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Lang Lang Donnerstag 28. April 2016 20:00

Lang Lang - Kölner Philharmonie · Les Saisons (Die Jahreszeiten) op. 37 b CS 124 – 135 (1875 – 76) Janvier. ... Juin. Barcarolle (Barkarole) Juillet. Chant du faucheur (Schnitterlied)

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Lang Lang

Donnerstag28. April 201620:00

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Sollten Sie elektronische Geräte, insbesondere Mobiltelefone, bei sich haben: Bitte schalten Sie diese unbedingt zur Vermeidung akustischer Störungen aus.

Wir bitten um Ihr Verständnis, dass Bild- und Tonaufnahmen aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet sind.

Wenn Sie einmal zu spät zum Konzert kommen sollten, bitten wir Sie um Verständnis, dass wir Sie nicht sofort einlassen können. Wir bemühen uns, Ihnen so schnell wie möglich Zugang zum Konzertsaal zu gewähren. Ihre Plätze können Sie spätestens in der Pause einnehmen.

Bitte warten Sie den Schlussapplaus ab, bevor Sie den Konzertsaal verlassen. Es ist eine schöne und respektvolle Geste gegenüber den Künstlern und den anderen Gästen.

Mit dem Kauf der Eintrittskarte erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihr Bild möglicherweise im Fernsehen oder in anderen Medien ausgestrahlt oder veröffentlicht wird.

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Lang Lang Klavier

Donnerstag 28. April 2016 20:00

Pause gegen 21:00 Ende gegen 22:00

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PROGRAMM

Peter Iljitsch Tschaikowsky 1840 – 1893,Les Saisons (Die Jahreszeiten) op. 37 b CS 124 – 135 (1875 – 76)Janvier. Au coin du feu (Am Kamin)Février. Carnaval (Karneval)Mars. Chant de l’alouette (Lied der Lerche)Avril. Perce-neige (Schneeglöckchen)Mai. Les nuits de mai (Weiße Nächte)Juin. Barcarolle (Barkarole)Juillet. Chant du faucheur (Schnitterlied)Août. La moisson (Die Erntezeit)Septembre. La chasse (Die Jagd)Octobre. Chant d’automne (Herbstlied)Novembre. Troïka (Troika)Décembre. Noël. Tempo di valse (Weihnachtszeit)

Johann Sebastian Bach 1685 – 1750,Konzert für Klavier F-Dur BWV 971 (1734)»Italienisches Konzert«[Allegro]AndantePresto

Pause

Frédéric Chopin 1810 – 1849Scherzo h-Moll op. 20 (1835)

Scherzo b-Moll / Des-Dur op. 31 (1837)

Scherzo cis-Moll op. 39 (1839)

Scherzo E-Dur op. 54 (1842/43)

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ZU DEN WERKEN

Für echte Poeten – Peter I. Tschaikowskys

Die Jahreszeiten op. 37 b

»Ich bin sehr in Stimmung, mich jetzt mit Klavierstücken zu beschäftigen.« Das antwortete Peter Iljitsch Tschaikowsky Ende November 1875 dem Petersburger Verleger Nikolaj Bernhard. Die-ser hatte die reizvolle Idee, in seiner Zeitschrift Nouvelliste jeden Monat ein passendes Charakterstück zu veröffentlichen. Die kon-kreten Titel sowie kleine Verse bekannter russischer Dichter wie Alexander Puschkin, Leo Tolstoi oder Appolon Maikow gab er als Vorlage, vielleicht wurden die Zitate aber auch erst später mit der Musik verbunden. Tschaikowsky komponierte peu à peu zwölf Werke für die Ausgaben der Zeitschrift ab Januar 1876. Exklusiv für Abonnenten publizierte der Verlag noch im selben Jahr eine mit pittoresken Kupferstichen geschmückte Gesamtausgabe aller zwölf »Morceaux caractéristiques« (Charakterstücke) unter dem Titel Die Jahreszeiten. Sie bilden ein umfangreiches Werk von ca. 40 Minuten Spielzeit.

