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Zurich Open Repository and Archive University of Zurich Main Library Strickhofstrasse 39 CH-8057 Zurich www.zora.uzh.ch Year: 2013 Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr Verhältnis zum Neuen Testament Vollenweider, Samuel Abstract: Der Essay ist Teil einer kommentierten und mit Essays und Exkursen verbundenen griechisch- deutschen Ausgabe von Epiktets Diatribe ”Über die Freiheit” (IV 1). Der Essay beschäftigt sich mit der Frage von Analogien, von Konvergenzen, Parallelen und Diferenzen zwischen Epiktets theologischen Texten und neutestamentlichen Schriften, besonders den paulinischen Briefen. In einem Anhang wird die Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem Neuen Testament und seiner griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt, ausgewertet. The essay, part of an edition of Epictetus’ dissertation IV 1 (see below), deals with the complex relationship of early Christianity, especially Paul, and the Stoic philosopher Epictetus. A detailed eegesis of parts of diss. IV 1 helps to understand the dimensions of Epictetus’ argument. This is the whole book: ”What is true freedom? Epictetus, Diatribe IV 1.” With an introduction, translation and interpretive essays by Samuel Vollenweider, Manuel Baumbach, Eva Ebel, Maximilian Forschner, Thomas Schmeller. Diatribe IV 1 ”about Freedom” is one of the most compact (and at the same time one of the longest) of Epictetus’ discourses (around 100 AD) which was handed down to us by the historian Arrian. This quintessential text not only combines many pivotal subjects taught by the Stoic but also demonstrates his remarkable art of persuasiveness. In addition to a detailed introduction, the text, the translation and a running commentary, the volume contains a series of essays which are based on passages in the text, and these reveal further Epictetian contexts as well as an analysis of the philosophical background and the contemporary environment. The authors deal with slavery and manumission, Epictetus’ theory of freedom in relationship to the classical Stoic doctrine as well as Epictetus’ theology and its relationship to the New Testament. Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich ZORA URL: https://doi.org/10.5167/uzh-66511 Book Section Originally published at: Vollenweider, Samuel (2013). Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr Verhältnis zum Neuen Testament. In: Vollenweider, Samuel. Epiktet. Was ist wahre Freiheit? Tübingen: Mohr Siebeck, 119-162.

Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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Page 1: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

Zurich Open Repository andArchiveUniversity of ZurichMain LibraryStrickhofstrasse 39CH-8057 Zurichwwwzorauzhch

Year 2013

Lebenskunst als Gottesdienst Epiktets Theologie und ihr Verhaumlltnis zumNeuen Testament

Vollenweider Samuel

Abstract Der Essay ist Teil einer kommentierten und mit Essays und Exkursen verbundenen griechisch-deutschen Ausgabe von Epiktets Diatribe rdquoUumlber die Freiheitrdquo (IV 1) Der Essay beschaumlftigt sich mitder Frage von Analogien von Konvergenzen Parallelen und Differenzen zwischen Epiktets theologischenTexten und neutestamentlichen Schriften besonders den paulinischen Briefen In einem Anhang wird dieEpiktet-Verwendung im rdquoNeuen Wettsteinrdquo einer modernen umfassenden Sammlung der rdquoParallelenrdquozwischen dem Neuen Testament und seiner griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt ausgewertet Theessay part of an edition of Epictetusrsquo dissertation IV 1 (see below) deals with the complex relationshipof early Christianity especially Paul and the Stoic philosopher Epictetus A detailed eegesis of partsof diss IV 1 helps to understand the dimensions of Epictetusrsquo argument This is the whole bookrdquoWhat is true freedom Epictetus Diatribe IV 1rdquo With an introduction translation and interpretiveessays by Samuel Vollenweider Manuel Baumbach Eva Ebel Maximilian Forschner Thomas SchmellerDiatribe IV 1 rdquoabout Freedomrdquo is one of the most compact (and at the same time one of the longest)of Epictetusrsquo discourses (around 100 AD) which was handed down to us by the historian Arrian Thisquintessential text not only combines many pivotal subjects taught by the Stoic but also demonstrateshis remarkable art of persuasiveness In addition to a detailed introduction the text the translation anda running commentary the volume contains a series of essays which are based on passages in the textand these reveal further Epictetian contexts as well as an analysis of the philosophical background andthe contemporary environment The authors deal with slavery and manumission Epictetusrsquo theory offreedom in relationship to the classical Stoic doctrine as well as Epictetusrsquo theology and its relationshipto the New Testament

Posted at the Zurich Open Repository and Archive University of ZurichZORA URL httpsdoiorg105167uzh-66511Book Section

Originally published atVollenweider Samuel (2013) Lebenskunst als Gottesdienst Epiktets Theologie und ihr Verhaumlltnis zumNeuen Testament In Vollenweider Samuel Epiktet Was ist wahre Freiheit Tuumlbingen Mohr Siebeck119-162

Samuel Vollenweider

Lebenskunst als Gottesdienst

Epiktets Theologie und ihr Verhaumlltnis zum Neuen Testament

in S VOLLENWEIDER (Hg) Epiktet Was ist wahre Freiheit Tuumlbingen 2013 (Sapere 22) 119ndash162

Bereits eine schlichte Lektuumlre der Texte Epiktets ruumlckt diesen mehr als jeden anderen kaiserzeitlichen Philosophen in die Naumlhe zur urchristlichen Literatur Dies beginnt mit seiner Sprache Arrian literarisch selber ein Attizist hat das Koinegriechisch der von ihm redigierten Lehrvortraumlge Epiktets getreulich bewahrt Zumal der Diatribenstil laumlsst sich in bestimmten Partien der Paulusbriefe wiedererkennen1 Weiterhin reprauml-sentiert Epiktet geradezu paradigmatisch die hellenistisch-kaiserzeitliche Popularphi-losophie die sich durch ihr besonderes Interesse an einer lebensweltlich handhabba-ren Ethik auszeichnet und damit dasselbe Terrain bearbeitet das auch die Ausbreitung der urchristlichen Religion beguumlnstigt hat Epiktet bietet eine besonders glaubwuumlrdige und authentische Verkoumlrperung der Philosophie als existentiell realisierter Lebens-kunst Bruumlckenschlaumlge zum Christentum erlaubt sodann der spezifische Typ der hel-lenistischen Religiositaumlt die zumal bei Epiktet ein streckenweise theistisches Profil vor dem Hintergrund des allgemein-stoischen Pantheismus annimmt Das Feld der Religion ihrer Riten Mythen und Themen hat seinerseits das besondere Interesse kaiserzeitlicher Philosophen gefunden2 Schliesslich markiert der Stoiker durch seine Herkunft aus dem Sklavenstand ein soziales Niveau das sich von den eher elitaumlren Szenen der meisten Philosophenschulen erkennbar unterscheidet und sich wiederum mit dem sozialen Status urchristlicher Lehrer vergleichen laumlsst Allerdings gilt dies nur fuumlr seine Person sein Schulbetrieb in Nikopolis scheint sich deutlich an Angehouml-rige der Oberschicht gerichtet zu haben

Die Frage nach dem Verhaumlltnis Epiktets zum Neuen Testament wurde im 20 Jahr-hundert meist aufgrund bestimmter Konzeptualisierungen der neutestamentlichen Theologie und Religion einerseits und der philosophischen Theoriebildung und Psy-chagogik andrerseits

1 Zum Problemkreis der bdquoDiatribeldquo so SCHMELLER Einleitung S ders 2012 2 Vgl dazu HIRSCH-LUIPOLD 2009 THOM 2012

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aufgeworfen Wir werden diese Kontrastmodelle pruumlfen stellen ihnen aber einen re-zeptionsgeschichtlichen Zugang voran der auf die vorfindliche Wirkungsgeschichte Epiktets im antiken Christentum fokussiert und damit ein bedeutendes Gegengewicht zu den modernen Systemkonstruktionen darstellt Die Orientierung an der faktischen Rezeptionsgeschichte unseres Philosophen illustriert augenfaumlllig wie die Verhaumlltnis-bestimmungen von Christentum und Stoa bzw von Theologie und Philosophie ihrer-seits erheblichen historischen Wandlungen unterliegen

Erst in einem naumlchsten Schritt wenden wir uns neuzeitlichen Versuchen zu die kom-plexen Wechselwirkungen zwischen Antike und Christentum zu beschreiben Sie ver-binden sich nicht zufaumlllig mit grundlegenden hermeneutischen Fragen insbesondere nach der Relation von Philosophie und Religion oder nach derjenigen von Kultur und Evangelium Wir beschaumlftigen uns sodann exemplarisch mit der theologischen Partie die unsere Diatribe uumlber die Freiheit enthaumllt und fragen dabei nach Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen epiktetischer Philosophie und urchristlicher Theologie Ein spezieller Blick gilt einem Vergleich zwischen Epiktet und Paulus Schliesslich fragt der letzte Teil nach der persoumlnlichen Religion von Epiktet In einem Anhang wird die Verwertung Epiktets im bdquoNeuen Wettsteinldquo einer umfassenden Quellentextsamm-lung zum antiken Hintergrund des Neuen Testaments dokumentiert

1 Paulus statt Sokrates Antike christliche Relektuumlren der Texte Epiktets

Man nimmt durchaus uumlberrascht davon Kenntnis dass Epiktets Werk in der christli-chen Antike zunaumlchst wenig explizite Wirkungen gezeitigt hat3 Die anerkennende Aumlusserung von Origenes wonach Epiktets Texte auch auf einfache Leute einen posi-tiven Effekt ausuumlbten bleibt die Ausnahme4 Umso interessanter nimmt sich die Re-zeption des bdquoethischen Handbuumlchleinsldquo Epiktets des Enchiridion aus Epiktets Text mutiert hier zu einem christlichen Text der Name unseres Philosophen geht dabei spurlos unter Diese Relektuumlre Epiktets die zugleich als Usurpation anzusprechen ist faumlchert sich auf in drei griechische Fas-

3 Zur Wirkungsgeschichte vgl bes das von M SPANNEUT praumlsentierte Material Art

Epiktet RAC 5 (1962) 599ndash681 616ndash628 (nichtchristliche Rezeption) 628ndash678 (christliche Rezeption) Vgl ferner das summierende Urteil von SPANNEUT 2007 19f bdquoEacutepictegravete semble avoir eacuteteacute reccedilu tregraves tocirct dans le monde chreacutetienldquo bdquola peacuteneacutetration drsquoEacutepictegravete dans le monde chreacutetien par citation ou allusion est dans lrsquoensemble assez modesteldquo

4 Orig Cels 62 (= Test 26 SCHENKL) bdquoMan kann jedenfalls wahrnehmen dass sich Pla-ton nur in den Haumlnden von Leuten findet die als Gelehrte gelten waumlhrend Epiktet auch von gewoumlhnlichen Leuten bewundert wird die in sich den Drang fuumlhlen gefoumlrdert zu werden und den guumlnstigen Einfluss bemerken den seine Lehren ausuumlbenldquo

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sungen die allesamt in die Zeit des Uumlbergangs von der Spaumltantike in die fruumlhbyzanti-nische Epoche gehoumlren und auf Adressaten im monastischen Umfeld zielen5 Sie zei-gen einerseits wie nichtchristliche philosophische Texte in erheblichem Umfang an die eigene ndash hier vor allem monastische ndash Tradition vermittelt werden koumlnnen And-rerseits werden bestimmte Bruchlinien erkennbar wo die christliche Rezeption auf je eigenen Wegen die paganen Uumlberlieferungen und Implikationen zu umschiffen oder zu bewaumlltigen versucht

11 Gottesmann und Engel statt Diogenes und Herakles Die Enchiridion-Ver-

sion von Ps-Neilos

Der urspruumlngliche Text des Enchiridion wird in dieser unter dem Namen des Moumlnch-vaters Neilos von Ankyra (um 400) firmierenden Fassung auf weite Strecken hin be-wahrt Es kommt aber zu einigen charakteristischen Variationen6

1 Epiktet spricht in seinem Vergleich des Lebens mit einem Gastmahl wo es be-stimmte Tischregeln zu beachten gibt (vgl Lk 147ndash14) nicht nur vom kontrollierten Warten auf das einem Zukommende sondern auch von der gelegentlich noch besseren Option des Verzichts (Ench 15) Wer sich so verhaumllt wird bdquonicht nur ein Tischge-nosse der Goumltter sein sondern auch an ihrer Macht teilhaben Denn so taten es Dio-genes Herakles und aumlhnliche Maumlnner und darum waren sie mit Recht goumlttlich und wurden mit Recht goumlttlich genanntldquo Die christliche Version (21 fin) spricht demge-genuumlber davon man werde bdquonicht nur ein Gottesmann sein sondern sogar wie ein Engel (τότε οὐ μόνον ἄνθρωπος ἔσῃ θεοῦ ἀλλὰ καὶ ὡς ἄγγελος)ldquo Die Ter-minologie ist biblisch bzw christlich variiert7 der Verweis auf die goumlttlichen Maumlnner fehlt ganz

2 Bestimmte Praktiken und Verhaltensregeln werden ausgeblendet da sie nicht dem christlichen Ethos entsprechen So fehlen die Abschnitte zur Mantik zur Sexua-litaumlt oder zu den oumlffentlichen Spielen8

3 Interessant sind insbesondere die Umformungen in der Schlusspassage Die Saumltze uumlber Sokrates (Ench 513) fehlen (Neilos 71a71b) ebenso die eher technische Belehrung uumlber die Dreiteilung der Philosophie (Ench 52 ndash Neilos 71a71b) Instruk-tiv ist vor allem das Fehlen der den gesamten Traktat summierenden aus Zitaten be-stehenden Kernsaumltze (Ench 531ndash3 ndash Nil 71b) Eliminiert wird sowohl der

5 Die Texte mit Einleitungen bietet BOTER 1999 Zur zeitlichen Ansetzung vgl 157 206

260 Anm 2 6 Vgl die Zusammenstellung von BOTER 1999 158ndash160 7 Der ἄνθρωπος θεοῦ ist Standardausdruck der LXX fuumlr den bdquoGottesmannldquo (Mose Pro-

pheten) Fuumlr bdquowie ein Engelldquo vgl zB Mk 1225 par Apg 615 ActPaulThekl 3 von Christus EpApost 14 AscJes 930

8 Mantik Ench 32 ndash Neilos 38c39 Sexualitaumlt Ench 338 ndash Neilos 4546 Ench 41 ndash Nei-los 60 Spiele Ench 3310 ndash verkuumlrzt und verboten bei Neilos 47

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Vers des Kleanthes der von Zeus und dem personifizierten Schicksal spricht (SVF 1 527 vgl 2 975) wie der Vers des Euripides mit dem Wissen um bdquodas Goumlttliche (τὰ

θεῖα)ldquo Das letzte Sokrateswort wird verkuumlrzt in den Mund derer gelegt die Paulus imitieren (Ench 534) Aus der sokratisch-epiktetischen Affirmation bdquoAnytos und Meletos koumlnnen mich zwar toumlten aber schaden koumlnnen sie mir nichtldquo wird in der christlichen Version das Folgende

bdquoAuch Paulus lebte auf diese Weise indem er auf sich selber achtete und auf nichts anderes als den Logos achtete Du auch wenn du noch nicht Paulus bist solltest leben als wolltest du Paulus sein sbquoMan kann mich zwar toumlten mir aber nicht schadenlsquoldquo9

In unserer Version fehlen weitgehend die Namen von griechischen Philosophen und mythologischen Figuren Die Ausfuumlhrung uumlber die Froumlmmigkeit (Ench 31) bleibt er-halten aber es wird konsequent vom Plural bdquoGoumltterldquo auf bdquoGottldquo umgestellt

Es wird deutlich wie mindestens zwei fundamentale Referenzgroumlssen ersetzt werden Fuumlr Sokrates und andere Klassiker ruumlckt Paulus ein polytheistische Aussagen werden monotheistisch umgeschrieben Auffaumlllig ist aber auch das Fehlen von Bezuumlgen auf die Bibel Manches bleibt stehen was moderne Leser als wenig christlich empfinden moumlgen10

12 Der eine Gott statt der vielen Goumltter Die Version des Vaticanus Gr 2231

(Vat)

Diese Version des Enchiridion bleibt dem Ursprungstext am naumlchsten11 manches bleibt stehen was bei Ps-Neilos ausgelassen wird Anders steht es natuumlrlich um die obligatorische Ersetzung polytheistischer durch monotheistische Terminologie (zB Ench 31 ndash Vat 37) und paganer Autoritaumlten durch christliche 12 Wir beruumlcksichtigen lediglich den Schlussteil (Ench 53 ndash Vat 73) Im Gebet des Kleanthes wird anstelle von Zeus und Schicksal Gott angerufen

9 Die Aumlusserung zu Paulus variiert die epiktetische uumlber Sokrates (Ench 513 bdquoDu aber

auch wenn du noch kein Sokrates bist solltest so leben als ob du Sokrates sein wolltestldquo) die zwischen 71a und b weggelassen wird

10 Das summierende Urteil von BOTER 1999 160 ist zu normativ orientiert bdquoAll in all we may conclude that the attempt to adapt Ench to orthodox Christian purposes can be regar-ded as a failureldquo aumlhnlich auch SPANNEUT 1962 664 ( bdquobisweilen uumlberrascht uns seine Duldsamkeit gegenuumlber dem Text Er hat den Bann aufrechterhalten mit welchem die Stoiker das Mitleid belegenldquo)

11 BOTER 1999 259 bdquothe text is even less consistently christianized than Nil not to speak of Par [= Enchiridii Paraphrasis Christiana SV dazu gleich unten]ldquo detailliert nachgew-iesen 259ndash262

12 Paulus ersetzt Sokrates (Ench 53 ndash Vat 73) diverse Vaumlter ersetzen Diogenes Herakles Sokrates Salomo ersetzt Chrysipp

123

bdquoFuumlhre mich o Gott und (du) alles durchdringende schoumlpferische und bewegende Ursache an den Ort der mir einst von euch bestimmt wurde hellipldquo13

Die Saumltze des Euripides und des platonischen Sokrates werden bewahrt wobei die Goumltter durch bdquoGottldquo und die bei Platon namentlich genannten Sokratesgegner durch bdquoboumlse Menschenldquo ersetzt werden

13 Der Heiland und der Heilige Geist anstelle von Zeus und Schicksal Die

Enchiridii Paraphrasis Christiana (Par)

Diese Version unter dem handschriftlichen Titel bdquoUnterweisungenldquo (ὑποθῆκαι) die zu Unrecht als bdquoParaphraseldquo bezeichnet wird ist deutlich christlicher gehalten als die beiden anderen Vor allem finden sich hier nun auch zahlreiche Schriftbezuumlge die ein grundlegend veraumlndertes Referenzsystem signalisieren14 Wir beschraumlnken uns auf ei-nige wenige Hinweise

1 Verschiedene Auslassungen oder Veraumlnderungen decken sich mit Ps-Neilos so die Umstellung auf den einen Gott oder der Verzicht auf die Belehrung uumlber die Man-tik statt vom Opfern ist vom Almosengeben die Rede15 Anders als bei Ps-Neilos (43) fehlt die Nennung des Schwoumlrens Anstelle von Sokrates figurieren bdquoApostel und Maumlrtyrerldquo bzw bdquoder Apostelldquo16 Die Sokrates-Mimesis die Ench 513 empfiehlt wird in Par 69 auf Paulus uumlbertragen (vgl Ps-Neilos 71b) verbunden mit dem Zitat von 2Tim 47 Die Adressaten sind nun nicht mehr bdquoPhilosophenldquo sondern bdquoAnacho-retenldquo oder bdquoHesychastenldquo (Ench 22 46 ndash Par 291 601) und aus der bdquoPhilosophieldquo ist ein bdquotugendvoller Lebenswandelldquo geworden (Ench 22 ndash Par 291)

2 Charakteristisch ist wiederum die Umformung des Schlussteils (Ench 53 ndash Par 70ndash71) wo die Hinweise auf antik-pagane Klassikertexte unkenntlich gemacht wer-den Das epiktetische generelle bdquoBereithaltenldquo wird spezifiziert im Blick auf widrige Umstaumlnde (bdquoPeristasenldquo) und Versuchungen Das Gebet des Kleanthes (SVF 1 527) lautet nun so

bdquoFuumlhre uns o Heiland du und der Heilige Geist wo und wie es (euch) recht ist hellipldquo (Par 701f)

Der euripideische Vers wird elegant transformiert und mit dem ersten Platonzitat ver-schraumlnkt

bdquoWer aber freiwillig und gehorsam Gott folgt gilt bei uns als weise und bei Gott als befreundet Wir beten aber darum dass uns das was mit Gott befreun

13 Diese Redefinition des Schicksals ist nicht speziell christlich sie stammt vielmehr aus

dem Enchiridion-Kommentar des Neuplatonikers Simplikios (6 Jh) 7111ndash13 (p 452 H vgl dens in Aristot phys 413 [CAG 9 7555])

14 Detaillierte Nachweise bei BOTER 1999 206ndash211 15 Mantik Ench 32 ndash Par 38 wo dafuumlr mit Bezug auf Mt 67f10 vom Gebet gehandelt

wird ndash Opfer Ench 315 ndash Par 37 16 Ench 5 ndash Par 72 603 (sc Paulus)

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det ist zuteil werdeldquo (703f ὅστις δὲ ἑκὼν εὐπειθῶς ἕπεται θεῷ σοφὸς παρ᾽ ἡμῖν καὶ θεῷ δὲ προσφιλήςmiddot ὃ γὰρ τῷ θεῷ φίλον τοῦτο ἡμῖν γενέσθαι εὐχόμεθα)

Das zweite Platonzitat uumlber diejenigen die wohl toumlten nicht aber schaden koumlnnen wird um einige Peristasen erweitert und gipfelt im Jesuswort Mt 1028a bdquoFuumlrchtet euch nicht vor denen die den Koumlrper toumlten die Seele aber nicht toumlten koumlnnenldquo

Diese dritte christliche Relektuumlre des Enchiridion geht in einigen Punkten erheblich weiter als die anderen beiden17 Dies aumlndert aber nichts daran dass der groumlsste Teil des Handbuumlchleins unter gelegentlichen Adaptationen uumlbernommen wird

An dieser Stelle weisen wir auf die besonders interessante griechische Kommentie-rung dieser Paraphrasis hin die in fruumlhbyzantinischer Zeit entstanden ist18 Der ano-nyme und leider sehr unvollstaumlndige Kommentar orientiert sich konsequent am Mo-dell einer bdquochristlichen Philosophieldquo (Praef 1 8) Die Bibel spielt freilich keine for-mative Rolle Am staumlrksten sind die biblischen Bezugnahmen in der Exegese des Gleichnisses vom Steuermann (Ench 7) das in allen drei Versionen ziemlich wort-getreu wiedergegeben wird (Ps-Neilos 12ab Vat 10 Par 10)19 Die Schifffahrt hat zum Ziel die bdquoallein wahre Heimatldquo wo bdquomit Christus Herkunft und Genossen und das Gemeinwesen der Heiligenldquo zu finden sind (Comm 106) Hier bezieht sich der Kommentator auf die Gottesstadt des Neuen Testaments20

Wir bilanzieren unsere Exkursion in die Rezeptionsgeschichte des Enchiridion Epik-tets mit einer schlichten Einsicht Die Bestimmung von spezifisch Christlichem das mit stoisch-epiktetischer Philosophie kontrastiert unterliegt erheblichen historischen Wandlungen Die christliche Usurpation ndash am deutlichsten indiziert durch das Aus-blenden des urspruumlnglichen Autors ndash generiert ein neues Referenzsystem An die Stelle der Klassiker treten die Schrift und die Vaumlter die vielen Goumltter weichen dem einen Gott bestimmte lebensweltliche Verhaumlltnisse werden vom christlichen Ethos korrigiert Wir notieren speziell dass es sich bei unseren Texten hauptsaumlchlich um

17 BOTER 1999 206 bdquoThe author of Par shows much more intellectual independence theo-

logical acumen and philosophical insight than his two Christian colleaguesrdquo SPANNEUT 2007 25 diese Instruktionen christianisieren den Text bdquoen profondeur plus que les deux autres adaptateurs avec une note personnelle plus affirmeacuteeldquo

18 Ausgabe M SPANNEUT (Ed) Commentaire sur la paraphrase chreacutetienne du Manuel dlsquoEpictegravete Introduction texte etc (SC 503) Paris 2007

19 Par und Vat fuumlgen dem Epiktet-Text eine Schlusspartie hinzu die das Bild der gefessel-ten Schafe im Gleichnis auf den Greis appliziert Fuumlr uns wichtiger ist die nur von Par gebotene Variation dessen was der Weise zu bdquolassenldquo hat statt von dem bdquoFrauchenldquo und dem Kind bei Epiktet ist hier die Rede von bdquoBruumldern oder Freunden oder Verwandten oder dem Hausldquo (104) ndash wahrscheinlich ein Reflex des Nachfolgeworts Mk 1029 Mt 1929 Lk 1829

20 Phil 320 Eph 219 und Hebr 1114ndash16 (vgl 1222ndash24)

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monastische Relektuumlren Epiktets handelt die den Weisen und Philosophen aktualisie-rend auf den Moumlnch speziell den Anachoreten beziehen Die Naumlhe Epiktets zu kyni-schem Traditionsgut duumlrfte die monastische Rezeption noch befoumlrdert haben spannen sich doch einige Bruumlcken von der Askese der Kyniker zum oumlstlichen Moumlnchtum

2 Der neuzeitliche Epiktet Nachbar oder Antipode des Christentums

Unter Absehung von spaumlteren byzantinischen sowie humanistischen und fruumlhneuzeit-lichen Rezeptionsspuren springen wir aus der spaumlten Antike direkt in die Moderne Zur Bestimmung des Verhaumlltnisses von Epiktet und Neuem Testament bieten sich zwei verschiedene Modelle an die untereinander auch in Wechselwirkung treten koumln-nen Dependenzmodell und komparatistisches Modell Unser Interesse gilt zunaumlchst dem ersteren das sich primaumlr mit einem moumlglichen Einfluss des Fruumlhchristentums auf den hauptsaumlchlich zu Beginn des 2 Jahrhunderts lehrenden Philosophen beschaumlftigt

Fuumlr jede moumlgliche Modellbildung ist festzuhalten Epiktet hat Kenntnis von den Chris-ten In seinem Lehrgespraumlch uumlber die Furchtlosigkeit (Diss IV 75ndash6) reiht er die bdquoGalilaumlerldquo unter diejenigen ein die aufgrund von Wahnsinn Geistesstoumlrung und Ge-wohnheit zu einer Furchtlosigkeit finden die wir heutzutage etwa mit Selbstmordat-tentaumltern verbinden Die christliche Demonstration der Todesverachtung im Amphi-theater tadelt auch Marc Aurel (XI 32)21

21 Epiktet reagiert auf das Christentum Das Dependenzmodell

Dieses Modell geht davon aus dass sich bestimmte Zuumlge in Epiktets Philosophie christlichem Einfluss verdanken sei es im Modus der Uumlbernahme oder aber der An-tireaktion Exemplarisch fuumlr diese heute weitgehend uumlberholte Verhaumlltnisbestimmung steht die Rektoratsrede von Theodor Zahn aus dem Jahr 189422 Der konservative Theologe stellt nicht nur erhebliche Widerspruumlche im Denken Epiktets fest23 sondern rechnet auch mit einem markanten Einfluss christlicher Gedanken etwa

21 Kaum als Reflex auf das Christentum kommen Epiktets Bemerkungen zur bdquoTaufeldquo in

Diss II 920f in Betracht Sie nehmen eher Bezug auf juumldische als auf christliche Taumlufer-gruppen vgl LONG 2002 17 110 Anm 9

22 Nicht zugaumlnglich ist mir das ebenso hier zu klassifizierende Werk des Hollaumlnders K KUIPER Epictetus en de Christelijke Moraal Amsterdam 1906 das bei Bonhoumlffer 1911 eingehend besprochen wird Kuiper zufolge reagiert Epiktet polemisch auf die christli-chen Texte und Theologien dieser wird also zu einem fruumlhen auctor adversus Christia-nos

23 ZAHN 1895 18f 23ndash26

126

beim Eid bei der Gotteskindschaft bei Herakles als Heiland oder beim gottgesandten apostelgleichen Kyniker24

22 Gelaumluterte Religion Bonhoumlffers vergleichendes Modell

Die Monographie bdquoEpiktet und das Neue Testamentldquo von Adolf Bonhoumlffer aus dem Jahr 1911 markiert das wohl definitive Ende der Dependenzmodelle In einer detail-lierten Auseinandersetzung stellt der Philologe heraus dass es keine uumlberzeugenden Indizien fuumlr eine Abhaumlngigkeit Epiktets vom Neuen Testament gibt ndash wie auch umge-kehrt keine nennenswerten stoischen Einfluumlsse auf das Urchristentum geltend ge-macht werden koumlnnen Die bisher in Anspruch genommenen Uumlbereinstimmungen er-weisen sich teilweise als konstruiert teilweise als Resultat von Konvergenzen die bei naumlherem Zusehen doch jeweils sehr verschiedene kulturelle Kontexte zum Ausdruck bringen Bonhoumlffer arbeitet ndash wie manche bereits vor ihm ndash mit einem vergleichenden Modell das vor allem in seiner bdquosystematischen Vergleichung Epiktets und des Neuen Testamentsldquo greifbar wird25

Bonhoumlffer ist sich der Gefahr einer nicht angemessenen Systematisierung bewusst Waumlhrend sich die neutestamentliche Theologie erst noch entwickelt ruht Epiktets Denken zwar bdquodurchweg auf einem ganz genau umrissenen und ins einzelne hinein fest formulierten System der alten orthodoxen Lehre der Stoaldquo26 wird aber von bdquosei-ner eigenen vom stoischen Geist durchdrungenen Persoumlnlichkeitldquo formiert und reprauml-sentiert (340) Bonhoumlffer arbeitet Analogien wie Kontraste heraus Zu den Gemein-samkeiten zaumlhlen die bdquogelaumluterte Religiositaumltldquo die Verbindung von Religion und Mo-ral der Idealismus und sittliche Ernst (341ndash354) zu den Kontrasten der Gegensatz von Vernunft und Offenbarung oder von Diesseitigkeit und Jenseitigkeit (354ndash357) Offenkundig wurzelt Bonhoumlffer in der zeitgenoumlssischen liberalen Theologie die im spaumlten 19 und fruumlhen 20 Jh gemeinsam mit den anderen Geisteswissenschaften ein sbquokulturprotestantischeslsquo Profil aufweist Gemessen am liberal-theologischen Jesusbild bleibt fuumlr Bonhoumlffer der epiktetische Theismus defizitaumlr bdquoMit dem allem soll aber nun keineswegs gesagt sein dass die Religiositaumlt Eprsquos der neutestamentlichen vollauf ebenbuumlrtig seildquo Es bdquoerreicht auch die Froumlmmigkeit Eprsquos so echt sie empfunden ist doch die Houmlhe der christlichen nichtldquo27 So weht bdquoein waumlrmerer Geist der Menschen-liebe durch das Neue Testament [hellip] als selbst durch die Reden eines Epldquo (382) Kritisiert wird auch die vornehmlich Eliten adres-

24 ZAHN 1895 28ndash33 Eine vernichtende Kritik stammt von WENDLAND 1895 Zahn miss-

verstehe Epiktet nicht nur haumlufig sondern zeige eine bdquovoumlllig unzureichende Kenntnis der kynischen und stoischen Literaturldquo (495)

25 BONHOumlFFER 1911 339ndash390 26 Diesen Nachweis lieferte BONHOumlFFER bereits 1890 sowie 1894 27 BONHOumlFFER 1911 344

127

sierende Stoa die bdquodurch ihre historische Gebundenheit an die Lehrformen des aris-tokratischen Partikularismus gehindert war ihre universelle Mission zu erfuumlllenldquo (388) Umgekehrt zeigt Epiktet in manchen Lebensbereichen eine natuumlrlichere Ein-stellung ndash dies erweisen bdquoein frisches und gesundes Interesse an dem Weltgeschehen und am Tun und Treiben der Menschheitldquo die bdquoFreude an den Werken der Technik und der Kunstldquo die Einstellung zu Leiblichkeit und Sexualitaumlt (366f) sowie das bdquopo-sitive Interesse an der Menschheitldquo (377) Erstaunlich wenig gewichtet wird die bdquoDiesseitigkeitldquo Epiktets die sich markant mit der Jenseits- und Endzeitbezogenheit des Urchristentums kontrastieren liesse

Es ist Rudolf Bultmann der Bonhoumlffers Verhaumlltnisbestimmung einer fundamentalen Kritik unterzieht28 Mit ihm meldet sich bereits jene Generation von Neutestamentlern aus der Religionsgeschichtlichen Schule und der Dialektischen Theologie zu Wort die mit der liberalen Theologie brechen wird29 In einer raschen Replik auf Bultmanns Kritik stellt Bonhoumlffer seinerseits seine Position noch einmal deutlich heraus Gegen-uumlber der ziemlich negativen Wahrnehmung Epiktets durch den Theologen gibt er zu bedenken dass dessen Kritik durchaus und zu noch groumlsseren Teilen just auch das neutestamentliche Christentum traumlfe30

Bonhoumlffers Vergleich von Epiktet und Neuem Testament laumluft auf die Konstatierung einer grundsaumltzlichen Verschiedenheit hinaus die aber Gemeinsamkeiten nicht aus-schliesst Auch wenn sich Urchristen und Epiktet auf Augenhoumlhe treffen zeichnen sich erstere doch durch ein Mehr an genuiner Religiositaumlt aus Beide Typisierungen verraten deutlich ihren kulturgeschichtlichen Hintergrund zu Beginn des 20 Jahrhun-derts ndash die Wertschaumltzung der sbquogenialenlsquo religioumlsen sbquoPersoumlnlichkeitlsquo und des sbquosittlichlsquo orientierten Weltverhaumlltnisses

23 Ein Zwischenhalt Methodische Uumlberlegungen

Der Grundansatz von Bonhoumlffer von zwei im Ansatz sehr verschiedenen kulturellen Bildungen auszugehen naumlmlich der stoischen Philosophie und ihrer besonderen in-dividuellen Brechung bei Epiktet einerseits der urchristlichen Religion und ihrer

28 BULTMANN 1912 (Bonhoumlffers Buch scheint bdquosowohl in der Anlage wie in der

Erfassung des Problems verfehlt zu seinldquo 97) 29 In Bultmanns Positionsbezug gegen Bonhoumlffer tritt dies allerdings noch nicht deutlich

hervor So bestimmt er als bdquoZentralpunkt der Differenzldquo zwischen Epiktet und Neuem Testament bdquoein ganz verschiedenes Individualitaumltsgefuumlhl [] ein ganz verschiedenes Per-soumlnlichkeitsbewusstseinldquo (182 vgl 186ndash190) Nicht anders als Bonhoumlffer steht Bultmann dem Religionsverstaumlndnis der liberalen Theologie noch nahe vgl seine Bemerkung uumlber den Unterschied zum frostigen Seneca bdquoEpiktets Froumlmmigkeit verbreitet eine sonnige Heiterkeit Waumlrme und Frieden um sichldquo (110) Die Gegensaumltze werden in der spaumlteren Darstellung bdquoDas Urchristentum im Rahmen der antiken Religionenldquo (1949) viel schaumlrfer gezeichnet s unten bei Anm 32

30 BONHOumlFFER 1912 288f

128

theologischen Reflexion etwa bei Paulus andrerseits hat sich als plausibel und weg-weisend erwiesen Wo immer die beiden Kulturgestalten komparatistisch auf einander bezogen werden orientiert man sich an diesem Basismodell31 Die Umbruumlche in den Geistes- und Kulturwissenschaften seit der Mitte des 20 Jahrhunderts haben freilich die Koordinaten entlang denen das Wirklichkeitsverstaumlndnis und die Ethik der Stoi-ker wie der Christen rekonstruiert werden tiefgreifend veraumlndert So hat sich auf der Seite der neutestamentlichen Theologie die urchristliche Eschatologie in den Vorder-grund geschoben die die Kontrastierung zur griechisch-hellenistischen Philosophie noch einmal anders konturiert32 In juumlngerer Zeit hat das Interesse an einem umfas-senden sbquoSystemvergleichlsquo deutlich abgenommen33

31 Grunddifferenzen bei gleichzeitigen Konvergenzen werden herausgearbeitet etwa bei

GRETENKORD 1981 261ndash305 KLAUCK 1989 ders 1996 85ndash88 92 GALLOWAY 2004 HUTTUNEN 2005 SCHNELLE 2009 RAMELLI 2009 WILLMS 2011 I 431f uouml Auch die juumlngste Gesamtdarstellung von Epiktet liegt auf dieser Linie LONG 2002 3 (bdquoEpictetus has also been misunderstood because his appeals to theology which are ubiquitous have been consciously or unconsciously read in the light of Christianity In my opinion Epic-tetusrsquo deepest ideas are remote from the main Christian message notwithstanding notable parallels between some things he says and the New Testamentldquo) 143ndash147 176

32 Bereits BULTMANN 1912 185ndash188 stellt ua das Fehlen eines Geschichtsbewusstseins in der Philosophie fest bdquoEtwas Neues ist nie gekommenldquo (185) Auf dieser Linie urteilt er spaumlter bdquoder Stoiker meint seine Zeitlichkeit eliminieren zu koumlnnen seine sbquoEntweltli-chunglsquo ist sbquoEntzeitlichunglsquoldquo (194941976 161) Ich selber habe versucht die Differenz zwischen Stoikern und Urchristen am ineinander verschraumlnkten Verhaumlltnis der drei Zeit-modi herauszuarbeiten und in die Kosmologie zu extrapolieren Waumlhrend die Gegenwart in der Perspektive der Christen von der endzeitlichen Zukunft tangiert wird steht sie bei den Stoikern im Bann der Vergangenheit Dem sich ewig wiederholenden Kosmos steht die sich vorerst partikular realisierende neue Schoumlpfung entgegen VOLLENWEIDER 1989 44ndash53 404f vgl unten S

33 Eine Ausnahme stellt der neuere Versuch von ENGBERG-PEDERSEN 2000 dar stoische Phi-losophie und paulinische Theologie idealtypisch zu vergleichen statt sich von der Frage nach historischen Beeinflussungen engfuumlhren zu lassen Die Basis dafuumlr stellt ein kom-plexes theoretisches Modell bereit das die Wechselwirkung zwischen Individuum Ge-meinschaft und dem Goumlttlichen bzw dem Logos beschreibt (33ndash44) Der Erkenntnisge-winn der Studie reicht genau so weit wie die Leserschaft bereit ist diesem Modell Plau-

sibilitaumlt zuzuerkennen ndash In seinem juumlngsten Buch fuumlhrt ENGBERG-PEDERSEN (2010 106ndash138) einen Vergleich speziell zwischen Epiktet und Paulus durch Er konzentriert sich dabei auf die Gotteserkenntnis und stellt neben Differenzen erhebliche Uumlbereinstimmun-gen fest Problematisiert werden die bisher gelaumlufigen Differenzkriterien von self-suffi-ciency (resp human agency) versus dependence (resp divine agency) und damit zusam-menhaumlngend von philosophy versus apocalypticism Bezuumlglich des erstgenannten Duals ist Engberg-Pedersen mE im Recht beim zweitgenannten aber kaum (vgl die vorherige Anm) Die Gotteserkenntnis ihrerseits hat bei den beiden Denkern einen derart unter-schiedlichen Stellenwert dass sie schwer vergleichbar ist zumal sie bei Paulus christolo-gisch vermittelt ist Ausserdem laumldt die Konvergenzformel bdquoknowledge (of God) as align-ment with Godldquo nicht primaumlr die Stoiker sondern vielmehr die Platoniker mit ihrer ὁμοίωσις θεῷ zum Gespraumlch mit Paulus Epiktet duumlrfte gerade an diesem Punkt plato-nische Motive rezipiert haben (vgl unten Anm 98) was vielleicht auch fuumlr Paulus gilt (so VAN KOOTEN 2008) Auch bei anderen Thesen des Buchs legen sich statt stoischer eher platonische Bezuumlge nahe vgl die Rezension von R HIRSCH-LUIPOLD Early Christianity 3 (2012) 122ndash133

129

Methodisch gesehen erweist sich das komparatistische Geschaumlft als uumlberaus komplex Ich weise auf wenigstens drei Punkte hin wo ein umsichtiges historisches und herme-neutisches Urteil gefordert ist

1 Ein Vergleich kommt nur dort angemessen zum Zug wo beide Seiten in optimam partem interpretiert werden wo also Abstinenz gegenuumlber vorschnellen Verurteilun-gen eingeuumlbt wird Die neutestamentliche Exegese hat waumlhrend der letzten Jahrzehnte auf einem anderen Feld naumlmlich in der Einschaumltzung des Fruumlhjudentums geradezu einen Paradigmenwechsel vollzogen Anstatt das Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels als dunkle Folie zu entwerfen von der sich das entstehende Christentum strahlend abhebt wird es nun in seinem eigenen Selbstverstaumlndnis und unter Verzicht auf Werturteile rekonstruiert Es legt sich nahe diesen Typ einer interessierten und aufmerksamen Hermeneutik auch der Wahrnehmung hellenistischer Philosophen zu-gutekommen zu lassen

2 Der Versuch uumlberaus vielfaumlltige geschichtliche Kulturerscheinungen auf basale Figuren hin zu typisieren muss die Grenzen seiner Reichweite explizit reflektieren und sich mit der dienenden Rolle einer heuristischen Kunst bescheiden Sowohl die sokratisch modellierten und praktisch ausgerichteten Lehrgespraumlche Epiktets wie die Briefe und Erzaumlhltexte des Neuen Testaments bleiben widerstaumlndig gegenuumlber aller Systematik

3 Gerade weil umfassende geisteswissenschaftliche Rekonstruktionen unaus-weichlich im Kontext ihrer eigenen Zeit stehen muumlssen sie konsequent darauf hin befragt werden ob sie die historischen Phaumlnomene noch angemessen vergegenwaumlrti-gen und nicht ungebuumlhrlich verzerren So ist es nicht ratsam Figuren die sich erst im Lauf der christlichen Theologiegeschichte herausgebildet haben ndash beispielsweise die Kontrastierung von Selbsterloumlsung und Gnade ndash an philosophische Texte die in ganz anderen Kontexten zu situieren sind heranzutragen Umgekehrt zeigen uns die an-faumlnglich vorgestellten christlichen Rezensionen des Enchiridion dass Grenzziehun-gen zwischen den beiden Bereichen ihrerseits erheblichen geschichtlichen Variatio-nen unterliegen

24 Diskursmodelle

Angeregt von philosophischen Diskurstheorien lassen sich urchristliche und philoso-phische Texte der fruumlhen Kaiserzeit darauf hin befragen inwieweit sie aktuelle

130

sbquoDiskurselsquo dokumentieren und ihrerseits bestimmte Positionen beziehen34 Sie sind also engagiert in argumentativen Dialogen uumlber die Wahrheit von Behauptungen und die Legitimitaumlt von Normen Das klassische Geschaumlft von Exegeten und Philologen die Sortierung von sbquoParallelenlsquo stellt einschlaumlgiges Material fuumlr die Identifizierung von Themen und fuumlr die Rekonstruktion von Rezeptionserwartungen zusammen35 Auf dem weltanschaulichen Markt der fruumlhen Kaiserzeit einer fuumlr antike Verhaumlltnisse hochgradig globalisierten Welt bieten sich sowohl Philosophien wie Religionen als Fuumlhrerinnen zur Lebenskunst und als Weg zum Gluumlck an36 Ihre Diskurse handeln von den fundamentalen Fragen der Lebensorientierung ndash Schicksal und Freiheit Le-ben Tod und Jenseits ndash und von den ethischen und praktischen Problemstellungen rund um Ehe Besitz Sklaverei Freundschaft und Alter37 Sie lassen sich etwa mit Hilfe von Theorien sozialer oder personaler Identitaumlt profilieren38

Es ist attraktiv Epiktets Lehrgespraumlch uumlber die Eleutheria in den zeitgenoumlssischen Diskursen uumlber die Freiheit zu verorten39 an denen sich auch Exponenten von

34 Zur Hochkonjunktur des Diskursbegriffs in den letzten Jahrzehnten vgl die summari-

schen Bemerkungen von K GRUumlNDER Vorbemerkungen zu HWPh 9 (1995) 84ndash86 35 So spielen Epiktets Texte im Neuen Wettstein eine prominente Rolle s unten S 36 Zur Philosophie als exercice spirituelle vgl HADOT 2005 Zu den methodischen Proble-

men bei der Identifizierung von Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament vgl VOLLENWEIDER 2012 298f

37 Instruktiv ist in unserem Zusammenhang der juumlngst erschienene Sammelband unter dem Titel bdquoStoicism in early Christianityldquo (RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010) Behandelt werden ua Fragen der Ethik und des Gesetzes bei Paulus die Darstellung Jesu als Lehrer bei Mt der sbquoemotionalelsquo Jesus in Joh die Weltbrand-Eschatologie (2Petr) das Thema der Sklaverei und der Willensfreiheit

38 So spielt Epiktet bei NGUYEN 2008 eine wichtige Rolle in der Rekonstruktion der Inter-aktionen zwischen den Korinthern und Paulus Auch die bdquoWeltdistanzldquo die zum Ver-gleich von Urchristen und Epiktet einlaumldt (BRAUN 1971 SCHRAGE 2004 WEBER 1999) waumlre heute auf der Basis von Theorien sozialer Identitaumlt zu reformulieren

39 Als besonders herausragende Texte der fruumlhen Kaiserzeit sind neben Epiktet Diss IV 1 und Paulus Roumlm 6ndash8 Gal 45 1Kor 910 zu nennen Dion Or 14ndash15 80 Philon Prob verschiedene Texte von Seneca sodann Cicero Parad 33ndash41 (omnes sapientes liberos esse et stultos omnes servos) Persius Sat 5 Ps-Andron Rhod Pass 97 Nicht erhal-tene Traktate bdquoUumlber die Freiheitldquo oder bdquoUumlber Knechtschaft (und Freiheit)ldquo werden ua Antisthenes (Diog Laert 616) und Kleanthes (Diog Laert 7175 = SVF 1 481) zuge-schrieben Wichtige Quellentexte stellt WILLMS 2011 I 63ndash83 89 zusammen Sein Ver-such eine bdquostoische Urschriftldquo namentlich aufgrund von Uumlbereinstimmungen zwischen Epiktet und Philon zu postulieren ist mE wie viele andere literarkritische Modelle die auf die Quellenkritik des 19 Jh zuruumlckgehen zum Scheitern verurteilt Die Parallelen erweisen sich als so partiell dass sie mit der Annahme von gemeinsamem Traditionsgut ausreichend erklaumlrt werden koumlnnen Die methodisch viel anspruchsvollere Hypothese ei-ner gemeinsamen Quelle laumlsst sich nicht plausibilisieren (vgl dazu bereits VOLLENWEIDER 1989 28f)

131

Partialkulturen wie der juumldischen und der christlichen beteiligten Zu beachten ist da-bei dass die Freiheitsdiskurse auch implizit oder explizit politische Akzente setzen etwa im Verhaumlltnis zur imperialen Ideologie40 Wir beschaumlftigen uns im Folgenden exemplarisch mit dem spezifisch theologischen Profil des Freiheitsverstaumlndnisses Epiktets Zugrunde gelegt wird die Annahme dass sein Verstaumlndnis von Freiheit zwar ein deutlich erkennbares individuelles Kolorit aufweist sich aber grundsaumltzlich doch in die klassische stoische Konfiguration einzeichnen laumlsst41

3 Der goumlttliche Grund der Freiheit nach Diss IV 185ndash110

31 Grundlegende Unterscheidungen

Epiktet geht in seinem Lehrgespraumlch von einer weithin konsensfaumlhigen Definition von Freiheit aus die Freiheit zu leben bdquowie man willldquo (sect1)42 Die Argumentation steuert uumlber mehrere Gaumlnge auf ein Verstaumlndnis von Freiheit zu das sich fuumlr die vom Meister in die Unterredung einbezogenen virtuellen Schuumller mit uumlberraschenden Entdeckun-gen verbindet Der soziale Status mit all seinen Implikationen traumlgt nicht nur nichts bei zum Erwerb der Freiheit sondern entpuppt sich sogar als bdquoschoumlnste und glaumln-zendste Sklavereildquo (sect40) Dies gilt zumal dort wo einer nur noch den Kaiser als bdquoHerrn uumlber alleldquo uumlber sich weiss (sect12f) Zentral fuumlr den Befreiungsprozess ist das unablaumlssige Einuumlben jener kognitiven Operation welche die allgemeinen Vorstellun-gen (προλήψεις) mit den konkreten Lebensverhaumlltnissen konfiguriert (ταῖς ἐπὶ μέρους οὐσίαις sect41f)43 bdquoSuche und du wirst findenldquo (sect51)44 Wer

40 Muumlnzen Inschriften und Literatur belegen die Zugkraft des ideenpolitischen Schlagworts

bdquoFreiheitldquo so beanspruchte der Prinzipat die res publica und ihre libertas wiederherge-stellt zu haben

41 Vgl Forschner oben S Anders jetzt ASMIS 2001 der Epiktet eine neue Frei-heitskonzeption zuschreibt (bdquoEpictetus in sum offers a new concept of human freedom according to which the power of choice [sc prohairesis SV] confers on each person the freedom to determine onersquos own characterrdquo 412)

42 Diese gaumlngige Formel begegnet zB auch bei Paulus Gal 517 Roumlm 715ndash19 43 Zum Verstaumlndnis der Prolepsen im Kontext der Oikeiosislehre vgl FORSCHNER 1995

151ndash156 (πρόληψις als bdquoein umrisshafter unbestimmter undifferenzierter Vorgriffldquo der von einem bestimmten Begriff bzw einer Definition zu unterscheiden ist Epiktet ist bdquohier wohl altstoischem Gedankengut verpflichtetldquo 153) Vgl FORSCHNER oben S

44 Zum Bezug zur Jesustradition (Mt 77 usw) vgl WILLMS 2011 I 263ndash265 sowie BETZ 1995 501ndash504 und unten S Die Sentenz ist so weit gestreut dass sie keine Benut-zung des Neuen Testaments durch Epiktet belegt

132

nicht von selber dank der dem Logos entsprechenden natuumlrlichen Faumlhigkeiten zur Wahrheit gelangt kann sich an bewaumlhrten Wahrheitszeugen orientieren (sect51f) fak-tisch ist hier der aktuell Lehrende mindestens mitgemeint Epiktet steuert die Unter-redung die in diesem Teil (sect51ndash75) besonders stark als sokratischer Dialog gestaltet ist45 auf seine elementare Formel der Unterscheidung dessen was bdquouns zuhandenldquo und bdquouns nicht zuhandenldquo ist zu (sect65 τὰ μὲν ἐφ᾽ ἡμῖν ἐστιν τὰ δ᾽ ἐπ᾽ ἄλλοις vgl Diss I 1)46 Am Koumlrper selber wird geradezu hautnah der Bereich des Fremden des ἀλλότριον erfahrbar (sect76ndash80) plastisch verbildlicht im Gleichnis eines bepack-ten Esels den man notfalls auch bdquolassenldquo muss ganz zu schweigen vom Zubehoumlr und Gepaumlck (sect79f)

Bereits in diesem Abschnitt macht sich ein entscheidender Bezugstext ein Praumltext bemerkbar der spaumlter explizit zu Wort kommen wird das Gebet des Kleanthes Wird der Esel von anderen requiriert (angareia) so gilt bdquoLass ihn gehen widerstrebe nicht und murre nicht ndash andernfalls wirst du den Esel genauso einbuumlssen nur mit Schlaumlgenldquo Im bdquogenauso hellip nurldquo (woumlrtlich bdquonichts desto wenigerldquo οὐδὲν ἧττον) spielt Epiktet an auf Kleanthesrsquo Vers bdquoWenn ich aber nicht (folgen) wollte waumlre ich ein feiger Schwaumlchling und muumlsste euch nichtsdestoweniger (οὐδὲν ἧττον) folgenldquo (Ench 531)

Mit der Aufforderung unablaumlssig die elementare Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo zu uumlben (sect81) die wiederum im Bereich von Koumlrper und Besitz die Frei-heit von Angst und Begehren eroumlffnet ist die Plattform fuumlr die uns interessierende theologische Deutung etabliert47

Bereits sect82 hat vorausweisenden Charakter Die Bestimmung uumlber das Wesen des Guten und Schlechten faumlllt in den Bereich des Eigenen bdquoWer kann es dir wegnehmen

45 Auf das sokratische Design der Dissertationes hat besonders LONG 2002 67ndash96 uouml

hingewiesen (bdquoSocrates rather than any Stoic philosopher or even the Cynic Diogenes is Epictetus favoured paradigm not only as a model for life but also as a practitioner of philosophical conversationldquo 4) hier auch verbunden mit Kritik an BONHOumlFFER (166f 176)

46 Zu Herkunft und Hintergrund der Formel vgl DOBBIN 1998 65ndash68 WILLMS 2011 I 328ndash337

47 Die Strukturierung unseres Lehrgespraumlchs durch das Nacheinander eines sbquoprofanenlsquo bzw sbquosaumlkularenlsquo Teils als Tradition (sect6ndash90) und eines sbquotheologischenlsquo Teils als Interpretation (sect91ndash131) durch NESTLE 1967 125ndash128 134 (zustimmend GRETENKORD 1981 195f) hat keinen Anhalt am Text (bereits sect89f stellt eine theologische Klimax dar die durch die Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo eng mit der ab sect62 entfalteten Argumen-tation verbunden ist) und arbeitet mit (redaktionsgeschichtlichen) Kategorien die sich bei Epiktet nicht bewaumlhren (das richtige Applizieren der allgemeinen Vorstellungen auf die konkreten Lebensumstaumlnde in sect41f ist eine spezifisch epiktetische Konzeption ohne dass sie deswegen unstoisch waumlre) vgl oben Anm 43)

133

wer kann dich behindern Ebenso wenig kann man Gott behindernldquo Dies wird in sect90 wieder aufgenommen48

32 Das Gleichnis von der Burg und das Basisprinzip (sect85ndash90)

Im Abschnitt sect85ndash110 arbeitet Epiktet mit drei aufeinander folgenden Gleichnissen die jeweils fliessend in allgemeine Aussagen uumlbergehen Burg Reisegesellschaft und Festversammlung Die Befreiung von der Furcht wird verbildlicht mit der Zerstoumlrung der inneren Burg (Akropolis) dem Sitz der Tyrannen Die Metapher uumlberrascht zu-naumlchst da man die innere Festung eher als positives Sinnbild fuumlr die uneinnehmbare Position des Denkvermoumlgens erwartet haumltte49 Sie hat hier aber den Charakter der Zwingburg die man niederreissen oder wenigstens entvoumllkern soll Mit dem erneuten bdquoLassenldquo des Koumlrpers und seiner Teile von Besitz Ehrungen Kindern Geschwistern und Freunden (vgl sect66f) wechseln wir wieder auf die Sachebene (die eher an einen defensiven Ruumlckzug denken laumlsst) Uumlber das Bildelement von den Leibwaumlchtern die ihren bedrohlichen Charakter verloren haben fokussiert der Meister nun auf den Wil-len der von keinem Zwang mehr behindert wird (sect88) und damit auf die Leitdefini-tion am Anfang der Unterweisung (sect1) Wir stehen vor einem Scharnier der Argu-mentation weil nun das theologische Bekenntnis bdquoIch habe mein Streben Gott anheim gestelltldquo eine neue Dimension der wahren Freiheit eroumlffnet und zur Formulierung des Basisprinzips fuumlhrt (sect89ndash90)50

Das Bekenntnis selber verdichtet den stoischen Gedanken der Einfuumlgung in die

48 Dieser Verweis auf Gott unterscheidet sich von Diss I 123 wonach Zeus als houmlchster

Repraumlsentant des bdquoFremdenldquo die eigene Prohairesis nicht bezwingen (νικῆσαι) kann Dazu GRAVER 2003 348f

49 Praumlgnant ist vor allem die Aumlusserung Marc Aurels bdquoDeshalb ist die von Leidenschaften freie Denkkraft eine feste Burg (ἀκρόπολίς ἐστιν ἡ ἐλευθέρα παθῶν διάνοια) denn

nichts Staumlrkeres hat der Menschldquo (VIII 483) als Leitmotiv bei HADOT 1997 156ndash184 Vgl Sen Ep 825 Negativ konnotiert ist die Festung etwa auch bei Philon Fug 148 (bdquoZwingburg der Lustldquo) positiv Abr 150 vom Ort der Augen dem koumlniglichen Sinn Spec 3184 vom Kopf Spec 449 von der Seele

50 Auffaumlllig ist die perfektische Formulierung des Bekenntnisses die sich auch im vorange-gangenen Satz spiegelt (οὐπώποτε mit zwei Verben im Aorist) Spielt Epiktet hier an auf seinen Status als einer von denen die die Wahrheit gesucht und gefunden haben (sect51)

134

goumlttliche Weltordnung51 Beim bdquoStrebenldquo (ὁρμή) handelt es sich um einen gaumlngigen Terminus fuumlr die menschlichen Antriebe also den Bereich der Willensbewegungen des θέλειν und βούλεσθαι (vgl sect99) die vom Logos geformt werden muumlssen52

Die folgenden kurzen Saumltze in sect8990 formulieren in aumlusserster Zuspitzung die Rhe-torik arbeitet mit provokanten Paradoxien Der Wille Gottes determiniert den Willen des Subjekts nicht nur vollumfaumlnglich sondern bestimmt auch seine Intentionalitaumlt ndash das Ich bdquowillldquo Peristasen wie Fieber Tod und Folter Die scheinbare Fremdbestim-mung wird schliesslich aufgefangen durch die Analogisierung mit Zeus selber (vgl sect82)53

Das Basisprinzip besteht also in der vollstaumlndigen Konvergenz des Willens des (menschlichen) Subjekts mit dem Willen Gottes eine Konvergenz die im Zeichen der wahren Freiheit steht Es reflektiert die traditionelle Figur des stoischen Determi-nismus der einerseits zwar die Willensfreiheit ganz im Geflecht der kosmischen Kau-salketten aufhebt andrerseits aber das Freiheitspathos steigert54 Offenkundig spiegelt Epiktet hier absichtsvoll zwei verschiedene Modi von Freiheit ineinander diejenige des Entscheidens (Freiheit als Immer-auch-anders-Koumlnnen) und diejenige des Wol-lens (die in der nachmaligen lateinischen Theologie bei Marius Victorinus und beson-ders bei Augustin zur Entfaltung der Willensmetaphysik gefuumlhrt hat)

Die Passage ist so stark von paradoxaler Rhetorik bestimmt dass man sie nicht vor-schnell mit fruumlhchristlichen Texten kontrastieren sollte Epiktet am naumlchsten steht die Szene in Getsemane wo Jesus Gottes Willen seinem eigenen vorordnet bdquoAbba

51 Das Verb προσκατατάσσειν das bei Epiktet nur in Diss IV 1 begegnet meint die Ein-

ordnung unter eine uumlbergeordnete Groumlsse (vgl unten sect9198) und beruumlhrt sich mit κατατάσσειν das in Ench 311 die Eusebeia das angemessene Verhalten gegenuumlber den Goumlttern beschreibt und mit bdquogehorchenldquo bdquosich fuumlgenldquo und bdquofreiwillig folgenldquo expli-ziert wird Besonders praumlgend ist das Sokrateswort in Platons Apologie 28e (τάξις) das Diss I 924 unter dem Einfluss von Leg 12945a (εἰς τάξιν κατατάξῃ) reformuliert wird bdquoGott hat uns einen bestimmten Platz und eine bestimmte Lebensform zugewiesen (κατατέταχεν) die wir nicht verlassen sollenldquo vgl III 14114 (εἰς τοιαύτην ὑπηρεσίαν κατατεταγμένος) II 139 I 134 (von einer uumlbergeordneten Stellung) Un-sere Formulierung in sect89ndash99 druumlckt mit dem zusaumltzlichen Compositum πρoς- auch noch jene dynamische Richtungsbestimmung aus die aus dem Praumltext des Kleanthes stammt (bdquofuumlhre mich [hellip] dahinldquo sect131) προσκατατάσσειν (LSJ 1516a bdquosubjoin append as-sign attachldquo) begegnet nur gelegentlich in der griechischen Literatur (Polyb III 201 [Re-den hinzufuumlgen] Philon Op 131 [Suumlsswasser der Erde zuweisen vgl 38] Cornut Nat deor 323 [Feuchtes in Aumlther uumlberfuumlhren] OGIS 5627 [hinzugefuumlgte Priester]) Vgl WILLMS 2011 I 489f

52 Zenon hat einen Traktat περὶ ὁρμῆς ἢ περὶ ἀνθρώπου φύσεως verfasst (Diog Laert 74 = SVF 1 41) vgl ferner POHLENZ 61991 II 52 77 80f Textintern sind die Bezuumlge der ὁρμή auf das θέλειν durch den voranstehenden wie den nachfolgenden Satz deutlich

53 Fuumlr diese Analogie bietet Diss II 1722ndash25 eine instruktive Parallele bdquoMit einem Wort Wolle nichts anderes als was Gott will Wer wird dich dann noch behindern wer dich zwingen Ebenso wenig wie (man) Zeus (zwingen kann) Wenn du einen solchen Fuumlhrer hast und mit ihm eines Willens und eines Wunsches bist was fuumlrchtest du dann noch an Fehlschlaumlgenldquo Epiktet raumlt auch hier dazu sich nicht zu binden an Reichtum Armut Ge-sundheit Ehre Vater Heimat Freunde und Kinder die alle nicht unserem Verfuumlgungs-bereich zugehoumlren

54 Zugespitzt bei BRAICOVICH 2010 der Epiktets handlungspsychologisches Freiheitsver-staumlndnis konsequent deterministisch deutet Zur allgemeinen Diskussion des stoischen Determinismus vgl STEINMETZ 1994 610ndash612 GUCKES 2004 12ndash17 im Zusammenhang mit Epiktet LONG 2002 220ndash222 (bdquothe autonomous person as someone who voluntarily complies with a predetermined situationldquo 222) sowie FORSCHNER oben S

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Vater alles ist dir moumlglich Lass diesen Kelch an mir voruumlbergehen Doch nicht was ich will sondern was du willstldquo (Mk 1436 vgl Mt 2639 Lk 2242)55 Die nur bei Mk vorkommende Allmachtsformel haumllt die ndash nicht realisierte ndash Moumlglichkeit offen dass Jesu eigener Wille dem Leiden zu entgehen sich verwirklichen liesse Der Vers der in der altkirchlichen Zweinaturenchristologie intensiv debattiert worden ist scheint es im Kontrast zu Epiktet bei einem sbquoproduktivenlsquo Gegenuumlber von zwei Wil-lensbewegungen zu belassen ndash eine Asymmetrie von erheblichem anthropologischem Gewicht Der Unterschied des Genre will freilich beachtet sein Waumlhrend Epiktet in einem argumentativen Text das Resultat einer geradezu lebenslaumlnglich vollzogenen Uumlbung (askesis) in praumlsentischen Paradoxien versprachlicht markiert die Getsemane-Erzaumlhlung der Evangelien eine Station auf dem Passionsweg Jesu der die vollstaumlndige Konvergenz der beiden Willensbewegungen narrativ zur Darstellung bringen wird Jesus ergibt sich als leidender Gerechter in den Gotteswillen bis zum Tod am Kreuz

Keine direkte Relevanz fuumlr die von uns hier diskutierte Thematik hat die Problemati-sierung der Einheit des menschlichen Willensbereichs56 Sowohl Epiktet (Diss II 1718f II 261 uouml) wie Paulus (Roumlm 715ndash19) sprechen vom inneren Zwiespalt des Menschen und orientieren sich dabei an einer in der Antike verbreiteten Figur die auf die Gestalt der euripideischen Medea zuruumlckfuumlhrt Die zugrunde liegenden anthropo-logischen Konzeptionen sind zwar denkbar verschieden Dem grundsaumltzlich monisti-schen Ansatz Epiktets steht der dualistische des Paulus gegenuumlber57 Es faumlllt aber auf dass beide das fuumlr die Medea-Rezeption traditionelle Schema des Gegensatzes von Erkennen und Trieb von Vernunft und Leidenschaft durch eine weit radikalere Deu-tung uumlberlagern Der Zwiespalt im Inneren ist uumlberhaupt nur retrospektiv durchschau-bar geworden erst das Ereignis der Befreiung laumlsst es zur Erkenntnis der Sklaverei kommen Dabei sprechen beide von der Unfreiheit gut traditionell als dem bdquoTun was ich nicht willldquo58

Freiheit wird praumlsentiert als Anerkennung dessen was ohnehin nicht zur Disposition steht und nicht anders sein kann als es der Fall ist Das klassische Bild der Stoiker

55 Die Uumlbersetzung biblischer Texte richtet sich meistens nach der Zuumlrcher Bibel 2007 56 Der optimistischen Anthropologie Epiktets laumlsst sich dann diejenige des Paulus gegen-

uumlberstellen die zwar nicht pessimistisch ist aber Suumlnde nicht im kognitiven Bereich son-dern im Willensbereich platziert vgl zB SCHNELLE 2009 156f

57 Zum Verhaumlltnis zwischen Epiktet und Roumlm 7 vgl HUTTUNEN 2005 ferner VOLLENWEIDER 1989 350ndash352

58 Vgl oben bei Anm 42 Das Versklavtsein wird bei Epiktet deswegen nicht so ausweglos wie bei Paulus wahrgenommen weil es wesentlich auf falschem Denken beruht

136

stellt der an einen Wagen festgebundene Hund dar der entweder aus eigenen Stuumlcken mitgeht oder aber mitgeschleift wird59

33 Das Gleichnis von der sicheren Reisegesellschaft (sect91ndash98)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft changiert zwischen Bildrede und eigentlicher Rede Mit οὕτως (sect91) wird das Bild eingefuumlhrt ebenfalls mit οὕτως erfolgt der Wechsel zur Sachebene naumlmlich zur kosmischen Position des Verstaumlndigen (sect9298) dessen Selbstgespraumlch wieder auf der Bildebene spielt (sect92ndash97) Mit seinen Hinwei-sen auf hoch gestellte Personen besonders den Status des Freunds des Kaisers wird Bezug genommen auf fruumlhere Passagen (sect8ndash15 45ndash50) Das Selbstgespraumlch endet ironisch in einer Aporie ndash selbst in der Einoumlde gibt es keinen Schutz vor negativen Maumlchten (sect97) Erst der Anschluss an Gott ermoumlglicht eine sichere Reise Die Philo-sophie spielt hier ihre in hellenistischer und kaiserzeitlicher Zeit zentral gewordene Rolle als Ratgeber fuumlr den Umgang mit jederzeit drohenden Kontingenzen und ant-wortet auf ein Anliegen das auch die zeitgenoumlssischen Religionen das Christentum so gut wie Mysterienreligionen und magische Praktiken bearbeiten

Die traditionelle und uumlberaus reiche Metaphorik des Wegs deckt ein breites Spektrum ab Die hauptsaumlchliche Konnotation die auch bei Epiktet reichhaltig begegnet ist die-jenige des Zusammenhangs von Weg und Ziel So spricht unser Lehrgespraumlch sum-mierend vom Weg zur wahren Freiheit (sect131)60 Das Reisegleichnis in Diss II 2336ndash39 raumlt dazu Raststaumltten wieder zu verlassen um zur Heimatstadt zu gelangen (εἰς τὴν

πατρίδα ἐπανελθεῖν)61 Auch wo Gott (II 710f) oder der wahre Kyniker (III 2226) den rechten Weg weisen ist das Ziel im Blick62 Aumlhnlich steht es mit der christ-lichen Wegmetaphorik63 In unserem Zusammenhang geht es dagegen ausschliesslich um das sichere Reisen ndash in der Sprache heutiger Lebensratgeber der Weg ist das Ziel Fuumlr die Reisegemeinschaft mit Gott bietet II 1723 eine bemerkenswerte Parallele da hier neben der Konvergenz des Wollens auch die Analogie mit Zeus figuriert (sect22)64 Das Leben laumlsst sich generell mit einer Reise vergleichen65 III 139ndash11 stellt heraus dass nur die Philosophie nicht aber der Kaiser si-

