätzlich weiterhin möglich. In Verträgen mit Konsu-

mentinnen und Konsumenten sind jedoch neu Mindestfristen zu beachten: Die

Verjährungsfrist darf diesfalls nicht weniger als zwei Jahre dauern, oder nicht

weniger als ein Jahr, sofern es sich um gebrauchte Sachen oder Werke handelt.

Schliesslich beträgt die Verjährungsfrist neu ausnahmsweise fünf Jahre, soweit

Mängel einer beweglichen Sache, die bestimmungsgemäss in ein unbewegli-

ches Werk integriert worden ist, die Mangelhaftigkeit des Werkes verursacht

haben. Eine parallele Bestimmung findet sich in Art. 371 Abs. 1 Satz 1 OR für

ein bewegliches Werk, dass bestimmungsgemäss in ein unbewegliches Werk

integriert worden ist.

1. Ausgangslage

Die Eidgenössischen Räte haben am 16. März 2012 einer Revision des Gewähr-

leistungsrechts zugestimmt1

. Das neue Recht ist am 1. Januar 2013 in Kraft

getreten2

. Der vorliegende Beitrag stellt die neuen Bestimmungen zur Verjäh-

rung der kauf- und werkvertraglichen Mängelrechte im Sinne eines Überblicks

dar und unterzieht sie einer teilweise kritischen Würdigung.

Die Änderung der Verjährung der kauf- und werkvertraglichen Mängelrechte

geht zurück auf zwei parlamentarische Initiativen, die aufgrund der inhaltlichen

Überschneidung in einer einzigen Vorlage umgesetzt wurden3

. Die von National-

rätin Susanne Leutenegger-Oberholzer am 20. Dezember 2006 eingereichte

1

Schlussabstimmung: Amtl. Bull. NR 2012 551; Amtl. Bull. SR 2012 267. - Zur parlamentarischen Debatte vgl. Amtl.

Bull. NR 2011 1423 ff. und 2012 40 ff.; Amtl. Bull. SR 2011 1050 ff. und 2012 66 ff.

2

Obligationenrecht (Verjährungsfristen der Gewährleistungsansprüche im Kauf- und Werkvertrag. Verlängerung und

Koordination), Änderung vom 16. März 2012, BBl 2012 3447 f.

3

Vgl. Bericht RK-NR, 2891.

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Längere Verjährungsfristen im Kauf - und Werkvertragsrecht –

Die Neuerungen im Überblick

2

parlamentarische Initiative forderte eine Verbesserung des Konsumentenschut-

zes durch Verlängerung der Verjährungsfrist für kaufrechtliche Gewährleis-

tungsansprüche von einem auf zwei Jahre4

. Ständerat Hermann Bürgi verlangte

mit seiner am 20. Dezember 2007 eingereichten parlamentarischen Initiative

eine Koordination der Gewährleistungsfrist im Kaufrecht mit der fünfjährigen

Verjährungsfrist von Art. 371 Abs. 2 OR, die im Fall eines Werkvertrags über ein

unbewegliches Bauwerk gilt5

.

Bevor wir nachstehend im Sinne eines Überblicks auf die Neuerungen einge-

hen, sei darauf hingewiesen, dass die nächste Revision des Gewährleistungs-

rechts bereits in der Pipeline steht. Der Bundesrat hat im August 2011 einen

Vorentwurf über eine umfassende Revision des Verjährungsrechts im Obligati-

onenrecht in die Vernehmlassung geschickt6

. Mit der geplanten Gesamtrevision

des privatrechtlichen Verjährungsrechts will der Bundesrat neu allgemein das

Konzept der doppelten Fristen statuieren, wie es heute im Delikts- und Berei-

cherungsrecht gilt: Sämtliche Forderungen unterstehen einer relativen kurzen

Verjährungsfrist von drei Jahren7

und einer absoluten von zehn Jahren8

. Vertrag-

liche Abänderungen sollen innerhalb von Minimal- und Maximalfristen grund-

sätzlich möglich sein9

. Dabei strebt der Vorentwurf auch eine Harmonisierung

der Verjährung des Gewährleistungsrechts mit dem allgemeinen Verjährungs-

recht an10

. Im Vorentwurf ist eine Aufhebung der Verjährungsregelung des Kauf-

und Werkvertragsrechts vorgesehen. Die Ansprüche des Käufers bzw. Bestel-

lers wegen Mängel der Kaufsache bzw. des Werkes – unabhängig davon, ob

beweglich oder unbeweglich – sollen künftig nach den allgemeinen Verjäh-

rungsbestimmungen11

verjähren. Die daraus folgende Verlängerung der Verjäh-

rungsfrist wird durch die Einführung einer absoluten Rügefrist von zwei (bei

Fahrniskauf und beweglichen Werken) bzw. fünf Jahren (bei Grundstückkauf

und unbeweglichen Werken) begrenzt. Es handelt sich dabei um eine Präklusi-

onsfrist und nicht um eine Verjährungsfrist. Das Gericht muss sie von Amtes

wegen beachten und sie kann weder gehemmt noch unterbrochen werden12

.

4

„Mehr Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten. Änderung von Artikel 210 OR“ (06.4909). - Die Initiative

wurde eingereicht, nachdem zuvor der Bundesrat beschlossen hatte, die Arbeiten am Bundesgesetz über den

elektronischen Geschäftsverkehr einzustellen. Die Vorlage sah unter anderem eine Verlängerung der Verjährungs-

frist für kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche auf zwei Jahre vor.

5

„Änderung der Verjährungsfrist im Kaufrecht. Artikel 210 OR“ (07.497).

6

Medienkonferenz des Bundesrats vom 31. August 2011.

7

Die relative Frist beginnt mit Kenntnis des Schadens und der Person des Schuldners (Art. 128 VE OR 2011).

8

Fristauslösend ist grundsätzlich die Fälligkeit; der Schadenersatzanspruch beginnt mit schädigender Handlung (vgl.

Art. 129 VE OR 2011, Bericht VE OR 2011, 34).

9

Vgl. Medienkonferenz des Bundesrats vom 31. August 2011.

