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62 Lago Maggiore Der Lago Maggiore mit den Städtchen Locarno und Ascona wird seit über hundert Jahren von Feriengästen aufgesucht. Das Klima ist mild, und wenn nördlich der Alpen noch geheizt wird, schlürft man auf der Piazza Grande von Locarno den morgendlichen Cappuccino bereits an der Sonne. Etwas ruhiger geht es im Gamba- rogno zu, am Ostufer des Sees. Neben der Eisenbahnlinie und der Straße bleibt oft wenig Platz, die paar Dörfer sind eng an den See gebaut. Seit der Gotthardstraßentunnel eröffnet wurde (1980), dauert die Autofahrt von Zürich nach Locarno zweieinhalb Stun- den. Für Zürcher ein Wochenendaus- flug, und nicht wenige haben ein Ferienhäuschen in einem der Täler des Locarnese. Neben Deutschschweizern stellen Deutsche das Gros der Touristen Locarno und Ascona sind praktisch zweisprachig geworden. Was anschauen? Der Monte Verità (Ք S. 85) oberhalb von Ascona war Anfang des 20. Jahr- hunderts ein Lebensmittelpunkt von Pazifisten, Utopisten, Weltverbesse- rern, Esoterikern und Vertretern einer radikal gesunden Ernährung. Tänzer, Maler, Musiker und Schriftsteller zog es zum berühmten Hügel: Hermann Hesse, der Anarchist Erich Mühsam, Friedrich Glauser und andere schrieben über ihre Erfahrungen. Adelige aus halb Europa tauchten auf, und sogar Politiker wie Konrad Adenauer wurden gesichtet. Die Ausstellung Die Brüste der Wahrheit in der Casa Anatta be- leuchtet das Phänomen Monte Verità unter immer neuen Gesichtspunkten. Kurator der Ausstellung war der 2005 verstorbene Harald Szeemann, einer der Größten seines Fachs. Was unternehmen? In nur vier Minuten gelangt man von Porto Ronco mit dem Schiff auf die Brissago-Inseln (Ք S. 93). Der dortige botanische Garten ist einzigartig und er hat auch eine einzigartige Geschichte, die in einer Zeit spielt, in der man auch in Europa noch Inseln kaufen konnte. Für einen Ausflug weg vom See in die Berge bietet sich das einstige Schmugglerdorf Indemini (Ք S. 105)

Lago Maggiore - michael-mueller-verlag.de · Vasarely vertreten. Ein Teil der perma-nenten Ausstellung ist gänzlich den Amerikanern, insbesondere der Pop-und Graffiti-Art (Roy Lichtenstein,

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Lago MaggioreDer Lago Maggiore mit denStädtchen Locarno und Asconawird seit über hundert Jahrenvon Feriengästen aufgesucht.Das Klima ist mild, und wennnördlich der Alpen noch geheiztwird, schlürft man auf der PiazzaGrande von Locarno denmorgendlichen Cappuccinobereits an der Sonne.

Etwas ruhiger geht es im Gamba-rogno zu, am Ostufer des Sees.Neben der Eisenbahnlinie und derStraße bleibt oft wenig Platz, die paarDörfer sind eng an den See gebaut.

Seit der Gotthardstraßentunnel eröffnetwurde (1980), dauert die Autofahrt vonZürich nach Locarno zweieinhalb Stun-den. Für Zürcher ein Wochenendaus-flug, und nicht wenige haben einFerienhäuschen in einem der Täler desLocarnese. Neben Deutschschweizernstellen Deutsche das Gros der Touristen� Locarno und Ascona sind praktischzweisprachig geworden.

