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Arbeitshilfe zum Weitergeben · 1/2016 62 Land der Bibel Hoffnung für Palästina? So vertraut wie Israel war mir schon als Schülerin kein Land auf der Welt, ohne dass ich es mit eigenen Augen gesehen hatte. Ich kannte die Karten im Einband meiner Luther-Bibel fast auswendig, wusste die Namen der Orte des Alten und Neuen Testaments. Schon im Kindergottesdienst lernte ich das Land der Bibel kennen. Ich stellte mir Palmen vor, würfelförmige Häuser mit Flachdach, Kamele und Esel, trocke- nes Land, den See Genezareth, Brun- nen in der Wüste, karge Berge, Men- schen mit weiten Gewändern. Gleich- zeitig fühlte ich mich – und fühle mich bis heute – als Deutsche angesichts der Shoah immer besonders mit dem jüdi- schen Volk verbunden. Dem israelisch- palästinensischen Konflikt bin ich lange bewusst ausgewichen. Ich wollte mein positives Bild von Israel nicht hinterfra- gen. 1992 verliebe ich mich in Basel, einen palästinensischen Studenten aus dem Gazastreifen. Er ist staatenlos, kein Staat der Welt fühlt sich für ihn zuständig. Wenn wir über sein Land sprechen, ist da eine eigenartige Mischung aus Ver- trautem und Irritation. Gaza kenne ich aus der Geschichte von Simson (Ri 16), Jerusalem und Betlehem natürlich auch. Aber den Tabariya-See oder al-Khalil? So lauten die arabischen Namen für den See Genezareth und die Stadt Hebron, finden wir gemeinsam heraus. Mein Freund erzählt mir von der israelischen

Land der Bibel - ahzw-online.de · stirbt und er bei Hebron von den hetiti-schen Bewohnern ein Grab für sie er-wirbt (Gen 23). Auch jüdische Einwan-derer Anfang des 20. Jahrhundertskauf-ten

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  • Arbeitshilfe zum Weitergeben · 1/201662

    Land der BibelHoffnung für Palästina?

    So vertraut wie Israel war mir schonals Schülerin kein Land auf der Welt,ohne dass ich es mit eigenen Augengesehen hatte. Ich kannte die Kartenim Einband meiner Luther-Bibel fastauswendig, wusste die Namen derOrte des Alten und Neuen Testaments.

    Schon im Kindergottesdienst lernte ichdas Land der Bibel kennen. Ich stelltemir Palmen vor, würfelförmige Häusermit Flachdach, Kamele und Esel, trocke-nes Land, den See Genezareth, Brun-nen in der Wüste, karge Berge, Men-schen mit weiten Gewändern. Gleich-zeitig fühlte ich mich – und fühle michbis heute – als Deutsche angesichts derShoah immer besonders mit dem jüdi-schen Volk verbunden. Dem israelisch-

    palästinensischen Konflikt bin ich langebewusst ausgewichen. Ich wollte meinpositives Bild von Israel nicht hinterfra-gen.

    1992 verliebe ich mich in Basel, einenpalästinensischen Studenten aus demGazastreifen. Er ist staatenlos, kein Staatder Welt fühlt sich für ihn zuständig.Wenn wir über sein Land sprechen, istda eine eigenartige Mischung aus Ver-trautem und Irritation. Gaza kenne ichaus der Geschichte von Simson (Ri 16),Jerusalem und Betlehem natürlich auch.Aber den Tabariya-See oder al-Khalil?So lauten die arabischen Namen für denSee Genezareth und die Stadt Hebron,finden wir gemeinsam heraus. MeinFreund erzählt mir von der israelischen

  • 636 Arbeitshilfe zum Weitergeben · 1/2016

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    David Ben Gurion war ein säkularerJude, verstand sich als Sozialist undglaubte nicht an Gott. Er argumentiertedennoch mit der Bibel, um die westli-chen Regierungen von der Idee einesjüdischen Staates auf dem Gebiet desbritischen Mandatsgebiets Palästina zuüberzeugen. Dabei konnte Ben Gurionan eine christliche Palästina-Begeiste-rung anknüpfen, die Mitte des 19. Jahr-hunderts aufkam. Einzelne Pilger weck-ten mit ihren Reiseberichten das Interes-se an den christlichen heiligen Stättenneu. Vereinigungen wie die Tempel-gesellschaft und der Jerusalemsvereinwollten das christliche Leben in Paläs-tina fördern und die mehrheitlich musli-mische Bevölkerung missionieren. Man-che Christinnen und Christen sahen dieEndzeit herangekommen und zogendeshalb nach Palästina. Besonders ineinigen christlichen Kreisen Großbritan-niens fiel die Idee, die Rückkehr desjüdischen Volkes nach Palästina unddamit die Wiederkunft Christi voranzu-treiben, auf fruchtbaren Boden.