59 Chrysipp () SVF 2 975 vgl POHLENZ 82010 I 106 STEINMETZ 1994 611f weiteres bei

VOLLENWEIDER 1989 75f 60 Vgl IV 439 vom Weg zur wahren εὔροια 61 Auch hier wird explizit der Bezug zur Freiheit hergestellt (sect42) verbunden mit dem bdquomit

ganzem Herzenldquo zu sprechenden Gebet des Kleanthes 62 Vgl ferner I 1618 II 216 II 123 III 263f IV 24 IV 659 IV 916 63 Vgl den Uumlberblick (auch zur Umwelt) von W MICHAELIS Art ὁδός κτλ ThWNT 5

(1954) 42ndash118 sowie die bei WILLMS 2012 II 709 genannte Literatur 64 Vgl oben Anm 53 65 Diss II 510 von der Seereise wo bdquoeiniges an mir liegt anderes aber nichtldquo vgl ferner II

1624 I 99 II 1737f in III 2493 wird die Abreise mit dem Sterben verglichen

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cheren Reiseschutz verleihen kann (vgl sect3) Es gibt durchaus neutestamentliches Vergleichsmaterial Die Nachfolge auf Jesu Weg wie ihn die Evangelien darstellen ist transparent fuumlr den Lebensweg der Christusglaumlubigen (Mk 827ndash1052 besonders 834) Dieser ist freilich auch wieder auf ein Ziel hin orientiert naumlmlich auf die Pas-sion und das Kreuz Epiktets goumlttlicher Reisegesellschaft am naumlchsten kommen wir mit der Topik des bdquoMitseinsldquo Jesu bzw Gottes mit den Glaubenden (Mt 2820 vgl 123 1820 Joh 1416f [vom Geist]) welche die gesamte biblische Tradition des Mit-gehens Gottes mit seinem Volk insbesondere waumlhrend der Wuumlstenwanderung sum-miert Obschon der Lebensweg die Stoiker in widrige Umstaumlnde und die Christen in das Martyrium fuumlhren mag gibt die Gemeinschaft mit Gott ultimative Sicherheit Der Vergleich fuumlhrt uns also wieder in den Bereich der Passionsgeschichte Waumlhrend fuumlr die Christen der Gottessohn und somit der in diesem praumlsente Gott selber den Weg des Leidens geht sieht sich der Stoiker gewiesen an Vorbilder die paradigmatisch das Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens vor Augen stellen zumal an Herakles und Sokrates Zwar ist auch ihr Gott im Kosmos gegenwaumlrtig aber da er das harmo-nisch gefuumlgte Ganze repraumlsentiert ist er den immer nur einzelne Teile betreffenden Turbulenzen nicht ausgesetzt

34 Das Gleichnis von der Festversammlung (sect99ndash110)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft endet in einem radikalen Ruumlckzug aus dem Bereich des Ungewissen der nicht einmal in der Einsamkeit der Einoumlde haltmacht sondern gleichsam in die Unweltlichkeit versetzt Dieser Reduktionsbewegung auf einen einzigen Punkt der mit Gott identifiziert wird kommt nun eine expandierende Bewegung entgegenzustehen die in die Weite des Kosmos und die universale Ge-meinschaft hinaus weist

Mit dem erneuten Ruumlckgriff auf das theologische Bekenntnis und das Prinzip von sect89 baut Epiktet sukzessive ein neues Gleichnis auf das sich mit kosmologischen Deu-tungen verbindet Im Fokus stehen nun die Willensbewegungen Gottes und sein ord-nendes Wirken im Kosmos Die Basisunterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoAnderemldquo wird theologisch akzentuiert Im Bereich des Eigenen figuriert die freie Selbstbestim-mung die Prohairesis66 der Bereich des Anderen wird der Gottheit und ihrem Wal-ten dem bdquoKreislauf des Allsldquo zugemessen (sect100) Koumlrper Besitz sowie Haus Kinder und Frau (vgl sect66f 87 107 111) Alles wovon sich der Verstaumlndige innerlich als

66 Zur Prohairesis vgl FORSCHNER in diesem Band S [[Typoskript S 5]] ferner STE-

PHENS 2007 16ndash25 (bdquoProhairesis as selfldquo) und die Diskussion von ENGBERG-PEDERSEN 2010 212ndash214 (bdquotrue human selfldquo) mit LONG 2002 28ndash30 207ndash220 (bdquovolitionldquo)

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dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

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logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

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41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

143

Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

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Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

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die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

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-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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166

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21995

Page 2: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

Samuel Vollenweider

Lebenskunst als Gottesdienst

Epiktets Theologie und ihr Verhaumlltnis zum Neuen Testament

in S VOLLENWEIDER (Hg) Epiktet Was ist wahre Freiheit Tuumlbingen 2013 (Sapere 22) 119ndash162

Bereits eine schlichte Lektuumlre der Texte Epiktets ruumlckt diesen mehr als jeden anderen kaiserzeitlichen Philosophen in die Naumlhe zur urchristlichen Literatur Dies beginnt mit seiner Sprache Arrian literarisch selber ein Attizist hat das Koinegriechisch der von ihm redigierten Lehrvortraumlge Epiktets getreulich bewahrt Zumal der Diatribenstil laumlsst sich in bestimmten Partien der Paulusbriefe wiedererkennen1 Weiterhin reprauml-sentiert Epiktet geradezu paradigmatisch die hellenistisch-kaiserzeitliche Popularphi-losophie die sich durch ihr besonderes Interesse an einer lebensweltlich handhabba-ren Ethik auszeichnet und damit dasselbe Terrain bearbeitet das auch die Ausbreitung der urchristlichen Religion beguumlnstigt hat Epiktet bietet eine besonders glaubwuumlrdige und authentische Verkoumlrperung der Philosophie als existentiell realisierter Lebens-kunst Bruumlckenschlaumlge zum Christentum erlaubt sodann der spezifische Typ der hel-lenistischen Religiositaumlt die zumal bei Epiktet ein streckenweise theistisches Profil vor dem Hintergrund des allgemein-stoischen Pantheismus annimmt Das Feld der Religion ihrer Riten Mythen und Themen hat seinerseits das besondere Interesse kaiserzeitlicher Philosophen gefunden2 Schliesslich markiert der Stoiker durch seine Herkunft aus dem Sklavenstand ein soziales Niveau das sich von den eher elitaumlren Szenen der meisten Philosophenschulen erkennbar unterscheidet und sich wiederum mit dem sozialen Status urchristlicher Lehrer vergleichen laumlsst Allerdings gilt dies nur fuumlr seine Person sein Schulbetrieb in Nikopolis scheint sich deutlich an Angehouml-rige der Oberschicht gerichtet zu haben

Die Frage nach dem Verhaumlltnis Epiktets zum Neuen Testament wurde im 20 Jahr-hundert meist aufgrund bestimmter Konzeptualisierungen der neutestamentlichen Theologie und Religion einerseits und der philosophischen Theoriebildung und Psy-chagogik andrerseits

1 Zum Problemkreis der bdquoDiatribeldquo so SCHMELLER Einleitung S ders 2012 2 Vgl dazu HIRSCH-LUIPOLD 2009 THOM 2012

120

aufgeworfen Wir werden diese Kontrastmodelle pruumlfen stellen ihnen aber einen re-zeptionsgeschichtlichen Zugang voran der auf die vorfindliche Wirkungsgeschichte Epiktets im antiken Christentum fokussiert und damit ein bedeutendes Gegengewicht zu den modernen Systemkonstruktionen darstellt Die Orientierung an der faktischen Rezeptionsgeschichte unseres Philosophen illustriert augenfaumlllig wie die Verhaumlltnis-bestimmungen von Christentum und Stoa bzw von Theologie und Philosophie ihrer-seits erheblichen historischen Wandlungen unterliegen

Erst in einem naumlchsten Schritt wenden wir uns neuzeitlichen Versuchen zu die kom-plexen Wechselwirkungen zwischen Antike und Christentum zu beschreiben Sie ver-binden sich nicht zufaumlllig mit grundlegenden hermeneutischen Fragen insbesondere nach der Relation von Philosophie und Religion oder nach derjenigen von Kultur und Evangelium Wir beschaumlftigen uns sodann exemplarisch mit der theologischen Partie die unsere Diatribe uumlber die Freiheit enthaumllt und fragen dabei nach Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen epiktetischer Philosophie und urchristlicher Theologie Ein spezieller Blick gilt einem Vergleich zwischen Epiktet und Paulus Schliesslich fragt der letzte Teil nach der persoumlnlichen Religion von Epiktet In einem Anhang wird die Verwertung Epiktets im bdquoNeuen Wettsteinldquo einer umfassenden Quellentextsamm-lung zum antiken Hintergrund des Neuen Testaments dokumentiert

1 Paulus statt Sokrates Antike christliche Relektuumlren der Texte Epiktets

Man nimmt durchaus uumlberrascht davon Kenntnis dass Epiktets Werk in der christli-chen Antike zunaumlchst wenig explizite Wirkungen gezeitigt hat3 Die anerkennende Aumlusserung von Origenes wonach Epiktets Texte auch auf einfache Leute einen posi-tiven Effekt ausuumlbten bleibt die Ausnahme4 Umso interessanter nimmt sich die Re-zeption des bdquoethischen Handbuumlchleinsldquo Epiktets des Enchiridion aus Epiktets Text mutiert hier zu einem christlichen Text der Name unseres Philosophen geht dabei spurlos unter Diese Relektuumlre Epiktets die zugleich als Usurpation anzusprechen ist faumlchert sich auf in drei griechische Fas-

3 Zur Wirkungsgeschichte vgl bes das von M SPANNEUT praumlsentierte Material Art

Epiktet RAC 5 (1962) 599ndash681 616ndash628 (nichtchristliche Rezeption) 628ndash678 (christliche Rezeption) Vgl ferner das summierende Urteil von SPANNEUT 2007 19f bdquoEacutepictegravete semble avoir eacuteteacute reccedilu tregraves tocirct dans le monde chreacutetienldquo bdquola peacuteneacutetration drsquoEacutepictegravete dans le monde chreacutetien par citation ou allusion est dans lrsquoensemble assez modesteldquo

4 Orig Cels 62 (= Test 26 SCHENKL) bdquoMan kann jedenfalls wahrnehmen dass sich Pla-ton nur in den Haumlnden von Leuten findet die als Gelehrte gelten waumlhrend Epiktet auch von gewoumlhnlichen Leuten bewundert wird die in sich den Drang fuumlhlen gefoumlrdert zu werden und den guumlnstigen Einfluss bemerken den seine Lehren ausuumlbenldquo

121

sungen die allesamt in die Zeit des Uumlbergangs von der Spaumltantike in die fruumlhbyzanti-nische Epoche gehoumlren und auf Adressaten im monastischen Umfeld zielen5 Sie zei-gen einerseits wie nichtchristliche philosophische Texte in erheblichem Umfang an die eigene ndash hier vor allem monastische ndash Tradition vermittelt werden koumlnnen And-rerseits werden bestimmte Bruchlinien erkennbar wo die christliche Rezeption auf je eigenen Wegen die paganen Uumlberlieferungen und Implikationen zu umschiffen oder zu bewaumlltigen versucht

11 Gottesmann und Engel statt Diogenes und Herakles Die Enchiridion-Ver-

sion von Ps-Neilos

Der urspruumlngliche Text des Enchiridion wird in dieser unter dem Namen des Moumlnch-vaters Neilos von Ankyra (um 400) firmierenden Fassung auf weite Strecken hin be-wahrt Es kommt aber zu einigen charakteristischen Variationen6

1 Epiktet spricht in seinem Vergleich des Lebens mit einem Gastmahl wo es be-stimmte Tischregeln zu beachten gibt (vgl Lk 147ndash14) nicht nur vom kontrollierten Warten auf das einem Zukommende sondern auch von der gelegentlich noch besseren Option des Verzichts (Ench 15) Wer sich so verhaumllt wird bdquonicht nur ein Tischge-nosse der Goumltter sein sondern auch an ihrer Macht teilhaben Denn so taten es Dio-genes Herakles und aumlhnliche Maumlnner und darum waren sie mit Recht goumlttlich und wurden mit Recht goumlttlich genanntldquo Die christliche Version (21 fin) spricht demge-genuumlber davon man werde bdquonicht nur ein Gottesmann sein sondern sogar wie ein Engel (τότε οὐ μόνον ἄνθρωπος ἔσῃ θεοῦ ἀλλὰ καὶ ὡς ἄγγελος)ldquo Die Ter-minologie ist biblisch bzw christlich variiert7 der Verweis auf die goumlttlichen Maumlnner fehlt ganz

2 Bestimmte Praktiken und Verhaltensregeln werden ausgeblendet da sie nicht dem christlichen Ethos entsprechen So fehlen die Abschnitte zur Mantik zur Sexua-litaumlt oder zu den oumlffentlichen Spielen8

3 Interessant sind insbesondere die Umformungen in der Schlusspassage Die Saumltze uumlber Sokrates (Ench 513) fehlen (Neilos 71a71b) ebenso die eher technische Belehrung uumlber die Dreiteilung der Philosophie (Ench 52 ndash Neilos 71a71b) Instruk-tiv ist vor allem das Fehlen der den gesamten Traktat summierenden aus Zitaten be-stehenden Kernsaumltze (Ench 531ndash3 ndash Nil 71b) Eliminiert wird sowohl der

5 Die Texte mit Einleitungen bietet BOTER 1999 Zur zeitlichen Ansetzung vgl 157 206

260 Anm 2 6 Vgl die Zusammenstellung von BOTER 1999 158ndash160 7 Der ἄνθρωπος θεοῦ ist Standardausdruck der LXX fuumlr den bdquoGottesmannldquo (Mose Pro-

pheten) Fuumlr bdquowie ein Engelldquo vgl zB Mk 1225 par Apg 615 ActPaulThekl 3 von Christus EpApost 14 AscJes 930

8 Mantik Ench 32 ndash Neilos 38c39 Sexualitaumlt Ench 338 ndash Neilos 4546 Ench 41 ndash Nei-los 60 Spiele Ench 3310 ndash verkuumlrzt und verboten bei Neilos 47

122

Vers des Kleanthes der von Zeus und dem personifizierten Schicksal spricht (SVF 1 527 vgl 2 975) wie der Vers des Euripides mit dem Wissen um bdquodas Goumlttliche (τὰ

θεῖα)ldquo Das letzte Sokrateswort wird verkuumlrzt in den Mund derer gelegt die Paulus imitieren (Ench 534) Aus der sokratisch-epiktetischen Affirmation bdquoAnytos und Meletos koumlnnen mich zwar toumlten aber schaden koumlnnen sie mir nichtldquo wird in der christlichen Version das Folgende

bdquoAuch Paulus lebte auf diese Weise indem er auf sich selber achtete und auf nichts anderes als den Logos achtete Du auch wenn du noch nicht Paulus bist solltest leben als wolltest du Paulus sein sbquoMan kann mich zwar toumlten mir aber nicht schadenlsquoldquo9

In unserer Version fehlen weitgehend die Namen von griechischen Philosophen und mythologischen Figuren Die Ausfuumlhrung uumlber die Froumlmmigkeit (Ench 31) bleibt er-halten aber es wird konsequent vom Plural bdquoGoumltterldquo auf bdquoGottldquo umgestellt

Es wird deutlich wie mindestens zwei fundamentale Referenzgroumlssen ersetzt werden Fuumlr Sokrates und andere Klassiker ruumlckt Paulus ein polytheistische Aussagen werden monotheistisch umgeschrieben Auffaumlllig ist aber auch das Fehlen von Bezuumlgen auf die Bibel Manches bleibt stehen was moderne Leser als wenig christlich empfinden moumlgen10

12 Der eine Gott statt der vielen Goumltter Die Version des Vaticanus Gr 2231

(Vat)

Diese Version des Enchiridion bleibt dem Ursprungstext am naumlchsten11 manches bleibt stehen was bei Ps-Neilos ausgelassen wird Anders steht es natuumlrlich um die obligatorische Ersetzung polytheistischer durch monotheistische Terminologie (zB Ench 31 ndash Vat 37) und paganer Autoritaumlten durch christliche 12 Wir beruumlcksichtigen lediglich den Schlussteil (Ench 53 ndash Vat 73) Im Gebet des Kleanthes wird anstelle von Zeus und Schicksal Gott angerufen

9 Die Aumlusserung zu Paulus variiert die epiktetische uumlber Sokrates (Ench 513 bdquoDu aber

auch wenn du noch kein Sokrates bist solltest so leben als ob du Sokrates sein wolltestldquo) die zwischen 71a und b weggelassen wird

10 Das summierende Urteil von BOTER 1999 160 ist zu normativ orientiert bdquoAll in all we may conclude that the attempt to adapt Ench to orthodox Christian purposes can be regar-ded as a failureldquo aumlhnlich auch SPANNEUT 1962 664 ( bdquobisweilen uumlberrascht uns seine Duldsamkeit gegenuumlber dem Text Er hat den Bann aufrechterhalten mit welchem die Stoiker das Mitleid belegenldquo)

11 BOTER 1999 259 bdquothe text is even less consistently christianized than Nil not to speak of Par [= Enchiridii Paraphrasis Christiana SV dazu gleich unten]ldquo detailliert nachgew-iesen 259ndash262

12 Paulus ersetzt Sokrates (Ench 53 ndash Vat 73) diverse Vaumlter ersetzen Diogenes Herakles Sokrates Salomo ersetzt Chrysipp

123

bdquoFuumlhre mich o Gott und (du) alles durchdringende schoumlpferische und bewegende Ursache an den Ort der mir einst von euch bestimmt wurde hellipldquo13

Die Saumltze des Euripides und des platonischen Sokrates werden bewahrt wobei die Goumltter durch bdquoGottldquo und die bei Platon namentlich genannten Sokratesgegner durch bdquoboumlse Menschenldquo ersetzt werden

13 Der Heiland und der Heilige Geist anstelle von Zeus und Schicksal Die

Enchiridii Paraphrasis Christiana (Par)

Diese Version unter dem handschriftlichen Titel bdquoUnterweisungenldquo (ὑποθῆκαι) die zu Unrecht als bdquoParaphraseldquo bezeichnet wird ist deutlich christlicher gehalten als die beiden anderen Vor allem finden sich hier nun auch zahlreiche Schriftbezuumlge die ein grundlegend veraumlndertes Referenzsystem signalisieren14 Wir beschraumlnken uns auf ei-nige wenige Hinweise

1 Verschiedene Auslassungen oder Veraumlnderungen decken sich mit Ps-Neilos so die Umstellung auf den einen Gott oder der Verzicht auf die Belehrung uumlber die Man-tik statt vom Opfern ist vom Almosengeben die Rede15 Anders als bei Ps-Neilos (43) fehlt die Nennung des Schwoumlrens Anstelle von Sokrates figurieren bdquoApostel und Maumlrtyrerldquo bzw bdquoder Apostelldquo16 Die Sokrates-Mimesis die Ench 513 empfiehlt wird in Par 69 auf Paulus uumlbertragen (vgl Ps-Neilos 71b) verbunden mit dem Zitat von 2Tim 47 Die Adressaten sind nun nicht mehr bdquoPhilosophenldquo sondern bdquoAnacho-retenldquo oder bdquoHesychastenldquo (Ench 22 46 ndash Par 291 601) und aus der bdquoPhilosophieldquo ist ein bdquotugendvoller Lebenswandelldquo geworden (Ench 22 ndash Par 291)

2 Charakteristisch ist wiederum die Umformung des Schlussteils (Ench 53 ndash Par 70ndash71) wo die Hinweise auf antik-pagane Klassikertexte unkenntlich gemacht wer-den Das epiktetische generelle bdquoBereithaltenldquo wird spezifiziert im Blick auf widrige Umstaumlnde (bdquoPeristasenldquo) und Versuchungen Das Gebet des Kleanthes (SVF 1 527) lautet nun so

bdquoFuumlhre uns o Heiland du und der Heilige Geist wo und wie es (euch) recht ist hellipldquo (Par 701f)

Der euripideische Vers wird elegant transformiert und mit dem ersten Platonzitat ver-schraumlnkt

bdquoWer aber freiwillig und gehorsam Gott folgt gilt bei uns als weise und bei Gott als befreundet Wir beten aber darum dass uns das was mit Gott befreun

13 Diese Redefinition des Schicksals ist nicht speziell christlich sie stammt vielmehr aus

dem Enchiridion-Kommentar des Neuplatonikers Simplikios (6 Jh) 7111ndash13 (p 452 H vgl dens in Aristot phys 413 [CAG 9 7555])

14 Detaillierte Nachweise bei BOTER 1999 206ndash211 15 Mantik Ench 32 ndash Par 38 wo dafuumlr mit Bezug auf Mt 67f10 vom Gebet gehandelt

wird ndash Opfer Ench 315 ndash Par 37 16 Ench 5 ndash Par 72 603 (sc Paulus)

124

det ist zuteil werdeldquo (703f ὅστις δὲ ἑκὼν εὐπειθῶς ἕπεται θεῷ σοφὸς παρ᾽ ἡμῖν καὶ θεῷ δὲ προσφιλήςmiddot ὃ γὰρ τῷ θεῷ φίλον τοῦτο ἡμῖν γενέσθαι εὐχόμεθα)

Das zweite Platonzitat uumlber diejenigen die wohl toumlten nicht aber schaden koumlnnen wird um einige Peristasen erweitert und gipfelt im Jesuswort Mt 1028a bdquoFuumlrchtet euch nicht vor denen die den Koumlrper toumlten die Seele aber nicht toumlten koumlnnenldquo

Diese dritte christliche Relektuumlre des Enchiridion geht in einigen Punkten erheblich weiter als die anderen beiden17 Dies aumlndert aber nichts daran dass der groumlsste Teil des Handbuumlchleins unter gelegentlichen Adaptationen uumlbernommen wird

An dieser Stelle weisen wir auf die besonders interessante griechische Kommentie-rung dieser Paraphrasis hin die in fruumlhbyzantinischer Zeit entstanden ist18 Der ano-nyme und leider sehr unvollstaumlndige Kommentar orientiert sich konsequent am Mo-dell einer bdquochristlichen Philosophieldquo (Praef 1 8) Die Bibel spielt freilich keine for-mative Rolle Am staumlrksten sind die biblischen Bezugnahmen in der Exegese des Gleichnisses vom Steuermann (Ench 7) das in allen drei Versionen ziemlich wort-getreu wiedergegeben wird (Ps-Neilos 12ab Vat 10 Par 10)19 Die Schifffahrt hat zum Ziel die bdquoallein wahre Heimatldquo wo bdquomit Christus Herkunft und Genossen und das Gemeinwesen der Heiligenldquo zu finden sind (Comm 106) Hier bezieht sich der Kommentator auf die Gottesstadt des Neuen Testaments20

Wir bilanzieren unsere Exkursion in die Rezeptionsgeschichte des Enchiridion Epik-tets mit einer schlichten Einsicht Die Bestimmung von spezifisch Christlichem das mit stoisch-epiktetischer Philosophie kontrastiert unterliegt erheblichen historischen Wandlungen Die christliche Usurpation ndash am deutlichsten indiziert durch das Aus-blenden des urspruumlnglichen Autors ndash generiert ein neues Referenzsystem An die Stelle der Klassiker treten die Schrift und die Vaumlter die vielen Goumltter weichen dem einen Gott bestimmte lebensweltliche Verhaumlltnisse werden vom christlichen Ethos korrigiert Wir notieren speziell dass es sich bei unseren Texten hauptsaumlchlich um

17 BOTER 1999 206 bdquoThe author of Par shows much more intellectual independence theo-

logical acumen and philosophical insight than his two Christian colleaguesrdquo SPANNEUT 2007 25 diese Instruktionen christianisieren den Text bdquoen profondeur plus que les deux autres adaptateurs avec une note personnelle plus affirmeacuteeldquo

18 Ausgabe M SPANNEUT (Ed) Commentaire sur la paraphrase chreacutetienne du Manuel dlsquoEpictegravete Introduction texte etc (SC 503) Paris 2007

19 Par und Vat fuumlgen dem Epiktet-Text eine Schlusspartie hinzu die das Bild der gefessel-ten Schafe im Gleichnis auf den Greis appliziert Fuumlr uns wichtiger ist die nur von Par gebotene Variation dessen was der Weise zu bdquolassenldquo hat statt von dem bdquoFrauchenldquo und dem Kind bei Epiktet ist hier die Rede von bdquoBruumldern oder Freunden oder Verwandten oder dem Hausldquo (104) ndash wahrscheinlich ein Reflex des Nachfolgeworts Mk 1029 Mt 1929 Lk 1829

20 Phil 320 Eph 219 und Hebr 1114ndash16 (vgl 1222ndash24)

125

monastische Relektuumlren Epiktets handelt die den Weisen und Philosophen aktualisie-rend auf den Moumlnch speziell den Anachoreten beziehen Die Naumlhe Epiktets zu kyni-schem Traditionsgut duumlrfte die monastische Rezeption noch befoumlrdert haben spannen sich doch einige Bruumlcken von der Askese der Kyniker zum oumlstlichen Moumlnchtum

2 Der neuzeitliche Epiktet Nachbar oder Antipode des Christentums

Unter Absehung von spaumlteren byzantinischen sowie humanistischen und fruumlhneuzeit-lichen Rezeptionsspuren springen wir aus der spaumlten Antike direkt in die Moderne Zur Bestimmung des Verhaumlltnisses von Epiktet und Neuem Testament bieten sich zwei verschiedene Modelle an die untereinander auch in Wechselwirkung treten koumln-nen Dependenzmodell und komparatistisches Modell Unser Interesse gilt zunaumlchst dem ersteren das sich primaumlr mit einem moumlglichen Einfluss des Fruumlhchristentums auf den hauptsaumlchlich zu Beginn des 2 Jahrhunderts lehrenden Philosophen beschaumlftigt

Fuumlr jede moumlgliche Modellbildung ist festzuhalten Epiktet hat Kenntnis von den Chris-ten In seinem Lehrgespraumlch uumlber die Furchtlosigkeit (Diss IV 75ndash6) reiht er die bdquoGalilaumlerldquo unter diejenigen ein die aufgrund von Wahnsinn Geistesstoumlrung und Ge-wohnheit zu einer Furchtlosigkeit finden die wir heutzutage etwa mit Selbstmordat-tentaumltern verbinden Die christliche Demonstration der Todesverachtung im Amphi-theater tadelt auch Marc Aurel (XI 32)21

21 Epiktet reagiert auf das Christentum Das Dependenzmodell

Dieses Modell geht davon aus dass sich bestimmte Zuumlge in Epiktets Philosophie christlichem Einfluss verdanken sei es im Modus der Uumlbernahme oder aber der An-tireaktion Exemplarisch fuumlr diese heute weitgehend uumlberholte Verhaumlltnisbestimmung steht die Rektoratsrede von Theodor Zahn aus dem Jahr 189422 Der konservative Theologe stellt nicht nur erhebliche Widerspruumlche im Denken Epiktets fest23 sondern rechnet auch mit einem markanten Einfluss christlicher Gedanken etwa

21 Kaum als Reflex auf das Christentum kommen Epiktets Bemerkungen zur bdquoTaufeldquo in

Diss II 920f in Betracht Sie nehmen eher Bezug auf juumldische als auf christliche Taumlufer-gruppen vgl LONG 2002 17 110 Anm 9

22 Nicht zugaumlnglich ist mir das ebenso hier zu klassifizierende Werk des Hollaumlnders K KUIPER Epictetus en de Christelijke Moraal Amsterdam 1906 das bei Bonhoumlffer 1911 eingehend besprochen wird Kuiper zufolge reagiert Epiktet polemisch auf die christli-chen Texte und Theologien dieser wird also zu einem fruumlhen auctor adversus Christia-nos

23 ZAHN 1895 18f 23ndash26

126

beim Eid bei der Gotteskindschaft bei Herakles als Heiland oder beim gottgesandten apostelgleichen Kyniker24

22 Gelaumluterte Religion Bonhoumlffers vergleichendes Modell

Die Monographie bdquoEpiktet und das Neue Testamentldquo von Adolf Bonhoumlffer aus dem Jahr 1911 markiert das wohl definitive Ende der Dependenzmodelle In einer detail-lierten Auseinandersetzung stellt der Philologe heraus dass es keine uumlberzeugenden Indizien fuumlr eine Abhaumlngigkeit Epiktets vom Neuen Testament gibt ndash wie auch umge-kehrt keine nennenswerten stoischen Einfluumlsse auf das Urchristentum geltend ge-macht werden koumlnnen Die bisher in Anspruch genommenen Uumlbereinstimmungen er-weisen sich teilweise als konstruiert teilweise als Resultat von Konvergenzen die bei naumlherem Zusehen doch jeweils sehr verschiedene kulturelle Kontexte zum Ausdruck bringen Bonhoumlffer arbeitet ndash wie manche bereits vor ihm ndash mit einem vergleichenden Modell das vor allem in seiner bdquosystematischen Vergleichung Epiktets und des Neuen Testamentsldquo greifbar wird25

Bonhoumlffer ist sich der Gefahr einer nicht angemessenen Systematisierung bewusst Waumlhrend sich die neutestamentliche Theologie erst noch entwickelt ruht Epiktets Denken zwar bdquodurchweg auf einem ganz genau umrissenen und ins einzelne hinein fest formulierten System der alten orthodoxen Lehre der Stoaldquo26 wird aber von bdquosei-ner eigenen vom stoischen Geist durchdrungenen Persoumlnlichkeitldquo formiert und reprauml-sentiert (340) Bonhoumlffer arbeitet Analogien wie Kontraste heraus Zu den Gemein-samkeiten zaumlhlen die bdquogelaumluterte Religiositaumltldquo die Verbindung von Religion und Mo-ral der Idealismus und sittliche Ernst (341ndash354) zu den Kontrasten der Gegensatz von Vernunft und Offenbarung oder von Diesseitigkeit und Jenseitigkeit (354ndash357) Offenkundig wurzelt Bonhoumlffer in der zeitgenoumlssischen liberalen Theologie die im spaumlten 19 und fruumlhen 20 Jh gemeinsam mit den anderen Geisteswissenschaften ein sbquokulturprotestantischeslsquo Profil aufweist Gemessen am liberal-theologischen Jesusbild bleibt fuumlr Bonhoumlffer der epiktetische Theismus defizitaumlr bdquoMit dem allem soll aber nun keineswegs gesagt sein dass die Religiositaumlt Eprsquos der neutestamentlichen vollauf ebenbuumlrtig seildquo Es bdquoerreicht auch die Froumlmmigkeit Eprsquos so echt sie empfunden ist doch die Houmlhe der christlichen nichtldquo27 So weht bdquoein waumlrmerer Geist der Menschen-liebe durch das Neue Testament [hellip] als selbst durch die Reden eines Epldquo (382) Kritisiert wird auch die vornehmlich Eliten adres-

24 ZAHN 1895 28ndash33 Eine vernichtende Kritik stammt von WENDLAND 1895 Zahn miss-

verstehe Epiktet nicht nur haumlufig sondern zeige eine bdquovoumlllig unzureichende Kenntnis der kynischen und stoischen Literaturldquo (495)

25 BONHOumlFFER 1911 339ndash390 26 Diesen Nachweis lieferte BONHOumlFFER bereits 1890 sowie 1894 27 BONHOumlFFER 1911 344

127

sierende Stoa die bdquodurch ihre historische Gebundenheit an die Lehrformen des aris-tokratischen Partikularismus gehindert war ihre universelle Mission zu erfuumlllenldquo (388) Umgekehrt zeigt Epiktet in manchen Lebensbereichen eine natuumlrlichere Ein-stellung ndash dies erweisen bdquoein frisches und gesundes Interesse an dem Weltgeschehen und am Tun und Treiben der Menschheitldquo die bdquoFreude an den Werken der Technik und der Kunstldquo die Einstellung zu Leiblichkeit und Sexualitaumlt (366f) sowie das bdquopo-sitive Interesse an der Menschheitldquo (377) Erstaunlich wenig gewichtet wird die bdquoDiesseitigkeitldquo Epiktets die sich markant mit der Jenseits- und Endzeitbezogenheit des Urchristentums kontrastieren liesse

Es ist Rudolf Bultmann der Bonhoumlffers Verhaumlltnisbestimmung einer fundamentalen Kritik unterzieht28 Mit ihm meldet sich bereits jene Generation von Neutestamentlern aus der Religionsgeschichtlichen Schule und der Dialektischen Theologie zu Wort die mit der liberalen Theologie brechen wird29 In einer raschen Replik auf Bultmanns Kritik stellt Bonhoumlffer seinerseits seine Position noch einmal deutlich heraus Gegen-uumlber der ziemlich negativen Wahrnehmung Epiktets durch den Theologen gibt er zu bedenken dass dessen Kritik durchaus und zu noch groumlsseren Teilen just auch das neutestamentliche Christentum traumlfe30

Bonhoumlffers Vergleich von Epiktet und Neuem Testament laumluft auf die Konstatierung einer grundsaumltzlichen Verschiedenheit hinaus die aber Gemeinsamkeiten nicht aus-schliesst Auch wenn sich Urchristen und Epiktet auf Augenhoumlhe treffen zeichnen sich erstere doch durch ein Mehr an genuiner Religiositaumlt aus Beide Typisierungen verraten deutlich ihren kulturgeschichtlichen Hintergrund zu Beginn des 20 Jahrhun-derts ndash die Wertschaumltzung der sbquogenialenlsquo religioumlsen sbquoPersoumlnlichkeitlsquo und des sbquosittlichlsquo orientierten Weltverhaumlltnisses

23 Ein Zwischenhalt Methodische Uumlberlegungen

Der Grundansatz von Bonhoumlffer von zwei im Ansatz sehr verschiedenen kulturellen Bildungen auszugehen naumlmlich der stoischen Philosophie und ihrer besonderen in-dividuellen Brechung bei Epiktet einerseits der urchristlichen Religion und ihrer

28 BULTMANN 1912 (Bonhoumlffers Buch scheint bdquosowohl in der Anlage wie in der

Erfassung des Problems verfehlt zu seinldquo 97) 29 In Bultmanns Positionsbezug gegen Bonhoumlffer tritt dies allerdings noch nicht deutlich

hervor So bestimmt er als bdquoZentralpunkt der Differenzldquo zwischen Epiktet und Neuem Testament bdquoein ganz verschiedenes Individualitaumltsgefuumlhl [] ein ganz verschiedenes Per-soumlnlichkeitsbewusstseinldquo (182 vgl 186ndash190) Nicht anders als Bonhoumlffer steht Bultmann dem Religionsverstaumlndnis der liberalen Theologie noch nahe vgl seine Bemerkung uumlber den Unterschied zum frostigen Seneca bdquoEpiktets Froumlmmigkeit verbreitet eine sonnige Heiterkeit Waumlrme und Frieden um sichldquo (110) Die Gegensaumltze werden in der spaumlteren Darstellung bdquoDas Urchristentum im Rahmen der antiken Religionenldquo (1949) viel schaumlrfer gezeichnet s unten bei Anm 32

30 BONHOumlFFER 1912 288f

128

theologischen Reflexion etwa bei Paulus andrerseits hat sich als plausibel und weg-weisend erwiesen Wo immer die beiden Kulturgestalten komparatistisch auf einander bezogen werden orientiert man sich an diesem Basismodell31 Die Umbruumlche in den Geistes- und Kulturwissenschaften seit der Mitte des 20 Jahrhunderts haben freilich die Koordinaten entlang denen das Wirklichkeitsverstaumlndnis und die Ethik der Stoi-ker wie der Christen rekonstruiert werden tiefgreifend veraumlndert So hat sich auf der Seite der neutestamentlichen Theologie die urchristliche Eschatologie in den Vorder-grund geschoben die die Kontrastierung zur griechisch-hellenistischen Philosophie noch einmal anders konturiert32 In juumlngerer Zeit hat das Interesse an einem umfas-senden sbquoSystemvergleichlsquo deutlich abgenommen33

31 Grunddifferenzen bei gleichzeitigen Konvergenzen werden herausgearbeitet etwa bei

GRETENKORD 1981 261ndash305 KLAUCK 1989 ders 1996 85ndash88 92 GALLOWAY 2004 HUTTUNEN 2005 SCHNELLE 2009 RAMELLI 2009 WILLMS 2011 I 431f uouml Auch die juumlngste Gesamtdarstellung von Epiktet liegt auf dieser Linie LONG 2002 3 (bdquoEpictetus has also been misunderstood because his appeals to theology which are ubiquitous have been consciously or unconsciously read in the light of Christianity In my opinion Epic-tetusrsquo deepest ideas are remote from the main Christian message notwithstanding notable parallels between some things he says and the New Testamentldquo) 143ndash147 176

32 Bereits BULTMANN 1912 185ndash188 stellt ua das Fehlen eines Geschichtsbewusstseins in der Philosophie fest bdquoEtwas Neues ist nie gekommenldquo (185) Auf dieser Linie urteilt er spaumlter bdquoder Stoiker meint seine Zeitlichkeit eliminieren zu koumlnnen seine sbquoEntweltli-chunglsquo ist sbquoEntzeitlichunglsquoldquo (194941976 161) Ich selber habe versucht die Differenz zwischen Stoikern und Urchristen am ineinander verschraumlnkten Verhaumlltnis der drei Zeit-modi herauszuarbeiten und in die Kosmologie zu extrapolieren Waumlhrend die Gegenwart in der Perspektive der Christen von der endzeitlichen Zukunft tangiert wird steht sie bei den Stoikern im Bann der Vergangenheit Dem sich ewig wiederholenden Kosmos steht die sich vorerst partikular realisierende neue Schoumlpfung entgegen VOLLENWEIDER 1989 44ndash53 404f vgl unten S

33 Eine Ausnahme stellt der neuere Versuch von ENGBERG-PEDERSEN 2000 dar stoische Phi-losophie und paulinische Theologie idealtypisch zu vergleichen statt sich von der Frage nach historischen Beeinflussungen engfuumlhren zu lassen Die Basis dafuumlr stellt ein kom-plexes theoretisches Modell bereit das die Wechselwirkung zwischen Individuum Ge-meinschaft und dem Goumlttlichen bzw dem Logos beschreibt (33ndash44) Der Erkenntnisge-winn der Studie reicht genau so weit wie die Leserschaft bereit ist diesem Modell Plau-

sibilitaumlt zuzuerkennen ndash In seinem juumlngsten Buch fuumlhrt ENGBERG-PEDERSEN (2010 106ndash138) einen Vergleich speziell zwischen Epiktet und Paulus durch Er konzentriert sich dabei auf die Gotteserkenntnis und stellt neben Differenzen erhebliche Uumlbereinstimmun-gen fest Problematisiert werden die bisher gelaumlufigen Differenzkriterien von self-suffi-ciency (resp human agency) versus dependence (resp divine agency) und damit zusam-menhaumlngend von philosophy versus apocalypticism Bezuumlglich des erstgenannten Duals ist Engberg-Pedersen mE im Recht beim zweitgenannten aber kaum (vgl die vorherige Anm) Die Gotteserkenntnis ihrerseits hat bei den beiden Denkern einen derart unter-schiedlichen Stellenwert dass sie schwer vergleichbar ist zumal sie bei Paulus christolo-gisch vermittelt ist Ausserdem laumldt die Konvergenzformel bdquoknowledge (of God) as align-ment with Godldquo nicht primaumlr die Stoiker sondern vielmehr die Platoniker mit ihrer ὁμοίωσις θεῷ zum Gespraumlch mit Paulus Epiktet duumlrfte gerade an diesem Punkt plato-nische Motive rezipiert haben (vgl unten Anm 98) was vielleicht auch fuumlr Paulus gilt (so VAN KOOTEN 2008) Auch bei anderen Thesen des Buchs legen sich statt stoischer eher platonische Bezuumlge nahe vgl die Rezension von R HIRSCH-LUIPOLD Early Christianity 3 (2012) 122ndash133

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Methodisch gesehen erweist sich das komparatistische Geschaumlft als uumlberaus komplex Ich weise auf wenigstens drei Punkte hin wo ein umsichtiges historisches und herme-neutisches Urteil gefordert ist

1 Ein Vergleich kommt nur dort angemessen zum Zug wo beide Seiten in optimam partem interpretiert werden wo also Abstinenz gegenuumlber vorschnellen Verurteilun-gen eingeuumlbt wird Die neutestamentliche Exegese hat waumlhrend der letzten Jahrzehnte auf einem anderen Feld naumlmlich in der Einschaumltzung des Fruumlhjudentums geradezu einen Paradigmenwechsel vollzogen Anstatt das Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels als dunkle Folie zu entwerfen von der sich das entstehende Christentum strahlend abhebt wird es nun in seinem eigenen Selbstverstaumlndnis und unter Verzicht auf Werturteile rekonstruiert Es legt sich nahe diesen Typ einer interessierten und aufmerksamen Hermeneutik auch der Wahrnehmung hellenistischer Philosophen zu-gutekommen zu lassen

2 Der Versuch uumlberaus vielfaumlltige geschichtliche Kulturerscheinungen auf basale Figuren hin zu typisieren muss die Grenzen seiner Reichweite explizit reflektieren und sich mit der dienenden Rolle einer heuristischen Kunst bescheiden Sowohl die sokratisch modellierten und praktisch ausgerichteten Lehrgespraumlche Epiktets wie die Briefe und Erzaumlhltexte des Neuen Testaments bleiben widerstaumlndig gegenuumlber aller Systematik

3 Gerade weil umfassende geisteswissenschaftliche Rekonstruktionen unaus-weichlich im Kontext ihrer eigenen Zeit stehen muumlssen sie konsequent darauf hin befragt werden ob sie die historischen Phaumlnomene noch angemessen vergegenwaumlrti-gen und nicht ungebuumlhrlich verzerren So ist es nicht ratsam Figuren die sich erst im Lauf der christlichen Theologiegeschichte herausgebildet haben ndash beispielsweise die Kontrastierung von Selbsterloumlsung und Gnade ndash an philosophische Texte die in ganz anderen Kontexten zu situieren sind heranzutragen Umgekehrt zeigen uns die an-faumlnglich vorgestellten christlichen Rezensionen des Enchiridion dass Grenzziehun-gen zwischen den beiden Bereichen ihrerseits erheblichen geschichtlichen Variatio-nen unterliegen

24 Diskursmodelle

Angeregt von philosophischen Diskurstheorien lassen sich urchristliche und philoso-phische Texte der fruumlhen Kaiserzeit darauf hin befragen inwieweit sie aktuelle

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sbquoDiskurselsquo dokumentieren und ihrerseits bestimmte Positionen beziehen34 Sie sind also engagiert in argumentativen Dialogen uumlber die Wahrheit von Behauptungen und die Legitimitaumlt von Normen Das klassische Geschaumlft von Exegeten und Philologen die Sortierung von sbquoParallelenlsquo stellt einschlaumlgiges Material fuumlr die Identifizierung von Themen und fuumlr die Rekonstruktion von Rezeptionserwartungen zusammen35 Auf dem weltanschaulichen Markt der fruumlhen Kaiserzeit einer fuumlr antike Verhaumlltnisse hochgradig globalisierten Welt bieten sich sowohl Philosophien wie Religionen als Fuumlhrerinnen zur Lebenskunst und als Weg zum Gluumlck an36 Ihre Diskurse handeln von den fundamentalen Fragen der Lebensorientierung ndash Schicksal und Freiheit Le-ben Tod und Jenseits ndash und von den ethischen und praktischen Problemstellungen rund um Ehe Besitz Sklaverei Freundschaft und Alter37 Sie lassen sich etwa mit Hilfe von Theorien sozialer oder personaler Identitaumlt profilieren38

Es ist attraktiv Epiktets Lehrgespraumlch uumlber die Eleutheria in den zeitgenoumlssischen Diskursen uumlber die Freiheit zu verorten39 an denen sich auch Exponenten von

34 Zur Hochkonjunktur des Diskursbegriffs in den letzten Jahrzehnten vgl die summari-

schen Bemerkungen von K GRUumlNDER Vorbemerkungen zu HWPh 9 (1995) 84ndash86 35 So spielen Epiktets Texte im Neuen Wettstein eine prominente Rolle s unten S 36 Zur Philosophie als exercice spirituelle vgl HADOT 2005 Zu den methodischen Proble-

men bei der Identifizierung von Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament vgl VOLLENWEIDER 2012 298f

37 Instruktiv ist in unserem Zusammenhang der juumlngst erschienene Sammelband unter dem Titel bdquoStoicism in early Christianityldquo (RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010) Behandelt werden ua Fragen der Ethik und des Gesetzes bei Paulus die Darstellung Jesu als Lehrer bei Mt der sbquoemotionalelsquo Jesus in Joh die Weltbrand-Eschatologie (2Petr) das Thema der Sklaverei und der Willensfreiheit

38 So spielt Epiktet bei NGUYEN 2008 eine wichtige Rolle in der Rekonstruktion der Inter-aktionen zwischen den Korinthern und Paulus Auch die bdquoWeltdistanzldquo die zum Ver-gleich von Urchristen und Epiktet einlaumldt (BRAUN 1971 SCHRAGE 2004 WEBER 1999) waumlre heute auf der Basis von Theorien sozialer Identitaumlt zu reformulieren

39 Als besonders herausragende Texte der fruumlhen Kaiserzeit sind neben Epiktet Diss IV 1 und Paulus Roumlm 6ndash8 Gal 45 1Kor 910 zu nennen Dion Or 14ndash15 80 Philon Prob verschiedene Texte von Seneca sodann Cicero Parad 33ndash41 (omnes sapientes liberos esse et stultos omnes servos) Persius Sat 5 Ps-Andron Rhod Pass 97 Nicht erhal-tene Traktate bdquoUumlber die Freiheitldquo oder bdquoUumlber Knechtschaft (und Freiheit)ldquo werden ua Antisthenes (Diog Laert 616) und Kleanthes (Diog Laert 7175 = SVF 1 481) zuge-schrieben Wichtige Quellentexte stellt WILLMS 2011 I 63ndash83 89 zusammen Sein Ver-such eine bdquostoische Urschriftldquo namentlich aufgrund von Uumlbereinstimmungen zwischen Epiktet und Philon zu postulieren ist mE wie viele andere literarkritische Modelle die auf die Quellenkritik des 19 Jh zuruumlckgehen zum Scheitern verurteilt Die Parallelen erweisen sich als so partiell dass sie mit der Annahme von gemeinsamem Traditionsgut ausreichend erklaumlrt werden koumlnnen Die methodisch viel anspruchsvollere Hypothese ei-ner gemeinsamen Quelle laumlsst sich nicht plausibilisieren (vgl dazu bereits VOLLENWEIDER 1989 28f)

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Partialkulturen wie der juumldischen und der christlichen beteiligten Zu beachten ist da-bei dass die Freiheitsdiskurse auch implizit oder explizit politische Akzente setzen etwa im Verhaumlltnis zur imperialen Ideologie40 Wir beschaumlftigen uns im Folgenden exemplarisch mit dem spezifisch theologischen Profil des Freiheitsverstaumlndnisses Epiktets Zugrunde gelegt wird die Annahme dass sein Verstaumlndnis von Freiheit zwar ein deutlich erkennbares individuelles Kolorit aufweist sich aber grundsaumltzlich doch in die klassische stoische Konfiguration einzeichnen laumlsst41

3 Der goumlttliche Grund der Freiheit nach Diss IV 185ndash110

31 Grundlegende Unterscheidungen

Epiktet geht in seinem Lehrgespraumlch von einer weithin konsensfaumlhigen Definition von Freiheit aus die Freiheit zu leben bdquowie man willldquo (sect1)42 Die Argumentation steuert uumlber mehrere Gaumlnge auf ein Verstaumlndnis von Freiheit zu das sich fuumlr die vom Meister in die Unterredung einbezogenen virtuellen Schuumller mit uumlberraschenden Entdeckun-gen verbindet Der soziale Status mit all seinen Implikationen traumlgt nicht nur nichts bei zum Erwerb der Freiheit sondern entpuppt sich sogar als bdquoschoumlnste und glaumln-zendste Sklavereildquo (sect40) Dies gilt zumal dort wo einer nur noch den Kaiser als bdquoHerrn uumlber alleldquo uumlber sich weiss (sect12f) Zentral fuumlr den Befreiungsprozess ist das unablaumlssige Einuumlben jener kognitiven Operation welche die allgemeinen Vorstellun-gen (προλήψεις) mit den konkreten Lebensverhaumlltnissen konfiguriert (ταῖς ἐπὶ μέρους οὐσίαις sect41f)43 bdquoSuche und du wirst findenldquo (sect51)44 Wer

40 Muumlnzen Inschriften und Literatur belegen die Zugkraft des ideenpolitischen Schlagworts

bdquoFreiheitldquo so beanspruchte der Prinzipat die res publica und ihre libertas wiederherge-stellt zu haben

41 Vgl Forschner oben S Anders jetzt ASMIS 2001 der Epiktet eine neue Frei-heitskonzeption zuschreibt (bdquoEpictetus in sum offers a new concept of human freedom according to which the power of choice [sc prohairesis SV] confers on each person the freedom to determine onersquos own characterrdquo 412)

42 Diese gaumlngige Formel begegnet zB auch bei Paulus Gal 517 Roumlm 715ndash19 43 Zum Verstaumlndnis der Prolepsen im Kontext der Oikeiosislehre vgl FORSCHNER 1995

151ndash156 (πρόληψις als bdquoein umrisshafter unbestimmter undifferenzierter Vorgriffldquo der von einem bestimmten Begriff bzw einer Definition zu unterscheiden ist Epiktet ist bdquohier wohl altstoischem Gedankengut verpflichtetldquo 153) Vgl FORSCHNER oben S

44 Zum Bezug zur Jesustradition (Mt 77 usw) vgl WILLMS 2011 I 263ndash265 sowie BETZ 1995 501ndash504 und unten S Die Sentenz ist so weit gestreut dass sie keine Benut-zung des Neuen Testaments durch Epiktet belegt

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nicht von selber dank der dem Logos entsprechenden natuumlrlichen Faumlhigkeiten zur Wahrheit gelangt kann sich an bewaumlhrten Wahrheitszeugen orientieren (sect51f) fak-tisch ist hier der aktuell Lehrende mindestens mitgemeint Epiktet steuert die Unter-redung die in diesem Teil (sect51ndash75) besonders stark als sokratischer Dialog gestaltet ist45 auf seine elementare Formel der Unterscheidung dessen was bdquouns zuhandenldquo und bdquouns nicht zuhandenldquo ist zu (sect65 τὰ μὲν ἐφ᾽ ἡμῖν ἐστιν τὰ δ᾽ ἐπ᾽ ἄλλοις vgl Diss I 1)46 Am Koumlrper selber wird geradezu hautnah der Bereich des Fremden des ἀλλότριον erfahrbar (sect76ndash80) plastisch verbildlicht im Gleichnis eines bepack-ten Esels den man notfalls auch bdquolassenldquo muss ganz zu schweigen vom Zubehoumlr und Gepaumlck (sect79f)

Bereits in diesem Abschnitt macht sich ein entscheidender Bezugstext ein Praumltext bemerkbar der spaumlter explizit zu Wort kommen wird das Gebet des Kleanthes Wird der Esel von anderen requiriert (angareia) so gilt bdquoLass ihn gehen widerstrebe nicht und murre nicht ndash andernfalls wirst du den Esel genauso einbuumlssen nur mit Schlaumlgenldquo Im bdquogenauso hellip nurldquo (woumlrtlich bdquonichts desto wenigerldquo οὐδὲν ἧττον) spielt Epiktet an auf Kleanthesrsquo Vers bdquoWenn ich aber nicht (folgen) wollte waumlre ich ein feiger Schwaumlchling und muumlsste euch nichtsdestoweniger (οὐδὲν ἧττον) folgenldquo (Ench 531)

Mit der Aufforderung unablaumlssig die elementare Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo zu uumlben (sect81) die wiederum im Bereich von Koumlrper und Besitz die Frei-heit von Angst und Begehren eroumlffnet ist die Plattform fuumlr die uns interessierende theologische Deutung etabliert47

Bereits sect82 hat vorausweisenden Charakter Die Bestimmung uumlber das Wesen des Guten und Schlechten faumlllt in den Bereich des Eigenen bdquoWer kann es dir wegnehmen

45 Auf das sokratische Design der Dissertationes hat besonders LONG 2002 67ndash96 uouml

hingewiesen (bdquoSocrates rather than any Stoic philosopher or even the Cynic Diogenes is Epictetus favoured paradigm not only as a model for life but also as a practitioner of philosophical conversationldquo 4) hier auch verbunden mit Kritik an BONHOumlFFER (166f 176)

46 Zu Herkunft und Hintergrund der Formel vgl DOBBIN 1998 65ndash68 WILLMS 2011 I 328ndash337

47 Die Strukturierung unseres Lehrgespraumlchs durch das Nacheinander eines sbquoprofanenlsquo bzw sbquosaumlkularenlsquo Teils als Tradition (sect6ndash90) und eines sbquotheologischenlsquo Teils als Interpretation (sect91ndash131) durch NESTLE 1967 125ndash128 134 (zustimmend GRETENKORD 1981 195f) hat keinen Anhalt am Text (bereits sect89f stellt eine theologische Klimax dar die durch die Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo eng mit der ab sect62 entfalteten Argumen-tation verbunden ist) und arbeitet mit (redaktionsgeschichtlichen) Kategorien die sich bei Epiktet nicht bewaumlhren (das richtige Applizieren der allgemeinen Vorstellungen auf die konkreten Lebensumstaumlnde in sect41f ist eine spezifisch epiktetische Konzeption ohne dass sie deswegen unstoisch waumlre) vgl oben Anm 43)

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wer kann dich behindern Ebenso wenig kann man Gott behindernldquo Dies wird in sect90 wieder aufgenommen48

32 Das Gleichnis von der Burg und das Basisprinzip (sect85ndash90)

Im Abschnitt sect85ndash110 arbeitet Epiktet mit drei aufeinander folgenden Gleichnissen die jeweils fliessend in allgemeine Aussagen uumlbergehen Burg Reisegesellschaft und Festversammlung Die Befreiung von der Furcht wird verbildlicht mit der Zerstoumlrung der inneren Burg (Akropolis) dem Sitz der Tyrannen Die Metapher uumlberrascht zu-naumlchst da man die innere Festung eher als positives Sinnbild fuumlr die uneinnehmbare Position des Denkvermoumlgens erwartet haumltte49 Sie hat hier aber den Charakter der Zwingburg die man niederreissen oder wenigstens entvoumllkern soll Mit dem erneuten bdquoLassenldquo des Koumlrpers und seiner Teile von Besitz Ehrungen Kindern Geschwistern und Freunden (vgl sect66f) wechseln wir wieder auf die Sachebene (die eher an einen defensiven Ruumlckzug denken laumlsst) Uumlber das Bildelement von den Leibwaumlchtern die ihren bedrohlichen Charakter verloren haben fokussiert der Meister nun auf den Wil-len der von keinem Zwang mehr behindert wird (sect88) und damit auf die Leitdefini-tion am Anfang der Unterweisung (sect1) Wir stehen vor einem Scharnier der Argu-mentation weil nun das theologische Bekenntnis bdquoIch habe mein Streben Gott anheim gestelltldquo eine neue Dimension der wahren Freiheit eroumlffnet und zur Formulierung des Basisprinzips fuumlhrt (sect89ndash90)50

Das Bekenntnis selber verdichtet den stoischen Gedanken der Einfuumlgung in die

48 Dieser Verweis auf Gott unterscheidet sich von Diss I 123 wonach Zeus als houmlchster

Repraumlsentant des bdquoFremdenldquo die eigene Prohairesis nicht bezwingen (νικῆσαι) kann Dazu GRAVER 2003 348f

49 Praumlgnant ist vor allem die Aumlusserung Marc Aurels bdquoDeshalb ist die von Leidenschaften freie Denkkraft eine feste Burg (ἀκρόπολίς ἐστιν ἡ ἐλευθέρα παθῶν διάνοια) denn

nichts Staumlrkeres hat der Menschldquo (VIII 483) als Leitmotiv bei HADOT 1997 156ndash184 Vgl Sen Ep 825 Negativ konnotiert ist die Festung etwa auch bei Philon Fug 148 (bdquoZwingburg der Lustldquo) positiv Abr 150 vom Ort der Augen dem koumlniglichen Sinn Spec 3184 vom Kopf Spec 449 von der Seele

50 Auffaumlllig ist die perfektische Formulierung des Bekenntnisses die sich auch im vorange-gangenen Satz spiegelt (οὐπώποτε mit zwei Verben im Aorist) Spielt Epiktet hier an auf seinen Status als einer von denen die die Wahrheit gesucht und gefunden haben (sect51)

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goumlttliche Weltordnung51 Beim bdquoStrebenldquo (ὁρμή) handelt es sich um einen gaumlngigen Terminus fuumlr die menschlichen Antriebe also den Bereich der Willensbewegungen des θέλειν und βούλεσθαι (vgl sect99) die vom Logos geformt werden muumlssen52

Die folgenden kurzen Saumltze in sect8990 formulieren in aumlusserster Zuspitzung die Rhe-torik arbeitet mit provokanten Paradoxien Der Wille Gottes determiniert den Willen des Subjekts nicht nur vollumfaumlnglich sondern bestimmt auch seine Intentionalitaumlt ndash das Ich bdquowillldquo Peristasen wie Fieber Tod und Folter Die scheinbare Fremdbestim-mung wird schliesslich aufgefangen durch die Analogisierung mit Zeus selber (vgl sect82)53

Das Basisprinzip besteht also in der vollstaumlndigen Konvergenz des Willens des (menschlichen) Subjekts mit dem Willen Gottes eine Konvergenz die im Zeichen der wahren Freiheit steht Es reflektiert die traditionelle Figur des stoischen Determi-nismus der einerseits zwar die Willensfreiheit ganz im Geflecht der kosmischen Kau-salketten aufhebt andrerseits aber das Freiheitspathos steigert54 Offenkundig spiegelt Epiktet hier absichtsvoll zwei verschiedene Modi von Freiheit ineinander diejenige des Entscheidens (Freiheit als Immer-auch-anders-Koumlnnen) und diejenige des Wol-lens (die in der nachmaligen lateinischen Theologie bei Marius Victorinus und beson-ders bei Augustin zur Entfaltung der Willensmetaphysik gefuumlhrt hat)

Die Passage ist so stark von paradoxaler Rhetorik bestimmt dass man sie nicht vor-schnell mit fruumlhchristlichen Texten kontrastieren sollte Epiktet am naumlchsten steht die Szene in Getsemane wo Jesus Gottes Willen seinem eigenen vorordnet bdquoAbba

51 Das Verb προσκατατάσσειν das bei Epiktet nur in Diss IV 1 begegnet meint die Ein-

ordnung unter eine uumlbergeordnete Groumlsse (vgl unten sect9198) und beruumlhrt sich mit κατατάσσειν das in Ench 311 die Eusebeia das angemessene Verhalten gegenuumlber den Goumlttern beschreibt und mit bdquogehorchenldquo bdquosich fuumlgenldquo und bdquofreiwillig folgenldquo expli-ziert wird Besonders praumlgend ist das Sokrateswort in Platons Apologie 28e (τάξις) das Diss I 924 unter dem Einfluss von Leg 12945a (εἰς τάξιν κατατάξῃ) reformuliert wird bdquoGott hat uns einen bestimmten Platz und eine bestimmte Lebensform zugewiesen (κατατέταχεν) die wir nicht verlassen sollenldquo vgl III 14114 (εἰς τοιαύτην ὑπηρεσίαν κατατεταγμένος) II 139 I 134 (von einer uumlbergeordneten Stellung) Un-sere Formulierung in sect89ndash99 druumlckt mit dem zusaumltzlichen Compositum πρoς- auch noch jene dynamische Richtungsbestimmung aus die aus dem Praumltext des Kleanthes stammt (bdquofuumlhre mich [hellip] dahinldquo sect131) προσκατατάσσειν (LSJ 1516a bdquosubjoin append as-sign attachldquo) begegnet nur gelegentlich in der griechischen Literatur (Polyb III 201 [Re-den hinzufuumlgen] Philon Op 131 [Suumlsswasser der Erde zuweisen vgl 38] Cornut Nat deor 323 [Feuchtes in Aumlther uumlberfuumlhren] OGIS 5627 [hinzugefuumlgte Priester]) Vgl WILLMS 2011 I 489f

52 Zenon hat einen Traktat περὶ ὁρμῆς ἢ περὶ ἀνθρώπου φύσεως verfasst (Diog Laert 74 = SVF 1 41) vgl ferner POHLENZ 61991 II 52 77 80f Textintern sind die Bezuumlge der ὁρμή auf das θέλειν durch den voranstehenden wie den nachfolgenden Satz deutlich

53 Fuumlr diese Analogie bietet Diss II 1722ndash25 eine instruktive Parallele bdquoMit einem Wort Wolle nichts anderes als was Gott will Wer wird dich dann noch behindern wer dich zwingen Ebenso wenig wie (man) Zeus (zwingen kann) Wenn du einen solchen Fuumlhrer hast und mit ihm eines Willens und eines Wunsches bist was fuumlrchtest du dann noch an Fehlschlaumlgenldquo Epiktet raumlt auch hier dazu sich nicht zu binden an Reichtum Armut Ge-sundheit Ehre Vater Heimat Freunde und Kinder die alle nicht unserem Verfuumlgungs-bereich zugehoumlren

54 Zugespitzt bei BRAICOVICH 2010 der Epiktets handlungspsychologisches Freiheitsver-staumlndnis konsequent deterministisch deutet Zur allgemeinen Diskussion des stoischen Determinismus vgl STEINMETZ 1994 610ndash612 GUCKES 2004 12ndash17 im Zusammenhang mit Epiktet LONG 2002 220ndash222 (bdquothe autonomous person as someone who voluntarily complies with a predetermined situationldquo 222) sowie FORSCHNER oben S

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Vater alles ist dir moumlglich Lass diesen Kelch an mir voruumlbergehen Doch nicht was ich will sondern was du willstldquo (Mk 1436 vgl Mt 2639 Lk 2242)55 Die nur bei Mk vorkommende Allmachtsformel haumllt die ndash nicht realisierte ndash Moumlglichkeit offen dass Jesu eigener Wille dem Leiden zu entgehen sich verwirklichen liesse Der Vers der in der altkirchlichen Zweinaturenchristologie intensiv debattiert worden ist scheint es im Kontrast zu Epiktet bei einem sbquoproduktivenlsquo Gegenuumlber von zwei Wil-lensbewegungen zu belassen ndash eine Asymmetrie von erheblichem anthropologischem Gewicht Der Unterschied des Genre will freilich beachtet sein Waumlhrend Epiktet in einem argumentativen Text das Resultat einer geradezu lebenslaumlnglich vollzogenen Uumlbung (askesis) in praumlsentischen Paradoxien versprachlicht markiert die Getsemane-Erzaumlhlung der Evangelien eine Station auf dem Passionsweg Jesu der die vollstaumlndige Konvergenz der beiden Willensbewegungen narrativ zur Darstellung bringen wird Jesus ergibt sich als leidender Gerechter in den Gotteswillen bis zum Tod am Kreuz

Keine direkte Relevanz fuumlr die von uns hier diskutierte Thematik hat die Problemati-sierung der Einheit des menschlichen Willensbereichs56 Sowohl Epiktet (Diss II 1718f II 261 uouml) wie Paulus (Roumlm 715ndash19) sprechen vom inneren Zwiespalt des Menschen und orientieren sich dabei an einer in der Antike verbreiteten Figur die auf die Gestalt der euripideischen Medea zuruumlckfuumlhrt Die zugrunde liegenden anthropo-logischen Konzeptionen sind zwar denkbar verschieden Dem grundsaumltzlich monisti-schen Ansatz Epiktets steht der dualistische des Paulus gegenuumlber57 Es faumlllt aber auf dass beide das fuumlr die Medea-Rezeption traditionelle Schema des Gegensatzes von Erkennen und Trieb von Vernunft und Leidenschaft durch eine weit radikalere Deu-tung uumlberlagern Der Zwiespalt im Inneren ist uumlberhaupt nur retrospektiv durchschau-bar geworden erst das Ereignis der Befreiung laumlsst es zur Erkenntnis der Sklaverei kommen Dabei sprechen beide von der Unfreiheit gut traditionell als dem bdquoTun was ich nicht willldquo58

Freiheit wird praumlsentiert als Anerkennung dessen was ohnehin nicht zur Disposition steht und nicht anders sein kann als es der Fall ist Das klassische Bild der Stoiker

55 Die Uumlbersetzung biblischer Texte richtet sich meistens nach der Zuumlrcher Bibel 2007 56 Der optimistischen Anthropologie Epiktets laumlsst sich dann diejenige des Paulus gegen-

uumlberstellen die zwar nicht pessimistisch ist aber Suumlnde nicht im kognitiven Bereich son-dern im Willensbereich platziert vgl zB SCHNELLE 2009 156f

57 Zum Verhaumlltnis zwischen Epiktet und Roumlm 7 vgl HUTTUNEN 2005 ferner VOLLENWEIDER 1989 350ndash352

58 Vgl oben bei Anm 42 Das Versklavtsein wird bei Epiktet deswegen nicht so ausweglos wie bei Paulus wahrgenommen weil es wesentlich auf falschem Denken beruht

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stellt der an einen Wagen festgebundene Hund dar der entweder aus eigenen Stuumlcken mitgeht oder aber mitgeschleift wird59

33 Das Gleichnis von der sicheren Reisegesellschaft (sect91ndash98)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft changiert zwischen Bildrede und eigentlicher Rede Mit οὕτως (sect91) wird das Bild eingefuumlhrt ebenfalls mit οὕτως erfolgt der Wechsel zur Sachebene naumlmlich zur kosmischen Position des Verstaumlndigen (sect9298) dessen Selbstgespraumlch wieder auf der Bildebene spielt (sect92ndash97) Mit seinen Hinwei-sen auf hoch gestellte Personen besonders den Status des Freunds des Kaisers wird Bezug genommen auf fruumlhere Passagen (sect8ndash15 45ndash50) Das Selbstgespraumlch endet ironisch in einer Aporie ndash selbst in der Einoumlde gibt es keinen Schutz vor negativen Maumlchten (sect97) Erst der Anschluss an Gott ermoumlglicht eine sichere Reise Die Philo-sophie spielt hier ihre in hellenistischer und kaiserzeitlicher Zeit zentral gewordene Rolle als Ratgeber fuumlr den Umgang mit jederzeit drohenden Kontingenzen und ant-wortet auf ein Anliegen das auch die zeitgenoumlssischen Religionen das Christentum so gut wie Mysterienreligionen und magische Praktiken bearbeiten

Die traditionelle und uumlberaus reiche Metaphorik des Wegs deckt ein breites Spektrum ab Die hauptsaumlchliche Konnotation die auch bei Epiktet reichhaltig begegnet ist die-jenige des Zusammenhangs von Weg und Ziel So spricht unser Lehrgespraumlch sum-mierend vom Weg zur wahren Freiheit (sect131)60 Das Reisegleichnis in Diss II 2336ndash39 raumlt dazu Raststaumltten wieder zu verlassen um zur Heimatstadt zu gelangen (εἰς τὴν

πατρίδα ἐπανελθεῖν)61 Auch wo Gott (II 710f) oder der wahre Kyniker (III 2226) den rechten Weg weisen ist das Ziel im Blick62 Aumlhnlich steht es mit der christ-lichen Wegmetaphorik63 In unserem Zusammenhang geht es dagegen ausschliesslich um das sichere Reisen ndash in der Sprache heutiger Lebensratgeber der Weg ist das Ziel Fuumlr die Reisegemeinschaft mit Gott bietet II 1723 eine bemerkenswerte Parallele da hier neben der Konvergenz des Wollens auch die Analogie mit Zeus figuriert (sect22)64 Das Leben laumlsst sich generell mit einer Reise vergleichen65 III 139ndash11 stellt heraus dass nur die Philosophie nicht aber der Kaiser si-