10

Bericht VE OR 2011, 33.

11

Art. 127 ff. VE OR 2011.

12

Art. 201 Abs. 4, 219 Abs. 3 und 370 Abs. 4 VE OR 2011. - Wurde innerhalb von zwei bzw. fünf Jahren keine Rüge

erhoben, verdrängt die absolute Rügefrist die allgemeinen Verjährungsfristen des OR. Hat der Käufer bzw. Besteller

den Mangel hingegen rechtzeitig gerügt, muss er bei der Geltendmachung seines Anspruchs immer noch die

Verjährungsfristen beachten (vgl. zum Ganzen Bericht VE OR 2011, 33-36).

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Jörg Kilchmann / Nadine Trachsler-Schneider

3

Im jetzigen Zeitpunkt ist allerdings ungewiss, ob und wann die Revision in Kraft

treten wird. Die Reaktionen auf die vorgeschlagenen Änderungen des Gewähr-

leistungsrechts fielen in der Vernehmlassung äusserst kontrovers aus13

.

2. Die neuen Verjährungsbestimmungen im Kauf- und Werk-

vertragsrecht

2.1 Fahrniskauf und bewegliche Werke

2.1.1 Ordentliche gesetzliche Verjährungsfrist von zwei Jahren (Art. 210

Abs. 1 und Art. 371 Abs. 1 Satz 1 OR)

Gemäss dem revidierten Art. 210 Abs. 1 OR verjähren Mängelrechte des Käu-

fers gegenüber dem Verkäufer für alle Arten des Fahrniskaufs neu nach zwei

und nicht wie bisher bereits nach einem Jahr. Damit übernimmt die neue Rege-

lung die Mindestfrist der EU-Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie14

und steht auch im

Einklang mit Art. 39 Abs. 2 Wiener Kaufrecht15

. Im Übrigen bleibt Art. 210 Abs.

1 OR unverändert. Die Verjährung beginnt nach wie vor mit Ablieferung der

Kaufsache. Die Sachgewährleistungsansprüche können daher weiterhin verjäh-

ren, auch wenn der Käufer den Mangel gar nicht entdecken konnte16

.

Auch die entsprechende Bestimmung zur Gewährleistung im Werkvertrag wur-

de einer Revision unterzogen. In Analogie zum Kaufrecht sieht Art. 371 Abs. 1

OR neu vor, dass die Ansprüche des Bestellers wegen Mängel des Werkes mit

Ablauf von zwei Jahren nach der Abnahme des Werkes verjähren.

2.1.2 Koordination der Verjährungsfristen beim Kauf- und Werkvertrag:

Ausnahmsweise fünf- statt zweijährige Verjährungsfrist (Art. 210

Abs. 2 und Art. 371 Abs. 1 Satz 2 OR)

Neu gilt ausnahmsweise eine Verjährungsfrist von fünf Jahren, „soweit Mängel

einer [beweglichen] Sache, die bestimmungsgemäss in eine unbewegliches

Werk integriert worden ist, die Mangelhaftigkeit des Werkes verursacht hat“

(Art. 210 Abs. 2 OR)17

. Eine parallele Bestimmung findet sich in Art. 371 Abs. 1

13

Vernehmlassungsergebnis VE OR 2011, 25 ff.

14

Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten

des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. Nr. L 171 vom 7. Juli 1999, S. 12 ff. (zit. EU-

Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie).

15

So Bericht RK-NR, 2896. - Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 11. April 1980 über Verträge über den

internationalen Warenkauf (SR 0.221.211.1). Art. 39 Abs. 2 Wiener Kaufrecht enthält eine zweijährige Rügefrist.

16

BSK-Honsell, N. 4 zu Art. 210 OR m.w.H; Müller-Chen, N. 4 zu Art. 210 OR.

17

Die Formulierung lehnt an § 438 Abs. 1 Ziff. 2 lit. b des deutschen BGB an (vgl. Bericht RK-NR, 2897).

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Die Neuerungen im Überblick

4

OR für ein bewegliches Werk, dass in ein unbewegliches Werk integriert wor-

den ist.

Die fünf- statt zweijährige Verjährungsfrist greift also unter drei Voraussetzun-

gen, wobei jede der Voraussetzungen der Auslegung bedarf18

:

Die bewegliche Sache bzw. das bewegliche Werk muss in ein unbewegli-

ches Werk integriert worden sein19

. Gemeint sein dürfte die Integration als

Werkstoff, nicht auch als Arbeitsmittel, das der Unternehmer zur Ausfüh-

rung des Werks benötigt20

.

Weiter muss die Integration in ein unbewegliches Werk bestimmungsge-

mäss erfolgt sein, was dann gegeben sein dürfte, wenn die bewegliche

Sache bzw. das bewegliche Werk nach ihrem bzw. seinem üblichen oder

vereinbarten Verwendungszweck zur Integration bestimmt war21

.

Schliesslich muss die bestimmungsgemäss integrierte Sache den Mangel

des unbeweglichen Werks verursacht haben. Die fünfjährige Verjährungs-

frist kommt also nur zur Anwendung für die Mängelrechte aus einem

Mangel, der ursächlich für die Mangelhaftigkeit des unbeweglichen Werks

war und nicht mit Bezug auf alle Mängel der beweglichen Sache bzw. des

beweglichen Werks. Eine blosse Mitverursachung genügt jedoch22

.

Hintergrund dieser völlig neuen Regel ist die Koordination der Verjährungsfrist

der kaufrechtlichen Mängelrechte in den von ihr erfassten Fällen mit der fünf-

jährigen Verjährung, der die werkvertraglichen Mängelrechte des Bestellers bei

unbeweglichen Werken unterliegen23

. Gemäss dem Bericht der Kommission

des Nationalrats "soll der Problematik entgegengewirkt werden, dass ein Unter-

nehmer im Falle eines Mangels des unbeweglichen Werks wegen der stark

unterschiedlichen Fristen zwar vom Besteller noch belangt werden kann, seine

Ansprüche gegenüber einem Lieferanten bzw. Subunternehmer aber bereits

18

Ausführlich dazu Gauch, 2012, 126 ff.; Gauch 2011, 146 ff. Als weitere Voraussetzung sind selbstverständlich

einer oder mehrere Mängel der gekauften (beweglichen) Sache vorausgesetzt; vgl. Vischer, 3.