Was anschauen?Der Monte Verità ( S. 85) oberhalbvon Ascona war Anfang des 20. Jahr-hunderts ein Lebensmittelpunkt vonPazifisten, Utopisten, Weltverbesse-rern, Esoterikern und Vertretern einerradikal gesunden Ernährung. Tänzer,Maler, Musiker und Schriftsteller zoges zum berühmten Hügel: HermannHesse, der Anarchist Erich Mühsam,Friedrich Glauser und andere schriebenüber ihre Erfahrungen. Adelige aushalb Europa tauchten auf, und sogarPolitiker wie Konrad Adenauer wurdengesichtet. Die Ausstellung �Die Brüsteder Wahrheit� in der Casa Anatta be-leuchtet das Phänomen Monte Veritàunter immer neuen Gesichtspunkten.Kurator der Ausstellung war der 2005verstorbene Harald Szeemann, einerder Größten seines Fachs.

Was unternehmen?In nur vier Minuten gelangt man vonPorto Ronco mit dem Schiff auf dieBrissago-Inseln ( S. 93). Der dortigebotanische Garten ist einzigartig � under hat auch eine einzigartige Geschichte,die in einer Zeit spielt, in der man auchin Europa noch Inseln kaufen konnte.

Für einen Ausflug weg vom See indie Berge bietet sich das einstigeSchmugglerdorf Indemini ( S. 105)

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an, Wanderer starten auf der Passhöheder Alpe die Neggia ( S. 254).

Für Erwachsene wie auch für Kinderzeigt die Falconeria von Locarno( S. 70) eine spektakuläre Show. Fal-ken und andere Raubvögel fliegen aufBefehl quer über die fußballfeldgroßeBühne und landen � haarscharf überdie Zuschauer hinweg, die vor Schreckdie Köpfe einziehen � sicher auf demArm des Empfängers. Die perfekteChoreographie wird zusätzlich von dra-matischer Musik unterstützt.

Wo baden?Fast jeder Ort am See lädt zum Badenein. Der Lido von Locarno ( S. 72) war-tet zudem mit einer riesigen Wellness-anlage auf. Billiger ist sein Pendant, derGrande Lido von Ascona ( S. 81). InBrissago ( S. 97). wiederum freuensich die Kinder: Eine 75 Meter langeRutsche führt von der Straße bis fastins Wasser.

An der Ostseite, im Gambarogno wirdvor allem in San Nazzaro ( S. 103)gebadet, das mit Umkleidekabinen, Du-schen und Toiletten eine hervorragendeInfrastruktur bietet. Der NachbarortGerra ( S. 104) punktet mit einerwunderbaren Strandkneipe.

Wo essen?In Ascona ( S. 84) serviert das �Risto-rante Antico Borromeo� eine hervorra-gende italienische und Tessiner Küchezu gehobenen Preisen. Im todschicke�Seven� von Starkoch Ivo Adam stehtinnovative Küche auf dem Programm.Ganz anders geht es im sehr populären�Grotto Baldoria� zu: Dort wird geges-sen, was auf den Tisch kommt, zu be-scheidenen Preisen.

In Locarno ( S. 76) zeigt das�Negromante� mit seinem Innenhofnicht nur ein einzigartiges Interieur,auch die Küche kann sich sehen lassen:Filet vom Angus-Rind oder ein Pferde-steak auf dem heißen Stein serviert.

Ganz inder Näheschlägt �IlGuardiano delFarro� Gegentei-liges vor: vegetari-sche Genüsse.

Die besten Fischlokalefindet man im Gambarogno. �DaRodolfo� in Vira ( S. 102) ist weit überdas Dorf hinaus bekannt für seinedelikaten Zubereitungen und entspre-chend teuer. Preiswerter ist das famili-är geführt �Al Pescatore� in Gerra( S. 104) mit einer traumhaften Ter-rasse über dem Fischerhafen.

Wo shoppen?Die Piazza Grande in Locarno ( S. 64)ist nicht nur Flanier- sondern auchShoppingmeile. Wer in den Boutiquennicht fündig wird, verzieht sich in dieWarenhäuser Manor oder Globus. Einegute Adresse für Produkte der regio-nalen Landwirtschaft ist in Ascona( S. 81) der Verkaufsshop der Vino-thek �Terreni alla Maggia�. Der Betriebselbst arbeitet im Maggiadelta und istder einzige Schweizer Produzent vonReis.