59 Chrysipp () SVF 2 975 vgl POHLENZ 82010 I 106 STEINMETZ 1994 611f weiteres bei

VOLLENWEIDER 1989 75f 60 Vgl IV 439 vom Weg zur wahren εὔροια 61 Auch hier wird explizit der Bezug zur Freiheit hergestellt (sect42) verbunden mit dem bdquomit

ganzem Herzenldquo zu sprechenden Gebet des Kleanthes 62 Vgl ferner I 1618 II 216 II 123 III 263f IV 24 IV 659 IV 916 63 Vgl den Uumlberblick (auch zur Umwelt) von W MICHAELIS Art ὁδός κτλ ThWNT 5

(1954) 42ndash118 sowie die bei WILLMS 2012 II 709 genannte Literatur 64 Vgl oben Anm 53 65 Diss II 510 von der Seereise wo bdquoeiniges an mir liegt anderes aber nichtldquo vgl ferner II

1624 I 99 II 1737f in III 2493 wird die Abreise mit dem Sterben verglichen

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cheren Reiseschutz verleihen kann (vgl sect3) Es gibt durchaus neutestamentliches Vergleichsmaterial Die Nachfolge auf Jesu Weg wie ihn die Evangelien darstellen ist transparent fuumlr den Lebensweg der Christusglaumlubigen (Mk 827ndash1052 besonders 834) Dieser ist freilich auch wieder auf ein Ziel hin orientiert naumlmlich auf die Pas-sion und das Kreuz Epiktets goumlttlicher Reisegesellschaft am naumlchsten kommen wir mit der Topik des bdquoMitseinsldquo Jesu bzw Gottes mit den Glaubenden (Mt 2820 vgl 123 1820 Joh 1416f [vom Geist]) welche die gesamte biblische Tradition des Mit-gehens Gottes mit seinem Volk insbesondere waumlhrend der Wuumlstenwanderung sum-miert Obschon der Lebensweg die Stoiker in widrige Umstaumlnde und die Christen in das Martyrium fuumlhren mag gibt die Gemeinschaft mit Gott ultimative Sicherheit Der Vergleich fuumlhrt uns also wieder in den Bereich der Passionsgeschichte Waumlhrend fuumlr die Christen der Gottessohn und somit der in diesem praumlsente Gott selber den Weg des Leidens geht sieht sich der Stoiker gewiesen an Vorbilder die paradigmatisch das Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens vor Augen stellen zumal an Herakles und Sokrates Zwar ist auch ihr Gott im Kosmos gegenwaumlrtig aber da er das harmo-nisch gefuumlgte Ganze repraumlsentiert ist er den immer nur einzelne Teile betreffenden Turbulenzen nicht ausgesetzt

34 Das Gleichnis von der Festversammlung (sect99ndash110)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft endet in einem radikalen Ruumlckzug aus dem Bereich des Ungewissen der nicht einmal in der Einsamkeit der Einoumlde haltmacht sondern gleichsam in die Unweltlichkeit versetzt Dieser Reduktionsbewegung auf einen einzigen Punkt der mit Gott identifiziert wird kommt nun eine expandierende Bewegung entgegenzustehen die in die Weite des Kosmos und die universale Ge-meinschaft hinaus weist

Mit dem erneuten Ruumlckgriff auf das theologische Bekenntnis und das Prinzip von sect89 baut Epiktet sukzessive ein neues Gleichnis auf das sich mit kosmologischen Deu-tungen verbindet Im Fokus stehen nun die Willensbewegungen Gottes und sein ord-nendes Wirken im Kosmos Die Basisunterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoAnderemldquo wird theologisch akzentuiert Im Bereich des Eigenen figuriert die freie Selbstbestim-mung die Prohairesis66 der Bereich des Anderen wird der Gottheit und ihrem Wal-ten dem bdquoKreislauf des Allsldquo zugemessen (sect100) Koumlrper Besitz sowie Haus Kinder und Frau (vgl sect66f 87 107 111) Alles wovon sich der Verstaumlndige innerlich als

66 Zur Prohairesis vgl FORSCHNER in diesem Band S [[Typoskript S 5]] ferner STE-

PHENS 2007 16ndash25 (bdquoProhairesis as selfldquo) und die Diskussion von ENGBERG-PEDERSEN 2010 212ndash214 (bdquotrue human selfldquo) mit LONG 2002 28ndash30 207ndash220 (bdquovolitionldquo)

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dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

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logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

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41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

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Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

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zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

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bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

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Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

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Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

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-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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WALTER N Zur Chronik des Corpus Hellenisticum von den Anfaumlngen bis 195558 in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenis-ticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 325ndash344

WEBER R Die Distanz im Verhaumlltnis zur Welt bei Epiktet Jesus und Paulus in B KOLLMANN ua (Hg) Antikes Judentum und fruumlhes Christentum FS H Stege-mann Berlin ua 1998 327ndash349

WEHNER B Die Funktion der Dialogstruktur in Epiktets Diatriben (Philosophie der Antike 13) Stuttgart 2000

WENDLAND P Rez Th Zahn Der Stoiker Epiktet ThLZ 19 (1895) 493ndash495 WETTSTEIN JJ Novum Testamentum Graecum Amsterdam 175152 (= Graz 1962) WILLMS L Epiktets Diatribe Uumlber die Freiheit (41) Einleitung Uumlbersetzung Kom-

mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 3: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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aufgeworfen Wir werden diese Kontrastmodelle pruumlfen stellen ihnen aber einen re-zeptionsgeschichtlichen Zugang voran der auf die vorfindliche Wirkungsgeschichte Epiktets im antiken Christentum fokussiert und damit ein bedeutendes Gegengewicht zu den modernen Systemkonstruktionen darstellt Die Orientierung an der faktischen Rezeptionsgeschichte unseres Philosophen illustriert augenfaumlllig wie die Verhaumlltnis-bestimmungen von Christentum und Stoa bzw von Theologie und Philosophie ihrer-seits erheblichen historischen Wandlungen unterliegen

Erst in einem naumlchsten Schritt wenden wir uns neuzeitlichen Versuchen zu die kom-plexen Wechselwirkungen zwischen Antike und Christentum zu beschreiben Sie ver-binden sich nicht zufaumlllig mit grundlegenden hermeneutischen Fragen insbesondere nach der Relation von Philosophie und Religion oder nach derjenigen von Kultur und Evangelium Wir beschaumlftigen uns sodann exemplarisch mit der theologischen Partie die unsere Diatribe uumlber die Freiheit enthaumllt und fragen dabei nach Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen epiktetischer Philosophie und urchristlicher Theologie Ein spezieller Blick gilt einem Vergleich zwischen Epiktet und Paulus Schliesslich fragt der letzte Teil nach der persoumlnlichen Religion von Epiktet In einem Anhang wird die Verwertung Epiktets im bdquoNeuen Wettsteinldquo einer umfassenden Quellentextsamm-lung zum antiken Hintergrund des Neuen Testaments dokumentiert

1 Paulus statt Sokrates Antike christliche Relektuumlren der Texte Epiktets

Man nimmt durchaus uumlberrascht davon Kenntnis dass Epiktets Werk in der christli-chen Antike zunaumlchst wenig explizite Wirkungen gezeitigt hat3 Die anerkennende Aumlusserung von Origenes wonach Epiktets Texte auch auf einfache Leute einen posi-tiven Effekt ausuumlbten bleibt die Ausnahme4 Umso interessanter nimmt sich die Re-zeption des bdquoethischen Handbuumlchleinsldquo Epiktets des Enchiridion aus Epiktets Text mutiert hier zu einem christlichen Text der Name unseres Philosophen geht dabei spurlos unter Diese Relektuumlre Epiktets die zugleich als Usurpation anzusprechen ist faumlchert sich auf in drei griechische Fas-

3 Zur Wirkungsgeschichte vgl bes das von M SPANNEUT praumlsentierte Material Art

Epiktet RAC 5 (1962) 599ndash681 616ndash628 (nichtchristliche Rezeption) 628ndash678 (christliche Rezeption) Vgl ferner das summierende Urteil von SPANNEUT 2007 19f bdquoEacutepictegravete semble avoir eacuteteacute reccedilu tregraves tocirct dans le monde chreacutetienldquo bdquola peacuteneacutetration drsquoEacutepictegravete dans le monde chreacutetien par citation ou allusion est dans lrsquoensemble assez modesteldquo

4 Orig Cels 62 (= Test 26 SCHENKL) bdquoMan kann jedenfalls wahrnehmen dass sich Pla-ton nur in den Haumlnden von Leuten findet die als Gelehrte gelten waumlhrend Epiktet auch von gewoumlhnlichen Leuten bewundert wird die in sich den Drang fuumlhlen gefoumlrdert zu werden und den guumlnstigen Einfluss bemerken den seine Lehren ausuumlbenldquo

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sungen die allesamt in die Zeit des Uumlbergangs von der Spaumltantike in die fruumlhbyzanti-nische Epoche gehoumlren und auf Adressaten im monastischen Umfeld zielen5 Sie zei-gen einerseits wie nichtchristliche philosophische Texte in erheblichem Umfang an die eigene ndash hier vor allem monastische ndash Tradition vermittelt werden koumlnnen And-rerseits werden bestimmte Bruchlinien erkennbar wo die christliche Rezeption auf je eigenen Wegen die paganen Uumlberlieferungen und Implikationen zu umschiffen oder zu bewaumlltigen versucht

11 Gottesmann und Engel statt Diogenes und Herakles Die Enchiridion-Ver-

sion von Ps-Neilos

Der urspruumlngliche Text des Enchiridion wird in dieser unter dem Namen des Moumlnch-vaters Neilos von Ankyra (um 400) firmierenden Fassung auf weite Strecken hin be-wahrt Es kommt aber zu einigen charakteristischen Variationen6

1 Epiktet spricht in seinem Vergleich des Lebens mit einem Gastmahl wo es be-stimmte Tischregeln zu beachten gibt (vgl Lk 147ndash14) nicht nur vom kontrollierten Warten auf das einem Zukommende sondern auch von der gelegentlich noch besseren Option des Verzichts (Ench 15) Wer sich so verhaumllt wird bdquonicht nur ein Tischge-nosse der Goumltter sein sondern auch an ihrer Macht teilhaben Denn so taten es Dio-genes Herakles und aumlhnliche Maumlnner und darum waren sie mit Recht goumlttlich und wurden mit Recht goumlttlich genanntldquo Die christliche Version (21 fin) spricht demge-genuumlber davon man werde bdquonicht nur ein Gottesmann sein sondern sogar wie ein Engel (τότε οὐ μόνον ἄνθρωπος ἔσῃ θεοῦ ἀλλὰ καὶ ὡς ἄγγελος)ldquo Die Ter-minologie ist biblisch bzw christlich variiert7 der Verweis auf die goumlttlichen Maumlnner fehlt ganz

2 Bestimmte Praktiken und Verhaltensregeln werden ausgeblendet da sie nicht dem christlichen Ethos entsprechen So fehlen die Abschnitte zur Mantik zur Sexua-litaumlt oder zu den oumlffentlichen Spielen8

3 Interessant sind insbesondere die Umformungen in der Schlusspassage Die Saumltze uumlber Sokrates (Ench 513) fehlen (Neilos 71a71b) ebenso die eher technische Belehrung uumlber die Dreiteilung der Philosophie (Ench 52 ndash Neilos 71a71b) Instruk-tiv ist vor allem das Fehlen der den gesamten Traktat summierenden aus Zitaten be-stehenden Kernsaumltze (Ench 531ndash3 ndash Nil 71b) Eliminiert wird sowohl der

5 Die Texte mit Einleitungen bietet BOTER 1999 Zur zeitlichen Ansetzung vgl 157 206

260 Anm 2 6 Vgl die Zusammenstellung von BOTER 1999 158ndash160 7 Der ἄνθρωπος θεοῦ ist Standardausdruck der LXX fuumlr den bdquoGottesmannldquo (Mose Pro-

pheten) Fuumlr bdquowie ein Engelldquo vgl zB Mk 1225 par Apg 615 ActPaulThekl 3 von Christus EpApost 14 AscJes 930

8 Mantik Ench 32 ndash Neilos 38c39 Sexualitaumlt Ench 338 ndash Neilos 4546 Ench 41 ndash Nei-los 60 Spiele Ench 3310 ndash verkuumlrzt und verboten bei Neilos 47

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Vers des Kleanthes der von Zeus und dem personifizierten Schicksal spricht (SVF 1 527 vgl 2 975) wie der Vers des Euripides mit dem Wissen um bdquodas Goumlttliche (τὰ

θεῖα)ldquo Das letzte Sokrateswort wird verkuumlrzt in den Mund derer gelegt die Paulus imitieren (Ench 534) Aus der sokratisch-epiktetischen Affirmation bdquoAnytos und Meletos koumlnnen mich zwar toumlten aber schaden koumlnnen sie mir nichtldquo wird in der christlichen Version das Folgende

bdquoAuch Paulus lebte auf diese Weise indem er auf sich selber achtete und auf nichts anderes als den Logos achtete Du auch wenn du noch nicht Paulus bist solltest leben als wolltest du Paulus sein sbquoMan kann mich zwar toumlten mir aber nicht schadenlsquoldquo9

In unserer Version fehlen weitgehend die Namen von griechischen Philosophen und mythologischen Figuren Die Ausfuumlhrung uumlber die Froumlmmigkeit (Ench 31) bleibt er-halten aber es wird konsequent vom Plural bdquoGoumltterldquo auf bdquoGottldquo umgestellt

Es wird deutlich wie mindestens zwei fundamentale Referenzgroumlssen ersetzt werden Fuumlr Sokrates und andere Klassiker ruumlckt Paulus ein polytheistische Aussagen werden monotheistisch umgeschrieben Auffaumlllig ist aber auch das Fehlen von Bezuumlgen auf die Bibel Manches bleibt stehen was moderne Leser als wenig christlich empfinden moumlgen10

12 Der eine Gott statt der vielen Goumltter Die Version des Vaticanus Gr 2231

(Vat)

Diese Version des Enchiridion bleibt dem Ursprungstext am naumlchsten11 manches bleibt stehen was bei Ps-Neilos ausgelassen wird Anders steht es natuumlrlich um die obligatorische Ersetzung polytheistischer durch monotheistische Terminologie (zB Ench 31 ndash Vat 37) und paganer Autoritaumlten durch christliche 12 Wir beruumlcksichtigen lediglich den Schlussteil (Ench 53 ndash Vat 73) Im Gebet des Kleanthes wird anstelle von Zeus und Schicksal Gott angerufen

9 Die Aumlusserung zu Paulus variiert die epiktetische uumlber Sokrates (Ench 513 bdquoDu aber

auch wenn du noch kein Sokrates bist solltest so leben als ob du Sokrates sein wolltestldquo) die zwischen 71a und b weggelassen wird

10 Das summierende Urteil von BOTER 1999 160 ist zu normativ orientiert bdquoAll in all we may conclude that the attempt to adapt Ench to orthodox Christian purposes can be regar-ded as a failureldquo aumlhnlich auch SPANNEUT 1962 664 ( bdquobisweilen uumlberrascht uns seine Duldsamkeit gegenuumlber dem Text Er hat den Bann aufrechterhalten mit welchem die Stoiker das Mitleid belegenldquo)

11 BOTER 1999 259 bdquothe text is even less consistently christianized than Nil not to speak of Par [= Enchiridii Paraphrasis Christiana SV dazu gleich unten]ldquo detailliert nachgew-iesen 259ndash262

12 Paulus ersetzt Sokrates (Ench 53 ndash Vat 73) diverse Vaumlter ersetzen Diogenes Herakles Sokrates Salomo ersetzt Chrysipp

123

bdquoFuumlhre mich o Gott und (du) alles durchdringende schoumlpferische und bewegende Ursache an den Ort der mir einst von euch bestimmt wurde hellipldquo13

Die Saumltze des Euripides und des platonischen Sokrates werden bewahrt wobei die Goumltter durch bdquoGottldquo und die bei Platon namentlich genannten Sokratesgegner durch bdquoboumlse Menschenldquo ersetzt werden

13 Der Heiland und der Heilige Geist anstelle von Zeus und Schicksal Die

Enchiridii Paraphrasis Christiana (Par)

Diese Version unter dem handschriftlichen Titel bdquoUnterweisungenldquo (ὑποθῆκαι) die zu Unrecht als bdquoParaphraseldquo bezeichnet wird ist deutlich christlicher gehalten als die beiden anderen Vor allem finden sich hier nun auch zahlreiche Schriftbezuumlge die ein grundlegend veraumlndertes Referenzsystem signalisieren14 Wir beschraumlnken uns auf ei-nige wenige Hinweise

1 Verschiedene Auslassungen oder Veraumlnderungen decken sich mit Ps-Neilos so die Umstellung auf den einen Gott oder der Verzicht auf die Belehrung uumlber die Man-tik statt vom Opfern ist vom Almosengeben die Rede15 Anders als bei Ps-Neilos (43) fehlt die Nennung des Schwoumlrens Anstelle von Sokrates figurieren bdquoApostel und Maumlrtyrerldquo bzw bdquoder Apostelldquo16 Die Sokrates-Mimesis die Ench 513 empfiehlt wird in Par 69 auf Paulus uumlbertragen (vgl Ps-Neilos 71b) verbunden mit dem Zitat von 2Tim 47 Die Adressaten sind nun nicht mehr bdquoPhilosophenldquo sondern bdquoAnacho-retenldquo oder bdquoHesychastenldquo (Ench 22 46 ndash Par 291 601) und aus der bdquoPhilosophieldquo ist ein bdquotugendvoller Lebenswandelldquo geworden (Ench 22 ndash Par 291)

2 Charakteristisch ist wiederum die Umformung des Schlussteils (Ench 53 ndash Par 70ndash71) wo die Hinweise auf antik-pagane Klassikertexte unkenntlich gemacht wer-den Das epiktetische generelle bdquoBereithaltenldquo wird spezifiziert im Blick auf widrige Umstaumlnde (bdquoPeristasenldquo) und Versuchungen Das Gebet des Kleanthes (SVF 1 527) lautet nun so

bdquoFuumlhre uns o Heiland du und der Heilige Geist wo und wie es (euch) recht ist hellipldquo (Par 701f)

Der euripideische Vers wird elegant transformiert und mit dem ersten Platonzitat ver-schraumlnkt

bdquoWer aber freiwillig und gehorsam Gott folgt gilt bei uns als weise und bei Gott als befreundet Wir beten aber darum dass uns das was mit Gott befreun

13 Diese Redefinition des Schicksals ist nicht speziell christlich sie stammt vielmehr aus

dem Enchiridion-Kommentar des Neuplatonikers Simplikios (6 Jh) 7111ndash13 (p 452 H vgl dens in Aristot phys 413 [CAG 9 7555])

14 Detaillierte Nachweise bei BOTER 1999 206ndash211 15 Mantik Ench 32 ndash Par 38 wo dafuumlr mit Bezug auf Mt 67f10 vom Gebet gehandelt

wird ndash Opfer Ench 315 ndash Par 37 16 Ench 5 ndash Par 72 603 (sc Paulus)

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det ist zuteil werdeldquo (703f ὅστις δὲ ἑκὼν εὐπειθῶς ἕπεται θεῷ σοφὸς παρ᾽ ἡμῖν καὶ θεῷ δὲ προσφιλήςmiddot ὃ γὰρ τῷ θεῷ φίλον τοῦτο ἡμῖν γενέσθαι εὐχόμεθα)

Das zweite Platonzitat uumlber diejenigen die wohl toumlten nicht aber schaden koumlnnen wird um einige Peristasen erweitert und gipfelt im Jesuswort Mt 1028a bdquoFuumlrchtet euch nicht vor denen die den Koumlrper toumlten die Seele aber nicht toumlten koumlnnenldquo

Diese dritte christliche Relektuumlre des Enchiridion geht in einigen Punkten erheblich weiter als die anderen beiden17 Dies aumlndert aber nichts daran dass der groumlsste Teil des Handbuumlchleins unter gelegentlichen Adaptationen uumlbernommen wird

An dieser Stelle weisen wir auf die besonders interessante griechische Kommentie-rung dieser Paraphrasis hin die in fruumlhbyzantinischer Zeit entstanden ist18 Der ano-nyme und leider sehr unvollstaumlndige Kommentar orientiert sich konsequent am Mo-dell einer bdquochristlichen Philosophieldquo (Praef 1 8) Die Bibel spielt freilich keine for-mative Rolle Am staumlrksten sind die biblischen Bezugnahmen in der Exegese des Gleichnisses vom Steuermann (Ench 7) das in allen drei Versionen ziemlich wort-getreu wiedergegeben wird (Ps-Neilos 12ab Vat 10 Par 10)19 Die Schifffahrt hat zum Ziel die bdquoallein wahre Heimatldquo wo bdquomit Christus Herkunft und Genossen und das Gemeinwesen der Heiligenldquo zu finden sind (Comm 106) Hier bezieht sich der Kommentator auf die Gottesstadt des Neuen Testaments20

Wir bilanzieren unsere Exkursion in die Rezeptionsgeschichte des Enchiridion Epik-tets mit einer schlichten Einsicht Die Bestimmung von spezifisch Christlichem das mit stoisch-epiktetischer Philosophie kontrastiert unterliegt erheblichen historischen Wandlungen Die christliche Usurpation ndash am deutlichsten indiziert durch das Aus-blenden des urspruumlnglichen Autors ndash generiert ein neues Referenzsystem An die Stelle der Klassiker treten die Schrift und die Vaumlter die vielen Goumltter weichen dem einen Gott bestimmte lebensweltliche Verhaumlltnisse werden vom christlichen Ethos korrigiert Wir notieren speziell dass es sich bei unseren Texten hauptsaumlchlich um

17 BOTER 1999 206 bdquoThe author of Par shows much more intellectual independence theo-

logical acumen and philosophical insight than his two Christian colleaguesrdquo SPANNEUT 2007 25 diese Instruktionen christianisieren den Text bdquoen profondeur plus que les deux autres adaptateurs avec une note personnelle plus affirmeacuteeldquo

18 Ausgabe M SPANNEUT (Ed) Commentaire sur la paraphrase chreacutetienne du Manuel dlsquoEpictegravete Introduction texte etc (SC 503) Paris 2007

19 Par und Vat fuumlgen dem Epiktet-Text eine Schlusspartie hinzu die das Bild der gefessel-ten Schafe im Gleichnis auf den Greis appliziert Fuumlr uns wichtiger ist die nur von Par gebotene Variation dessen was der Weise zu bdquolassenldquo hat statt von dem bdquoFrauchenldquo und dem Kind bei Epiktet ist hier die Rede von bdquoBruumldern oder Freunden oder Verwandten oder dem Hausldquo (104) ndash wahrscheinlich ein Reflex des Nachfolgeworts Mk 1029 Mt 1929 Lk 1829

20 Phil 320 Eph 219 und Hebr 1114ndash16 (vgl 1222ndash24)

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monastische Relektuumlren Epiktets handelt die den Weisen und Philosophen aktualisie-rend auf den Moumlnch speziell den Anachoreten beziehen Die Naumlhe Epiktets zu kyni-schem Traditionsgut duumlrfte die monastische Rezeption noch befoumlrdert haben spannen sich doch einige Bruumlcken von der Askese der Kyniker zum oumlstlichen Moumlnchtum

2 Der neuzeitliche Epiktet Nachbar oder Antipode des Christentums

Unter Absehung von spaumlteren byzantinischen sowie humanistischen und fruumlhneuzeit-lichen Rezeptionsspuren springen wir aus der spaumlten Antike direkt in die Moderne Zur Bestimmung des Verhaumlltnisses von Epiktet und Neuem Testament bieten sich zwei verschiedene Modelle an die untereinander auch in Wechselwirkung treten koumln-nen Dependenzmodell und komparatistisches Modell Unser Interesse gilt zunaumlchst dem ersteren das sich primaumlr mit einem moumlglichen Einfluss des Fruumlhchristentums auf den hauptsaumlchlich zu Beginn des 2 Jahrhunderts lehrenden Philosophen beschaumlftigt

Fuumlr jede moumlgliche Modellbildung ist festzuhalten Epiktet hat Kenntnis von den Chris-ten In seinem Lehrgespraumlch uumlber die Furchtlosigkeit (Diss IV 75ndash6) reiht er die bdquoGalilaumlerldquo unter diejenigen ein die aufgrund von Wahnsinn Geistesstoumlrung und Ge-wohnheit zu einer Furchtlosigkeit finden die wir heutzutage etwa mit Selbstmordat-tentaumltern verbinden Die christliche Demonstration der Todesverachtung im Amphi-theater tadelt auch Marc Aurel (XI 32)21

21 Epiktet reagiert auf das Christentum Das Dependenzmodell

Dieses Modell geht davon aus dass sich bestimmte Zuumlge in Epiktets Philosophie christlichem Einfluss verdanken sei es im Modus der Uumlbernahme oder aber der An-tireaktion Exemplarisch fuumlr diese heute weitgehend uumlberholte Verhaumlltnisbestimmung steht die Rektoratsrede von Theodor Zahn aus dem Jahr 189422 Der konservative Theologe stellt nicht nur erhebliche Widerspruumlche im Denken Epiktets fest23 sondern rechnet auch mit einem markanten Einfluss christlicher Gedanken etwa

21 Kaum als Reflex auf das Christentum kommen Epiktets Bemerkungen zur bdquoTaufeldquo in

Diss II 920f in Betracht Sie nehmen eher Bezug auf juumldische als auf christliche Taumlufer-gruppen vgl LONG 2002 17 110 Anm 9

22 Nicht zugaumlnglich ist mir das ebenso hier zu klassifizierende Werk des Hollaumlnders K KUIPER Epictetus en de Christelijke Moraal Amsterdam 1906 das bei Bonhoumlffer 1911 eingehend besprochen wird Kuiper zufolge reagiert Epiktet polemisch auf die christli-chen Texte und Theologien dieser wird also zu einem fruumlhen auctor adversus Christia-nos

23 ZAHN 1895 18f 23ndash26

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beim Eid bei der Gotteskindschaft bei Herakles als Heiland oder beim gottgesandten apostelgleichen Kyniker24

22 Gelaumluterte Religion Bonhoumlffers vergleichendes Modell

Die Monographie bdquoEpiktet und das Neue Testamentldquo von Adolf Bonhoumlffer aus dem Jahr 1911 markiert das wohl definitive Ende der Dependenzmodelle In einer detail-lierten Auseinandersetzung stellt der Philologe heraus dass es keine uumlberzeugenden Indizien fuumlr eine Abhaumlngigkeit Epiktets vom Neuen Testament gibt ndash wie auch umge-kehrt keine nennenswerten stoischen Einfluumlsse auf das Urchristentum geltend ge-macht werden koumlnnen Die bisher in Anspruch genommenen Uumlbereinstimmungen er-weisen sich teilweise als konstruiert teilweise als Resultat von Konvergenzen die bei naumlherem Zusehen doch jeweils sehr verschiedene kulturelle Kontexte zum Ausdruck bringen Bonhoumlffer arbeitet ndash wie manche bereits vor ihm ndash mit einem vergleichenden Modell das vor allem in seiner bdquosystematischen Vergleichung Epiktets und des Neuen Testamentsldquo greifbar wird25

Bonhoumlffer ist sich der Gefahr einer nicht angemessenen Systematisierung bewusst Waumlhrend sich die neutestamentliche Theologie erst noch entwickelt ruht Epiktets Denken zwar bdquodurchweg auf einem ganz genau umrissenen und ins einzelne hinein fest formulierten System der alten orthodoxen Lehre der Stoaldquo26 wird aber von bdquosei-ner eigenen vom stoischen Geist durchdrungenen Persoumlnlichkeitldquo formiert und reprauml-sentiert (340) Bonhoumlffer arbeitet Analogien wie Kontraste heraus Zu den Gemein-samkeiten zaumlhlen die bdquogelaumluterte Religiositaumltldquo die Verbindung von Religion und Mo-ral der Idealismus und sittliche Ernst (341ndash354) zu den Kontrasten der Gegensatz von Vernunft und Offenbarung oder von Diesseitigkeit und Jenseitigkeit (354ndash357) Offenkundig wurzelt Bonhoumlffer in der zeitgenoumlssischen liberalen Theologie die im spaumlten 19 und fruumlhen 20 Jh gemeinsam mit den anderen Geisteswissenschaften ein sbquokulturprotestantischeslsquo Profil aufweist Gemessen am liberal-theologischen Jesusbild bleibt fuumlr Bonhoumlffer der epiktetische Theismus defizitaumlr bdquoMit dem allem soll aber nun keineswegs gesagt sein dass die Religiositaumlt Eprsquos der neutestamentlichen vollauf ebenbuumlrtig seildquo Es bdquoerreicht auch die Froumlmmigkeit Eprsquos so echt sie empfunden ist doch die Houmlhe der christlichen nichtldquo27 So weht bdquoein waumlrmerer Geist der Menschen-liebe durch das Neue Testament [hellip] als selbst durch die Reden eines Epldquo (382) Kritisiert wird auch die vornehmlich Eliten adres-

24 ZAHN 1895 28ndash33 Eine vernichtende Kritik stammt von WENDLAND 1895 Zahn miss-

verstehe Epiktet nicht nur haumlufig sondern zeige eine bdquovoumlllig unzureichende Kenntnis der kynischen und stoischen Literaturldquo (495)

25 BONHOumlFFER 1911 339ndash390 26 Diesen Nachweis lieferte BONHOumlFFER bereits 1890 sowie 1894 27 BONHOumlFFER 1911 344

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sierende Stoa die bdquodurch ihre historische Gebundenheit an die Lehrformen des aris-tokratischen Partikularismus gehindert war ihre universelle Mission zu erfuumlllenldquo (388) Umgekehrt zeigt Epiktet in manchen Lebensbereichen eine natuumlrlichere Ein-stellung ndash dies erweisen bdquoein frisches und gesundes Interesse an dem Weltgeschehen und am Tun und Treiben der Menschheitldquo die bdquoFreude an den Werken der Technik und der Kunstldquo die Einstellung zu Leiblichkeit und Sexualitaumlt (366f) sowie das bdquopo-sitive Interesse an der Menschheitldquo (377) Erstaunlich wenig gewichtet wird die bdquoDiesseitigkeitldquo Epiktets die sich markant mit der Jenseits- und Endzeitbezogenheit des Urchristentums kontrastieren liesse

Es ist Rudolf Bultmann der Bonhoumlffers Verhaumlltnisbestimmung einer fundamentalen Kritik unterzieht28 Mit ihm meldet sich bereits jene Generation von Neutestamentlern aus der Religionsgeschichtlichen Schule und der Dialektischen Theologie zu Wort die mit der liberalen Theologie brechen wird29 In einer raschen Replik auf Bultmanns Kritik stellt Bonhoumlffer seinerseits seine Position noch einmal deutlich heraus Gegen-uumlber der ziemlich negativen Wahrnehmung Epiktets durch den Theologen gibt er zu bedenken dass dessen Kritik durchaus und zu noch groumlsseren Teilen just auch das neutestamentliche Christentum traumlfe30

Bonhoumlffers Vergleich von Epiktet und Neuem Testament laumluft auf die Konstatierung einer grundsaumltzlichen Verschiedenheit hinaus die aber Gemeinsamkeiten nicht aus-schliesst Auch wenn sich Urchristen und Epiktet auf Augenhoumlhe treffen zeichnen sich erstere doch durch ein Mehr an genuiner Religiositaumlt aus Beide Typisierungen verraten deutlich ihren kulturgeschichtlichen Hintergrund zu Beginn des 20 Jahrhun-derts ndash die Wertschaumltzung der sbquogenialenlsquo religioumlsen sbquoPersoumlnlichkeitlsquo und des sbquosittlichlsquo orientierten Weltverhaumlltnisses

23 Ein Zwischenhalt Methodische Uumlberlegungen

Der Grundansatz von Bonhoumlffer von zwei im Ansatz sehr verschiedenen kulturellen Bildungen auszugehen naumlmlich der stoischen Philosophie und ihrer besonderen in-dividuellen Brechung bei Epiktet einerseits der urchristlichen Religion und ihrer

28 BULTMANN 1912 (Bonhoumlffers Buch scheint bdquosowohl in der Anlage wie in der

Erfassung des Problems verfehlt zu seinldquo 97) 29 In Bultmanns Positionsbezug gegen Bonhoumlffer tritt dies allerdings noch nicht deutlich

hervor So bestimmt er als bdquoZentralpunkt der Differenzldquo zwischen Epiktet und Neuem Testament bdquoein ganz verschiedenes Individualitaumltsgefuumlhl [] ein ganz verschiedenes Per-soumlnlichkeitsbewusstseinldquo (182 vgl 186ndash190) Nicht anders als Bonhoumlffer steht Bultmann dem Religionsverstaumlndnis der liberalen Theologie noch nahe vgl seine Bemerkung uumlber den Unterschied zum frostigen Seneca bdquoEpiktets Froumlmmigkeit verbreitet eine sonnige Heiterkeit Waumlrme und Frieden um sichldquo (110) Die Gegensaumltze werden in der spaumlteren Darstellung bdquoDas Urchristentum im Rahmen der antiken Religionenldquo (1949) viel schaumlrfer gezeichnet s unten bei Anm 32

30 BONHOumlFFER 1912 288f

128

theologischen Reflexion etwa bei Paulus andrerseits hat sich als plausibel und weg-weisend erwiesen Wo immer die beiden Kulturgestalten komparatistisch auf einander bezogen werden orientiert man sich an diesem Basismodell31 Die Umbruumlche in den Geistes- und Kulturwissenschaften seit der Mitte des 20 Jahrhunderts haben freilich die Koordinaten entlang denen das Wirklichkeitsverstaumlndnis und die Ethik der Stoi-ker wie der Christen rekonstruiert werden tiefgreifend veraumlndert So hat sich auf der Seite der neutestamentlichen Theologie die urchristliche Eschatologie in den Vorder-grund geschoben die die Kontrastierung zur griechisch-hellenistischen Philosophie noch einmal anders konturiert32 In juumlngerer Zeit hat das Interesse an einem umfas-senden sbquoSystemvergleichlsquo deutlich abgenommen33

31 Grunddifferenzen bei gleichzeitigen Konvergenzen werden herausgearbeitet etwa bei

GRETENKORD 1981 261ndash305 KLAUCK 1989 ders 1996 85ndash88 92 GALLOWAY 2004 HUTTUNEN 2005 SCHNELLE 2009 RAMELLI 2009 WILLMS 2011 I 431f uouml Auch die juumlngste Gesamtdarstellung von Epiktet liegt auf dieser Linie LONG 2002 3 (bdquoEpictetus has also been misunderstood because his appeals to theology which are ubiquitous have been consciously or unconsciously read in the light of Christianity In my opinion Epic-tetusrsquo deepest ideas are remote from the main Christian message notwithstanding notable parallels between some things he says and the New Testamentldquo) 143ndash147 176

32 Bereits BULTMANN 1912 185ndash188 stellt ua das Fehlen eines Geschichtsbewusstseins in der Philosophie fest bdquoEtwas Neues ist nie gekommenldquo (185) Auf dieser Linie urteilt er spaumlter bdquoder Stoiker meint seine Zeitlichkeit eliminieren zu koumlnnen seine sbquoEntweltli-chunglsquo ist sbquoEntzeitlichunglsquoldquo (194941976 161) Ich selber habe versucht die Differenz zwischen Stoikern und Urchristen am ineinander verschraumlnkten Verhaumlltnis der drei Zeit-modi herauszuarbeiten und in die Kosmologie zu extrapolieren Waumlhrend die Gegenwart in der Perspektive der Christen von der endzeitlichen Zukunft tangiert wird steht sie bei den Stoikern im Bann der Vergangenheit Dem sich ewig wiederholenden Kosmos steht die sich vorerst partikular realisierende neue Schoumlpfung entgegen VOLLENWEIDER 1989 44ndash53 404f vgl unten S

33 Eine Ausnahme stellt der neuere Versuch von ENGBERG-PEDERSEN 2000 dar stoische Phi-losophie und paulinische Theologie idealtypisch zu vergleichen statt sich von der Frage nach historischen Beeinflussungen engfuumlhren zu lassen Die Basis dafuumlr stellt ein kom-plexes theoretisches Modell bereit das die Wechselwirkung zwischen Individuum Ge-meinschaft und dem Goumlttlichen bzw dem Logos beschreibt (33ndash44) Der Erkenntnisge-winn der Studie reicht genau so weit wie die Leserschaft bereit ist diesem Modell Plau-

sibilitaumlt zuzuerkennen ndash In seinem juumlngsten Buch fuumlhrt ENGBERG-PEDERSEN (2010 106ndash138) einen Vergleich speziell zwischen Epiktet und Paulus durch Er konzentriert sich dabei auf die Gotteserkenntnis und stellt neben Differenzen erhebliche Uumlbereinstimmun-gen fest Problematisiert werden die bisher gelaumlufigen Differenzkriterien von self-suffi-ciency (resp human agency) versus dependence (resp divine agency) und damit zusam-menhaumlngend von philosophy versus apocalypticism Bezuumlglich des erstgenannten Duals ist Engberg-Pedersen mE im Recht beim zweitgenannten aber kaum (vgl die vorherige Anm) Die Gotteserkenntnis ihrerseits hat bei den beiden Denkern einen derart unter-schiedlichen Stellenwert dass sie schwer vergleichbar ist zumal sie bei Paulus christolo-gisch vermittelt ist Ausserdem laumldt die Konvergenzformel bdquoknowledge (of God) as align-ment with Godldquo nicht primaumlr die Stoiker sondern vielmehr die Platoniker mit ihrer ὁμοίωσις θεῷ zum Gespraumlch mit Paulus Epiktet duumlrfte gerade an diesem Punkt plato-nische Motive rezipiert haben (vgl unten Anm 98) was vielleicht auch fuumlr Paulus gilt (so VAN KOOTEN 2008) Auch bei anderen Thesen des Buchs legen sich statt stoischer eher platonische Bezuumlge nahe vgl die Rezension von R HIRSCH-LUIPOLD Early Christianity 3 (2012) 122ndash133

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Methodisch gesehen erweist sich das komparatistische Geschaumlft als uumlberaus komplex Ich weise auf wenigstens drei Punkte hin wo ein umsichtiges historisches und herme-neutisches Urteil gefordert ist

1 Ein Vergleich kommt nur dort angemessen zum Zug wo beide Seiten in optimam partem interpretiert werden wo also Abstinenz gegenuumlber vorschnellen Verurteilun-gen eingeuumlbt wird Die neutestamentliche Exegese hat waumlhrend der letzten Jahrzehnte auf einem anderen Feld naumlmlich in der Einschaumltzung des Fruumlhjudentums geradezu einen Paradigmenwechsel vollzogen Anstatt das Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels als dunkle Folie zu entwerfen von der sich das entstehende Christentum strahlend abhebt wird es nun in seinem eigenen Selbstverstaumlndnis und unter Verzicht auf Werturteile rekonstruiert Es legt sich nahe diesen Typ einer interessierten und aufmerksamen Hermeneutik auch der Wahrnehmung hellenistischer Philosophen zu-gutekommen zu lassen

2 Der Versuch uumlberaus vielfaumlltige geschichtliche Kulturerscheinungen auf basale Figuren hin zu typisieren muss die Grenzen seiner Reichweite explizit reflektieren und sich mit der dienenden Rolle einer heuristischen Kunst bescheiden Sowohl die sokratisch modellierten und praktisch ausgerichteten Lehrgespraumlche Epiktets wie die Briefe und Erzaumlhltexte des Neuen Testaments bleiben widerstaumlndig gegenuumlber aller Systematik

3 Gerade weil umfassende geisteswissenschaftliche Rekonstruktionen unaus-weichlich im Kontext ihrer eigenen Zeit stehen muumlssen sie konsequent darauf hin befragt werden ob sie die historischen Phaumlnomene noch angemessen vergegenwaumlrti-gen und nicht ungebuumlhrlich verzerren So ist es nicht ratsam Figuren die sich erst im Lauf der christlichen Theologiegeschichte herausgebildet haben ndash beispielsweise die Kontrastierung von Selbsterloumlsung und Gnade ndash an philosophische Texte die in ganz anderen Kontexten zu situieren sind heranzutragen Umgekehrt zeigen uns die an-faumlnglich vorgestellten christlichen Rezensionen des Enchiridion dass Grenzziehun-gen zwischen den beiden Bereichen ihrerseits erheblichen geschichtlichen Variatio-nen unterliegen

24 Diskursmodelle

Angeregt von philosophischen Diskurstheorien lassen sich urchristliche und philoso-phische Texte der fruumlhen Kaiserzeit darauf hin befragen inwieweit sie aktuelle

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sbquoDiskurselsquo dokumentieren und ihrerseits bestimmte Positionen beziehen34 Sie sind also engagiert in argumentativen Dialogen uumlber die Wahrheit von Behauptungen und die Legitimitaumlt von Normen Das klassische Geschaumlft von Exegeten und Philologen die Sortierung von sbquoParallelenlsquo stellt einschlaumlgiges Material fuumlr die Identifizierung von Themen und fuumlr die Rekonstruktion von Rezeptionserwartungen zusammen35 Auf dem weltanschaulichen Markt der fruumlhen Kaiserzeit einer fuumlr antike Verhaumlltnisse hochgradig globalisierten Welt bieten sich sowohl Philosophien wie Religionen als Fuumlhrerinnen zur Lebenskunst und als Weg zum Gluumlck an36 Ihre Diskurse handeln von den fundamentalen Fragen der Lebensorientierung ndash Schicksal und Freiheit Le-ben Tod und Jenseits ndash und von den ethischen und praktischen Problemstellungen rund um Ehe Besitz Sklaverei Freundschaft und Alter37 Sie lassen sich etwa mit Hilfe von Theorien sozialer oder personaler Identitaumlt profilieren38

Es ist attraktiv Epiktets Lehrgespraumlch uumlber die Eleutheria in den zeitgenoumlssischen Diskursen uumlber die Freiheit zu verorten39 an denen sich auch Exponenten von

34 Zur Hochkonjunktur des Diskursbegriffs in den letzten Jahrzehnten vgl die summari-

schen Bemerkungen von K GRUumlNDER Vorbemerkungen zu HWPh 9 (1995) 84ndash86 35 So spielen Epiktets Texte im Neuen Wettstein eine prominente Rolle s unten S 36 Zur Philosophie als exercice spirituelle vgl HADOT 2005 Zu den methodischen Proble-

men bei der Identifizierung von Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament vgl VOLLENWEIDER 2012 298f

37 Instruktiv ist in unserem Zusammenhang der juumlngst erschienene Sammelband unter dem Titel bdquoStoicism in early Christianityldquo (RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010) Behandelt werden ua Fragen der Ethik und des Gesetzes bei Paulus die Darstellung Jesu als Lehrer bei Mt der sbquoemotionalelsquo Jesus in Joh die Weltbrand-Eschatologie (2Petr) das Thema der Sklaverei und der Willensfreiheit

38 So spielt Epiktet bei NGUYEN 2008 eine wichtige Rolle in der Rekonstruktion der Inter-aktionen zwischen den Korinthern und Paulus Auch die bdquoWeltdistanzldquo die zum Ver-gleich von Urchristen und Epiktet einlaumldt (BRAUN 1971 SCHRAGE 2004 WEBER 1999) waumlre heute auf der Basis von Theorien sozialer Identitaumlt zu reformulieren

39 Als besonders herausragende Texte der fruumlhen Kaiserzeit sind neben Epiktet Diss IV 1 und Paulus Roumlm 6ndash8 Gal 45 1Kor 910 zu nennen Dion Or 14ndash15 80 Philon Prob verschiedene Texte von Seneca sodann Cicero Parad 33ndash41 (omnes sapientes liberos esse et stultos omnes servos) Persius Sat 5 Ps-Andron Rhod Pass 97 Nicht erhal-tene Traktate bdquoUumlber die Freiheitldquo oder bdquoUumlber Knechtschaft (und Freiheit)ldquo werden ua Antisthenes (Diog Laert 616) und Kleanthes (Diog Laert 7175 = SVF 1 481) zuge-schrieben Wichtige Quellentexte stellt WILLMS 2011 I 63ndash83 89 zusammen Sein Ver-such eine bdquostoische Urschriftldquo namentlich aufgrund von Uumlbereinstimmungen zwischen Epiktet und Philon zu postulieren ist mE wie viele andere literarkritische Modelle die auf die Quellenkritik des 19 Jh zuruumlckgehen zum Scheitern verurteilt Die Parallelen erweisen sich als so partiell dass sie mit der Annahme von gemeinsamem Traditionsgut ausreichend erklaumlrt werden koumlnnen Die methodisch viel anspruchsvollere Hypothese ei-ner gemeinsamen Quelle laumlsst sich nicht plausibilisieren (vgl dazu bereits VOLLENWEIDER 1989 28f)

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Partialkulturen wie der juumldischen und der christlichen beteiligten Zu beachten ist da-bei dass die Freiheitsdiskurse auch implizit oder explizit politische Akzente setzen etwa im Verhaumlltnis zur imperialen Ideologie40 Wir beschaumlftigen uns im Folgenden exemplarisch mit dem spezifisch theologischen Profil des Freiheitsverstaumlndnisses Epiktets Zugrunde gelegt wird die Annahme dass sein Verstaumlndnis von Freiheit zwar ein deutlich erkennbares individuelles Kolorit aufweist sich aber grundsaumltzlich doch in die klassische stoische Konfiguration einzeichnen laumlsst41

3 Der goumlttliche Grund der Freiheit nach Diss IV 185ndash110

31 Grundlegende Unterscheidungen

Epiktet geht in seinem Lehrgespraumlch von einer weithin konsensfaumlhigen Definition von Freiheit aus die Freiheit zu leben bdquowie man willldquo (sect1)42 Die Argumentation steuert uumlber mehrere Gaumlnge auf ein Verstaumlndnis von Freiheit zu das sich fuumlr die vom Meister in die Unterredung einbezogenen virtuellen Schuumller mit uumlberraschenden Entdeckun-gen verbindet Der soziale Status mit all seinen Implikationen traumlgt nicht nur nichts bei zum Erwerb der Freiheit sondern entpuppt sich sogar als bdquoschoumlnste und glaumln-zendste Sklavereildquo (sect40) Dies gilt zumal dort wo einer nur noch den Kaiser als bdquoHerrn uumlber alleldquo uumlber sich weiss (sect12f) Zentral fuumlr den Befreiungsprozess ist das unablaumlssige Einuumlben jener kognitiven Operation welche die allgemeinen Vorstellun-gen (προλήψεις) mit den konkreten Lebensverhaumlltnissen konfiguriert (ταῖς ἐπὶ μέρους οὐσίαις sect41f)43 bdquoSuche und du wirst findenldquo (sect51)44 Wer

40 Muumlnzen Inschriften und Literatur belegen die Zugkraft des ideenpolitischen Schlagworts

bdquoFreiheitldquo so beanspruchte der Prinzipat die res publica und ihre libertas wiederherge-stellt zu haben

41 Vgl Forschner oben S Anders jetzt ASMIS 2001 der Epiktet eine neue Frei-heitskonzeption zuschreibt (bdquoEpictetus in sum offers a new concept of human freedom according to which the power of choice [sc prohairesis SV] confers on each person the freedom to determine onersquos own characterrdquo 412)

42 Diese gaumlngige Formel begegnet zB auch bei Paulus Gal 517 Roumlm 715ndash19 43 Zum Verstaumlndnis der Prolepsen im Kontext der Oikeiosislehre vgl FORSCHNER 1995

151ndash156 (πρόληψις als bdquoein umrisshafter unbestimmter undifferenzierter Vorgriffldquo der von einem bestimmten Begriff bzw einer Definition zu unterscheiden ist Epiktet ist bdquohier wohl altstoischem Gedankengut verpflichtetldquo 153) Vgl FORSCHNER oben S

44 Zum Bezug zur Jesustradition (Mt 77 usw) vgl WILLMS 2011 I 263ndash265 sowie BETZ 1995 501ndash504 und unten S Die Sentenz ist so weit gestreut dass sie keine Benut-zung des Neuen Testaments durch Epiktet belegt

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nicht von selber dank der dem Logos entsprechenden natuumlrlichen Faumlhigkeiten zur Wahrheit gelangt kann sich an bewaumlhrten Wahrheitszeugen orientieren (sect51f) fak-tisch ist hier der aktuell Lehrende mindestens mitgemeint Epiktet steuert die Unter-redung die in diesem Teil (sect51ndash75) besonders stark als sokratischer Dialog gestaltet ist45 auf seine elementare Formel der Unterscheidung dessen was bdquouns zuhandenldquo und bdquouns nicht zuhandenldquo ist zu (sect65 τὰ μὲν ἐφ᾽ ἡμῖν ἐστιν τὰ δ᾽ ἐπ᾽ ἄλλοις vgl Diss I 1)46 Am Koumlrper selber wird geradezu hautnah der Bereich des Fremden des ἀλλότριον erfahrbar (sect76ndash80) plastisch verbildlicht im Gleichnis eines bepack-ten Esels den man notfalls auch bdquolassenldquo muss ganz zu schweigen vom Zubehoumlr und Gepaumlck (sect79f)

Bereits in diesem Abschnitt macht sich ein entscheidender Bezugstext ein Praumltext bemerkbar der spaumlter explizit zu Wort kommen wird das Gebet des Kleanthes Wird der Esel von anderen requiriert (angareia) so gilt bdquoLass ihn gehen widerstrebe nicht und murre nicht ndash andernfalls wirst du den Esel genauso einbuumlssen nur mit Schlaumlgenldquo Im bdquogenauso hellip nurldquo (woumlrtlich bdquonichts desto wenigerldquo οὐδὲν ἧττον) spielt Epiktet an auf Kleanthesrsquo Vers bdquoWenn ich aber nicht (folgen) wollte waumlre ich ein feiger Schwaumlchling und muumlsste euch nichtsdestoweniger (οὐδὲν ἧττον) folgenldquo (Ench 531)

Mit der Aufforderung unablaumlssig die elementare Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo zu uumlben (sect81) die wiederum im Bereich von Koumlrper und Besitz die Frei-heit von Angst und Begehren eroumlffnet ist die Plattform fuumlr die uns interessierende theologische Deutung etabliert47

Bereits sect82 hat vorausweisenden Charakter Die Bestimmung uumlber das Wesen des Guten und Schlechten faumlllt in den Bereich des Eigenen bdquoWer kann es dir wegnehmen

45 Auf das sokratische Design der Dissertationes hat besonders LONG 2002 67ndash96 uouml

hingewiesen (bdquoSocrates rather than any Stoic philosopher or even the Cynic Diogenes is Epictetus favoured paradigm not only as a model for life but also as a practitioner of philosophical conversationldquo 4) hier auch verbunden mit Kritik an BONHOumlFFER (166f 176)

46 Zu Herkunft und Hintergrund der Formel vgl DOBBIN 1998 65ndash68 WILLMS 2011 I 328ndash337

47 Die Strukturierung unseres Lehrgespraumlchs durch das Nacheinander eines sbquoprofanenlsquo bzw sbquosaumlkularenlsquo Teils als Tradition (sect6ndash90) und eines sbquotheologischenlsquo Teils als Interpretation (sect91ndash131) durch NESTLE 1967 125ndash128 134 (zustimmend GRETENKORD 1981 195f) hat keinen Anhalt am Text (bereits sect89f stellt eine theologische Klimax dar die durch die Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo eng mit der ab sect62 entfalteten Argumen-tation verbunden ist) und arbeitet mit (redaktionsgeschichtlichen) Kategorien die sich bei Epiktet nicht bewaumlhren (das richtige Applizieren der allgemeinen Vorstellungen auf die konkreten Lebensumstaumlnde in sect41f ist eine spezifisch epiktetische Konzeption ohne dass sie deswegen unstoisch waumlre) vgl oben Anm 43)

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wer kann dich behindern Ebenso wenig kann man Gott behindernldquo Dies wird in sect90 wieder aufgenommen48

32 Das Gleichnis von der Burg und das Basisprinzip (sect85ndash90)

Im Abschnitt sect85ndash110 arbeitet Epiktet mit drei aufeinander folgenden Gleichnissen die jeweils fliessend in allgemeine Aussagen uumlbergehen Burg Reisegesellschaft und Festversammlung Die Befreiung von der Furcht wird verbildlicht mit der Zerstoumlrung der inneren Burg (Akropolis) dem Sitz der Tyrannen Die Metapher uumlberrascht zu-naumlchst da man die innere Festung eher als positives Sinnbild fuumlr die uneinnehmbare Position des Denkvermoumlgens erwartet haumltte49 Sie hat hier aber den Charakter der Zwingburg die man niederreissen oder wenigstens entvoumllkern soll Mit dem erneuten bdquoLassenldquo des Koumlrpers und seiner Teile von Besitz Ehrungen Kindern Geschwistern und Freunden (vgl sect66f) wechseln wir wieder auf die Sachebene (die eher an einen defensiven Ruumlckzug denken laumlsst) Uumlber das Bildelement von den Leibwaumlchtern die ihren bedrohlichen Charakter verloren haben fokussiert der Meister nun auf den Wil-len der von keinem Zwang mehr behindert wird (sect88) und damit auf die Leitdefini-tion am Anfang der Unterweisung (sect1) Wir stehen vor einem Scharnier der Argu-mentation weil nun das theologische Bekenntnis bdquoIch habe mein Streben Gott anheim gestelltldquo eine neue Dimension der wahren Freiheit eroumlffnet und zur Formulierung des Basisprinzips fuumlhrt (sect89ndash90)50

Das Bekenntnis selber verdichtet den stoischen Gedanken der Einfuumlgung in die

48 Dieser Verweis auf Gott unterscheidet sich von Diss I 123 wonach Zeus als houmlchster

Repraumlsentant des bdquoFremdenldquo die eigene Prohairesis nicht bezwingen (νικῆσαι) kann Dazu GRAVER 2003 348f

49 Praumlgnant ist vor allem die Aumlusserung Marc Aurels bdquoDeshalb ist die von Leidenschaften freie Denkkraft eine feste Burg (ἀκρόπολίς ἐστιν ἡ ἐλευθέρα παθῶν διάνοια) denn

nichts Staumlrkeres hat der Menschldquo (VIII 483) als Leitmotiv bei HADOT 1997 156ndash184 Vgl Sen Ep 825 Negativ konnotiert ist die Festung etwa auch bei Philon Fug 148 (bdquoZwingburg der Lustldquo) positiv Abr 150 vom Ort der Augen dem koumlniglichen Sinn Spec 3184 vom Kopf Spec 449 von der Seele

50 Auffaumlllig ist die perfektische Formulierung des Bekenntnisses die sich auch im vorange-gangenen Satz spiegelt (οὐπώποτε mit zwei Verben im Aorist) Spielt Epiktet hier an auf seinen Status als einer von denen die die Wahrheit gesucht und gefunden haben (sect51)

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goumlttliche Weltordnung51 Beim bdquoStrebenldquo (ὁρμή) handelt es sich um einen gaumlngigen Terminus fuumlr die menschlichen Antriebe also den Bereich der Willensbewegungen des θέλειν und βούλεσθαι (vgl sect99) die vom Logos geformt werden muumlssen52

Die folgenden kurzen Saumltze in sect8990 formulieren in aumlusserster Zuspitzung die Rhe-torik arbeitet mit provokanten Paradoxien Der Wille Gottes determiniert den Willen des Subjekts nicht nur vollumfaumlnglich sondern bestimmt auch seine Intentionalitaumlt ndash das Ich bdquowillldquo Peristasen wie Fieber Tod und Folter Die scheinbare Fremdbestim-mung wird schliesslich aufgefangen durch die Analogisierung mit Zeus selber (vgl sect82)53

Das Basisprinzip besteht also in der vollstaumlndigen Konvergenz des Willens des (menschlichen) Subjekts mit dem Willen Gottes eine Konvergenz die im Zeichen der wahren Freiheit steht Es reflektiert die traditionelle Figur des stoischen Determi-nismus der einerseits zwar die Willensfreiheit ganz im Geflecht der kosmischen Kau-salketten aufhebt andrerseits aber das Freiheitspathos steigert54 Offenkundig spiegelt Epiktet hier absichtsvoll zwei verschiedene Modi von Freiheit ineinander diejenige des Entscheidens (Freiheit als Immer-auch-anders-Koumlnnen) und diejenige des Wol-lens (die in der nachmaligen lateinischen Theologie bei Marius Victorinus und beson-ders bei Augustin zur Entfaltung der Willensmetaphysik gefuumlhrt hat)

Die Passage ist so stark von paradoxaler Rhetorik bestimmt dass man sie nicht vor-schnell mit fruumlhchristlichen Texten kontrastieren sollte Epiktet am naumlchsten steht die Szene in Getsemane wo Jesus Gottes Willen seinem eigenen vorordnet bdquoAbba

51 Das Verb προσκατατάσσειν das bei Epiktet nur in Diss IV 1 begegnet meint die Ein-

ordnung unter eine uumlbergeordnete Groumlsse (vgl unten sect9198) und beruumlhrt sich mit κατατάσσειν das in Ench 311 die Eusebeia das angemessene Verhalten gegenuumlber den Goumlttern beschreibt und mit bdquogehorchenldquo bdquosich fuumlgenldquo und bdquofreiwillig folgenldquo expli-ziert wird Besonders praumlgend ist das Sokrateswort in Platons Apologie 28e (τάξις) das Diss I 924 unter dem Einfluss von Leg 12945a (εἰς τάξιν κατατάξῃ) reformuliert wird bdquoGott hat uns einen bestimmten Platz und eine bestimmte Lebensform zugewiesen (κατατέταχεν) die wir nicht verlassen sollenldquo vgl III 14114 (εἰς τοιαύτην ὑπηρεσίαν κατατεταγμένος) II 139 I 134 (von einer uumlbergeordneten Stellung) Un-sere Formulierung in sect89ndash99 druumlckt mit dem zusaumltzlichen Compositum πρoς- auch noch jene dynamische Richtungsbestimmung aus die aus dem Praumltext des Kleanthes stammt (bdquofuumlhre mich [hellip] dahinldquo sect131) προσκατατάσσειν (LSJ 1516a bdquosubjoin append as-sign attachldquo) begegnet nur gelegentlich in der griechischen Literatur (Polyb III 201 [Re-den hinzufuumlgen] Philon Op 131 [Suumlsswasser der Erde zuweisen vgl 38] Cornut Nat deor 323 [Feuchtes in Aumlther uumlberfuumlhren] OGIS 5627 [hinzugefuumlgte Priester]) Vgl WILLMS 2011 I 489f

52 Zenon hat einen Traktat περὶ ὁρμῆς ἢ περὶ ἀνθρώπου φύσεως verfasst (Diog Laert 74 = SVF 1 41) vgl ferner POHLENZ 61991 II 52 77 80f Textintern sind die Bezuumlge der ὁρμή auf das θέλειν durch den voranstehenden wie den nachfolgenden Satz deutlich

53 Fuumlr diese Analogie bietet Diss II 1722ndash25 eine instruktive Parallele bdquoMit einem Wort Wolle nichts anderes als was Gott will Wer wird dich dann noch behindern wer dich zwingen Ebenso wenig wie (man) Zeus (zwingen kann) Wenn du einen solchen Fuumlhrer hast und mit ihm eines Willens und eines Wunsches bist was fuumlrchtest du dann noch an Fehlschlaumlgenldquo Epiktet raumlt auch hier dazu sich nicht zu binden an Reichtum Armut Ge-sundheit Ehre Vater Heimat Freunde und Kinder die alle nicht unserem Verfuumlgungs-bereich zugehoumlren

54 Zugespitzt bei BRAICOVICH 2010 der Epiktets handlungspsychologisches Freiheitsver-staumlndnis konsequent deterministisch deutet Zur allgemeinen Diskussion des stoischen Determinismus vgl STEINMETZ 1994 610ndash612 GUCKES 2004 12ndash17 im Zusammenhang mit Epiktet LONG 2002 220ndash222 (bdquothe autonomous person as someone who voluntarily complies with a predetermined situationldquo 222) sowie FORSCHNER oben S

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Vater alles ist dir moumlglich Lass diesen Kelch an mir voruumlbergehen Doch nicht was ich will sondern was du willstldquo (Mk 1436 vgl Mt 2639 Lk 2242)55 Die nur bei Mk vorkommende Allmachtsformel haumllt die ndash nicht realisierte ndash Moumlglichkeit offen dass Jesu eigener Wille dem Leiden zu entgehen sich verwirklichen liesse Der Vers der in der altkirchlichen Zweinaturenchristologie intensiv debattiert worden ist scheint es im Kontrast zu Epiktet bei einem sbquoproduktivenlsquo Gegenuumlber von zwei Wil-lensbewegungen zu belassen ndash eine Asymmetrie von erheblichem anthropologischem Gewicht Der Unterschied des Genre will freilich beachtet sein Waumlhrend Epiktet in einem argumentativen Text das Resultat einer geradezu lebenslaumlnglich vollzogenen Uumlbung (askesis) in praumlsentischen Paradoxien versprachlicht markiert die Getsemane-Erzaumlhlung der Evangelien eine Station auf dem Passionsweg Jesu der die vollstaumlndige Konvergenz der beiden Willensbewegungen narrativ zur Darstellung bringen wird Jesus ergibt sich als leidender Gerechter in den Gotteswillen bis zum Tod am Kreuz

Keine direkte Relevanz fuumlr die von uns hier diskutierte Thematik hat die Problemati-sierung der Einheit des menschlichen Willensbereichs56 Sowohl Epiktet (Diss II 1718f II 261 uouml) wie Paulus (Roumlm 715ndash19) sprechen vom inneren Zwiespalt des Menschen und orientieren sich dabei an einer in der Antike verbreiteten Figur die auf die Gestalt der euripideischen Medea zuruumlckfuumlhrt Die zugrunde liegenden anthropo-logischen Konzeptionen sind zwar denkbar verschieden Dem grundsaumltzlich monisti-schen Ansatz Epiktets steht der dualistische des Paulus gegenuumlber57 Es faumlllt aber auf dass beide das fuumlr die Medea-Rezeption traditionelle Schema des Gegensatzes von Erkennen und Trieb von Vernunft und Leidenschaft durch eine weit radikalere Deu-tung uumlberlagern Der Zwiespalt im Inneren ist uumlberhaupt nur retrospektiv durchschau-bar geworden erst das Ereignis der Befreiung laumlsst es zur Erkenntnis der Sklaverei kommen Dabei sprechen beide von der Unfreiheit gut traditionell als dem bdquoTun was ich nicht willldquo58

Freiheit wird praumlsentiert als Anerkennung dessen was ohnehin nicht zur Disposition steht und nicht anders sein kann als es der Fall ist Das klassische Bild der Stoiker

55 Die Uumlbersetzung biblischer Texte richtet sich meistens nach der Zuumlrcher Bibel 2007 56 Der optimistischen Anthropologie Epiktets laumlsst sich dann diejenige des Paulus gegen-

uumlberstellen die zwar nicht pessimistisch ist aber Suumlnde nicht im kognitiven Bereich son-dern im Willensbereich platziert vgl zB SCHNELLE 2009 156f

57 Zum Verhaumlltnis zwischen Epiktet und Roumlm 7 vgl HUTTUNEN 2005 ferner VOLLENWEIDER 1989 350ndash352

58 Vgl oben bei Anm 42 Das Versklavtsein wird bei Epiktet deswegen nicht so ausweglos wie bei Paulus wahrgenommen weil es wesentlich auf falschem Denken beruht

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stellt der an einen Wagen festgebundene Hund dar der entweder aus eigenen Stuumlcken mitgeht oder aber mitgeschleift wird59

33 Das Gleichnis von der sicheren Reisegesellschaft (sect91ndash98)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft changiert zwischen Bildrede und eigentlicher Rede Mit οὕτως (sect91) wird das Bild eingefuumlhrt ebenfalls mit οὕτως erfolgt der Wechsel zur Sachebene naumlmlich zur kosmischen Position des Verstaumlndigen (sect9298) dessen Selbstgespraumlch wieder auf der Bildebene spielt (sect92ndash97) Mit seinen Hinwei-sen auf hoch gestellte Personen besonders den Status des Freunds des Kaisers wird Bezug genommen auf fruumlhere Passagen (sect8ndash15 45ndash50) Das Selbstgespraumlch endet ironisch in einer Aporie ndash selbst in der Einoumlde gibt es keinen Schutz vor negativen Maumlchten (sect97) Erst der Anschluss an Gott ermoumlglicht eine sichere Reise Die Philo-sophie spielt hier ihre in hellenistischer und kaiserzeitlicher Zeit zentral gewordene Rolle als Ratgeber fuumlr den Umgang mit jederzeit drohenden Kontingenzen und ant-wortet auf ein Anliegen das auch die zeitgenoumlssischen Religionen das Christentum so gut wie Mysterienreligionen und magische Praktiken bearbeiten

Die traditionelle und uumlberaus reiche Metaphorik des Wegs deckt ein breites Spektrum ab Die hauptsaumlchliche Konnotation die auch bei Epiktet reichhaltig begegnet ist die-jenige des Zusammenhangs von Weg und Ziel So spricht unser Lehrgespraumlch sum-mierend vom Weg zur wahren Freiheit (sect131)60 Das Reisegleichnis in Diss II 2336ndash39 raumlt dazu Raststaumltten wieder zu verlassen um zur Heimatstadt zu gelangen (εἰς τὴν

πατρίδα ἐπανελθεῖν)61 Auch wo Gott (II 710f) oder der wahre Kyniker (III 2226) den rechten Weg weisen ist das Ziel im Blick62 Aumlhnlich steht es mit der christ-lichen Wegmetaphorik63 In unserem Zusammenhang geht es dagegen ausschliesslich um das sichere Reisen ndash in der Sprache heutiger Lebensratgeber der Weg ist das Ziel Fuumlr die Reisegemeinschaft mit Gott bietet II 1723 eine bemerkenswerte Parallele da hier neben der Konvergenz des Wollens auch die Analogie mit Zeus figuriert (sect22)64 Das Leben laumlsst sich generell mit einer Reise vergleichen65 III 139ndash11 stellt heraus dass nur die Philosophie nicht aber der Kaiser si-

59 Chrysipp () SVF 2 975 vgl POHLENZ 82010 I 106 STEINMETZ 1994 611f weiteres bei

VOLLENWEIDER 1989 75f 60 Vgl IV 439 vom Weg zur wahren εὔροια 61 Auch hier wird explizit der Bezug zur Freiheit hergestellt (sect42) verbunden mit dem bdquomit

ganzem Herzenldquo zu sprechenden Gebet des Kleanthes 62 Vgl ferner I 1618 II 216 II 123 III 263f IV 24 IV 659 IV 916 63 Vgl den Uumlberblick (auch zur Umwelt) von W MICHAELIS Art ὁδός κτλ ThWNT 5

(1954) 42ndash118 sowie die bei WILLMS 2012 II 709 genannte Literatur 64 Vgl oben Anm 53 65 Diss II 510 von der Seereise wo bdquoeiniges an mir liegt anderes aber nichtldquo vgl ferner II

1624 I 99 II 1737f in III 2493 wird die Abreise mit dem Sterben verglichen

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cheren Reiseschutz verleihen kann (vgl sect3) Es gibt durchaus neutestamentliches Vergleichsmaterial Die Nachfolge auf Jesu Weg wie ihn die Evangelien darstellen ist transparent fuumlr den Lebensweg der Christusglaumlubigen (Mk 827ndash1052 besonders 834) Dieser ist freilich auch wieder auf ein Ziel hin orientiert naumlmlich auf die Pas-sion und das Kreuz Epiktets goumlttlicher Reisegesellschaft am naumlchsten kommen wir mit der Topik des bdquoMitseinsldquo Jesu bzw Gottes mit den Glaubenden (Mt 2820 vgl 123 1820 Joh 1416f [vom Geist]) welche die gesamte biblische Tradition des Mit-gehens Gottes mit seinem Volk insbesondere waumlhrend der Wuumlstenwanderung sum-miert Obschon der Lebensweg die Stoiker in widrige Umstaumlnde und die Christen in das Martyrium fuumlhren mag gibt die Gemeinschaft mit Gott ultimative Sicherheit Der Vergleich fuumlhrt uns also wieder in den Bereich der Passionsgeschichte Waumlhrend fuumlr die Christen der Gottessohn und somit der in diesem praumlsente Gott selber den Weg des Leidens geht sieht sich der Stoiker gewiesen an Vorbilder die paradigmatisch das Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens vor Augen stellen zumal an Herakles und Sokrates Zwar ist auch ihr Gott im Kosmos gegenwaumlrtig aber da er das harmo-nisch gefuumlgte Ganze repraumlsentiert ist er den immer nur einzelne Teile betreffenden Turbulenzen nicht ausgesetzt