    Zugleichwar der Zionismus ein Sammel-becken verschiedenster jüdischer Grup-pen. Männer wie Moses Hess wollteneine gerechte jüdische Gesellschaft er-richten, anderen wie Martin Buber ginges darum, die jüdische Kultur und diehebräische Sprache wiederzubeleben.Aaron David Gordon und andere sahendie körperliche, besonders die landwirt-schaftliche Arbeit als entscheidend fürdie persönliche und nationale Erlösungan. Wieder andere wie Rabbi AbrahamKook glaubten, dass nur im Land Israeldie Gebote der Torah vollständig erfülltwerden könnten. Zwischen all diesenGruppen waren die biblischen Traditio-nen ein verbindendes Element. Selbstnicht-gläubigen Juden waren die bibli-

    Besatzung im Gazastreifen und der ers-ten Intifada. An meiner Haltung gegen-über Israel ändert das zunächst nichtviel. Es braucht Jahre, eigene Recher-chen und mehrere Besuche im Gazast-reifen und der Westbank, bis ich begin-ne, die Ursachen des Konflikts zu verste-hen und die israelische Politik gegen-über dem palästinensischen Volk kri-tisch zu sehen. Einen realen Eindruckerhalte ich erstmals 1996. Wir kommenam Ben-Gurion-Flughafen in Tel Avivan. Noch auf der Gangway werden wirvon israelischen Sicherheitskräften fest-gehalten. Ich verstehe ihre Fragenkaum, die Flugzeugmotoren dröhnenhinter uns, die anderen Fluggäste wer-den ungeduldig, weil sie im Shuttle-Busauf uns warten müssen. Ich erinneremich an den deutlichen Eindruck, dasswir nicht willkommen sind in Israel,dem Land, das ich zu kennen meinte.

    LandverheißungAm 14. Mai 1948 verkündet David BenGurion die Staatsgründung Israels. Dererste Premierminister Israels berief sichbereits 1936 in Jerusalem gegenübereiner britischen Kommission auf die Bi-bel als Grundlage der zionistischen Be-strebungen, einen jüdischen Staat zuetablieren. In einem Brief an den franzö-sischen Präsidenten Charles de Gaullevon 1967 zitierte er die Verheißung Got-tes an Abraham in Gen 12,7: Adonaj ließsich vor Abram sehen und sprach: „Dei-nen Nachkommen gebe ich dieses Land.“Rückblickend auf die Staatsgründungschreibt er: „Es war die Bibel, von derwir unsere Kraft bezogen, einer feindli-chen Welt zu widerstehen und unserenGlauben fortbestehen zu lassen, dasswir eines Tages in unser Land zurück-kehren würden.“

  • Arbeitshilfe zum Weitergeben · 1/201664

    Land der Bibel

    wie MuslimInnen verweisen auf Abra-ham und darauf, dass die Landverhei-ßung im Gen 12,7 nicht nur Isaak, son-dern auch seinem Halbbruder Ismaelgalt. Ismael wird in der Bibel und imKoran als Stammvater des arabischenVolkes angesehen. Das überzeugendsteArgument von palästinensischer Seiteaber ist nicht religiös: Der Großteil despalästinensischen Volkes hat schon im-mer im Land gewohnt. PalästinenserIn-nen identifizieren sich mit den bibli-schen Völkern der Philister und Kana-anäer. Für „Philister“ und „Palästinen-ser“ gibt es auf Arabisch nur ein einzi-ges Wort: Filastīnīyūn. Mein eigenerName Keita (korrekt transkribiert Qitah),den ich bei der Eheschließung mit mei-nempalästinensischenMann angenom-men habe, ist nicht arabischen, sondernaramäischen Ursprungs. Aramäischwurde in Palästina zur Zeit Jesu gespro-chen. Dies legt nahe, dass die Familiemeines Mannes mindestens seit dieserZeit im Land lebt. Es ist sogar anzuneh-men, dass JüdInnen und Palästinenser-Innen auch genetisch miteinander ver-wandt sind.1 Vermutlich sind viele heu-tige Palästinenser also nicht nur Nach-fahren der Philister und Kanaanäer,sondern auch derjenigen jüdischenMenschen, die nach der Eroberung Je-rusalems durch das Römische Reich 70n. Chr. im Land geblieben und späterzum Islam konvertiert sind.