Einiges für Klavier solo hatte der damals 35-jährige Tschai-kowsky ja bereits vorgelegt, darunter eine gewichtige Sonate cis-Moll und das brillante, vom Klaviervirtuosen Franz Liszt beeinflusste Valse-caprice op. 4 (1868), außerdem über 20 Charak-terstücke unterschiedlicher Schweregrade. Einen echten Coup hatte er jedoch mit seinem am 25. Oktober 1875 vom deutschen Star-Pianisten Hans von Bülow in Boston uraufgeführten ersten Klavierkonzert gelandet. Ein Klassiker bis heute. Dennoch fristet die Solo-Klaviermusik Tschaikowskys (sie passt auf sieben CDs) ein Schattendasein. Auch der Wert der Jahreszeiten-Sammlung wurde lange unterschätzt. Die zwölf Nummern sind von Robert Schumanns poetischen Charakterstücken und Felix Mendels-sohns Lieder ohne Worte inspiriert. Sie führen die Vorbilder aber sehr eigenständig weiter und bereiten damit den Klavierstü-cken der russischen Schule des ausgehenden 19. Jahrhunderts den Weg (Rachmaninow, Medtner und Skrjabin). Geschickt ver-bindet der viel gereiste Tschaikowsky eine deutsche Tradition mit russisch-slawischem Tonfall. Die vokalen Themen weisen gleichsam auf benachbarte Lieder und auf die für die russische

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Pianistenschule insgesamt wichtige »Kunst des Singens auf dem Klavier«, wie der deutsch-russische Pianist Lev Vinocour im entsprechenden Band der Neuen Tschaikowsky-Gesamtausgabe erklärt.

Die beiden populärsten Nummern aus den Jahreszeiten sind die melancholisch’ getönte Barkarole g-Moll (Juni), die in zahl-reichen Arrangements existiert, sowie das allmählich in Fahrt kommende November-Stück Troïka, das der Pianist Sergej Rach-maninow gerne als Zugabe spielte. Der Titel meint das typisch russische Dreigespann vor einer Kutsche oder einem Schlitten. Bemerkenswert ist die Vielfalt der Stücke. Einige nutzen die Möglichkeiten des Flügels für delikate, teils impressionistische Klangeffekte wie das von Koloraturen geprägte elegische Lied der Lerche (März) oder das naturmagische Weiße Nächte (Mai). Andere wiederum wirken fast volkstümlich, so das bäuerliche Schnitterlied (Juli). Bemerkenswert auch die an manchen Stellen hervortretenden Mittelstimmen oder Bässe, die für die russische Klavierschule ebenfalls stilbildend sind. Atmosphärisch beginnt Tschaikowsky mit dem auch im Titel an Schumann erinnernden Genrestück Am Kamin (Januar).

Viele der Titel sind nur mit Kenntnis der russischen Kultur zu ver-stehen. So erinnert das schwungvolle Februar-Stück Masleniza (in den Ausgaben mit Carnaval übersetzt) an die auch heutzu-tage noch gefeierte »Butterwoche«, in der mit Pfannkuchen und anderen süßen Köstlichkeiten die orthodoxe Fastenzeit eingelei-tet wird.

Das Schneeglöckchen

Das Schneeblümchen schautSo bläulich und weiß.Und ringsum tautLetzter Schnee und Eis.Ihr Tränen, geweintUm vergangenes Leid,Mit Träumen vereintVon glücklicher Zeit.

Appolon Maikov (1821 – 1897), Vorlage für Tschaikowskys Klavierstück April (Schneeglöckchen) aus den Jahreszeiten op. 37 b, deutsche Übersetzung von Reinhard Lauer