34 Das Gleichnis von der Festversammlung (sect99ndash110)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft endet in einem radikalen Ruumlckzug aus dem Bereich des Ungewissen der nicht einmal in der Einsamkeit der Einoumlde haltmacht sondern gleichsam in die Unweltlichkeit versetzt Dieser Reduktionsbewegung auf einen einzigen Punkt der mit Gott identifiziert wird kommt nun eine expandierende Bewegung entgegenzustehen die in die Weite des Kosmos und die universale Ge-meinschaft hinaus weist

Mit dem erneuten Ruumlckgriff auf das theologische Bekenntnis und das Prinzip von sect89 baut Epiktet sukzessive ein neues Gleichnis auf das sich mit kosmologischen Deu-tungen verbindet Im Fokus stehen nun die Willensbewegungen Gottes und sein ord-nendes Wirken im Kosmos Die Basisunterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoAnderemldquo wird theologisch akzentuiert Im Bereich des Eigenen figuriert die freie Selbstbestim-mung die Prohairesis66 der Bereich des Anderen wird der Gottheit und ihrem Wal-ten dem bdquoKreislauf des Allsldquo zugemessen (sect100) Koumlrper Besitz sowie Haus Kinder und Frau (vgl sect66f 87 107 111) Alles wovon sich der Verstaumlndige innerlich als

66 Zur Prohairesis vgl FORSCHNER in diesem Band S [[Typoskript S 5]] ferner STE-

PHENS 2007 16ndash25 (bdquoProhairesis as selfldquo) und die Diskussion von ENGBERG-PEDERSEN 2010 212ndash214 (bdquotrue human selfldquo) mit LONG 2002 28ndash30 207ndash220 (bdquovolitionldquo)

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dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

141

logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

142

41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

143

Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

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KLAUCK H-J Die religioumlse Umwelt des Urchristentums Bd II (Herrscher- und Kai-serkult Philosophie Gnosis) (KStTh 92) Stuttgart 1996

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VOLLENWEIDER S Freiheit als neue Schoumlpfung Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt (FRLANT 147) Goumlttingen 1989

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21995

Page 4: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

121

sungen die allesamt in die Zeit des Uumlbergangs von der Spaumltantike in die fruumlhbyzanti-nische Epoche gehoumlren und auf Adressaten im monastischen Umfeld zielen5 Sie zei-gen einerseits wie nichtchristliche philosophische Texte in erheblichem Umfang an die eigene ndash hier vor allem monastische ndash Tradition vermittelt werden koumlnnen And-rerseits werden bestimmte Bruchlinien erkennbar wo die christliche Rezeption auf je eigenen Wegen die paganen Uumlberlieferungen und Implikationen zu umschiffen oder zu bewaumlltigen versucht

11 Gottesmann und Engel statt Diogenes und Herakles Die Enchiridion-Ver-

sion von Ps-Neilos

Der urspruumlngliche Text des Enchiridion wird in dieser unter dem Namen des Moumlnch-vaters Neilos von Ankyra (um 400) firmierenden Fassung auf weite Strecken hin be-wahrt Es kommt aber zu einigen charakteristischen Variationen6

1 Epiktet spricht in seinem Vergleich des Lebens mit einem Gastmahl wo es be-stimmte Tischregeln zu beachten gibt (vgl Lk 147ndash14) nicht nur vom kontrollierten Warten auf das einem Zukommende sondern auch von der gelegentlich noch besseren Option des Verzichts (Ench 15) Wer sich so verhaumllt wird bdquonicht nur ein Tischge-nosse der Goumltter sein sondern auch an ihrer Macht teilhaben Denn so taten es Dio-genes Herakles und aumlhnliche Maumlnner und darum waren sie mit Recht goumlttlich und wurden mit Recht goumlttlich genanntldquo Die christliche Version (21 fin) spricht demge-genuumlber davon man werde bdquonicht nur ein Gottesmann sein sondern sogar wie ein Engel (τότε οὐ μόνον ἄνθρωπος ἔσῃ θεοῦ ἀλλὰ καὶ ὡς ἄγγελος)ldquo Die Ter-minologie ist biblisch bzw christlich variiert7 der Verweis auf die goumlttlichen Maumlnner fehlt ganz

2 Bestimmte Praktiken und Verhaltensregeln werden ausgeblendet da sie nicht dem christlichen Ethos entsprechen So fehlen die Abschnitte zur Mantik zur Sexua-litaumlt oder zu den oumlffentlichen Spielen8

3 Interessant sind insbesondere die Umformungen in der Schlusspassage Die Saumltze uumlber Sokrates (Ench 513) fehlen (Neilos 71a71b) ebenso die eher technische Belehrung uumlber die Dreiteilung der Philosophie (Ench 52 ndash Neilos 71a71b) Instruk-tiv ist vor allem das Fehlen der den gesamten Traktat summierenden aus Zitaten be-stehenden Kernsaumltze (Ench 531ndash3 ndash Nil 71b) Eliminiert wird sowohl der

5 Die Texte mit Einleitungen bietet BOTER 1999 Zur zeitlichen Ansetzung vgl 157 206

260 Anm 2 6 Vgl die Zusammenstellung von BOTER 1999 158ndash160 7 Der ἄνθρωπος θεοῦ ist Standardausdruck der LXX fuumlr den bdquoGottesmannldquo (Mose Pro-

pheten) Fuumlr bdquowie ein Engelldquo vgl zB Mk 1225 par Apg 615 ActPaulThekl 3 von Christus EpApost 14 AscJes 930

8 Mantik Ench 32 ndash Neilos 38c39 Sexualitaumlt Ench 338 ndash Neilos 4546 Ench 41 ndash Nei-los 60 Spiele Ench 3310 ndash verkuumlrzt und verboten bei Neilos 47

122

Vers des Kleanthes der von Zeus und dem personifizierten Schicksal spricht (SVF 1 527 vgl 2 975) wie der Vers des Euripides mit dem Wissen um bdquodas Goumlttliche (τὰ

θεῖα)ldquo Das letzte Sokrateswort wird verkuumlrzt in den Mund derer gelegt die Paulus imitieren (Ench 534) Aus der sokratisch-epiktetischen Affirmation bdquoAnytos und Meletos koumlnnen mich zwar toumlten aber schaden koumlnnen sie mir nichtldquo wird in der christlichen Version das Folgende

bdquoAuch Paulus lebte auf diese Weise indem er auf sich selber achtete und auf nichts anderes als den Logos achtete Du auch wenn du noch nicht Paulus bist solltest leben als wolltest du Paulus sein sbquoMan kann mich zwar toumlten mir aber nicht schadenlsquoldquo9

In unserer Version fehlen weitgehend die Namen von griechischen Philosophen und mythologischen Figuren Die Ausfuumlhrung uumlber die Froumlmmigkeit (Ench 31) bleibt er-halten aber es wird konsequent vom Plural bdquoGoumltterldquo auf bdquoGottldquo umgestellt

Es wird deutlich wie mindestens zwei fundamentale Referenzgroumlssen ersetzt werden Fuumlr Sokrates und andere Klassiker ruumlckt Paulus ein polytheistische Aussagen werden monotheistisch umgeschrieben Auffaumlllig ist aber auch das Fehlen von Bezuumlgen auf die Bibel Manches bleibt stehen was moderne Leser als wenig christlich empfinden moumlgen10

12 Der eine Gott statt der vielen Goumltter Die Version des Vaticanus Gr 2231

(Vat)

Diese Version des Enchiridion bleibt dem Ursprungstext am naumlchsten11 manches bleibt stehen was bei Ps-Neilos ausgelassen wird Anders steht es natuumlrlich um die obligatorische Ersetzung polytheistischer durch monotheistische Terminologie (zB Ench 31 ndash Vat 37) und paganer Autoritaumlten durch christliche 12 Wir beruumlcksichtigen lediglich den Schlussteil (Ench 53 ndash Vat 73) Im Gebet des Kleanthes wird anstelle von Zeus und Schicksal Gott angerufen

9 Die Aumlusserung zu Paulus variiert die epiktetische uumlber Sokrates (Ench 513 bdquoDu aber

auch wenn du noch kein Sokrates bist solltest so leben als ob du Sokrates sein wolltestldquo) die zwischen 71a und b weggelassen wird

10 Das summierende Urteil von BOTER 1999 160 ist zu normativ orientiert bdquoAll in all we may conclude that the attempt to adapt Ench to orthodox Christian purposes can be regar-ded as a failureldquo aumlhnlich auch SPANNEUT 1962 664 ( bdquobisweilen uumlberrascht uns seine Duldsamkeit gegenuumlber dem Text Er hat den Bann aufrechterhalten mit welchem die Stoiker das Mitleid belegenldquo)

11 BOTER 1999 259 bdquothe text is even less consistently christianized than Nil not to speak of Par [= Enchiridii Paraphrasis Christiana SV dazu gleich unten]ldquo detailliert nachgew-iesen 259ndash262

12 Paulus ersetzt Sokrates (Ench 53 ndash Vat 73) diverse Vaumlter ersetzen Diogenes Herakles Sokrates Salomo ersetzt Chrysipp

123

bdquoFuumlhre mich o Gott und (du) alles durchdringende schoumlpferische und bewegende Ursache an den Ort der mir einst von euch bestimmt wurde hellipldquo13

Die Saumltze des Euripides und des platonischen Sokrates werden bewahrt wobei die Goumltter durch bdquoGottldquo und die bei Platon namentlich genannten Sokratesgegner durch bdquoboumlse Menschenldquo ersetzt werden

13 Der Heiland und der Heilige Geist anstelle von Zeus und Schicksal Die

Enchiridii Paraphrasis Christiana (Par)

Diese Version unter dem handschriftlichen Titel bdquoUnterweisungenldquo (ὑποθῆκαι) die zu Unrecht als bdquoParaphraseldquo bezeichnet wird ist deutlich christlicher gehalten als die beiden anderen Vor allem finden sich hier nun auch zahlreiche Schriftbezuumlge die ein grundlegend veraumlndertes Referenzsystem signalisieren14 Wir beschraumlnken uns auf ei-nige wenige Hinweise

1 Verschiedene Auslassungen oder Veraumlnderungen decken sich mit Ps-Neilos so die Umstellung auf den einen Gott oder der Verzicht auf die Belehrung uumlber die Man-tik statt vom Opfern ist vom Almosengeben die Rede15 Anders als bei Ps-Neilos (43) fehlt die Nennung des Schwoumlrens Anstelle von Sokrates figurieren bdquoApostel und Maumlrtyrerldquo bzw bdquoder Apostelldquo16 Die Sokrates-Mimesis die Ench 513 empfiehlt wird in Par 69 auf Paulus uumlbertragen (vgl Ps-Neilos 71b) verbunden mit dem Zitat von 2Tim 47 Die Adressaten sind nun nicht mehr bdquoPhilosophenldquo sondern bdquoAnacho-retenldquo oder bdquoHesychastenldquo (Ench 22 46 ndash Par 291 601) und aus der bdquoPhilosophieldquo ist ein bdquotugendvoller Lebenswandelldquo geworden (Ench 22 ndash Par 291)

2 Charakteristisch ist wiederum die Umformung des Schlussteils (Ench 53 ndash Par 70ndash71) wo die Hinweise auf antik-pagane Klassikertexte unkenntlich gemacht wer-den Das epiktetische generelle bdquoBereithaltenldquo wird spezifiziert im Blick auf widrige Umstaumlnde (bdquoPeristasenldquo) und Versuchungen Das Gebet des Kleanthes (SVF 1 527) lautet nun so

bdquoFuumlhre uns o Heiland du und der Heilige Geist wo und wie es (euch) recht ist hellipldquo (Par 701f)

Der euripideische Vers wird elegant transformiert und mit dem ersten Platonzitat ver-schraumlnkt

bdquoWer aber freiwillig und gehorsam Gott folgt gilt bei uns als weise und bei Gott als befreundet Wir beten aber darum dass uns das was mit Gott befreun

13 Diese Redefinition des Schicksals ist nicht speziell christlich sie stammt vielmehr aus

dem Enchiridion-Kommentar des Neuplatonikers Simplikios (6 Jh) 7111ndash13 (p 452 H vgl dens in Aristot phys 413 [CAG 9 7555])

14 Detaillierte Nachweise bei BOTER 1999 206ndash211 15 Mantik Ench 32 ndash Par 38 wo dafuumlr mit Bezug auf Mt 67f10 vom Gebet gehandelt

wird ndash Opfer Ench 315 ndash Par 37 16 Ench 5 ndash Par 72 603 (sc Paulus)

124

det ist zuteil werdeldquo (703f ὅστις δὲ ἑκὼν εὐπειθῶς ἕπεται θεῷ σοφὸς παρ᾽ ἡμῖν καὶ θεῷ δὲ προσφιλήςmiddot ὃ γὰρ τῷ θεῷ φίλον τοῦτο ἡμῖν γενέσθαι εὐχόμεθα)

Das zweite Platonzitat uumlber diejenigen die wohl toumlten nicht aber schaden koumlnnen wird um einige Peristasen erweitert und gipfelt im Jesuswort Mt 1028a bdquoFuumlrchtet euch nicht vor denen die den Koumlrper toumlten die Seele aber nicht toumlten koumlnnenldquo

Diese dritte christliche Relektuumlre des Enchiridion geht in einigen Punkten erheblich weiter als die anderen beiden17 Dies aumlndert aber nichts daran dass der groumlsste Teil des Handbuumlchleins unter gelegentlichen Adaptationen uumlbernommen wird

An dieser Stelle weisen wir auf die besonders interessante griechische Kommentie-rung dieser Paraphrasis hin die in fruumlhbyzantinischer Zeit entstanden ist18 Der ano-nyme und leider sehr unvollstaumlndige Kommentar orientiert sich konsequent am Mo-dell einer bdquochristlichen Philosophieldquo (Praef 1 8) Die Bibel spielt freilich keine for-mative Rolle Am staumlrksten sind die biblischen Bezugnahmen in der Exegese des Gleichnisses vom Steuermann (Ench 7) das in allen drei Versionen ziemlich wort-getreu wiedergegeben wird (Ps-Neilos 12ab Vat 10 Par 10)19 Die Schifffahrt hat zum Ziel die bdquoallein wahre Heimatldquo wo bdquomit Christus Herkunft und Genossen und das Gemeinwesen der Heiligenldquo zu finden sind (Comm 106) Hier bezieht sich der Kommentator auf die Gottesstadt des Neuen Testaments20

Wir bilanzieren unsere Exkursion in die Rezeptionsgeschichte des Enchiridion Epik-tets mit einer schlichten Einsicht Die Bestimmung von spezifisch Christlichem das mit stoisch-epiktetischer Philosophie kontrastiert unterliegt erheblichen historischen Wandlungen Die christliche Usurpation ndash am deutlichsten indiziert durch das Aus-blenden des urspruumlnglichen Autors ndash generiert ein neues Referenzsystem An die Stelle der Klassiker treten die Schrift und die Vaumlter die vielen Goumltter weichen dem einen Gott bestimmte lebensweltliche Verhaumlltnisse werden vom christlichen Ethos korrigiert Wir notieren speziell dass es sich bei unseren Texten hauptsaumlchlich um

17 BOTER 1999 206 bdquoThe author of Par shows much more intellectual independence theo-

logical acumen and philosophical insight than his two Christian colleaguesrdquo SPANNEUT 2007 25 diese Instruktionen christianisieren den Text bdquoen profondeur plus que les deux autres adaptateurs avec une note personnelle plus affirmeacuteeldquo

18 Ausgabe M SPANNEUT (Ed) Commentaire sur la paraphrase chreacutetienne du Manuel dlsquoEpictegravete Introduction texte etc (SC 503) Paris 2007

19 Par und Vat fuumlgen dem Epiktet-Text eine Schlusspartie hinzu die das Bild der gefessel-ten Schafe im Gleichnis auf den Greis appliziert Fuumlr uns wichtiger ist die nur von Par gebotene Variation dessen was der Weise zu bdquolassenldquo hat statt von dem bdquoFrauchenldquo und dem Kind bei Epiktet ist hier die Rede von bdquoBruumldern oder Freunden oder Verwandten oder dem Hausldquo (104) ndash wahrscheinlich ein Reflex des Nachfolgeworts Mk 1029 Mt 1929 Lk 1829

20 Phil 320 Eph 219 und Hebr 1114ndash16 (vgl 1222ndash24)

125

monastische Relektuumlren Epiktets handelt die den Weisen und Philosophen aktualisie-rend auf den Moumlnch speziell den Anachoreten beziehen Die Naumlhe Epiktets zu kyni-schem Traditionsgut duumlrfte die monastische Rezeption noch befoumlrdert haben spannen sich doch einige Bruumlcken von der Askese der Kyniker zum oumlstlichen Moumlnchtum

2 Der neuzeitliche Epiktet Nachbar oder Antipode des Christentums

Unter Absehung von spaumlteren byzantinischen sowie humanistischen und fruumlhneuzeit-lichen Rezeptionsspuren springen wir aus der spaumlten Antike direkt in die Moderne Zur Bestimmung des Verhaumlltnisses von Epiktet und Neuem Testament bieten sich zwei verschiedene Modelle an die untereinander auch in Wechselwirkung treten koumln-nen Dependenzmodell und komparatistisches Modell Unser Interesse gilt zunaumlchst dem ersteren das sich primaumlr mit einem moumlglichen Einfluss des Fruumlhchristentums auf den hauptsaumlchlich zu Beginn des 2 Jahrhunderts lehrenden Philosophen beschaumlftigt

Fuumlr jede moumlgliche Modellbildung ist festzuhalten Epiktet hat Kenntnis von den Chris-ten In seinem Lehrgespraumlch uumlber die Furchtlosigkeit (Diss IV 75ndash6) reiht er die bdquoGalilaumlerldquo unter diejenigen ein die aufgrund von Wahnsinn Geistesstoumlrung und Ge-wohnheit zu einer Furchtlosigkeit finden die wir heutzutage etwa mit Selbstmordat-tentaumltern verbinden Die christliche Demonstration der Todesverachtung im Amphi-theater tadelt auch Marc Aurel (XI 32)21

21 Epiktet reagiert auf das Christentum Das Dependenzmodell

Dieses Modell geht davon aus dass sich bestimmte Zuumlge in Epiktets Philosophie christlichem Einfluss verdanken sei es im Modus der Uumlbernahme oder aber der An-tireaktion Exemplarisch fuumlr diese heute weitgehend uumlberholte Verhaumlltnisbestimmung steht die Rektoratsrede von Theodor Zahn aus dem Jahr 189422 Der konservative Theologe stellt nicht nur erhebliche Widerspruumlche im Denken Epiktets fest23 sondern rechnet auch mit einem markanten Einfluss christlicher Gedanken etwa

21 Kaum als Reflex auf das Christentum kommen Epiktets Bemerkungen zur bdquoTaufeldquo in

Diss II 920f in Betracht Sie nehmen eher Bezug auf juumldische als auf christliche Taumlufer-gruppen vgl LONG 2002 17 110 Anm 9

22 Nicht zugaumlnglich ist mir das ebenso hier zu klassifizierende Werk des Hollaumlnders K KUIPER Epictetus en de Christelijke Moraal Amsterdam 1906 das bei Bonhoumlffer 1911 eingehend besprochen wird Kuiper zufolge reagiert Epiktet polemisch auf die christli-chen Texte und Theologien dieser wird also zu einem fruumlhen auctor adversus Christia-nos

23 ZAHN 1895 18f 23ndash26

126

beim Eid bei der Gotteskindschaft bei Herakles als Heiland oder beim gottgesandten apostelgleichen Kyniker24

22 Gelaumluterte Religion Bonhoumlffers vergleichendes Modell

Die Monographie bdquoEpiktet und das Neue Testamentldquo von Adolf Bonhoumlffer aus dem Jahr 1911 markiert das wohl definitive Ende der Dependenzmodelle In einer detail-lierten Auseinandersetzung stellt der Philologe heraus dass es keine uumlberzeugenden Indizien fuumlr eine Abhaumlngigkeit Epiktets vom Neuen Testament gibt ndash wie auch umge-kehrt keine nennenswerten stoischen Einfluumlsse auf das Urchristentum geltend ge-macht werden koumlnnen Die bisher in Anspruch genommenen Uumlbereinstimmungen er-weisen sich teilweise als konstruiert teilweise als Resultat von Konvergenzen die bei naumlherem Zusehen doch jeweils sehr verschiedene kulturelle Kontexte zum Ausdruck bringen Bonhoumlffer arbeitet ndash wie manche bereits vor ihm ndash mit einem vergleichenden Modell das vor allem in seiner bdquosystematischen Vergleichung Epiktets und des Neuen Testamentsldquo greifbar wird25

Bonhoumlffer ist sich der Gefahr einer nicht angemessenen Systematisierung bewusst Waumlhrend sich die neutestamentliche Theologie erst noch entwickelt ruht Epiktets Denken zwar bdquodurchweg auf einem ganz genau umrissenen und ins einzelne hinein fest formulierten System der alten orthodoxen Lehre der Stoaldquo26 wird aber von bdquosei-ner eigenen vom stoischen Geist durchdrungenen Persoumlnlichkeitldquo formiert und reprauml-sentiert (340) Bonhoumlffer arbeitet Analogien wie Kontraste heraus Zu den Gemein-samkeiten zaumlhlen die bdquogelaumluterte Religiositaumltldquo die Verbindung von Religion und Mo-ral der Idealismus und sittliche Ernst (341ndash354) zu den Kontrasten der Gegensatz von Vernunft und Offenbarung oder von Diesseitigkeit und Jenseitigkeit (354ndash357) Offenkundig wurzelt Bonhoumlffer in der zeitgenoumlssischen liberalen Theologie die im spaumlten 19 und fruumlhen 20 Jh gemeinsam mit den anderen Geisteswissenschaften ein sbquokulturprotestantischeslsquo Profil aufweist Gemessen am liberal-theologischen Jesusbild bleibt fuumlr Bonhoumlffer der epiktetische Theismus defizitaumlr bdquoMit dem allem soll aber nun keineswegs gesagt sein dass die Religiositaumlt Eprsquos der neutestamentlichen vollauf ebenbuumlrtig seildquo Es bdquoerreicht auch die Froumlmmigkeit Eprsquos so echt sie empfunden ist doch die Houmlhe der christlichen nichtldquo27 So weht bdquoein waumlrmerer Geist der Menschen-liebe durch das Neue Testament [hellip] als selbst durch die Reden eines Epldquo (382) Kritisiert wird auch die vornehmlich Eliten adres-

24 ZAHN 1895 28ndash33 Eine vernichtende Kritik stammt von WENDLAND 1895 Zahn miss-

verstehe Epiktet nicht nur haumlufig sondern zeige eine bdquovoumlllig unzureichende Kenntnis der kynischen und stoischen Literaturldquo (495)

25 BONHOumlFFER 1911 339ndash390 26 Diesen Nachweis lieferte BONHOumlFFER bereits 1890 sowie 1894 27 BONHOumlFFER 1911 344

127

sierende Stoa die bdquodurch ihre historische Gebundenheit an die Lehrformen des aris-tokratischen Partikularismus gehindert war ihre universelle Mission zu erfuumlllenldquo (388) Umgekehrt zeigt Epiktet in manchen Lebensbereichen eine natuumlrlichere Ein-stellung ndash dies erweisen bdquoein frisches und gesundes Interesse an dem Weltgeschehen und am Tun und Treiben der Menschheitldquo die bdquoFreude an den Werken der Technik und der Kunstldquo die Einstellung zu Leiblichkeit und Sexualitaumlt (366f) sowie das bdquopo-sitive Interesse an der Menschheitldquo (377) Erstaunlich wenig gewichtet wird die bdquoDiesseitigkeitldquo Epiktets die sich markant mit der Jenseits- und Endzeitbezogenheit des Urchristentums kontrastieren liesse

Es ist Rudolf Bultmann der Bonhoumlffers Verhaumlltnisbestimmung einer fundamentalen Kritik unterzieht28 Mit ihm meldet sich bereits jene Generation von Neutestamentlern aus der Religionsgeschichtlichen Schule und der Dialektischen Theologie zu Wort die mit der liberalen Theologie brechen wird29 In einer raschen Replik auf Bultmanns Kritik stellt Bonhoumlffer seinerseits seine Position noch einmal deutlich heraus Gegen-uumlber der ziemlich negativen Wahrnehmung Epiktets durch den Theologen gibt er zu bedenken dass dessen Kritik durchaus und zu noch groumlsseren Teilen just auch das neutestamentliche Christentum traumlfe30

Bonhoumlffers Vergleich von Epiktet und Neuem Testament laumluft auf die Konstatierung einer grundsaumltzlichen Verschiedenheit hinaus die aber Gemeinsamkeiten nicht aus-schliesst Auch wenn sich Urchristen und Epiktet auf Augenhoumlhe treffen zeichnen sich erstere doch durch ein Mehr an genuiner Religiositaumlt aus Beide Typisierungen verraten deutlich ihren kulturgeschichtlichen Hintergrund zu Beginn des 20 Jahrhun-derts ndash die Wertschaumltzung der sbquogenialenlsquo religioumlsen sbquoPersoumlnlichkeitlsquo und des sbquosittlichlsquo orientierten Weltverhaumlltnisses

23 Ein Zwischenhalt Methodische Uumlberlegungen

Der Grundansatz von Bonhoumlffer von zwei im Ansatz sehr verschiedenen kulturellen Bildungen auszugehen naumlmlich der stoischen Philosophie und ihrer besonderen in-dividuellen Brechung bei Epiktet einerseits der urchristlichen Religion und ihrer

28 BULTMANN 1912 (Bonhoumlffers Buch scheint bdquosowohl in der Anlage wie in der

Erfassung des Problems verfehlt zu seinldquo 97) 29 In Bultmanns Positionsbezug gegen Bonhoumlffer tritt dies allerdings noch nicht deutlich

hervor So bestimmt er als bdquoZentralpunkt der Differenzldquo zwischen Epiktet und Neuem Testament bdquoein ganz verschiedenes Individualitaumltsgefuumlhl [] ein ganz verschiedenes Per-soumlnlichkeitsbewusstseinldquo (182 vgl 186ndash190) Nicht anders als Bonhoumlffer steht Bultmann dem Religionsverstaumlndnis der liberalen Theologie noch nahe vgl seine Bemerkung uumlber den Unterschied zum frostigen Seneca bdquoEpiktets Froumlmmigkeit verbreitet eine sonnige Heiterkeit Waumlrme und Frieden um sichldquo (110) Die Gegensaumltze werden in der spaumlteren Darstellung bdquoDas Urchristentum im Rahmen der antiken Religionenldquo (1949) viel schaumlrfer gezeichnet s unten bei Anm 32

30 BONHOumlFFER 1912 288f

128

theologischen Reflexion etwa bei Paulus andrerseits hat sich als plausibel und weg-weisend erwiesen Wo immer die beiden Kulturgestalten komparatistisch auf einander bezogen werden orientiert man sich an diesem Basismodell31 Die Umbruumlche in den Geistes- und Kulturwissenschaften seit der Mitte des 20 Jahrhunderts haben freilich die Koordinaten entlang denen das Wirklichkeitsverstaumlndnis und die Ethik der Stoi-ker wie der Christen rekonstruiert werden tiefgreifend veraumlndert So hat sich auf der Seite der neutestamentlichen Theologie die urchristliche Eschatologie in den Vorder-grund geschoben die die Kontrastierung zur griechisch-hellenistischen Philosophie noch einmal anders konturiert32 In juumlngerer Zeit hat das Interesse an einem umfas-senden sbquoSystemvergleichlsquo deutlich abgenommen33

31 Grunddifferenzen bei gleichzeitigen Konvergenzen werden herausgearbeitet etwa bei

GRETENKORD 1981 261ndash305 KLAUCK 1989 ders 1996 85ndash88 92 GALLOWAY 2004 HUTTUNEN 2005 SCHNELLE 2009 RAMELLI 2009 WILLMS 2011 I 431f uouml Auch die juumlngste Gesamtdarstellung von Epiktet liegt auf dieser Linie LONG 2002 3 (bdquoEpictetus has also been misunderstood because his appeals to theology which are ubiquitous have been consciously or unconsciously read in the light of Christianity In my opinion Epic-tetusrsquo deepest ideas are remote from the main Christian message notwithstanding notable parallels between some things he says and the New Testamentldquo) 143ndash147 176

32 Bereits BULTMANN 1912 185ndash188 stellt ua das Fehlen eines Geschichtsbewusstseins in der Philosophie fest bdquoEtwas Neues ist nie gekommenldquo (185) Auf dieser Linie urteilt er spaumlter bdquoder Stoiker meint seine Zeitlichkeit eliminieren zu koumlnnen seine sbquoEntweltli-chunglsquo ist sbquoEntzeitlichunglsquoldquo (194941976 161) Ich selber habe versucht die Differenz zwischen Stoikern und Urchristen am ineinander verschraumlnkten Verhaumlltnis der drei Zeit-modi herauszuarbeiten und in die Kosmologie zu extrapolieren Waumlhrend die Gegenwart in der Perspektive der Christen von der endzeitlichen Zukunft tangiert wird steht sie bei den Stoikern im Bann der Vergangenheit Dem sich ewig wiederholenden Kosmos steht die sich vorerst partikular realisierende neue Schoumlpfung entgegen VOLLENWEIDER 1989 44ndash53 404f vgl unten S

33 Eine Ausnahme stellt der neuere Versuch von ENGBERG-PEDERSEN 2000 dar stoische Phi-losophie und paulinische Theologie idealtypisch zu vergleichen statt sich von der Frage nach historischen Beeinflussungen engfuumlhren zu lassen Die Basis dafuumlr stellt ein kom-plexes theoretisches Modell bereit das die Wechselwirkung zwischen Individuum Ge-meinschaft und dem Goumlttlichen bzw dem Logos beschreibt (33ndash44) Der Erkenntnisge-winn der Studie reicht genau so weit wie die Leserschaft bereit ist diesem Modell Plau-

sibilitaumlt zuzuerkennen ndash In seinem juumlngsten Buch fuumlhrt ENGBERG-PEDERSEN (2010 106ndash138) einen Vergleich speziell zwischen Epiktet und Paulus durch Er konzentriert sich dabei auf die Gotteserkenntnis und stellt neben Differenzen erhebliche Uumlbereinstimmun-gen fest Problematisiert werden die bisher gelaumlufigen Differenzkriterien von self-suffi-ciency (resp human agency) versus dependence (resp divine agency) und damit zusam-menhaumlngend von philosophy versus apocalypticism Bezuumlglich des erstgenannten Duals ist Engberg-Pedersen mE im Recht beim zweitgenannten aber kaum (vgl die vorherige Anm) Die Gotteserkenntnis ihrerseits hat bei den beiden Denkern einen derart unter-schiedlichen Stellenwert dass sie schwer vergleichbar ist zumal sie bei Paulus christolo-gisch vermittelt ist Ausserdem laumldt die Konvergenzformel bdquoknowledge (of God) as align-ment with Godldquo nicht primaumlr die Stoiker sondern vielmehr die Platoniker mit ihrer ὁμοίωσις θεῷ zum Gespraumlch mit Paulus Epiktet duumlrfte gerade an diesem Punkt plato-nische Motive rezipiert haben (vgl unten Anm 98) was vielleicht auch fuumlr Paulus gilt (so VAN KOOTEN 2008) Auch bei anderen Thesen des Buchs legen sich statt stoischer eher platonische Bezuumlge nahe vgl die Rezension von R HIRSCH-LUIPOLD Early Christianity 3 (2012) 122ndash133

129

Methodisch gesehen erweist sich das komparatistische Geschaumlft als uumlberaus komplex Ich weise auf wenigstens drei Punkte hin wo ein umsichtiges historisches und herme-neutisches Urteil gefordert ist

1 Ein Vergleich kommt nur dort angemessen zum Zug wo beide Seiten in optimam partem interpretiert werden wo also Abstinenz gegenuumlber vorschnellen Verurteilun-gen eingeuumlbt wird Die neutestamentliche Exegese hat waumlhrend der letzten Jahrzehnte auf einem anderen Feld naumlmlich in der Einschaumltzung des Fruumlhjudentums geradezu einen Paradigmenwechsel vollzogen Anstatt das Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels als dunkle Folie zu entwerfen von der sich das entstehende Christentum strahlend abhebt wird es nun in seinem eigenen Selbstverstaumlndnis und unter Verzicht auf Werturteile rekonstruiert Es legt sich nahe diesen Typ einer interessierten und aufmerksamen Hermeneutik auch der Wahrnehmung hellenistischer Philosophen zu-gutekommen zu lassen

2 Der Versuch uumlberaus vielfaumlltige geschichtliche Kulturerscheinungen auf basale Figuren hin zu typisieren muss die Grenzen seiner Reichweite explizit reflektieren und sich mit der dienenden Rolle einer heuristischen Kunst bescheiden Sowohl die sokratisch modellierten und praktisch ausgerichteten Lehrgespraumlche Epiktets wie die Briefe und Erzaumlhltexte des Neuen Testaments bleiben widerstaumlndig gegenuumlber aller Systematik

3 Gerade weil umfassende geisteswissenschaftliche Rekonstruktionen unaus-weichlich im Kontext ihrer eigenen Zeit stehen muumlssen sie konsequent darauf hin befragt werden ob sie die historischen Phaumlnomene noch angemessen vergegenwaumlrti-gen und nicht ungebuumlhrlich verzerren So ist es nicht ratsam Figuren die sich erst im Lauf der christlichen Theologiegeschichte herausgebildet haben ndash beispielsweise die Kontrastierung von Selbsterloumlsung und Gnade ndash an philosophische Texte die in ganz anderen Kontexten zu situieren sind heranzutragen Umgekehrt zeigen uns die an-faumlnglich vorgestellten christlichen Rezensionen des Enchiridion dass Grenzziehun-gen zwischen den beiden Bereichen ihrerseits erheblichen geschichtlichen Variatio-nen unterliegen

24 Diskursmodelle

Angeregt von philosophischen Diskurstheorien lassen sich urchristliche und philoso-phische Texte der fruumlhen Kaiserzeit darauf hin befragen inwieweit sie aktuelle

130

sbquoDiskurselsquo dokumentieren und ihrerseits bestimmte Positionen beziehen34 Sie sind also engagiert in argumentativen Dialogen uumlber die Wahrheit von Behauptungen und die Legitimitaumlt von Normen Das klassische Geschaumlft von Exegeten und Philologen die Sortierung von sbquoParallelenlsquo stellt einschlaumlgiges Material fuumlr die Identifizierung von Themen und fuumlr die Rekonstruktion von Rezeptionserwartungen zusammen35 Auf dem weltanschaulichen Markt der fruumlhen Kaiserzeit einer fuumlr antike Verhaumlltnisse hochgradig globalisierten Welt bieten sich sowohl Philosophien wie Religionen als Fuumlhrerinnen zur Lebenskunst und als Weg zum Gluumlck an36 Ihre Diskurse handeln von den fundamentalen Fragen der Lebensorientierung ndash Schicksal und Freiheit Le-ben Tod und Jenseits ndash und von den ethischen und praktischen Problemstellungen rund um Ehe Besitz Sklaverei Freundschaft und Alter37 Sie lassen sich etwa mit Hilfe von Theorien sozialer oder personaler Identitaumlt profilieren38

Es ist attraktiv Epiktets Lehrgespraumlch uumlber die Eleutheria in den zeitgenoumlssischen Diskursen uumlber die Freiheit zu verorten39 an denen sich auch Exponenten von

34 Zur Hochkonjunktur des Diskursbegriffs in den letzten Jahrzehnten vgl die summari-

schen Bemerkungen von K GRUumlNDER Vorbemerkungen zu HWPh 9 (1995) 84ndash86 35 So spielen Epiktets Texte im Neuen Wettstein eine prominente Rolle s unten S 36 Zur Philosophie als exercice spirituelle vgl HADOT 2005 Zu den methodischen Proble-

men bei der Identifizierung von Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament vgl VOLLENWEIDER 2012 298f

37 Instruktiv ist in unserem Zusammenhang der juumlngst erschienene Sammelband unter dem Titel bdquoStoicism in early Christianityldquo (RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010) Behandelt werden ua Fragen der Ethik und des Gesetzes bei Paulus die Darstellung Jesu als Lehrer bei Mt der sbquoemotionalelsquo Jesus in Joh die Weltbrand-Eschatologie (2Petr) das Thema der Sklaverei und der Willensfreiheit

38 So spielt Epiktet bei NGUYEN 2008 eine wichtige Rolle in der Rekonstruktion der Inter-aktionen zwischen den Korinthern und Paulus Auch die bdquoWeltdistanzldquo die zum Ver-gleich von Urchristen und Epiktet einlaumldt (BRAUN 1971 SCHRAGE 2004 WEBER 1999) waumlre heute auf der Basis von Theorien sozialer Identitaumlt zu reformulieren

39 Als besonders herausragende Texte der fruumlhen Kaiserzeit sind neben Epiktet Diss IV 1 und Paulus Roumlm 6ndash8 Gal 45 1Kor 910 zu nennen Dion Or 14ndash15 80 Philon Prob verschiedene Texte von Seneca sodann Cicero Parad 33ndash41 (omnes sapientes liberos esse et stultos omnes servos) Persius Sat 5 Ps-Andron Rhod Pass 97 Nicht erhal-tene Traktate bdquoUumlber die Freiheitldquo oder bdquoUumlber Knechtschaft (und Freiheit)ldquo werden ua Antisthenes (Diog Laert 616) und Kleanthes (Diog Laert 7175 = SVF 1 481) zuge-schrieben Wichtige Quellentexte stellt WILLMS 2011 I 63ndash83 89 zusammen Sein Ver-such eine bdquostoische Urschriftldquo namentlich aufgrund von Uumlbereinstimmungen zwischen Epiktet und Philon zu postulieren ist mE wie viele andere literarkritische Modelle die auf die Quellenkritik des 19 Jh zuruumlckgehen zum Scheitern verurteilt Die Parallelen erweisen sich als so partiell dass sie mit der Annahme von gemeinsamem Traditionsgut ausreichend erklaumlrt werden koumlnnen Die methodisch viel anspruchsvollere Hypothese ei-ner gemeinsamen Quelle laumlsst sich nicht plausibilisieren (vgl dazu bereits VOLLENWEIDER 1989 28f)

131

Partialkulturen wie der juumldischen und der christlichen beteiligten Zu beachten ist da-bei dass die Freiheitsdiskurse auch implizit oder explizit politische Akzente setzen etwa im Verhaumlltnis zur imperialen Ideologie40 Wir beschaumlftigen uns im Folgenden exemplarisch mit dem spezifisch theologischen Profil des Freiheitsverstaumlndnisses Epiktets Zugrunde gelegt wird die Annahme dass sein Verstaumlndnis von Freiheit zwar ein deutlich erkennbares individuelles Kolorit aufweist sich aber grundsaumltzlich doch in die klassische stoische Konfiguration einzeichnen laumlsst41

3 Der goumlttliche Grund der Freiheit nach Diss IV 185ndash110

31 Grundlegende Unterscheidungen

Epiktet geht in seinem Lehrgespraumlch von einer weithin konsensfaumlhigen Definition von Freiheit aus die Freiheit zu leben bdquowie man willldquo (sect1)42 Die Argumentation steuert uumlber mehrere Gaumlnge auf ein Verstaumlndnis von Freiheit zu das sich fuumlr die vom Meister in die Unterredung einbezogenen virtuellen Schuumller mit uumlberraschenden Entdeckun-gen verbindet Der soziale Status mit all seinen Implikationen traumlgt nicht nur nichts bei zum Erwerb der Freiheit sondern entpuppt sich sogar als bdquoschoumlnste und glaumln-zendste Sklavereildquo (sect40) Dies gilt zumal dort wo einer nur noch den Kaiser als bdquoHerrn uumlber alleldquo uumlber sich weiss (sect12f) Zentral fuumlr den Befreiungsprozess ist das unablaumlssige Einuumlben jener kognitiven Operation welche die allgemeinen Vorstellun-gen (προλήψεις) mit den konkreten Lebensverhaumlltnissen konfiguriert (ταῖς ἐπὶ μέρους οὐσίαις sect41f)43 bdquoSuche und du wirst findenldquo (sect51)44 Wer

40 Muumlnzen Inschriften und Literatur belegen die Zugkraft des ideenpolitischen Schlagworts

bdquoFreiheitldquo so beanspruchte der Prinzipat die res publica und ihre libertas wiederherge-stellt zu haben

41 Vgl Forschner oben S Anders jetzt ASMIS 2001 der Epiktet eine neue Frei-heitskonzeption zuschreibt (bdquoEpictetus in sum offers a new concept of human freedom according to which the power of choice [sc prohairesis SV] confers on each person the freedom to determine onersquos own characterrdquo 412)

42 Diese gaumlngige Formel begegnet zB auch bei Paulus Gal 517 Roumlm 715ndash19 43 Zum Verstaumlndnis der Prolepsen im Kontext der Oikeiosislehre vgl FORSCHNER 1995

151ndash156 (πρόληψις als bdquoein umrisshafter unbestimmter undifferenzierter Vorgriffldquo der von einem bestimmten Begriff bzw einer Definition zu unterscheiden ist Epiktet ist bdquohier wohl altstoischem Gedankengut verpflichtetldquo 153) Vgl FORSCHNER oben S

44 Zum Bezug zur Jesustradition (Mt 77 usw) vgl WILLMS 2011 I 263ndash265 sowie BETZ 1995 501ndash504 und unten S Die Sentenz ist so weit gestreut dass sie keine Benut-zung des Neuen Testaments durch Epiktet belegt

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nicht von selber dank der dem Logos entsprechenden natuumlrlichen Faumlhigkeiten zur Wahrheit gelangt kann sich an bewaumlhrten Wahrheitszeugen orientieren (sect51f) fak-tisch ist hier der aktuell Lehrende mindestens mitgemeint Epiktet steuert die Unter-redung die in diesem Teil (sect51ndash75) besonders stark als sokratischer Dialog gestaltet ist45 auf seine elementare Formel der Unterscheidung dessen was bdquouns zuhandenldquo und bdquouns nicht zuhandenldquo ist zu (sect65 τὰ μὲν ἐφ᾽ ἡμῖν ἐστιν τὰ δ᾽ ἐπ᾽ ἄλλοις vgl Diss I 1)46 Am Koumlrper selber wird geradezu hautnah der Bereich des Fremden des ἀλλότριον erfahrbar (sect76ndash80) plastisch verbildlicht im Gleichnis eines bepack-ten Esels den man notfalls auch bdquolassenldquo muss ganz zu schweigen vom Zubehoumlr und Gepaumlck (sect79f)

Bereits in diesem Abschnitt macht sich ein entscheidender Bezugstext ein Praumltext bemerkbar der spaumlter explizit zu Wort kommen wird das Gebet des Kleanthes Wird der Esel von anderen requiriert (angareia) so gilt bdquoLass ihn gehen widerstrebe nicht und murre nicht ndash andernfalls wirst du den Esel genauso einbuumlssen nur mit Schlaumlgenldquo Im bdquogenauso hellip nurldquo (woumlrtlich bdquonichts desto wenigerldquo οὐδὲν ἧττον) spielt Epiktet an auf Kleanthesrsquo Vers bdquoWenn ich aber nicht (folgen) wollte waumlre ich ein feiger Schwaumlchling und muumlsste euch nichtsdestoweniger (οὐδὲν ἧττον) folgenldquo (Ench 531)

Mit der Aufforderung unablaumlssig die elementare Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo zu uumlben (sect81) die wiederum im Bereich von Koumlrper und Besitz die Frei-heit von Angst und Begehren eroumlffnet ist die Plattform fuumlr die uns interessierende theologische Deutung etabliert47

Bereits sect82 hat vorausweisenden Charakter Die Bestimmung uumlber das Wesen des Guten und Schlechten faumlllt in den Bereich des Eigenen bdquoWer kann es dir wegnehmen

45 Auf das sokratische Design der Dissertationes hat besonders LONG 2002 67ndash96 uouml

hingewiesen (bdquoSocrates rather than any Stoic philosopher or even the Cynic Diogenes is Epictetus favoured paradigm not only as a model for life but also as a practitioner of philosophical conversationldquo 4) hier auch verbunden mit Kritik an BONHOumlFFER (166f 176)

46 Zu Herkunft und Hintergrund der Formel vgl DOBBIN 1998 65ndash68 WILLMS 2011 I 328ndash337

47 Die Strukturierung unseres Lehrgespraumlchs durch das Nacheinander eines sbquoprofanenlsquo bzw sbquosaumlkularenlsquo Teils als Tradition (sect6ndash90) und eines sbquotheologischenlsquo Teils als Interpretation (sect91ndash131) durch NESTLE 1967 125ndash128 134 (zustimmend GRETENKORD 1981 195f) hat keinen Anhalt am Text (bereits sect89f stellt eine theologische Klimax dar die durch die Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo eng mit der ab sect62 entfalteten Argumen-tation verbunden ist) und arbeitet mit (redaktionsgeschichtlichen) Kategorien die sich bei Epiktet nicht bewaumlhren (das richtige Applizieren der allgemeinen Vorstellungen auf die konkreten Lebensumstaumlnde in sect41f ist eine spezifisch epiktetische Konzeption ohne dass sie deswegen unstoisch waumlre) vgl oben Anm 43)

133

wer kann dich behindern Ebenso wenig kann man Gott behindernldquo Dies wird in sect90 wieder aufgenommen48

32 Das Gleichnis von der Burg und das Basisprinzip (sect85ndash90)

Im Abschnitt sect85ndash110 arbeitet Epiktet mit drei aufeinander folgenden Gleichnissen die jeweils fliessend in allgemeine Aussagen uumlbergehen Burg Reisegesellschaft und Festversammlung Die Befreiung von der Furcht wird verbildlicht mit der Zerstoumlrung der inneren Burg (Akropolis) dem Sitz der Tyrannen Die Metapher uumlberrascht zu-naumlchst da man die innere Festung eher als positives Sinnbild fuumlr die uneinnehmbare Position des Denkvermoumlgens erwartet haumltte49 Sie hat hier aber den Charakter der Zwingburg die man niederreissen oder wenigstens entvoumllkern soll Mit dem erneuten bdquoLassenldquo des Koumlrpers und seiner Teile von Besitz Ehrungen Kindern Geschwistern und Freunden (vgl sect66f) wechseln wir wieder auf die Sachebene (die eher an einen defensiven Ruumlckzug denken laumlsst) Uumlber das Bildelement von den Leibwaumlchtern die ihren bedrohlichen Charakter verloren haben fokussiert der Meister nun auf den Wil-len der von keinem Zwang mehr behindert wird (sect88) und damit auf die Leitdefini-tion am Anfang der Unterweisung (sect1) Wir stehen vor einem Scharnier der Argu-mentation weil nun das theologische Bekenntnis bdquoIch habe mein Streben Gott anheim gestelltldquo eine neue Dimension der wahren Freiheit eroumlffnet und zur Formulierung des Basisprinzips fuumlhrt (sect89ndash90)50

Das Bekenntnis selber verdichtet den stoischen Gedanken der Einfuumlgung in die

48 Dieser Verweis auf Gott unterscheidet sich von Diss I 123 wonach Zeus als houmlchster

Repraumlsentant des bdquoFremdenldquo die eigene Prohairesis nicht bezwingen (νικῆσαι) kann Dazu GRAVER 2003 348f

49 Praumlgnant ist vor allem die Aumlusserung Marc Aurels bdquoDeshalb ist die von Leidenschaften freie Denkkraft eine feste Burg (ἀκρόπολίς ἐστιν ἡ ἐλευθέρα παθῶν διάνοια) denn

nichts Staumlrkeres hat der Menschldquo (VIII 483) als Leitmotiv bei HADOT 1997 156ndash184 Vgl Sen Ep 825 Negativ konnotiert ist die Festung etwa auch bei Philon Fug 148 (bdquoZwingburg der Lustldquo) positiv Abr 150 vom Ort der Augen dem koumlniglichen Sinn Spec 3184 vom Kopf Spec 449 von der Seele

50 Auffaumlllig ist die perfektische Formulierung des Bekenntnisses die sich auch im vorange-gangenen Satz spiegelt (οὐπώποτε mit zwei Verben im Aorist) Spielt Epiktet hier an auf seinen Status als einer von denen die die Wahrheit gesucht und gefunden haben (sect51)

134

goumlttliche Weltordnung51 Beim bdquoStrebenldquo (ὁρμή) handelt es sich um einen gaumlngigen Terminus fuumlr die menschlichen Antriebe also den Bereich der Willensbewegungen des θέλειν und βούλεσθαι (vgl sect99) die vom Logos geformt werden muumlssen52

Die folgenden kurzen Saumltze in sect8990 formulieren in aumlusserster Zuspitzung die Rhe-torik arbeitet mit provokanten Paradoxien Der Wille Gottes determiniert den Willen des Subjekts nicht nur vollumfaumlnglich sondern bestimmt auch seine Intentionalitaumlt ndash das Ich bdquowillldquo Peristasen wie Fieber Tod und Folter Die scheinbare Fremdbestim-mung wird schliesslich aufgefangen durch die Analogisierung mit Zeus selber (vgl sect82)53

Das Basisprinzip besteht also in der vollstaumlndigen Konvergenz des Willens des (menschlichen) Subjekts mit dem Willen Gottes eine Konvergenz die im Zeichen der wahren Freiheit steht Es reflektiert die traditionelle Figur des stoischen Determi-nismus der einerseits zwar die Willensfreiheit ganz im Geflecht der kosmischen Kau-salketten aufhebt andrerseits aber das Freiheitspathos steigert54 Offenkundig spiegelt Epiktet hier absichtsvoll zwei verschiedene Modi von Freiheit ineinander diejenige des Entscheidens (Freiheit als Immer-auch-anders-Koumlnnen) und diejenige des Wol-lens (die in der nachmaligen lateinischen Theologie bei Marius Victorinus und beson-ders bei Augustin zur Entfaltung der Willensmetaphysik gefuumlhrt hat)

Die Passage ist so stark von paradoxaler Rhetorik bestimmt dass man sie nicht vor-schnell mit fruumlhchristlichen Texten kontrastieren sollte Epiktet am naumlchsten steht die Szene in Getsemane wo Jesus Gottes Willen seinem eigenen vorordnet bdquoAbba

51 Das Verb προσκατατάσσειν das bei Epiktet nur in Diss IV 1 begegnet meint die Ein-

ordnung unter eine uumlbergeordnete Groumlsse (vgl unten sect9198) und beruumlhrt sich mit κατατάσσειν das in Ench 311 die Eusebeia das angemessene Verhalten gegenuumlber den Goumlttern beschreibt und mit bdquogehorchenldquo bdquosich fuumlgenldquo und bdquofreiwillig folgenldquo expli-ziert wird Besonders praumlgend ist das Sokrateswort in Platons Apologie 28e (τάξις) das Diss I 924 unter dem Einfluss von Leg 12945a (εἰς τάξιν κατατάξῃ) reformuliert wird bdquoGott hat uns einen bestimmten Platz und eine bestimmte Lebensform zugewiesen (κατατέταχεν) die wir nicht verlassen sollenldquo vgl III 14114 (εἰς τοιαύτην ὑπηρεσίαν κατατεταγμένος) II 139 I 134 (von einer uumlbergeordneten Stellung) Un-sere Formulierung in sect89ndash99 druumlckt mit dem zusaumltzlichen Compositum πρoς- auch noch jene dynamische Richtungsbestimmung aus die aus dem Praumltext des Kleanthes stammt (bdquofuumlhre mich [hellip] dahinldquo sect131) προσκατατάσσειν (LSJ 1516a bdquosubjoin append as-sign attachldquo) begegnet nur gelegentlich in der griechischen Literatur (Polyb III 201 [Re-den hinzufuumlgen] Philon Op 131 [Suumlsswasser der Erde zuweisen vgl 38] Cornut Nat deor 323 [Feuchtes in Aumlther uumlberfuumlhren] OGIS 5627 [hinzugefuumlgte Priester]) Vgl WILLMS 2011 I 489f

52 Zenon hat einen Traktat περὶ ὁρμῆς ἢ περὶ ἀνθρώπου φύσεως verfasst (Diog Laert 74 = SVF 1 41) vgl ferner POHLENZ 61991 II 52 77 80f Textintern sind die Bezuumlge der ὁρμή auf das θέλειν durch den voranstehenden wie den nachfolgenden Satz deutlich

53 Fuumlr diese Analogie bietet Diss II 1722ndash25 eine instruktive Parallele bdquoMit einem Wort Wolle nichts anderes als was Gott will Wer wird dich dann noch behindern wer dich zwingen Ebenso wenig wie (man) Zeus (zwingen kann) Wenn du einen solchen Fuumlhrer hast und mit ihm eines Willens und eines Wunsches bist was fuumlrchtest du dann noch an Fehlschlaumlgenldquo Epiktet raumlt auch hier dazu sich nicht zu binden an Reichtum Armut Ge-sundheit Ehre Vater Heimat Freunde und Kinder die alle nicht unserem Verfuumlgungs-bereich zugehoumlren

54 Zugespitzt bei BRAICOVICH 2010 der Epiktets handlungspsychologisches Freiheitsver-staumlndnis konsequent deterministisch deutet Zur allgemeinen Diskussion des stoischen Determinismus vgl STEINMETZ 1994 610ndash612 GUCKES 2004 12ndash17 im Zusammenhang mit Epiktet LONG 2002 220ndash222 (bdquothe autonomous person as someone who voluntarily complies with a predetermined situationldquo 222) sowie FORSCHNER oben S

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Vater alles ist dir moumlglich Lass diesen Kelch an mir voruumlbergehen Doch nicht was ich will sondern was du willstldquo (Mk 1436 vgl Mt 2639 Lk 2242)55 Die nur bei Mk vorkommende Allmachtsformel haumllt die ndash nicht realisierte ndash Moumlglichkeit offen dass Jesu eigener Wille dem Leiden zu entgehen sich verwirklichen liesse Der Vers der in der altkirchlichen Zweinaturenchristologie intensiv debattiert worden ist scheint es im Kontrast zu Epiktet bei einem sbquoproduktivenlsquo Gegenuumlber von zwei Wil-lensbewegungen zu belassen ndash eine Asymmetrie von erheblichem anthropologischem Gewicht Der Unterschied des Genre will freilich beachtet sein Waumlhrend Epiktet in einem argumentativen Text das Resultat einer geradezu lebenslaumlnglich vollzogenen Uumlbung (askesis) in praumlsentischen Paradoxien versprachlicht markiert die Getsemane-Erzaumlhlung der Evangelien eine Station auf dem Passionsweg Jesu der die vollstaumlndige Konvergenz der beiden Willensbewegungen narrativ zur Darstellung bringen wird Jesus ergibt sich als leidender Gerechter in den Gotteswillen bis zum Tod am Kreuz

Keine direkte Relevanz fuumlr die von uns hier diskutierte Thematik hat die Problemati-sierung der Einheit des menschlichen Willensbereichs56 Sowohl Epiktet (Diss II 1718f II 261 uouml) wie Paulus (Roumlm 715ndash19) sprechen vom inneren Zwiespalt des Menschen und orientieren sich dabei an einer in der Antike verbreiteten Figur die auf die Gestalt der euripideischen Medea zuruumlckfuumlhrt Die zugrunde liegenden anthropo-logischen Konzeptionen sind zwar denkbar verschieden Dem grundsaumltzlich monisti-schen Ansatz Epiktets steht der dualistische des Paulus gegenuumlber57 Es faumlllt aber auf dass beide das fuumlr die Medea-Rezeption traditionelle Schema des Gegensatzes von Erkennen und Trieb von Vernunft und Leidenschaft durch eine weit radikalere Deu-tung uumlberlagern Der Zwiespalt im Inneren ist uumlberhaupt nur retrospektiv durchschau-bar geworden erst das Ereignis der Befreiung laumlsst es zur Erkenntnis der Sklaverei kommen Dabei sprechen beide von der Unfreiheit gut traditionell als dem bdquoTun was ich nicht willldquo58

Freiheit wird praumlsentiert als Anerkennung dessen was ohnehin nicht zur Disposition steht und nicht anders sein kann als es der Fall ist Das klassische Bild der Stoiker

55 Die Uumlbersetzung biblischer Texte richtet sich meistens nach der Zuumlrcher Bibel 2007 56 Der optimistischen Anthropologie Epiktets laumlsst sich dann diejenige des Paulus gegen-

uumlberstellen die zwar nicht pessimistisch ist aber Suumlnde nicht im kognitiven Bereich son-dern im Willensbereich platziert vgl zB SCHNELLE 2009 156f

57 Zum Verhaumlltnis zwischen Epiktet und Roumlm 7 vgl HUTTUNEN 2005 ferner VOLLENWEIDER 1989 350ndash352

58 Vgl oben bei Anm 42 Das Versklavtsein wird bei Epiktet deswegen nicht so ausweglos wie bei Paulus wahrgenommen weil es wesentlich auf falschem Denken beruht

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stellt der an einen Wagen festgebundene Hund dar der entweder aus eigenen Stuumlcken mitgeht oder aber mitgeschleift wird59

33 Das Gleichnis von der sicheren Reisegesellschaft (sect91ndash98)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft changiert zwischen Bildrede und eigentlicher Rede Mit οὕτως (sect91) wird das Bild eingefuumlhrt ebenfalls mit οὕτως erfolgt der Wechsel zur Sachebene naumlmlich zur kosmischen Position des Verstaumlndigen (sect9298) dessen Selbstgespraumlch wieder auf der Bildebene spielt (sect92ndash97) Mit seinen Hinwei-sen auf hoch gestellte Personen besonders den Status des Freunds des Kaisers wird Bezug genommen auf fruumlhere Passagen (sect8ndash15 45ndash50) Das Selbstgespraumlch endet ironisch in einer Aporie ndash selbst in der Einoumlde gibt es keinen Schutz vor negativen Maumlchten (sect97) Erst der Anschluss an Gott ermoumlglicht eine sichere Reise Die Philo-sophie spielt hier ihre in hellenistischer und kaiserzeitlicher Zeit zentral gewordene Rolle als Ratgeber fuumlr den Umgang mit jederzeit drohenden Kontingenzen und ant-wortet auf ein Anliegen das auch die zeitgenoumlssischen Religionen das Christentum so gut wie Mysterienreligionen und magische Praktiken bearbeiten

Die traditionelle und uumlberaus reiche Metaphorik des Wegs deckt ein breites Spektrum ab Die hauptsaumlchliche Konnotation die auch bei Epiktet reichhaltig begegnet ist die-jenige des Zusammenhangs von Weg und Ziel So spricht unser Lehrgespraumlch sum-mierend vom Weg zur wahren Freiheit (sect131)60 Das Reisegleichnis in Diss II 2336ndash39 raumlt dazu Raststaumltten wieder zu verlassen um zur Heimatstadt zu gelangen (εἰς τὴν

πατρίδα ἐπανελθεῖν)61 Auch wo Gott (II 710f) oder der wahre Kyniker (III 2226) den rechten Weg weisen ist das Ziel im Blick62 Aumlhnlich steht es mit der christ-lichen Wegmetaphorik63 In unserem Zusammenhang geht es dagegen ausschliesslich um das sichere Reisen ndash in der Sprache heutiger Lebensratgeber der Weg ist das Ziel Fuumlr die Reisegemeinschaft mit Gott bietet II 1723 eine bemerkenswerte Parallele da hier neben der Konvergenz des Wollens auch die Analogie mit Zeus figuriert (sect22)64 Das Leben laumlsst sich generell mit einer Reise vergleichen65 III 139ndash11 stellt heraus dass nur die Philosophie nicht aber der Kaiser si-

59 Chrysipp () SVF 2 975 vgl POHLENZ 82010 I 106 STEINMETZ 1994 611f weiteres bei

VOLLENWEIDER 1989 75f 60 Vgl IV 439 vom Weg zur wahren εὔροια 61 Auch hier wird explizit der Bezug zur Freiheit hergestellt (sect42) verbunden mit dem bdquomit

ganzem Herzenldquo zu sprechenden Gebet des Kleanthes 62 Vgl ferner I 1618 II 216 II 123 III 263f IV 24 IV 659 IV 916 63 Vgl den Uumlberblick (auch zur Umwelt) von W MICHAELIS Art ὁδός κτλ ThWNT 5

(1954) 42ndash118 sowie die bei WILLMS 2012 II 709 genannte Literatur 64 Vgl oben Anm 53 65 Diss II 510 von der Seereise wo bdquoeiniges an mir liegt anderes aber nichtldquo vgl ferner II

1624 I 99 II 1737f in III 2493 wird die Abreise mit dem Sterben verglichen

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cheren Reiseschutz verleihen kann (vgl sect3) Es gibt durchaus neutestamentliches Vergleichsmaterial Die Nachfolge auf Jesu Weg wie ihn die Evangelien darstellen ist transparent fuumlr den Lebensweg der Christusglaumlubigen (Mk 827ndash1052 besonders 834) Dieser ist freilich auch wieder auf ein Ziel hin orientiert naumlmlich auf die Pas-sion und das Kreuz Epiktets goumlttlicher Reisegesellschaft am naumlchsten kommen wir mit der Topik des bdquoMitseinsldquo Jesu bzw Gottes mit den Glaubenden (Mt 2820 vgl 123 1820 Joh 1416f [vom Geist]) welche die gesamte biblische Tradition des Mit-gehens Gottes mit seinem Volk insbesondere waumlhrend der Wuumlstenwanderung sum-miert Obschon der Lebensweg die Stoiker in widrige Umstaumlnde und die Christen in das Martyrium fuumlhren mag gibt die Gemeinschaft mit Gott ultimative Sicherheit Der Vergleich fuumlhrt uns also wieder in den Bereich der Passionsgeschichte Waumlhrend fuumlr die Christen der Gottessohn und somit der in diesem praumlsente Gott selber den Weg des Leidens geht sieht sich der Stoiker gewiesen an Vorbilder die paradigmatisch das Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens vor Augen stellen zumal an Herakles und Sokrates Zwar ist auch ihr Gott im Kosmos gegenwaumlrtig aber da er das harmo-nisch gefuumlgte Ganze repraumlsentiert ist er den immer nur einzelne Teile betreffenden Turbulenzen nicht ausgesetzt

34 Das Gleichnis von der Festversammlung (sect99ndash110)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft endet in einem radikalen Ruumlckzug aus dem Bereich des Ungewissen der nicht einmal in der Einsamkeit der Einoumlde haltmacht sondern gleichsam in die Unweltlichkeit versetzt Dieser Reduktionsbewegung auf einen einzigen Punkt der mit Gott identifiziert wird kommt nun eine expandierende Bewegung entgegenzustehen die in die Weite des Kosmos und die universale Ge-meinschaft hinaus weist

Mit dem erneuten Ruumlckgriff auf das theologische Bekenntnis und das Prinzip von sect89 baut Epiktet sukzessive ein neues Gleichnis auf das sich mit kosmologischen Deu-tungen verbindet Im Fokus stehen nun die Willensbewegungen Gottes und sein ord-nendes Wirken im Kosmos Die Basisunterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoAnderemldquo wird theologisch akzentuiert Im Bereich des Eigenen figuriert die freie Selbstbestim-mung die Prohairesis66 der Bereich des Anderen wird der Gottheit und ihrem Wal-ten dem bdquoKreislauf des Allsldquo zugemessen (sect100) Koumlrper Besitz sowie Haus Kinder und Frau (vgl sect66f 87 107 111) Alles wovon sich der Verstaumlndige innerlich als

66 Zur Prohairesis vgl FORSCHNER in diesem Band S [[Typoskript S 5]] ferner STE-

PHENS 2007 16ndash25 (bdquoProhairesis as selfldquo) und die Diskussion von ENGBERG-PEDERSEN 2010 212ndash214 (bdquotrue human selfldquo) mit LONG 2002 28ndash30 207ndash220 (bdquovolitionldquo)

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dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

141

logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

142

41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

143

Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

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die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

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Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

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eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

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BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

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KLAUCK H-J- Wettstein alt und neu Zur Neuausgabe eines Standardwerks Bibli-sche Zeitschrift 41 (1997) 89ndash95

KLAUCK H-J Dankbar leben dankbar sterben Εὐχαριστεῖν bei Epiktet in ders Gemeinde Amt Sakrament Neutestamentliche Perspektiven Wuumlrzburg 1989 373ndash390

KLAUCK H-J Die religioumlse Umwelt des Urchristentums Bd II (Herrscher- und Kai-serkult Philosophie Gnosis) (KStTh 92) Stuttgart 1996

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POHLENZ M Die Stoa Geschichte einer geistigen Bewegung Goumlttingen I 82010 II 61991

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Ein religionsgeschichtlicher Vergleich (NTF I1) Guumltersloh 1923 SCHNELLE U Paulus und Epiktet ndash zwei ethische Modelle in FW HORN F WIL-

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aus Griechentum und Hellenismus Bd II Texte zur Briefliteratur und zur Jo-hannesapokalypse Berlin ua 1996 Bd I1 Texte zum Markusevangelium ebd 2008 Bd I2 Texte zum Johannesevangelium ebd 2001

STRECKER G SCHNELLE U (Hg) Neuer Wettstein Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus Berlin ua

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166

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mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 5: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

122

Vers des Kleanthes der von Zeus und dem personifizierten Schicksal spricht (SVF 1 527 vgl 2 975) wie der Vers des Euripides mit dem Wissen um bdquodas Goumlttliche (τὰ

θεῖα)ldquo Das letzte Sokrateswort wird verkuumlrzt in den Mund derer gelegt die Paulus imitieren (Ench 534) Aus der sokratisch-epiktetischen Affirmation bdquoAnytos und Meletos koumlnnen mich zwar toumlten aber schaden koumlnnen sie mir nichtldquo wird in der christlichen Version das Folgende

bdquoAuch Paulus lebte auf diese Weise indem er auf sich selber achtete und auf nichts anderes als den Logos achtete Du auch wenn du noch nicht Paulus bist solltest leben als wolltest du Paulus sein sbquoMan kann mich zwar toumlten mir aber nicht schadenlsquoldquo9

In unserer Version fehlen weitgehend die Namen von griechischen Philosophen und mythologischen Figuren Die Ausfuumlhrung uumlber die Froumlmmigkeit (Ench 31) bleibt er-halten aber es wird konsequent vom Plural bdquoGoumltterldquo auf bdquoGottldquo umgestellt

Es wird deutlich wie mindestens zwei fundamentale Referenzgroumlssen ersetzt werden Fuumlr Sokrates und andere Klassiker ruumlckt Paulus ein polytheistische Aussagen werden monotheistisch umgeschrieben Auffaumlllig ist aber auch das Fehlen von Bezuumlgen auf die Bibel Manches bleibt stehen was moderne Leser als wenig christlich empfinden moumlgen10

12 Der eine Gott statt der vielen Goumltter Die Version des Vaticanus Gr 2231

(Vat)

Diese Version des Enchiridion bleibt dem Ursprungstext am naumlchsten11 manches bleibt stehen was bei Ps-Neilos ausgelassen wird Anders steht es natuumlrlich um die obligatorische Ersetzung polytheistischer durch monotheistische Terminologie (zB Ench 31 ndash Vat 37) und paganer Autoritaumlten durch christliche 12 Wir beruumlcksichtigen lediglich den Schlussteil (Ench 53 ndash Vat 73) Im Gebet des Kleanthes wird anstelle von Zeus und Schicksal Gott angerufen

9 Die Aumlusserung zu Paulus variiert die epiktetische uumlber Sokrates (Ench 513 bdquoDu aber

auch wenn du noch kein Sokrates bist solltest so leben als ob du Sokrates sein wolltestldquo) die zwischen 71a und b weggelassen wird

10 Das summierende Urteil von BOTER 1999 160 ist zu normativ orientiert bdquoAll in all we may conclude that the attempt to adapt Ench to orthodox Christian purposes can be regar-ded as a failureldquo aumlhnlich auch SPANNEUT 1962 664 ( bdquobisweilen uumlberrascht uns seine Duldsamkeit gegenuumlber dem Text Er hat den Bann aufrechterhalten mit welchem die Stoiker das Mitleid belegenldquo)