Frischen Ziegenkäse findet man injedem Spezialitätengeschäft. Wer ihndirekt vom Produzenten kaufen undauch die Ziegen sehen will, fährt vonRonco sopra Ascona ( S. 91) in dieBerge hoch zur Käserei Lorini.

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LocarnoWenn das Tessin die Sonnenstube der Schweiz ist, so ist die PiazzaGrande von Locarno ihre beliebteste Sonnenterrasse: sehen und ge-sehen werden. Der riesige Platz ist das Herz des Städtchens, das nur16.000 Einwohner zählt, im Sommer aber aus allen Nähten platzt.Oberhalb der Piazza gerät man in dieGassen der Altstadt, wo sich Boutiquenund Restaurants reihen, noch weiteroben beginnen die teureren Wohnlagenmit Seeblick, und noch ein Stück ober-halb wacht die Madonna del Sasso,Locarnos berühmteste Kirche undWahrzeichen der Stadt, über die Men-schen am Nordzipfel des Sees.

Unterhalb der Piazza führt hinterdem Casino die palmenbestandene See-promenade an einigen Luxushotelsvorbei zum Jachthafen. Unweit dahin-ter lädt der Lido mit Freibad und Spiel-wiese zum Entspannen ein. Mit einemeleganten Flachbau wurde er 2013 umeine hypermoderne Wellness-Land-schaft erweitert: Solebäder, Saunenund eine Kneippanlage.

Das relative große Einzugsfeld anPendlern sowie seine Lage zwischenBerg und See stellen Locarno vor einschier unlösbares Verkehrsproblem, zu-mal wenn noch die sommerlichen Tou-risten dazukommen. Zwar ist die Stadtuntertunnelt, trotzdem kommt es zuVerkehrsverstopfungen, insbesondereauf der von Bellinzona zuführendenStraße und im Tunnel selbst, oft auchauf der Ausfallstraße in Richtung Mag-giatal und Centovalli.

SehenswertesPiazza Grande: Richtig angekommen inLocarno ist man erst, wenn man überdie Piazza Grande geschlendert ist undsich in eines der zahlreichen Straßen-cafés gesetzt hat. Der zentrale Platz im

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Locarno

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Große Leinwand in LocarnoIn der ersten Augusthälfte wird man in Locarno und Umgebung kein frei-es Zimmer mehr finden. Dann nämlich dreht sich alles um das �LocarnoFilm Festival�, das mit Cannes, Venedig und Berlin zu den großen europä-ischen Filmfestivals zählt. Fernsehwagen bringen sich frühzeitig an derPiazza Grande in Stellung, nicht nur der eintreffenden Kinogrößen, son-dern auch anderer Prominenz wegen. Die halbe Schweizer Regierung fin-det sich ein, Wirtschaftsmogule und ein gutes Tausend Journalisten, vondenen viele mehr am Event interessiert sind als am einzelnen Kunstwerk.Das 1946 gegründete Festival � 2023 steht die 75. Ausgabe an � ist mitt-lerweile mehr als nur ein hochkarätiges Kunstereignis. Es ist auch einFeld des Lobbying, nicht zuletzt für die Festivalorganisatoren selbst, dieum höhere Subventionen kämpfen.Für den Festivalbesucher aber steht der Film im Zentrum. In den wenigenKinos der Stadt und anderen Sälen werden Spezialreihen, Filme außer-halb des Wettbewerbs und Retrospektiven gezeigt. Das Hauptprogrammaber findet auf der Piazza Grande statt, wo vor einer riesigen Leinwand(26 x 14 m) rund 8000 Stühle aufgestellt sind, nicht einfach so, sondern ineiner strengen Choreografie von Gelb und Schwarz, sodass der Besucherbeim Blick auf die leeren Stuhlreihen ein Leopardenmuster entdeckt. DieRaubkatze ist schließlich das Emblem des Festivals, und der Traum jedesRegisseurs ist es, den �Pardo d�Oro�, den Goldenen Leoparden mit nachHause zu nehmen. Programm unter www.locarnofestival.ch.Etwas oberhalb der Piazza Grande wurde 2018