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Das vierte Stück mit seiner süßen Melodie über sanft pulsie-renden Akkorden ist hingegen den Schneeglöckchen (Gedicht siehe S. 4) gewidmet, die als Vorboten des Frühlings Anfang April durch die Schneedecke brechen. Für die dort lebenden Menschen ist das nach dem harten Winter ein echtes Ereig-nis. Noch der emigrierte Komponist Igor Strawinsky erinnerte sich lebhaft an »den heftigen russischen Frühling, er schien in einer Stunde zu beginnen, und die ganze Erde schien mit ihm aufzubrechen. Das war das herrlichste Ereignis in jedem Jahre meiner Kindheit.« Im August erntet die Bauernfamilie vor allem Getreide und singt dazu bei Tschaikowsky in synkopisch geschäftigen Rhythmen, während eine kraftvolle Oktaven-Fan-fare die Jagd im September eröffnet. Auch eine Spur Chopin weht übrigens durch den Zyklus. So ist das Herbstlied (Oktober) eine zauberhafte d-Moll-Nocturne, und ein gemütlich schun-kelnder Walzer in As-Dur beschwört die russische Weihnachts-zeit (Dezember), die nach russisch-orthodoxer Zeit eigentlich erst am 6. Januar (Heiligabend) startet. Viele Bräuche sind auch mit diesen Tagen verbunden, so das Wahrsagen oder der fröhliche Tanz um den Weihnachtsbaum.

Für echte Liebhaber – Johann Sebastian Bachs

Italienisches Konzert BWV 971

»Denen Liebhabern zur Gemüths-Ergötzung verfertigt«. So steht es, etwas geschwollen, über dem Erstdruck von Johann Sebastian Bachs Italienischem Konzert BWV 971. Das mögen wohlhabende »Liebhaber« gewesen sein, die 1735 über ein als Instrument empfohlenes »Clavicymbel mit zweyen Manualen« verfügten, also einem modernen Cembalo mit zwei Tastatur-ebenen. Doch Bach richtete sein Werk so ein, dass es auch auf einer einzigen Tastatur spielbar war und gut klang. Daher funk-tioniert es auch wunderbar auf einem modernen Konzertflü-gel, wo ja außerdem eine sehr dynamische Spielweise möglich ist. In diesem so bezeichneten »Concerto nach Italiænischem Gusto« orientierte sich der Leipziger Thomaskantor einmal

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mehr an den Orchesterkonzerten seines italienischen Kollegen Antonio Vivaldi (1678 – 1741). In den Werken des Venezianers wechseln sich Tutti (Orchester) und Solo (Solist mit einzelnen Begleitstimmen) permanent ab. Bach erzeugt diesen Effekt auf dem Cembalo mit den erwähnten zwei Manualen, die dafür laut und leise registriert werden müssen.

Bereits der damalige Musikologe und Komponist Johann Adolph Scheibe (1708 – 1776) pries Bachs Italienisches Konzert als »ein vollkommenes Muster eines wohleingerichteten ein-stimmigen Concerts«. Dass es sich bei diesem Pianowerk quasi um den Klavierauszug eines Orchesterwerks handelt, bewei-sen Details wie etliche den Streicherklang imitierende mittlere Akkordlagen der linken Hand. Im nach Moll geführten Andante-Mittelsatz übernimmt die linke Hand sogar Bassstimme und Streicherbegleitung gleichzeitig, während sich die rechte Hand in einem freien Solo entfaltet – an eine Geige oder Oboe wäre zu denken. Die Verzierungen sind darin im Gegensatz zu ande-ren Bach-Werken genau ausgeschrieben, offenbar traute er den »Liebhabern« die professionelle Auszierung der Melodie nicht zu oder wollte einfach nur seine Kunstfertigkeit demonstrieren. Das flotte Finale (Presto) entspricht mit seinen auf beide Pianis-tenhände verteilten Stimmen am ehesten Bachs Personalstil.

Für echte Virtuosen – Frédéric Chopins vier Scherzi op. 20, 31, 39 und 54

»Im Salon spiele ich den Ruhigen, aber zu Hause donnere ich auf dem Klavier«. Das bekannte der Pole Frédéric Chopin, als er in Wien vom Warschauer Novemberaufstand 1830/31 gegen das bevormundende zaristische Russland hörte. Am liebsten wäre der 20-Jährige sofort heimgekehrt, um seine Landsleute zu unterstützen. Auf Rat seiner Freunde tat er es nicht und ließ sich wenig später in Paris nieder. Doch war es nur wütender Patrio-tismus, der ihn zu solch pianistischer Kraft verführte? Nicht nur. Chopin liebte es, wenn der Klaviervirtuose Franz Liszt seine Stü-cke interpretierte – feuriger und extrovertierter als er selbst. »Ich

