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LANDESKUNDE UND NEUE MEDIEN Textfassung für einen Vortrag auf der Alumnitagung des Lehrstuhls DaF /TU Dresden im November 2013 Dr. Ulrich Zeuner TU Dresden Institut für Germanistik Lehrstuhl Deutsch als Fremdsprache Landeskunde und neue Medien 1

LANDESKUNDE UND NEUE MEDIEN4. Was folgt aus dem bis dahin Gesagten für die Anregung und Begleitung landeskundlichen Lernens? 1. Was ist Landeskunde? Für die Frage, wie heute neue

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LANDESKUNDE UND NEUE MEDIENTextfassung für einen Vortrag auf der Alumnitagung des Lehrstuhls DaF /TU

Dresden im November 2013

Dr. Ulrich ZeunerTU Dresden

Institut für GermanistikLehrstuhl Deutsch als Fremdsprache

Landeskunde und neue Medien! 1

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LANDESKUNDE UND NEUE MEDIENDr. Ulrich Zeuner

TU DresdenInstitut für Germanistik

Lehrstuhl Deutsch als Fremdsprache

Zum EinstiegDas Thema ist mit “Landeskunde und neue Medien” sehr weit und allgemein gehalten. Beide Stichworte umschreiben meine besonderen fachlichen Interessen und man könnte ein ganzes Seminar dazu halten.

Um dieses weite Feld in der hier gebotenen Kürze zur Diskussion zu stellen, sollen in den fol-genden Abschnitten diese Fragen angerissen werden:

1. Was ist Landeskunde, welche Vorstellung von Landeskunde ist im Rahmen dieses Themas angemessen?

2. Was soll hier unter „neuen Medien“ verstanden werden?

3. Was heißt „Lernen“ mit neuen Medien?

4. Was folgt aus dem bis dahin Gesagten für die Anregung und Begleitung landeskundlichen Lernens?

1. Was ist Landeskunde?Für die Frage, wie heute neue Medien landeskundliches Lernen begleiten können, scheint mir der Landeskundebegriff von Claus Altmayer (1997, 2002, 2004, 2008) der passende zu sein. Altmayer definiert Landeskunde als eine Kulturwissenschaft, die es nicht mit Zahlen und Fak-ten zu tun hat, sondern bei Lernenden eine tiefergehende Verstehens­ und Verständigungs-kompetenz für deutschsprachige Texte und Diskurse entwickeln soll, so dass sie diese ange-messen verstehen und angemessen zu ihnen Stellung nehmen können (vgl. Altmayer 2007, S. 10). Landeskunde so verstanden soll kulturelles Lernen anregen und begleiten mit dem Ziel, Fremdes zu verstehen.

Was heißt in diesem Zusammenhang Kultur, kulturelles Lernen und Fremdverstehen?

Altmayer (1997) diskutiert ausführlich einen möglichen Kulturbegriff für das Fach Deutsch als Fremdsprache und geht für seinen Vorschlag einer Kulturdefinition vom Kulturbegriff des amerikanischen Ethnologen Clifford Geertz aus, der Kultur als „selbstgesponnene Bedeu-tungsgewebe“ ansieht, in die der Mensch verstrickt ist. Die Untersuchung von Kultur „ist da-her keine experimentelle Wissenschaft, die nach Gesetzen sucht, sondern eine interpretieren-

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de, die nach Bedeutungen sucht“ (Geertz 1987, S. 9). Diese Kulturdefinition passt auch sehr gut zu dem hier vertretenen Konzept von Lernen, denn wenn Lernen heißt - wie später noch aus-geführt werden wird - Bedeutung für sich zu erschaffen (vgl. Wesch 2008), dann sucht Kultur-lernen eben durch Interpretation nach Bedeutungen.

Aus diesem Verständnis von Kultur als selbstgesponnenes Bedeutungsgewebe leitet Altmayer (2002) seinen Kulturbegriff ab:

„Mit ‚Kultur‘ wären demnach vor allem diejenigen Bestände eines ‚lebensweltlichen‘, d.h. von uns als ‚normal‘, ‚selbstverständlich‘ und allgemein bekannt angenommenen Wissens gemeint, das wir in unseren alltäglichen Lebensvollzügen immer schon verwenden, auf das wir aber in aller Regel erst dann reflektieren wenn es – aus welchem Grund auch im-mer – in Frage gestellt ist. Kultur, so könnte man mit der Forschungsrichtung der ‚cogni-tive anthropology‘ auch sagen, ist geteiltes Wisse (‚shared knowledge‘) …

„… ‚Kultur‘ [bildet] die Gesamtheit des als selbstverständlich gültig und allgemein be-kannt angenommenen und vorausgesetzten Wissens, das von Texten präsupponiert wird und das die in der Regel implizit bleibenden Sinnbedingungen von Texte ausmacht. Kul-tur in diesem Verständnis ist demnach nicht auf einem direkten oder empirischen Weg, sondern allein über die Analyse von Texten bzw. kommunikativen Handlungen, d.h. ge-nauer über die Rekonstruktion der von Texten präsupponierten Sinnbedingungen wissen-schaftlicher Erforschung zugänglich.“ (Altmayer 2002)

In seinem Aufsatz „Von der Landeskunde zur Kulturwissenschaft. Innovation oder Mode-trend?“ (2007) präzisiert Altmayer diesen Kulturbegriff wie folgt:

„Wir deuten die gemeinsame Welt und Wirklichkeit und orientieren uns handelnd in die-ser Wirklichkeit auf der Basis von Mustern, die wir im Verlauf unserer Sozialisation er-lernt haben, die wir in der Regel in Diskursen als allgemein bekannt und selbstverständ-lich voraussetzen, die aber auch selbst jederzeit zum Gegenstand diskursiver und kontro-verser Deutungsprozesse werden können. So weit es sich bei diesen Mustern um überlie-ferte, im kulturellen Gedächtnis einer Gruppe gespeicherte und abru(are Muster von einer gewissen Stabilität handelt, spreche ich von ‘kulturellen Deutungsmustern’, und den Bestand an ‘kulturellen Deutungsmustern’, der einer Gruppe als gemeinsamer Wissens-vorrat für die diskursive Wirklichkeitsdeutung zur Verfügung steht, nenne ich die ‘Kultur’ dieser Gruppe“ (Altmayer, 2007, S. 13).