19

Nach Auffassung von Markus Vischer ist Art. 210 Abs. 2 OR entgegen dem Wortlaut so auszulegen, wonach die

Bestimmung zur Integration in ein unbewegliches Werk genügt, unabhängig davon, ob die Integration effektiv

stattfindet oder nicht; vgl. Vischer, S. 4.

20

"Hilfsmittel, Werkzeuge und Gerätschaften" (Art. 364 Abs. 3 OR). - Vgl. zu dieser restriktiven Auslegung Gauch,

2011, 147 und Gauch, 2012, 127.

21

Gauch, 2012, 127, der die bestimmungswidrige Verwendung einer Farbe für einen Aussen- statt für einen Innen-

anstrich als Beispiel für eine bestimmungswidrige Integration aufführt; vgl. auch Gauch, 2011, 148. – Vgl. auch

Vischer, 3, der verlangt, dass Integration nur vorliegen kann, wenn die gekaufte Sache Bestandteil der unbewegli-

chen Sache im Sinne von Art. 642 ZGB wird.

22

Gauch, 2011, 146; Gauch, 2012, 128. Nach Auffassung von Markus Vischer ist jedoch die Mangelhaftigkeit des

unbeweglichen Werkes entgegen dem Wortlaut von Art. 210 OR irrelevant; vgl. Vischer, 5.

23

Vgl. Gauch, 2011, 146.

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5

verjährt sind"24

. Dabei dient die fünfjährige Frist nicht nur dem Unternehmer, der

die von ihm gekaufte bewegliche Sache bzw. das bewegliche Werk in ein un-

bewegliches Werk integriert hat, sondern auch den Käufern der "vorgelagerten"

Kaufverträgen bzw. den Bestellern der "vorgelagerten" Werkverträge, so dass

diese leichter auf ihre eigenen Verkäufer bzw. Unternehmer zurückgreifen kön-

nen25

.

Durch die neue einheitliche Verjährungsfrist von fünf Jahren im Kauf- und

Werkvertragsrecht wird die Problematik der unterschiedlichen Verjährungsfris-

ten entschärft26

. Ob in diesem Zusammenhang von einer "wesentlichen" Ent-

schärfung gesprochen werden kann, wie es der Bundesrat attestiert, ist aller-

dings fraglich27

, zumal auch im Bericht der Kommission für Rechtsfragen des

Nationalrats ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass beim Verjährungsbe-

ginn nach wie vor keine Koordination besteht: Der Fristbeginn der Verjährung

für die kaufrechtlichen Mängelrechte ist die Ablieferung der Kaufsache, die

werkvertraglichen Mängelrechte des Bestellers dagegen beginnen erst mit der

späteren Abnahme des Werkes zu verjähren28

. Daher müssen Verkäufer und

Werkunternehmer auch weiterhin in ihren Verträgen nach Lösungen zur Koordi-

nation von Fristbeginn und -dauer gegenüber Kunden einerseits und Zulieferer

andererseits suchen29

.

Die neue Bestimmung wirft zudem auch zahlreiche neue (Auslegungs-)Fragen

auf, deren Beantwortung in den Materialen ausbleibt. Dazu gehört insbesonde-

re auch die Frage, ob es noch weitere Voraussetzungen gibt, die das Gesetz

nicht ausdrücklich nennt, und wenn ja, welche30

. Des weiteren stellt sich die

Frage, ob die fünfjährige Frist auch greift, wenn der Werkunternehmer aus ir-

gendeinem Grund von der Haftung für den durch den Mangel der Kaufsache

verursachten Werkmangel befreit ist oder ob sie auch gilt, wenn die Verjäh-

rungsfrist für die Haftung des Werkunternehmers durch vertragliche Vereinba-

rung verkürzt worden ist31

? Peter Gauch kommt daher zu dem berechtigten

Schluss, dass es Jahre dauern wird, bis Lehre und Rechtsprechung die beste-

24

Bericht RK-NR, 2890. - Auch das Bundesgericht erachtete die bisherige Gesetzeslage als unbefriedigend, war aber

der Ansicht, dass es das Problem nicht auf dem Wege der Auslegung beseitigen könne (BGE 120 II 214 E. 3d).

25

So Gauch, 2012, 126, der in diesem Zusammenhang von primärem und sekundärem Zweck von Absatz 2 spricht.

26

Und zwar wie von der parlamentarische Initiative Bürgi verlangt zwischen Kauf- und Werkvertrag, aber auch

zwischen den verschiedenen Werkverträgen. Eine solche Koordination sehen auch Art. 180 SIA-Norm 118 sowie

Art. 438 Abs. 1 Ziff. 2, 634a Abs. 1 Ziff. 2 und Art. 651 des deutschen BGB vor (vgl. Bericht RK-NR, 2897 f.).

27

Medienmitteilung des Bundesrats vom 27. September 2012. - Kritisch zu den neuen Auslegungs- und Abgren-

zungsfragen, die das neue Recht allgemein und auch in Bezug auf die fünfjährige Frist von Art. 210 Abs. 2 und Art.

371 Abs. 1 Satz 1 OR aufwirft, auch Schwizer/Wolfer, 1761 sowie Pichonnaz, 72 f.

28

Bericht RK-NR, 2897, und so auch Stellungnahme Bundesrat, 3. – Gemäss Pichonnaz, 73 f., soll die Verjährung bei

mangelhaften Plänen aber weiterhin mit der Abnahme des unbeweglichen Werks beginnen.

29

So auch Pichonnaz, 76.

30

Ausführlich und kritisch zur Interpretation dieser neuen Bestimmung, den offenen Fragen und den allfälligen

weiteren Voraussetzungen Gauch, 2012, 126 ff. und Gauch 2011, 146 ff. Ebenfalls mit kritischen Hinweisen zu den

diversen Auslegungsfragen Pichonnaz, 71 ff.