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möchte so spielen können wie er«, gestand er dann und verzieh dem Freund auch die eine oder andere freie Zutat. Er selbst wurde ja eher für seinen feinen Anschlag und sein vornehmes Spiel gelobt. Doch wenn es sein musste, konnte er kraftvoll zugreifen. Besonders wichtig ist die bisweilen donnernde Pranke in seinen vier Scherzi. Beethoven hatte solch rasant-bizarren Tanzsätze in seine Klaviersonaten integriert, auch Chopin in seine zweite und dritte Sonate. Doch er machte daraus außerdem hochvirtuose Einzelstücke für den Konzertgebrauch. Vier davon entstanden verteilt über sein Leben.

Bereits die zwei signalartigen Akkorde (hoch-tief), mit denen sein erstes Scherzo h-Moll op.  20 anhebt, markieren den Auf-bruch in eine exaltierte Romantik. Als teuflischer Spuk wur-den die vom Instrumentalisten zu bewältigenden Griffe und das aufgeregt umherirrende Passagenwerk angesehen. Die Rahmenteile des um 1831 konzipierten, aber erst 1835 für den Druck abgeschlossenen Scherzo sind spannungsreich ange-legt: Die tobenden Läufe münden immer wieder in ein sono-res Kontrastthema. Zwischen den Extremen scheint es keinen Ausweg zu geben. Erst das im Dur-Mittelteil angestimmte pol-nische Weihnachts-Wiegenlied »Lulajze Jezuniu, lulajze, lulaj«, (Schlaf, kleiner Jesus, schlaf) entrückt in die heile Welt der Kindheit. Frühe Biografen deuteten diese Stelle als Heimweh des Emigranten nach der verlorenen Heimat. Ungestüm kehrt danach der erste Teil wieder, in dem wiederum der kämpferi-sche Patriotismus des stolzen Polen erkannt wurde. Die Coda kulminiert in einem dissonanten zehnstimmigen Akkord, der neunmal hintereinander in höchster Lautstärke gehämmert wird, ehe die Auflösung erfolgt. Der britische Verleger Chris-tian Wessel publizierte dieses Scherzo unter dem reißerischen Titel »Banquet infernal« (Höllenbankett), was Chopin allerdings überhaupt nicht gefiel.

Das zweite Scherzo b-Moll / Des-Dur op.  31, komponiert und gedruckt 1837, gehört zu den meistgespielten der Serie. Sicher hat der markante Anfang mit seinem raunenden Unisono-Roll-motiv und der kraftvoll antwortenden Akkord-Fanfare großen Anteil an der Popularität. Diese Takte bleiben sofort im Ohr hän-gen. Ansonsten bestimmen weiträumiges Passagenwerk und

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ein singbares zweites Thema die Außenteile. Kontrastreich dazu gestaltet ist der im Tempo verbreiterte Mittelteil im zur Grund-tonart denkbar weit entrückten A-Dur. Der ruhigen Melodie in warmer Mittellage werden rasant-leichfüßige Girlanden gegen-übergestellt und gipfeln in einer dramatischen Variante der Hauptmotive. Dann folgen die Wiederholung des Anfangsteils und ein drängend beschleunigter Schluss.

Während eines von Ängsten bestimmten Mallorca-Winteraufent-halts 1838/39 mit der Schriftstellerin George Sand (1804 – 1876) konzipierte Chopin sein drittes Scherzo cis-Moll op. 39. Vollendet wurde es freilich erst nach seiner Rückkehr nach Frankreich auf Sands Anwesen in Nohant-Vic. Die Noten erschienen erstmals 1840. Auch hier ist das Thema kontrastreich angelegt. Einem schweifenden Unisono-Motto folgen wild gehämmerte Oktav-Staccati. Etwas später weichen diese einem ganz besonderen Seitenthema: Einem Choral in Dur antworten sanft rieselnde Diskant-Arabesken. Der Biograf Adolf Weissmann deutete darin »Glockenklang und herabsteigende Engelstimmen«. Aus diesen beiden Themen baut Chopin das Stück auf, steigert es förmlich von innen heraus und bekrönt es nach der letzten Wendung des Choralmotivs vom trübem e-Moll zum erlösenden Cis-Dur mit einer überaus kraftvollen Coda.