    LandbesitzIn biblischer Zeit war das Land für Israel,ein Volk von Ackerbauern und Kleinvieh-züchtern, Lebensgrundlage. Ein StückLand zu besitzen bedeutete, darauf zuwohnen, es zu bebauen und sich vonihm zu ernähren. Wenn Gott AbrahamsNachkommen das Land verheißt, ist das

    schen und religiösen Texte, die Bezugauf das Land nehmen, vertraut. Die Se-der-Feier beispielsweise, mit der dasjährliche Pessach-Fest beginnt, endetjeweils mit dem Ausspruch: „NächstesJahr in Jerusalem!“

    Dennoch überzeugte der Zionismus zu-nächst nur eine Minderheit innerhalbder jüdischen Gemeinschaft. Viele or-thodoxe Gläubige meinten, dass dieRückkehr ins Land Israel nicht von Men-schen herbeigeführt werden dürfe, son-dern allein von Gott. Die meisten west-europäischen Jüdinnen und Juden ver-suchten Ende des 19. Jahrhunderts, sichan die deutsche, französische oder briti-sche Mehrheitsgesellschaft anzupassen,erlebten jedoch immer wieder antisemi-tische Angriffe. Viele entschieden sichdaher auszuwandern. Die meisten gin-gen nach Amerika – für sie war die reli-giöse Bindung an das Land Israel nichtausschlaggebend. Einige wagten denNeubeginn in Palästina, das zu dieserZeit unter osmanischer Herrschaft stand.Russische Immigranten gründeten 1882die erste jüdische Neu-Ansiedlung, ge-nannt Rischon le-Zion. Der Name be-zieht sich auf Jes 41,27: (Gott spricht): Ichsagte als Erster zu Zion. ... Doch erst dienationalsozialistische Judenverfolgungließ die Zahl derer, die nach Palästinaeinwanderten, drastisch ansteigen.

    Die Palästinenserinnen und Palästinen-ser setzen der zionistischen Interpretati-on der biblischen Landverheißung ihreeigenen religiösen Deutungen entge-gen. Für die palästinensischen ChristIn-nen ist ihr Land das Land Jesu, für dieMuslimInnen ist Jerusalem (arab.: al-Quds, dt.: die Heilige) die Stadt, in derder Prophet Mohammed in den Himmelaufstieg. Palästinensische ChristInnen

  • 656 Arbeitshilfe zum Weitergeben · 1/2016

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    halb auf den Namen des Dorfältestenoder Bürgermeisters registriert. So ge-langte ein Großteil des Miri-Landes indie Hände einiger Großfamilien. DieBauern aber bebauten weiterhin dasLand, wie sie es seit Generationen getanhatten.

    Die steigende Nachfrage nach Bodenbewog die osmanische Regierung dazu,das Miri-Land Schritt für Schritt in pri-vates Land umzuwandeln, das ohnestaatliche Einschränkung verkauft wer-den konnte. Die jüdischen Einwandererkauften das Land Anfang des 20. Jahr-hunderts meist von den Nachfahren derGroßfamilien, auf deren Namen dasLand registriert worden war. Weil siedas Land selbst bewirtschaften wollten,mussten die palästinensischen Bauernihr Land verlassen. Ganze Dörfer wech-selten den Besitzer, die ehemaligen Be-wohnerInnen verloren ihre Existenz-grundlage und waren gezwungen, alsTagelöhner zu arbeiten. Trotzdem besa-ßen die jüdischen Immigranten bis zumEnde der Britischen Mandatszeit 1948nur knapp sechs Prozent des Landes.Aber die zionistische Bewegung strebteeine jüdische Bevölkerungsmehrheit anund war entschlossen, den größtmögli-chen Teil des Landes zu übernehmen.

    LandnahmeDie biblischen Texte halten fest, dassdas von Israel bewohnte Land ursprüng-lich Eigentum anderer Völker war (u.a.Gen 12,5; Ex 3,17). Wie das antike Israelsich im Land Kanaan angesiedelt hat,darüber wird in der Wissenschaft seit

    Land als Lebensgrundlage gemeint; voneinem Staat spricht die Bibelstelle nicht.Als Abraham die Zusage Gottes erhaltenhat, dass das Land seinen Nachkommengehören solle, dankt er Gott – danachkümmert er sich primär darum Vater zuwerden. Das Land tritt erst wieder inden Vordergrund, als seine Frau Sarastirbt und er bei Hebron von den hetiti-schen Bewohnern ein Grab für sie er-wirbt (Gen 23). Auch jüdische Einwan-derer Anfang des 20. Jahrhunderts kauf-ten zunächst Land von Palästinensern.Dass dies relativ einfach war, hatte mitdem Bodenrecht im Osmanischen Reichzu tun. Es unterteilte das Land in ver-schiedene Kategorien, von denen hiervor allem zwei eine Rolle spielten.