31

Gauch, 2011 149 mit weiteren Fragen, deren Beantwortung er aber ebenfalls offen lässt; weitere besondere

Frage und möglichen Antworten darauf: Gauch, 202, 129.

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Die Neuerungen im Überblick

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henden Unklarheiten im Zusammenhang mit dem neuen Art. 210 Abs. 2 und

Art. 371 Abs. 1 Satz 2 OR zuverlässig ausgeräumt haben32

.

2.2 Grundstückkauf und unbewegliche Werke

An der fünfjährigen Frist für die Geltendmachung von Gewährleistungsansprü-

chen beim Grundstückkauf (Art. 219 Abs. 3 OR) ist durch die Revision nichts

geändert worden33

.

Das gilt auch für die schon bisher im Werkvertragsrecht in Art. 371 Abs. 2 OR

vorgesehene längere Frist von fünf Jahren gegenüber dem Unternehmer, der

das unbewegliche Bauwerk hergestellt hat, sowie dem Architekten oder Inge-

nieur, der zum Zwecke der Erstellung des unbeweglichen Bauwerks Dienste

geleistet hat34

. Neu ist jedoch, dass die in Art. 371 Abs. 2 OR vorgesehene

fünfjährige Frist für sämtliche „unbeweglichen Werke“ gilt, und nicht mehr nur

für "unbewegliche Bauwerke". Die Materialien äussern sich allerdings kaum zum

Hintergrund dieser nicht unwesentlichen Erweiterung des Anwendungsbe-

reichs von Art. 371 Abs. 2 OR35

. Insbesondere werden auch keine Beispiele

genannt, die darunter subsumiert werden sollen. Im Bericht der Kommission für

Rechtsfragen des Nationalrats heisst es lediglich, dass durch diese Neuerung

"das gesetzliche System einfacher und übersichtlicher wird"36

. In der Literatur

zum neuen Art. 371 Abs. 2 OR wird etwa die Bepflanzung eines Gartens oder

der Aushub eines Grabens aufgeführt37

.

2.3 Kulturgüterkauf

Art. 210 Abs. 3 OR enthält eine besondere Regelung für Kulturgüter, die derje-

nigen des bisherigen Absatz 1bis

wortwörtlich entspricht.

32

Gauch, 2011, 149; 2012, 136 Fn. 49.

33

Auf die Verjährung beim Grundstückkauf "entsprechend" (i.S. von Art. 221 OR) anwendbar sind die in Art. 210 Abs.

4-6 OR enthaltenen Regeln, sowie auch Art. 199 OR (Gauch, 2012, 130).

34

Vgl. Bericht RK-NR, 2894. - Auf Art. 180 SIA-Norm 118 hat die Revision ebenfalls keinen Einfluss. Die SIA-Norm

118 wird zwar im Jahr 2013 in revidierter Form erscheinen; an den Regeln betreffend Rüge- und Verjährungsfrist bei

Mängeln wird sich aber nichts ändern. Die Mängelrechte des Bauherrn verjähren nach wie vor fünf Jahre nach

Abnahme des Werkes oder Werkteils.

35

Vgl. Schwizer/Wolfer, 1761 Fn. 5 m.w.H.

36

Bericht RK-NR, 2897.

37

Gauch, 2011, 150 mit weiteren Beispielen; vgl. auch Gauch, 2012, 133 Fn. 35

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2.4 Zwingende Mindestfristen zum Schutz von Konsumentinnen und

Konsumenten38

Bisher konnte die Regelverjährungsfrist von einem Jahr sowohl einer Verlänge-

rung als auch einer Verkürzung unterzogen werden39

. Auch nach dem neuen

Recht ist es nach wie vor ausdrücklich möglich, die heutige Regelverjährungs-

frist von zwei Jahren durch Vereinbarung zu verlängern. Die durch Vereinbarung

verlängerte Frist darf allerdings gemäss der Rechtsprechung des Bundesge-

richts maximal zehn Jahre betragen (Art. 127 OR)40

. Bei der Möglichkeit einer

Verkürzung dagegen ist zu differenzieren, wobei stets die Schranken für Haf-

tungsbeschränkungen zu beachten sind41

:

In Verträgen mit gewerblichen Käufern kann die gesetzliche Verjährungs-

frist auch nach der Revision vertraglich verkürzt werden.

In Verträgen mit Konsumenten dagegen darf die gesetzliche Verjährungs-

frist durch Vereinbarung bei neuen Sachen nicht auf weniger als zwei Jah-

re und bei gebrauchten Sachen auf nicht weniger als ein Jahr verkürzt

werden, ansonsten ist die Vereinbarung "ungültig" (Art. 210 Abs. 4 Ziff. a

OR).

Um einen Konsumentenvertrag handelt es sich gemäss Art. 201 Abs. 4 lit. b

und c OR, wenn die Sache für den persönlichen oder familiären Gebrauch des

Käufers bestimmt ist und der Verkäufer im Rahmen seiner beruflichen oder

gewerblichen Tätigkeit handelt42

. Entsprechendes gilt sinngemäss auch für die

zweijährige Verjährungsfrist von Art. 371 Abs. 1 OR43

.

Es wird sich zeigen, ob sich die völlig neue Regelung von Art. 210 Abs. 4 OR

nicht schlussendlich als Bumerang erweist. Zwar gelten gemäss dem neuen

Recht zwingende Mindestfristen für die Verkürzung der Verjährungsfrist bei

Verträgen mit Konsumentinnen und Konsumenten. Der Schutz bezieht sich aber

nur auf die Verkürzung der Verjährungsfrist, nicht auf andere Beschränkungen

der Mängelhaftung. Insbesondere bleibt es (im Rahmen von Art. 199 OR) wei-

terhin möglich, die Gewährleistung auch in Bezug auf Konsumentenverträge als

38

Gemäss Gauch, 2012, 130 bezieht sich Art. 210 Abs. 4 OR nach seiner systematischen Stellung nicht nur auf

Absatz 1, sondern auch auf die Absätze 2 und 3 von Art. 210 OR. Seiner Ansicht nach scheitert jedoch die Anwen-

dung der fünfjährigen Frist von Absatz 2 daran, dass es bei den gekauften Sachen im Sinne von Absatz 2 kaum je

um solche handelt, die für den persönlichen oder familiären Gebrauch des Käufers bestimmt sind. Zudem können

die Fristen für Kulturgüter gemäss Gauch gar nicht verkürzt werden (vgl. auch Gauch 2011, 153).