Das vierte Scherzo E-Dur op. 54, wurde 1842 komponiert und im folgenden Jahr publiziert. Die Stimmung »ist tatsächlich viel heller, als sei es gewissermaßen geläutert aus dem Sturmesto-ben der drei ersten Scherzi hervorgegangen«, erläutert der Bio-graf Camille Bourniquel. Ein hopsender Rhythmus, permanent auf- und abschnellendes Passagenwerk sowie luftige Staccati prägen die Außenteile. Manch einer sah darin tanzende Elfen ihr Unwesen treiben. Gesanglich gestaltet ist das mittlere Thema mit seiner zwischen Dur und Moll changierenden Melancholie. Überall ist vom Pianisten Eleganz und Klangdelikatesse gefragt – extrem farbig ist die Harmonik.

Aus einer trudelnden Bewegung heraus wird zur modifizierten Wiederholung des ersten Teils übergeleitet. Dann schließt auch hier eine raffinierte Coda das Ganze ab: Sie entgleitet zunächst tonmalerisch in die hohe Lage, zum Ende hin wird das Tempo

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angezogen und die Musik mündet in eine kühn über die ganze Tastatur aufrauschende Tonleiter. Wirklich alles in den vier Scherzi unterstreicht Robert Schumanns Behauptung, dass Chopin »sein Instrument kennt wie kein anderer«.

Matthias Corvin

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WEITERHÖREN

Exzentrisches Glitzern und irrealer Trost

Diskographische Anmerkungen zu den vier Scherzi von Chopin

Wenn aus Häufigkeiten Gesetze entstünden, so würden die Balladen und Scherzi von Frédéric Chopin längst ein legitimes Geschwisterpaar bilden. So oft werden diese beiden Vierer-Werkgruppen auf CDs gemeinsam gruppiert. Mit guten Gründen. Denn Chopin geht in seinen Scherzi weit über das hinaus, was die Bezeichnung suggeriert. Mit dem Scherzo einer Beethoven- oder Bruckner-Sinfonie haben seine Werke nur wenig gemein, zu groß ist der erzählerische Charakter, zu groß die dramatische Bandbreite und stellenweise zu gemischt die formale Anlage. Insofern erscheinen sie wie – Balladen…

Die Zahl der Gesamteinspielungen ist, verglichen mit den Ein-zel-Aufnahmen, deutlich übersichtlicher. 1932 hat Artur Rubin-stein alle vier Scherzi festgehalten – es blieb lange Zeit die ein-zige Gesamtaufnahme. Noch zwei weitere Male hat Rubinstein diese Werke dokumentiert. Doch die frühe Aufnahme hat etwas Exzentrisches, etwas Ungezähmtes, allen poetischen Feinhei-ten zum Trotz. Später kostet Rubinstein die Schön heiten mehr aus, sein Spiel erscheint runder, hier jedoch hat sein Spiel etwas ungeschliffen Brillantes. Genau das macht diese Auf-nahme, neben ihrem historischen Wert, zu etwas Besonderem (Naxos).

Als exzentrisch galt und gilt auch immer noch die Aufnahme mit Ivo Pogorelich aus den 1990er Jahren. Pogorelich kann nichts erschüttern, er erschüttert sich beim Spielen dieser Musik selbst. Bereits das erste Scherzo trägt von Beginn an fratzenhaft-gro-teske Züge, das Trio erscheint daher wie eine Mischung aus irre-alem Trost und erlösender Zuflucht. Pogorelich ist ein Suchender, der die Extreme dieser Musik bis in den letzten Winkel verfolgt, dabei ungemein klar in der Gestaltung, nie pedalverwässernd. Ein Sonderfall ist diese Aufnahme, aufrüttelnd, wachrüttelnd, verstörend (DG).