Diese kulturellen Deutungsmuster spielen in der Kommunikation eine wichtige Rolle und werden in der Regel als bekannt vorausgesetzt, ohne es immer zu sein. So sind sie eine mögli-che Quelle für Nichtverstehen oder Falschverstehen und eine Grundlage für kulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht (vgl. Altmayer 2007, S. 14).

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Ein Beispiel für kulturelle Deutungsmuster:

In dieser Karikatur von Klaus Stuttmann aus dem Jahr 2007 findet man einiges an präsuppo-niertem Wissen. So muss man „das Leben der anderen“ mit dem Film gleichen Titels in Ver-bindung bringen können, der sich mit dem Ap-parat der Staatssicherheit in der DDR ausein-andersetzt. Man muss die Szenen kennen, in denen der Stasi-Hauptmann Wiesler (Ulrich Mühe) den Schriftsteller Dreymann abhört. Schließlich muss man in dem Abhörenden in der Karikatur den von 2004 bis 2009 amtie-renden Bundesminister des Inneren Wolfgang Schäuble und dessen Funktion kennen. All die-

se kulturellen Schlüsselwörter bzw. Schlüsselbe-griffe, die zum Verständnis der Karikatur wichtig sind, verweisen letztlich auf kulturelle Deu-tungsmuster, die man mit Sicherheit und Freiheit oder Freiheit versus Sicherheit benennen könnte und die über diesen einen Text hinausweisen und als Teil des gesellschaftlichen Diskurses in vielen anderen Texten zu finden sind.

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Das Nachdenken über die eigenen und fremde kulturelle Deutungsmuster nennt Altmayer kulturelles Lernen:

„Von ‘kulturellem Lernen’ soll … dann die Rede sein, wenn Lerner des Deutschen als Fremdsprache in der und veranlasst durch die Auseinandersetzung mit deutsch­sprachi-gen ‘Texten’ über die ihnen verfügbaren Deutungsmuster reflektieren und diese so anpas-sen, umstrukturieren, verändern oder weiterentwickeln, dass sie den kulturellen Deu-tungsmustern, von denen die Texte Gebrauch machen, weit gehend entsprechen und die Lerner in die Lage versetzen, diesen Texten einen kulturell angemessenen Sinn zuzu-schreiben und dazu angemessen (kritisch oder affirmativ) Stellung nehmen zu können“ (Altmayer 2007, S. 17 – 18).

Daraus folgt für Altmayer die Aufgabe von Landeskunde: Wissenserwerb im Sinn des Erwerbs von Deutungsmustern anzuregen und zu begleiten mit dem Ziel des Fremdverstehens, also den Lernprozess der Entwicklung von Fremdverstehen zu unterstützen. Landeskunde hat es deshalb nicht mit Fakten und Zahlen, sondern vor allem mit ‘kulturellen Deutungsmustern’ zu tun. „Sie muss Lerner dazu anregen und befähigen, das ihnen Vertraute gelegentlich in Frage zu stellen, die ihnen verfügbaren Muster umzustrukturieren, zu erweitern oder zu ergänzen, die in deutschsprachigen Texten und Diskursen implizit verwendeten Muster zu identifizieren und mit ihren eigenen Mustern in eine möglichst produktive Beziehung zu bringen“ (Altmayer 2007, S.18).

Dies führt zu Fremdverstehen als Ziel landeskundlichen Lernens:

”‚Fremdverstehen’ heißt …, dass Fremdsprachenlerner bereit und in der Lage sind,

• die eigenen individuellen und/oder kulturellen kognitiven Schemata der Welt- und Wirklichkeitsdeutung zu relativieren und in Frage zu stellen;

• die eventuelle ‚Fremdheit’ und Unverständlichkeit von fremdsprachlichen Texten und Äußerungen prinzipiell auf diesen Texten/ Äußerungen möglicher Weise zu Grunde lie-gende andere und unbekannte kognitive Schemata zurückführen können;

• die ‚fremden’ Schemata als potenzielle Gründe, die für die mit fremdsprachlichen Tex-ten und Äußerungen erhobenen Geltungsansprüche sprechen könnten, rekonstruieren können;

• auf der Basis dieser Rekonstruktion der rationalen Gründe von Geltungsansprüchen dazu begründet Stellung nehmen, d.h. die Gründe als hinreichend akzeptieren oder als inakzeptabel zurückweisen können“ (Altmayer 2004, S. 70/71).

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Ein Beispiel für Fremd-verstehen: Begrüßungs-rituale

Maj. Bill Eberhardt touches noses (Hongi) with a Maori warrior during a Powhiri, or welcoming ceremony, at Christchurch, New Zealand.

Als ein Werk der Regierung der Ver-einigten Staaten ist diese Datei ge-meinfrei. Quelle: http://

commons.wikimedia.org/wiki/File%3APowhiri %2C_USAF.jpg

Der erste Schritt zum Fremdverstehen ist anzuerkennen, dass die Begrüßungsrituale der eige-nen Kultur nicht die einzig möglichen sind und dass dieses zunächst sehr exotisch scheinende Ritual in der Kultur der Maori ganz sicher eine bestimmte Bedeutung hat.