11 BOTER 1999 259 bdquothe text is even less consistently christianized than Nil not to speak of Par [= Enchiridii Paraphrasis Christiana SV dazu gleich unten]ldquo detailliert nachgew-iesen 259ndash262

12 Paulus ersetzt Sokrates (Ench 53 ndash Vat 73) diverse Vaumlter ersetzen Diogenes Herakles Sokrates Salomo ersetzt Chrysipp

123

bdquoFuumlhre mich o Gott und (du) alles durchdringende schoumlpferische und bewegende Ursache an den Ort der mir einst von euch bestimmt wurde hellipldquo13

Die Saumltze des Euripides und des platonischen Sokrates werden bewahrt wobei die Goumltter durch bdquoGottldquo und die bei Platon namentlich genannten Sokratesgegner durch bdquoboumlse Menschenldquo ersetzt werden

13 Der Heiland und der Heilige Geist anstelle von Zeus und Schicksal Die

Enchiridii Paraphrasis Christiana (Par)

Diese Version unter dem handschriftlichen Titel bdquoUnterweisungenldquo (ὑποθῆκαι) die zu Unrecht als bdquoParaphraseldquo bezeichnet wird ist deutlich christlicher gehalten als die beiden anderen Vor allem finden sich hier nun auch zahlreiche Schriftbezuumlge die ein grundlegend veraumlndertes Referenzsystem signalisieren14 Wir beschraumlnken uns auf ei-nige wenige Hinweise

1 Verschiedene Auslassungen oder Veraumlnderungen decken sich mit Ps-Neilos so die Umstellung auf den einen Gott oder der Verzicht auf die Belehrung uumlber die Man-tik statt vom Opfern ist vom Almosengeben die Rede15 Anders als bei Ps-Neilos (43) fehlt die Nennung des Schwoumlrens Anstelle von Sokrates figurieren bdquoApostel und Maumlrtyrerldquo bzw bdquoder Apostelldquo16 Die Sokrates-Mimesis die Ench 513 empfiehlt wird in Par 69 auf Paulus uumlbertragen (vgl Ps-Neilos 71b) verbunden mit dem Zitat von 2Tim 47 Die Adressaten sind nun nicht mehr bdquoPhilosophenldquo sondern bdquoAnacho-retenldquo oder bdquoHesychastenldquo (Ench 22 46 ndash Par 291 601) und aus der bdquoPhilosophieldquo ist ein bdquotugendvoller Lebenswandelldquo geworden (Ench 22 ndash Par 291)

2 Charakteristisch ist wiederum die Umformung des Schlussteils (Ench 53 ndash Par 70ndash71) wo die Hinweise auf antik-pagane Klassikertexte unkenntlich gemacht wer-den Das epiktetische generelle bdquoBereithaltenldquo wird spezifiziert im Blick auf widrige Umstaumlnde (bdquoPeristasenldquo) und Versuchungen Das Gebet des Kleanthes (SVF 1 527) lautet nun so

bdquoFuumlhre uns o Heiland du und der Heilige Geist wo und wie es (euch) recht ist hellipldquo (Par 701f)

Der euripideische Vers wird elegant transformiert und mit dem ersten Platonzitat ver-schraumlnkt

bdquoWer aber freiwillig und gehorsam Gott folgt gilt bei uns als weise und bei Gott als befreundet Wir beten aber darum dass uns das was mit Gott befreun

13 Diese Redefinition des Schicksals ist nicht speziell christlich sie stammt vielmehr aus

dem Enchiridion-Kommentar des Neuplatonikers Simplikios (6 Jh) 7111ndash13 (p 452 H vgl dens in Aristot phys 413 [CAG 9 7555])

14 Detaillierte Nachweise bei BOTER 1999 206ndash211 15 Mantik Ench 32 ndash Par 38 wo dafuumlr mit Bezug auf Mt 67f10 vom Gebet gehandelt

wird ndash Opfer Ench 315 ndash Par 37 16 Ench 5 ndash Par 72 603 (sc Paulus)

124

det ist zuteil werdeldquo (703f ὅστις δὲ ἑκὼν εὐπειθῶς ἕπεται θεῷ σοφὸς παρ᾽ ἡμῖν καὶ θεῷ δὲ προσφιλήςmiddot ὃ γὰρ τῷ θεῷ φίλον τοῦτο ἡμῖν γενέσθαι εὐχόμεθα)

Das zweite Platonzitat uumlber diejenigen die wohl toumlten nicht aber schaden koumlnnen wird um einige Peristasen erweitert und gipfelt im Jesuswort Mt 1028a bdquoFuumlrchtet euch nicht vor denen die den Koumlrper toumlten die Seele aber nicht toumlten koumlnnenldquo

Diese dritte christliche Relektuumlre des Enchiridion geht in einigen Punkten erheblich weiter als die anderen beiden17 Dies aumlndert aber nichts daran dass der groumlsste Teil des Handbuumlchleins unter gelegentlichen Adaptationen uumlbernommen wird

An dieser Stelle weisen wir auf die besonders interessante griechische Kommentie-rung dieser Paraphrasis hin die in fruumlhbyzantinischer Zeit entstanden ist18 Der ano-nyme und leider sehr unvollstaumlndige Kommentar orientiert sich konsequent am Mo-dell einer bdquochristlichen Philosophieldquo (Praef 1 8) Die Bibel spielt freilich keine for-mative Rolle Am staumlrksten sind die biblischen Bezugnahmen in der Exegese des Gleichnisses vom Steuermann (Ench 7) das in allen drei Versionen ziemlich wort-getreu wiedergegeben wird (Ps-Neilos 12ab Vat 10 Par 10)19 Die Schifffahrt hat zum Ziel die bdquoallein wahre Heimatldquo wo bdquomit Christus Herkunft und Genossen und das Gemeinwesen der Heiligenldquo zu finden sind (Comm 106) Hier bezieht sich der Kommentator auf die Gottesstadt des Neuen Testaments20

Wir bilanzieren unsere Exkursion in die Rezeptionsgeschichte des Enchiridion Epik-tets mit einer schlichten Einsicht Die Bestimmung von spezifisch Christlichem das mit stoisch-epiktetischer Philosophie kontrastiert unterliegt erheblichen historischen Wandlungen Die christliche Usurpation ndash am deutlichsten indiziert durch das Aus-blenden des urspruumlnglichen Autors ndash generiert ein neues Referenzsystem An die Stelle der Klassiker treten die Schrift und die Vaumlter die vielen Goumltter weichen dem einen Gott bestimmte lebensweltliche Verhaumlltnisse werden vom christlichen Ethos korrigiert Wir notieren speziell dass es sich bei unseren Texten hauptsaumlchlich um

17 BOTER 1999 206 bdquoThe author of Par shows much more intellectual independence theo-

logical acumen and philosophical insight than his two Christian colleaguesrdquo SPANNEUT 2007 25 diese Instruktionen christianisieren den Text bdquoen profondeur plus que les deux autres adaptateurs avec une note personnelle plus affirmeacuteeldquo

18 Ausgabe M SPANNEUT (Ed) Commentaire sur la paraphrase chreacutetienne du Manuel dlsquoEpictegravete Introduction texte etc (SC 503) Paris 2007

19 Par und Vat fuumlgen dem Epiktet-Text eine Schlusspartie hinzu die das Bild der gefessel-ten Schafe im Gleichnis auf den Greis appliziert Fuumlr uns wichtiger ist die nur von Par gebotene Variation dessen was der Weise zu bdquolassenldquo hat statt von dem bdquoFrauchenldquo und dem Kind bei Epiktet ist hier die Rede von bdquoBruumldern oder Freunden oder Verwandten oder dem Hausldquo (104) ndash wahrscheinlich ein Reflex des Nachfolgeworts Mk 1029 Mt 1929 Lk 1829

20 Phil 320 Eph 219 und Hebr 1114ndash16 (vgl 1222ndash24)

125

monastische Relektuumlren Epiktets handelt die den Weisen und Philosophen aktualisie-rend auf den Moumlnch speziell den Anachoreten beziehen Die Naumlhe Epiktets zu kyni-schem Traditionsgut duumlrfte die monastische Rezeption noch befoumlrdert haben spannen sich doch einige Bruumlcken von der Askese der Kyniker zum oumlstlichen Moumlnchtum

2 Der neuzeitliche Epiktet Nachbar oder Antipode des Christentums

Unter Absehung von spaumlteren byzantinischen sowie humanistischen und fruumlhneuzeit-lichen Rezeptionsspuren springen wir aus der spaumlten Antike direkt in die Moderne Zur Bestimmung des Verhaumlltnisses von Epiktet und Neuem Testament bieten sich zwei verschiedene Modelle an die untereinander auch in Wechselwirkung treten koumln-nen Dependenzmodell und komparatistisches Modell Unser Interesse gilt zunaumlchst dem ersteren das sich primaumlr mit einem moumlglichen Einfluss des Fruumlhchristentums auf den hauptsaumlchlich zu Beginn des 2 Jahrhunderts lehrenden Philosophen beschaumlftigt

Fuumlr jede moumlgliche Modellbildung ist festzuhalten Epiktet hat Kenntnis von den Chris-ten In seinem Lehrgespraumlch uumlber die Furchtlosigkeit (Diss IV 75ndash6) reiht er die bdquoGalilaumlerldquo unter diejenigen ein die aufgrund von Wahnsinn Geistesstoumlrung und Ge-wohnheit zu einer Furchtlosigkeit finden die wir heutzutage etwa mit Selbstmordat-tentaumltern verbinden Die christliche Demonstration der Todesverachtung im Amphi-theater tadelt auch Marc Aurel (XI 32)21

21 Epiktet reagiert auf das Christentum Das Dependenzmodell

Dieses Modell geht davon aus dass sich bestimmte Zuumlge in Epiktets Philosophie christlichem Einfluss verdanken sei es im Modus der Uumlbernahme oder aber der An-tireaktion Exemplarisch fuumlr diese heute weitgehend uumlberholte Verhaumlltnisbestimmung steht die Rektoratsrede von Theodor Zahn aus dem Jahr 189422 Der konservative Theologe stellt nicht nur erhebliche Widerspruumlche im Denken Epiktets fest23 sondern rechnet auch mit einem markanten Einfluss christlicher Gedanken etwa

21 Kaum als Reflex auf das Christentum kommen Epiktets Bemerkungen zur bdquoTaufeldquo in

Diss II 920f in Betracht Sie nehmen eher Bezug auf juumldische als auf christliche Taumlufer-gruppen vgl LONG 2002 17 110 Anm 9

22 Nicht zugaumlnglich ist mir das ebenso hier zu klassifizierende Werk des Hollaumlnders K KUIPER Epictetus en de Christelijke Moraal Amsterdam 1906 das bei Bonhoumlffer 1911 eingehend besprochen wird Kuiper zufolge reagiert Epiktet polemisch auf die christli-chen Texte und Theologien dieser wird also zu einem fruumlhen auctor adversus Christia-nos

23 ZAHN 1895 18f 23ndash26

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beim Eid bei der Gotteskindschaft bei Herakles als Heiland oder beim gottgesandten apostelgleichen Kyniker24

22 Gelaumluterte Religion Bonhoumlffers vergleichendes Modell

Die Monographie bdquoEpiktet und das Neue Testamentldquo von Adolf Bonhoumlffer aus dem Jahr 1911 markiert das wohl definitive Ende der Dependenzmodelle In einer detail-lierten Auseinandersetzung stellt der Philologe heraus dass es keine uumlberzeugenden Indizien fuumlr eine Abhaumlngigkeit Epiktets vom Neuen Testament gibt ndash wie auch umge-kehrt keine nennenswerten stoischen Einfluumlsse auf das Urchristentum geltend ge-macht werden koumlnnen Die bisher in Anspruch genommenen Uumlbereinstimmungen er-weisen sich teilweise als konstruiert teilweise als Resultat von Konvergenzen die bei naumlherem Zusehen doch jeweils sehr verschiedene kulturelle Kontexte zum Ausdruck bringen Bonhoumlffer arbeitet ndash wie manche bereits vor ihm ndash mit einem vergleichenden Modell das vor allem in seiner bdquosystematischen Vergleichung Epiktets und des Neuen Testamentsldquo greifbar wird25

Bonhoumlffer ist sich der Gefahr einer nicht angemessenen Systematisierung bewusst Waumlhrend sich die neutestamentliche Theologie erst noch entwickelt ruht Epiktets Denken zwar bdquodurchweg auf einem ganz genau umrissenen und ins einzelne hinein fest formulierten System der alten orthodoxen Lehre der Stoaldquo26 wird aber von bdquosei-ner eigenen vom stoischen Geist durchdrungenen Persoumlnlichkeitldquo formiert und reprauml-sentiert (340) Bonhoumlffer arbeitet Analogien wie Kontraste heraus Zu den Gemein-samkeiten zaumlhlen die bdquogelaumluterte Religiositaumltldquo die Verbindung von Religion und Mo-ral der Idealismus und sittliche Ernst (341ndash354) zu den Kontrasten der Gegensatz von Vernunft und Offenbarung oder von Diesseitigkeit und Jenseitigkeit (354ndash357) Offenkundig wurzelt Bonhoumlffer in der zeitgenoumlssischen liberalen Theologie die im spaumlten 19 und fruumlhen 20 Jh gemeinsam mit den anderen Geisteswissenschaften ein sbquokulturprotestantischeslsquo Profil aufweist Gemessen am liberal-theologischen Jesusbild bleibt fuumlr Bonhoumlffer der epiktetische Theismus defizitaumlr bdquoMit dem allem soll aber nun keineswegs gesagt sein dass die Religiositaumlt Eprsquos der neutestamentlichen vollauf ebenbuumlrtig seildquo Es bdquoerreicht auch die Froumlmmigkeit Eprsquos so echt sie empfunden ist doch die Houmlhe der christlichen nichtldquo27 So weht bdquoein waumlrmerer Geist der Menschen-liebe durch das Neue Testament [hellip] als selbst durch die Reden eines Epldquo (382) Kritisiert wird auch die vornehmlich Eliten adres-

24 ZAHN 1895 28ndash33 Eine vernichtende Kritik stammt von WENDLAND 1895 Zahn miss-

verstehe Epiktet nicht nur haumlufig sondern zeige eine bdquovoumlllig unzureichende Kenntnis der kynischen und stoischen Literaturldquo (495)

25 BONHOumlFFER 1911 339ndash390 26 Diesen Nachweis lieferte BONHOumlFFER bereits 1890 sowie 1894 27 BONHOumlFFER 1911 344

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sierende Stoa die bdquodurch ihre historische Gebundenheit an die Lehrformen des aris-tokratischen Partikularismus gehindert war ihre universelle Mission zu erfuumlllenldquo (388) Umgekehrt zeigt Epiktet in manchen Lebensbereichen eine natuumlrlichere Ein-stellung ndash dies erweisen bdquoein frisches und gesundes Interesse an dem Weltgeschehen und am Tun und Treiben der Menschheitldquo die bdquoFreude an den Werken der Technik und der Kunstldquo die Einstellung zu Leiblichkeit und Sexualitaumlt (366f) sowie das bdquopo-sitive Interesse an der Menschheitldquo (377) Erstaunlich wenig gewichtet wird die bdquoDiesseitigkeitldquo Epiktets die sich markant mit der Jenseits- und Endzeitbezogenheit des Urchristentums kontrastieren liesse

Es ist Rudolf Bultmann der Bonhoumlffers Verhaumlltnisbestimmung einer fundamentalen Kritik unterzieht28 Mit ihm meldet sich bereits jene Generation von Neutestamentlern aus der Religionsgeschichtlichen Schule und der Dialektischen Theologie zu Wort die mit der liberalen Theologie brechen wird29 In einer raschen Replik auf Bultmanns Kritik stellt Bonhoumlffer seinerseits seine Position noch einmal deutlich heraus Gegen-uumlber der ziemlich negativen Wahrnehmung Epiktets durch den Theologen gibt er zu bedenken dass dessen Kritik durchaus und zu noch groumlsseren Teilen just auch das neutestamentliche Christentum traumlfe30

Bonhoumlffers Vergleich von Epiktet und Neuem Testament laumluft auf die Konstatierung einer grundsaumltzlichen Verschiedenheit hinaus die aber Gemeinsamkeiten nicht aus-schliesst Auch wenn sich Urchristen und Epiktet auf Augenhoumlhe treffen zeichnen sich erstere doch durch ein Mehr an genuiner Religiositaumlt aus Beide Typisierungen verraten deutlich ihren kulturgeschichtlichen Hintergrund zu Beginn des 20 Jahrhun-derts ndash die Wertschaumltzung der sbquogenialenlsquo religioumlsen sbquoPersoumlnlichkeitlsquo und des sbquosittlichlsquo orientierten Weltverhaumlltnisses

23 Ein Zwischenhalt Methodische Uumlberlegungen

Der Grundansatz von Bonhoumlffer von zwei im Ansatz sehr verschiedenen kulturellen Bildungen auszugehen naumlmlich der stoischen Philosophie und ihrer besonderen in-dividuellen Brechung bei Epiktet einerseits der urchristlichen Religion und ihrer

28 BULTMANN 1912 (Bonhoumlffers Buch scheint bdquosowohl in der Anlage wie in der

Erfassung des Problems verfehlt zu seinldquo 97) 29 In Bultmanns Positionsbezug gegen Bonhoumlffer tritt dies allerdings noch nicht deutlich

hervor So bestimmt er als bdquoZentralpunkt der Differenzldquo zwischen Epiktet und Neuem Testament bdquoein ganz verschiedenes Individualitaumltsgefuumlhl [] ein ganz verschiedenes Per-soumlnlichkeitsbewusstseinldquo (182 vgl 186ndash190) Nicht anders als Bonhoumlffer steht Bultmann dem Religionsverstaumlndnis der liberalen Theologie noch nahe vgl seine Bemerkung uumlber den Unterschied zum frostigen Seneca bdquoEpiktets Froumlmmigkeit verbreitet eine sonnige Heiterkeit Waumlrme und Frieden um sichldquo (110) Die Gegensaumltze werden in der spaumlteren Darstellung bdquoDas Urchristentum im Rahmen der antiken Religionenldquo (1949) viel schaumlrfer gezeichnet s unten bei Anm 32

30 BONHOumlFFER 1912 288f

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theologischen Reflexion etwa bei Paulus andrerseits hat sich als plausibel und weg-weisend erwiesen Wo immer die beiden Kulturgestalten komparatistisch auf einander bezogen werden orientiert man sich an diesem Basismodell31 Die Umbruumlche in den Geistes- und Kulturwissenschaften seit der Mitte des 20 Jahrhunderts haben freilich die Koordinaten entlang denen das Wirklichkeitsverstaumlndnis und die Ethik der Stoi-ker wie der Christen rekonstruiert werden tiefgreifend veraumlndert So hat sich auf der Seite der neutestamentlichen Theologie die urchristliche Eschatologie in den Vorder-grund geschoben die die Kontrastierung zur griechisch-hellenistischen Philosophie noch einmal anders konturiert32 In juumlngerer Zeit hat das Interesse an einem umfas-senden sbquoSystemvergleichlsquo deutlich abgenommen33

31 Grunddifferenzen bei gleichzeitigen Konvergenzen werden herausgearbeitet etwa bei

GRETENKORD 1981 261ndash305 KLAUCK 1989 ders 1996 85ndash88 92 GALLOWAY 2004 HUTTUNEN 2005 SCHNELLE 2009 RAMELLI 2009 WILLMS 2011 I 431f uouml Auch die juumlngste Gesamtdarstellung von Epiktet liegt auf dieser Linie LONG 2002 3 (bdquoEpictetus has also been misunderstood because his appeals to theology which are ubiquitous have been consciously or unconsciously read in the light of Christianity In my opinion Epic-tetusrsquo deepest ideas are remote from the main Christian message notwithstanding notable parallels between some things he says and the New Testamentldquo) 143ndash147 176

32 Bereits BULTMANN 1912 185ndash188 stellt ua das Fehlen eines Geschichtsbewusstseins in der Philosophie fest bdquoEtwas Neues ist nie gekommenldquo (185) Auf dieser Linie urteilt er spaumlter bdquoder Stoiker meint seine Zeitlichkeit eliminieren zu koumlnnen seine sbquoEntweltli-chunglsquo ist sbquoEntzeitlichunglsquoldquo (194941976 161) Ich selber habe versucht die Differenz zwischen Stoikern und Urchristen am ineinander verschraumlnkten Verhaumlltnis der drei Zeit-modi herauszuarbeiten und in die Kosmologie zu extrapolieren Waumlhrend die Gegenwart in der Perspektive der Christen von der endzeitlichen Zukunft tangiert wird steht sie bei den Stoikern im Bann der Vergangenheit Dem sich ewig wiederholenden Kosmos steht die sich vorerst partikular realisierende neue Schoumlpfung entgegen VOLLENWEIDER 1989 44ndash53 404f vgl unten S

33 Eine Ausnahme stellt der neuere Versuch von ENGBERG-PEDERSEN 2000 dar stoische Phi-losophie und paulinische Theologie idealtypisch zu vergleichen statt sich von der Frage nach historischen Beeinflussungen engfuumlhren zu lassen Die Basis dafuumlr stellt ein kom-plexes theoretisches Modell bereit das die Wechselwirkung zwischen Individuum Ge-meinschaft und dem Goumlttlichen bzw dem Logos beschreibt (33ndash44) Der Erkenntnisge-winn der Studie reicht genau so weit wie die Leserschaft bereit ist diesem Modell Plau-

sibilitaumlt zuzuerkennen ndash In seinem juumlngsten Buch fuumlhrt ENGBERG-PEDERSEN (2010 106ndash138) einen Vergleich speziell zwischen Epiktet und Paulus durch Er konzentriert sich dabei auf die Gotteserkenntnis und stellt neben Differenzen erhebliche Uumlbereinstimmun-gen fest Problematisiert werden die bisher gelaumlufigen Differenzkriterien von self-suffi-ciency (resp human agency) versus dependence (resp divine agency) und damit zusam-menhaumlngend von philosophy versus apocalypticism Bezuumlglich des erstgenannten Duals ist Engberg-Pedersen mE im Recht beim zweitgenannten aber kaum (vgl die vorherige Anm) Die Gotteserkenntnis ihrerseits hat bei den beiden Denkern einen derart unter-schiedlichen Stellenwert dass sie schwer vergleichbar ist zumal sie bei Paulus christolo-gisch vermittelt ist Ausserdem laumldt die Konvergenzformel bdquoknowledge (of God) as align-ment with Godldquo nicht primaumlr die Stoiker sondern vielmehr die Platoniker mit ihrer ὁμοίωσις θεῷ zum Gespraumlch mit Paulus Epiktet duumlrfte gerade an diesem Punkt plato-nische Motive rezipiert haben (vgl unten Anm 98) was vielleicht auch fuumlr Paulus gilt (so VAN KOOTEN 2008) Auch bei anderen Thesen des Buchs legen sich statt stoischer eher platonische Bezuumlge nahe vgl die Rezension von R HIRSCH-LUIPOLD Early Christianity 3 (2012) 122ndash133

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Methodisch gesehen erweist sich das komparatistische Geschaumlft als uumlberaus komplex Ich weise auf wenigstens drei Punkte hin wo ein umsichtiges historisches und herme-neutisches Urteil gefordert ist

1 Ein Vergleich kommt nur dort angemessen zum Zug wo beide Seiten in optimam partem interpretiert werden wo also Abstinenz gegenuumlber vorschnellen Verurteilun-gen eingeuumlbt wird Die neutestamentliche Exegese hat waumlhrend der letzten Jahrzehnte auf einem anderen Feld naumlmlich in der Einschaumltzung des Fruumlhjudentums geradezu einen Paradigmenwechsel vollzogen Anstatt das Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels als dunkle Folie zu entwerfen von der sich das entstehende Christentum strahlend abhebt wird es nun in seinem eigenen Selbstverstaumlndnis und unter Verzicht auf Werturteile rekonstruiert Es legt sich nahe diesen Typ einer interessierten und aufmerksamen Hermeneutik auch der Wahrnehmung hellenistischer Philosophen zu-gutekommen zu lassen

2 Der Versuch uumlberaus vielfaumlltige geschichtliche Kulturerscheinungen auf basale Figuren hin zu typisieren muss die Grenzen seiner Reichweite explizit reflektieren und sich mit der dienenden Rolle einer heuristischen Kunst bescheiden Sowohl die sokratisch modellierten und praktisch ausgerichteten Lehrgespraumlche Epiktets wie die Briefe und Erzaumlhltexte des Neuen Testaments bleiben widerstaumlndig gegenuumlber aller Systematik

3 Gerade weil umfassende geisteswissenschaftliche Rekonstruktionen unaus-weichlich im Kontext ihrer eigenen Zeit stehen muumlssen sie konsequent darauf hin befragt werden ob sie die historischen Phaumlnomene noch angemessen vergegenwaumlrti-gen und nicht ungebuumlhrlich verzerren So ist es nicht ratsam Figuren die sich erst im Lauf der christlichen Theologiegeschichte herausgebildet haben ndash beispielsweise die Kontrastierung von Selbsterloumlsung und Gnade ndash an philosophische Texte die in ganz anderen Kontexten zu situieren sind heranzutragen Umgekehrt zeigen uns die an-faumlnglich vorgestellten christlichen Rezensionen des Enchiridion dass Grenzziehun-gen zwischen den beiden Bereichen ihrerseits erheblichen geschichtlichen Variatio-nen unterliegen

24 Diskursmodelle

Angeregt von philosophischen Diskurstheorien lassen sich urchristliche und philoso-phische Texte der fruumlhen Kaiserzeit darauf hin befragen inwieweit sie aktuelle

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sbquoDiskurselsquo dokumentieren und ihrerseits bestimmte Positionen beziehen34 Sie sind also engagiert in argumentativen Dialogen uumlber die Wahrheit von Behauptungen und die Legitimitaumlt von Normen Das klassische Geschaumlft von Exegeten und Philologen die Sortierung von sbquoParallelenlsquo stellt einschlaumlgiges Material fuumlr die Identifizierung von Themen und fuumlr die Rekonstruktion von Rezeptionserwartungen zusammen35 Auf dem weltanschaulichen Markt der fruumlhen Kaiserzeit einer fuumlr antike Verhaumlltnisse hochgradig globalisierten Welt bieten sich sowohl Philosophien wie Religionen als Fuumlhrerinnen zur Lebenskunst und als Weg zum Gluumlck an36 Ihre Diskurse handeln von den fundamentalen Fragen der Lebensorientierung ndash Schicksal und Freiheit Le-ben Tod und Jenseits ndash und von den ethischen und praktischen Problemstellungen rund um Ehe Besitz Sklaverei Freundschaft und Alter37 Sie lassen sich etwa mit Hilfe von Theorien sozialer oder personaler Identitaumlt profilieren38

Es ist attraktiv Epiktets Lehrgespraumlch uumlber die Eleutheria in den zeitgenoumlssischen Diskursen uumlber die Freiheit zu verorten39 an denen sich auch Exponenten von

34 Zur Hochkonjunktur des Diskursbegriffs in den letzten Jahrzehnten vgl die summari-

schen Bemerkungen von K GRUumlNDER Vorbemerkungen zu HWPh 9 (1995) 84ndash86 35 So spielen Epiktets Texte im Neuen Wettstein eine prominente Rolle s unten S 36 Zur Philosophie als exercice spirituelle vgl HADOT 2005 Zu den methodischen Proble-

men bei der Identifizierung von Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament vgl VOLLENWEIDER 2012 298f

37 Instruktiv ist in unserem Zusammenhang der juumlngst erschienene Sammelband unter dem Titel bdquoStoicism in early Christianityldquo (RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010) Behandelt werden ua Fragen der Ethik und des Gesetzes bei Paulus die Darstellung Jesu als Lehrer bei Mt der sbquoemotionalelsquo Jesus in Joh die Weltbrand-Eschatologie (2Petr) das Thema der Sklaverei und der Willensfreiheit

38 So spielt Epiktet bei NGUYEN 2008 eine wichtige Rolle in der Rekonstruktion der Inter-aktionen zwischen den Korinthern und Paulus Auch die bdquoWeltdistanzldquo die zum Ver-gleich von Urchristen und Epiktet einlaumldt (BRAUN 1971 SCHRAGE 2004 WEBER 1999) waumlre heute auf der Basis von Theorien sozialer Identitaumlt zu reformulieren

39 Als besonders herausragende Texte der fruumlhen Kaiserzeit sind neben Epiktet Diss IV 1 und Paulus Roumlm 6ndash8 Gal 45 1Kor 910 zu nennen Dion Or 14ndash15 80 Philon Prob verschiedene Texte von Seneca sodann Cicero Parad 33ndash41 (omnes sapientes liberos esse et stultos omnes servos) Persius Sat 5 Ps-Andron Rhod Pass 97 Nicht erhal-tene Traktate bdquoUumlber die Freiheitldquo oder bdquoUumlber Knechtschaft (und Freiheit)ldquo werden ua Antisthenes (Diog Laert 616) und Kleanthes (Diog Laert 7175 = SVF 1 481) zuge-schrieben Wichtige Quellentexte stellt WILLMS 2011 I 63ndash83 89 zusammen Sein Ver-such eine bdquostoische Urschriftldquo namentlich aufgrund von Uumlbereinstimmungen zwischen Epiktet und Philon zu postulieren ist mE wie viele andere literarkritische Modelle die auf die Quellenkritik des 19 Jh zuruumlckgehen zum Scheitern verurteilt Die Parallelen erweisen sich als so partiell dass sie mit der Annahme von gemeinsamem Traditionsgut ausreichend erklaumlrt werden koumlnnen Die methodisch viel anspruchsvollere Hypothese ei-ner gemeinsamen Quelle laumlsst sich nicht plausibilisieren (vgl dazu bereits VOLLENWEIDER 1989 28f)

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Partialkulturen wie der juumldischen und der christlichen beteiligten Zu beachten ist da-bei dass die Freiheitsdiskurse auch implizit oder explizit politische Akzente setzen etwa im Verhaumlltnis zur imperialen Ideologie40 Wir beschaumlftigen uns im Folgenden exemplarisch mit dem spezifisch theologischen Profil des Freiheitsverstaumlndnisses Epiktets Zugrunde gelegt wird die Annahme dass sein Verstaumlndnis von Freiheit zwar ein deutlich erkennbares individuelles Kolorit aufweist sich aber grundsaumltzlich doch in die klassische stoische Konfiguration einzeichnen laumlsst41

3 Der goumlttliche Grund der Freiheit nach Diss IV 185ndash110

31 Grundlegende Unterscheidungen

Epiktet geht in seinem Lehrgespraumlch von einer weithin konsensfaumlhigen Definition von Freiheit aus die Freiheit zu leben bdquowie man willldquo (sect1)42 Die Argumentation steuert uumlber mehrere Gaumlnge auf ein Verstaumlndnis von Freiheit zu das sich fuumlr die vom Meister in die Unterredung einbezogenen virtuellen Schuumller mit uumlberraschenden Entdeckun-gen verbindet Der soziale Status mit all seinen Implikationen traumlgt nicht nur nichts bei zum Erwerb der Freiheit sondern entpuppt sich sogar als bdquoschoumlnste und glaumln-zendste Sklavereildquo (sect40) Dies gilt zumal dort wo einer nur noch den Kaiser als bdquoHerrn uumlber alleldquo uumlber sich weiss (sect12f) Zentral fuumlr den Befreiungsprozess ist das unablaumlssige Einuumlben jener kognitiven Operation welche die allgemeinen Vorstellun-gen (προλήψεις) mit den konkreten Lebensverhaumlltnissen konfiguriert (ταῖς ἐπὶ μέρους οὐσίαις sect41f)43 bdquoSuche und du wirst findenldquo (sect51)44 Wer

40 Muumlnzen Inschriften und Literatur belegen die Zugkraft des ideenpolitischen Schlagworts

bdquoFreiheitldquo so beanspruchte der Prinzipat die res publica und ihre libertas wiederherge-stellt zu haben

41 Vgl Forschner oben S Anders jetzt ASMIS 2001 der Epiktet eine neue Frei-heitskonzeption zuschreibt (bdquoEpictetus in sum offers a new concept of human freedom according to which the power of choice [sc prohairesis SV] confers on each person the freedom to determine onersquos own characterrdquo 412)

42 Diese gaumlngige Formel begegnet zB auch bei Paulus Gal 517 Roumlm 715ndash19 43 Zum Verstaumlndnis der Prolepsen im Kontext der Oikeiosislehre vgl FORSCHNER 1995

151ndash156 (πρόληψις als bdquoein umrisshafter unbestimmter undifferenzierter Vorgriffldquo der von einem bestimmten Begriff bzw einer Definition zu unterscheiden ist Epiktet ist bdquohier wohl altstoischem Gedankengut verpflichtetldquo 153) Vgl FORSCHNER oben S

44 Zum Bezug zur Jesustradition (Mt 77 usw) vgl WILLMS 2011 I 263ndash265 sowie BETZ 1995 501ndash504 und unten S Die Sentenz ist so weit gestreut dass sie keine Benut-zung des Neuen Testaments durch Epiktet belegt

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nicht von selber dank der dem Logos entsprechenden natuumlrlichen Faumlhigkeiten zur Wahrheit gelangt kann sich an bewaumlhrten Wahrheitszeugen orientieren (sect51f) fak-tisch ist hier der aktuell Lehrende mindestens mitgemeint Epiktet steuert die Unter-redung die in diesem Teil (sect51ndash75) besonders stark als sokratischer Dialog gestaltet ist45 auf seine elementare Formel der Unterscheidung dessen was bdquouns zuhandenldquo und bdquouns nicht zuhandenldquo ist zu (sect65 τὰ μὲν ἐφ᾽ ἡμῖν ἐστιν τὰ δ᾽ ἐπ᾽ ἄλλοις vgl Diss I 1)46 Am Koumlrper selber wird geradezu hautnah der Bereich des Fremden des ἀλλότριον erfahrbar (sect76ndash80) plastisch verbildlicht im Gleichnis eines bepack-ten Esels den man notfalls auch bdquolassenldquo muss ganz zu schweigen vom Zubehoumlr und Gepaumlck (sect79f)

Bereits in diesem Abschnitt macht sich ein entscheidender Bezugstext ein Praumltext bemerkbar der spaumlter explizit zu Wort kommen wird das Gebet des Kleanthes Wird der Esel von anderen requiriert (angareia) so gilt bdquoLass ihn gehen widerstrebe nicht und murre nicht ndash andernfalls wirst du den Esel genauso einbuumlssen nur mit Schlaumlgenldquo Im bdquogenauso hellip nurldquo (woumlrtlich bdquonichts desto wenigerldquo οὐδὲν ἧττον) spielt Epiktet an auf Kleanthesrsquo Vers bdquoWenn ich aber nicht (folgen) wollte waumlre ich ein feiger Schwaumlchling und muumlsste euch nichtsdestoweniger (οὐδὲν ἧττον) folgenldquo (Ench 531)

Mit der Aufforderung unablaumlssig die elementare Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo zu uumlben (sect81) die wiederum im Bereich von Koumlrper und Besitz die Frei-heit von Angst und Begehren eroumlffnet ist die Plattform fuumlr die uns interessierende theologische Deutung etabliert47

Bereits sect82 hat vorausweisenden Charakter Die Bestimmung uumlber das Wesen des Guten und Schlechten faumlllt in den Bereich des Eigenen bdquoWer kann es dir wegnehmen

45 Auf das sokratische Design der Dissertationes hat besonders LONG 2002 67ndash96 uouml

hingewiesen (bdquoSocrates rather than any Stoic philosopher or even the Cynic Diogenes is Epictetus favoured paradigm not only as a model for life but also as a practitioner of philosophical conversationldquo 4) hier auch verbunden mit Kritik an BONHOumlFFER (166f 176)

46 Zu Herkunft und Hintergrund der Formel vgl DOBBIN 1998 65ndash68 WILLMS 2011 I 328ndash337

47 Die Strukturierung unseres Lehrgespraumlchs durch das Nacheinander eines sbquoprofanenlsquo bzw sbquosaumlkularenlsquo Teils als Tradition (sect6ndash90) und eines sbquotheologischenlsquo Teils als Interpretation (sect91ndash131) durch NESTLE 1967 125ndash128 134 (zustimmend GRETENKORD 1981 195f) hat keinen Anhalt am Text (bereits sect89f stellt eine theologische Klimax dar die durch die Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo eng mit der ab sect62 entfalteten Argumen-tation verbunden ist) und arbeitet mit (redaktionsgeschichtlichen) Kategorien die sich bei Epiktet nicht bewaumlhren (das richtige Applizieren der allgemeinen Vorstellungen auf die konkreten Lebensumstaumlnde in sect41f ist eine spezifisch epiktetische Konzeption ohne dass sie deswegen unstoisch waumlre) vgl oben Anm 43)

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wer kann dich behindern Ebenso wenig kann man Gott behindernldquo Dies wird in sect90 wieder aufgenommen48

32 Das Gleichnis von der Burg und das Basisprinzip (sect85ndash90)

Im Abschnitt sect85ndash110 arbeitet Epiktet mit drei aufeinander folgenden Gleichnissen die jeweils fliessend in allgemeine Aussagen uumlbergehen Burg Reisegesellschaft und Festversammlung Die Befreiung von der Furcht wird verbildlicht mit der Zerstoumlrung der inneren Burg (Akropolis) dem Sitz der Tyrannen Die Metapher uumlberrascht zu-naumlchst da man die innere Festung eher als positives Sinnbild fuumlr die uneinnehmbare Position des Denkvermoumlgens erwartet haumltte49 Sie hat hier aber den Charakter der Zwingburg die man niederreissen oder wenigstens entvoumllkern soll Mit dem erneuten bdquoLassenldquo des Koumlrpers und seiner Teile von Besitz Ehrungen Kindern Geschwistern und Freunden (vgl sect66f) wechseln wir wieder auf die Sachebene (die eher an einen defensiven Ruumlckzug denken laumlsst) Uumlber das Bildelement von den Leibwaumlchtern die ihren bedrohlichen Charakter verloren haben fokussiert der Meister nun auf den Wil-len der von keinem Zwang mehr behindert wird (sect88) und damit auf die Leitdefini-tion am Anfang der Unterweisung (sect1) Wir stehen vor einem Scharnier der Argu-mentation weil nun das theologische Bekenntnis bdquoIch habe mein Streben Gott anheim gestelltldquo eine neue Dimension der wahren Freiheit eroumlffnet und zur Formulierung des Basisprinzips fuumlhrt (sect89ndash90)50

Das Bekenntnis selber verdichtet den stoischen Gedanken der Einfuumlgung in die

48 Dieser Verweis auf Gott unterscheidet sich von Diss I 123 wonach Zeus als houmlchster

Repraumlsentant des bdquoFremdenldquo die eigene Prohairesis nicht bezwingen (νικῆσαι) kann Dazu GRAVER 2003 348f

49 Praumlgnant ist vor allem die Aumlusserung Marc Aurels bdquoDeshalb ist die von Leidenschaften freie Denkkraft eine feste Burg (ἀκρόπολίς ἐστιν ἡ ἐλευθέρα παθῶν διάνοια) denn

nichts Staumlrkeres hat der Menschldquo (VIII 483) als Leitmotiv bei HADOT 1997 156ndash184 Vgl Sen Ep 825 Negativ konnotiert ist die Festung etwa auch bei Philon Fug 148 (bdquoZwingburg der Lustldquo) positiv Abr 150 vom Ort der Augen dem koumlniglichen Sinn Spec 3184 vom Kopf Spec 449 von der Seele

50 Auffaumlllig ist die perfektische Formulierung des Bekenntnisses die sich auch im vorange-gangenen Satz spiegelt (οὐπώποτε mit zwei Verben im Aorist) Spielt Epiktet hier an auf seinen Status als einer von denen die die Wahrheit gesucht und gefunden haben (sect51)

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goumlttliche Weltordnung51 Beim bdquoStrebenldquo (ὁρμή) handelt es sich um einen gaumlngigen Terminus fuumlr die menschlichen Antriebe also den Bereich der Willensbewegungen des θέλειν und βούλεσθαι (vgl sect99) die vom Logos geformt werden muumlssen52

Die folgenden kurzen Saumltze in sect8990 formulieren in aumlusserster Zuspitzung die Rhe-torik arbeitet mit provokanten Paradoxien Der Wille Gottes determiniert den Willen des Subjekts nicht nur vollumfaumlnglich sondern bestimmt auch seine Intentionalitaumlt ndash das Ich bdquowillldquo Peristasen wie Fieber Tod und Folter Die scheinbare Fremdbestim-mung wird schliesslich aufgefangen durch die Analogisierung mit Zeus selber (vgl sect82)53

Das Basisprinzip besteht also in der vollstaumlndigen Konvergenz des Willens des (menschlichen) Subjekts mit dem Willen Gottes eine Konvergenz die im Zeichen der wahren Freiheit steht Es reflektiert die traditionelle Figur des stoischen Determi-nismus der einerseits zwar die Willensfreiheit ganz im Geflecht der kosmischen Kau-salketten aufhebt andrerseits aber das Freiheitspathos steigert54 Offenkundig spiegelt Epiktet hier absichtsvoll zwei verschiedene Modi von Freiheit ineinander diejenige des Entscheidens (Freiheit als Immer-auch-anders-Koumlnnen) und diejenige des Wol-lens (die in der nachmaligen lateinischen Theologie bei Marius Victorinus und beson-ders bei Augustin zur Entfaltung der Willensmetaphysik gefuumlhrt hat)

Die Passage ist so stark von paradoxaler Rhetorik bestimmt dass man sie nicht vor-schnell mit fruumlhchristlichen Texten kontrastieren sollte Epiktet am naumlchsten steht die Szene in Getsemane wo Jesus Gottes Willen seinem eigenen vorordnet bdquoAbba

51 Das Verb προσκατατάσσειν das bei Epiktet nur in Diss IV 1 begegnet meint die Ein-

ordnung unter eine uumlbergeordnete Groumlsse (vgl unten sect9198) und beruumlhrt sich mit κατατάσσειν das in Ench 311 die Eusebeia das angemessene Verhalten gegenuumlber den Goumlttern beschreibt und mit bdquogehorchenldquo bdquosich fuumlgenldquo und bdquofreiwillig folgenldquo expli-ziert wird Besonders praumlgend ist das Sokrateswort in Platons Apologie 28e (τάξις) das Diss I 924 unter dem Einfluss von Leg 12945a (εἰς τάξιν κατατάξῃ) reformuliert wird bdquoGott hat uns einen bestimmten Platz und eine bestimmte Lebensform zugewiesen (κατατέταχεν) die wir nicht verlassen sollenldquo vgl III 14114 (εἰς τοιαύτην ὑπηρεσίαν κατατεταγμένος) II 139 I 134 (von einer uumlbergeordneten Stellung) Un-sere Formulierung in sect89ndash99 druumlckt mit dem zusaumltzlichen Compositum πρoς- auch noch jene dynamische Richtungsbestimmung aus die aus dem Praumltext des Kleanthes stammt (bdquofuumlhre mich [hellip] dahinldquo sect131) προσκατατάσσειν (LSJ 1516a bdquosubjoin append as-sign attachldquo) begegnet nur gelegentlich in der griechischen Literatur (Polyb III 201 [Re-den hinzufuumlgen] Philon Op 131 [Suumlsswasser der Erde zuweisen vgl 38] Cornut Nat deor 323 [Feuchtes in Aumlther uumlberfuumlhren] OGIS 5627 [hinzugefuumlgte Priester]) Vgl WILLMS 2011 I 489f

52 Zenon hat einen Traktat περὶ ὁρμῆς ἢ περὶ ἀνθρώπου φύσεως verfasst (Diog Laert 74 = SVF 1 41) vgl ferner POHLENZ 61991 II 52 77 80f Textintern sind die Bezuumlge der ὁρμή auf das θέλειν durch den voranstehenden wie den nachfolgenden Satz deutlich

53 Fuumlr diese Analogie bietet Diss II 1722ndash25 eine instruktive Parallele bdquoMit einem Wort Wolle nichts anderes als was Gott will Wer wird dich dann noch behindern wer dich zwingen Ebenso wenig wie (man) Zeus (zwingen kann) Wenn du einen solchen Fuumlhrer hast und mit ihm eines Willens und eines Wunsches bist was fuumlrchtest du dann noch an Fehlschlaumlgenldquo Epiktet raumlt auch hier dazu sich nicht zu binden an Reichtum Armut Ge-sundheit Ehre Vater Heimat Freunde und Kinder die alle nicht unserem Verfuumlgungs-bereich zugehoumlren

54 Zugespitzt bei BRAICOVICH 2010 der Epiktets handlungspsychologisches Freiheitsver-staumlndnis konsequent deterministisch deutet Zur allgemeinen Diskussion des stoischen Determinismus vgl STEINMETZ 1994 610ndash612 GUCKES 2004 12ndash17 im Zusammenhang mit Epiktet LONG 2002 220ndash222 (bdquothe autonomous person as someone who voluntarily complies with a predetermined situationldquo 222) sowie FORSCHNER oben S

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Vater alles ist dir moumlglich Lass diesen Kelch an mir voruumlbergehen Doch nicht was ich will sondern was du willstldquo (Mk 1436 vgl Mt 2639 Lk 2242)55 Die nur bei Mk vorkommende Allmachtsformel haumllt die ndash nicht realisierte ndash Moumlglichkeit offen dass Jesu eigener Wille dem Leiden zu entgehen sich verwirklichen liesse Der Vers der in der altkirchlichen Zweinaturenchristologie intensiv debattiert worden ist scheint es im Kontrast zu Epiktet bei einem sbquoproduktivenlsquo Gegenuumlber von zwei Wil-lensbewegungen zu belassen ndash eine Asymmetrie von erheblichem anthropologischem Gewicht Der Unterschied des Genre will freilich beachtet sein Waumlhrend Epiktet in einem argumentativen Text das Resultat einer geradezu lebenslaumlnglich vollzogenen Uumlbung (askesis) in praumlsentischen Paradoxien versprachlicht markiert die Getsemane-Erzaumlhlung der Evangelien eine Station auf dem Passionsweg Jesu der die vollstaumlndige Konvergenz der beiden Willensbewegungen narrativ zur Darstellung bringen wird Jesus ergibt sich als leidender Gerechter in den Gotteswillen bis zum Tod am Kreuz

Keine direkte Relevanz fuumlr die von uns hier diskutierte Thematik hat die Problemati-sierung der Einheit des menschlichen Willensbereichs56 Sowohl Epiktet (Diss II 1718f II 261 uouml) wie Paulus (Roumlm 715ndash19) sprechen vom inneren Zwiespalt des Menschen und orientieren sich dabei an einer in der Antike verbreiteten Figur die auf die Gestalt der euripideischen Medea zuruumlckfuumlhrt Die zugrunde liegenden anthropo-logischen Konzeptionen sind zwar denkbar verschieden Dem grundsaumltzlich monisti-schen Ansatz Epiktets steht der dualistische des Paulus gegenuumlber57 Es faumlllt aber auf dass beide das fuumlr die Medea-Rezeption traditionelle Schema des Gegensatzes von Erkennen und Trieb von Vernunft und Leidenschaft durch eine weit radikalere Deu-tung uumlberlagern Der Zwiespalt im Inneren ist uumlberhaupt nur retrospektiv durchschau-bar geworden erst das Ereignis der Befreiung laumlsst es zur Erkenntnis der Sklaverei kommen Dabei sprechen beide von der Unfreiheit gut traditionell als dem bdquoTun was ich nicht willldquo58

Freiheit wird praumlsentiert als Anerkennung dessen was ohnehin nicht zur Disposition steht und nicht anders sein kann als es der Fall ist Das klassische Bild der Stoiker

55 Die Uumlbersetzung biblischer Texte richtet sich meistens nach der Zuumlrcher Bibel 2007 56 Der optimistischen Anthropologie Epiktets laumlsst sich dann diejenige des Paulus gegen-

uumlberstellen die zwar nicht pessimistisch ist aber Suumlnde nicht im kognitiven Bereich son-dern im Willensbereich platziert vgl zB SCHNELLE 2009 156f

57 Zum Verhaumlltnis zwischen Epiktet und Roumlm 7 vgl HUTTUNEN 2005 ferner VOLLENWEIDER 1989 350ndash352

58 Vgl oben bei Anm 42 Das Versklavtsein wird bei Epiktet deswegen nicht so ausweglos wie bei Paulus wahrgenommen weil es wesentlich auf falschem Denken beruht

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stellt der an einen Wagen festgebundene Hund dar der entweder aus eigenen Stuumlcken mitgeht oder aber mitgeschleift wird59

33 Das Gleichnis von der sicheren Reisegesellschaft (sect91ndash98)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft changiert zwischen Bildrede und eigentlicher Rede Mit οὕτως (sect91) wird das Bild eingefuumlhrt ebenfalls mit οὕτως erfolgt der Wechsel zur Sachebene naumlmlich zur kosmischen Position des Verstaumlndigen (sect9298) dessen Selbstgespraumlch wieder auf der Bildebene spielt (sect92ndash97) Mit seinen Hinwei-sen auf hoch gestellte Personen besonders den Status des Freunds des Kaisers wird Bezug genommen auf fruumlhere Passagen (sect8ndash15 45ndash50) Das Selbstgespraumlch endet ironisch in einer Aporie ndash selbst in der Einoumlde gibt es keinen Schutz vor negativen Maumlchten (sect97) Erst der Anschluss an Gott ermoumlglicht eine sichere Reise Die Philo-sophie spielt hier ihre in hellenistischer und kaiserzeitlicher Zeit zentral gewordene Rolle als Ratgeber fuumlr den Umgang mit jederzeit drohenden Kontingenzen und ant-wortet auf ein Anliegen das auch die zeitgenoumlssischen Religionen das Christentum so gut wie Mysterienreligionen und magische Praktiken bearbeiten

Die traditionelle und uumlberaus reiche Metaphorik des Wegs deckt ein breites Spektrum ab Die hauptsaumlchliche Konnotation die auch bei Epiktet reichhaltig begegnet ist die-jenige des Zusammenhangs von Weg und Ziel So spricht unser Lehrgespraumlch sum-mierend vom Weg zur wahren Freiheit (sect131)60 Das Reisegleichnis in Diss II 2336ndash39 raumlt dazu Raststaumltten wieder zu verlassen um zur Heimatstadt zu gelangen (εἰς τὴν

πατρίδα ἐπανελθεῖν)61 Auch wo Gott (II 710f) oder der wahre Kyniker (III 2226) den rechten Weg weisen ist das Ziel im Blick62 Aumlhnlich steht es mit der christ-lichen Wegmetaphorik63 In unserem Zusammenhang geht es dagegen ausschliesslich um das sichere Reisen ndash in der Sprache heutiger Lebensratgeber der Weg ist das Ziel Fuumlr die Reisegemeinschaft mit Gott bietet II 1723 eine bemerkenswerte Parallele da hier neben der Konvergenz des Wollens auch die Analogie mit Zeus figuriert (sect22)64 Das Leben laumlsst sich generell mit einer Reise vergleichen65 III 139ndash11 stellt heraus dass nur die Philosophie nicht aber der Kaiser si-

59 Chrysipp () SVF 2 975 vgl POHLENZ 82010 I 106 STEINMETZ 1994 611f weiteres bei

VOLLENWEIDER 1989 75f 60 Vgl IV 439 vom Weg zur wahren εὔροια 61 Auch hier wird explizit der Bezug zur Freiheit hergestellt (sect42) verbunden mit dem bdquomit

ganzem Herzenldquo zu sprechenden Gebet des Kleanthes 62 Vgl ferner I 1618 II 216 II 123 III 263f IV 24 IV 659 IV 916 63 Vgl den Uumlberblick (auch zur Umwelt) von W MICHAELIS Art ὁδός κτλ ThWNT 5

(1954) 42ndash118 sowie die bei WILLMS 2012 II 709 genannte Literatur 64 Vgl oben Anm 53 65 Diss II 510 von der Seereise wo bdquoeiniges an mir liegt anderes aber nichtldquo vgl ferner II

1624 I 99 II 1737f in III 2493 wird die Abreise mit dem Sterben verglichen

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cheren Reiseschutz verleihen kann (vgl sect3) Es gibt durchaus neutestamentliches Vergleichsmaterial Die Nachfolge auf Jesu Weg wie ihn die Evangelien darstellen ist transparent fuumlr den Lebensweg der Christusglaumlubigen (Mk 827ndash1052 besonders 834) Dieser ist freilich auch wieder auf ein Ziel hin orientiert naumlmlich auf die Pas-sion und das Kreuz Epiktets goumlttlicher Reisegesellschaft am naumlchsten kommen wir mit der Topik des bdquoMitseinsldquo Jesu bzw Gottes mit den Glaubenden (Mt 2820 vgl 123 1820 Joh 1416f [vom Geist]) welche die gesamte biblische Tradition des Mit-gehens Gottes mit seinem Volk insbesondere waumlhrend der Wuumlstenwanderung sum-miert Obschon der Lebensweg die Stoiker in widrige Umstaumlnde und die Christen in das Martyrium fuumlhren mag gibt die Gemeinschaft mit Gott ultimative Sicherheit Der Vergleich fuumlhrt uns also wieder in den Bereich der Passionsgeschichte Waumlhrend fuumlr die Christen der Gottessohn und somit der in diesem praumlsente Gott selber den Weg des Leidens geht sieht sich der Stoiker gewiesen an Vorbilder die paradigmatisch das Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens vor Augen stellen zumal an Herakles und Sokrates Zwar ist auch ihr Gott im Kosmos gegenwaumlrtig aber da er das harmo-nisch gefuumlgte Ganze repraumlsentiert ist er den immer nur einzelne Teile betreffenden Turbulenzen nicht ausgesetzt

34 Das Gleichnis von der Festversammlung (sect99ndash110)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft endet in einem radikalen Ruumlckzug aus dem Bereich des Ungewissen der nicht einmal in der Einsamkeit der Einoumlde haltmacht sondern gleichsam in die Unweltlichkeit versetzt Dieser Reduktionsbewegung auf einen einzigen Punkt der mit Gott identifiziert wird kommt nun eine expandierende Bewegung entgegenzustehen die in die Weite des Kosmos und die universale Ge-meinschaft hinaus weist

Mit dem erneuten Ruumlckgriff auf das theologische Bekenntnis und das Prinzip von sect89 baut Epiktet sukzessive ein neues Gleichnis auf das sich mit kosmologischen Deu-tungen verbindet Im Fokus stehen nun die Willensbewegungen Gottes und sein ord-nendes Wirken im Kosmos Die Basisunterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoAnderemldquo wird theologisch akzentuiert Im Bereich des Eigenen figuriert die freie Selbstbestim-mung die Prohairesis66 der Bereich des Anderen wird der Gottheit und ihrem Wal-ten dem bdquoKreislauf des Allsldquo zugemessen (sect100) Koumlrper Besitz sowie Haus Kinder und Frau (vgl sect66f 87 107 111) Alles wovon sich der Verstaumlndige innerlich als

66 Zur Prohairesis vgl FORSCHNER in diesem Band S [[Typoskript S 5]] ferner STE-

PHENS 2007 16ndash25 (bdquoProhairesis as selfldquo) und die Diskussion von ENGBERG-PEDERSEN 2010 212ndash214 (bdquotrue human selfldquo) mit LONG 2002 28ndash30 207ndash220 (bdquovolitionldquo)

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dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

141

logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

142

41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

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Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

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Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

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Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

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Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

MITCHELL (Hg) Antiquity and Humanity Essays on ancient Religion and Phi-losophy presented to Hans Dieter Betz Tuumlbingen 2001 385ndash412

B LANG Jesus der Hund Leben und Lehre eines juumldischen Kynikers Beckrsquosche Reihe 1957 Muumlnchen 2010

BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

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Page 6: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

123

bdquoFuumlhre mich o Gott und (du) alles durchdringende schoumlpferische und bewegende Ursache an den Ort der mir einst von euch bestimmt wurde hellipldquo13

Die Saumltze des Euripides und des platonischen Sokrates werden bewahrt wobei die Goumltter durch bdquoGottldquo und die bei Platon namentlich genannten Sokratesgegner durch bdquoboumlse Menschenldquo ersetzt werden

13 Der Heiland und der Heilige Geist anstelle von Zeus und Schicksal Die

Enchiridii Paraphrasis Christiana (Par)

Diese Version unter dem handschriftlichen Titel bdquoUnterweisungenldquo (ὑποθῆκαι) die zu Unrecht als bdquoParaphraseldquo bezeichnet wird ist deutlich christlicher gehalten als die beiden anderen Vor allem finden sich hier nun auch zahlreiche Schriftbezuumlge die ein grundlegend veraumlndertes Referenzsystem signalisieren14 Wir beschraumlnken uns auf ei-nige wenige Hinweise

1 Verschiedene Auslassungen oder Veraumlnderungen decken sich mit Ps-Neilos so die Umstellung auf den einen Gott oder der Verzicht auf die Belehrung uumlber die Man-tik statt vom Opfern ist vom Almosengeben die Rede15 Anders als bei Ps-Neilos (43) fehlt die Nennung des Schwoumlrens Anstelle von Sokrates figurieren bdquoApostel und Maumlrtyrerldquo bzw bdquoder Apostelldquo16 Die Sokrates-Mimesis die Ench 513 empfiehlt wird in Par 69 auf Paulus uumlbertragen (vgl Ps-Neilos 71b) verbunden mit dem Zitat von 2Tim 47 Die Adressaten sind nun nicht mehr bdquoPhilosophenldquo sondern bdquoAnacho-retenldquo oder bdquoHesychastenldquo (Ench 22 46 ndash Par 291 601) und aus der bdquoPhilosophieldquo ist ein bdquotugendvoller Lebenswandelldquo geworden (Ench 22 ndash Par 291)

2 Charakteristisch ist wiederum die Umformung des Schlussteils (Ench 53 ndash Par 70ndash71) wo die Hinweise auf antik-pagane Klassikertexte unkenntlich gemacht wer-den Das epiktetische generelle bdquoBereithaltenldquo wird spezifiziert im Blick auf widrige Umstaumlnde (bdquoPeristasenldquo) und Versuchungen Das Gebet des Kleanthes (SVF 1 527) lautet nun so

bdquoFuumlhre uns o Heiland du und der Heilige Geist wo und wie es (euch) recht ist hellipldquo (Par 701f)

Der euripideische Vers wird elegant transformiert und mit dem ersten Platonzitat ver-schraumlnkt

bdquoWer aber freiwillig und gehorsam Gott folgt gilt bei uns als weise und bei Gott als befreundet Wir beten aber darum dass uns das was mit Gott befreun

13 Diese Redefinition des Schicksals ist nicht speziell christlich sie stammt vielmehr aus

dem Enchiridion-Kommentar des Neuplatonikers Simplikios (6 Jh) 7111ndash13 (p 452 H vgl dens in Aristot phys 413 [CAG 9 7555])

14 Detaillierte Nachweise bei BOTER 1999 206ndash211 15 Mantik Ench 32 ndash Par 38 wo dafuumlr mit Bezug auf Mt 67f10 vom Gebet gehandelt

wird ndash Opfer Ench 315 ndash Par 37 16 Ench 5 ndash Par 72 603 (sc Paulus)

124

det ist zuteil werdeldquo (703f ὅστις δὲ ἑκὼν εὐπειθῶς ἕπεται θεῷ σοφὸς παρ᾽ ἡμῖν καὶ θεῷ δὲ προσφιλήςmiddot ὃ γὰρ τῷ θεῷ φίλον τοῦτο ἡμῖν γενέσθαι εὐχόμεθα)

Das zweite Platonzitat uumlber diejenigen die wohl toumlten nicht aber schaden koumlnnen wird um einige Peristasen erweitert und gipfelt im Jesuswort Mt 1028a bdquoFuumlrchtet euch nicht vor denen die den Koumlrper toumlten die Seele aber nicht toumlten koumlnnenldquo

Diese dritte christliche Relektuumlre des Enchiridion geht in einigen Punkten erheblich weiter als die anderen beiden17 Dies aumlndert aber nichts daran dass der groumlsste Teil des Handbuumlchleins unter gelegentlichen Adaptationen uumlbernommen wird

An dieser Stelle weisen wir auf die besonders interessante griechische Kommentie-rung dieser Paraphrasis hin die in fruumlhbyzantinischer Zeit entstanden ist18 Der ano-nyme und leider sehr unvollstaumlndige Kommentar orientiert sich konsequent am Mo-dell einer bdquochristlichen Philosophieldquo (Praef 1 8) Die Bibel spielt freilich keine for-mative Rolle Am staumlrksten sind die biblischen Bezugnahmen in der Exegese des Gleichnisses vom Steuermann (Ench 7) das in allen drei Versionen ziemlich wort-getreu wiedergegeben wird (Ps-Neilos 12ab Vat 10 Par 10)19 Die Schifffahrt hat zum Ziel die bdquoallein wahre Heimatldquo wo bdquomit Christus Herkunft und Genossen und das Gemeinwesen der Heiligenldquo zu finden sind (Comm 106) Hier bezieht sich der Kommentator auf die Gottesstadt des Neuen Testaments20

Wir bilanzieren unsere Exkursion in die Rezeptionsgeschichte des Enchiridion Epik-tets mit einer schlichten Einsicht Die Bestimmung von spezifisch Christlichem das mit stoisch-epiktetischer Philosophie kontrastiert unterliegt erheblichen historischen Wandlungen Die christliche Usurpation ndash am deutlichsten indiziert durch das Aus-blenden des urspruumlnglichen Autors ndash generiert ein neues Referenzsystem An die Stelle der Klassiker treten die Schrift und die Vaumlter die vielen Goumltter weichen dem einen Gott bestimmte lebensweltliche Verhaumlltnisse werden vom christlichen Ethos korrigiert Wir notieren speziell dass es sich bei unseren Texten hauptsaumlchlich um

17 BOTER 1999 206 bdquoThe author of Par shows much more intellectual independence theo-

logical acumen and philosophical insight than his two Christian colleaguesrdquo SPANNEUT 2007 25 diese Instruktionen christianisieren den Text bdquoen profondeur plus que les deux autres adaptateurs avec une note personnelle plus affirmeacuteeldquo

18 Ausgabe M SPANNEUT (Ed) Commentaire sur la paraphrase chreacutetienne du Manuel dlsquoEpictegravete Introduction texte etc (SC 503) Paris 2007

19 Par und Vat fuumlgen dem Epiktet-Text eine Schlusspartie hinzu die das Bild der gefessel-ten Schafe im Gleichnis auf den Greis appliziert Fuumlr uns wichtiger ist die nur von Par gebotene Variation dessen was der Weise zu bdquolassenldquo hat statt von dem bdquoFrauchenldquo und dem Kind bei Epiktet ist hier die Rede von bdquoBruumldern oder Freunden oder Verwandten oder dem Hausldquo (104) ndash wahrscheinlich ein Reflex des Nachfolgeworts Mk 1029 Mt 1929 Lk 1829

20 Phil 320 Eph 219 und Hebr 1114ndash16 (vgl 1222ndash24)

125

monastische Relektuumlren Epiktets handelt die den Weisen und Philosophen aktualisie-rend auf den Moumlnch speziell den Anachoreten beziehen Die Naumlhe Epiktets zu kyni-schem Traditionsgut duumlrfte die monastische Rezeption noch befoumlrdert haben spannen sich doch einige Bruumlcken von der Askese der Kyniker zum oumlstlichen Moumlnchtum

2 Der neuzeitliche Epiktet Nachbar oder Antipode des Christentums

Unter Absehung von spaumlteren byzantinischen sowie humanistischen und fruumlhneuzeit-lichen Rezeptionsspuren springen wir aus der spaumlten Antike direkt in die Moderne Zur Bestimmung des Verhaumlltnisses von Epiktet und Neuem Testament bieten sich zwei verschiedene Modelle an die untereinander auch in Wechselwirkung treten koumln-nen Dependenzmodell und komparatistisches Modell Unser Interesse gilt zunaumlchst dem ersteren das sich primaumlr mit einem moumlglichen Einfluss des Fruumlhchristentums auf den hauptsaumlchlich zu Beginn des 2 Jahrhunderts lehrenden Philosophen beschaumlftigt

Fuumlr jede moumlgliche Modellbildung ist festzuhalten Epiktet hat Kenntnis von den Chris-ten In seinem Lehrgespraumlch uumlber die Furchtlosigkeit (Diss IV 75ndash6) reiht er die bdquoGalilaumlerldquo unter diejenigen ein die aufgrund von Wahnsinn Geistesstoumlrung und Ge-wohnheit zu einer Furchtlosigkeit finden die wir heutzutage etwa mit Selbstmordat-tentaumltern verbinden Die christliche Demonstration der Todesverachtung im Amphi-theater tadelt auch Marc Aurel (XI 32)21

21 Epiktet reagiert auf das Christentum Das Dependenzmodell

Dieses Modell geht davon aus dass sich bestimmte Zuumlge in Epiktets Philosophie christlichem Einfluss verdanken sei es im Modus der Uumlbernahme oder aber der An-tireaktion Exemplarisch fuumlr diese heute weitgehend uumlberholte Verhaumlltnisbestimmung steht die Rektoratsrede von Theodor Zahn aus dem Jahr 189422 Der konservative Theologe stellt nicht nur erhebliche Widerspruumlche im Denken Epiktets fest23 sondern rechnet auch mit einem markanten Einfluss christlicher Gedanken etwa

21 Kaum als Reflex auf das Christentum kommen Epiktets Bemerkungen zur bdquoTaufeldquo in

Diss II 920f in Betracht Sie nehmen eher Bezug auf juumldische als auf christliche Taumlufer-gruppen vgl LONG 2002 17 110 Anm 9

22 Nicht zugaumlnglich ist mir das ebenso hier zu klassifizierende Werk des Hollaumlnders K KUIPER Epictetus en de Christelijke Moraal Amsterdam 1906 das bei Bonhoumlffer 1911 eingehend besprochen wird Kuiper zufolge reagiert Epiktet polemisch auf die christli-chen Texte und Theologien dieser wird also zu einem fruumlhen auctor adversus Christia-nos

23 ZAHN 1895 18f 23ndash26

126

beim Eid bei der Gotteskindschaft bei Herakles als Heiland oder beim gottgesandten apostelgleichen Kyniker24

22 Gelaumluterte Religion Bonhoumlffers vergleichendes Modell

Die Monographie bdquoEpiktet und das Neue Testamentldquo von Adolf Bonhoumlffer aus dem Jahr 1911 markiert das wohl definitive Ende der Dependenzmodelle In einer detail-lierten Auseinandersetzung stellt der Philologe heraus dass es keine uumlberzeugenden Indizien fuumlr eine Abhaumlngigkeit Epiktets vom Neuen Testament gibt ndash wie auch umge-kehrt keine nennenswerten stoischen Einfluumlsse auf das Urchristentum geltend ge-macht werden koumlnnen Die bisher in Anspruch genommenen Uumlbereinstimmungen er-weisen sich teilweise als konstruiert teilweise als Resultat von Konvergenzen die bei naumlherem Zusehen doch jeweils sehr verschiedene kulturelle Kontexte zum Ausdruck bringen Bonhoumlffer arbeitet ndash wie manche bereits vor ihm ndash mit einem vergleichenden Modell das vor allem in seiner bdquosystematischen Vergleichung Epiktets und des Neuen Testamentsldquo greifbar wird25