in einem umgebauten Schulhaus das PalaCinemaLocarno eröffnet. Es soll den Ruf Locarnos alsschweizerische Filmhauptstadt festigen: Festi-

valbüro, ein Kinosaal für 500, zwei weitere Sälefür je 150 Zuschauer, Fachbibliothek und Film-archiv � alles unter dem Dach des Leoparden.

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66 Lago Maggiorelombardischen Stil gehört zu denschönsten Plätzen Europas. Die Locar-ner sind stolz auf ihn und dies auch mitRecht, seit 2008 im Tessiner Parlamentder längst fällige Beschluss fiel, diePiazza Grande in eine Fußgängerzoneumzuwandeln. Die Politiker hattenwohl eingesehen, dass das Parkproblemauch mit Parkplätzen auf dem berühm-ten Platz nicht zu lösen ist.

In der ersten Augusthälfte zeigt diePiazza zehn Tage lang ein ganz ande-res Gesicht. Tausende von schwarzenund gelbe Plastikstühlen stehen aufdem Pflaster, die Cafés sind noch vol-ler, die Parkprobleme noch größer �das international berühmte �LocarnoFilm Festival� geht über die Bühne( Kastentext).Palazzo del Pretorio: An der Via dellaPace, die beim Casino südlich weg-führt, steht eine stattliche Gründerzeit-villa mit ein paar Palmen davor. Heutesind im Palast, der 1925 im Brennpunktder Europapolitik stand ( Kastentext�Als ganz Europa nach Locarno blick-te�), die Polizei, das Gesundheits- unddas Finanzamt der Stadt untergebracht.

Einzig eine Tafel mit Foto erinnert andie hier ausgehandelten Verträge, dieals Locarnopakt in die Geschichte ein-gingen � und der Name der Straße: Viadella Pace. Wer mehr über denLocarnopakt erfahren will, muss sichins Castello Visconteo begeben. Dort isteine ebenso ausführliche wie interes-sante Dokumentation über die Konfe-renz zu sehen.Castello Visconteo: Das einstige Schlossder Visconti, Herzöge von Mailand, be-herbergt heute in erster Linie das wenigaufregende archäologische Museumder Stadt. Interessanter sind der �Saaldes Pakts von Locarno�, eine ausführ-liche Dokumentation (auf Italienisch)zum Locarnopakt, und der Spaziergangdurch die historischen Gemäuer mitden mittelalterlichen Torbögen, aristo-kratischen Wappen, Freskenresten undGraffiti von Gefangenen.

Schon die Aufgangstreppe mit ihremAnbetungsfresko versetzt den Besucherin andere Zeiten. Der darauf folgendenkleinen Loggia haben die Deutsch-schweizer Herrscher ihren Stempel auf-gedrückt, von der Veranda der Land-

Roy Lichtenstein in der Ghisla Art Collection

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KarteS.67

Locarno 67

vögte (�lanvocti�) blickt man dann un-versehens auf das Parkhaus des moder-nen Locarno. Ganz oben, im mittel-alterlichen Turm, der noch bis ins19. Jahrhundert als Gefängnis genutztwurde. schwört grimmig ein ehemaligerHäftling in deutscher Sprache: �Rache�.

Andere, viel ältere Graffiti sind imsogenannten �Alphabet von Lugano�geschrieben, das sich an der etruski-schen Schrift orientiert, die entspre-chende gesprochene Sprache �Lepon-zia� ist keltischen Ursprungs.