Im zweiten und dritten Schritt geht es darum, nach der Bedeutung - nach den kognitiven Schemata - dieses Begrüßungsrituals für die Maori zu suchen und diese Schemata zu rekonstru-ieren, um für sich eine Bedeutung dafür zu schaffen. Dabei helfen die neuen Medien: Dr. Rang-imarie Turuki Rose Peri aus Tuai, einer kleinen Stadt in den Bergen der Nordinsel von Neusee-land, erklärt in einem kurzen Video auf YouTube, was ein Hongi als traditioneller Gruß der Maori bedeutet: http://youtu.be/uwN3TcsLXsU. Er symbolisiert die Einheit des Menschen und seine Verbindung mit der Natur, mit der Göttin Mutter Erde und mit dem Mitmenschen: „Wenn wir das sehende oder heilende Auge berühren, verbinden wir uns und erinnern uns dass wir miteinander verknüpft sind und dass wir Teil der Einheit von allem sind, das existiert“, sagt sie sinngemäß übersetzt.

Nachdem dieses Ritual nun nicht mehr einfach nur exotisch ist, sondern versucht wurde, seine Bedeutung zu rekonstruieren, kann im vierten Schritt dazu Stellung genommen werden.

Aus der Zielstellung, am Fremdverstehen zu arbeiten, leitet Altmayer die Aufgabe der Lan-deskunde ab, die darin besteht, „bei Lernern des Deutschen als Fremdsprache durch die Aus-einandersetzung mit deutschsprachigen Diskursen Prozesse des ‘kulturellen Lernens’ in Gang zu setzen, d.h. Prozesse der Bewusstmachung, Reflexion, Überprüfung und ggf. auch der Kor-rektur, Weiterentwicklung und Umstrukturierung der ihnen vertrauten Muster oder deren Er-setzen durch andere“ (Altmayer 2007, S. 20 – 21).

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Als Zugänge für kulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht werden von Krumm (1998) die folgenden drei genannt:

1. Zugang zu Kultur in der Sprache selbst;

2. Zugang zu Kultur im Verhalten/Handeln von Menschen;

3. Zugang zu Kultur in Manifestationen d.h. in denjenigen institutionellen, historischen und kulturellen Gegebenheiten, die das Beziehungsgefüge für unsere Alltagskultur herstellen.

Altmayer schlägt 2007 aus den 17 universalen Daseinserfahrungen als anthropologischen Grundkategorien nach Neuner (1994, S. 23) die folgenden vier Themenbereiche für kultu-relles Lernen vor: Identität – Raum – Zeit – Werte.

In den folgenden Beispielen soll versucht werden zu zeigen, wie diese Themenbereiche mit den genannten drei Zugängen für kulturelles Lernen verbunden werden können.

Beispiel 1: Kultur in Sprache -Identität

Tom Pauls: Muddln ist Widerstand: http://youtu.be/DvS_mFBSPlI

Auf der Webseite des Tom-Pauls-Theaters Pir-na heißt es im Text „Die sächsischen Wörter des Jahres 2008“ zum Wort „Muddln“:

„Wir muddeln rum. Nicht, dass wir nichts tä-ten. Wir machen schon was; bloß – es wird nischt. Wir haben uns gleichsam von der Zeit abgekoppelt, wir sind ausgestiegen aus dem Weltengetriebe, wir sind nicht weg, aber wir

sind auch nicht hier. Wir sind bei uns. … Mud-deln ist eine großartige Sache, die gesund erhält. Es ist die sächsische Art zu meditieren.“

Das zeigt sehr schön am Beispiel eines Wortes aus einem regionalen Dialekt, wie sich in Spra-che und Wortbedeutungen regionale Identitäten zeigen oder anders gesagt: Wie sich regionale Identitäten in Sprache ausdrücken. Ein Beispiel auch für den regionalen Charakter, den „Patchwork“ - Charakter Deutschlands (vgl. Nees 2000, S. 25), der wiederum als übergreifendes kulturelles Deutungsmuster gesehen werden kann.

Beispiel 2: Proxemik als Teil der Raumverortung einer Kultur - Verhalten bei Be-grüßung

In einem Projekt eines Seminars zu Landeskunde und neuen Medien im Jahr 2003 drehten Studierende (ein brasilianischer Student und zwei deutsche Studentinnen) zwei kurze Filmse-

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quenzen, die Unterschiede im Raumverhalten bei der Begrüßung zeigen - zur Verdeutlichung sicher etwas übertrieben, aber dadurch sofort erkennbar: Ein Brasilianer begrüßt eine Deut-sche, die diese Nähe offensichtlich als unangenehm empfindet; zwei Deutsche begrüßen sich. Begrüßungsrituale als Deutungsmuster.

Diese kurzen Filme aus einem studenti-schem Projekt zei-gen auch, wie selbst

angefertigte Medien theoretisches Wissen zu Raum als wichtigem Kulturaspekt (vgl. dazu z.B. Hall 1966) sichtbar und begrei(arer machen können.

Beispiel 3: Werte - Manifestationen: Wert Sicherheit - Werbung „Sorry“

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Werbespots gehören ganz sicher zum Beziehungsgefüge unserer Alltagskultur und in diesem Werbespot für ein deutsches Automobil wird ganz deutlich ein Wert angesprochen, der für vie-le Deutsche eine große Rolle spielt: Sicherheit.

Eine von Hofstedes Dimensionen von Nationalkulturen (vgl. Hofstede 2001) ist die Dimension der Unsicherheitsvermeidung:

„The uncertainty avoidance dimension expresses the degree to which the members of a society feel uncomfortable with uncertainty and ambiguity. The fundamental issue here is how a society deals with the fact that the future can never be known: should we try to control the future or just let it happen?“ (http://geert-hofstede.com/dimensions.html am 28.07.2013).

Mit einem Unsicherheitsvermeidungsindex von 65 gehört Deutschland nach Hofstede zu den unsicherheitsvermeidenden Ländern (vgl. http://geert-hofstede.com/germany.html am 28.07.2013). Die Wichtigkeit der Vermeidung von unsicheren, unbekannten, nicht beherrschba-ren oder ambiguinen Situationen als Wert zeigt sich nicht nur in diesem Werbespot, sondern auch in vielen Situationen im Alltag und könnte ebenfalls als kulturelles Deutungsmuster ver-standen werden.