Bonhoumlffer ist sich der Gefahr einer nicht angemessenen Systematisierung bewusst Waumlhrend sich die neutestamentliche Theologie erst noch entwickelt ruht Epiktets Denken zwar bdquodurchweg auf einem ganz genau umrissenen und ins einzelne hinein fest formulierten System der alten orthodoxen Lehre der Stoaldquo26 wird aber von bdquosei-ner eigenen vom stoischen Geist durchdrungenen Persoumlnlichkeitldquo formiert und reprauml-sentiert (340) Bonhoumlffer arbeitet Analogien wie Kontraste heraus Zu den Gemein-samkeiten zaumlhlen die bdquogelaumluterte Religiositaumltldquo die Verbindung von Religion und Mo-ral der Idealismus und sittliche Ernst (341ndash354) zu den Kontrasten der Gegensatz von Vernunft und Offenbarung oder von Diesseitigkeit und Jenseitigkeit (354ndash357) Offenkundig wurzelt Bonhoumlffer in der zeitgenoumlssischen liberalen Theologie die im spaumlten 19 und fruumlhen 20 Jh gemeinsam mit den anderen Geisteswissenschaften ein sbquokulturprotestantischeslsquo Profil aufweist Gemessen am liberal-theologischen Jesusbild bleibt fuumlr Bonhoumlffer der epiktetische Theismus defizitaumlr bdquoMit dem allem soll aber nun keineswegs gesagt sein dass die Religiositaumlt Eprsquos der neutestamentlichen vollauf ebenbuumlrtig seildquo Es bdquoerreicht auch die Froumlmmigkeit Eprsquos so echt sie empfunden ist doch die Houmlhe der christlichen nichtldquo27 So weht bdquoein waumlrmerer Geist der Menschen-liebe durch das Neue Testament [hellip] als selbst durch die Reden eines Epldquo (382) Kritisiert wird auch die vornehmlich Eliten adres-

24 ZAHN 1895 28ndash33 Eine vernichtende Kritik stammt von WENDLAND 1895 Zahn miss-

verstehe Epiktet nicht nur haumlufig sondern zeige eine bdquovoumlllig unzureichende Kenntnis der kynischen und stoischen Literaturldquo (495)

25 BONHOumlFFER 1911 339ndash390 26 Diesen Nachweis lieferte BONHOumlFFER bereits 1890 sowie 1894 27 BONHOumlFFER 1911 344

127

sierende Stoa die bdquodurch ihre historische Gebundenheit an die Lehrformen des aris-tokratischen Partikularismus gehindert war ihre universelle Mission zu erfuumlllenldquo (388) Umgekehrt zeigt Epiktet in manchen Lebensbereichen eine natuumlrlichere Ein-stellung ndash dies erweisen bdquoein frisches und gesundes Interesse an dem Weltgeschehen und am Tun und Treiben der Menschheitldquo die bdquoFreude an den Werken der Technik und der Kunstldquo die Einstellung zu Leiblichkeit und Sexualitaumlt (366f) sowie das bdquopo-sitive Interesse an der Menschheitldquo (377) Erstaunlich wenig gewichtet wird die bdquoDiesseitigkeitldquo Epiktets die sich markant mit der Jenseits- und Endzeitbezogenheit des Urchristentums kontrastieren liesse

Es ist Rudolf Bultmann der Bonhoumlffers Verhaumlltnisbestimmung einer fundamentalen Kritik unterzieht28 Mit ihm meldet sich bereits jene Generation von Neutestamentlern aus der Religionsgeschichtlichen Schule und der Dialektischen Theologie zu Wort die mit der liberalen Theologie brechen wird29 In einer raschen Replik auf Bultmanns Kritik stellt Bonhoumlffer seinerseits seine Position noch einmal deutlich heraus Gegen-uumlber der ziemlich negativen Wahrnehmung Epiktets durch den Theologen gibt er zu bedenken dass dessen Kritik durchaus und zu noch groumlsseren Teilen just auch das neutestamentliche Christentum traumlfe30

Bonhoumlffers Vergleich von Epiktet und Neuem Testament laumluft auf die Konstatierung einer grundsaumltzlichen Verschiedenheit hinaus die aber Gemeinsamkeiten nicht aus-schliesst Auch wenn sich Urchristen und Epiktet auf Augenhoumlhe treffen zeichnen sich erstere doch durch ein Mehr an genuiner Religiositaumlt aus Beide Typisierungen verraten deutlich ihren kulturgeschichtlichen Hintergrund zu Beginn des 20 Jahrhun-derts ndash die Wertschaumltzung der sbquogenialenlsquo religioumlsen sbquoPersoumlnlichkeitlsquo und des sbquosittlichlsquo orientierten Weltverhaumlltnisses

23 Ein Zwischenhalt Methodische Uumlberlegungen

Der Grundansatz von Bonhoumlffer von zwei im Ansatz sehr verschiedenen kulturellen Bildungen auszugehen naumlmlich der stoischen Philosophie und ihrer besonderen in-dividuellen Brechung bei Epiktet einerseits der urchristlichen Religion und ihrer

28 BULTMANN 1912 (Bonhoumlffers Buch scheint bdquosowohl in der Anlage wie in der

Erfassung des Problems verfehlt zu seinldquo 97) 29 In Bultmanns Positionsbezug gegen Bonhoumlffer tritt dies allerdings noch nicht deutlich

hervor So bestimmt er als bdquoZentralpunkt der Differenzldquo zwischen Epiktet und Neuem Testament bdquoein ganz verschiedenes Individualitaumltsgefuumlhl [] ein ganz verschiedenes Per-soumlnlichkeitsbewusstseinldquo (182 vgl 186ndash190) Nicht anders als Bonhoumlffer steht Bultmann dem Religionsverstaumlndnis der liberalen Theologie noch nahe vgl seine Bemerkung uumlber den Unterschied zum frostigen Seneca bdquoEpiktets Froumlmmigkeit verbreitet eine sonnige Heiterkeit Waumlrme und Frieden um sichldquo (110) Die Gegensaumltze werden in der spaumlteren Darstellung bdquoDas Urchristentum im Rahmen der antiken Religionenldquo (1949) viel schaumlrfer gezeichnet s unten bei Anm 32

30 BONHOumlFFER 1912 288f

128

theologischen Reflexion etwa bei Paulus andrerseits hat sich als plausibel und weg-weisend erwiesen Wo immer die beiden Kulturgestalten komparatistisch auf einander bezogen werden orientiert man sich an diesem Basismodell31 Die Umbruumlche in den Geistes- und Kulturwissenschaften seit der Mitte des 20 Jahrhunderts haben freilich die Koordinaten entlang denen das Wirklichkeitsverstaumlndnis und die Ethik der Stoi-ker wie der Christen rekonstruiert werden tiefgreifend veraumlndert So hat sich auf der Seite der neutestamentlichen Theologie die urchristliche Eschatologie in den Vorder-grund geschoben die die Kontrastierung zur griechisch-hellenistischen Philosophie noch einmal anders konturiert32 In juumlngerer Zeit hat das Interesse an einem umfas-senden sbquoSystemvergleichlsquo deutlich abgenommen33

31 Grunddifferenzen bei gleichzeitigen Konvergenzen werden herausgearbeitet etwa bei

GRETENKORD 1981 261ndash305 KLAUCK 1989 ders 1996 85ndash88 92 GALLOWAY 2004 HUTTUNEN 2005 SCHNELLE 2009 RAMELLI 2009 WILLMS 2011 I 431f uouml Auch die juumlngste Gesamtdarstellung von Epiktet liegt auf dieser Linie LONG 2002 3 (bdquoEpictetus has also been misunderstood because his appeals to theology which are ubiquitous have been consciously or unconsciously read in the light of Christianity In my opinion Epic-tetusrsquo deepest ideas are remote from the main Christian message notwithstanding notable parallels between some things he says and the New Testamentldquo) 143ndash147 176

32 Bereits BULTMANN 1912 185ndash188 stellt ua das Fehlen eines Geschichtsbewusstseins in der Philosophie fest bdquoEtwas Neues ist nie gekommenldquo (185) Auf dieser Linie urteilt er spaumlter bdquoder Stoiker meint seine Zeitlichkeit eliminieren zu koumlnnen seine sbquoEntweltli-chunglsquo ist sbquoEntzeitlichunglsquoldquo (194941976 161) Ich selber habe versucht die Differenz zwischen Stoikern und Urchristen am ineinander verschraumlnkten Verhaumlltnis der drei Zeit-modi herauszuarbeiten und in die Kosmologie zu extrapolieren Waumlhrend die Gegenwart in der Perspektive der Christen von der endzeitlichen Zukunft tangiert wird steht sie bei den Stoikern im Bann der Vergangenheit Dem sich ewig wiederholenden Kosmos steht die sich vorerst partikular realisierende neue Schoumlpfung entgegen VOLLENWEIDER 1989 44ndash53 404f vgl unten S

33 Eine Ausnahme stellt der neuere Versuch von ENGBERG-PEDERSEN 2000 dar stoische Phi-losophie und paulinische Theologie idealtypisch zu vergleichen statt sich von der Frage nach historischen Beeinflussungen engfuumlhren zu lassen Die Basis dafuumlr stellt ein kom-plexes theoretisches Modell bereit das die Wechselwirkung zwischen Individuum Ge-meinschaft und dem Goumlttlichen bzw dem Logos beschreibt (33ndash44) Der Erkenntnisge-winn der Studie reicht genau so weit wie die Leserschaft bereit ist diesem Modell Plau-

sibilitaumlt zuzuerkennen ndash In seinem juumlngsten Buch fuumlhrt ENGBERG-PEDERSEN (2010 106ndash138) einen Vergleich speziell zwischen Epiktet und Paulus durch Er konzentriert sich dabei auf die Gotteserkenntnis und stellt neben Differenzen erhebliche Uumlbereinstimmun-gen fest Problematisiert werden die bisher gelaumlufigen Differenzkriterien von self-suffi-ciency (resp human agency) versus dependence (resp divine agency) und damit zusam-menhaumlngend von philosophy versus apocalypticism Bezuumlglich des erstgenannten Duals ist Engberg-Pedersen mE im Recht beim zweitgenannten aber kaum (vgl die vorherige Anm) Die Gotteserkenntnis ihrerseits hat bei den beiden Denkern einen derart unter-schiedlichen Stellenwert dass sie schwer vergleichbar ist zumal sie bei Paulus christolo-gisch vermittelt ist Ausserdem laumldt die Konvergenzformel bdquoknowledge (of God) as align-ment with Godldquo nicht primaumlr die Stoiker sondern vielmehr die Platoniker mit ihrer ὁμοίωσις θεῷ zum Gespraumlch mit Paulus Epiktet duumlrfte gerade an diesem Punkt plato-nische Motive rezipiert haben (vgl unten Anm 98) was vielleicht auch fuumlr Paulus gilt (so VAN KOOTEN 2008) Auch bei anderen Thesen des Buchs legen sich statt stoischer eher platonische Bezuumlge nahe vgl die Rezension von R HIRSCH-LUIPOLD Early Christianity 3 (2012) 122ndash133

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Methodisch gesehen erweist sich das komparatistische Geschaumlft als uumlberaus komplex Ich weise auf wenigstens drei Punkte hin wo ein umsichtiges historisches und herme-neutisches Urteil gefordert ist

1 Ein Vergleich kommt nur dort angemessen zum Zug wo beide Seiten in optimam partem interpretiert werden wo also Abstinenz gegenuumlber vorschnellen Verurteilun-gen eingeuumlbt wird Die neutestamentliche Exegese hat waumlhrend der letzten Jahrzehnte auf einem anderen Feld naumlmlich in der Einschaumltzung des Fruumlhjudentums geradezu einen Paradigmenwechsel vollzogen Anstatt das Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels als dunkle Folie zu entwerfen von der sich das entstehende Christentum strahlend abhebt wird es nun in seinem eigenen Selbstverstaumlndnis und unter Verzicht auf Werturteile rekonstruiert Es legt sich nahe diesen Typ einer interessierten und aufmerksamen Hermeneutik auch der Wahrnehmung hellenistischer Philosophen zu-gutekommen zu lassen

2 Der Versuch uumlberaus vielfaumlltige geschichtliche Kulturerscheinungen auf basale Figuren hin zu typisieren muss die Grenzen seiner Reichweite explizit reflektieren und sich mit der dienenden Rolle einer heuristischen Kunst bescheiden Sowohl die sokratisch modellierten und praktisch ausgerichteten Lehrgespraumlche Epiktets wie die Briefe und Erzaumlhltexte des Neuen Testaments bleiben widerstaumlndig gegenuumlber aller Systematik

3 Gerade weil umfassende geisteswissenschaftliche Rekonstruktionen unaus-weichlich im Kontext ihrer eigenen Zeit stehen muumlssen sie konsequent darauf hin befragt werden ob sie die historischen Phaumlnomene noch angemessen vergegenwaumlrti-gen und nicht ungebuumlhrlich verzerren So ist es nicht ratsam Figuren die sich erst im Lauf der christlichen Theologiegeschichte herausgebildet haben ndash beispielsweise die Kontrastierung von Selbsterloumlsung und Gnade ndash an philosophische Texte die in ganz anderen Kontexten zu situieren sind heranzutragen Umgekehrt zeigen uns die an-faumlnglich vorgestellten christlichen Rezensionen des Enchiridion dass Grenzziehun-gen zwischen den beiden Bereichen ihrerseits erheblichen geschichtlichen Variatio-nen unterliegen

24 Diskursmodelle

Angeregt von philosophischen Diskurstheorien lassen sich urchristliche und philoso-phische Texte der fruumlhen Kaiserzeit darauf hin befragen inwieweit sie aktuelle

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sbquoDiskurselsquo dokumentieren und ihrerseits bestimmte Positionen beziehen34 Sie sind also engagiert in argumentativen Dialogen uumlber die Wahrheit von Behauptungen und die Legitimitaumlt von Normen Das klassische Geschaumlft von Exegeten und Philologen die Sortierung von sbquoParallelenlsquo stellt einschlaumlgiges Material fuumlr die Identifizierung von Themen und fuumlr die Rekonstruktion von Rezeptionserwartungen zusammen35 Auf dem weltanschaulichen Markt der fruumlhen Kaiserzeit einer fuumlr antike Verhaumlltnisse hochgradig globalisierten Welt bieten sich sowohl Philosophien wie Religionen als Fuumlhrerinnen zur Lebenskunst und als Weg zum Gluumlck an36 Ihre Diskurse handeln von den fundamentalen Fragen der Lebensorientierung ndash Schicksal und Freiheit Le-ben Tod und Jenseits ndash und von den ethischen und praktischen Problemstellungen rund um Ehe Besitz Sklaverei Freundschaft und Alter37 Sie lassen sich etwa mit Hilfe von Theorien sozialer oder personaler Identitaumlt profilieren38

Es ist attraktiv Epiktets Lehrgespraumlch uumlber die Eleutheria in den zeitgenoumlssischen Diskursen uumlber die Freiheit zu verorten39 an denen sich auch Exponenten von

34 Zur Hochkonjunktur des Diskursbegriffs in den letzten Jahrzehnten vgl die summari-

schen Bemerkungen von K GRUumlNDER Vorbemerkungen zu HWPh 9 (1995) 84ndash86 35 So spielen Epiktets Texte im Neuen Wettstein eine prominente Rolle s unten S 36 Zur Philosophie als exercice spirituelle vgl HADOT 2005 Zu den methodischen Proble-

men bei der Identifizierung von Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament vgl VOLLENWEIDER 2012 298f

37 Instruktiv ist in unserem Zusammenhang der juumlngst erschienene Sammelband unter dem Titel bdquoStoicism in early Christianityldquo (RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010) Behandelt werden ua Fragen der Ethik und des Gesetzes bei Paulus die Darstellung Jesu als Lehrer bei Mt der sbquoemotionalelsquo Jesus in Joh die Weltbrand-Eschatologie (2Petr) das Thema der Sklaverei und der Willensfreiheit

38 So spielt Epiktet bei NGUYEN 2008 eine wichtige Rolle in der Rekonstruktion der Inter-aktionen zwischen den Korinthern und Paulus Auch die bdquoWeltdistanzldquo die zum Ver-gleich von Urchristen und Epiktet einlaumldt (BRAUN 1971 SCHRAGE 2004 WEBER 1999) waumlre heute auf der Basis von Theorien sozialer Identitaumlt zu reformulieren

39 Als besonders herausragende Texte der fruumlhen Kaiserzeit sind neben Epiktet Diss IV 1 und Paulus Roumlm 6ndash8 Gal 45 1Kor 910 zu nennen Dion Or 14ndash15 80 Philon Prob verschiedene Texte von Seneca sodann Cicero Parad 33ndash41 (omnes sapientes liberos esse et stultos omnes servos) Persius Sat 5 Ps-Andron Rhod Pass 97 Nicht erhal-tene Traktate bdquoUumlber die Freiheitldquo oder bdquoUumlber Knechtschaft (und Freiheit)ldquo werden ua Antisthenes (Diog Laert 616) und Kleanthes (Diog Laert 7175 = SVF 1 481) zuge-schrieben Wichtige Quellentexte stellt WILLMS 2011 I 63ndash83 89 zusammen Sein Ver-such eine bdquostoische Urschriftldquo namentlich aufgrund von Uumlbereinstimmungen zwischen Epiktet und Philon zu postulieren ist mE wie viele andere literarkritische Modelle die auf die Quellenkritik des 19 Jh zuruumlckgehen zum Scheitern verurteilt Die Parallelen erweisen sich als so partiell dass sie mit der Annahme von gemeinsamem Traditionsgut ausreichend erklaumlrt werden koumlnnen Die methodisch viel anspruchsvollere Hypothese ei-ner gemeinsamen Quelle laumlsst sich nicht plausibilisieren (vgl dazu bereits VOLLENWEIDER 1989 28f)

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Partialkulturen wie der juumldischen und der christlichen beteiligten Zu beachten ist da-bei dass die Freiheitsdiskurse auch implizit oder explizit politische Akzente setzen etwa im Verhaumlltnis zur imperialen Ideologie40 Wir beschaumlftigen uns im Folgenden exemplarisch mit dem spezifisch theologischen Profil des Freiheitsverstaumlndnisses Epiktets Zugrunde gelegt wird die Annahme dass sein Verstaumlndnis von Freiheit zwar ein deutlich erkennbares individuelles Kolorit aufweist sich aber grundsaumltzlich doch in die klassische stoische Konfiguration einzeichnen laumlsst41

3 Der goumlttliche Grund der Freiheit nach Diss IV 185ndash110

31 Grundlegende Unterscheidungen

Epiktet geht in seinem Lehrgespraumlch von einer weithin konsensfaumlhigen Definition von Freiheit aus die Freiheit zu leben bdquowie man willldquo (sect1)42 Die Argumentation steuert uumlber mehrere Gaumlnge auf ein Verstaumlndnis von Freiheit zu das sich fuumlr die vom Meister in die Unterredung einbezogenen virtuellen Schuumller mit uumlberraschenden Entdeckun-gen verbindet Der soziale Status mit all seinen Implikationen traumlgt nicht nur nichts bei zum Erwerb der Freiheit sondern entpuppt sich sogar als bdquoschoumlnste und glaumln-zendste Sklavereildquo (sect40) Dies gilt zumal dort wo einer nur noch den Kaiser als bdquoHerrn uumlber alleldquo uumlber sich weiss (sect12f) Zentral fuumlr den Befreiungsprozess ist das unablaumlssige Einuumlben jener kognitiven Operation welche die allgemeinen Vorstellun-gen (προλήψεις) mit den konkreten Lebensverhaumlltnissen konfiguriert (ταῖς ἐπὶ μέρους οὐσίαις sect41f)43 bdquoSuche und du wirst findenldquo (sect51)44 Wer

40 Muumlnzen Inschriften und Literatur belegen die Zugkraft des ideenpolitischen Schlagworts

bdquoFreiheitldquo so beanspruchte der Prinzipat die res publica und ihre libertas wiederherge-stellt zu haben

41 Vgl Forschner oben S Anders jetzt ASMIS 2001 der Epiktet eine neue Frei-heitskonzeption zuschreibt (bdquoEpictetus in sum offers a new concept of human freedom according to which the power of choice [sc prohairesis SV] confers on each person the freedom to determine onersquos own characterrdquo 412)

42 Diese gaumlngige Formel begegnet zB auch bei Paulus Gal 517 Roumlm 715ndash19 43 Zum Verstaumlndnis der Prolepsen im Kontext der Oikeiosislehre vgl FORSCHNER 1995

151ndash156 (πρόληψις als bdquoein umrisshafter unbestimmter undifferenzierter Vorgriffldquo der von einem bestimmten Begriff bzw einer Definition zu unterscheiden ist Epiktet ist bdquohier wohl altstoischem Gedankengut verpflichtetldquo 153) Vgl FORSCHNER oben S

44 Zum Bezug zur Jesustradition (Mt 77 usw) vgl WILLMS 2011 I 263ndash265 sowie BETZ 1995 501ndash504 und unten S Die Sentenz ist so weit gestreut dass sie keine Benut-zung des Neuen Testaments durch Epiktet belegt

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nicht von selber dank der dem Logos entsprechenden natuumlrlichen Faumlhigkeiten zur Wahrheit gelangt kann sich an bewaumlhrten Wahrheitszeugen orientieren (sect51f) fak-tisch ist hier der aktuell Lehrende mindestens mitgemeint Epiktet steuert die Unter-redung die in diesem Teil (sect51ndash75) besonders stark als sokratischer Dialog gestaltet ist45 auf seine elementare Formel der Unterscheidung dessen was bdquouns zuhandenldquo und bdquouns nicht zuhandenldquo ist zu (sect65 τὰ μὲν ἐφ᾽ ἡμῖν ἐστιν τὰ δ᾽ ἐπ᾽ ἄλλοις vgl Diss I 1)46 Am Koumlrper selber wird geradezu hautnah der Bereich des Fremden des ἀλλότριον erfahrbar (sect76ndash80) plastisch verbildlicht im Gleichnis eines bepack-ten Esels den man notfalls auch bdquolassenldquo muss ganz zu schweigen vom Zubehoumlr und Gepaumlck (sect79f)

Bereits in diesem Abschnitt macht sich ein entscheidender Bezugstext ein Praumltext bemerkbar der spaumlter explizit zu Wort kommen wird das Gebet des Kleanthes Wird der Esel von anderen requiriert (angareia) so gilt bdquoLass ihn gehen widerstrebe nicht und murre nicht ndash andernfalls wirst du den Esel genauso einbuumlssen nur mit Schlaumlgenldquo Im bdquogenauso hellip nurldquo (woumlrtlich bdquonichts desto wenigerldquo οὐδὲν ἧττον) spielt Epiktet an auf Kleanthesrsquo Vers bdquoWenn ich aber nicht (folgen) wollte waumlre ich ein feiger Schwaumlchling und muumlsste euch nichtsdestoweniger (οὐδὲν ἧττον) folgenldquo (Ench 531)

Mit der Aufforderung unablaumlssig die elementare Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo zu uumlben (sect81) die wiederum im Bereich von Koumlrper und Besitz die Frei-heit von Angst und Begehren eroumlffnet ist die Plattform fuumlr die uns interessierende theologische Deutung etabliert47

Bereits sect82 hat vorausweisenden Charakter Die Bestimmung uumlber das Wesen des Guten und Schlechten faumlllt in den Bereich des Eigenen bdquoWer kann es dir wegnehmen

45 Auf das sokratische Design der Dissertationes hat besonders LONG 2002 67ndash96 uouml

hingewiesen (bdquoSocrates rather than any Stoic philosopher or even the Cynic Diogenes is Epictetus favoured paradigm not only as a model for life but also as a practitioner of philosophical conversationldquo 4) hier auch verbunden mit Kritik an BONHOumlFFER (166f 176)

46 Zu Herkunft und Hintergrund der Formel vgl DOBBIN 1998 65ndash68 WILLMS 2011 I 328ndash337

47 Die Strukturierung unseres Lehrgespraumlchs durch das Nacheinander eines sbquoprofanenlsquo bzw sbquosaumlkularenlsquo Teils als Tradition (sect6ndash90) und eines sbquotheologischenlsquo Teils als Interpretation (sect91ndash131) durch NESTLE 1967 125ndash128 134 (zustimmend GRETENKORD 1981 195f) hat keinen Anhalt am Text (bereits sect89f stellt eine theologische Klimax dar die durch die Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo eng mit der ab sect62 entfalteten Argumen-tation verbunden ist) und arbeitet mit (redaktionsgeschichtlichen) Kategorien die sich bei Epiktet nicht bewaumlhren (das richtige Applizieren der allgemeinen Vorstellungen auf die konkreten Lebensumstaumlnde in sect41f ist eine spezifisch epiktetische Konzeption ohne dass sie deswegen unstoisch waumlre) vgl oben Anm 43)

133

wer kann dich behindern Ebenso wenig kann man Gott behindernldquo Dies wird in sect90 wieder aufgenommen48

32 Das Gleichnis von der Burg und das Basisprinzip (sect85ndash90)

Im Abschnitt sect85ndash110 arbeitet Epiktet mit drei aufeinander folgenden Gleichnissen die jeweils fliessend in allgemeine Aussagen uumlbergehen Burg Reisegesellschaft und Festversammlung Die Befreiung von der Furcht wird verbildlicht mit der Zerstoumlrung der inneren Burg (Akropolis) dem Sitz der Tyrannen Die Metapher uumlberrascht zu-naumlchst da man die innere Festung eher als positives Sinnbild fuumlr die uneinnehmbare Position des Denkvermoumlgens erwartet haumltte49 Sie hat hier aber den Charakter der Zwingburg die man niederreissen oder wenigstens entvoumllkern soll Mit dem erneuten bdquoLassenldquo des Koumlrpers und seiner Teile von Besitz Ehrungen Kindern Geschwistern und Freunden (vgl sect66f) wechseln wir wieder auf die Sachebene (die eher an einen defensiven Ruumlckzug denken laumlsst) Uumlber das Bildelement von den Leibwaumlchtern die ihren bedrohlichen Charakter verloren haben fokussiert der Meister nun auf den Wil-len der von keinem Zwang mehr behindert wird (sect88) und damit auf die Leitdefini-tion am Anfang der Unterweisung (sect1) Wir stehen vor einem Scharnier der Argu-mentation weil nun das theologische Bekenntnis bdquoIch habe mein Streben Gott anheim gestelltldquo eine neue Dimension der wahren Freiheit eroumlffnet und zur Formulierung des Basisprinzips fuumlhrt (sect89ndash90)50

Das Bekenntnis selber verdichtet den stoischen Gedanken der Einfuumlgung in die

48 Dieser Verweis auf Gott unterscheidet sich von Diss I 123 wonach Zeus als houmlchster

Repraumlsentant des bdquoFremdenldquo die eigene Prohairesis nicht bezwingen (νικῆσαι) kann Dazu GRAVER 2003 348f

49 Praumlgnant ist vor allem die Aumlusserung Marc Aurels bdquoDeshalb ist die von Leidenschaften freie Denkkraft eine feste Burg (ἀκρόπολίς ἐστιν ἡ ἐλευθέρα παθῶν διάνοια) denn

nichts Staumlrkeres hat der Menschldquo (VIII 483) als Leitmotiv bei HADOT 1997 156ndash184 Vgl Sen Ep 825 Negativ konnotiert ist die Festung etwa auch bei Philon Fug 148 (bdquoZwingburg der Lustldquo) positiv Abr 150 vom Ort der Augen dem koumlniglichen Sinn Spec 3184 vom Kopf Spec 449 von der Seele

50 Auffaumlllig ist die perfektische Formulierung des Bekenntnisses die sich auch im vorange-gangenen Satz spiegelt (οὐπώποτε mit zwei Verben im Aorist) Spielt Epiktet hier an auf seinen Status als einer von denen die die Wahrheit gesucht und gefunden haben (sect51)

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goumlttliche Weltordnung51 Beim bdquoStrebenldquo (ὁρμή) handelt es sich um einen gaumlngigen Terminus fuumlr die menschlichen Antriebe also den Bereich der Willensbewegungen des θέλειν und βούλεσθαι (vgl sect99) die vom Logos geformt werden muumlssen52

Die folgenden kurzen Saumltze in sect8990 formulieren in aumlusserster Zuspitzung die Rhe-torik arbeitet mit provokanten Paradoxien Der Wille Gottes determiniert den Willen des Subjekts nicht nur vollumfaumlnglich sondern bestimmt auch seine Intentionalitaumlt ndash das Ich bdquowillldquo Peristasen wie Fieber Tod und Folter Die scheinbare Fremdbestim-mung wird schliesslich aufgefangen durch die Analogisierung mit Zeus selber (vgl sect82)53

Das Basisprinzip besteht also in der vollstaumlndigen Konvergenz des Willens des (menschlichen) Subjekts mit dem Willen Gottes eine Konvergenz die im Zeichen der wahren Freiheit steht Es reflektiert die traditionelle Figur des stoischen Determi-nismus der einerseits zwar die Willensfreiheit ganz im Geflecht der kosmischen Kau-salketten aufhebt andrerseits aber das Freiheitspathos steigert54 Offenkundig spiegelt Epiktet hier absichtsvoll zwei verschiedene Modi von Freiheit ineinander diejenige des Entscheidens (Freiheit als Immer-auch-anders-Koumlnnen) und diejenige des Wol-lens (die in der nachmaligen lateinischen Theologie bei Marius Victorinus und beson-ders bei Augustin zur Entfaltung der Willensmetaphysik gefuumlhrt hat)

Die Passage ist so stark von paradoxaler Rhetorik bestimmt dass man sie nicht vor-schnell mit fruumlhchristlichen Texten kontrastieren sollte Epiktet am naumlchsten steht die Szene in Getsemane wo Jesus Gottes Willen seinem eigenen vorordnet bdquoAbba

51 Das Verb προσκατατάσσειν das bei Epiktet nur in Diss IV 1 begegnet meint die Ein-

ordnung unter eine uumlbergeordnete Groumlsse (vgl unten sect9198) und beruumlhrt sich mit κατατάσσειν das in Ench 311 die Eusebeia das angemessene Verhalten gegenuumlber den Goumlttern beschreibt und mit bdquogehorchenldquo bdquosich fuumlgenldquo und bdquofreiwillig folgenldquo expli-ziert wird Besonders praumlgend ist das Sokrateswort in Platons Apologie 28e (τάξις) das Diss I 924 unter dem Einfluss von Leg 12945a (εἰς τάξιν κατατάξῃ) reformuliert wird bdquoGott hat uns einen bestimmten Platz und eine bestimmte Lebensform zugewiesen (κατατέταχεν) die wir nicht verlassen sollenldquo vgl III 14114 (εἰς τοιαύτην ὑπηρεσίαν κατατεταγμένος) II 139 I 134 (von einer uumlbergeordneten Stellung) Un-sere Formulierung in sect89ndash99 druumlckt mit dem zusaumltzlichen Compositum πρoς- auch noch jene dynamische Richtungsbestimmung aus die aus dem Praumltext des Kleanthes stammt (bdquofuumlhre mich [hellip] dahinldquo sect131) προσκατατάσσειν (LSJ 1516a bdquosubjoin append as-sign attachldquo) begegnet nur gelegentlich in der griechischen Literatur (Polyb III 201 [Re-den hinzufuumlgen] Philon Op 131 [Suumlsswasser der Erde zuweisen vgl 38] Cornut Nat deor 323 [Feuchtes in Aumlther uumlberfuumlhren] OGIS 5627 [hinzugefuumlgte Priester]) Vgl WILLMS 2011 I 489f

52 Zenon hat einen Traktat περὶ ὁρμῆς ἢ περὶ ἀνθρώπου φύσεως verfasst (Diog Laert 74 = SVF 1 41) vgl ferner POHLENZ 61991 II 52 77 80f Textintern sind die Bezuumlge der ὁρμή auf das θέλειν durch den voranstehenden wie den nachfolgenden Satz deutlich

53 Fuumlr diese Analogie bietet Diss II 1722ndash25 eine instruktive Parallele bdquoMit einem Wort Wolle nichts anderes als was Gott will Wer wird dich dann noch behindern wer dich zwingen Ebenso wenig wie (man) Zeus (zwingen kann) Wenn du einen solchen Fuumlhrer hast und mit ihm eines Willens und eines Wunsches bist was fuumlrchtest du dann noch an Fehlschlaumlgenldquo Epiktet raumlt auch hier dazu sich nicht zu binden an Reichtum Armut Ge-sundheit Ehre Vater Heimat Freunde und Kinder die alle nicht unserem Verfuumlgungs-bereich zugehoumlren

54 Zugespitzt bei BRAICOVICH 2010 der Epiktets handlungspsychologisches Freiheitsver-staumlndnis konsequent deterministisch deutet Zur allgemeinen Diskussion des stoischen Determinismus vgl STEINMETZ 1994 610ndash612 GUCKES 2004 12ndash17 im Zusammenhang mit Epiktet LONG 2002 220ndash222 (bdquothe autonomous person as someone who voluntarily complies with a predetermined situationldquo 222) sowie FORSCHNER oben S

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Vater alles ist dir moumlglich Lass diesen Kelch an mir voruumlbergehen Doch nicht was ich will sondern was du willstldquo (Mk 1436 vgl Mt 2639 Lk 2242)55 Die nur bei Mk vorkommende Allmachtsformel haumllt die ndash nicht realisierte ndash Moumlglichkeit offen dass Jesu eigener Wille dem Leiden zu entgehen sich verwirklichen liesse Der Vers der in der altkirchlichen Zweinaturenchristologie intensiv debattiert worden ist scheint es im Kontrast zu Epiktet bei einem sbquoproduktivenlsquo Gegenuumlber von zwei Wil-lensbewegungen zu belassen ndash eine Asymmetrie von erheblichem anthropologischem Gewicht Der Unterschied des Genre will freilich beachtet sein Waumlhrend Epiktet in einem argumentativen Text das Resultat einer geradezu lebenslaumlnglich vollzogenen Uumlbung (askesis) in praumlsentischen Paradoxien versprachlicht markiert die Getsemane-Erzaumlhlung der Evangelien eine Station auf dem Passionsweg Jesu der die vollstaumlndige Konvergenz der beiden Willensbewegungen narrativ zur Darstellung bringen wird Jesus ergibt sich als leidender Gerechter in den Gotteswillen bis zum Tod am Kreuz

Keine direkte Relevanz fuumlr die von uns hier diskutierte Thematik hat die Problemati-sierung der Einheit des menschlichen Willensbereichs56 Sowohl Epiktet (Diss II 1718f II 261 uouml) wie Paulus (Roumlm 715ndash19) sprechen vom inneren Zwiespalt des Menschen und orientieren sich dabei an einer in der Antike verbreiteten Figur die auf die Gestalt der euripideischen Medea zuruumlckfuumlhrt Die zugrunde liegenden anthropo-logischen Konzeptionen sind zwar denkbar verschieden Dem grundsaumltzlich monisti-schen Ansatz Epiktets steht der dualistische des Paulus gegenuumlber57 Es faumlllt aber auf dass beide das fuumlr die Medea-Rezeption traditionelle Schema des Gegensatzes von Erkennen und Trieb von Vernunft und Leidenschaft durch eine weit radikalere Deu-tung uumlberlagern Der Zwiespalt im Inneren ist uumlberhaupt nur retrospektiv durchschau-bar geworden erst das Ereignis der Befreiung laumlsst es zur Erkenntnis der Sklaverei kommen Dabei sprechen beide von der Unfreiheit gut traditionell als dem bdquoTun was ich nicht willldquo58

Freiheit wird praumlsentiert als Anerkennung dessen was ohnehin nicht zur Disposition steht und nicht anders sein kann als es der Fall ist Das klassische Bild der Stoiker

55 Die Uumlbersetzung biblischer Texte richtet sich meistens nach der Zuumlrcher Bibel 2007 56 Der optimistischen Anthropologie Epiktets laumlsst sich dann diejenige des Paulus gegen-

uumlberstellen die zwar nicht pessimistisch ist aber Suumlnde nicht im kognitiven Bereich son-dern im Willensbereich platziert vgl zB SCHNELLE 2009 156f

57 Zum Verhaumlltnis zwischen Epiktet und Roumlm 7 vgl HUTTUNEN 2005 ferner VOLLENWEIDER 1989 350ndash352

58 Vgl oben bei Anm 42 Das Versklavtsein wird bei Epiktet deswegen nicht so ausweglos wie bei Paulus wahrgenommen weil es wesentlich auf falschem Denken beruht

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stellt der an einen Wagen festgebundene Hund dar der entweder aus eigenen Stuumlcken mitgeht oder aber mitgeschleift wird59

33 Das Gleichnis von der sicheren Reisegesellschaft (sect91ndash98)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft changiert zwischen Bildrede und eigentlicher Rede Mit οὕτως (sect91) wird das Bild eingefuumlhrt ebenfalls mit οὕτως erfolgt der Wechsel zur Sachebene naumlmlich zur kosmischen Position des Verstaumlndigen (sect9298) dessen Selbstgespraumlch wieder auf der Bildebene spielt (sect92ndash97) Mit seinen Hinwei-sen auf hoch gestellte Personen besonders den Status des Freunds des Kaisers wird Bezug genommen auf fruumlhere Passagen (sect8ndash15 45ndash50) Das Selbstgespraumlch endet ironisch in einer Aporie ndash selbst in der Einoumlde gibt es keinen Schutz vor negativen Maumlchten (sect97) Erst der Anschluss an Gott ermoumlglicht eine sichere Reise Die Philo-sophie spielt hier ihre in hellenistischer und kaiserzeitlicher Zeit zentral gewordene Rolle als Ratgeber fuumlr den Umgang mit jederzeit drohenden Kontingenzen und ant-wortet auf ein Anliegen das auch die zeitgenoumlssischen Religionen das Christentum so gut wie Mysterienreligionen und magische Praktiken bearbeiten

Die traditionelle und uumlberaus reiche Metaphorik des Wegs deckt ein breites Spektrum ab Die hauptsaumlchliche Konnotation die auch bei Epiktet reichhaltig begegnet ist die-jenige des Zusammenhangs von Weg und Ziel So spricht unser Lehrgespraumlch sum-mierend vom Weg zur wahren Freiheit (sect131)60 Das Reisegleichnis in Diss II 2336ndash39 raumlt dazu Raststaumltten wieder zu verlassen um zur Heimatstadt zu gelangen (εἰς τὴν

πατρίδα ἐπανελθεῖν)61 Auch wo Gott (II 710f) oder der wahre Kyniker (III 2226) den rechten Weg weisen ist das Ziel im Blick62 Aumlhnlich steht es mit der christ-lichen Wegmetaphorik63 In unserem Zusammenhang geht es dagegen ausschliesslich um das sichere Reisen ndash in der Sprache heutiger Lebensratgeber der Weg ist das Ziel Fuumlr die Reisegemeinschaft mit Gott bietet II 1723 eine bemerkenswerte Parallele da hier neben der Konvergenz des Wollens auch die Analogie mit Zeus figuriert (sect22)64 Das Leben laumlsst sich generell mit einer Reise vergleichen65 III 139ndash11 stellt heraus dass nur die Philosophie nicht aber der Kaiser si-

59 Chrysipp () SVF 2 975 vgl POHLENZ 82010 I 106 STEINMETZ 1994 611f weiteres bei

VOLLENWEIDER 1989 75f 60 Vgl IV 439 vom Weg zur wahren εὔροια 61 Auch hier wird explizit der Bezug zur Freiheit hergestellt (sect42) verbunden mit dem bdquomit

ganzem Herzenldquo zu sprechenden Gebet des Kleanthes 62 Vgl ferner I 1618 II 216 II 123 III 263f IV 24 IV 659 IV 916 63 Vgl den Uumlberblick (auch zur Umwelt) von W MICHAELIS Art ὁδός κτλ ThWNT 5

(1954) 42ndash118 sowie die bei WILLMS 2012 II 709 genannte Literatur 64 Vgl oben Anm 53 65 Diss II 510 von der Seereise wo bdquoeiniges an mir liegt anderes aber nichtldquo vgl ferner II

1624 I 99 II 1737f in III 2493 wird die Abreise mit dem Sterben verglichen

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cheren Reiseschutz verleihen kann (vgl sect3) Es gibt durchaus neutestamentliches Vergleichsmaterial Die Nachfolge auf Jesu Weg wie ihn die Evangelien darstellen ist transparent fuumlr den Lebensweg der Christusglaumlubigen (Mk 827ndash1052 besonders 834) Dieser ist freilich auch wieder auf ein Ziel hin orientiert naumlmlich auf die Pas-sion und das Kreuz Epiktets goumlttlicher Reisegesellschaft am naumlchsten kommen wir mit der Topik des bdquoMitseinsldquo Jesu bzw Gottes mit den Glaubenden (Mt 2820 vgl 123 1820 Joh 1416f [vom Geist]) welche die gesamte biblische Tradition des Mit-gehens Gottes mit seinem Volk insbesondere waumlhrend der Wuumlstenwanderung sum-miert Obschon der Lebensweg die Stoiker in widrige Umstaumlnde und die Christen in das Martyrium fuumlhren mag gibt die Gemeinschaft mit Gott ultimative Sicherheit Der Vergleich fuumlhrt uns also wieder in den Bereich der Passionsgeschichte Waumlhrend fuumlr die Christen der Gottessohn und somit der in diesem praumlsente Gott selber den Weg des Leidens geht sieht sich der Stoiker gewiesen an Vorbilder die paradigmatisch das Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens vor Augen stellen zumal an Herakles und Sokrates Zwar ist auch ihr Gott im Kosmos gegenwaumlrtig aber da er das harmo-nisch gefuumlgte Ganze repraumlsentiert ist er den immer nur einzelne Teile betreffenden Turbulenzen nicht ausgesetzt

34 Das Gleichnis von der Festversammlung (sect99ndash110)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft endet in einem radikalen Ruumlckzug aus dem Bereich des Ungewissen der nicht einmal in der Einsamkeit der Einoumlde haltmacht sondern gleichsam in die Unweltlichkeit versetzt Dieser Reduktionsbewegung auf einen einzigen Punkt der mit Gott identifiziert wird kommt nun eine expandierende Bewegung entgegenzustehen die in die Weite des Kosmos und die universale Ge-meinschaft hinaus weist

Mit dem erneuten Ruumlckgriff auf das theologische Bekenntnis und das Prinzip von sect89 baut Epiktet sukzessive ein neues Gleichnis auf das sich mit kosmologischen Deu-tungen verbindet Im Fokus stehen nun die Willensbewegungen Gottes und sein ord-nendes Wirken im Kosmos Die Basisunterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoAnderemldquo wird theologisch akzentuiert Im Bereich des Eigenen figuriert die freie Selbstbestim-mung die Prohairesis66 der Bereich des Anderen wird der Gottheit und ihrem Wal-ten dem bdquoKreislauf des Allsldquo zugemessen (sect100) Koumlrper Besitz sowie Haus Kinder und Frau (vgl sect66f 87 107 111) Alles wovon sich der Verstaumlndige innerlich als

66 Zur Prohairesis vgl FORSCHNER in diesem Band S [[Typoskript S 5]] ferner STE-

PHENS 2007 16ndash25 (bdquoProhairesis as selfldquo) und die Diskussion von ENGBERG-PEDERSEN 2010 212ndash214 (bdquotrue human selfldquo) mit LONG 2002 28ndash30 207ndash220 (bdquovolitionldquo)

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dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

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logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

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41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

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Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

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Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

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-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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WALTER N Zur Chronik des Corpus Hellenisticum von den Anfaumlngen bis 195558 in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenis-ticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 325ndash344

WEBER R Die Distanz im Verhaumlltnis zur Welt bei Epiktet Jesus und Paulus in B KOLLMANN ua (Hg) Antikes Judentum und fruumlhes Christentum FS H Stege-mann Berlin ua 1998 327ndash349

WEHNER B Die Funktion der Dialogstruktur in Epiktets Diatriben (Philosophie der Antike 13) Stuttgart 2000

WENDLAND P Rez Th Zahn Der Stoiker Epiktet ThLZ 19 (1895) 493ndash495 WETTSTEIN JJ Novum Testamentum Graecum Amsterdam 175152 (= Graz 1962) WILLMS L Epiktets Diatribe Uumlber die Freiheit (41) Einleitung Uumlbersetzung Kom-

mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 7: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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det ist zuteil werdeldquo (703f ὅστις δὲ ἑκὼν εὐπειθῶς ἕπεται θεῷ σοφὸς παρ᾽ ἡμῖν καὶ θεῷ δὲ προσφιλήςmiddot ὃ γὰρ τῷ θεῷ φίλον τοῦτο ἡμῖν γενέσθαι εὐχόμεθα)

Das zweite Platonzitat uumlber diejenigen die wohl toumlten nicht aber schaden koumlnnen wird um einige Peristasen erweitert und gipfelt im Jesuswort Mt 1028a bdquoFuumlrchtet euch nicht vor denen die den Koumlrper toumlten die Seele aber nicht toumlten koumlnnenldquo

Diese dritte christliche Relektuumlre des Enchiridion geht in einigen Punkten erheblich weiter als die anderen beiden17 Dies aumlndert aber nichts daran dass der groumlsste Teil des Handbuumlchleins unter gelegentlichen Adaptationen uumlbernommen wird

An dieser Stelle weisen wir auf die besonders interessante griechische Kommentie-rung dieser Paraphrasis hin die in fruumlhbyzantinischer Zeit entstanden ist18 Der ano-nyme und leider sehr unvollstaumlndige Kommentar orientiert sich konsequent am Mo-dell einer bdquochristlichen Philosophieldquo (Praef 1 8) Die Bibel spielt freilich keine for-mative Rolle Am staumlrksten sind die biblischen Bezugnahmen in der Exegese des Gleichnisses vom Steuermann (Ench 7) das in allen drei Versionen ziemlich wort-getreu wiedergegeben wird (Ps-Neilos 12ab Vat 10 Par 10)19 Die Schifffahrt hat zum Ziel die bdquoallein wahre Heimatldquo wo bdquomit Christus Herkunft und Genossen und das Gemeinwesen der Heiligenldquo zu finden sind (Comm 106) Hier bezieht sich der Kommentator auf die Gottesstadt des Neuen Testaments20

Wir bilanzieren unsere Exkursion in die Rezeptionsgeschichte des Enchiridion Epik-tets mit einer schlichten Einsicht Die Bestimmung von spezifisch Christlichem das mit stoisch-epiktetischer Philosophie kontrastiert unterliegt erheblichen historischen Wandlungen Die christliche Usurpation ndash am deutlichsten indiziert durch das Aus-blenden des urspruumlnglichen Autors ndash generiert ein neues Referenzsystem An die Stelle der Klassiker treten die Schrift und die Vaumlter die vielen Goumltter weichen dem einen Gott bestimmte lebensweltliche Verhaumlltnisse werden vom christlichen Ethos korrigiert Wir notieren speziell dass es sich bei unseren Texten hauptsaumlchlich um

17 BOTER 1999 206 bdquoThe author of Par shows much more intellectual independence theo-

logical acumen and philosophical insight than his two Christian colleaguesrdquo SPANNEUT 2007 25 diese Instruktionen christianisieren den Text bdquoen profondeur plus que les deux autres adaptateurs avec une note personnelle plus affirmeacuteeldquo

18 Ausgabe M SPANNEUT (Ed) Commentaire sur la paraphrase chreacutetienne du Manuel dlsquoEpictegravete Introduction texte etc (SC 503) Paris 2007

19 Par und Vat fuumlgen dem Epiktet-Text eine Schlusspartie hinzu die das Bild der gefessel-ten Schafe im Gleichnis auf den Greis appliziert Fuumlr uns wichtiger ist die nur von Par gebotene Variation dessen was der Weise zu bdquolassenldquo hat statt von dem bdquoFrauchenldquo und dem Kind bei Epiktet ist hier die Rede von bdquoBruumldern oder Freunden oder Verwandten oder dem Hausldquo (104) ndash wahrscheinlich ein Reflex des Nachfolgeworts Mk 1029 Mt 1929 Lk 1829

20 Phil 320 Eph 219 und Hebr 1114ndash16 (vgl 1222ndash24)

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monastische Relektuumlren Epiktets handelt die den Weisen und Philosophen aktualisie-rend auf den Moumlnch speziell den Anachoreten beziehen Die Naumlhe Epiktets zu kyni-schem Traditionsgut duumlrfte die monastische Rezeption noch befoumlrdert haben spannen sich doch einige Bruumlcken von der Askese der Kyniker zum oumlstlichen Moumlnchtum

2 Der neuzeitliche Epiktet Nachbar oder Antipode des Christentums

Unter Absehung von spaumlteren byzantinischen sowie humanistischen und fruumlhneuzeit-lichen Rezeptionsspuren springen wir aus der spaumlten Antike direkt in die Moderne Zur Bestimmung des Verhaumlltnisses von Epiktet und Neuem Testament bieten sich zwei verschiedene Modelle an die untereinander auch in Wechselwirkung treten koumln-nen Dependenzmodell und komparatistisches Modell Unser Interesse gilt zunaumlchst dem ersteren das sich primaumlr mit einem moumlglichen Einfluss des Fruumlhchristentums auf den hauptsaumlchlich zu Beginn des 2 Jahrhunderts lehrenden Philosophen beschaumlftigt

Fuumlr jede moumlgliche Modellbildung ist festzuhalten Epiktet hat Kenntnis von den Chris-ten In seinem Lehrgespraumlch uumlber die Furchtlosigkeit (Diss IV 75ndash6) reiht er die bdquoGalilaumlerldquo unter diejenigen ein die aufgrund von Wahnsinn Geistesstoumlrung und Ge-wohnheit zu einer Furchtlosigkeit finden die wir heutzutage etwa mit Selbstmordat-tentaumltern verbinden Die christliche Demonstration der Todesverachtung im Amphi-theater tadelt auch Marc Aurel (XI 32)21

21 Epiktet reagiert auf das Christentum Das Dependenzmodell

Dieses Modell geht davon aus dass sich bestimmte Zuumlge in Epiktets Philosophie christlichem Einfluss verdanken sei es im Modus der Uumlbernahme oder aber der An-tireaktion Exemplarisch fuumlr diese heute weitgehend uumlberholte Verhaumlltnisbestimmung steht die Rektoratsrede von Theodor Zahn aus dem Jahr 189422 Der konservative Theologe stellt nicht nur erhebliche Widerspruumlche im Denken Epiktets fest23 sondern rechnet auch mit einem markanten Einfluss christlicher Gedanken etwa

21 Kaum als Reflex auf das Christentum kommen Epiktets Bemerkungen zur bdquoTaufeldquo in

Diss II 920f in Betracht Sie nehmen eher Bezug auf juumldische als auf christliche Taumlufer-gruppen vgl LONG 2002 17 110 Anm 9

22 Nicht zugaumlnglich ist mir das ebenso hier zu klassifizierende Werk des Hollaumlnders K KUIPER Epictetus en de Christelijke Moraal Amsterdam 1906 das bei Bonhoumlffer 1911 eingehend besprochen wird Kuiper zufolge reagiert Epiktet polemisch auf die christli-chen Texte und Theologien dieser wird also zu einem fruumlhen auctor adversus Christia-nos

23 ZAHN 1895 18f 23ndash26

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beim Eid bei der Gotteskindschaft bei Herakles als Heiland oder beim gottgesandten apostelgleichen Kyniker24

22 Gelaumluterte Religion Bonhoumlffers vergleichendes Modell

Die Monographie bdquoEpiktet und das Neue Testamentldquo von Adolf Bonhoumlffer aus dem Jahr 1911 markiert das wohl definitive Ende der Dependenzmodelle In einer detail-lierten Auseinandersetzung stellt der Philologe heraus dass es keine uumlberzeugenden Indizien fuumlr eine Abhaumlngigkeit Epiktets vom Neuen Testament gibt ndash wie auch umge-kehrt keine nennenswerten stoischen Einfluumlsse auf das Urchristentum geltend ge-macht werden koumlnnen Die bisher in Anspruch genommenen Uumlbereinstimmungen er-weisen sich teilweise als konstruiert teilweise als Resultat von Konvergenzen die bei naumlherem Zusehen doch jeweils sehr verschiedene kulturelle Kontexte zum Ausdruck bringen Bonhoumlffer arbeitet ndash wie manche bereits vor ihm ndash mit einem vergleichenden Modell das vor allem in seiner bdquosystematischen Vergleichung Epiktets und des Neuen Testamentsldquo greifbar wird25

Bonhoumlffer ist sich der Gefahr einer nicht angemessenen Systematisierung bewusst Waumlhrend sich die neutestamentliche Theologie erst noch entwickelt ruht Epiktets Denken zwar bdquodurchweg auf einem ganz genau umrissenen und ins einzelne hinein fest formulierten System der alten orthodoxen Lehre der Stoaldquo26 wird aber von bdquosei-ner eigenen vom stoischen Geist durchdrungenen Persoumlnlichkeitldquo formiert und reprauml-sentiert (340) Bonhoumlffer arbeitet Analogien wie Kontraste heraus Zu den Gemein-samkeiten zaumlhlen die bdquogelaumluterte Religiositaumltldquo die Verbindung von Religion und Mo-ral der Idealismus und sittliche Ernst (341ndash354) zu den Kontrasten der Gegensatz von Vernunft und Offenbarung oder von Diesseitigkeit und Jenseitigkeit (354ndash357) Offenkundig wurzelt Bonhoumlffer in der zeitgenoumlssischen liberalen Theologie die im spaumlten 19 und fruumlhen 20 Jh gemeinsam mit den anderen Geisteswissenschaften ein sbquokulturprotestantischeslsquo Profil aufweist Gemessen am liberal-theologischen Jesusbild bleibt fuumlr Bonhoumlffer der epiktetische Theismus defizitaumlr bdquoMit dem allem soll aber nun keineswegs gesagt sein dass die Religiositaumlt Eprsquos der neutestamentlichen vollauf ebenbuumlrtig seildquo Es bdquoerreicht auch die Froumlmmigkeit Eprsquos so echt sie empfunden ist doch die Houmlhe der christlichen nichtldquo27 So weht bdquoein waumlrmerer Geist der Menschen-liebe durch das Neue Testament [hellip] als selbst durch die Reden eines Epldquo (382) Kritisiert wird auch die vornehmlich Eliten adres-

24 ZAHN 1895 28ndash33 Eine vernichtende Kritik stammt von WENDLAND 1895 Zahn miss-

verstehe Epiktet nicht nur haumlufig sondern zeige eine bdquovoumlllig unzureichende Kenntnis der kynischen und stoischen Literaturldquo (495)

25 BONHOumlFFER 1911 339ndash390 26 Diesen Nachweis lieferte BONHOumlFFER bereits 1890 sowie 1894 27 BONHOumlFFER 1911 344

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sierende Stoa die bdquodurch ihre historische Gebundenheit an die Lehrformen des aris-tokratischen Partikularismus gehindert war ihre universelle Mission zu erfuumlllenldquo (388) Umgekehrt zeigt Epiktet in manchen Lebensbereichen eine natuumlrlichere Ein-stellung ndash dies erweisen bdquoein frisches und gesundes Interesse an dem Weltgeschehen und am Tun und Treiben der Menschheitldquo die bdquoFreude an den Werken der Technik und der Kunstldquo die Einstellung zu Leiblichkeit und Sexualitaumlt (366f) sowie das bdquopo-sitive Interesse an der Menschheitldquo (377) Erstaunlich wenig gewichtet wird die bdquoDiesseitigkeitldquo Epiktets die sich markant mit der Jenseits- und Endzeitbezogenheit des Urchristentums kontrastieren liesse

Es ist Rudolf Bultmann der Bonhoumlffers Verhaumlltnisbestimmung einer fundamentalen Kritik unterzieht28 Mit ihm meldet sich bereits jene Generation von Neutestamentlern aus der Religionsgeschichtlichen Schule und der Dialektischen Theologie zu Wort die mit der liberalen Theologie brechen wird29 In einer raschen Replik auf Bultmanns Kritik stellt Bonhoumlffer seinerseits seine Position noch einmal deutlich heraus Gegen-uumlber der ziemlich negativen Wahrnehmung Epiktets durch den Theologen gibt er zu bedenken dass dessen Kritik durchaus und zu noch groumlsseren Teilen just auch das neutestamentliche Christentum traumlfe30

Bonhoumlffers Vergleich von Epiktet und Neuem Testament laumluft auf die Konstatierung einer grundsaumltzlichen Verschiedenheit hinaus die aber Gemeinsamkeiten nicht aus-schliesst Auch wenn sich Urchristen und Epiktet auf Augenhoumlhe treffen zeichnen sich erstere doch durch ein Mehr an genuiner Religiositaumlt aus Beide Typisierungen verraten deutlich ihren kulturgeschichtlichen Hintergrund zu Beginn des 20 Jahrhun-derts ndash die Wertschaumltzung der sbquogenialenlsquo religioumlsen sbquoPersoumlnlichkeitlsquo und des sbquosittlichlsquo orientierten Weltverhaumlltnisses

23 Ein Zwischenhalt Methodische Uumlberlegungen

Der Grundansatz von Bonhoumlffer von zwei im Ansatz sehr verschiedenen kulturellen Bildungen auszugehen naumlmlich der stoischen Philosophie und ihrer besonderen in-dividuellen Brechung bei Epiktet einerseits der urchristlichen Religion und ihrer

28 BULTMANN 1912 (Bonhoumlffers Buch scheint bdquosowohl in der Anlage wie in der

Erfassung des Problems verfehlt zu seinldquo 97) 29 In Bultmanns Positionsbezug gegen Bonhoumlffer tritt dies allerdings noch nicht deutlich

hervor So bestimmt er als bdquoZentralpunkt der Differenzldquo zwischen Epiktet und Neuem Testament bdquoein ganz verschiedenes Individualitaumltsgefuumlhl [] ein ganz verschiedenes Per-soumlnlichkeitsbewusstseinldquo (182 vgl 186ndash190) Nicht anders als Bonhoumlffer steht Bultmann dem Religionsverstaumlndnis der liberalen Theologie noch nahe vgl seine Bemerkung uumlber den Unterschied zum frostigen Seneca bdquoEpiktets Froumlmmigkeit verbreitet eine sonnige Heiterkeit Waumlrme und Frieden um sichldquo (110) Die Gegensaumltze werden in der spaumlteren Darstellung bdquoDas Urchristentum im Rahmen der antiken Religionenldquo (1949) viel schaumlrfer gezeichnet s unten bei Anm 32

30 BONHOumlFFER 1912 288f

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theologischen Reflexion etwa bei Paulus andrerseits hat sich als plausibel und weg-weisend erwiesen Wo immer die beiden Kulturgestalten komparatistisch auf einander bezogen werden orientiert man sich an diesem Basismodell31 Die Umbruumlche in den Geistes- und Kulturwissenschaften seit der Mitte des 20 Jahrhunderts haben freilich die Koordinaten entlang denen das Wirklichkeitsverstaumlndnis und die Ethik der Stoi-ker wie der Christen rekonstruiert werden tiefgreifend veraumlndert So hat sich auf der Seite der neutestamentlichen Theologie die urchristliche Eschatologie in den Vorder-grund geschoben die die Kontrastierung zur griechisch-hellenistischen Philosophie noch einmal anders konturiert32 In juumlngerer Zeit hat das Interesse an einem umfas-senden sbquoSystemvergleichlsquo deutlich abgenommen33

31 Grunddifferenzen bei gleichzeitigen Konvergenzen werden herausgearbeitet etwa bei

GRETENKORD 1981 261ndash305 KLAUCK 1989 ders 1996 85ndash88 92 GALLOWAY 2004 HUTTUNEN 2005 SCHNELLE 2009 RAMELLI 2009 WILLMS 2011 I 431f uouml Auch die juumlngste Gesamtdarstellung von Epiktet liegt auf dieser Linie LONG 2002 3 (bdquoEpictetus has also been misunderstood because his appeals to theology which are ubiquitous have been consciously or unconsciously read in the light of Christianity In my opinion Epic-tetusrsquo deepest ideas are remote from the main Christian message notwithstanding notable parallels between some things he says and the New Testamentldquo) 143ndash147 176

32 Bereits BULTMANN 1912 185ndash188 stellt ua das Fehlen eines Geschichtsbewusstseins in der Philosophie fest bdquoEtwas Neues ist nie gekommenldquo (185) Auf dieser Linie urteilt er spaumlter bdquoder Stoiker meint seine Zeitlichkeit eliminieren zu koumlnnen seine sbquoEntweltli-chunglsquo ist sbquoEntzeitlichunglsquoldquo (194941976 161) Ich selber habe versucht die Differenz zwischen Stoikern und Urchristen am ineinander verschraumlnkten Verhaumlltnis der drei Zeit-modi herauszuarbeiten und in die Kosmologie zu extrapolieren Waumlhrend die Gegenwart in der Perspektive der Christen von der endzeitlichen Zukunft tangiert wird steht sie bei den Stoikern im Bann der Vergangenheit Dem sich ewig wiederholenden Kosmos steht die sich vorerst partikular realisierende neue Schoumlpfung entgegen VOLLENWEIDER 1989 44ndash53 404f vgl unten S

33 Eine Ausnahme stellt der neuere Versuch von ENGBERG-PEDERSEN 2000 dar stoische Phi-losophie und paulinische Theologie idealtypisch zu vergleichen statt sich von der Frage nach historischen Beeinflussungen engfuumlhren zu lassen Die Basis dafuumlr stellt ein kom-plexes theoretisches Modell bereit das die Wechselwirkung zwischen Individuum Ge-meinschaft und dem Goumlttlichen bzw dem Logos beschreibt (33ndash44) Der Erkenntnisge-winn der Studie reicht genau so weit wie die Leserschaft bereit ist diesem Modell Plau-

sibilitaumlt zuzuerkennen ndash In seinem juumlngsten Buch fuumlhrt ENGBERG-PEDERSEN (2010 106ndash138) einen Vergleich speziell zwischen Epiktet und Paulus durch Er konzentriert sich dabei auf die Gotteserkenntnis und stellt neben Differenzen erhebliche Uumlbereinstimmun-gen fest Problematisiert werden die bisher gelaumlufigen Differenzkriterien von self-suffi-ciency (resp human agency) versus dependence (resp divine agency) und damit zusam-menhaumlngend von philosophy versus apocalypticism Bezuumlglich des erstgenannten Duals ist Engberg-Pedersen mE im Recht beim zweitgenannten aber kaum (vgl die vorherige Anm) Die Gotteserkenntnis ihrerseits hat bei den beiden Denkern einen derart unter-schiedlichen Stellenwert dass sie schwer vergleichbar ist zumal sie bei Paulus christolo-gisch vermittelt ist Ausserdem laumldt die Konvergenzformel bdquoknowledge (of God) as align-ment with Godldquo nicht primaumlr die Stoiker sondern vielmehr die Platoniker mit ihrer ὁμοίωσις θεῷ zum Gespraumlch mit Paulus Epiktet duumlrfte gerade an diesem Punkt plato-nische Motive rezipiert haben (vgl unten Anm 98) was vielleicht auch fuumlr Paulus gilt (so VAN KOOTEN 2008) Auch bei anderen Thesen des Buchs legen sich statt stoischer eher platonische Bezuumlge nahe vgl die Rezension von R HIRSCH-LUIPOLD Early Christianity 3 (2012) 122ndash133

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Methodisch gesehen erweist sich das komparatistische Geschaumlft als uumlberaus komplex Ich weise auf wenigstens drei Punkte hin wo ein umsichtiges historisches und herme-neutisches Urteil gefordert ist

1 Ein Vergleich kommt nur dort angemessen zum Zug wo beide Seiten in optimam partem interpretiert werden wo also Abstinenz gegenuumlber vorschnellen Verurteilun-gen eingeuumlbt wird Die neutestamentliche Exegese hat waumlhrend der letzten Jahrzehnte auf einem anderen Feld naumlmlich in der Einschaumltzung des Fruumlhjudentums geradezu einen Paradigmenwechsel vollzogen Anstatt das Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels als dunkle Folie zu entwerfen von der sich das entstehende Christentum strahlend abhebt wird es nun in seinem eigenen Selbstverstaumlndnis und unter Verzicht auf Werturteile rekonstruiert Es legt sich nahe diesen Typ einer interessierten und aufmerksamen Hermeneutik auch der Wahrnehmung hellenistischer Philosophen zu-gutekommen zu lassen

2 Der Versuch uumlberaus vielfaumlltige geschichtliche Kulturerscheinungen auf basale Figuren hin zu typisieren muss die Grenzen seiner Reichweite explizit reflektieren und sich mit der dienenden Rolle einer heuristischen Kunst bescheiden Sowohl die sokratisch modellierten und praktisch ausgerichteten Lehrgespraumlche Epiktets wie die Briefe und Erzaumlhltexte des Neuen Testaments bleiben widerstaumlndig gegenuumlber aller Systematik

3 Gerade weil umfassende geisteswissenschaftliche Rekonstruktionen unaus-weichlich im Kontext ihrer eigenen Zeit stehen muumlssen sie konsequent darauf hin befragt werden ob sie die historischen Phaumlnomene noch angemessen vergegenwaumlrti-gen und nicht ungebuumlhrlich verzerren So ist es nicht ratsam Figuren die sich erst im Lauf der christlichen Theologiegeschichte herausgebildet haben ndash beispielsweise die Kontrastierung von Selbsterloumlsung und Gnade ndash an philosophische Texte die in ganz anderen Kontexten zu situieren sind heranzutragen Umgekehrt zeigen uns die an-faumlnglich vorgestellten christlichen Rezensionen des Enchiridion dass Grenzziehun-gen zwischen den beiden Bereichen ihrerseits erheblichen geschichtlichen Variatio-nen unterliegen

24 Diskursmodelle

Angeregt von philosophischen Diskurstheorien lassen sich urchristliche und philoso-phische Texte der fruumlhen Kaiserzeit darauf hin befragen inwieweit sie aktuelle

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sbquoDiskurselsquo dokumentieren und ihrerseits bestimmte Positionen beziehen34 Sie sind also engagiert in argumentativen Dialogen uumlber die Wahrheit von Behauptungen und die Legitimitaumlt von Normen Das klassische Geschaumlft von Exegeten und Philologen die Sortierung von sbquoParallelenlsquo stellt einschlaumlgiges Material fuumlr die Identifizierung von Themen und fuumlr die Rekonstruktion von Rezeptionserwartungen zusammen35 Auf dem weltanschaulichen Markt der fruumlhen Kaiserzeit einer fuumlr antike Verhaumlltnisse hochgradig globalisierten Welt bieten sich sowohl Philosophien wie Religionen als Fuumlhrerinnen zur Lebenskunst und als Weg zum Gluumlck an36 Ihre Diskurse handeln von den fundamentalen Fragen der Lebensorientierung ndash Schicksal und Freiheit Le-ben Tod und Jenseits ndash und von den ethischen und praktischen Problemstellungen rund um Ehe Besitz Sklaverei Freundschaft und Alter37 Sie lassen sich etwa mit Hilfe von Theorien sozialer oder personaler Identitaumlt profilieren38

Es ist attraktiv Epiktets Lehrgespraumlch uumlber die Eleutheria in den zeitgenoumlssischen Diskursen uumlber die Freiheit zu verorten39 an denen sich auch Exponenten von

34 Zur Hochkonjunktur des Diskursbegriffs in den letzten Jahrzehnten vgl die summari-

schen Bemerkungen von K GRUumlNDER Vorbemerkungen zu HWPh 9 (1995) 84ndash86 35 So spielen Epiktets Texte im Neuen Wettstein eine prominente Rolle s unten S 36 Zur Philosophie als exercice spirituelle vgl HADOT 2005 Zu den methodischen Proble-

men bei der Identifizierung von Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament vgl VOLLENWEIDER 2012 298f

37 Instruktiv ist in unserem Zusammenhang der juumlngst erschienene Sammelband unter dem Titel bdquoStoicism in early Christianityldquo (RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010) Behandelt werden ua Fragen der Ethik und des Gesetzes bei Paulus die Darstellung Jesu als Lehrer bei Mt der sbquoemotionalelsquo Jesus in Joh die Weltbrand-Eschatologie (2Petr) das Thema der Sklaverei und der Willensfreiheit

38 So spielt Epiktet bei NGUYEN 2008 eine wichtige Rolle in der Rekonstruktion der Inter-aktionen zwischen den Korinthern und Paulus Auch die bdquoWeltdistanzldquo die zum Ver-gleich von Urchristen und Epiktet einlaumldt (BRAUN 1971 SCHRAGE 2004 WEBER 1999) waumlre heute auf der Basis von Theorien sozialer Identitaumlt zu reformulieren