    Der überwiegende Teil des Landes warsogenanntes Miri-Land, nominell Eigen-tum des Osmanischen Staates, weil dasOsmanische Reich 1516 n. Chr. Palästinaerobert hatte. Miri-Land umfasste nahe-zu alle landwirtschaftlich nutzbaren Flä-chen. Die einheimischen Fellachen be-bauten das Land in Erbpacht, das heißt,solange sie das Land bewirtschafteten,war es faktisch ihr Land. Land in Privat-besitz – Mulk-Land – gab es bis Mittedes 19. Jahrhunderts kaum. Dazu gehör-ten ursprünglich lediglich die Grund-stücke, auf denen Häuser standen, unddie dazugehörigen Gärten innerhalbder Dorf- oder Stadtgrenzen. Um mehrSteuern einnehmen zu können, schriebdas Osmanische Reich ab 1858 eine Re-gistrierung des Miri-Landes vor. Dochviele palästinensische Bauern ließen dasLand nicht auf ihren Namen eintragen.Sie konnten nicht lesen und schreiben,befürchteten hohe Steuerforderungenoder hatten Angst, dass ihre Söhne fürdie osmanische Armee zwangsrekrutiertwürden. Häufig wurde das Land des-

    1 www.tagesspiegel.de/wissen/genetische-abstam-mung-abrahams-kinder/1860976.html

  • Arbeitshilfe zum Weitergeben · 1/201666

    Land der Bibel

    nensische Dörfer. Als erklärter nichtreli-giöser Zionist verstand er das Josuabuchwortgetreu, wie es sonst nur ultraor-thodoxe Juden oder fundamentalisti-sche Christen tun. Aber dass der StaatIsrael heute existiert, ist keine Folgegöttlicher Verheißung, sondern eineFolge der Shoah. Dass er ein Recht hat,innerhalb international anerkannterGrenzen zu existieren, steht außer Fra-ge. Doch ebenso hat auch das palästi-nensische Volk ein Recht auf einen Staat– sei es ein eigener oder einer, in dem esgleichberechtigt leben kann.

    Wenn die jüdischen Israelis am 14. Maidie Gründung ihres Staates feiern, erin-nern die Palästinenser an an-Nakba, dieKatastrophe. Hunderttausende Palästi-nenser verloren ihre Häuser und ihrenGrundbesitz, Tausende ihr Leben. Sieseien geflohen, weil die heranrücken-den arabischen Armeen sie 1948 dazuaufgefordert hätten, lautet die in Israelvorherrschende Version der Geschichte.Tatsächlich sind sie systematisch vertrie-ben worden, wie die sogenannten„neuen Historiker“ wie Simcha Flapan,Tom Segev und Ilan Pappe in Israel inden letzten Jahren aufdeckten. Die Fa-milie meines Ex-Mannes stammt aus al-Majdal. Die Stadt lag in etwa dort, wodas biblische und das moderne Aschke-lon zu finden ist, im südlichen Palästina,nicht weit vom Mittelmeer. MeineSchwiegereltern wurden am 4. Novem-ber 1948 nach Gaza vertrieben. MeinSchwiegervater erzählte, dass sie vomMeer aus beschossen wurden und in Pa-nik flohen. Heute gibt es al-Majdal nichtmehr. Eine Stadt mit etwa 10.000 Ein-wohnern wurde komplett ausradiert.