39

Anstelle vieler: BSK-Honsell, N. 5 zu Art. 210 OR.

40

BGE 132 III 226 E. 3.3.8.

41

Art. 199 OR, Art. 19/20 OR, Art. 100 OR, Art. 27 ZGB sowie im Falle der Verwendung von Allgemeinen Ge-

schäftsbedingungen Art. 8 UWG (vgl. Schwizer/Wolfer, 1762 m.w.H. in Fn. 18-20).

42

Vgl. zu diesen auch in Art. 40a OR verwendeten Begriffen BSK-Gonzenbach/Koller-Tumler, N. 3 f. zu Art. 40a OR.

43

Art. 371 Abs. 3 OR. - Vgl. auch Gauch, 2012, 134 f.; Pichonnaz, 74.

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Die Neuerungen im Überblick

8

Ganzes wegzubedingen, was den Konsumentenschutz unweigerlich schwächt,

wie der Bundesrat in seiner Stellungnahme ausdrücklich festhält44

.

Dies ist einigermassen erstaunlich, würde man doch glauben, dass aufgrund

der Unzulässigkeit der Verkürzung a minore minus ad maius ein gänzlicher Aus-

schluss erst recht nicht möglich ist, greift doch die vollständige Wegbedingung

viel stärker in die Rechtsposition des Käufers bzw. Bestellers ein, als die blosse

Verkürzung. In der Literatur wurde die neue Bestimmung von Art. 210 Abs. 4

OR daher auch bereits als „systemwidrige Ausnahmebestimmung“ bezeichnet,

die sich zudem als Einschränkung gegenüber den grundsätzlich dispositiven

gesetzlichen Sachgewährleistungsregeln präsentiert45

. Sie weicht ausserdem

auch von der EU-Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie ab, die im Zusammenhang mit

Konsumentenverträgen grundsätzlich zwingende Mindestanforderungen an die

Sachgewährleistung statuiert46

. So oder so ist aufgrund der jetzigen Rechtslage

jedenfalls die Versuchung auch für an sich gewährleistungswillige Anbieter

gross, sich mittels eines gänzlichen Gewährleistungsausschlusses den zwin-

genden Mindestfristen zu entziehen47

.

2.5 Fortbestehende Einreden und absichtliche Täuschung

Die Absätze 5 und 6 von Art. 210 OR ersetzen die bisherigen Absätze 2 und 3.

Sie wurden - abgesehen von gewissen geringfügigen Abweichungen - lediglich

an die neuen zwei- bzw. fünfjährigen Fristen der Absätze 1 und 2 angepasst:

Die neu eingefügte Formulierung „innerhalb der Verjährungsfrist“ (anstelle

von bisher „innerhalb eines Jahres nach Ablieferung“) in Absatz 5 bringt

zum Ausdruck, dass die Regel betreffend die fortbestehenden Einreden

des Käufers unabhängig davon greift, welche (gesetzliche oder vereinbar-

te) Verjährungsfrist im konkreten Fall gilt48

. In Analogie zu Art. 210 Abs. 5

44

Stellungnahme Bundesrat, 4 und Bericht RK-NR, 2896. – Vgl. auch das Votum von Bundesrätin Sommaruga, AB

2012 68: „Ich möchte doch noch mal festhalten - der Kommissionssprecher hat auch darauf hingewiesen -, dass es

auch unter dem revidierten Recht weiterhin möglich sein wird, die Gewährleistung als Ganzes auszuschliessen,

zumindest sofern der Verkäufer dem Käufer den Mangel nicht arglistig verschwiegen hat. Das wurde im Laufe der

Revision immer wieder festgehalten. Als Folge der im UWG eingeführten Inhaltskontrolle von AGB kann diese

Wegbedingung nicht in den AGB erfolgen. Es braucht dann eine klare Bestimmung im Vertrag; es ist doch auch

noch wichtig, dass wir uns das in Erinnerung rufen“ (Hervorhebung beigefügt).

45

Schwizer/Wolfer, 1763 m.w.H. Sie kommen daher auch zum Schluss, dass es sich nicht generell rechtfertigt, eine

zu kurz vereinbarte Frist durch die gesetzliche Mindestfrist zu ersetzen, sondern dass im Einzelfall argumentiert

werden kann, dass die konkreten Parteien - hätten sie um die Unzulässigkeit einer Verkürzung gewusst - die gesetz-

liche Sachgewährleistung vollständig wegbedungen hätten, statt eine Verlängerung auf die gesetzliche Mindestfrist

vorzunehmen.

46

Gemäss deren Art. 5 Ziff. 1 darf die Verjährungsfrist für Gewährleistungsrechte bei Verträgen zwischen einem

Gewerbetreibenden und einem Konsumenten nicht weniger als zwei Jahre betragen. Diese Frist kann nur durch

eine nach Abgabe der Mängelrüge getroffene Vereinbarung gekürzt werden (Art. 7 Ziff. 1 EU-Verbrauchsgüterkauf-

Richtlinie). Für gebrauchte Güter ist eine Frist von mindestens einem Jahr zulässig (Art. 7 Ziff. 1 Par. 2 EU-

Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie).

47

Kritisch insbesondere auch Schwizer/Wolfer, 1765.

48

Gauch, 2012, 125. - Gemäss dem Bericht der Kommission für Rechtsfragen sind unter der Verjährungsfrist ge-

mäss Absatz 5 die neuen Fristen der Absätze 1 und 2, aber auch die dreissigjährige Frist beim Kulturgüterkauf

gemäss Absatz 3 zu verstehen (Bericht RK-NR, 2897).

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9

gilt dies auch für die Einreden des Bestellers eines Werks (Art. 371 Abs. 3

OR)49

.