Im �Saal des Pakts von Locarno�sind nicht nur Tintenfass und Stempelfür die historischen Unterschriften zusehen, sondern auch die täglichenBulletins der Konferenz, die vom 5. bis16. Oktober 1925 dauerte: Am 11. Okto-ber begaben sich die Politiker auf eineVergnügungsfahrt auf dem Lago, am15. Oktober hatte der deutsche Außen-minister Stresemann das letzte Wort,der Protokollant hält auf Französisch,der Sprache der Diplomaten, fest: �LesAllemands sont des gens terriblementdifficultueux; ils veulent toujours avoirle dernier mot� (Die Deutschen sindfürchterlich kompliziert, sie wollenimmer das letzte Wort haben).April�Okt. Di�So 10�12 und 14�17 Uhr. Ein-

tritt 10 CHF.

Ghisla Art Collection: Der zur Straßehin fensterlose Kubus, mit einem fein-maschigen, roten Drahtnetz verkleidetund rundum von einem Wassergrabenumgeben, ist ein Meisterwerk des Ar-chitekturbüros Moro & Moro. Dass essich um ein umgebautes Dreifamilien-haus handelt, mag der Betrachter kaumglauben. In diesem auffälligen Würfelmachen seit 2014 Martine und PierinoGhisla ihre private Kunstsammlung derÖffentlichkeit zugänglich. Das Museumbesitzt rund 200 Kunstwerke der Mo-derne: Unter anderem sind Miró,Magritte Picasso, Dubuffet, Appel undVasarely vertreten. Ein Teil der perma-nenten Ausstellung ist gänzlich denAmerikanern, insbesondere der Pop-und Graffiti-Art (Roy Lichtenstein,Keith Haring, James Rosenquist u. a.)vorbehalten. Eine jährlich wechselndeSonderausstellung ergänzt das An-gebot. Das kunstsinnige Gründerpaarschließt mit seiner privaten Initiativeeindeutig eine Lücke im Kulturangebotder Stadt.März�Dez. Mi�So 14�19 Uhr; Nov. bis Jan.

Fr�So 13.30�18 Uhr. Eintritt 15 CHF.

Chiesa Sant’Antonio Abate: Die Haupt-kirche der Stadt zeigt eine wuchtigeArchitektur und eine klassizistischeFassade, so recht überzeugen mag das

Lago diVogornoLago diVogorno

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Monte Ceneri554

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MonteMontedi Roncodi Ronco12941294

Ronco s. A.Ronco s. A.MagadinoMagadino ContoneContone

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MonteVerità350

AsconaAsconaCadenazzoCadenazzo

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ArcegnoArcegno LocarnoLocarnoLocarnoLosoneLosone

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IntragnaIntragna OrselinaOrselinaTeneroTenero GordolaGordola

RiazzinoRiazzino CugnascoCugnascoSementinaSementina

Cavigliano

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CimettaCimetta Monti diMottiMonti diMotti

Cima di Sasello1891

Cima di Sasello1891

AuressioAuressio AvegnoAvegno

Lago Maggiorekm2

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68 Lago Maggiorenicht. Im Innern ist einzig die barockeKreuzabnahme in der rechten Seiten-kapelle vor dem Chor sehenswert, einWerk des einheimischen KünstlersGiuseppe Antonio Felice Orelli, Mitgliedeiner lokalen Künstlerfamilie, die imTessin hier und dort ihre Spuren hin-terlassen hat.

Bis vor wenigen Jahren noch niste-ten Fahlsegler im alten Gemäuer vonSant�Antonio Abate, rare Vögel, mitden Mauerseglern verwandt und Flug-akrobaten wie diese. Doch heute sinddie Nistlöcher vergittert, mit den Tau-ben hat man auch die Fahlsegler ver-trieben.Casa Rusca: Das alte Patrizierhaus ander Piazza vor der Kirche ist heute Sitzder städtischen Kunstsammlung. Alleinmit dem Nachlass des Dadaisten Hans(Jean) Arp � neben eigenen Werkenauch seine Privatsammlung, zu deru. a. Chagall, Picasso, Braque undCalder gehörten � könnte sich diePinakothek sehen lassen. Doch will sie