Beispiel 4: Zeit - Verhalten/ Handeln: Sonntag

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Die regelmäßig besonders in der Adventszeit au+ommenden politischen Diskussionen um Ladenöffnungszeiten und den Sonntag als einkaufsfreien Tag mögen viele Menschen aus ande-ren Kulturen verblüffen, haben aber ganz sicher mit dem Verhältnis zur Zeit in Deutschland zu tun. Greg Nees sieht darin ein Beispiel für die starke Kompartmentierung oder Bereichsbil-dung, die er als Amerikaner in Deutschland vorfindet:

„Another example of compartmentalization in German society can be seen in then use of time. Clear an orderly divisions of time organize German life, and specific days and time slots carry an implicit meaning“ (Nees 2000, S. 49).

Sonntag könnte hier wieder als kulturelles Deutungsmuster gesehen werden, ohne dessen Kenntnis man die Spezifik des deutschen Sonntags und des mit diesem Tag verbundenen Ver-haltens nicht verstehen kann.

2. Was sind „neue“ MedienUnter „neuen Medien“ werden seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts allgemein digitale Medien verstanden (vgl. u.a. Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales Handbuch, 2010, S. 1205), wobei man heute vor allem an das Internet und seine Weiterentwicklung, das soge-nannte Web 2.0, denkt.

„Web 2.0 ist ein Schlagwort, das für eine Reihe interaktiver und kollaborativer Elemente des Internets, speziell des World Wide Webs, verwendet wird. Hierbei konsumiert der Nutzer nicht nur den Inhalt, er stellt als Prosument selbst Inhalt zur Verfügung. Der Be-griff postuliert in Anlehnung an die Versionsnummern von Softwareprodukten eine neue Generation des Webs und grenzt diese von früheren Nutzungsarten ab. Die Verwendung des Begriffs nimmt jedoch zugunsten des Begriffs Social Media ab.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Web_2.0 am 28.07.2013)

Das Online-Lehrbuch Web 2.0 stellt die Unterschiede zum „alten“ Internet in der folgenden Übersicht dar, wobei beide - Web 1.0 und Web 2.0 - für Landeskunde relevant und wichtig sind. Anwendungen und Dienste des Web 2.0. die eine Community und nutzergenerierte In-halte erst möglich machen, werden in diesem Online-Lehrbuch ebenfalls ausführlich erläutert.

Dazu gehören Blogs, Microblogging (Twitter), Wikis, Social Bookmarking (Diigo, Delicious usw.), Anwendungen für Media Sharing (YouTube, Flickr usw..), Social Networks (Facebook, Google+ usw.) und Webapps (kollaborative Online-Tools wie Google Docs, Etherpad, TitanPad usw.).

Um in der Menge der möglichen Informationen den Überblick zu behalten, helfen RSS Feeds beim Informationsmanagement und Tagging - das „Denken 2.0“, denn Informationen sind im Web überwiegend nicht mehr hierarchisch, sondern vernetzt strukturiert.

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Übersicht aus Online-Lehrbuch Web 2.0

Welches Potential für kulturelles Lernen ist nun in diesem „Mitmach-Internet“ zu finden? Wir erinnern uns: Kulturelles Lernen heißt nach Altmayer (2007, S. 17 – 18) - veranlasst durch die Auseinandersetzung mit deutschsprachigen ‘Texten’ oder in Begegnungssituationen - über die eigenen Deutungsmuster zu reflektieren und diese so anzupassen, umzustrukturieren, zu verändern oder weiter zu entwickeln, dass sie den kulturellen Deutungsmustern der Zielkultur weitgehend entsprechen und sich in die Lage zu versetzen, diesen Texten oder Situationen ei-nen kulturell angemessenen Sinn zuzuschreiben und dazu angemessen Stellung nehmen zu können. Das Ziel kulturellen Lernens ist Fremdverstehen.

Welche Rolle können Anwendungen des Web 2.0 dabei spielen? Dazu die folgende Übersicht, die Teilschritten kulturellen Lernens geeignete Anwendungen und Dienste des Web 2.0 zuord-net:

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T E I L S C H R I T T E K U L T U-R E L L E N L E R N E N S

G E E I G N E T E A N W E N D U N-G E N U N D D I E N S T E

Material sammeln und zusammenstellen: In-formationen sammeln als Grundlage für eine Rekonstruktion der fremden kog-nitiven Schemata. Zum Anstoß von Lern-prozessen: Fremde Handlungen, Texte, Äuß-erungen sehen/hören/ erfassen.

RSS Feeds; E-Portfolios; social bookmarking; Evernote; .... Blog-Archiv als E-Portfolio

Material mit anderen diskutieren – zusam-menarbeiten: Rekonstruktion der frem-den kognitiven Schemata im Austausch auch mit den Fremden.

Kollaborative Online-Tools wie z.B. Google Docs ; Wikis; Etherpad; TitanPad; Mindmeis-ter; Skype; Soziale Netzwerke (Twitter, Face-book, Google+; Google+-Hangout)

Eigene Texte/Materialien erstellen bzw. veröf-fentlichen: Teilen von Erkenntnissen zu fremden kognitiven Schemata; begrü-ndet dazu Stellung nehmen.

Blogs; Medien teilen (YouTube; Flickr); E-Book erstellen; Slideshare; Prezi; Wikis; ...

Man könnte jetzt einwenden, dass diese Teilschritte kulturellen Lernens auch ohne Social Me-dia gegangen werden können. Ein solcher Einwand ist verständlich, berücksichtigt jedoch nicht die Rolle, die diese Anwendungen und Dienste heute im Leben der Lernenden spielen und beim Lernen spielen können.

Digitale Information ist überall und jederzeit als Grundlage für Lernen verfügbar und kann mit den entsprechenden Kompetenzen, die man heute Digital Literacy (vgl. dazu z.B. Rheingold 2012) nennt, in Wissen überführt werden. Durch kollaborative Online-Tools ist Kommunikati-on und Zusammenarbeit über Kulturgrenzen hinweg leichter möglich geworden und durch Zu-sammenarbeit und Austausch mit den Fremden wird kulturelles Lernen authentisch.