Anstelle der Verjährungsfristen von Art. 210 Abs. 1-3 OR tritt im Falle der

absichtlichen Täuschung (in sinngemässer Anwendung der bisherigen

Rechtsprechung des Bundesgerichts) eine Verjährungsfrist von zehn Jah-

ren50

. Vorbehalten bleibt die absolute dreissigjährige Frist beim Kulturgü-

terkauf (so neu explizit Absatz 6 letzter Satz). Entsprechendes gilt in An-

wendung von Art. 371 Abs. 3 OR sinngemäss auch für die Verjährungsfris-

ten beim Werkvertrag gemäss Art. 371 Abs. 1 und 2 OR51

.

3. Übergangsrechtliche Fragen

Der Gesetzgeber hat im Zusammenhang mit der Revision des Gewährleistungs-

rechts keine intertemporalrechtlichen Sonderbestimmungen erlassen. Massge-

bend für den zeitlichen Anwendungsbereich sind daher einerseits die allgemei-

nen intertemporalrechtlichen Bestimmungen von Art. 1 bis 4 SchlT ZGB sowie

die spezifische verjährungsrechtliche Regelung von Art. 49 SchlT ZGB52

.

David Rüetschi sowie Gilles Benedick und Markus Vischer haben sich einge-

hend mit den sich stellenden übergangsrechtlichen Fragen zum revidierten

Gewährleistungsrecht auseinandergesetzt53

. Unter Beizug von Literatur und

Rechtsprechung zu den vorerwähnten intertemporalrechtlichen Bestimmungen

kommen sie zusammengefasst zu folgendem Schluss, wobei sich im jetzigen

Zeitpunkt nicht voraussagen lässt, ob die Gerichte, sollten sie einst angerufenen

werden, diesen Ansichten folgen werden oder nicht:

3.1 Keine Vereinbarung einer Verjährungsfrist durch die Parteien

Ist die Verjährung schon vor Inkrafttreten des neuen Rechts eingetreten, leben

die Ansprüche nach dem 1. Januar 2013 nicht wieder auf. Die Forderung bleibt

verjährt, auch wenn sie unter Anwendung der neuen Frist noch nicht verjährt

wäre54

.

49

Vgl. Gauch, 2012, 135.

50

So Gauch, 2011, 149 mit Hinweis auf BGE 107 II 232; 100 II 33f; BGer 4A_301/2010 vom 7. September 2010, E.

3.2.

51

Vgl. Gauch, 2012, 135.

52

Vgl. Benedick/Vischer, 2 ff., Rz. 7 ff. m.w.H.; Rüetschi, 2, Rz. 5 f. - VE OR 2011 enthält einen Vorschlag sowie eine

Variante für eine Neuformulierung von Art. 49 SchlT ZGB (vgl. Bericht VE OR 2011, 43; Vernehmlassungsergebnis

VE OR 2011. 27 f.).

53

Vgl. Rüetschi, 1 ff.; Benedick/Vischer, 1 ff., jeweils mit Beispielen. Vgl. auch Pichonnaz, 74 ff.

54

Vgl. Rüetschi, 3, Rz. 10 f.; Benedick/Vischer, 5, Rz. 18 f.; Pichonnaz, 76.

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Längere Verjährungsfristen im Kauf - und Werkvertragsrecht –

Die Neuerungen im Überblick

10

Beispiel: X kauft am 6. Dezember 2011 eine Bohrmaschine, die er am 12. Dezember 2011 übernimmt. Die

Verjährungsfrist beginnt am 12. Dezember 2011; die Gewährleistungsansprüche verjähren am 12. Dezem-

ber 2012 und bleiben auch am 1. Januar 2013 verjährt.

Beginnt die Verjährungsfrist erst nach dem 1. Januar 2013 zu laufen55

, gilt aus-

schliesslich das neue Recht56

.

Beispiel: X kauft am 6. Dezember 2012 eine Bohrmaschine, die er am 28. Februar 2013 übernimmt. Die

neurechtliche Verjährungsfrist beginnt am 28. Februar 2013; die Verjährung tritt am 28. Februar 2015 ein.

Ist die altrechtliche Gewährleistungsforderung am 1. Januar 2013 noch nicht

verjährt, ist grundsätzlich das neue Recht massgeblich57

. Ob eine Anrechnung

der unter dem alten Recht bereits verstrichenen Zeit an die Verjährung stattfin-

det oder nicht, hängt davon ab, ob es um einen Anwendungsfall der zweijähri-

gen Frist von Art. 210 Abs. 1 bzw. 371 Abs. 1 Satz 1 OR oder der fünfjährigen

Frist von Art. 210 Abs. 2 bzw. 371 Abs. 1 Satz 2 OR geht58

:

Im ersten Fall findet keine Anrechung statt. Das heisst, am 1. Januar 2013

beginnt die neue ordentliche gesetzliche Verjährungsfrist von zwei Jahren

neu zu laufen und endet am 1. Januar 201559

.

Beispiel: X kauft am 5. Mai 2012 eine Bohrmaschine und übernimmt sie sogleich. Die altrechtliche

einjährige Verjährungsfrist ist am 1. Januar 2013 noch nicht abgelaufen. Die neurechtliche zweijähri-

ge Frist beginnt am 1. Januar 2013 zu laufen; die Verjährung tritt am 1. Januar 2015 ein.

Im zweiten Fall wird die bereits abgelaufene Frist angerechnet. Das heisst,

die fünfjährige Frist für bewegliche Sachen oder Werke, die bestimmungs-

gemäss in ein unbewegliches Werk integriert werden (Art. 210 Abs. 2 und

Art. 371 Abs. 1 Satz 2 OR), beginnt am 1. Januar 2013 zu laufen, allerdings

unter Anrechung der bereits verstrichenen Frist60

.