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Als nicht ganz so extrem erweist sich der kubanisch-amerika-nische Pianist Jorge Bolet, der die vier Scherzi in den frühen 1950er Jahren aufgenommen hat (heute lieferbar unter dem Titel: »His Earliest Recordings«, apr). Bolet war in späteren Jah-ren ein Grandseigneur am Klavier. Sein Name steht nicht für wil-des, manisches Virtuosentum. Das gilt zwar auch für diese frühe Einspielung, doch geht er hier einen Schritt weiter als in sei-nen späteren Jahren. Er spitzt die Kontraste dieser Scherzi, ihre explosive Kraft auf der einen und ihre Zartheiten auf der ande-ren Seite, sehr stark zu und bringt sie gleichzeitig in eine schlüs-sige Balance, ein permanentes Anspannen und Entspannen. So ist die Ruhe am Beginn des vierten Scherzos, das bei Bolet fast Mendelssohn-Sommernachtstraum-ähnliche Züge trägt, nur trü-gerisch. Als Ergänzung: Im Internet gibt es einen Live-Mitschnitt unter Anmerkung »De Bilt 1978« aus den Niederlanden. In Wahr-heit stammt die Aufnahme von 1973 und aus New York. Trotzdem! Bolet spielt hier furios famos, in großen Bögen, fast verwegen in den rasanten Passagen, entrückt in den Trio-Abschnitten und immer herrlich gesanglich.

Von seiner stilistischen Grund-Tendenz, wenn man so etwas überhaupt einem Musiker unterstellen darf, findet Bolet in Nelson Freire einen Wahlverwandten. Freire, der etwa in den Nocturnes einen herrlich sanften Ton findet, ist bei den Scherzi nicht auf Weichzeichnung aus. Entschlossen, wenn auch nicht so kühn wie Pogorelich, stürzt er sich in die fortissimo-Passagen. Trotzdem kann Freires Aufnahme von 1975 nicht rundum beglü-cken. Das geheimnisvoll-unergründliche Vorwärtsdrängen am Beginn des dritten Scherzos beispielsweise bleibt vage, andeu-tend, diffus – erst spät in diesem Stück positioniert sich Freire als risikolustig und erlebnishungrig (apex).

Von 1977 datiert eine Produktion aus München mit Sviatoslav Richter: Grazil, fast gläsern beginnt er, als habe er Angst, sich an irgendwelchen imaginären scharfen Kanten zu verletzen. Kein Ausbruch ins wirklich Laute. Permanent brodelt es unter der Oberfläche. Die Spannung bleibt hoch, weil man darauf wartet, dass endlich eine Explosion folgt. Sie kommt aber nicht, auch die Aufschreie kurz vor Schluss beinhalten eine für Richter seltsame Reserve. Daher ist dieses erste Scherzo so vielleicht nie wieder

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gespielt worden. Eine seltsame Aufnahme, auch in den drei Schwester-Werken, teils traumhaft, teils irritierend, (alto).

Es gibt eine Reihe von Aufnahmen, die durch Geschlossenheit auffallen: Claudio Arrau 1953 (Philips) oder Emanuel Ax 1985 (Sony), Stephen Hough 2003 (Hyperion) oder auch Chopin-Enzy-klopädist Vladimir Ashkenazy in den 1960er Jahren (Decca). Und auch die Aufnahme mit Cyprien Katsaris hat ihre Meriten, eine eisige Klarheit einerseits und etwas Furchtlos-Keckes anderer-seits (Warner). Dasselbe gilt auch für François-René Duchable, der dem heutigen Klavierzirkus längst abgeschworen hat. Sein Chopin ist ebenso individuell wie aufrüttelnd. Duchable steht für Eigenwilligkeit, aber auch für Brillanz und Tiefgang, weil er sich – wie Katsaris – nie zu schade ist, in den Mittelstimmen nach tiefe-ren Wahrheiten zu forschen. Die Läufe im vierten Scherzo spielt kaum jemand so koboldhaft wie Duchable (Warner).