dies nicht und beschränkt sich aufwechselnde Sonderausstellungen.Chiesa San Francesco: Die dreischiffigeFranziskanerkirche, Zentrum derdeutschsprachigen Katholiken desLocarnese, wurde im Wesentlichen vonMitgliedern der lokalen KünstlerfamilieOrelli ausgestattet.Chiesa Nuova (Santa Maria Assunta):Das schöne Kirchlein steht versteckt ander Via Citadella und wird leicht über-sehen. Die schmucke Fassade wird voneiner großen Christophorus-Skulpturbewacht, in den Nischen stehen dieHeiligen Rochus und Sebastian (unten),Viktor und Michael (oben). Im Kir-cheninneren überrascht vor allem dieprächtige Stuckdecke. Links führt eineTür (oft verschlossen) zum Innenhofder Casa dei Canonici (Domherren-haus) mit doppelter Loggia und einemverträumten Garten � ein idealer Ort,um die Fischgerichte des Restaurants�Citadella�, das hier einige Tische hin-gestellt hat, auszuprobieren. Ganz hin-

Als ganz Europa nach Locarno blickteGroßer Bahnhof in Locarno! Im Oktober 1925 kommen in derStadt am See die Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Bel-giens, Großbritanniens, Italiens, Polens und der Tschechoslowa-kei zum Gipfeltreffen zusammen. Zwölf Tage lang brüten dieSpitzenpolitiker über einem Vertragswerk, das Europa sicherermachen sollte. Wichtigstes Resultat: Deutschland, als Verliererdes Ersten Weltkriegs international isoliert, anerkennt die imVersailler Vertrag festgelegte Westgrenze und stimmt der Entmi-litarisierung des Rheinlands zu. Im folgenden Jahr wird Deutsch-land in den Völkerbund aufgenommen, und die beiden Haupt-architekten des �Locarnopakts�, die Außenminister Gustav Strese-mann (Deutschland) und Aristide Briand (Frankreich), erhaltenden Friedensnobelpreis.Gerade noch rechtzeitig zur Verabschiedung des Pakts tauchteMussolini, damals gerade frischgebackener Diktator, in Locarnoauf. Ein Schnellboot führte ihn bis Brissago, wo er in einen AlfaRomeo umstieg. Die Schweizer Regierung, die ihn vier Jahre zuvormit einem Einreiseverbot belegt hatte, hieß ihn ausdrücklich will-kommen.

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Locarno 69

ten im Garten schaut Ihnen dabei eineunscheinbare, verwitterte Christopho-rus-Figur zu.Madonna del Sasso: Die berühmte gelbeWallfahrtskirche (tägl. 6.30�18.30 Uhr)ist das Wahrzeichen Locarnos und be-

findet sich auf dem Gemeindegebietvon Orselina. Auf einem Felsen überder Stadt gelegen, bietet sie sich alsPostkartenmotiv geradezu an, und istman oben, freut man sich über daswunderbare Panorama.

Leonardo in LocarnoWer vom Parkplatz her zur Burg der Mailänder Herzöge spaziert,kommt an einem Stück alten Bollwerks vorbei, auf dem ein klei-nes Schild prangt: �Leonardo da Vinci 1452�1519�. Keine weitereErklärung, der Spaziergänger stutzt, schüttelt verständnislos denKopf und geht weiter. Wir sind der Sache nachgegangen.Vor ein paar Jahren kam ein Geschichtsprofessor der UniversitätMailand zu dem Schluss, dass es sich hier um den Rest eines Boll-werks handelt, das vom berühmten Leonardo für die LocarnerBurg der Visconti entworfen wurde. Zahlreiche Leonardo-Expertengaben dem Professore recht, die Tatsache scheint heute wissen-schaftlich gesichert. Schließlich wurden auch die Behörden vonLocarno hellhörig: Man könnte das Stück Mauerwerk zur touristi-schen Attraktion aufwerten. Einziges Problem: Das Leonardo zu-geschriebene Mauerstück, eingezwängt zwischen Häusern, ist inPrivatbesitz. Kaufverhandlungen führten zu nichts, die Stadtzeigte sich knauserig, die Besitzer hatten wohl den Wert erkanntund trieben den Preis in die Höhe, schon war von Zwangsenteig-nung die Rede. Eine unheilige Allianz zwischen der rechtspopu-listischen Lega dei Ticinesi und den Grünen sprach sich gegen denKauf durch die Stadt aus. Schließlich kam es gut schweizerisch zueiner Volksabstimmung, die sich gegen die städtische Übernahmeaussprach. Geblieben ist das kleine Schild.