Beispiel: Sanitär X baut am 15. Mai 2012 eine Entkalkungsanlage vom Zulieferer Z im Einfamilien-

haus von Y ein. Der Zulieferer Z hat die Entkalkungsanlage am 1. Mai 2012 geliefert. Die Abnahme

erfolgt am gleichen Tag. Am 1. Juni 2012 rügt Y Mängel an der Entkalkungsanlage. Die altrechtliche

einjährige Verjährungsfrist von Sanitär X gegenüber seinem Zulieferer Z ist am 1. Januar 2013 noch

nicht abgelaufen. Die neurechtliche fünfjährige Frist beginnt am 1. Januar 2013 zu laufen, es findet

aber eine Anrechnung der bereits verstrichenen Frist statt: Fristbeginn ist der 1. Mai 2012; die Ver-

jährung tritt am 1. Mai 2017 ein.

Die fünfjährigen Verjährungsfristen für Gewährleistungsforderungen beim Fahr-

niskauf (Art. 319 Abs. 3 OR) und bei unbeweglichen Werken (371 Abs. 2 OR)

dagegen beginnen mit Inkrafttreten des neuen Rechts nicht neu zu laufen, da

sie durch die Revision nicht verändert wurden61

.

55

Was auch der Fall ist, wenn der massgebliche Kauf- bzw. Werkvertrag zwar noch vor dem 1. Januar 2013 abge-

schlossen wurde, die Ablieferung bzw. Abnahme aber erst nach dem Inkrafttreten des neuen Rechts erfolgt.

56

Vgl. Rüetschi, 3, Rz. 8 f.; Benedick/Vischer, 5, Rz. 21 f.; Pichonnaz, 76.

57

Vgl. Rüetschi, 3, Rz. 12; Benedick/Vischer, 5, Rz. 19 f.

58

Vgl. Rüetschi, 3 f.; so auch Pichonnaz, 76.

59

Vgl. Rüetschi, 3 f., Rz. 15 f. mit Verweis auf Art. 49 Abs. 2 SchlT ZGB; Benedick/Vischer, 5, Rz. 19 f.

60

Vgl. Rüetschi, 3, Rz. 13 f. mit Verweis auf Art. 49 Abs. 1 SchlT ZGB.

61

Vgl. Rüetschi, 4, Rz. 17 f.

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Jörg Kilchmann / Nadine Trachsler-Schneider

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Beispiel: Sanitär X baut am 15. Mai 2012 eine Entkalkungsanlage vom Zulieferer Z im Einfamilienhaus von

Y ein. Die Abnahme erfolgt am gleichen Tag. Am 1. Juni 2012 rügt Y Mängel an der Entkalkungsanlage.

Die unveränderte fünfjährige Verjährungsfrist von Sanitär X gegenüber Y beginnt am 15. Mai 2012 zu

laufen und läuft am 1. Januar 2013 einfach weiter; die Verjährung tritt am 15. Mai 2017 ein.

3.2 Vertragliche Anpassung der Verjährungsfrist durch die Parteien

Eine vertragliche Vereinbarung der Verjährungsfrist, die vor dem 1. Januar 2013

getroffen wurde, beginnt am 1. Januar 2013 grundsätzlich nicht neu zu laufen62

.

Umstritten dagegen ist die rückwirkende Anwendung von Art. 210 Abs. 4 OR.

Mit anderen Worten: Ob der Schutz von vertraglich vereinbarten Verjährungs-

fristen auch gelten soll, wenn diese bei einem Konsumentenkauf die neuen

zwingenden Mindestfristen unterschreiten:

David Rüetschi lehnt dies grundsätzlich ab, relativiert aber insoweit, als er

dort, wo die Verjährung bereits vor dem 1. Januar 2013 eingetreten ist, die

Forderung nicht wieder aufleben lassen will63

.

Gilles Benedick und Markus Vischer dagegen wollen eine vor dem 1. Ja-

nuar 2013 vertraglich vereinbarte Verjährungsfrist in jedem Fall schützen,

selbst wenn sie gegen den neuen Art. 210 Abs. 4 OR verstösst64

. Sie ver-

treten zudem die Ansicht, dass dieser Schutz auch greifen muss, wenn die

Parteien in einem vor dem 1. Januar 2013 abgeschlossenen Kauf- bzw.

Werkvertrag die dispositive gesetzliche Regelung des alten Rechts mit der

einjährigen Verjährungsfrist widergeben oder sie auf diese verweisen65

.

Beispiel: X kauft am 24. August 2012 im Fachhandel eine Bohrmaschine für den privaten Gebrauch und

übernimmt sie sogleich. Die Parteien vereinbaren eine eineinhalbjährige Verjährungsfrist. Gemäss beiden

Lehrmeinungen beginnt die Frist am 24. August 2012. Nach David Rüetschi verjähren etwaige Gewährleis-

tungsansprüche am 24. August 2014; nach Gilles Benedick und Markus Vischer dagegen bereits am 24.

Februar 2014.

Summary

Since 1 January 2013 longer limitation periods apply to contracts of sale and

contracts for work and services for actions for breach of warranty of quality and

fitness for defects of a purchased item (Art. 210 OR) or defects in the work

62

Vgl. Benedick/Vischer, 5, Rz. 23 f., die in Rz. 29 zu Recht darauf hinweisen, dass es dabei keine Rolle spielt, ob die

vertragliche Einigung unter Beizug von AGB erfolgte, vorausgesetzt, sie halten insbesondere auch einer Kontrolle

nach dem neuen, seit dem 1. Juli 2012 geltenden Art. 8 UWG stand. - Vgl. auch Rüetschi, 4, Rz. 23 f.

63

Vgl. Rüetschi, 5, Rz. 26 ff., mit Verweis auf Art. 2 SchlT OR, wonach Bestimmungen, die um der öffentlichen

Ordnung und Sittlichkeit willen aufgestellt sind, mit Inkrafttreten des neuen Rechts grundsätzlich auf alle Tatsachen

Anwendung finden.

64

Vgl. Benedick/Vischer, 5 f., Rz. 23 ff.; so auch Schwizer/Wolfer, 1764, Fn. 38. - Beide begründen die fehlende

Rückwirkung bei einer vor dem 1. Januar 2013 vertraglich vereinbarten insbesondere damit, dass es sich bei dem

neuen Art. 210 Abs. 4 OR nicht um eine Bestimmung mit ordre-public-Charakter handelt (so auch Pichonnaz, 75 f.)