Wenn wir jetzt das Tor zu den Einzel-Aufnahmen öffnen würden, stünden wir vor einem Labyrinth und fänden nicht mehr heraus. Das zweite und dritte Scherzo hat Martha Argerich mit höchster Nervosität eingefangen, Horowitz hat Maßgebliches zum ers-ten und zweiten Scherzo hinterlassen. Wo anfangen, wo enden? Enden vielleicht bei einer Aufnahme, die aus dem Rahmen fällt, weil sie ein anderes, ein selten gezeigtes und in sich sehr schlüssiges Chopin-Bild anbietet. Lars Vogt zeigt uns auf seinem Album von 2013 Chopin intimer, versonnener, weltenfernter, als viele andere Pianisten, auch und gerade im »Molto più lento« des ersten Scherzo (C-avi-music). Dessen Beginn erinnert bei Vogt fast an Robert Schumanns »Traumeswirren« aus den Fantasie-stücken. Fantasiestück! Das wäre ein passender Titel für jedes der vier Scherzi…

Christoph Vratz

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BIOGRAPHIE

Lang Lang Der Pianist Lang Lang, den die New York Times als den »angesag-testen Künstler der gesamten klassischen Musikwelt« beschreibt, ist umjubelter Gast in den Konzertsälen aller großen Städte welt-weit und spielt stets vor ausverkauftem Haus. Als erster chinesi-scher Pianist wurde er von den Berliner und Wiener Philharmo-nikern sowie von allen führenden amerikanischen Orchestern eingeladen. Das renommierte US-Magazin Time trug diesem Erfolg Rechnung und nahm ihn 2009 in die jährlich erschei-nende Liste der 100 weltweit einflussreichsten Persönlichkeiten auf. 2008 verfolgten über vier Milliarden Menschen Lang Langs Spiel bei der Eröffnungszeremonie der XXIX. Olympischen Spiele in Peking, wo er symbolisch die Jugend und Zukunft Chinas repräsentierte.

Lang Lang begann im Alter von drei Jahren mit dem Klavier-spiel; bereits als Fünfjähriger gewann er den Shenyang-Klavier-wettbewerb und gab seinen ersten öffentlichen Klavierabend.

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Mit neun Jahren ging er ans Zentrale Musikkonservatorium in Peking, mit Dreizehn spielte er in der Beijing Concert Hall die 24 Etüden von Chopin und errang den 1. Preis beim Internatio-nalen Tschaikowsky-Wettbewerb für Junge Musiker im japani-schen Sendai. Sein internationaler Durchbruch gelang ihm als Siebzehnjähriger, als er bei der »Gala of the Century« praktisch in letzter Minute einsprang und dort mit dem Chicago Symphony Orchestra unter Christoph Eschenbach Tschaikowskys Erstes Klavierkonzert aufführte. Dieser Auftritt machte ihn »über Nacht zum Star« und schnell kamen die Einladungen in die besten Konzertsäle der Welt.

Langjährige musikalische Partnerschaften verbinden ihn mit den bedeutendsten Künstlern der Welt, darunter Dirigenten wie Daniel Barenboim, Gustavo Dudamel, Sir Simon Rattle, Nikolaus Harnoncourt und Christoph Eschenbach. Darüber hinaus sucht Lang Lang stets auch den Austausch mit Künstlern, die nicht in der klassischen Musik beheimatet sind – beispielshaft stehen für diese Verbindungen seine Auftritte bei den Grammy Awards mit Metallica, Pharell Williams sowie dem Jazz-Titan Herbie Han-cock, die von einem Millionenpublikum im Fernsehen verfolgt wurden. Lang Langs CD- und DVD-Aufnahmen sind mehrfach preisgekrönt; allein in Deutschland wurde er insgesamt mit acht Klassik-Echos ausgezeichnet, zuletzt für seine Aufnahme der Mozart-Klavierkonzerte mit Nikolaus Harnoncourt und den Wie-ner Philharmonikern.

Seit fast einem Jahrzehnt leistet Lang Lang einen umfassenden Beitrag zur musikalischen Förderung von Kindern weltweit. 2008 gründete der Pianist die »Lang Lang International Music Foun-dation«, die es sich zur Aufgabe macht, durch Musikerziehung mit Unterstützung modernster Technologie und musikalischen Veranstaltungen die nächste Generation zur Heranbildung jun-ger Pianisten und Musikliebhaber zu inspirieren. Die Arbeit für seine Stiftung wurde 2015 mit einem Echo Klassik-Sonderpreis ausgezeichnet.