Im Innenhof der Wallfahrtskirche Madonna del Sasso

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70 Lago MaggioreEiner Legende und der Giebelin-

schrift an der Kirche zufolge hatte imJahr 1480 ein Franziskanermönch ausIvrea hier oben eine Muttergottes-Er-scheinung und veranlasste darauf denBau der ersten Kapellen. Bald setztenWallfahrten ein, und bereits im 16. Jahr-hundert war ein ganzer Klosterkomplexentstanden, der im 17. Jahrhundertnoch einmal erweitert wurde.

Der Besucher betritt den �heiligenBerg� durch einen Innenhof mit mehre-ren Kapellen, in denen lebensgroßeSkulpturengruppen zu sehen sind, einedramatische �Beweinung Christi�(16. Jh.), das letzte Abendmahl, Chris-tus erscheint den Jüngern, eine Pietà �Sie sind alle sehr ausdrucksvoll, manwünschte sich jedoch etwas mehrInformationen.

An der Klosterkirche ist die einmali-ge Lage aufregender als das barockeInnere und die unzähligen Votivtafeln.Zugang Zu Fuß: Was ein rechter Pilger ist,der geht natürlich auf Schusters Rappen. DerAufstieg führt von der Via Cappuccini aus dieVia al Sasso hoch, dann rechts über die Ra-mognabrücke und ab hier auf der steilen, vonKreuzwegkapellen gesäumten Via Crucis hochzur Madonna. Das letzte Stück ist schweißtrei-bend. Von der Via Cappuccini aus dauert derPilgerweg ungefähr 45 Min.Auto: Im oberen Teil der Stadt der Beschilde-rung �Orselina� folgen, die Straße führt imZickzack hoch. Sobald man den Ramognabachüberquert hat: Parkplatz suchen. Die Madonnadel Sasso befindet sich knapp unterhalb derStraße.Standseilbahn: Die Talstation befindet sichauf halbem Weg zwischen Largo Zorzi undBahnhof, die Bergstation knapp oberhalb derMadonna del Sasso. Das Bähnchen fährt im 15-Min.-Takt hoch. Einfache Fahrt 4,80 CHF, Kind2,20 CHF, hin/zurück 7,20 CHF, Kind 3,60 CHF.

Chiesa San Vittore: Wer gleich oberhalbdes Bahnhofs rechts abzweigt, stehtbald vor einer der schönsten romani-schen Kirchen nicht nur des Tessins,sondern der ganzen Schweiz. Datiertwird die Chiesa San Vittore ins 11. Jahr-hundert, später kam der Barockstuck

über dem Chor und den Seitenkapellenhinzu. Ein kleines Juwel ist die Krypta,bei deren Restaurierung die alten Fres-ken freigelegt wurden. Auch die schmu-cken Kapitelle sind noch gut erhalten.