39 Als besonders herausragende Texte der fruumlhen Kaiserzeit sind neben Epiktet Diss IV 1 und Paulus Roumlm 6ndash8 Gal 45 1Kor 910 zu nennen Dion Or 14ndash15 80 Philon Prob verschiedene Texte von Seneca sodann Cicero Parad 33ndash41 (omnes sapientes liberos esse et stultos omnes servos) Persius Sat 5 Ps-Andron Rhod Pass 97 Nicht erhal-tene Traktate bdquoUumlber die Freiheitldquo oder bdquoUumlber Knechtschaft (und Freiheit)ldquo werden ua Antisthenes (Diog Laert 616) und Kleanthes (Diog Laert 7175 = SVF 1 481) zuge-schrieben Wichtige Quellentexte stellt WILLMS 2011 I 63ndash83 89 zusammen Sein Ver-such eine bdquostoische Urschriftldquo namentlich aufgrund von Uumlbereinstimmungen zwischen Epiktet und Philon zu postulieren ist mE wie viele andere literarkritische Modelle die auf die Quellenkritik des 19 Jh zuruumlckgehen zum Scheitern verurteilt Die Parallelen erweisen sich als so partiell dass sie mit der Annahme von gemeinsamem Traditionsgut ausreichend erklaumlrt werden koumlnnen Die methodisch viel anspruchsvollere Hypothese ei-ner gemeinsamen Quelle laumlsst sich nicht plausibilisieren (vgl dazu bereits VOLLENWEIDER 1989 28f)

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Partialkulturen wie der juumldischen und der christlichen beteiligten Zu beachten ist da-bei dass die Freiheitsdiskurse auch implizit oder explizit politische Akzente setzen etwa im Verhaumlltnis zur imperialen Ideologie40 Wir beschaumlftigen uns im Folgenden exemplarisch mit dem spezifisch theologischen Profil des Freiheitsverstaumlndnisses Epiktets Zugrunde gelegt wird die Annahme dass sein Verstaumlndnis von Freiheit zwar ein deutlich erkennbares individuelles Kolorit aufweist sich aber grundsaumltzlich doch in die klassische stoische Konfiguration einzeichnen laumlsst41

3 Der goumlttliche Grund der Freiheit nach Diss IV 185ndash110

31 Grundlegende Unterscheidungen

Epiktet geht in seinem Lehrgespraumlch von einer weithin konsensfaumlhigen Definition von Freiheit aus die Freiheit zu leben bdquowie man willldquo (sect1)42 Die Argumentation steuert uumlber mehrere Gaumlnge auf ein Verstaumlndnis von Freiheit zu das sich fuumlr die vom Meister in die Unterredung einbezogenen virtuellen Schuumller mit uumlberraschenden Entdeckun-gen verbindet Der soziale Status mit all seinen Implikationen traumlgt nicht nur nichts bei zum Erwerb der Freiheit sondern entpuppt sich sogar als bdquoschoumlnste und glaumln-zendste Sklavereildquo (sect40) Dies gilt zumal dort wo einer nur noch den Kaiser als bdquoHerrn uumlber alleldquo uumlber sich weiss (sect12f) Zentral fuumlr den Befreiungsprozess ist das unablaumlssige Einuumlben jener kognitiven Operation welche die allgemeinen Vorstellun-gen (προλήψεις) mit den konkreten Lebensverhaumlltnissen konfiguriert (ταῖς ἐπὶ μέρους οὐσίαις sect41f)43 bdquoSuche und du wirst findenldquo (sect51)44 Wer

40 Muumlnzen Inschriften und Literatur belegen die Zugkraft des ideenpolitischen Schlagworts

bdquoFreiheitldquo so beanspruchte der Prinzipat die res publica und ihre libertas wiederherge-stellt zu haben

41 Vgl Forschner oben S Anders jetzt ASMIS 2001 der Epiktet eine neue Frei-heitskonzeption zuschreibt (bdquoEpictetus in sum offers a new concept of human freedom according to which the power of choice [sc prohairesis SV] confers on each person the freedom to determine onersquos own characterrdquo 412)

42 Diese gaumlngige Formel begegnet zB auch bei Paulus Gal 517 Roumlm 715ndash19 43 Zum Verstaumlndnis der Prolepsen im Kontext der Oikeiosislehre vgl FORSCHNER 1995

151ndash156 (πρόληψις als bdquoein umrisshafter unbestimmter undifferenzierter Vorgriffldquo der von einem bestimmten Begriff bzw einer Definition zu unterscheiden ist Epiktet ist bdquohier wohl altstoischem Gedankengut verpflichtetldquo 153) Vgl FORSCHNER oben S

44 Zum Bezug zur Jesustradition (Mt 77 usw) vgl WILLMS 2011 I 263ndash265 sowie BETZ 1995 501ndash504 und unten S Die Sentenz ist so weit gestreut dass sie keine Benut-zung des Neuen Testaments durch Epiktet belegt

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nicht von selber dank der dem Logos entsprechenden natuumlrlichen Faumlhigkeiten zur Wahrheit gelangt kann sich an bewaumlhrten Wahrheitszeugen orientieren (sect51f) fak-tisch ist hier der aktuell Lehrende mindestens mitgemeint Epiktet steuert die Unter-redung die in diesem Teil (sect51ndash75) besonders stark als sokratischer Dialog gestaltet ist45 auf seine elementare Formel der Unterscheidung dessen was bdquouns zuhandenldquo und bdquouns nicht zuhandenldquo ist zu (sect65 τὰ μὲν ἐφ᾽ ἡμῖν ἐστιν τὰ δ᾽ ἐπ᾽ ἄλλοις vgl Diss I 1)46 Am Koumlrper selber wird geradezu hautnah der Bereich des Fremden des ἀλλότριον erfahrbar (sect76ndash80) plastisch verbildlicht im Gleichnis eines bepack-ten Esels den man notfalls auch bdquolassenldquo muss ganz zu schweigen vom Zubehoumlr und Gepaumlck (sect79f)

Bereits in diesem Abschnitt macht sich ein entscheidender Bezugstext ein Praumltext bemerkbar der spaumlter explizit zu Wort kommen wird das Gebet des Kleanthes Wird der Esel von anderen requiriert (angareia) so gilt bdquoLass ihn gehen widerstrebe nicht und murre nicht ndash andernfalls wirst du den Esel genauso einbuumlssen nur mit Schlaumlgenldquo Im bdquogenauso hellip nurldquo (woumlrtlich bdquonichts desto wenigerldquo οὐδὲν ἧττον) spielt Epiktet an auf Kleanthesrsquo Vers bdquoWenn ich aber nicht (folgen) wollte waumlre ich ein feiger Schwaumlchling und muumlsste euch nichtsdestoweniger (οὐδὲν ἧττον) folgenldquo (Ench 531)

Mit der Aufforderung unablaumlssig die elementare Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo zu uumlben (sect81) die wiederum im Bereich von Koumlrper und Besitz die Frei-heit von Angst und Begehren eroumlffnet ist die Plattform fuumlr die uns interessierende theologische Deutung etabliert47

Bereits sect82 hat vorausweisenden Charakter Die Bestimmung uumlber das Wesen des Guten und Schlechten faumlllt in den Bereich des Eigenen bdquoWer kann es dir wegnehmen

45 Auf das sokratische Design der Dissertationes hat besonders LONG 2002 67ndash96 uouml

hingewiesen (bdquoSocrates rather than any Stoic philosopher or even the Cynic Diogenes is Epictetus favoured paradigm not only as a model for life but also as a practitioner of philosophical conversationldquo 4) hier auch verbunden mit Kritik an BONHOumlFFER (166f 176)

46 Zu Herkunft und Hintergrund der Formel vgl DOBBIN 1998 65ndash68 WILLMS 2011 I 328ndash337

47 Die Strukturierung unseres Lehrgespraumlchs durch das Nacheinander eines sbquoprofanenlsquo bzw sbquosaumlkularenlsquo Teils als Tradition (sect6ndash90) und eines sbquotheologischenlsquo Teils als Interpretation (sect91ndash131) durch NESTLE 1967 125ndash128 134 (zustimmend GRETENKORD 1981 195f) hat keinen Anhalt am Text (bereits sect89f stellt eine theologische Klimax dar die durch die Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo eng mit der ab sect62 entfalteten Argumen-tation verbunden ist) und arbeitet mit (redaktionsgeschichtlichen) Kategorien die sich bei Epiktet nicht bewaumlhren (das richtige Applizieren der allgemeinen Vorstellungen auf die konkreten Lebensumstaumlnde in sect41f ist eine spezifisch epiktetische Konzeption ohne dass sie deswegen unstoisch waumlre) vgl oben Anm 43)

133

wer kann dich behindern Ebenso wenig kann man Gott behindernldquo Dies wird in sect90 wieder aufgenommen48

32 Das Gleichnis von der Burg und das Basisprinzip (sect85ndash90)

Im Abschnitt sect85ndash110 arbeitet Epiktet mit drei aufeinander folgenden Gleichnissen die jeweils fliessend in allgemeine Aussagen uumlbergehen Burg Reisegesellschaft und Festversammlung Die Befreiung von der Furcht wird verbildlicht mit der Zerstoumlrung der inneren Burg (Akropolis) dem Sitz der Tyrannen Die Metapher uumlberrascht zu-naumlchst da man die innere Festung eher als positives Sinnbild fuumlr die uneinnehmbare Position des Denkvermoumlgens erwartet haumltte49 Sie hat hier aber den Charakter der Zwingburg die man niederreissen oder wenigstens entvoumllkern soll Mit dem erneuten bdquoLassenldquo des Koumlrpers und seiner Teile von Besitz Ehrungen Kindern Geschwistern und Freunden (vgl sect66f) wechseln wir wieder auf die Sachebene (die eher an einen defensiven Ruumlckzug denken laumlsst) Uumlber das Bildelement von den Leibwaumlchtern die ihren bedrohlichen Charakter verloren haben fokussiert der Meister nun auf den Wil-len der von keinem Zwang mehr behindert wird (sect88) und damit auf die Leitdefini-tion am Anfang der Unterweisung (sect1) Wir stehen vor einem Scharnier der Argu-mentation weil nun das theologische Bekenntnis bdquoIch habe mein Streben Gott anheim gestelltldquo eine neue Dimension der wahren Freiheit eroumlffnet und zur Formulierung des Basisprinzips fuumlhrt (sect89ndash90)50

Das Bekenntnis selber verdichtet den stoischen Gedanken der Einfuumlgung in die

48 Dieser Verweis auf Gott unterscheidet sich von Diss I 123 wonach Zeus als houmlchster

Repraumlsentant des bdquoFremdenldquo die eigene Prohairesis nicht bezwingen (νικῆσαι) kann Dazu GRAVER 2003 348f

49 Praumlgnant ist vor allem die Aumlusserung Marc Aurels bdquoDeshalb ist die von Leidenschaften freie Denkkraft eine feste Burg (ἀκρόπολίς ἐστιν ἡ ἐλευθέρα παθῶν διάνοια) denn

nichts Staumlrkeres hat der Menschldquo (VIII 483) als Leitmotiv bei HADOT 1997 156ndash184 Vgl Sen Ep 825 Negativ konnotiert ist die Festung etwa auch bei Philon Fug 148 (bdquoZwingburg der Lustldquo) positiv Abr 150 vom Ort der Augen dem koumlniglichen Sinn Spec 3184 vom Kopf Spec 449 von der Seele

50 Auffaumlllig ist die perfektische Formulierung des Bekenntnisses die sich auch im vorange-gangenen Satz spiegelt (οὐπώποτε mit zwei Verben im Aorist) Spielt Epiktet hier an auf seinen Status als einer von denen die die Wahrheit gesucht und gefunden haben (sect51)

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goumlttliche Weltordnung51 Beim bdquoStrebenldquo (ὁρμή) handelt es sich um einen gaumlngigen Terminus fuumlr die menschlichen Antriebe also den Bereich der Willensbewegungen des θέλειν und βούλεσθαι (vgl sect99) die vom Logos geformt werden muumlssen52

Die folgenden kurzen Saumltze in sect8990 formulieren in aumlusserster Zuspitzung die Rhe-torik arbeitet mit provokanten Paradoxien Der Wille Gottes determiniert den Willen des Subjekts nicht nur vollumfaumlnglich sondern bestimmt auch seine Intentionalitaumlt ndash das Ich bdquowillldquo Peristasen wie Fieber Tod und Folter Die scheinbare Fremdbestim-mung wird schliesslich aufgefangen durch die Analogisierung mit Zeus selber (vgl sect82)53

Das Basisprinzip besteht also in der vollstaumlndigen Konvergenz des Willens des (menschlichen) Subjekts mit dem Willen Gottes eine Konvergenz die im Zeichen der wahren Freiheit steht Es reflektiert die traditionelle Figur des stoischen Determi-nismus der einerseits zwar die Willensfreiheit ganz im Geflecht der kosmischen Kau-salketten aufhebt andrerseits aber das Freiheitspathos steigert54 Offenkundig spiegelt Epiktet hier absichtsvoll zwei verschiedene Modi von Freiheit ineinander diejenige des Entscheidens (Freiheit als Immer-auch-anders-Koumlnnen) und diejenige des Wol-lens (die in der nachmaligen lateinischen Theologie bei Marius Victorinus und beson-ders bei Augustin zur Entfaltung der Willensmetaphysik gefuumlhrt hat)

Die Passage ist so stark von paradoxaler Rhetorik bestimmt dass man sie nicht vor-schnell mit fruumlhchristlichen Texten kontrastieren sollte Epiktet am naumlchsten steht die Szene in Getsemane wo Jesus Gottes Willen seinem eigenen vorordnet bdquoAbba

51 Das Verb προσκατατάσσειν das bei Epiktet nur in Diss IV 1 begegnet meint die Ein-

ordnung unter eine uumlbergeordnete Groumlsse (vgl unten sect9198) und beruumlhrt sich mit κατατάσσειν das in Ench 311 die Eusebeia das angemessene Verhalten gegenuumlber den Goumlttern beschreibt und mit bdquogehorchenldquo bdquosich fuumlgenldquo und bdquofreiwillig folgenldquo expli-ziert wird Besonders praumlgend ist das Sokrateswort in Platons Apologie 28e (τάξις) das Diss I 924 unter dem Einfluss von Leg 12945a (εἰς τάξιν κατατάξῃ) reformuliert wird bdquoGott hat uns einen bestimmten Platz und eine bestimmte Lebensform zugewiesen (κατατέταχεν) die wir nicht verlassen sollenldquo vgl III 14114 (εἰς τοιαύτην ὑπηρεσίαν κατατεταγμένος) II 139 I 134 (von einer uumlbergeordneten Stellung) Un-sere Formulierung in sect89ndash99 druumlckt mit dem zusaumltzlichen Compositum πρoς- auch noch jene dynamische Richtungsbestimmung aus die aus dem Praumltext des Kleanthes stammt (bdquofuumlhre mich [hellip] dahinldquo sect131) προσκατατάσσειν (LSJ 1516a bdquosubjoin append as-sign attachldquo) begegnet nur gelegentlich in der griechischen Literatur (Polyb III 201 [Re-den hinzufuumlgen] Philon Op 131 [Suumlsswasser der Erde zuweisen vgl 38] Cornut Nat deor 323 [Feuchtes in Aumlther uumlberfuumlhren] OGIS 5627 [hinzugefuumlgte Priester]) Vgl WILLMS 2011 I 489f

52 Zenon hat einen Traktat περὶ ὁρμῆς ἢ περὶ ἀνθρώπου φύσεως verfasst (Diog Laert 74 = SVF 1 41) vgl ferner POHLENZ 61991 II 52 77 80f Textintern sind die Bezuumlge der ὁρμή auf das θέλειν durch den voranstehenden wie den nachfolgenden Satz deutlich

53 Fuumlr diese Analogie bietet Diss II 1722ndash25 eine instruktive Parallele bdquoMit einem Wort Wolle nichts anderes als was Gott will Wer wird dich dann noch behindern wer dich zwingen Ebenso wenig wie (man) Zeus (zwingen kann) Wenn du einen solchen Fuumlhrer hast und mit ihm eines Willens und eines Wunsches bist was fuumlrchtest du dann noch an Fehlschlaumlgenldquo Epiktet raumlt auch hier dazu sich nicht zu binden an Reichtum Armut Ge-sundheit Ehre Vater Heimat Freunde und Kinder die alle nicht unserem Verfuumlgungs-bereich zugehoumlren

54 Zugespitzt bei BRAICOVICH 2010 der Epiktets handlungspsychologisches Freiheitsver-staumlndnis konsequent deterministisch deutet Zur allgemeinen Diskussion des stoischen Determinismus vgl STEINMETZ 1994 610ndash612 GUCKES 2004 12ndash17 im Zusammenhang mit Epiktet LONG 2002 220ndash222 (bdquothe autonomous person as someone who voluntarily complies with a predetermined situationldquo 222) sowie FORSCHNER oben S

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Vater alles ist dir moumlglich Lass diesen Kelch an mir voruumlbergehen Doch nicht was ich will sondern was du willstldquo (Mk 1436 vgl Mt 2639 Lk 2242)55 Die nur bei Mk vorkommende Allmachtsformel haumllt die ndash nicht realisierte ndash Moumlglichkeit offen dass Jesu eigener Wille dem Leiden zu entgehen sich verwirklichen liesse Der Vers der in der altkirchlichen Zweinaturenchristologie intensiv debattiert worden ist scheint es im Kontrast zu Epiktet bei einem sbquoproduktivenlsquo Gegenuumlber von zwei Wil-lensbewegungen zu belassen ndash eine Asymmetrie von erheblichem anthropologischem Gewicht Der Unterschied des Genre will freilich beachtet sein Waumlhrend Epiktet in einem argumentativen Text das Resultat einer geradezu lebenslaumlnglich vollzogenen Uumlbung (askesis) in praumlsentischen Paradoxien versprachlicht markiert die Getsemane-Erzaumlhlung der Evangelien eine Station auf dem Passionsweg Jesu der die vollstaumlndige Konvergenz der beiden Willensbewegungen narrativ zur Darstellung bringen wird Jesus ergibt sich als leidender Gerechter in den Gotteswillen bis zum Tod am Kreuz

Keine direkte Relevanz fuumlr die von uns hier diskutierte Thematik hat die Problemati-sierung der Einheit des menschlichen Willensbereichs56 Sowohl Epiktet (Diss II 1718f II 261 uouml) wie Paulus (Roumlm 715ndash19) sprechen vom inneren Zwiespalt des Menschen und orientieren sich dabei an einer in der Antike verbreiteten Figur die auf die Gestalt der euripideischen Medea zuruumlckfuumlhrt Die zugrunde liegenden anthropo-logischen Konzeptionen sind zwar denkbar verschieden Dem grundsaumltzlich monisti-schen Ansatz Epiktets steht der dualistische des Paulus gegenuumlber57 Es faumlllt aber auf dass beide das fuumlr die Medea-Rezeption traditionelle Schema des Gegensatzes von Erkennen und Trieb von Vernunft und Leidenschaft durch eine weit radikalere Deu-tung uumlberlagern Der Zwiespalt im Inneren ist uumlberhaupt nur retrospektiv durchschau-bar geworden erst das Ereignis der Befreiung laumlsst es zur Erkenntnis der Sklaverei kommen Dabei sprechen beide von der Unfreiheit gut traditionell als dem bdquoTun was ich nicht willldquo58

Freiheit wird praumlsentiert als Anerkennung dessen was ohnehin nicht zur Disposition steht und nicht anders sein kann als es der Fall ist Das klassische Bild der Stoiker

55 Die Uumlbersetzung biblischer Texte richtet sich meistens nach der Zuumlrcher Bibel 2007 56 Der optimistischen Anthropologie Epiktets laumlsst sich dann diejenige des Paulus gegen-

uumlberstellen die zwar nicht pessimistisch ist aber Suumlnde nicht im kognitiven Bereich son-dern im Willensbereich platziert vgl zB SCHNELLE 2009 156f

57 Zum Verhaumlltnis zwischen Epiktet und Roumlm 7 vgl HUTTUNEN 2005 ferner VOLLENWEIDER 1989 350ndash352

58 Vgl oben bei Anm 42 Das Versklavtsein wird bei Epiktet deswegen nicht so ausweglos wie bei Paulus wahrgenommen weil es wesentlich auf falschem Denken beruht

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stellt der an einen Wagen festgebundene Hund dar der entweder aus eigenen Stuumlcken mitgeht oder aber mitgeschleift wird59

33 Das Gleichnis von der sicheren Reisegesellschaft (sect91ndash98)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft changiert zwischen Bildrede und eigentlicher Rede Mit οὕτως (sect91) wird das Bild eingefuumlhrt ebenfalls mit οὕτως erfolgt der Wechsel zur Sachebene naumlmlich zur kosmischen Position des Verstaumlndigen (sect9298) dessen Selbstgespraumlch wieder auf der Bildebene spielt (sect92ndash97) Mit seinen Hinwei-sen auf hoch gestellte Personen besonders den Status des Freunds des Kaisers wird Bezug genommen auf fruumlhere Passagen (sect8ndash15 45ndash50) Das Selbstgespraumlch endet ironisch in einer Aporie ndash selbst in der Einoumlde gibt es keinen Schutz vor negativen Maumlchten (sect97) Erst der Anschluss an Gott ermoumlglicht eine sichere Reise Die Philo-sophie spielt hier ihre in hellenistischer und kaiserzeitlicher Zeit zentral gewordene Rolle als Ratgeber fuumlr den Umgang mit jederzeit drohenden Kontingenzen und ant-wortet auf ein Anliegen das auch die zeitgenoumlssischen Religionen das Christentum so gut wie Mysterienreligionen und magische Praktiken bearbeiten

Die traditionelle und uumlberaus reiche Metaphorik des Wegs deckt ein breites Spektrum ab Die hauptsaumlchliche Konnotation die auch bei Epiktet reichhaltig begegnet ist die-jenige des Zusammenhangs von Weg und Ziel So spricht unser Lehrgespraumlch sum-mierend vom Weg zur wahren Freiheit (sect131)60 Das Reisegleichnis in Diss II 2336ndash39 raumlt dazu Raststaumltten wieder zu verlassen um zur Heimatstadt zu gelangen (εἰς τὴν

πατρίδα ἐπανελθεῖν)61 Auch wo Gott (II 710f) oder der wahre Kyniker (III 2226) den rechten Weg weisen ist das Ziel im Blick62 Aumlhnlich steht es mit der christ-lichen Wegmetaphorik63 In unserem Zusammenhang geht es dagegen ausschliesslich um das sichere Reisen ndash in der Sprache heutiger Lebensratgeber der Weg ist das Ziel Fuumlr die Reisegemeinschaft mit Gott bietet II 1723 eine bemerkenswerte Parallele da hier neben der Konvergenz des Wollens auch die Analogie mit Zeus figuriert (sect22)64 Das Leben laumlsst sich generell mit einer Reise vergleichen65 III 139ndash11 stellt heraus dass nur die Philosophie nicht aber der Kaiser si-

59 Chrysipp () SVF 2 975 vgl POHLENZ 82010 I 106 STEINMETZ 1994 611f weiteres bei

VOLLENWEIDER 1989 75f 60 Vgl IV 439 vom Weg zur wahren εὔροια 61 Auch hier wird explizit der Bezug zur Freiheit hergestellt (sect42) verbunden mit dem bdquomit

ganzem Herzenldquo zu sprechenden Gebet des Kleanthes 62 Vgl ferner I 1618 II 216 II 123 III 263f IV 24 IV 659 IV 916 63 Vgl den Uumlberblick (auch zur Umwelt) von W MICHAELIS Art ὁδός κτλ ThWNT 5

(1954) 42ndash118 sowie die bei WILLMS 2012 II 709 genannte Literatur 64 Vgl oben Anm 53 65 Diss II 510 von der Seereise wo bdquoeiniges an mir liegt anderes aber nichtldquo vgl ferner II

1624 I 99 II 1737f in III 2493 wird die Abreise mit dem Sterben verglichen

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cheren Reiseschutz verleihen kann (vgl sect3) Es gibt durchaus neutestamentliches Vergleichsmaterial Die Nachfolge auf Jesu Weg wie ihn die Evangelien darstellen ist transparent fuumlr den Lebensweg der Christusglaumlubigen (Mk 827ndash1052 besonders 834) Dieser ist freilich auch wieder auf ein Ziel hin orientiert naumlmlich auf die Pas-sion und das Kreuz Epiktets goumlttlicher Reisegesellschaft am naumlchsten kommen wir mit der Topik des bdquoMitseinsldquo Jesu bzw Gottes mit den Glaubenden (Mt 2820 vgl 123 1820 Joh 1416f [vom Geist]) welche die gesamte biblische Tradition des Mit-gehens Gottes mit seinem Volk insbesondere waumlhrend der Wuumlstenwanderung sum-miert Obschon der Lebensweg die Stoiker in widrige Umstaumlnde und die Christen in das Martyrium fuumlhren mag gibt die Gemeinschaft mit Gott ultimative Sicherheit Der Vergleich fuumlhrt uns also wieder in den Bereich der Passionsgeschichte Waumlhrend fuumlr die Christen der Gottessohn und somit der in diesem praumlsente Gott selber den Weg des Leidens geht sieht sich der Stoiker gewiesen an Vorbilder die paradigmatisch das Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens vor Augen stellen zumal an Herakles und Sokrates Zwar ist auch ihr Gott im Kosmos gegenwaumlrtig aber da er das harmo-nisch gefuumlgte Ganze repraumlsentiert ist er den immer nur einzelne Teile betreffenden Turbulenzen nicht ausgesetzt

34 Das Gleichnis von der Festversammlung (sect99ndash110)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft endet in einem radikalen Ruumlckzug aus dem Bereich des Ungewissen der nicht einmal in der Einsamkeit der Einoumlde haltmacht sondern gleichsam in die Unweltlichkeit versetzt Dieser Reduktionsbewegung auf einen einzigen Punkt der mit Gott identifiziert wird kommt nun eine expandierende Bewegung entgegenzustehen die in die Weite des Kosmos und die universale Ge-meinschaft hinaus weist

Mit dem erneuten Ruumlckgriff auf das theologische Bekenntnis und das Prinzip von sect89 baut Epiktet sukzessive ein neues Gleichnis auf das sich mit kosmologischen Deu-tungen verbindet Im Fokus stehen nun die Willensbewegungen Gottes und sein ord-nendes Wirken im Kosmos Die Basisunterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoAnderemldquo wird theologisch akzentuiert Im Bereich des Eigenen figuriert die freie Selbstbestim-mung die Prohairesis66 der Bereich des Anderen wird der Gottheit und ihrem Wal-ten dem bdquoKreislauf des Allsldquo zugemessen (sect100) Koumlrper Besitz sowie Haus Kinder und Frau (vgl sect66f 87 107 111) Alles wovon sich der Verstaumlndige innerlich als

66 Zur Prohairesis vgl FORSCHNER in diesem Band S [[Typoskript S 5]] ferner STE-

PHENS 2007 16ndash25 (bdquoProhairesis as selfldquo) und die Diskussion von ENGBERG-PEDERSEN 2010 212ndash214 (bdquotrue human selfldquo) mit LONG 2002 28ndash30 207ndash220 (bdquovolitionldquo)

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dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

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logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

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41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

143

Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

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-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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21995

Page 8: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

125

monastische Relektuumlren Epiktets handelt die den Weisen und Philosophen aktualisie-rend auf den Moumlnch speziell den Anachoreten beziehen Die Naumlhe Epiktets zu kyni-schem Traditionsgut duumlrfte die monastische Rezeption noch befoumlrdert haben spannen sich doch einige Bruumlcken von der Askese der Kyniker zum oumlstlichen Moumlnchtum

2 Der neuzeitliche Epiktet Nachbar oder Antipode des Christentums

Unter Absehung von spaumlteren byzantinischen sowie humanistischen und fruumlhneuzeit-lichen Rezeptionsspuren springen wir aus der spaumlten Antike direkt in die Moderne Zur Bestimmung des Verhaumlltnisses von Epiktet und Neuem Testament bieten sich zwei verschiedene Modelle an die untereinander auch in Wechselwirkung treten koumln-nen Dependenzmodell und komparatistisches Modell Unser Interesse gilt zunaumlchst dem ersteren das sich primaumlr mit einem moumlglichen Einfluss des Fruumlhchristentums auf den hauptsaumlchlich zu Beginn des 2 Jahrhunderts lehrenden Philosophen beschaumlftigt

Fuumlr jede moumlgliche Modellbildung ist festzuhalten Epiktet hat Kenntnis von den Chris-ten In seinem Lehrgespraumlch uumlber die Furchtlosigkeit (Diss IV 75ndash6) reiht er die bdquoGalilaumlerldquo unter diejenigen ein die aufgrund von Wahnsinn Geistesstoumlrung und Ge-wohnheit zu einer Furchtlosigkeit finden die wir heutzutage etwa mit Selbstmordat-tentaumltern verbinden Die christliche Demonstration der Todesverachtung im Amphi-theater tadelt auch Marc Aurel (XI 32)21

21 Epiktet reagiert auf das Christentum Das Dependenzmodell

Dieses Modell geht davon aus dass sich bestimmte Zuumlge in Epiktets Philosophie christlichem Einfluss verdanken sei es im Modus der Uumlbernahme oder aber der An-tireaktion Exemplarisch fuumlr diese heute weitgehend uumlberholte Verhaumlltnisbestimmung steht die Rektoratsrede von Theodor Zahn aus dem Jahr 189422 Der konservative Theologe stellt nicht nur erhebliche Widerspruumlche im Denken Epiktets fest23 sondern rechnet auch mit einem markanten Einfluss christlicher Gedanken etwa

21 Kaum als Reflex auf das Christentum kommen Epiktets Bemerkungen zur bdquoTaufeldquo in

Diss II 920f in Betracht Sie nehmen eher Bezug auf juumldische als auf christliche Taumlufer-gruppen vgl LONG 2002 17 110 Anm 9

22 Nicht zugaumlnglich ist mir das ebenso hier zu klassifizierende Werk des Hollaumlnders K KUIPER Epictetus en de Christelijke Moraal Amsterdam 1906 das bei Bonhoumlffer 1911 eingehend besprochen wird Kuiper zufolge reagiert Epiktet polemisch auf die christli-chen Texte und Theologien dieser wird also zu einem fruumlhen auctor adversus Christia-nos

23 ZAHN 1895 18f 23ndash26

126

beim Eid bei der Gotteskindschaft bei Herakles als Heiland oder beim gottgesandten apostelgleichen Kyniker24

22 Gelaumluterte Religion Bonhoumlffers vergleichendes Modell

Die Monographie bdquoEpiktet und das Neue Testamentldquo von Adolf Bonhoumlffer aus dem Jahr 1911 markiert das wohl definitive Ende der Dependenzmodelle In einer detail-lierten Auseinandersetzung stellt der Philologe heraus dass es keine uumlberzeugenden Indizien fuumlr eine Abhaumlngigkeit Epiktets vom Neuen Testament gibt ndash wie auch umge-kehrt keine nennenswerten stoischen Einfluumlsse auf das Urchristentum geltend ge-macht werden koumlnnen Die bisher in Anspruch genommenen Uumlbereinstimmungen er-weisen sich teilweise als konstruiert teilweise als Resultat von Konvergenzen die bei naumlherem Zusehen doch jeweils sehr verschiedene kulturelle Kontexte zum Ausdruck bringen Bonhoumlffer arbeitet ndash wie manche bereits vor ihm ndash mit einem vergleichenden Modell das vor allem in seiner bdquosystematischen Vergleichung Epiktets und des Neuen Testamentsldquo greifbar wird25

Bonhoumlffer ist sich der Gefahr einer nicht angemessenen Systematisierung bewusst Waumlhrend sich die neutestamentliche Theologie erst noch entwickelt ruht Epiktets Denken zwar bdquodurchweg auf einem ganz genau umrissenen und ins einzelne hinein fest formulierten System der alten orthodoxen Lehre der Stoaldquo26 wird aber von bdquosei-ner eigenen vom stoischen Geist durchdrungenen Persoumlnlichkeitldquo formiert und reprauml-sentiert (340) Bonhoumlffer arbeitet Analogien wie Kontraste heraus Zu den Gemein-samkeiten zaumlhlen die bdquogelaumluterte Religiositaumltldquo die Verbindung von Religion und Mo-ral der Idealismus und sittliche Ernst (341ndash354) zu den Kontrasten der Gegensatz von Vernunft und Offenbarung oder von Diesseitigkeit und Jenseitigkeit (354ndash357) Offenkundig wurzelt Bonhoumlffer in der zeitgenoumlssischen liberalen Theologie die im spaumlten 19 und fruumlhen 20 Jh gemeinsam mit den anderen Geisteswissenschaften ein sbquokulturprotestantischeslsquo Profil aufweist Gemessen am liberal-theologischen Jesusbild bleibt fuumlr Bonhoumlffer der epiktetische Theismus defizitaumlr bdquoMit dem allem soll aber nun keineswegs gesagt sein dass die Religiositaumlt Eprsquos der neutestamentlichen vollauf ebenbuumlrtig seildquo Es bdquoerreicht auch die Froumlmmigkeit Eprsquos so echt sie empfunden ist doch die Houmlhe der christlichen nichtldquo27 So weht bdquoein waumlrmerer Geist der Menschen-liebe durch das Neue Testament [hellip] als selbst durch die Reden eines Epldquo (382) Kritisiert wird auch die vornehmlich Eliten adres-

24 ZAHN 1895 28ndash33 Eine vernichtende Kritik stammt von WENDLAND 1895 Zahn miss-

verstehe Epiktet nicht nur haumlufig sondern zeige eine bdquovoumlllig unzureichende Kenntnis der kynischen und stoischen Literaturldquo (495)

25 BONHOumlFFER 1911 339ndash390 26 Diesen Nachweis lieferte BONHOumlFFER bereits 1890 sowie 1894 27 BONHOumlFFER 1911 344

127

sierende Stoa die bdquodurch ihre historische Gebundenheit an die Lehrformen des aris-tokratischen Partikularismus gehindert war ihre universelle Mission zu erfuumlllenldquo (388) Umgekehrt zeigt Epiktet in manchen Lebensbereichen eine natuumlrlichere Ein-stellung ndash dies erweisen bdquoein frisches und gesundes Interesse an dem Weltgeschehen und am Tun und Treiben der Menschheitldquo die bdquoFreude an den Werken der Technik und der Kunstldquo die Einstellung zu Leiblichkeit und Sexualitaumlt (366f) sowie das bdquopo-sitive Interesse an der Menschheitldquo (377) Erstaunlich wenig gewichtet wird die bdquoDiesseitigkeitldquo Epiktets die sich markant mit der Jenseits- und Endzeitbezogenheit des Urchristentums kontrastieren liesse

Es ist Rudolf Bultmann der Bonhoumlffers Verhaumlltnisbestimmung einer fundamentalen Kritik unterzieht28 Mit ihm meldet sich bereits jene Generation von Neutestamentlern aus der Religionsgeschichtlichen Schule und der Dialektischen Theologie zu Wort die mit der liberalen Theologie brechen wird29 In einer raschen Replik auf Bultmanns Kritik stellt Bonhoumlffer seinerseits seine Position noch einmal deutlich heraus Gegen-uumlber der ziemlich negativen Wahrnehmung Epiktets durch den Theologen gibt er zu bedenken dass dessen Kritik durchaus und zu noch groumlsseren Teilen just auch das neutestamentliche Christentum traumlfe30

Bonhoumlffers Vergleich von Epiktet und Neuem Testament laumluft auf die Konstatierung einer grundsaumltzlichen Verschiedenheit hinaus die aber Gemeinsamkeiten nicht aus-schliesst Auch wenn sich Urchristen und Epiktet auf Augenhoumlhe treffen zeichnen sich erstere doch durch ein Mehr an genuiner Religiositaumlt aus Beide Typisierungen verraten deutlich ihren kulturgeschichtlichen Hintergrund zu Beginn des 20 Jahrhun-derts ndash die Wertschaumltzung der sbquogenialenlsquo religioumlsen sbquoPersoumlnlichkeitlsquo und des sbquosittlichlsquo orientierten Weltverhaumlltnisses

23 Ein Zwischenhalt Methodische Uumlberlegungen

Der Grundansatz von Bonhoumlffer von zwei im Ansatz sehr verschiedenen kulturellen Bildungen auszugehen naumlmlich der stoischen Philosophie und ihrer besonderen in-dividuellen Brechung bei Epiktet einerseits der urchristlichen Religion und ihrer

28 BULTMANN 1912 (Bonhoumlffers Buch scheint bdquosowohl in der Anlage wie in der

Erfassung des Problems verfehlt zu seinldquo 97) 29 In Bultmanns Positionsbezug gegen Bonhoumlffer tritt dies allerdings noch nicht deutlich

hervor So bestimmt er als bdquoZentralpunkt der Differenzldquo zwischen Epiktet und Neuem Testament bdquoein ganz verschiedenes Individualitaumltsgefuumlhl [] ein ganz verschiedenes Per-soumlnlichkeitsbewusstseinldquo (182 vgl 186ndash190) Nicht anders als Bonhoumlffer steht Bultmann dem Religionsverstaumlndnis der liberalen Theologie noch nahe vgl seine Bemerkung uumlber den Unterschied zum frostigen Seneca bdquoEpiktets Froumlmmigkeit verbreitet eine sonnige Heiterkeit Waumlrme und Frieden um sichldquo (110) Die Gegensaumltze werden in der spaumlteren Darstellung bdquoDas Urchristentum im Rahmen der antiken Religionenldquo (1949) viel schaumlrfer gezeichnet s unten bei Anm 32

30 BONHOumlFFER 1912 288f

128

theologischen Reflexion etwa bei Paulus andrerseits hat sich als plausibel und weg-weisend erwiesen Wo immer die beiden Kulturgestalten komparatistisch auf einander bezogen werden orientiert man sich an diesem Basismodell31 Die Umbruumlche in den Geistes- und Kulturwissenschaften seit der Mitte des 20 Jahrhunderts haben freilich die Koordinaten entlang denen das Wirklichkeitsverstaumlndnis und die Ethik der Stoi-ker wie der Christen rekonstruiert werden tiefgreifend veraumlndert So hat sich auf der Seite der neutestamentlichen Theologie die urchristliche Eschatologie in den Vorder-grund geschoben die die Kontrastierung zur griechisch-hellenistischen Philosophie noch einmal anders konturiert32 In juumlngerer Zeit hat das Interesse an einem umfas-senden sbquoSystemvergleichlsquo deutlich abgenommen33

31 Grunddifferenzen bei gleichzeitigen Konvergenzen werden herausgearbeitet etwa bei

GRETENKORD 1981 261ndash305 KLAUCK 1989 ders 1996 85ndash88 92 GALLOWAY 2004 HUTTUNEN 2005 SCHNELLE 2009 RAMELLI 2009 WILLMS 2011 I 431f uouml Auch die juumlngste Gesamtdarstellung von Epiktet liegt auf dieser Linie LONG 2002 3 (bdquoEpictetus has also been misunderstood because his appeals to theology which are ubiquitous have been consciously or unconsciously read in the light of Christianity In my opinion Epic-tetusrsquo deepest ideas are remote from the main Christian message notwithstanding notable parallels between some things he says and the New Testamentldquo) 143ndash147 176

32 Bereits BULTMANN 1912 185ndash188 stellt ua das Fehlen eines Geschichtsbewusstseins in der Philosophie fest bdquoEtwas Neues ist nie gekommenldquo (185) Auf dieser Linie urteilt er spaumlter bdquoder Stoiker meint seine Zeitlichkeit eliminieren zu koumlnnen seine sbquoEntweltli-chunglsquo ist sbquoEntzeitlichunglsquoldquo (194941976 161) Ich selber habe versucht die Differenz zwischen Stoikern und Urchristen am ineinander verschraumlnkten Verhaumlltnis der drei Zeit-modi herauszuarbeiten und in die Kosmologie zu extrapolieren Waumlhrend die Gegenwart in der Perspektive der Christen von der endzeitlichen Zukunft tangiert wird steht sie bei den Stoikern im Bann der Vergangenheit Dem sich ewig wiederholenden Kosmos steht die sich vorerst partikular realisierende neue Schoumlpfung entgegen VOLLENWEIDER 1989 44ndash53 404f vgl unten S

33 Eine Ausnahme stellt der neuere Versuch von ENGBERG-PEDERSEN 2000 dar stoische Phi-losophie und paulinische Theologie idealtypisch zu vergleichen statt sich von der Frage nach historischen Beeinflussungen engfuumlhren zu lassen Die Basis dafuumlr stellt ein kom-plexes theoretisches Modell bereit das die Wechselwirkung zwischen Individuum Ge-meinschaft und dem Goumlttlichen bzw dem Logos beschreibt (33ndash44) Der Erkenntnisge-winn der Studie reicht genau so weit wie die Leserschaft bereit ist diesem Modell Plau-

sibilitaumlt zuzuerkennen ndash In seinem juumlngsten Buch fuumlhrt ENGBERG-PEDERSEN (2010 106ndash138) einen Vergleich speziell zwischen Epiktet und Paulus durch Er konzentriert sich dabei auf die Gotteserkenntnis und stellt neben Differenzen erhebliche Uumlbereinstimmun-gen fest Problematisiert werden die bisher gelaumlufigen Differenzkriterien von self-suffi-ciency (resp human agency) versus dependence (resp divine agency) und damit zusam-menhaumlngend von philosophy versus apocalypticism Bezuumlglich des erstgenannten Duals ist Engberg-Pedersen mE im Recht beim zweitgenannten aber kaum (vgl die vorherige Anm) Die Gotteserkenntnis ihrerseits hat bei den beiden Denkern einen derart unter-schiedlichen Stellenwert dass sie schwer vergleichbar ist zumal sie bei Paulus christolo-gisch vermittelt ist Ausserdem laumldt die Konvergenzformel bdquoknowledge (of God) as align-ment with Godldquo nicht primaumlr die Stoiker sondern vielmehr die Platoniker mit ihrer ὁμοίωσις θεῷ zum Gespraumlch mit Paulus Epiktet duumlrfte gerade an diesem Punkt plato-nische Motive rezipiert haben (vgl unten Anm 98) was vielleicht auch fuumlr Paulus gilt (so VAN KOOTEN 2008) Auch bei anderen Thesen des Buchs legen sich statt stoischer eher platonische Bezuumlge nahe vgl die Rezension von R HIRSCH-LUIPOLD Early Christianity 3 (2012) 122ndash133

129

Methodisch gesehen erweist sich das komparatistische Geschaumlft als uumlberaus komplex Ich weise auf wenigstens drei Punkte hin wo ein umsichtiges historisches und herme-neutisches Urteil gefordert ist

1 Ein Vergleich kommt nur dort angemessen zum Zug wo beide Seiten in optimam partem interpretiert werden wo also Abstinenz gegenuumlber vorschnellen Verurteilun-gen eingeuumlbt wird Die neutestamentliche Exegese hat waumlhrend der letzten Jahrzehnte auf einem anderen Feld naumlmlich in der Einschaumltzung des Fruumlhjudentums geradezu einen Paradigmenwechsel vollzogen Anstatt das Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels als dunkle Folie zu entwerfen von der sich das entstehende Christentum strahlend abhebt wird es nun in seinem eigenen Selbstverstaumlndnis und unter Verzicht auf Werturteile rekonstruiert Es legt sich nahe diesen Typ einer interessierten und aufmerksamen Hermeneutik auch der Wahrnehmung hellenistischer Philosophen zu-gutekommen zu lassen

2 Der Versuch uumlberaus vielfaumlltige geschichtliche Kulturerscheinungen auf basale Figuren hin zu typisieren muss die Grenzen seiner Reichweite explizit reflektieren und sich mit der dienenden Rolle einer heuristischen Kunst bescheiden Sowohl die sokratisch modellierten und praktisch ausgerichteten Lehrgespraumlche Epiktets wie die Briefe und Erzaumlhltexte des Neuen Testaments bleiben widerstaumlndig gegenuumlber aller Systematik

3 Gerade weil umfassende geisteswissenschaftliche Rekonstruktionen unaus-weichlich im Kontext ihrer eigenen Zeit stehen muumlssen sie konsequent darauf hin befragt werden ob sie die historischen Phaumlnomene noch angemessen vergegenwaumlrti-gen und nicht ungebuumlhrlich verzerren So ist es nicht ratsam Figuren die sich erst im Lauf der christlichen Theologiegeschichte herausgebildet haben ndash beispielsweise die Kontrastierung von Selbsterloumlsung und Gnade ndash an philosophische Texte die in ganz anderen Kontexten zu situieren sind heranzutragen Umgekehrt zeigen uns die an-faumlnglich vorgestellten christlichen Rezensionen des Enchiridion dass Grenzziehun-gen zwischen den beiden Bereichen ihrerseits erheblichen geschichtlichen Variatio-nen unterliegen

24 Diskursmodelle

Angeregt von philosophischen Diskurstheorien lassen sich urchristliche und philoso-phische Texte der fruumlhen Kaiserzeit darauf hin befragen inwieweit sie aktuelle

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sbquoDiskurselsquo dokumentieren und ihrerseits bestimmte Positionen beziehen34 Sie sind also engagiert in argumentativen Dialogen uumlber die Wahrheit von Behauptungen und die Legitimitaumlt von Normen Das klassische Geschaumlft von Exegeten und Philologen die Sortierung von sbquoParallelenlsquo stellt einschlaumlgiges Material fuumlr die Identifizierung von Themen und fuumlr die Rekonstruktion von Rezeptionserwartungen zusammen35 Auf dem weltanschaulichen Markt der fruumlhen Kaiserzeit einer fuumlr antike Verhaumlltnisse hochgradig globalisierten Welt bieten sich sowohl Philosophien wie Religionen als Fuumlhrerinnen zur Lebenskunst und als Weg zum Gluumlck an36 Ihre Diskurse handeln von den fundamentalen Fragen der Lebensorientierung ndash Schicksal und Freiheit Le-ben Tod und Jenseits ndash und von den ethischen und praktischen Problemstellungen rund um Ehe Besitz Sklaverei Freundschaft und Alter37 Sie lassen sich etwa mit Hilfe von Theorien sozialer oder personaler Identitaumlt profilieren38

Es ist attraktiv Epiktets Lehrgespraumlch uumlber die Eleutheria in den zeitgenoumlssischen Diskursen uumlber die Freiheit zu verorten39 an denen sich auch Exponenten von

34 Zur Hochkonjunktur des Diskursbegriffs in den letzten Jahrzehnten vgl die summari-

schen Bemerkungen von K GRUumlNDER Vorbemerkungen zu HWPh 9 (1995) 84ndash86 35 So spielen Epiktets Texte im Neuen Wettstein eine prominente Rolle s unten S 36 Zur Philosophie als exercice spirituelle vgl HADOT 2005 Zu den methodischen Proble-

men bei der Identifizierung von Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament vgl VOLLENWEIDER 2012 298f

37 Instruktiv ist in unserem Zusammenhang der juumlngst erschienene Sammelband unter dem Titel bdquoStoicism in early Christianityldquo (RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010) Behandelt werden ua Fragen der Ethik und des Gesetzes bei Paulus die Darstellung Jesu als Lehrer bei Mt der sbquoemotionalelsquo Jesus in Joh die Weltbrand-Eschatologie (2Petr) das Thema der Sklaverei und der Willensfreiheit

38 So spielt Epiktet bei NGUYEN 2008 eine wichtige Rolle in der Rekonstruktion der Inter-aktionen zwischen den Korinthern und Paulus Auch die bdquoWeltdistanzldquo die zum Ver-gleich von Urchristen und Epiktet einlaumldt (BRAUN 1971 SCHRAGE 2004 WEBER 1999) waumlre heute auf der Basis von Theorien sozialer Identitaumlt zu reformulieren

39 Als besonders herausragende Texte der fruumlhen Kaiserzeit sind neben Epiktet Diss IV 1 und Paulus Roumlm 6ndash8 Gal 45 1Kor 910 zu nennen Dion Or 14ndash15 80 Philon Prob verschiedene Texte von Seneca sodann Cicero Parad 33ndash41 (omnes sapientes liberos esse et stultos omnes servos) Persius Sat 5 Ps-Andron Rhod Pass 97 Nicht erhal-tene Traktate bdquoUumlber die Freiheitldquo oder bdquoUumlber Knechtschaft (und Freiheit)ldquo werden ua Antisthenes (Diog Laert 616) und Kleanthes (Diog Laert 7175 = SVF 1 481) zuge-schrieben Wichtige Quellentexte stellt WILLMS 2011 I 63ndash83 89 zusammen Sein Ver-such eine bdquostoische Urschriftldquo namentlich aufgrund von Uumlbereinstimmungen zwischen Epiktet und Philon zu postulieren ist mE wie viele andere literarkritische Modelle die auf die Quellenkritik des 19 Jh zuruumlckgehen zum Scheitern verurteilt Die Parallelen erweisen sich als so partiell dass sie mit der Annahme von gemeinsamem Traditionsgut ausreichend erklaumlrt werden koumlnnen Die methodisch viel anspruchsvollere Hypothese ei-ner gemeinsamen Quelle laumlsst sich nicht plausibilisieren (vgl dazu bereits VOLLENWEIDER 1989 28f)

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Partialkulturen wie der juumldischen und der christlichen beteiligten Zu beachten ist da-bei dass die Freiheitsdiskurse auch implizit oder explizit politische Akzente setzen etwa im Verhaumlltnis zur imperialen Ideologie40 Wir beschaumlftigen uns im Folgenden exemplarisch mit dem spezifisch theologischen Profil des Freiheitsverstaumlndnisses Epiktets Zugrunde gelegt wird die Annahme dass sein Verstaumlndnis von Freiheit zwar ein deutlich erkennbares individuelles Kolorit aufweist sich aber grundsaumltzlich doch in die klassische stoische Konfiguration einzeichnen laumlsst41

3 Der goumlttliche Grund der Freiheit nach Diss IV 185ndash110

31 Grundlegende Unterscheidungen

Epiktet geht in seinem Lehrgespraumlch von einer weithin konsensfaumlhigen Definition von Freiheit aus die Freiheit zu leben bdquowie man willldquo (sect1)42 Die Argumentation steuert uumlber mehrere Gaumlnge auf ein Verstaumlndnis von Freiheit zu das sich fuumlr die vom Meister in die Unterredung einbezogenen virtuellen Schuumller mit uumlberraschenden Entdeckun-gen verbindet Der soziale Status mit all seinen Implikationen traumlgt nicht nur nichts bei zum Erwerb der Freiheit sondern entpuppt sich sogar als bdquoschoumlnste und glaumln-zendste Sklavereildquo (sect40) Dies gilt zumal dort wo einer nur noch den Kaiser als bdquoHerrn uumlber alleldquo uumlber sich weiss (sect12f) Zentral fuumlr den Befreiungsprozess ist das unablaumlssige Einuumlben jener kognitiven Operation welche die allgemeinen Vorstellun-gen (προλήψεις) mit den konkreten Lebensverhaumlltnissen konfiguriert (ταῖς ἐπὶ μέρους οὐσίαις sect41f)43 bdquoSuche und du wirst findenldquo (sect51)44 Wer

40 Muumlnzen Inschriften und Literatur belegen die Zugkraft des ideenpolitischen Schlagworts

bdquoFreiheitldquo so beanspruchte der Prinzipat die res publica und ihre libertas wiederherge-stellt zu haben

41 Vgl Forschner oben S Anders jetzt ASMIS 2001 der Epiktet eine neue Frei-heitskonzeption zuschreibt (bdquoEpictetus in sum offers a new concept of human freedom according to which the power of choice [sc prohairesis SV] confers on each person the freedom to determine onersquos own characterrdquo 412)

42 Diese gaumlngige Formel begegnet zB auch bei Paulus Gal 517 Roumlm 715ndash19 43 Zum Verstaumlndnis der Prolepsen im Kontext der Oikeiosislehre vgl FORSCHNER 1995

151ndash156 (πρόληψις als bdquoein umrisshafter unbestimmter undifferenzierter Vorgriffldquo der von einem bestimmten Begriff bzw einer Definition zu unterscheiden ist Epiktet ist bdquohier wohl altstoischem Gedankengut verpflichtetldquo 153) Vgl FORSCHNER oben S

44 Zum Bezug zur Jesustradition (Mt 77 usw) vgl WILLMS 2011 I 263ndash265 sowie BETZ 1995 501ndash504 und unten S Die Sentenz ist so weit gestreut dass sie keine Benut-zung des Neuen Testaments durch Epiktet belegt

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nicht von selber dank der dem Logos entsprechenden natuumlrlichen Faumlhigkeiten zur Wahrheit gelangt kann sich an bewaumlhrten Wahrheitszeugen orientieren (sect51f) fak-tisch ist hier der aktuell Lehrende mindestens mitgemeint Epiktet steuert die Unter-redung die in diesem Teil (sect51ndash75) besonders stark als sokratischer Dialog gestaltet ist45 auf seine elementare Formel der Unterscheidung dessen was bdquouns zuhandenldquo und bdquouns nicht zuhandenldquo ist zu (sect65 τὰ μὲν ἐφ᾽ ἡμῖν ἐστιν τὰ δ᾽ ἐπ᾽ ἄλλοις vgl Diss I 1)46 Am Koumlrper selber wird geradezu hautnah der Bereich des Fremden des ἀλλότριον erfahrbar (sect76ndash80) plastisch verbildlicht im Gleichnis eines bepack-ten Esels den man notfalls auch bdquolassenldquo muss ganz zu schweigen vom Zubehoumlr und Gepaumlck (sect79f)

Bereits in diesem Abschnitt macht sich ein entscheidender Bezugstext ein Praumltext bemerkbar der spaumlter explizit zu Wort kommen wird das Gebet des Kleanthes Wird der Esel von anderen requiriert (angareia) so gilt bdquoLass ihn gehen widerstrebe nicht und murre nicht ndash andernfalls wirst du den Esel genauso einbuumlssen nur mit Schlaumlgenldquo Im bdquogenauso hellip nurldquo (woumlrtlich bdquonichts desto wenigerldquo οὐδὲν ἧττον) spielt Epiktet an auf Kleanthesrsquo Vers bdquoWenn ich aber nicht (folgen) wollte waumlre ich ein feiger Schwaumlchling und muumlsste euch nichtsdestoweniger (οὐδὲν ἧττον) folgenldquo (Ench 531)

Mit der Aufforderung unablaumlssig die elementare Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo zu uumlben (sect81) die wiederum im Bereich von Koumlrper und Besitz die Frei-heit von Angst und Begehren eroumlffnet ist die Plattform fuumlr die uns interessierende theologische Deutung etabliert47

Bereits sect82 hat vorausweisenden Charakter Die Bestimmung uumlber das Wesen des Guten und Schlechten faumlllt in den Bereich des Eigenen bdquoWer kann es dir wegnehmen

45 Auf das sokratische Design der Dissertationes hat besonders LONG 2002 67ndash96 uouml

hingewiesen (bdquoSocrates rather than any Stoic philosopher or even the Cynic Diogenes is Epictetus favoured paradigm not only as a model for life but also as a practitioner of philosophical conversationldquo 4) hier auch verbunden mit Kritik an BONHOumlFFER (166f 176)

46 Zu Herkunft und Hintergrund der Formel vgl DOBBIN 1998 65ndash68 WILLMS 2011 I 328ndash337

47 Die Strukturierung unseres Lehrgespraumlchs durch das Nacheinander eines sbquoprofanenlsquo bzw sbquosaumlkularenlsquo Teils als Tradition (sect6ndash90) und eines sbquotheologischenlsquo Teils als Interpretation (sect91ndash131) durch NESTLE 1967 125ndash128 134 (zustimmend GRETENKORD 1981 195f) hat keinen Anhalt am Text (bereits sect89f stellt eine theologische Klimax dar die durch die Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo eng mit der ab sect62 entfalteten Argumen-tation verbunden ist) und arbeitet mit (redaktionsgeschichtlichen) Kategorien die sich bei Epiktet nicht bewaumlhren (das richtige Applizieren der allgemeinen Vorstellungen auf die konkreten Lebensumstaumlnde in sect41f ist eine spezifisch epiktetische Konzeption ohne dass sie deswegen unstoisch waumlre) vgl oben Anm 43)

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wer kann dich behindern Ebenso wenig kann man Gott behindernldquo Dies wird in sect90 wieder aufgenommen48

32 Das Gleichnis von der Burg und das Basisprinzip (sect85ndash90)

Im Abschnitt sect85ndash110 arbeitet Epiktet mit drei aufeinander folgenden Gleichnissen die jeweils fliessend in allgemeine Aussagen uumlbergehen Burg Reisegesellschaft und Festversammlung Die Befreiung von der Furcht wird verbildlicht mit der Zerstoumlrung der inneren Burg (Akropolis) dem Sitz der Tyrannen Die Metapher uumlberrascht zu-naumlchst da man die innere Festung eher als positives Sinnbild fuumlr die uneinnehmbare Position des Denkvermoumlgens erwartet haumltte49 Sie hat hier aber den Charakter der Zwingburg die man niederreissen oder wenigstens entvoumllkern soll Mit dem erneuten bdquoLassenldquo des Koumlrpers und seiner Teile von Besitz Ehrungen Kindern Geschwistern und Freunden (vgl sect66f) wechseln wir wieder auf die Sachebene (die eher an einen defensiven Ruumlckzug denken laumlsst) Uumlber das Bildelement von den Leibwaumlchtern die ihren bedrohlichen Charakter verloren haben fokussiert der Meister nun auf den Wil-len der von keinem Zwang mehr behindert wird (sect88) und damit auf die Leitdefini-tion am Anfang der Unterweisung (sect1) Wir stehen vor einem Scharnier der Argu-mentation weil nun das theologische Bekenntnis bdquoIch habe mein Streben Gott anheim gestelltldquo eine neue Dimension der wahren Freiheit eroumlffnet und zur Formulierung des Basisprinzips fuumlhrt (sect89ndash90)50

Das Bekenntnis selber verdichtet den stoischen Gedanken der Einfuumlgung in die

48 Dieser Verweis auf Gott unterscheidet sich von Diss I 123 wonach Zeus als houmlchster

Repraumlsentant des bdquoFremdenldquo die eigene Prohairesis nicht bezwingen (νικῆσαι) kann Dazu GRAVER 2003 348f

49 Praumlgnant ist vor allem die Aumlusserung Marc Aurels bdquoDeshalb ist die von Leidenschaften freie Denkkraft eine feste Burg (ἀκρόπολίς ἐστιν ἡ ἐλευθέρα παθῶν διάνοια) denn

nichts Staumlrkeres hat der Menschldquo (VIII 483) als Leitmotiv bei HADOT 1997 156ndash184 Vgl Sen Ep 825 Negativ konnotiert ist die Festung etwa auch bei Philon Fug 148 (bdquoZwingburg der Lustldquo) positiv Abr 150 vom Ort der Augen dem koumlniglichen Sinn Spec 3184 vom Kopf Spec 449 von der Seele

50 Auffaumlllig ist die perfektische Formulierung des Bekenntnisses die sich auch im vorange-gangenen Satz spiegelt (οὐπώποτε mit zwei Verben im Aorist) Spielt Epiktet hier an auf seinen Status als einer von denen die die Wahrheit gesucht und gefunden haben (sect51)

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goumlttliche Weltordnung51 Beim bdquoStrebenldquo (ὁρμή) handelt es sich um einen gaumlngigen Terminus fuumlr die menschlichen Antriebe also den Bereich der Willensbewegungen des θέλειν und βούλεσθαι (vgl sect99) die vom Logos geformt werden muumlssen52

Die folgenden kurzen Saumltze in sect8990 formulieren in aumlusserster Zuspitzung die Rhe-torik arbeitet mit provokanten Paradoxien Der Wille Gottes determiniert den Willen des Subjekts nicht nur vollumfaumlnglich sondern bestimmt auch seine Intentionalitaumlt ndash das Ich bdquowillldquo Peristasen wie Fieber Tod und Folter Die scheinbare Fremdbestim-mung wird schliesslich aufgefangen durch die Analogisierung mit Zeus selber (vgl sect82)53

Das Basisprinzip besteht also in der vollstaumlndigen Konvergenz des Willens des (menschlichen) Subjekts mit dem Willen Gottes eine Konvergenz die im Zeichen der wahren Freiheit steht Es reflektiert die traditionelle Figur des stoischen Determi-nismus der einerseits zwar die Willensfreiheit ganz im Geflecht der kosmischen Kau-salketten aufhebt andrerseits aber das Freiheitspathos steigert54 Offenkundig spiegelt Epiktet hier absichtsvoll zwei verschiedene Modi von Freiheit ineinander diejenige des Entscheidens (Freiheit als Immer-auch-anders-Koumlnnen) und diejenige des Wol-lens (die in der nachmaligen lateinischen Theologie bei Marius Victorinus und beson-ders bei Augustin zur Entfaltung der Willensmetaphysik gefuumlhrt hat)

Die Passage ist so stark von paradoxaler Rhetorik bestimmt dass man sie nicht vor-schnell mit fruumlhchristlichen Texten kontrastieren sollte Epiktet am naumlchsten steht die Szene in Getsemane wo Jesus Gottes Willen seinem eigenen vorordnet bdquoAbba

51 Das Verb προσκατατάσσειν das bei Epiktet nur in Diss IV 1 begegnet meint die Ein-

ordnung unter eine uumlbergeordnete Groumlsse (vgl unten sect9198) und beruumlhrt sich mit κατατάσσειν das in Ench 311 die Eusebeia das angemessene Verhalten gegenuumlber den Goumlttern beschreibt und mit bdquogehorchenldquo bdquosich fuumlgenldquo und bdquofreiwillig folgenldquo expli-ziert wird Besonders praumlgend ist das Sokrateswort in Platons Apologie 28e (τάξις) das Diss I 924 unter dem Einfluss von Leg 12945a (εἰς τάξιν κατατάξῃ) reformuliert wird bdquoGott hat uns einen bestimmten Platz und eine bestimmte Lebensform zugewiesen (κατατέταχεν) die wir nicht verlassen sollenldquo vgl III 14114 (εἰς τοιαύτην ὑπηρεσίαν κατατεταγμένος) II 139 I 134 (von einer uumlbergeordneten Stellung) Un-sere Formulierung in sect89ndash99 druumlckt mit dem zusaumltzlichen Compositum πρoς- auch noch jene dynamische Richtungsbestimmung aus die aus dem Praumltext des Kleanthes stammt (bdquofuumlhre mich [hellip] dahinldquo sect131) προσκατατάσσειν (LSJ 1516a bdquosubjoin append as-sign attachldquo) begegnet nur gelegentlich in der griechischen Literatur (Polyb III 201 [Re-den hinzufuumlgen] Philon Op 131 [Suumlsswasser der Erde zuweisen vgl 38] Cornut Nat deor 323 [Feuchtes in Aumlther uumlberfuumlhren] OGIS 5627 [hinzugefuumlgte Priester]) Vgl WILLMS 2011 I 489f

52 Zenon hat einen Traktat περὶ ὁρμῆς ἢ περὶ ἀνθρώπου φύσεως verfasst (Diog Laert 74 = SVF 1 41) vgl ferner POHLENZ 61991 II 52 77 80f Textintern sind die Bezuumlge der ὁρμή auf das θέλειν durch den voranstehenden wie den nachfolgenden Satz deutlich

53 Fuumlr diese Analogie bietet Diss II 1722ndash25 eine instruktive Parallele bdquoMit einem Wort Wolle nichts anderes als was Gott will Wer wird dich dann noch behindern wer dich zwingen Ebenso wenig wie (man) Zeus (zwingen kann) Wenn du einen solchen Fuumlhrer hast und mit ihm eines Willens und eines Wunsches bist was fuumlrchtest du dann noch an Fehlschlaumlgenldquo Epiktet raumlt auch hier dazu sich nicht zu binden an Reichtum Armut Ge-sundheit Ehre Vater Heimat Freunde und Kinder die alle nicht unserem Verfuumlgungs-bereich zugehoumlren

54 Zugespitzt bei BRAICOVICH 2010 der Epiktets handlungspsychologisches Freiheitsver-staumlndnis konsequent deterministisch deutet Zur allgemeinen Diskussion des stoischen Determinismus vgl STEINMETZ 1994 610ndash612 GUCKES 2004 12ndash17 im Zusammenhang mit Epiktet LONG 2002 220ndash222 (bdquothe autonomous person as someone who voluntarily complies with a predetermined situationldquo 222) sowie FORSCHNER oben S

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Vater alles ist dir moumlglich Lass diesen Kelch an mir voruumlbergehen Doch nicht was ich will sondern was du willstldquo (Mk 1436 vgl Mt 2639 Lk 2242)55 Die nur bei Mk vorkommende Allmachtsformel haumllt die ndash nicht realisierte ndash Moumlglichkeit offen dass Jesu eigener Wille dem Leiden zu entgehen sich verwirklichen liesse Der Vers der in der altkirchlichen Zweinaturenchristologie intensiv debattiert worden ist scheint es im Kontrast zu Epiktet bei einem sbquoproduktivenlsquo Gegenuumlber von zwei Wil-lensbewegungen zu belassen ndash eine Asymmetrie von erheblichem anthropologischem Gewicht Der Unterschied des Genre will freilich beachtet sein Waumlhrend Epiktet in einem argumentativen Text das Resultat einer geradezu lebenslaumlnglich vollzogenen Uumlbung (askesis) in praumlsentischen Paradoxien versprachlicht markiert die Getsemane-Erzaumlhlung der Evangelien eine Station auf dem Passionsweg Jesu der die vollstaumlndige Konvergenz der beiden Willensbewegungen narrativ zur Darstellung bringen wird Jesus ergibt sich als leidender Gerechter in den Gotteswillen bis zum Tod am Kreuz

Keine direkte Relevanz fuumlr die von uns hier diskutierte Thematik hat die Problemati-sierung der Einheit des menschlichen Willensbereichs56 Sowohl Epiktet (Diss II 1718f II 261 uouml) wie Paulus (Roumlm 715ndash19) sprechen vom inneren Zwiespalt des Menschen und orientieren sich dabei an einer in der Antike verbreiteten Figur die auf die Gestalt der euripideischen Medea zuruumlckfuumlhrt Die zugrunde liegenden anthropo-logischen Konzeptionen sind zwar denkbar verschieden Dem grundsaumltzlich monisti-schen Ansatz Epiktets steht der dualistische des Paulus gegenuumlber57 Es faumlllt aber auf dass beide das fuumlr die Medea-Rezeption traditionelle Schema des Gegensatzes von Erkennen und Trieb von Vernunft und Leidenschaft durch eine weit radikalere Deu-tung uumlberlagern Der Zwiespalt im Inneren ist uumlberhaupt nur retrospektiv durchschau-bar geworden erst das Ereignis der Befreiung laumlsst es zur Erkenntnis der Sklaverei kommen Dabei sprechen beide von der Unfreiheit gut traditionell als dem bdquoTun was ich nicht willldquo58

Freiheit wird praumlsentiert als Anerkennung dessen was ohnehin nicht zur Disposition steht und nicht anders sein kann als es der Fall ist Das klassische Bild der Stoiker

55 Die Uumlbersetzung biblischer Texte richtet sich meistens nach der Zuumlrcher Bibel 2007 56 Der optimistischen Anthropologie Epiktets laumlsst sich dann diejenige des Paulus gegen-

uumlberstellen die zwar nicht pessimistisch ist aber Suumlnde nicht im kognitiven Bereich son-dern im Willensbereich platziert vgl zB SCHNELLE 2009 156f

57 Zum Verhaumlltnis zwischen Epiktet und Roumlm 7 vgl HUTTUNEN 2005 ferner VOLLENWEIDER 1989 350ndash352

58 Vgl oben bei Anm 42 Das Versklavtsein wird bei Epiktet deswegen nicht so ausweglos wie bei Paulus wahrgenommen weil es wesentlich auf falschem Denken beruht

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stellt der an einen Wagen festgebundene Hund dar der entweder aus eigenen Stuumlcken mitgeht oder aber mitgeschleift wird59