2013 ernannte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon Lang Lang zum UN-Friedensbotschafter mit Schwerpunkt auf dem Thema der weltweiten Bildung. Lang Lang gehört darüber hinaus im

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Rahmen des Education-Programms der Carnegie Hall dem Beirat des Weill Music Institute an und ist Mitglied des Artistic Advisory Board der Carnegie Hall.

Er erhielt zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen: Vom World Economic Forum wurde er als einer der 250 »Young Global Lea-ders« benannt und erhielt 2010 den Crystal Award in Davos. Im Mai 2011 wurde Lang Lang durch Prinz Charles die Ehrendok-torwürde der Musik des Royal College of Music London verlie-hen. Den gleichen Titel erhielt er im Mai 2012 von der Manhattan School of Music in New York. Zuletzt zeichnete ihn die New York University mit dem Ehrendoktortitel der Schönen Künste aus. Im August 2012 wurde er für seine herausragenden Verdienste um die deutsche Musikkultur mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland geehrt und im Januar 2013 wurde ihm vom französischen Kulturminister der »Ordre des Arts et des Lettres« verliehen.

Lang Langs Autobiographie »Journey of a Thousand Miles« wurde vom Verlag Random House veröffentlicht und liegt in elf Sprachen vor; die deutsche Ausgabe erschien im Ullstein-Verlag. Sein Interesse an der Ausbildung von jungen Menschen bewog ihn, unter dem Titel »Playing with Flying Keys« eine Fassung die-ser Autobiographie speziell für Kinder zu schreiben.

In der Kölner Philharmonie war Lang Lang zuletzt im März 2013 zu hören.

Weitere Informationen über Lang Lang können Sie den Websei-ten www.langlang.com / www.langlangfoundation.org entnehmen.

Generalmanagement:Columbia Artists Music LLC1790 Broadway, New York, NY 10019www.camimusic.com  Jean-Jacques Cesbron 

Deutschlandmanagement: KünstlerSekretariat am Gasteig Elisabeth Ehlers · Lothar Schacke · Verena Vetter oHG Montgelasstraße 2, 81679 München www.ks-gasteig.de 

Lang Lang ist Exklusivkünstler von Sony Music.

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Vom Einsteigerklavier bis zum Konzertfl ügel – besuchen Sie das

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C. Bechstein Centrum KölnIn den Opern Passagen · Glockengasse 6 · 50667 KölnTelefon: +49 (0)221 987 428 [email protected] · bechstein-centren.de

Weitere CDs unter

WWW.LANGLANG.COM

www.facebook.com/sonyclassicalwww.sonymusicclassical.de

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Das aktuelle Album mit den vier Scherzi von Frédéric Chopin und Peter Tschaikowskys Die Jahreszeiten.

Das spektakuläre Konzert aus dem prachtvollen Spiegelsaal von Schloss Versailles ist auf DVD und Blu-ray erhältlich.

LANG LANG IN PARIS

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Redaktion: Sebastian LoelgenCorporate Design: hauser lacour kommunikationsgestaltung GmbHTextnachweis: Die Texte von Matthias Corvin und Christoph Vratz sind Original -beiträge für dieses Heft.Deutsche Übersetzung des Gedichts »Schneeglöckchen«: Reinhard Lauer: Literarisierung der Musik – Čajkovskijs Jahreszeiten, in: Tschaikowsky-Gesellschaft. Mitteilungen 14 (2007), S. 12 – 27.Fotonachweis: Sony Classical/Alix Laveau S. 13

Gesamtherstellung: adHOC Printproduktion GmbH

Kulturpartner der Kölner Philharmonie

Philharmonie-Hotline 0221 280 280 koelner- philharmonie.deInformationen & Tickets zu allen Konzerten in der Kölner Philharmonie!

Herausgeber: KölnMusik GmbHLouwrens LangevoortIntendant der Kölner Philharmonie und Geschäftsführer der KölnMusik GmbHPostfach 102163, 50461 Köln koelner- philharmonie.de