Die Vorhalle rechts des Eingangswurde erst im 18. Jahrundert angebaut,sie diente als Beinhaus.Giardini Jean Arp: Eine unscheinbare,kleine Grünanlage an der Uferprome-nade mit Skulpturen des Dada-Künst-lers Hans (Jean) Arp, der seine letztenLebensjahre in Paris und Locarno ver-brachte, viele Sitzbänke � ideal fürsPicknick.Parco delle Camelie: Knapp südlich desLido und ebenfalls leicht zu übersehenist der 2005 im Maggiadelta eröffneteKamelienpark, ein Muss für Liebhaberbotanischer Gärten. Das milde Klimaam Lago bekommt der Kamelie beson-ders gut. Zur Blütezeit Ende März tref-fen Spezialisten aus aller Welt zu�Camelie Locarno� ein, einem fünftägi-gen Fest rund um Locarnos berühm-teste Blume. Über 900 verschiedeneKamelienarten finden sich im rund10.000 m² großen, baumbestandenenPark, der zu einem wunderschönenSpaziergang einlädt.März�Sept. tägl. 9�18 Uhr, Okt.�Febr. tägl. 9�

16.45 Uhr (darauf verlassen sollte man sichaber nicht). Eintritt frei.Falconeria: Der Steinadler hat eine Flü-gelspannweite von 2,20 m, der Wan-derfalke fliegt eine Geschwindigkeitvon bis zu 300 km/h. Zu besichtigensind Adler, Falken, Eulen und Geier inden Volièren der Falconeria vonLocarno. Doch hat die Falknerei weit-aus mehr zu bieten als nur die gefie-derte Abteilung eines zoologischenGartens.

Täglich zweimal zeigt das Team vonvier professionellen Falknern und Falk-nerinnen eine spektakuläre Show, dieman nicht so schnell vergisst; dann istdie Tribune vor dem ausgedehntenPark mit ihren 650 Plätzen meist bre-

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LagoMaggiore

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Locarno 71

chend voll. Zuerst tritt ein Paar mitHund auf und erläutert kurz auf Italie-nisch und Deutsch die Geschichte derFalknerei, die aus der asiatischen Step-penlandschaft über Persien nach Euro-pa kam, wo sie im Mittelalter in KaiserFriedrich II. einen begeisterten Ver-fechter fand. Der gebildete Herrscherüber das deutsch-römische Reich undJerusalem verfasste sogar eine Schrift,die zum Standardwerk avancierte: �Dearte venandi cum avibus� (Von derKunst, mit Vögeln zu jagen).

Noch während die Besucher denWorten des Falkners lauschen, startetvon dessen Arm ein Raubvogel,schwingt sich in die Lüfte und ent-schwindet den Blicken der Zuschauer.Er macht wohl einen Besichtigungsflugüber den nahen Lago. Noch ist er nichtzurück, da fliegt schon eine Eule überdie Köpfe des Publikums. Die Showsteigert sich zu äußerst präzisen Manö-vern. Untermalt von einer oft zum Cres-cendo sich steigernden Musik, startetein Adler von der Hand der Falknerin

am einen Ende des Parks, brausthaarscharf über die Zuschauer, die vorSchreck den Kopf einziehen, und lan-det sicher auf dem Arm des Falknersam anderen Ende des Parks. Die 60-minütige Vorführung beruht auf eineräußerst präzisen Choreographie, dieRaubvögel selbst scheinen daran Gefal-len zu finden, ist es doch schöner, überden Park zu fliegen als in den Volièrenzu sitzen. Auf die Frage, ob es nichtauch vorkomme, dass ein Vogel die Ge-legenheit beim Schopf packe und dasWeite suche, lacht der Falkner: Ja, dassei schon vorgekommen. Doch kämendie Ausreißer stets bald wieder zurück,Hotel Mama sei eben doch das beste.Auch das Pferd, das bei der Jagd mitFalken eine große Rolle spielt, hat zumSchluss seinen Auftritt, und die ganzKleinen freuen sich auf eine Gratisrun-de auf dem Pony nach der Aufführung.Mitte März bis Okt. Di�So 10�17 Uhr, Flug-

vorführungen jeweils um 11 und 15 Uhr. Nov.bis Mitte März Mi�So 13�16 Uhr, Flugvorfüh-rungen um 14 Uhr. Eintritt 25 CHF, Kind 4�16 J.18 CHF.

Haltestelle Locarno