65

Vgl. Benedick/Vischer, 9, Rz. 53 ff. Anderer Ansicht beim blossen Verweis Pichonnaz, 75.

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Längere Verjährungsfristen im Kauf - und Werkvertragsrecht –

Die Neuerungen im Überblick

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(Article 371 OR). For both types of contracts applies a new ordinary statutory

limitation period of two years instead of the previously existing one-year period.

A lengthening or shortening of this period is still possible in principle. In con-

tracts with consumers however minimum periods shall be observed: The limita-

tion period may not be reduced to less than two years, or less than one year in

the case of second-hand objects respectively works. Finally, the period amounts

new exceptionally to five years where defects in an object that has been incor-

porated in an immovable construction work in accordance with the regulations

have caused the work to be defective. A parallel provision is found in Article 371

paragraph 1 sentence 2 OR for a movable object that has been incorporated in

an immovable construction work in accordance with the regulations.

Verwendete Literatur

BENEDICK GILLES/VISCHER MARKUS, Die intertemporale Anwendung von nArt. 210 Abs.

4 OR, Jusletter vom 3. Dezember 2012 (zit. BENEDICK/VISCHER)

GAUCH PETER, Die revidierten Art. 210 und 371 OR, recht 2012, (zit. GAUCH 2012)

GAUCH PETER, Der Revisionsentwurf zur Verjährung der kauf- und werkvertraglichen

Mängelrechte, recht 2011, 145 ff. (zit. GAUCH 2011)

GONZENBACH RAINER/KOLLER-TUMLER MARLIS, in: Honsell Heinrich/Vogt Nedim Pe-

ter/Wiegand Wolfgang (Hrsg.), Basler Kommentar, Obligationenrecht I, Art. 1-529

OR, 5. A., Basel, 2012 (zit. BSK-GONZENBACH/KOLLER-TUMLER)

HONSELL HEINRICH, in: Honsell Heinrich/Vogt Nedim Peter/Wiegand Wolfgang (Hrsg.),

Basler Kommentar, Obligationenrecht I, Art. 1-529 OR, 5. A., Basel, 2012 (zit. BSK-

HONSELL)

MÜLLER-CHEN MARKUS, in: Müller-Chen Markus/Huguenin Claire/Girsberger Daniel,

Vertragsverhältnisse Teil 1: Innominatskontrakte, Kauf, Tausch, Schenkung, Miete,

Leihe, Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 2. A., Zürich, Basel, Genf, 2012

(zit. MÜLLER-CHEN)

PICHONNAZ PASCAL, Les nouveaux délais de prescription de l’action en garantie (CO

371 und CO 210), SJZ 109 (2013), S. 69 ff. (zit. PICHONNAZ)

RUETSCHI DAVID, Übergangsrechtliche Fragen zum revidierten Gewährleistungsrecht,

Jusletter vom 4. Juni 2012 (zit. RUETSCHI)

SCHWIZER ANGELO/WOLFER MARC, Die revidierten Verjährungsbestimmungen im

Sachgewährleistungsrecht (Art. 210 und 371 OR), AJP 12 (2012), S. 1759 ff. (zit.

SCHWIZER/WOLFER)

VISCHER MARKUS, Die fünfjährige Gewährleistungsfrist für bewegliche Sachen im

Kaufrecht, Jusletter vom 11. März 2013; (zit. VISCHER)

Page 14: Längere Verjährungsfristen im Kauf- und Werkvertragsrecht

Jörg Kilchmann / Nadine Trachsler-Schneider

13

Materialien

Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates zum Parlamentarischen

Initiative 06.490 vom 21. Januar 2011, BBl 2011 2889 ff. (zit. Bericht RK-NR)

Stellungnahme des Bundesrats vom 20. April 2011 zum Bericht vom 21. Januar 2011

der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates, BBl 2011 3903 ff. (zit. Stellung-

nahme Bundesrat)

Obligationenrecht (Revision des Verjährungsrechts), Vorentwurf August 2011 (zit. VE

OR 2011)

Obligationenrecht: Revision des Verjährungsrechts, Bericht zum Vorentwurf, August

2011 (zit. Bericht VE OR 2011)

Obligationenrecht: Revision des Verjährungsrechts, Bericht über das Ergebnis des

Vernehmlassungsverfahrens, August 2012 (zit. Vernehmlassungsergebnis VE OR

2011)

Norm 118 des Schweizerischen Ingenieur- und Architekten-Verein (SIA), Ausgabe

1077/91

Page 15: Längere Verjährungsfristen im Kauf- und Werkvertragsrecht

Längere Verjährungsfristen im Kauf - und Werkvertragsrecht –

Die Neuerungen im Überblick

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Abkürzungsverzeichnis

A. Auflage

ABl. Amtsblatt (der Europäischen Union)

AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen

Amtl. Bull. Amtliches Bulletin der Bundesversammlung

Abs. Absatz

Art. Artikel

BBl Schweizerisches Bundesblatt

BGB Bürgerliches Gesetzbuch über das Deutsche Reich vom

18. August 1896

BGer Bundesgericht

BSK Basler Kommentar

E. Erwägung(en)

f. folgende (Seite, Note usw.)

ff. und folgende (Seiten, Noten usw.)

Fn. Fussnote

Hrsg. Herausgeber

lit. Litera = Buchstabe

N. Note(n), Randnote(n)

NR Nationalrat

OR Bundesgesetz vom 30. März 1911 betreffend die Ergän-

zung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter

Teil: Obligationenrecht) (SR 220)

Par. Paragraph

RK-N Rechtskommission des Nationalrates

SchlT Schlusstitel

SIA Schweizerischen Ingenieur- und Architekten-Verein

SR Ständerat

usw. und so weiter

UWG Bundesgesetz vom 19. Dezember 1986 gegen den unlau-

teren Wettbewerb (SR 241)

vgl. vergleiche

ZGB Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember

1907 (SR 210)

Ziff. Ziffer

zit. zitiert

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