Christoph Deeg argumentiert in einem Blogbeitrag zum Thema Social Media ähnlich:

"Facebook, Twitter, Youtube und Co. sind nicht nicht nur Kommunikationsplattformen. Sie sind ebenso die größten Bildungsplattformen auf diesem Planeten. Nicht nur in den Klassenräumen sondern ebenso im Internet wird global Wissen erschlossen, vermittelt, kommuniziert und weiter entwickelt. Die digitale Welt ist kein lustiges Freizeitvergnügen – sie ist Kommunikationsraum und Lernort zugleich. Und sie ist nicht(!) virtuell, sondern sie ist real. ...

Das Social Web steht weniger für Technologien als vielmehr für eine neuen Kultur bzw. neue Denk- und Arbeitsweisen. Es geht um neue Formen gemeinsam zu arbeiten und zu lernen. Es geht um neue Berufe. Es geht um neue Sozialsysteme. Es geht um neue Hier-

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archiemodelle und neue Formen der Zusammenarbeit. Das alles ist keine Science Fiction. Es passiert hier und jetzt und es ist längst kein Nischenthema mehr. Schule kann und muss die Schüler auf diese Zukunft vorbereiten. Tut sie das nicht, ist sie letztlich wert-los." (Christoph Deeg: Der digitale Bildungs-GAU und was wir dagegen tun sollten. - On-line am 29.07.2013 unter http://crocksberlin.wordpress.com/2013/07/28/der-digitale-bildungs-gau-und-was-wir-dagegen-tun-sollten/)

Dazu kommt noch die Tatsache, dass Lernen heute mehr denn jemals zuvor ein lebenslanger Prozess ist, der durch persönliche Lernnetzwerke unter Nutzung von Social Media sehr gut un-terstützt werden kann - vgl. die folgende Übersicht:

Übersicht aus: Lisa Rosa (2013): Lernen Lernen lernen mit dem persönlichen Lernnetzwerk.

Man sollte darüber nachdenken, ob nicht Bildungseinrichtungen Lernende bzw. Studierende auch darauf vorbereiten müssten, ein solches Lernnetzwerk au(auen und nutzen zu lernen.

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Ein weiteres Argumente für die Nutzung von Social Media für kulturelles Lernen ist die Mög-lichkeit, mit diesen Werkzeugen über Entfernungen und Kulturgrenzen hinweg miteinander zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten, gemeinsam Wissen und Erkenntnisse zu erarbeiten, auch wenn man nicht zusammen an einem Ort ist. Diese Zusammenarbeit kann zu besonderen Erfahrungen beim Kulturlernen führen, das nun nicht mehr nur theoretisch, sondern z.B. in der Umsetzung eines Projekts auch ganz praktisch stattfindet.

3. Was heißt „Lernen“ in diesem Zusammenhang?In seinem Vortrag “A Portal to Media Literacy”, gehalten am 17. Juni 2008 an der University of Manitoba (deutsche Zusammenfassung u.a. hier) entwirft Michael Wesch eine konstruktivisti-sche Vorstellung von Lernen, die sehr gut für das Lernen mit neuen Medien passt:

• Lernen heißt nicht, Informationen zu erwerben.

• Lernen heißt, Informationen zu diskutieren, Informationen zu bezweifeln, Informationen zu kritisieren, Informationen zu teilen, Informationen zu schaffen.

• Lernen heißt, bedeutungsvolle Verbindungen zwischen Informationen zu erzeugen. Lernen heißt Bedeutung zu erschaffen (vgl. Wesch 2008).

Wir erinnern uns: Fremdverstehen heißt u.a. „fremde“ Bedeutungen aus der Perspektive des Fremden rekonstruieren können und auf der Basis dieser Rekonstruktion begründet dazu Stel-lung nehmen können - also aus der Fremdheit und vielleicht auch Unverständlichkeit fremder Texte und Handlungen für sich eine Bedeutung erschaffen. Insofern passt diese Auffassung von Lernen auch sehr gut zum Ziel landeskundlichen Lernens, zum Fremdverstehen.

George Siemens geht in seinem konnektivistischen Ansatz ( What is Learning: http://www.connectivism.ca/?p=14) noch etwas weiter. Für ihn heißt Bedeutung zu erschaffen noch nicht Lernen, sondern erst Wissen. Lernen heiß, etwas mit diesem Wissen zu tun, vgl. seine folgenden Begriffsbestimmungen:

• Daten: originale Sachverhalte, Symbole

• Informationen: Daten, die gegliedert, interpretiert, au(ereitet und verwendbar für den Zweck gemacht wurden, für den die Daten ursprünglich gesammelt wurden

• Wissen: Informationen im Kontext (d.h. die Bedeutung von Informationen verstehen) oder Information mit semantischer Bedeutung

• Lernen: Zur Handlung gebrachtes oder in Handlung überführbares Wissen, etwas mit dem Wissen tun (vgl. Siemens 2005).

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Diese Einteilung wird im vierten Teil Grundlage einer Projektskizze sein, die beispielhaft zei-gen soll, wie Internet und Social Media Lernprozesse des Fremdverstehens unterstützen kön-nen.

Die folgende Tabelle fasst die hier dargestellte Auffassung von Lernen und die Rollen von Leh-renden und Lernenden kurz zusammen. Die ersten zwei Spalten stammen aus einer Tabelle im Kapitel „Lernen 2.0“ des Online-Lehrbuch Web 2.0. Die dritte Spalte ist mein Versuch, diese Tabelle durch konnektivistische Vorstellungen vom Lernen zu ergänzen.