    Al-Majdal ist kein Einzelfall. Der Tübin-ger Bibelatlas von 2001 zeigt zwei Kar-

    Jahrzehnten diskutiert. ArchäologischeForschungen deuten darauf hin, dass esrigorose Eroberungsfeldzüge, wie siedas Buch Josua beschreibt, historisch sonicht gegeben hat – das kanaanäischeJericho etwa hatte niemals Stadtmau-ern, die unter dem Klang der Posaunenhätten fallen können. Neben der Theo-rie, dass Israel ursprünglich ein Noma-denstamm war, der in einem längerenProzess nach Kanaan eingewandert istund schließlich sesshaft wurde, gibt esauch die These, dass die Israeliten aufeine Gruppe Kanaanäer zurückgehen,die sich aus der kanaanäischen Stadtge-sellschaft gelöst und das Bergland be-siedelt hat; möglicherweise war dieseAnsiedlung in kleinen Bergdörfern auchmit einem Niedergang der in der Küste-nebene liegenden Städte verbunden.Biblisch gibt es Belege für eine friedlichewie für eine kriegerische Aneignung desLandes. Dem Landkauf Abrahams, dervon Respekt den hetitischen Bewoh-nern gegenüber geprägt ist (Gen 23),steht die kriegerische Eroberung desLandes Kanaan durch Josua gegenüber– in Gottes Auftrag und mit Gottes Hil-fe. „Und sie erschlugen alle, die darinwaren, … und nichts blieb übrig, dasatmete“ (Jos 11,11). Mag sein, dass dieseErzählungen von Ereignissen berichten,die so nie stattgefunden haben, oderdass sie entstanden sind, als die israeliti-sche Oberschicht im Exil in Babylon leb-te, und dass sie die Hoffnung auf Rück-kehr ausdrücken. Faktisch wurden siemeist wörtlich verstanden, manchmalgar als Handlungsanweisung in realenKriegen. Auch David Ben Gurion bezogsich auf sie, diskutierte in einem Bibel-zirkel die militärisch-strategischen As-pekte des Josuabuches. Mit Hilfe derJosua-Erzählungen legitimierte er dieAngriffe jüdischer Einheiten auf palästi-

  • 676 Arbeitshilfe zum Weitergeben · 1/2016

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    Kein normales LandIm Spätsommer 2000 arbeitet meinMann für einige Monate im Auftrag dernordrhein-westfälischen Landesregie-rung in Nablus im Westjordanland ineinem Bildungszentrum. Er hat inzwi-schen einen deutschen Pass und einAuto mit deutschem Kennzeichen zurVerfügung. Wir erleben kurze Momenteder Normalität: fahren nach Jericho, be-suchen Freunde in Nazareth, gehen inder Altstadt von Akko essen. Ich sehemir die biblischen Orte an, die ich seitmeiner Kindheit kenne. Mein Mannsieht sich sein Land an, das ihm dochnicht gehört. Er fährt mit seinem deut-schen Auto über Straßen, die eigentlichisraelischen Siedlern vorbehalten sind.Er genießt es, sich hier zum ersten Malfrei bewegen zu können. Als AnfangOktober 2000 die zweite Intifada aus-bricht, wird jedoch schnell klar, dassnichts normal ist. Zusammen mit seinendeutschen Kollegen will mein Mann dasLand verlassen, als die Auseinanderset-zungen immer blutiger werden. Die is-raelische Genehmigung – die er als ge-bürtiger Palästinenser trotz seines deut-schen Passes braucht, um über Tel Avivnach Deutschland zurückzufliegen –wird ihm verweigert, eine andere Aus-reisemöglichkeit gibt es nicht. Erstnachdem wir tagelang alle Hebel in Be-wegung gesetzt haben, erreicht der da-malige deutsche Außenminister JoschkaFischer die Bewilligung der israelischenBehörden zur Ausreise.

    Zwei Kriege hat der Gazastreifen seit-dem erlebt, 2008/2009 und 2014. An-schläge und Raketenbeschuss haben Is-rael erschüttert, vor einem Jahr häuftensich die Attentate mit Fahrzeugen. Isra-elische wie palästinensische Jugendli-

    ten von Palästina um 1920, den Nord-und den Südteil. Darauf sind viele pa-lästinensische Dörfer vermerkt, dienicht mehr existieren. Ilan Pappe sprichtvon 530 Ortschaften, die systematischzerstört wurden. Jüdische Einheitenüberfielen nachts die Dörfer, holten diePalästinenser aus den Häusern, töteteneinige, sprengten Häuser in die Luftoder setzten sie in Brand. Die Überle-benden internierten sie in Gefangenen-lagern oder zwangen sie, ihre Dörfer zuverlassen. Wer zurückkehrte, wurde er-schossen. Ilan Pappe nennt das „ethni-sche Säuberung“ und begründet diesmit den Parallelen zum Jugoslawien-krieg Anfang der 1990er Jahre. Außer-dem hätten die Zionisten selbst den Be-griff der „Säuberung“ in Bezug auf dieVertreibungen der palästinensischenEinwohnerInnen verwendet; David BenGurion etwa spricht in einem Brief andie Kommandeure der israelischen Ar-mee von bi’ur, was das vollständige Rei-nigen des Hauses von gesäuertem Brotvor dem Pessachfest bezeichnet. Imübertragenen Sinn heißt es auch „aus-rotten, eliminieren“.