T R A D I T I O N E L L E V O R S T E L L U N G

K O N S T R U K T I -V I S T I S C H E V O R-

S T E L L U N G

K O N N E K T I V I S T I-S C H E V O R S T E L-

L U N G

Wissen kann vermittelt wer-den

Wissen wird konstruiert Wissen ist verteilt und ver-netzt

Instruktion selbstbestimmtes Lernen Lernen als selbstbestimmter lebenslanger Prozess

unterrichten begleiten Teilnehmende lernen vonein-ander/ miteinander

Lehrer als „Meister“ Lehrer als Moderator/ Coach Lehrer als Teilnehmender des Lernnetzwerkes

Lerner als „Lehrling“ Lerner als aktives Subjekt Lerner aktiv als Teil eines Lernnetzwerkes

Lehrsystem Lernumgebung Persönliches Lernnetzwerk (PLN)

... ... ...

Wenn es um Lernen im institutionellen Rahmen geht, werden sicher Elemente aus Konstruk-tivismus und Konnektivismus eine Rolle spielen, da institutioneller Rahmen immer auch insti-tutionelle Vorgaben bei Zielen und Inhalten heißt. Bei der Gestaltung von Lernumgebungen im Rahmen solcher Vorgaben sollte aber berücksichtigt werden, was Stephen Downes in sei-nem Blog schreibt:

„At a certain point in a complex world a learner has to be able to set the bar for him or herself, to set the challenges appropriately, and find the relevant resources. The more an instructional designer does it for you, the less able you are to do it for yourself, and ulti-mately, the less useful the resource would be. That's why it's better to present the learner with a range of resources around a topic, and have them pick the ones most suited to

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them, rather than to try to pick the best resource (or to arrange the subject matter into tiers, or any of the usual forms of structured instruction provided in traditional learning)“ (Downes 2013).

Die folgende Projektskizze versucht unter anderem diesen Gedanken umzusetzen.

4. Was folgt aus dem bis dahin Gesagten für die Anregung und Begleitung landeskundlichen Lernens? - Beispiel: Projekt 1968Im folgenden soll ein Projekt vorgestellt werden, in dem sich Studierende der Germanistik in einem Seminar mit einem Jahr und damit auch einem kulturellen Deutungsmuster auseinan-dersetzen, das meiner Meinung nach zum Verständnis der Alltagskultur heute nicht unwichtig ist: 1968.

Studierende der Germanistik deshalb, weil ich diese Zielgruppe am besten kenne und weil an DaF-Seminaren häufig deutsche und nichtdeutsche Studierende gemeinsam teilnehmen und sie so sehr gut kulturell von einander lernen können. Auch dafür eignet sich „1968“, weil sich mit diesem Deutungsmuster europaweit, ja auch weltweit, verschiedene Inhalte verbinden können. Zudem verfügen ausländische Germanistikstudierende über Sprachkenntnisse auf ei-nem Niveau, das ihnen selbständige Recherche und Kommunikation untereinander auf Deutsch gestattet, so dass man sich voll und ganz auf die kulturellen Daten und Informationen konzentrieren kann.

Das soll nicht heißen, dass man kulturelles Lernen mit neuen Medien nicht auch bei Lernen-den mit geringeren Sprachkenntnissen initiieren kann. Schon bei Anfängern bietet sich der Zugang über die Sprache (kulturelle Ebene der Wortbedeutung) oder über Alltagsrituale (Be-grüßen, sich verabschieden) an. Allerdings müsste da der Lehrende zum einen die Erstsprache der Lernenden oder eine von allen beherrschte Lingua Franca beherrschen, um wirklich als Teilnehmender des Lernnetzwerks bzw. Moderator agieren zu können. Zum anderen müsste der Lehrende sicher die Lernressourcen zu großen Teilen vorauswählen und dabei die sprachli-che Kompetenz seiner konkreten Lernergruppe berücksichtigen.

Zurück zum fiktiven Seminar und Projekt 1968: Auf der Grundlage des oben referierten Ansat-zes von Siemens (2005) soll zunächst eine Übersicht gegeben werden.:

S C H R I T T E Z U M L E R N E N K O N K R E T : P R O J E K T 1 9 6 8Daten als Ausgangspunkt Rainald Grebes Lied „1968“

Daten gegliedert - Informationen Gemeinsam erstellte Mindmap zum Lied als Grundlage der folgenden Gruppenarbeit

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S C H R I T T E Z U M L E R N E N K O N K R E T : P R O J E K T 1 9 6 8Bedeutung schaffen - Wissen Gruppenarbeit: Deutungsmuster/ kulturelle

Schlüsselwörter aus der Mindmap mit Inhalt füllen unter Nutzung von Social Media uind Suchmaschinen der Wahl

Etwas mit dem Wissen tun - Lernen Ergebnisse der Recherchen in den Gruppen zu eigenen Texten, Videos, Bildfolgen, Präsen-tationen verarbeiten (Gruppenblog; YouTube; Flickr ...) und im Web zur Diskussion stellen; die Beiträge der anderen Gruppen kommen-tieren

1. Schritt: Daten als Ausgangspunkt

Rainald Grebes Lied 1968 findet man auf YouTube unter anderem hier: Rainald Grebe & die Kapelle der Versöhnung - 1968 - http://youtu.be/p1iw2c9CS14

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Liebe Kinder, es gab ein Jahr,das eine Katastrophe war: 1968.Liebe Kinder, seitdem geht's abwärts.Die 68er sind an allem schuld.

Vorher waren alle Menschen froh.Alle Menschen waren hetero,weil Schwulsein ja eine Krankheit warund da war keiner krank, Gott sei Dank.Die 68er sind an allem schuld.

Single-Parties gab's noch keine,die SPD hatte noch Ortsvereine.Die Ehe hielt bis zur Beerdigungund nicht bis zur Selbstverwirklichung.Die 68er sind an allem schuld.

Bei Problemen ging man nicht zum Therapeuten,man ging in die Kirche oder gleich in die Kneipe.Was ist Yoga, Yin und Yang und der ganze Dreckgegen ein Halleluja und ein Herrengedeck?Die 68er sind an allem schuld.

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Wir hatten Wohlstand für alle, das Fließband rollte.Arbeit für jeden, der arbeiten wollte,und Arbeit hatte Vati, Mutti blieb zu Haus.In der Schule ging Gewalt noch vom Lehrer aus.1968, 1968, 1968, 1968, 1968, 1968.Und da machen die da Revolution.Jetzt machen die da Revolution.Bei Vollbeschäftigung.Ich verstehs nicht.

Ich verstehs nicht.Ich werds auch nie verstehen.So gut wie damalswirds uns nie wieder gehen.

Ja gut, alle waren Nazis, das war normal,Onkel Otto war Nazi und die Hildegard,das waren normale Leute mit normaler Frisurund keine ostdeutsche Jugendkultur.Die 68er sind - schuld.

Und dann kamen diese Langhaar-Prolosund spielten ewige Gitarrensolos.Liebe Kinder: Revolutionensind schlechte Parties von Wachstumshormonen.1968, 1968, 1968, 1968, 1968, 1968.Und da machen die da Revolution.Jetzt machen die da Revolution.Bei Vollbeschäftigung.Ich verstehs nicht.

Ich verstehs nicht.Da steht der neue VW.Ich verstehs nicht.Der Kühlschrank ist von AEG.Geh doch nach drüben,wenns dir hier nicht gefällt.Lass deine Haare flatternfür eine bessere Welt.

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2. Schritt: Daten gegliedert: InformationenEine mit allen Lernenden gemeinsam erstellte Mindmap zum Lied und zu 1968 könnte so aus-sehen:

Die hier verwendete Gliederung der Mindmap in pragmatisch - politisch - ideologisch - institutione% - kulture% - historisch ist ein Vorschlag von Penning (1995) für die Aufteilung von landeskundli-chen Themen in eine Art Netzwerk und passt hier recht gut.

Falls die Gruppen nicht an einem Ort zusammen arbeiten, können auch hier schon kollabora-tive Mindmapping-Werkzeuge aus dem Internet wie zum Beispiel Mindmeister eingesetzt wer-den (vgl. dazu z.B. http://blog.goethe.de/majstersztyk/archives/49-Kollaboratives-Mindmapping-im-Unterricht.html)

3. Schritt: Bedeutung schaffen - WissenMit der Mindmap ist ein Themenpool zum Deutungsmuster „1968“ entstanden, in dem viel präsupponiertes Wissen, das zum Textverständnis und und zum Verstehen dieses Deutungs-musters gebraucht wird, zu finden ist. Es geht nun darum, sich in Gruppen dieses Hinter-grundwissen zu erarbeiten, also je Gruppe zu jeweils einem Teil des Bedeutungsnetzes Hinter-grundinformationen zu sammeln und zu verarbeiten.

Unter Nutzung der Suchmaschine der Wahl und kollaborativer Werkzeuge wie z.B. Evernote; Dropbox oder Delicious werden Informationen gesammelt, also Daten, die gegliedert, inter-

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pretiert, au(ereitet und verwendbar für den Zweck gemacht werden, der darin besteht, das Deutungsmuster „1968“ mit angemessenem Inhalt zu füllen.

Damit haben die Lernenden um das Thema „1968“ herum eine große Auswahl an Inhalten und Ressourcen und können diejenigen Inhalte und Ressourcen wählen, für die sie sich am meisten interessieren oder die am besten zu ihnen passen. Wer noch nicht vertraut mit den Online-Werkzeugen ist, lernt den Umgang mit ihnen beim Bedeutung-Schaffen und mit Hilfe der Gruppe und/oder des Lehrenden.

Für einen Austausch innerhalb der Gruppe sollten ebenfalls solche Werkzeuge wie ein Blog oder ein Wiki oder ein Soziales Netzwerk oder kollaborative Onlinetools genutzt werden. Das ist nicht nur notwendig, wenn die Mitglieder der Gruppe nicht gemeinsam vor Ort sind, son-dern in jedem Fall wichtig, damit die Gruppenmitglieder jederzeit auf Teilergebnisse der ge-meinsamen Arbeit zugreifen können und die Arbeit im Projekt nicht immer nur an einen Ort und eine bestimmte Zeit gebunden ist.

Mit diesen Werkzeugen können auch Bedeutungen des Deutungsmuster „1968“ in den Kultu-ren der Lernenden diskutiert werden. In der Tschechischen Republik und bei vielen Menschen im Osten Deutschlands ist mit dieser Jahreszahl sicher auch oder vor allem die Niederschla-gung des Prager Frühlings verbunden, in den USA vielleicht die Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg oder die Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner und die Ermordung Martin Luther Kings am 4. April 1968.

4. Schritt: Etwas mit dem Wissen tun - LernenDas Ergebnis der Gruppenarbeit, das Wissen über 1968, wird online und wenn möglich auch offline präsentiert und diskutiert. Zur Vorbereitung dafür ermöglichen Werkzeuge des Social Web wiederum unterschiedliche Herangehensweisen und Ergebnisse und wiederum können Lernende diejenigen Inhalte und Ressourcen wählen, die am besten zu ihnen passen.

Denkbar wären Texte in Blogs oder Wikis. Denkbar wären Videos auf YouTube oder kommen-tierte Fotoalben auf Flickr oder in einem Blog, die Aspekte von Alltagsleben als Beispiele für den kulturellen Wandel in Deutschland durch und nach 1968 zeigen und kommentieren. Denkbar wären Präsentationen, die über Slideshare oder Prezi veröffentlicht werden. Denkbar wäre auch, das gesammelte Wissen in einem E-Book zusammenzustellen.

Eine Veröffentlichung im Netz, das Teilen des Wissens mit anderen, ermöglicht auch gegensei-tiges Kommentieren. Zu dem Schritt „etwas mit dem Wissen tun“ gehört auch, dass die Grup-pen die präsentierten Ergebnisse der anderen kommentieren oder diskutieren.