    Die Zionisten wollten das Land ohneseine palästinensische Bevölkerung undohne seinen arabischen Charakter. Auchheute noch zerstört die israelische Ar-mee immer wieder Häuser von palästi-nensischen Familien, weil sie ohne Bau-genehmigung gebaut wurden (die fürPalästinenser kaum zu bekommen ist),oder weil ein Familienmitglied einenterroristischen Anschlag verübt hat.Auch heute noch werden illegale undlegale israelische Siedlungen auf paläs-tinensischem Land gebaut, werden Fak-ten geschaffen, die eine Zwei-Staaten-Lösung immer unwahrscheinlicher er-scheinen lassen.

  • Arbeitshilfe zum Weitergeben · 1/201668

    Land der Bibel

    schen und des palästinensischen Volkes,in sicheren Grenzen zu leben, nachdenke?n Auszug aus der Orientierungshilfe„Gelobtes Land“ der EKD (S. 46 f) gemein-sam lesen und diskutieren

    „Hass und Hoffnung – Kinder imNahostkonflikt“Der Film von B.Z. Goldberg, JustineShapiro und Carlos Bolado zeigt siebenpalästinensische und israelische Kinder,die während der ersten und zweiten In-tifada interviewt wurden und sichschließlich auch begegnen. – aus einerStadt-oder landeskirchlichen Bibliothekggf. per Fernleihe ausleihen, gemeinsamanschauen und besprechen

    HoffnungszeichenAuch wenn viele nach der Entwicklungder letzten Jahre kaum noch Hoffnunghaben, dass in absehbarer Zeit Friedenin Israel/Palästina werden könnte: esgibt Zeichen der Hoffnung. Eines davonist das Engagement von zwei Bürger-meistern in benachbarten Dörfern: Ha-san Atamna und Ilan Sadeh – Bericht ausPublik Forum (S. 44 f) (vor-) lesen; andereBeispiele zusammentragen

    Psalm 122,6-9 lesen„Verlangt nach Frieden für Jerusalem!Zufrieden seien alle, die dich lieben!Friede sei deinen Mauern,Zufriedenheit in deinen Bauten.Meinen Geschwistern und Nächstenzuliebe will ich sagen: Friede sei in dir!Dem Haus des Ewigen, unseres Gottes,zuliebewill ich Gutes suchen für dich.“Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache

    Dr. Katrin Keita, Jahrgang 1969, arbeitet alsLehrerin für Evangelische Religion und Journalistinin Dinslaken.

    che wurden brutal ermordet. Seit Okto-ber 2015 überfallen jugendliche Palästi-nenser Israelis mit Messern; manchebefürchten den Ausbruch einer drittenIntifada. Die Menschen auf beiden Sei-ten leben heute in Angst und Perspek-tivlosigkeit. Das vormals so vertrauteLand ist mir fremd geworden.

    Für die Arbeit in der Gruppe

    Die folgenden Vorschläge für die Ausei-nandersetzung mit dem Thema könneneinzeln oder kombiniert verwendetwerden. – Kopiervorlagen sind für Abon-nentInnen unter www.ahzw-online.de /Service zum Herunterladen vorbereitet.

    Israel – Palästina – Land der BibelWenn wir diese Worte hören: WelcheBilder entstehen in unseren Köpfen? –Zeit zum stillen Nachdenken und Notie-ren von Begriffen auf einzelnen Zetteln;die gefundenen Bilder/Begriffe laut nen-nen und die Zettel in der Mitte zusam-menlegen; keine Nachfragen oder Diskus-sionen; anschließend Austausch über dasentstandene Mosaik, ohne die Äußerun-gen als „richtig“ oder „falsch“ zu werten

    „Heiliges Land“ …… ist Israel/Palästina für Menschen jüdi-schen, muslimischen und christlichenGlaubens – aus Kapitel „Landverhei-ßung“ kurz referieren, wieso Israel/Paläs-tina von allen drei Buchreligionen als„heiliges Land“ gesehen wird

    Krieg in und um Israel/Palästinan Kapitel „Landnahme“ für alle kopierenund gemeinsam lesenn Austausch: Was geht mir durch denKopf, wenn ich über das Recht des jüdi-