Erst in einer solchen Verarbeitung des gesammelten Wissens und in einem solchen Gedanken-austausch findet Lernen statt.

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In einem Interview auf taz.de vergleicht Rainald Grebe 20-Jährige von heute mit 20-Jährigen von 1968:

„... Ressourcenschonung, Klimawandel - wenn heute Janis Joplin davon reden würde! Oder nehmen Sie "Nachhaltigkeit": Damals hieß es "die young" und: "Man kann schlafen, wenn man tot ist." 20-Jährige von heute reden ganz anders, die sind schon so straight drauf ...“

Dieses Zitat könnte ein Ausgangspunkt für eine abschließende Diskussion on-/oder offline sein, wenn sich 2o-Jährige heute davon angesprochen fühlen.

LiteraturAltmayer, Claus. (1997). Zum Kulturbegriff des Faches Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht [Online], 2(2), 25 pp. http://zif.spz.tu-darmstadt.de/jg-02-2/beitrag/almayer3.htm

Altmayer, Claus. (2002). Kulturelle Deutungsmuster in Texten. Prinzipien und Verfahren einer kulturwissenschaftlichen Textanalyse im Fach Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift für Inter-kulturellen Fremdsprachenunterricht [Online], 6(3), http://zif.spz.tu-darmstadt.de/jg-06-3/beitrag/deutungsmuster.htm

Altmayer, Claus: Kultur als Hypertext. Zur Theorie und Praxis der Kulturwissenschaft im Fach Deutsch als Fremdsprache. Iudicium Verlag München 2004.

Altmayer, Claus (2007): Von der Landeskunde zur Kulturwissenschaft. Innovation oder Mode-trend? – In: Germanistische Mitteilungen 65/2007. – Online am 03.11.2008: http://www.bgdv.be/gm65/GM65_altmayer.pdf

Aufenanger, Stefan: Keynote von Prof. Dr. Stefan Aufenanger (Universität Mainz, Erziehungs-wissenschaft und Medienpädagogik): “‘Gefällt mir!’ – Besser Lernen mit digitalen Medien” http://youtu.be/v78gOFnUoLA (Veröffentlicht am 06.02.2013)

Bernhardt, Thomas und Marcel Kirchner: E-Learning 2.0 im Einsatz – Online am 26.07.2013. URL: http://elearning2null.de/learnmedia/Bernhardt-Kirchner_E-Learning-2.0-im-Einsatz.pdf

Bernhardt, Thomas und Marcel Kirchner: Lerntheoretischer Hintergrund. In: E-Learning 2.0. Gemeinschaftlich geführte Weblog der Wissenschaftlichen Mitarbeiter und Promotionsstu-denten Thomas Bernhardt (Uni Bremen) & Marcel Kirchner (TU Ilmenau) zum Thema “E-Le-arning 2.0ʺ″.Online am 26.07.2013. URL: http://www.elearning2null.de/publikationen/expose/2-lerntheoretischer-hintergrund/ .

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Deeg, Christoph: Der digitale Bildungs-GAU und was wir dagegen tun sollten… Online am 29.07.2013 unter http://crocksberlin.wordpress.com/2013/07/28/der-digitale-bildungs-gau-und-was-wir-dagegen-tun-sollten/

Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales Handbuch. Herausgegeben von Krumm , Hans-Jürgen ; Kosta , Peter ; Fandrych , Christian ; Hufeisen , Britta ; und Riemer , Claudia Berlin, New York (DE GRUYTER MOUTON) 2010.

D@dalos – Internationaler UNESCO Bildungsserver für Demokratie-, Friedens- und Men-schenrechtserziehung: Online-Lehrbuch Web 2.0. Online: http://www.dadalos-d.org/web20/inhalt.htm

Downes, Stephen: Connectivism and the Primal Scream (25. Juli 2013)- Online: http://halfanhour.blogspot.de/2013/07/connectvism-and-primal-scream.html

Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt a.M. - Suhrkamp Verlag 1987 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 696)

Hall, Edward T.: The Hidden Dimension. Anchor Books, Garden City, 1966. Deutsche Über-setzung: Die Sprache des Raumes. Pädagogischer Verlag Schwann, Düsseldorf 1976.

Hofstede, Geert: Culture's Consequences : Comparing Values, Behaviours, Institutions and Organizations Across Nations. - Thousand Oaks CA: Sage Publications, 2001.

Krumm, H.-J.: Landeskunde Deutschland, D-A-CH oder Europa? Über den Umgang mit Vers-chiedenheit im DaF-Unterricht. – In: Info DaF. Informationen Deutsch als Fremdsprache 25, 5 (1998), S. 523-544.

Nees, Greg : Germany. Unraveling an Enigma. Intercultural Press: Yarmouth, Maine USA, 2000

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Pauls, Tom: Die sächsischen Wörter des Jahres 2008. - Webseite des Tom-Paulös-Theaters Pir-na. - URL http://www.tom-pauls-theater-pirna.de/index.php?node=87& am 28.07.2013.

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Rheingold, Howard: Net Smart: How to Thrive Online. Mit Press 2012

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Siemens, George: Connectivism: http://www.connectivism.ca/

Siemens, George (2005): What is learning?: http://www.connectivism.ca/?p=14

Tushar Chaudhuri und Csilla Puskás: Interkulturelle Lernaktivitäten im Zeitalter des Web 2.0. Erkenntnisse eines telekollaborativen Projektes zwischen der Hong Kong Baptist University und der Justus-Liebig-Universität Gießen – In: Informationen Deutsch als Fremdsprache • 38. Jahrgang • Heft 1 • Februar 2011. – Online am 14.07.2013: http://www.iudicium.de/InfoDaF/contents/InfoDaF_2011_Heft_1.htm

Wesch, Michael: Vortrag “A Portal to Media Literacy”, (17. Juni 2008 an der University of Ma-nitoba). – Online: http://youtu.be/J4yApagnr0s

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