33 Das Gleichnis von der sicheren Reisegesellschaft (sect91ndash98)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft changiert zwischen Bildrede und eigentlicher Rede Mit οὕτως (sect91) wird das Bild eingefuumlhrt ebenfalls mit οὕτως erfolgt der Wechsel zur Sachebene naumlmlich zur kosmischen Position des Verstaumlndigen (sect9298) dessen Selbstgespraumlch wieder auf der Bildebene spielt (sect92ndash97) Mit seinen Hinwei-sen auf hoch gestellte Personen besonders den Status des Freunds des Kaisers wird Bezug genommen auf fruumlhere Passagen (sect8ndash15 45ndash50) Das Selbstgespraumlch endet ironisch in einer Aporie ndash selbst in der Einoumlde gibt es keinen Schutz vor negativen Maumlchten (sect97) Erst der Anschluss an Gott ermoumlglicht eine sichere Reise Die Philo-sophie spielt hier ihre in hellenistischer und kaiserzeitlicher Zeit zentral gewordene Rolle als Ratgeber fuumlr den Umgang mit jederzeit drohenden Kontingenzen und ant-wortet auf ein Anliegen das auch die zeitgenoumlssischen Religionen das Christentum so gut wie Mysterienreligionen und magische Praktiken bearbeiten

Die traditionelle und uumlberaus reiche Metaphorik des Wegs deckt ein breites Spektrum ab Die hauptsaumlchliche Konnotation die auch bei Epiktet reichhaltig begegnet ist die-jenige des Zusammenhangs von Weg und Ziel So spricht unser Lehrgespraumlch sum-mierend vom Weg zur wahren Freiheit (sect131)60 Das Reisegleichnis in Diss II 2336ndash39 raumlt dazu Raststaumltten wieder zu verlassen um zur Heimatstadt zu gelangen (εἰς τὴν

πατρίδα ἐπανελθεῖν)61 Auch wo Gott (II 710f) oder der wahre Kyniker (III 2226) den rechten Weg weisen ist das Ziel im Blick62 Aumlhnlich steht es mit der christ-lichen Wegmetaphorik63 In unserem Zusammenhang geht es dagegen ausschliesslich um das sichere Reisen ndash in der Sprache heutiger Lebensratgeber der Weg ist das Ziel Fuumlr die Reisegemeinschaft mit Gott bietet II 1723 eine bemerkenswerte Parallele da hier neben der Konvergenz des Wollens auch die Analogie mit Zeus figuriert (sect22)64 Das Leben laumlsst sich generell mit einer Reise vergleichen65 III 139ndash11 stellt heraus dass nur die Philosophie nicht aber der Kaiser si-

59 Chrysipp () SVF 2 975 vgl POHLENZ 82010 I 106 STEINMETZ 1994 611f weiteres bei

VOLLENWEIDER 1989 75f 60 Vgl IV 439 vom Weg zur wahren εὔροια 61 Auch hier wird explizit der Bezug zur Freiheit hergestellt (sect42) verbunden mit dem bdquomit

ganzem Herzenldquo zu sprechenden Gebet des Kleanthes 62 Vgl ferner I 1618 II 216 II 123 III 263f IV 24 IV 659 IV 916 63 Vgl den Uumlberblick (auch zur Umwelt) von W MICHAELIS Art ὁδός κτλ ThWNT 5

(1954) 42ndash118 sowie die bei WILLMS 2012 II 709 genannte Literatur 64 Vgl oben Anm 53 65 Diss II 510 von der Seereise wo bdquoeiniges an mir liegt anderes aber nichtldquo vgl ferner II

1624 I 99 II 1737f in III 2493 wird die Abreise mit dem Sterben verglichen

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cheren Reiseschutz verleihen kann (vgl sect3) Es gibt durchaus neutestamentliches Vergleichsmaterial Die Nachfolge auf Jesu Weg wie ihn die Evangelien darstellen ist transparent fuumlr den Lebensweg der Christusglaumlubigen (Mk 827ndash1052 besonders 834) Dieser ist freilich auch wieder auf ein Ziel hin orientiert naumlmlich auf die Pas-sion und das Kreuz Epiktets goumlttlicher Reisegesellschaft am naumlchsten kommen wir mit der Topik des bdquoMitseinsldquo Jesu bzw Gottes mit den Glaubenden (Mt 2820 vgl 123 1820 Joh 1416f [vom Geist]) welche die gesamte biblische Tradition des Mit-gehens Gottes mit seinem Volk insbesondere waumlhrend der Wuumlstenwanderung sum-miert Obschon der Lebensweg die Stoiker in widrige Umstaumlnde und die Christen in das Martyrium fuumlhren mag gibt die Gemeinschaft mit Gott ultimative Sicherheit Der Vergleich fuumlhrt uns also wieder in den Bereich der Passionsgeschichte Waumlhrend fuumlr die Christen der Gottessohn und somit der in diesem praumlsente Gott selber den Weg des Leidens geht sieht sich der Stoiker gewiesen an Vorbilder die paradigmatisch das Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens vor Augen stellen zumal an Herakles und Sokrates Zwar ist auch ihr Gott im Kosmos gegenwaumlrtig aber da er das harmo-nisch gefuumlgte Ganze repraumlsentiert ist er den immer nur einzelne Teile betreffenden Turbulenzen nicht ausgesetzt

34 Das Gleichnis von der Festversammlung (sect99ndash110)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft endet in einem radikalen Ruumlckzug aus dem Bereich des Ungewissen der nicht einmal in der Einsamkeit der Einoumlde haltmacht sondern gleichsam in die Unweltlichkeit versetzt Dieser Reduktionsbewegung auf einen einzigen Punkt der mit Gott identifiziert wird kommt nun eine expandierende Bewegung entgegenzustehen die in die Weite des Kosmos und die universale Ge-meinschaft hinaus weist

Mit dem erneuten Ruumlckgriff auf das theologische Bekenntnis und das Prinzip von sect89 baut Epiktet sukzessive ein neues Gleichnis auf das sich mit kosmologischen Deu-tungen verbindet Im Fokus stehen nun die Willensbewegungen Gottes und sein ord-nendes Wirken im Kosmos Die Basisunterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoAnderemldquo wird theologisch akzentuiert Im Bereich des Eigenen figuriert die freie Selbstbestim-mung die Prohairesis66 der Bereich des Anderen wird der Gottheit und ihrem Wal-ten dem bdquoKreislauf des Allsldquo zugemessen (sect100) Koumlrper Besitz sowie Haus Kinder und Frau (vgl sect66f 87 107 111) Alles wovon sich der Verstaumlndige innerlich als

66 Zur Prohairesis vgl FORSCHNER in diesem Band S [[Typoskript S 5]] ferner STE-

PHENS 2007 16ndash25 (bdquoProhairesis as selfldquo) und die Diskussion von ENGBERG-PEDERSEN 2010 212ndash214 (bdquotrue human selfldquo) mit LONG 2002 28ndash30 207ndash220 (bdquovolitionldquo)

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dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

141

logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

142

41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

143

Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

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-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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21995

Page 9: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

126

beim Eid bei der Gotteskindschaft bei Herakles als Heiland oder beim gottgesandten apostelgleichen Kyniker24

22 Gelaumluterte Religion Bonhoumlffers vergleichendes Modell

Die Monographie bdquoEpiktet und das Neue Testamentldquo von Adolf Bonhoumlffer aus dem Jahr 1911 markiert das wohl definitive Ende der Dependenzmodelle In einer detail-lierten Auseinandersetzung stellt der Philologe heraus dass es keine uumlberzeugenden Indizien fuumlr eine Abhaumlngigkeit Epiktets vom Neuen Testament gibt ndash wie auch umge-kehrt keine nennenswerten stoischen Einfluumlsse auf das Urchristentum geltend ge-macht werden koumlnnen Die bisher in Anspruch genommenen Uumlbereinstimmungen er-weisen sich teilweise als konstruiert teilweise als Resultat von Konvergenzen die bei naumlherem Zusehen doch jeweils sehr verschiedene kulturelle Kontexte zum Ausdruck bringen Bonhoumlffer arbeitet ndash wie manche bereits vor ihm ndash mit einem vergleichenden Modell das vor allem in seiner bdquosystematischen Vergleichung Epiktets und des Neuen Testamentsldquo greifbar wird25

Bonhoumlffer ist sich der Gefahr einer nicht angemessenen Systematisierung bewusst Waumlhrend sich die neutestamentliche Theologie erst noch entwickelt ruht Epiktets Denken zwar bdquodurchweg auf einem ganz genau umrissenen und ins einzelne hinein fest formulierten System der alten orthodoxen Lehre der Stoaldquo26 wird aber von bdquosei-ner eigenen vom stoischen Geist durchdrungenen Persoumlnlichkeitldquo formiert und reprauml-sentiert (340) Bonhoumlffer arbeitet Analogien wie Kontraste heraus Zu den Gemein-samkeiten zaumlhlen die bdquogelaumluterte Religiositaumltldquo die Verbindung von Religion und Mo-ral der Idealismus und sittliche Ernst (341ndash354) zu den Kontrasten der Gegensatz von Vernunft und Offenbarung oder von Diesseitigkeit und Jenseitigkeit (354ndash357) Offenkundig wurzelt Bonhoumlffer in der zeitgenoumlssischen liberalen Theologie die im spaumlten 19 und fruumlhen 20 Jh gemeinsam mit den anderen Geisteswissenschaften ein sbquokulturprotestantischeslsquo Profil aufweist Gemessen am liberal-theologischen Jesusbild bleibt fuumlr Bonhoumlffer der epiktetische Theismus defizitaumlr bdquoMit dem allem soll aber nun keineswegs gesagt sein dass die Religiositaumlt Eprsquos der neutestamentlichen vollauf ebenbuumlrtig seildquo Es bdquoerreicht auch die Froumlmmigkeit Eprsquos so echt sie empfunden ist doch die Houmlhe der christlichen nichtldquo27 So weht bdquoein waumlrmerer Geist der Menschen-liebe durch das Neue Testament [hellip] als selbst durch die Reden eines Epldquo (382) Kritisiert wird auch die vornehmlich Eliten adres-

24 ZAHN 1895 28ndash33 Eine vernichtende Kritik stammt von WENDLAND 1895 Zahn miss-

verstehe Epiktet nicht nur haumlufig sondern zeige eine bdquovoumlllig unzureichende Kenntnis der kynischen und stoischen Literaturldquo (495)

25 BONHOumlFFER 1911 339ndash390 26 Diesen Nachweis lieferte BONHOumlFFER bereits 1890 sowie 1894 27 BONHOumlFFER 1911 344

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sierende Stoa die bdquodurch ihre historische Gebundenheit an die Lehrformen des aris-tokratischen Partikularismus gehindert war ihre universelle Mission zu erfuumlllenldquo (388) Umgekehrt zeigt Epiktet in manchen Lebensbereichen eine natuumlrlichere Ein-stellung ndash dies erweisen bdquoein frisches und gesundes Interesse an dem Weltgeschehen und am Tun und Treiben der Menschheitldquo die bdquoFreude an den Werken der Technik und der Kunstldquo die Einstellung zu Leiblichkeit und Sexualitaumlt (366f) sowie das bdquopo-sitive Interesse an der Menschheitldquo (377) Erstaunlich wenig gewichtet wird die bdquoDiesseitigkeitldquo Epiktets die sich markant mit der Jenseits- und Endzeitbezogenheit des Urchristentums kontrastieren liesse

Es ist Rudolf Bultmann der Bonhoumlffers Verhaumlltnisbestimmung einer fundamentalen Kritik unterzieht28 Mit ihm meldet sich bereits jene Generation von Neutestamentlern aus der Religionsgeschichtlichen Schule und der Dialektischen Theologie zu Wort die mit der liberalen Theologie brechen wird29 In einer raschen Replik auf Bultmanns Kritik stellt Bonhoumlffer seinerseits seine Position noch einmal deutlich heraus Gegen-uumlber der ziemlich negativen Wahrnehmung Epiktets durch den Theologen gibt er zu bedenken dass dessen Kritik durchaus und zu noch groumlsseren Teilen just auch das neutestamentliche Christentum traumlfe30

Bonhoumlffers Vergleich von Epiktet und Neuem Testament laumluft auf die Konstatierung einer grundsaumltzlichen Verschiedenheit hinaus die aber Gemeinsamkeiten nicht aus-schliesst Auch wenn sich Urchristen und Epiktet auf Augenhoumlhe treffen zeichnen sich erstere doch durch ein Mehr an genuiner Religiositaumlt aus Beide Typisierungen verraten deutlich ihren kulturgeschichtlichen Hintergrund zu Beginn des 20 Jahrhun-derts ndash die Wertschaumltzung der sbquogenialenlsquo religioumlsen sbquoPersoumlnlichkeitlsquo und des sbquosittlichlsquo orientierten Weltverhaumlltnisses

23 Ein Zwischenhalt Methodische Uumlberlegungen

Der Grundansatz von Bonhoumlffer von zwei im Ansatz sehr verschiedenen kulturellen Bildungen auszugehen naumlmlich der stoischen Philosophie und ihrer besonderen in-dividuellen Brechung bei Epiktet einerseits der urchristlichen Religion und ihrer

28 BULTMANN 1912 (Bonhoumlffers Buch scheint bdquosowohl in der Anlage wie in der

Erfassung des Problems verfehlt zu seinldquo 97) 29 In Bultmanns Positionsbezug gegen Bonhoumlffer tritt dies allerdings noch nicht deutlich

hervor So bestimmt er als bdquoZentralpunkt der Differenzldquo zwischen Epiktet und Neuem Testament bdquoein ganz verschiedenes Individualitaumltsgefuumlhl [] ein ganz verschiedenes Per-soumlnlichkeitsbewusstseinldquo (182 vgl 186ndash190) Nicht anders als Bonhoumlffer steht Bultmann dem Religionsverstaumlndnis der liberalen Theologie noch nahe vgl seine Bemerkung uumlber den Unterschied zum frostigen Seneca bdquoEpiktets Froumlmmigkeit verbreitet eine sonnige Heiterkeit Waumlrme und Frieden um sichldquo (110) Die Gegensaumltze werden in der spaumlteren Darstellung bdquoDas Urchristentum im Rahmen der antiken Religionenldquo (1949) viel schaumlrfer gezeichnet s unten bei Anm 32

30 BONHOumlFFER 1912 288f

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theologischen Reflexion etwa bei Paulus andrerseits hat sich als plausibel und weg-weisend erwiesen Wo immer die beiden Kulturgestalten komparatistisch auf einander bezogen werden orientiert man sich an diesem Basismodell31 Die Umbruumlche in den Geistes- und Kulturwissenschaften seit der Mitte des 20 Jahrhunderts haben freilich die Koordinaten entlang denen das Wirklichkeitsverstaumlndnis und die Ethik der Stoi-ker wie der Christen rekonstruiert werden tiefgreifend veraumlndert So hat sich auf der Seite der neutestamentlichen Theologie die urchristliche Eschatologie in den Vorder-grund geschoben die die Kontrastierung zur griechisch-hellenistischen Philosophie noch einmal anders konturiert32 In juumlngerer Zeit hat das Interesse an einem umfas-senden sbquoSystemvergleichlsquo deutlich abgenommen33

31 Grunddifferenzen bei gleichzeitigen Konvergenzen werden herausgearbeitet etwa bei

GRETENKORD 1981 261ndash305 KLAUCK 1989 ders 1996 85ndash88 92 GALLOWAY 2004 HUTTUNEN 2005 SCHNELLE 2009 RAMELLI 2009 WILLMS 2011 I 431f uouml Auch die juumlngste Gesamtdarstellung von Epiktet liegt auf dieser Linie LONG 2002 3 (bdquoEpictetus has also been misunderstood because his appeals to theology which are ubiquitous have been consciously or unconsciously read in the light of Christianity In my opinion Epic-tetusrsquo deepest ideas are remote from the main Christian message notwithstanding notable parallels between some things he says and the New Testamentldquo) 143ndash147 176

32 Bereits BULTMANN 1912 185ndash188 stellt ua das Fehlen eines Geschichtsbewusstseins in der Philosophie fest bdquoEtwas Neues ist nie gekommenldquo (185) Auf dieser Linie urteilt er spaumlter bdquoder Stoiker meint seine Zeitlichkeit eliminieren zu koumlnnen seine sbquoEntweltli-chunglsquo ist sbquoEntzeitlichunglsquoldquo (194941976 161) Ich selber habe versucht die Differenz zwischen Stoikern und Urchristen am ineinander verschraumlnkten Verhaumlltnis der drei Zeit-modi herauszuarbeiten und in die Kosmologie zu extrapolieren Waumlhrend die Gegenwart in der Perspektive der Christen von der endzeitlichen Zukunft tangiert wird steht sie bei den Stoikern im Bann der Vergangenheit Dem sich ewig wiederholenden Kosmos steht die sich vorerst partikular realisierende neue Schoumlpfung entgegen VOLLENWEIDER 1989 44ndash53 404f vgl unten S

33 Eine Ausnahme stellt der neuere Versuch von ENGBERG-PEDERSEN 2000 dar stoische Phi-losophie und paulinische Theologie idealtypisch zu vergleichen statt sich von der Frage nach historischen Beeinflussungen engfuumlhren zu lassen Die Basis dafuumlr stellt ein kom-plexes theoretisches Modell bereit das die Wechselwirkung zwischen Individuum Ge-meinschaft und dem Goumlttlichen bzw dem Logos beschreibt (33ndash44) Der Erkenntnisge-winn der Studie reicht genau so weit wie die Leserschaft bereit ist diesem Modell Plau-

sibilitaumlt zuzuerkennen ndash In seinem juumlngsten Buch fuumlhrt ENGBERG-PEDERSEN (2010 106ndash138) einen Vergleich speziell zwischen Epiktet und Paulus durch Er konzentriert sich dabei auf die Gotteserkenntnis und stellt neben Differenzen erhebliche Uumlbereinstimmun-gen fest Problematisiert werden die bisher gelaumlufigen Differenzkriterien von self-suffi-ciency (resp human agency) versus dependence (resp divine agency) und damit zusam-menhaumlngend von philosophy versus apocalypticism Bezuumlglich des erstgenannten Duals ist Engberg-Pedersen mE im Recht beim zweitgenannten aber kaum (vgl die vorherige Anm) Die Gotteserkenntnis ihrerseits hat bei den beiden Denkern einen derart unter-schiedlichen Stellenwert dass sie schwer vergleichbar ist zumal sie bei Paulus christolo-gisch vermittelt ist Ausserdem laumldt die Konvergenzformel bdquoknowledge (of God) as align-ment with Godldquo nicht primaumlr die Stoiker sondern vielmehr die Platoniker mit ihrer ὁμοίωσις θεῷ zum Gespraumlch mit Paulus Epiktet duumlrfte gerade an diesem Punkt plato-nische Motive rezipiert haben (vgl unten Anm 98) was vielleicht auch fuumlr Paulus gilt (so VAN KOOTEN 2008) Auch bei anderen Thesen des Buchs legen sich statt stoischer eher platonische Bezuumlge nahe vgl die Rezension von R HIRSCH-LUIPOLD Early Christianity 3 (2012) 122ndash133

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Methodisch gesehen erweist sich das komparatistische Geschaumlft als uumlberaus komplex Ich weise auf wenigstens drei Punkte hin wo ein umsichtiges historisches und herme-neutisches Urteil gefordert ist

1 Ein Vergleich kommt nur dort angemessen zum Zug wo beide Seiten in optimam partem interpretiert werden wo also Abstinenz gegenuumlber vorschnellen Verurteilun-gen eingeuumlbt wird Die neutestamentliche Exegese hat waumlhrend der letzten Jahrzehnte auf einem anderen Feld naumlmlich in der Einschaumltzung des Fruumlhjudentums geradezu einen Paradigmenwechsel vollzogen Anstatt das Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels als dunkle Folie zu entwerfen von der sich das entstehende Christentum strahlend abhebt wird es nun in seinem eigenen Selbstverstaumlndnis und unter Verzicht auf Werturteile rekonstruiert Es legt sich nahe diesen Typ einer interessierten und aufmerksamen Hermeneutik auch der Wahrnehmung hellenistischer Philosophen zu-gutekommen zu lassen

2 Der Versuch uumlberaus vielfaumlltige geschichtliche Kulturerscheinungen auf basale Figuren hin zu typisieren muss die Grenzen seiner Reichweite explizit reflektieren und sich mit der dienenden Rolle einer heuristischen Kunst bescheiden Sowohl die sokratisch modellierten und praktisch ausgerichteten Lehrgespraumlche Epiktets wie die Briefe und Erzaumlhltexte des Neuen Testaments bleiben widerstaumlndig gegenuumlber aller Systematik

3 Gerade weil umfassende geisteswissenschaftliche Rekonstruktionen unaus-weichlich im Kontext ihrer eigenen Zeit stehen muumlssen sie konsequent darauf hin befragt werden ob sie die historischen Phaumlnomene noch angemessen vergegenwaumlrti-gen und nicht ungebuumlhrlich verzerren So ist es nicht ratsam Figuren die sich erst im Lauf der christlichen Theologiegeschichte herausgebildet haben ndash beispielsweise die Kontrastierung von Selbsterloumlsung und Gnade ndash an philosophische Texte die in ganz anderen Kontexten zu situieren sind heranzutragen Umgekehrt zeigen uns die an-faumlnglich vorgestellten christlichen Rezensionen des Enchiridion dass Grenzziehun-gen zwischen den beiden Bereichen ihrerseits erheblichen geschichtlichen Variatio-nen unterliegen

24 Diskursmodelle

Angeregt von philosophischen Diskurstheorien lassen sich urchristliche und philoso-phische Texte der fruumlhen Kaiserzeit darauf hin befragen inwieweit sie aktuelle

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sbquoDiskurselsquo dokumentieren und ihrerseits bestimmte Positionen beziehen34 Sie sind also engagiert in argumentativen Dialogen uumlber die Wahrheit von Behauptungen und die Legitimitaumlt von Normen Das klassische Geschaumlft von Exegeten und Philologen die Sortierung von sbquoParallelenlsquo stellt einschlaumlgiges Material fuumlr die Identifizierung von Themen und fuumlr die Rekonstruktion von Rezeptionserwartungen zusammen35 Auf dem weltanschaulichen Markt der fruumlhen Kaiserzeit einer fuumlr antike Verhaumlltnisse hochgradig globalisierten Welt bieten sich sowohl Philosophien wie Religionen als Fuumlhrerinnen zur Lebenskunst und als Weg zum Gluumlck an36 Ihre Diskurse handeln von den fundamentalen Fragen der Lebensorientierung ndash Schicksal und Freiheit Le-ben Tod und Jenseits ndash und von den ethischen und praktischen Problemstellungen rund um Ehe Besitz Sklaverei Freundschaft und Alter37 Sie lassen sich etwa mit Hilfe von Theorien sozialer oder personaler Identitaumlt profilieren38

Es ist attraktiv Epiktets Lehrgespraumlch uumlber die Eleutheria in den zeitgenoumlssischen Diskursen uumlber die Freiheit zu verorten39 an denen sich auch Exponenten von

34 Zur Hochkonjunktur des Diskursbegriffs in den letzten Jahrzehnten vgl die summari-

schen Bemerkungen von K GRUumlNDER Vorbemerkungen zu HWPh 9 (1995) 84ndash86 35 So spielen Epiktets Texte im Neuen Wettstein eine prominente Rolle s unten S 36 Zur Philosophie als exercice spirituelle vgl HADOT 2005 Zu den methodischen Proble-

men bei der Identifizierung von Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament vgl VOLLENWEIDER 2012 298f

37 Instruktiv ist in unserem Zusammenhang der juumlngst erschienene Sammelband unter dem Titel bdquoStoicism in early Christianityldquo (RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010) Behandelt werden ua Fragen der Ethik und des Gesetzes bei Paulus die Darstellung Jesu als Lehrer bei Mt der sbquoemotionalelsquo Jesus in Joh die Weltbrand-Eschatologie (2Petr) das Thema der Sklaverei und der Willensfreiheit

38 So spielt Epiktet bei NGUYEN 2008 eine wichtige Rolle in der Rekonstruktion der Inter-aktionen zwischen den Korinthern und Paulus Auch die bdquoWeltdistanzldquo die zum Ver-gleich von Urchristen und Epiktet einlaumldt (BRAUN 1971 SCHRAGE 2004 WEBER 1999) waumlre heute auf der Basis von Theorien sozialer Identitaumlt zu reformulieren

39 Als besonders herausragende Texte der fruumlhen Kaiserzeit sind neben Epiktet Diss IV 1 und Paulus Roumlm 6ndash8 Gal 45 1Kor 910 zu nennen Dion Or 14ndash15 80 Philon Prob verschiedene Texte von Seneca sodann Cicero Parad 33ndash41 (omnes sapientes liberos esse et stultos omnes servos) Persius Sat 5 Ps-Andron Rhod Pass 97 Nicht erhal-tene Traktate bdquoUumlber die Freiheitldquo oder bdquoUumlber Knechtschaft (und Freiheit)ldquo werden ua Antisthenes (Diog Laert 616) und Kleanthes (Diog Laert 7175 = SVF 1 481) zuge-schrieben Wichtige Quellentexte stellt WILLMS 2011 I 63ndash83 89 zusammen Sein Ver-such eine bdquostoische Urschriftldquo namentlich aufgrund von Uumlbereinstimmungen zwischen Epiktet und Philon zu postulieren ist mE wie viele andere literarkritische Modelle die auf die Quellenkritik des 19 Jh zuruumlckgehen zum Scheitern verurteilt Die Parallelen erweisen sich als so partiell dass sie mit der Annahme von gemeinsamem Traditionsgut ausreichend erklaumlrt werden koumlnnen Die methodisch viel anspruchsvollere Hypothese ei-ner gemeinsamen Quelle laumlsst sich nicht plausibilisieren (vgl dazu bereits VOLLENWEIDER 1989 28f)

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Partialkulturen wie der juumldischen und der christlichen beteiligten Zu beachten ist da-bei dass die Freiheitsdiskurse auch implizit oder explizit politische Akzente setzen etwa im Verhaumlltnis zur imperialen Ideologie40 Wir beschaumlftigen uns im Folgenden exemplarisch mit dem spezifisch theologischen Profil des Freiheitsverstaumlndnisses Epiktets Zugrunde gelegt wird die Annahme dass sein Verstaumlndnis von Freiheit zwar ein deutlich erkennbares individuelles Kolorit aufweist sich aber grundsaumltzlich doch in die klassische stoische Konfiguration einzeichnen laumlsst41

3 Der goumlttliche Grund der Freiheit nach Diss IV 185ndash110

31 Grundlegende Unterscheidungen

Epiktet geht in seinem Lehrgespraumlch von einer weithin konsensfaumlhigen Definition von Freiheit aus die Freiheit zu leben bdquowie man willldquo (sect1)42 Die Argumentation steuert uumlber mehrere Gaumlnge auf ein Verstaumlndnis von Freiheit zu das sich fuumlr die vom Meister in die Unterredung einbezogenen virtuellen Schuumller mit uumlberraschenden Entdeckun-gen verbindet Der soziale Status mit all seinen Implikationen traumlgt nicht nur nichts bei zum Erwerb der Freiheit sondern entpuppt sich sogar als bdquoschoumlnste und glaumln-zendste Sklavereildquo (sect40) Dies gilt zumal dort wo einer nur noch den Kaiser als bdquoHerrn uumlber alleldquo uumlber sich weiss (sect12f) Zentral fuumlr den Befreiungsprozess ist das unablaumlssige Einuumlben jener kognitiven Operation welche die allgemeinen Vorstellun-gen (προλήψεις) mit den konkreten Lebensverhaumlltnissen konfiguriert (ταῖς ἐπὶ μέρους οὐσίαις sect41f)43 bdquoSuche und du wirst findenldquo (sect51)44 Wer

40 Muumlnzen Inschriften und Literatur belegen die Zugkraft des ideenpolitischen Schlagworts

bdquoFreiheitldquo so beanspruchte der Prinzipat die res publica und ihre libertas wiederherge-stellt zu haben

41 Vgl Forschner oben S Anders jetzt ASMIS 2001 der Epiktet eine neue Frei-heitskonzeption zuschreibt (bdquoEpictetus in sum offers a new concept of human freedom according to which the power of choice [sc prohairesis SV] confers on each person the freedom to determine onersquos own characterrdquo 412)

42 Diese gaumlngige Formel begegnet zB auch bei Paulus Gal 517 Roumlm 715ndash19 43 Zum Verstaumlndnis der Prolepsen im Kontext der Oikeiosislehre vgl FORSCHNER 1995

151ndash156 (πρόληψις als bdquoein umrisshafter unbestimmter undifferenzierter Vorgriffldquo der von einem bestimmten Begriff bzw einer Definition zu unterscheiden ist Epiktet ist bdquohier wohl altstoischem Gedankengut verpflichtetldquo 153) Vgl FORSCHNER oben S

44 Zum Bezug zur Jesustradition (Mt 77 usw) vgl WILLMS 2011 I 263ndash265 sowie BETZ 1995 501ndash504 und unten S Die Sentenz ist so weit gestreut dass sie keine Benut-zung des Neuen Testaments durch Epiktet belegt

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nicht von selber dank der dem Logos entsprechenden natuumlrlichen Faumlhigkeiten zur Wahrheit gelangt kann sich an bewaumlhrten Wahrheitszeugen orientieren (sect51f) fak-tisch ist hier der aktuell Lehrende mindestens mitgemeint Epiktet steuert die Unter-redung die in diesem Teil (sect51ndash75) besonders stark als sokratischer Dialog gestaltet ist45 auf seine elementare Formel der Unterscheidung dessen was bdquouns zuhandenldquo und bdquouns nicht zuhandenldquo ist zu (sect65 τὰ μὲν ἐφ᾽ ἡμῖν ἐστιν τὰ δ᾽ ἐπ᾽ ἄλλοις vgl Diss I 1)46 Am Koumlrper selber wird geradezu hautnah der Bereich des Fremden des ἀλλότριον erfahrbar (sect76ndash80) plastisch verbildlicht im Gleichnis eines bepack-ten Esels den man notfalls auch bdquolassenldquo muss ganz zu schweigen vom Zubehoumlr und Gepaumlck (sect79f)

Bereits in diesem Abschnitt macht sich ein entscheidender Bezugstext ein Praumltext bemerkbar der spaumlter explizit zu Wort kommen wird das Gebet des Kleanthes Wird der Esel von anderen requiriert (angareia) so gilt bdquoLass ihn gehen widerstrebe nicht und murre nicht ndash andernfalls wirst du den Esel genauso einbuumlssen nur mit Schlaumlgenldquo Im bdquogenauso hellip nurldquo (woumlrtlich bdquonichts desto wenigerldquo οὐδὲν ἧττον) spielt Epiktet an auf Kleanthesrsquo Vers bdquoWenn ich aber nicht (folgen) wollte waumlre ich ein feiger Schwaumlchling und muumlsste euch nichtsdestoweniger (οὐδὲν ἧττον) folgenldquo (Ench 531)

Mit der Aufforderung unablaumlssig die elementare Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo zu uumlben (sect81) die wiederum im Bereich von Koumlrper und Besitz die Frei-heit von Angst und Begehren eroumlffnet ist die Plattform fuumlr die uns interessierende theologische Deutung etabliert47

Bereits sect82 hat vorausweisenden Charakter Die Bestimmung uumlber das Wesen des Guten und Schlechten faumlllt in den Bereich des Eigenen bdquoWer kann es dir wegnehmen

45 Auf das sokratische Design der Dissertationes hat besonders LONG 2002 67ndash96 uouml

hingewiesen (bdquoSocrates rather than any Stoic philosopher or even the Cynic Diogenes is Epictetus favoured paradigm not only as a model for life but also as a practitioner of philosophical conversationldquo 4) hier auch verbunden mit Kritik an BONHOumlFFER (166f 176)

46 Zu Herkunft und Hintergrund der Formel vgl DOBBIN 1998 65ndash68 WILLMS 2011 I 328ndash337

47 Die Strukturierung unseres Lehrgespraumlchs durch das Nacheinander eines sbquoprofanenlsquo bzw sbquosaumlkularenlsquo Teils als Tradition (sect6ndash90) und eines sbquotheologischenlsquo Teils als Interpretation (sect91ndash131) durch NESTLE 1967 125ndash128 134 (zustimmend GRETENKORD 1981 195f) hat keinen Anhalt am Text (bereits sect89f stellt eine theologische Klimax dar die durch die Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo eng mit der ab sect62 entfalteten Argumen-tation verbunden ist) und arbeitet mit (redaktionsgeschichtlichen) Kategorien die sich bei Epiktet nicht bewaumlhren (das richtige Applizieren der allgemeinen Vorstellungen auf die konkreten Lebensumstaumlnde in sect41f ist eine spezifisch epiktetische Konzeption ohne dass sie deswegen unstoisch waumlre) vgl oben Anm 43)

133

wer kann dich behindern Ebenso wenig kann man Gott behindernldquo Dies wird in sect90 wieder aufgenommen48

32 Das Gleichnis von der Burg und das Basisprinzip (sect85ndash90)

Im Abschnitt sect85ndash110 arbeitet Epiktet mit drei aufeinander folgenden Gleichnissen die jeweils fliessend in allgemeine Aussagen uumlbergehen Burg Reisegesellschaft und Festversammlung Die Befreiung von der Furcht wird verbildlicht mit der Zerstoumlrung der inneren Burg (Akropolis) dem Sitz der Tyrannen Die Metapher uumlberrascht zu-naumlchst da man die innere Festung eher als positives Sinnbild fuumlr die uneinnehmbare Position des Denkvermoumlgens erwartet haumltte49 Sie hat hier aber den Charakter der Zwingburg die man niederreissen oder wenigstens entvoumllkern soll Mit dem erneuten bdquoLassenldquo des Koumlrpers und seiner Teile von Besitz Ehrungen Kindern Geschwistern und Freunden (vgl sect66f) wechseln wir wieder auf die Sachebene (die eher an einen defensiven Ruumlckzug denken laumlsst) Uumlber das Bildelement von den Leibwaumlchtern die ihren bedrohlichen Charakter verloren haben fokussiert der Meister nun auf den Wil-len der von keinem Zwang mehr behindert wird (sect88) und damit auf die Leitdefini-tion am Anfang der Unterweisung (sect1) Wir stehen vor einem Scharnier der Argu-mentation weil nun das theologische Bekenntnis bdquoIch habe mein Streben Gott anheim gestelltldquo eine neue Dimension der wahren Freiheit eroumlffnet und zur Formulierung des Basisprinzips fuumlhrt (sect89ndash90)50

Das Bekenntnis selber verdichtet den stoischen Gedanken der Einfuumlgung in die

48 Dieser Verweis auf Gott unterscheidet sich von Diss I 123 wonach Zeus als houmlchster

Repraumlsentant des bdquoFremdenldquo die eigene Prohairesis nicht bezwingen (νικῆσαι) kann Dazu GRAVER 2003 348f

49 Praumlgnant ist vor allem die Aumlusserung Marc Aurels bdquoDeshalb ist die von Leidenschaften freie Denkkraft eine feste Burg (ἀκρόπολίς ἐστιν ἡ ἐλευθέρα παθῶν διάνοια) denn

nichts Staumlrkeres hat der Menschldquo (VIII 483) als Leitmotiv bei HADOT 1997 156ndash184 Vgl Sen Ep 825 Negativ konnotiert ist die Festung etwa auch bei Philon Fug 148 (bdquoZwingburg der Lustldquo) positiv Abr 150 vom Ort der Augen dem koumlniglichen Sinn Spec 3184 vom Kopf Spec 449 von der Seele

50 Auffaumlllig ist die perfektische Formulierung des Bekenntnisses die sich auch im vorange-gangenen Satz spiegelt (οὐπώποτε mit zwei Verben im Aorist) Spielt Epiktet hier an auf seinen Status als einer von denen die die Wahrheit gesucht und gefunden haben (sect51)

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goumlttliche Weltordnung51 Beim bdquoStrebenldquo (ὁρμή) handelt es sich um einen gaumlngigen Terminus fuumlr die menschlichen Antriebe also den Bereich der Willensbewegungen des θέλειν und βούλεσθαι (vgl sect99) die vom Logos geformt werden muumlssen52

Die folgenden kurzen Saumltze in sect8990 formulieren in aumlusserster Zuspitzung die Rhe-torik arbeitet mit provokanten Paradoxien Der Wille Gottes determiniert den Willen des Subjekts nicht nur vollumfaumlnglich sondern bestimmt auch seine Intentionalitaumlt ndash das Ich bdquowillldquo Peristasen wie Fieber Tod und Folter Die scheinbare Fremdbestim-mung wird schliesslich aufgefangen durch die Analogisierung mit Zeus selber (vgl sect82)53

Das Basisprinzip besteht also in der vollstaumlndigen Konvergenz des Willens des (menschlichen) Subjekts mit dem Willen Gottes eine Konvergenz die im Zeichen der wahren Freiheit steht Es reflektiert die traditionelle Figur des stoischen Determi-nismus der einerseits zwar die Willensfreiheit ganz im Geflecht der kosmischen Kau-salketten aufhebt andrerseits aber das Freiheitspathos steigert54 Offenkundig spiegelt Epiktet hier absichtsvoll zwei verschiedene Modi von Freiheit ineinander diejenige des Entscheidens (Freiheit als Immer-auch-anders-Koumlnnen) und diejenige des Wol-lens (die in der nachmaligen lateinischen Theologie bei Marius Victorinus und beson-ders bei Augustin zur Entfaltung der Willensmetaphysik gefuumlhrt hat)

Die Passage ist so stark von paradoxaler Rhetorik bestimmt dass man sie nicht vor-schnell mit fruumlhchristlichen Texten kontrastieren sollte Epiktet am naumlchsten steht die Szene in Getsemane wo Jesus Gottes Willen seinem eigenen vorordnet bdquoAbba

51 Das Verb προσκατατάσσειν das bei Epiktet nur in Diss IV 1 begegnet meint die Ein-

ordnung unter eine uumlbergeordnete Groumlsse (vgl unten sect9198) und beruumlhrt sich mit κατατάσσειν das in Ench 311 die Eusebeia das angemessene Verhalten gegenuumlber den Goumlttern beschreibt und mit bdquogehorchenldquo bdquosich fuumlgenldquo und bdquofreiwillig folgenldquo expli-ziert wird Besonders praumlgend ist das Sokrateswort in Platons Apologie 28e (τάξις) das Diss I 924 unter dem Einfluss von Leg 12945a (εἰς τάξιν κατατάξῃ) reformuliert wird bdquoGott hat uns einen bestimmten Platz und eine bestimmte Lebensform zugewiesen (κατατέταχεν) die wir nicht verlassen sollenldquo vgl III 14114 (εἰς τοιαύτην ὑπηρεσίαν κατατεταγμένος) II 139 I 134 (von einer uumlbergeordneten Stellung) Un-sere Formulierung in sect89ndash99 druumlckt mit dem zusaumltzlichen Compositum πρoς- auch noch jene dynamische Richtungsbestimmung aus die aus dem Praumltext des Kleanthes stammt (bdquofuumlhre mich [hellip] dahinldquo sect131) προσκατατάσσειν (LSJ 1516a bdquosubjoin append as-sign attachldquo) begegnet nur gelegentlich in der griechischen Literatur (Polyb III 201 [Re-den hinzufuumlgen] Philon Op 131 [Suumlsswasser der Erde zuweisen vgl 38] Cornut Nat deor 323 [Feuchtes in Aumlther uumlberfuumlhren] OGIS 5627 [hinzugefuumlgte Priester]) Vgl WILLMS 2011 I 489f

52 Zenon hat einen Traktat περὶ ὁρμῆς ἢ περὶ ἀνθρώπου φύσεως verfasst (Diog Laert 74 = SVF 1 41) vgl ferner POHLENZ 61991 II 52 77 80f Textintern sind die Bezuumlge der ὁρμή auf das θέλειν durch den voranstehenden wie den nachfolgenden Satz deutlich

53 Fuumlr diese Analogie bietet Diss II 1722ndash25 eine instruktive Parallele bdquoMit einem Wort Wolle nichts anderes als was Gott will Wer wird dich dann noch behindern wer dich zwingen Ebenso wenig wie (man) Zeus (zwingen kann) Wenn du einen solchen Fuumlhrer hast und mit ihm eines Willens und eines Wunsches bist was fuumlrchtest du dann noch an Fehlschlaumlgenldquo Epiktet raumlt auch hier dazu sich nicht zu binden an Reichtum Armut Ge-sundheit Ehre Vater Heimat Freunde und Kinder die alle nicht unserem Verfuumlgungs-bereich zugehoumlren

54 Zugespitzt bei BRAICOVICH 2010 der Epiktets handlungspsychologisches Freiheitsver-staumlndnis konsequent deterministisch deutet Zur allgemeinen Diskussion des stoischen Determinismus vgl STEINMETZ 1994 610ndash612 GUCKES 2004 12ndash17 im Zusammenhang mit Epiktet LONG 2002 220ndash222 (bdquothe autonomous person as someone who voluntarily complies with a predetermined situationldquo 222) sowie FORSCHNER oben S

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Vater alles ist dir moumlglich Lass diesen Kelch an mir voruumlbergehen Doch nicht was ich will sondern was du willstldquo (Mk 1436 vgl Mt 2639 Lk 2242)55 Die nur bei Mk vorkommende Allmachtsformel haumllt die ndash nicht realisierte ndash Moumlglichkeit offen dass Jesu eigener Wille dem Leiden zu entgehen sich verwirklichen liesse Der Vers der in der altkirchlichen Zweinaturenchristologie intensiv debattiert worden ist scheint es im Kontrast zu Epiktet bei einem sbquoproduktivenlsquo Gegenuumlber von zwei Wil-lensbewegungen zu belassen ndash eine Asymmetrie von erheblichem anthropologischem Gewicht Der Unterschied des Genre will freilich beachtet sein Waumlhrend Epiktet in einem argumentativen Text das Resultat einer geradezu lebenslaumlnglich vollzogenen Uumlbung (askesis) in praumlsentischen Paradoxien versprachlicht markiert die Getsemane-Erzaumlhlung der Evangelien eine Station auf dem Passionsweg Jesu der die vollstaumlndige Konvergenz der beiden Willensbewegungen narrativ zur Darstellung bringen wird Jesus ergibt sich als leidender Gerechter in den Gotteswillen bis zum Tod am Kreuz

Keine direkte Relevanz fuumlr die von uns hier diskutierte Thematik hat die Problemati-sierung der Einheit des menschlichen Willensbereichs56 Sowohl Epiktet (Diss II 1718f II 261 uouml) wie Paulus (Roumlm 715ndash19) sprechen vom inneren Zwiespalt des Menschen und orientieren sich dabei an einer in der Antike verbreiteten Figur die auf die Gestalt der euripideischen Medea zuruumlckfuumlhrt Die zugrunde liegenden anthropo-logischen Konzeptionen sind zwar denkbar verschieden Dem grundsaumltzlich monisti-schen Ansatz Epiktets steht der dualistische des Paulus gegenuumlber57 Es faumlllt aber auf dass beide das fuumlr die Medea-Rezeption traditionelle Schema des Gegensatzes von Erkennen und Trieb von Vernunft und Leidenschaft durch eine weit radikalere Deu-tung uumlberlagern Der Zwiespalt im Inneren ist uumlberhaupt nur retrospektiv durchschau-bar geworden erst das Ereignis der Befreiung laumlsst es zur Erkenntnis der Sklaverei kommen Dabei sprechen beide von der Unfreiheit gut traditionell als dem bdquoTun was ich nicht willldquo58

Freiheit wird praumlsentiert als Anerkennung dessen was ohnehin nicht zur Disposition steht und nicht anders sein kann als es der Fall ist Das klassische Bild der Stoiker

55 Die Uumlbersetzung biblischer Texte richtet sich meistens nach der Zuumlrcher Bibel 2007 56 Der optimistischen Anthropologie Epiktets laumlsst sich dann diejenige des Paulus gegen-

uumlberstellen die zwar nicht pessimistisch ist aber Suumlnde nicht im kognitiven Bereich son-dern im Willensbereich platziert vgl zB SCHNELLE 2009 156f

57 Zum Verhaumlltnis zwischen Epiktet und Roumlm 7 vgl HUTTUNEN 2005 ferner VOLLENWEIDER 1989 350ndash352

58 Vgl oben bei Anm 42 Das Versklavtsein wird bei Epiktet deswegen nicht so ausweglos wie bei Paulus wahrgenommen weil es wesentlich auf falschem Denken beruht

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stellt der an einen Wagen festgebundene Hund dar der entweder aus eigenen Stuumlcken mitgeht oder aber mitgeschleift wird59

33 Das Gleichnis von der sicheren Reisegesellschaft (sect91ndash98)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft changiert zwischen Bildrede und eigentlicher Rede Mit οὕτως (sect91) wird das Bild eingefuumlhrt ebenfalls mit οὕτως erfolgt der Wechsel zur Sachebene naumlmlich zur kosmischen Position des Verstaumlndigen (sect9298) dessen Selbstgespraumlch wieder auf der Bildebene spielt (sect92ndash97) Mit seinen Hinwei-sen auf hoch gestellte Personen besonders den Status des Freunds des Kaisers wird Bezug genommen auf fruumlhere Passagen (sect8ndash15 45ndash50) Das Selbstgespraumlch endet ironisch in einer Aporie ndash selbst in der Einoumlde gibt es keinen Schutz vor negativen Maumlchten (sect97) Erst der Anschluss an Gott ermoumlglicht eine sichere Reise Die Philo-sophie spielt hier ihre in hellenistischer und kaiserzeitlicher Zeit zentral gewordene Rolle als Ratgeber fuumlr den Umgang mit jederzeit drohenden Kontingenzen und ant-wortet auf ein Anliegen das auch die zeitgenoumlssischen Religionen das Christentum so gut wie Mysterienreligionen und magische Praktiken bearbeiten

Die traditionelle und uumlberaus reiche Metaphorik des Wegs deckt ein breites Spektrum ab Die hauptsaumlchliche Konnotation die auch bei Epiktet reichhaltig begegnet ist die-jenige des Zusammenhangs von Weg und Ziel So spricht unser Lehrgespraumlch sum-mierend vom Weg zur wahren Freiheit (sect131)60 Das Reisegleichnis in Diss II 2336ndash39 raumlt dazu Raststaumltten wieder zu verlassen um zur Heimatstadt zu gelangen (εἰς τὴν

πατρίδα ἐπανελθεῖν)61 Auch wo Gott (II 710f) oder der wahre Kyniker (III 2226) den rechten Weg weisen ist das Ziel im Blick62 Aumlhnlich steht es mit der christ-lichen Wegmetaphorik63 In unserem Zusammenhang geht es dagegen ausschliesslich um das sichere Reisen ndash in der Sprache heutiger Lebensratgeber der Weg ist das Ziel Fuumlr die Reisegemeinschaft mit Gott bietet II 1723 eine bemerkenswerte Parallele da hier neben der Konvergenz des Wollens auch die Analogie mit Zeus figuriert (sect22)64 Das Leben laumlsst sich generell mit einer Reise vergleichen65 III 139ndash11 stellt heraus dass nur die Philosophie nicht aber der Kaiser si-

59 Chrysipp () SVF 2 975 vgl POHLENZ 82010 I 106 STEINMETZ 1994 611f weiteres bei

VOLLENWEIDER 1989 75f 60 Vgl IV 439 vom Weg zur wahren εὔροια 61 Auch hier wird explizit der Bezug zur Freiheit hergestellt (sect42) verbunden mit dem bdquomit

ganzem Herzenldquo zu sprechenden Gebet des Kleanthes 62 Vgl ferner I 1618 II 216 II 123 III 263f IV 24 IV 659 IV 916 63 Vgl den Uumlberblick (auch zur Umwelt) von W MICHAELIS Art ὁδός κτλ ThWNT 5

(1954) 42ndash118 sowie die bei WILLMS 2012 II 709 genannte Literatur 64 Vgl oben Anm 53 65 Diss II 510 von der Seereise wo bdquoeiniges an mir liegt anderes aber nichtldquo vgl ferner II

1624 I 99 II 1737f in III 2493 wird die Abreise mit dem Sterben verglichen

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cheren Reiseschutz verleihen kann (vgl sect3) Es gibt durchaus neutestamentliches Vergleichsmaterial Die Nachfolge auf Jesu Weg wie ihn die Evangelien darstellen ist transparent fuumlr den Lebensweg der Christusglaumlubigen (Mk 827ndash1052 besonders 834) Dieser ist freilich auch wieder auf ein Ziel hin orientiert naumlmlich auf die Pas-sion und das Kreuz Epiktets goumlttlicher Reisegesellschaft am naumlchsten kommen wir mit der Topik des bdquoMitseinsldquo Jesu bzw Gottes mit den Glaubenden (Mt 2820 vgl 123 1820 Joh 1416f [vom Geist]) welche die gesamte biblische Tradition des Mit-gehens Gottes mit seinem Volk insbesondere waumlhrend der Wuumlstenwanderung sum-miert Obschon der Lebensweg die Stoiker in widrige Umstaumlnde und die Christen in das Martyrium fuumlhren mag gibt die Gemeinschaft mit Gott ultimative Sicherheit Der Vergleich fuumlhrt uns also wieder in den Bereich der Passionsgeschichte Waumlhrend fuumlr die Christen der Gottessohn und somit der in diesem praumlsente Gott selber den Weg des Leidens geht sieht sich der Stoiker gewiesen an Vorbilder die paradigmatisch das Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens vor Augen stellen zumal an Herakles und Sokrates Zwar ist auch ihr Gott im Kosmos gegenwaumlrtig aber da er das harmo-nisch gefuumlgte Ganze repraumlsentiert ist er den immer nur einzelne Teile betreffenden Turbulenzen nicht ausgesetzt

34 Das Gleichnis von der Festversammlung (sect99ndash110)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft endet in einem radikalen Ruumlckzug aus dem Bereich des Ungewissen der nicht einmal in der Einsamkeit der Einoumlde haltmacht sondern gleichsam in die Unweltlichkeit versetzt Dieser Reduktionsbewegung auf einen einzigen Punkt der mit Gott identifiziert wird kommt nun eine expandierende Bewegung entgegenzustehen die in die Weite des Kosmos und die universale Ge-meinschaft hinaus weist

Mit dem erneuten Ruumlckgriff auf das theologische Bekenntnis und das Prinzip von sect89 baut Epiktet sukzessive ein neues Gleichnis auf das sich mit kosmologischen Deu-tungen verbindet Im Fokus stehen nun die Willensbewegungen Gottes und sein ord-nendes Wirken im Kosmos Die Basisunterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoAnderemldquo wird theologisch akzentuiert Im Bereich des Eigenen figuriert die freie Selbstbestim-mung die Prohairesis66 der Bereich des Anderen wird der Gottheit und ihrem Wal-ten dem bdquoKreislauf des Allsldquo zugemessen (sect100) Koumlrper Besitz sowie Haus Kinder und Frau (vgl sect66f 87 107 111) Alles wovon sich der Verstaumlndige innerlich als

66 Zur Prohairesis vgl FORSCHNER in diesem Band S [[Typoskript S 5]] ferner STE-

PHENS 2007 16ndash25 (bdquoProhairesis as selfldquo) und die Diskussion von ENGBERG-PEDERSEN 2010 212ndash214 (bdquotrue human selfldquo) mit LONG 2002 28ndash30 207ndash220 (bdquovolitionldquo)

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dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

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logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

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41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

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Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

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zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

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Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

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bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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B LANG Jesus der Hund Leben und Lehre eines juumldischen Kynikers Beckrsquosche Reihe 1957 Muumlnchen 2010

BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

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BULTMANN R Das religioumlse Moment in der ethischen Unterweisung des Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 97ndash110 177ndash191

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Page 10: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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sierende Stoa die bdquodurch ihre historische Gebundenheit an die Lehrformen des aris-tokratischen Partikularismus gehindert war ihre universelle Mission zu erfuumlllenldquo (388) Umgekehrt zeigt Epiktet in manchen Lebensbereichen eine natuumlrlichere Ein-stellung ndash dies erweisen bdquoein frisches und gesundes Interesse an dem Weltgeschehen und am Tun und Treiben der Menschheitldquo die bdquoFreude an den Werken der Technik und der Kunstldquo die Einstellung zu Leiblichkeit und Sexualitaumlt (366f) sowie das bdquopo-sitive Interesse an der Menschheitldquo (377) Erstaunlich wenig gewichtet wird die bdquoDiesseitigkeitldquo Epiktets die sich markant mit der Jenseits- und Endzeitbezogenheit des Urchristentums kontrastieren liesse

Es ist Rudolf Bultmann der Bonhoumlffers Verhaumlltnisbestimmung einer fundamentalen Kritik unterzieht28 Mit ihm meldet sich bereits jene Generation von Neutestamentlern aus der Religionsgeschichtlichen Schule und der Dialektischen Theologie zu Wort die mit der liberalen Theologie brechen wird29 In einer raschen Replik auf Bultmanns Kritik stellt Bonhoumlffer seinerseits seine Position noch einmal deutlich heraus Gegen-uumlber der ziemlich negativen Wahrnehmung Epiktets durch den Theologen gibt er zu bedenken dass dessen Kritik durchaus und zu noch groumlsseren Teilen just auch das neutestamentliche Christentum traumlfe30

Bonhoumlffers Vergleich von Epiktet und Neuem Testament laumluft auf die Konstatierung einer grundsaumltzlichen Verschiedenheit hinaus die aber Gemeinsamkeiten nicht aus-schliesst Auch wenn sich Urchristen und Epiktet auf Augenhoumlhe treffen zeichnen sich erstere doch durch ein Mehr an genuiner Religiositaumlt aus Beide Typisierungen verraten deutlich ihren kulturgeschichtlichen Hintergrund zu Beginn des 20 Jahrhun-derts ndash die Wertschaumltzung der sbquogenialenlsquo religioumlsen sbquoPersoumlnlichkeitlsquo und des sbquosittlichlsquo orientierten Weltverhaumlltnisses

23 Ein Zwischenhalt Methodische Uumlberlegungen

Der Grundansatz von Bonhoumlffer von zwei im Ansatz sehr verschiedenen kulturellen Bildungen auszugehen naumlmlich der stoischen Philosophie und ihrer besonderen in-dividuellen Brechung bei Epiktet einerseits der urchristlichen Religion und ihrer

28 BULTMANN 1912 (Bonhoumlffers Buch scheint bdquosowohl in der Anlage wie in der

Erfassung des Problems verfehlt zu seinldquo 97) 29 In Bultmanns Positionsbezug gegen Bonhoumlffer tritt dies allerdings noch nicht deutlich

hervor So bestimmt er als bdquoZentralpunkt der Differenzldquo zwischen Epiktet und Neuem Testament bdquoein ganz verschiedenes Individualitaumltsgefuumlhl [] ein ganz verschiedenes Per-soumlnlichkeitsbewusstseinldquo (182 vgl 186ndash190) Nicht anders als Bonhoumlffer steht Bultmann dem Religionsverstaumlndnis der liberalen Theologie noch nahe vgl seine Bemerkung uumlber den Unterschied zum frostigen Seneca bdquoEpiktets Froumlmmigkeit verbreitet eine sonnige Heiterkeit Waumlrme und Frieden um sichldquo (110) Die Gegensaumltze werden in der spaumlteren Darstellung bdquoDas Urchristentum im Rahmen der antiken Religionenldquo (1949) viel schaumlrfer gezeichnet s unten bei Anm 32

30 BONHOumlFFER 1912 288f

128

theologischen Reflexion etwa bei Paulus andrerseits hat sich als plausibel und weg-weisend erwiesen Wo immer die beiden Kulturgestalten komparatistisch auf einander bezogen werden orientiert man sich an diesem Basismodell31 Die Umbruumlche in den Geistes- und Kulturwissenschaften seit der Mitte des 20 Jahrhunderts haben freilich die Koordinaten entlang denen das Wirklichkeitsverstaumlndnis und die Ethik der Stoi-ker wie der Christen rekonstruiert werden tiefgreifend veraumlndert So hat sich auf der Seite der neutestamentlichen Theologie die urchristliche Eschatologie in den Vorder-grund geschoben die die Kontrastierung zur griechisch-hellenistischen Philosophie noch einmal anders konturiert32 In juumlngerer Zeit hat das Interesse an einem umfas-senden sbquoSystemvergleichlsquo deutlich abgenommen33

31 Grunddifferenzen bei gleichzeitigen Konvergenzen werden herausgearbeitet etwa bei

GRETENKORD 1981 261ndash305 KLAUCK 1989 ders 1996 85ndash88 92 GALLOWAY 2004 HUTTUNEN 2005 SCHNELLE 2009 RAMELLI 2009 WILLMS 2011 I 431f uouml Auch die juumlngste Gesamtdarstellung von Epiktet liegt auf dieser Linie LONG 2002 3 (bdquoEpictetus has also been misunderstood because his appeals to theology which are ubiquitous have been consciously or unconsciously read in the light of Christianity In my opinion Epic-tetusrsquo deepest ideas are remote from the main Christian message notwithstanding notable parallels between some things he says and the New Testamentldquo) 143ndash147 176

32 Bereits BULTMANN 1912 185ndash188 stellt ua das Fehlen eines Geschichtsbewusstseins in der Philosophie fest bdquoEtwas Neues ist nie gekommenldquo (185) Auf dieser Linie urteilt er spaumlter bdquoder Stoiker meint seine Zeitlichkeit eliminieren zu koumlnnen seine sbquoEntweltli-chunglsquo ist sbquoEntzeitlichunglsquoldquo (194941976 161) Ich selber habe versucht die Differenz zwischen Stoikern und Urchristen am ineinander verschraumlnkten Verhaumlltnis der drei Zeit-modi herauszuarbeiten und in die Kosmologie zu extrapolieren Waumlhrend die Gegenwart in der Perspektive der Christen von der endzeitlichen Zukunft tangiert wird steht sie bei den Stoikern im Bann der Vergangenheit Dem sich ewig wiederholenden Kosmos steht die sich vorerst partikular realisierende neue Schoumlpfung entgegen VOLLENWEIDER 1989 44ndash53 404f vgl unten S

33 Eine Ausnahme stellt der neuere Versuch von ENGBERG-PEDERSEN 2000 dar stoische Phi-losophie und paulinische Theologie idealtypisch zu vergleichen statt sich von der Frage nach historischen Beeinflussungen engfuumlhren zu lassen Die Basis dafuumlr stellt ein kom-plexes theoretisches Modell bereit das die Wechselwirkung zwischen Individuum Ge-meinschaft und dem Goumlttlichen bzw dem Logos beschreibt (33ndash44) Der Erkenntnisge-winn der Studie reicht genau so weit wie die Leserschaft bereit ist diesem Modell Plau-

sibilitaumlt zuzuerkennen ndash In seinem juumlngsten Buch fuumlhrt ENGBERG-PEDERSEN (2010 106ndash138) einen Vergleich speziell zwischen Epiktet und Paulus durch Er konzentriert sich dabei auf die Gotteserkenntnis und stellt neben Differenzen erhebliche Uumlbereinstimmun-gen fest Problematisiert werden die bisher gelaumlufigen Differenzkriterien von self-suffi-ciency (resp human agency) versus dependence (resp divine agency) und damit zusam-menhaumlngend von philosophy versus apocalypticism Bezuumlglich des erstgenannten Duals ist Engberg-Pedersen mE im Recht beim zweitgenannten aber kaum (vgl die vorherige Anm) Die Gotteserkenntnis ihrerseits hat bei den beiden Denkern einen derart unter-schiedlichen Stellenwert dass sie schwer vergleichbar ist zumal sie bei Paulus christolo-gisch vermittelt ist Ausserdem laumldt die Konvergenzformel bdquoknowledge (of God) as align-ment with Godldquo nicht primaumlr die Stoiker sondern vielmehr die Platoniker mit ihrer ὁμοίωσις θεῷ zum Gespraumlch mit Paulus Epiktet duumlrfte gerade an diesem Punkt plato-nische Motive rezipiert haben (vgl unten Anm 98) was vielleicht auch fuumlr Paulus gilt (so VAN KOOTEN 2008) Auch bei anderen Thesen des Buchs legen sich statt stoischer eher platonische Bezuumlge nahe vgl die Rezension von R HIRSCH-LUIPOLD Early Christianity 3 (2012) 122ndash133

129

Methodisch gesehen erweist sich das komparatistische Geschaumlft als uumlberaus komplex Ich weise auf wenigstens drei Punkte hin wo ein umsichtiges historisches und herme-neutisches Urteil gefordert ist

1 Ein Vergleich kommt nur dort angemessen zum Zug wo beide Seiten in optimam partem interpretiert werden wo also Abstinenz gegenuumlber vorschnellen Verurteilun-gen eingeuumlbt wird Die neutestamentliche Exegese hat waumlhrend der letzten Jahrzehnte auf einem anderen Feld naumlmlich in der Einschaumltzung des Fruumlhjudentums geradezu einen Paradigmenwechsel vollzogen Anstatt das Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels als dunkle Folie zu entwerfen von der sich das entstehende Christentum strahlend abhebt wird es nun in seinem eigenen Selbstverstaumlndnis und unter Verzicht auf Werturteile rekonstruiert Es legt sich nahe diesen Typ einer interessierten und aufmerksamen Hermeneutik auch der Wahrnehmung hellenistischer Philosophen zu-gutekommen zu lassen

2 Der Versuch uumlberaus vielfaumlltige geschichtliche Kulturerscheinungen auf basale Figuren hin zu typisieren muss die Grenzen seiner Reichweite explizit reflektieren und sich mit der dienenden Rolle einer heuristischen Kunst bescheiden Sowohl die sokratisch modellierten und praktisch ausgerichteten Lehrgespraumlche Epiktets wie die Briefe und Erzaumlhltexte des Neuen Testaments bleiben widerstaumlndig gegenuumlber aller Systematik

3 Gerade weil umfassende geisteswissenschaftliche Rekonstruktionen unaus-weichlich im Kontext ihrer eigenen Zeit stehen muumlssen sie konsequent darauf hin befragt werden ob sie die historischen Phaumlnomene noch angemessen vergegenwaumlrti-gen und nicht ungebuumlhrlich verzerren So ist es nicht ratsam Figuren die sich erst im Lauf der christlichen Theologiegeschichte herausgebildet haben ndash beispielsweise die Kontrastierung von Selbsterloumlsung und Gnade ndash an philosophische Texte die in ganz anderen Kontexten zu situieren sind heranzutragen Umgekehrt zeigen uns die an-faumlnglich vorgestellten christlichen Rezensionen des Enchiridion dass Grenzziehun-gen zwischen den beiden Bereichen ihrerseits erheblichen geschichtlichen Variatio-nen unterliegen

24 Diskursmodelle

Angeregt von philosophischen Diskurstheorien lassen sich urchristliche und philoso-phische Texte der fruumlhen Kaiserzeit darauf hin befragen inwieweit sie aktuelle

130

sbquoDiskurselsquo dokumentieren und ihrerseits bestimmte Positionen beziehen34 Sie sind also engagiert in argumentativen Dialogen uumlber die Wahrheit von Behauptungen und die Legitimitaumlt von Normen Das klassische Geschaumlft von Exegeten und Philologen die Sortierung von sbquoParallelenlsquo stellt einschlaumlgiges Material fuumlr die Identifizierung von Themen und fuumlr die Rekonstruktion von Rezeptionserwartungen zusammen35 Auf dem weltanschaulichen Markt der fruumlhen Kaiserzeit einer fuumlr antike Verhaumlltnisse hochgradig globalisierten Welt bieten sich sowohl Philosophien wie Religionen als Fuumlhrerinnen zur Lebenskunst und als Weg zum Gluumlck an36 Ihre Diskurse handeln von den fundamentalen Fragen der Lebensorientierung ndash Schicksal und Freiheit Le-ben Tod und Jenseits ndash und von den ethischen und praktischen Problemstellungen rund um Ehe Besitz Sklaverei Freundschaft und Alter37 Sie lassen sich etwa mit Hilfe von Theorien sozialer oder personaler Identitaumlt profilieren38

Es ist attraktiv Epiktets Lehrgespraumlch uumlber die Eleutheria in den zeitgenoumlssischen Diskursen uumlber die Freiheit zu verorten39 an denen sich auch Exponenten von

34 Zur Hochkonjunktur des Diskursbegriffs in den letzten Jahrzehnten vgl die summari-

schen Bemerkungen von K GRUumlNDER Vorbemerkungen zu HWPh 9 (1995) 84ndash86 35 So spielen Epiktets Texte im Neuen Wettstein eine prominente Rolle s unten S 36 Zur Philosophie als exercice spirituelle vgl HADOT 2005 Zu den methodischen Proble-

men bei der Identifizierung von Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament vgl VOLLENWEIDER 2012 298f

37 Instruktiv ist in unserem Zusammenhang der juumlngst erschienene Sammelband unter dem Titel bdquoStoicism in early Christianityldquo (RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010) Behandelt werden ua Fragen der Ethik und des Gesetzes bei Paulus die Darstellung Jesu als Lehrer bei Mt der sbquoemotionalelsquo Jesus in Joh die Weltbrand-Eschatologie (2Petr) das Thema der Sklaverei und der Willensfreiheit

38 So spielt Epiktet bei NGUYEN 2008 eine wichtige Rolle in der Rekonstruktion der Inter-aktionen zwischen den Korinthern und Paulus Auch die bdquoWeltdistanzldquo die zum Ver-gleich von Urchristen und Epiktet einlaumldt (BRAUN 1971 SCHRAGE 2004 WEBER 1999) waumlre heute auf der Basis von Theorien sozialer Identitaumlt zu reformulieren

39 Als besonders herausragende Texte der fruumlhen Kaiserzeit sind neben Epiktet Diss IV 1 und Paulus Roumlm 6ndash8 Gal 45 1Kor 910 zu nennen Dion Or 14ndash15 80 Philon Prob verschiedene Texte von Seneca sodann Cicero Parad 33ndash41 (omnes sapientes liberos esse et stultos omnes servos) Persius Sat 5 Ps-Andron Rhod Pass 97 Nicht erhal-tene Traktate bdquoUumlber die Freiheitldquo oder bdquoUumlber Knechtschaft (und Freiheit)ldquo werden ua Antisthenes (Diog Laert 616) und Kleanthes (Diog Laert 7175 = SVF 1 481) zuge-schrieben Wichtige Quellentexte stellt WILLMS 2011 I 63ndash83 89 zusammen Sein Ver-such eine bdquostoische Urschriftldquo namentlich aufgrund von Uumlbereinstimmungen zwischen Epiktet und Philon zu postulieren ist mE wie viele andere literarkritische Modelle die auf die Quellenkritik des 19 Jh zuruumlckgehen zum Scheitern verurteilt Die Parallelen erweisen sich als so partiell dass sie mit der Annahme von gemeinsamem Traditionsgut ausreichend erklaumlrt werden koumlnnen Die methodisch viel anspruchsvollere Hypothese ei-ner gemeinsamen Quelle laumlsst sich nicht plausibilisieren (vgl dazu bereits VOLLENWEIDER 1989 28f)

131

Partialkulturen wie der juumldischen und der christlichen beteiligten Zu beachten ist da-bei dass die Freiheitsdiskurse auch implizit oder explizit politische Akzente setzen etwa im Verhaumlltnis zur imperialen Ideologie40 Wir beschaumlftigen uns im Folgenden exemplarisch mit dem spezifisch theologischen Profil des Freiheitsverstaumlndnisses Epiktets Zugrunde gelegt wird die Annahme dass sein Verstaumlndnis von Freiheit zwar ein deutlich erkennbares individuelles Kolorit aufweist sich aber grundsaumltzlich doch in die klassische stoische Konfiguration einzeichnen laumlsst41

3 Der goumlttliche Grund der Freiheit nach Diss IV 185ndash110

31 Grundlegende Unterscheidungen

Epiktet geht in seinem Lehrgespraumlch von einer weithin konsensfaumlhigen Definition von Freiheit aus die Freiheit zu leben bdquowie man willldquo (sect1)42 Die Argumentation steuert uumlber mehrere Gaumlnge auf ein Verstaumlndnis von Freiheit zu das sich fuumlr die vom Meister in die Unterredung einbezogenen virtuellen Schuumller mit uumlberraschenden Entdeckun-gen verbindet Der soziale Status mit all seinen Implikationen traumlgt nicht nur nichts bei zum Erwerb der Freiheit sondern entpuppt sich sogar als bdquoschoumlnste und glaumln-zendste Sklavereildquo (sect40) Dies gilt zumal dort wo einer nur noch den Kaiser als bdquoHerrn uumlber alleldquo uumlber sich weiss (sect12f) Zentral fuumlr den Befreiungsprozess ist das unablaumlssige Einuumlben jener kognitiven Operation welche die allgemeinen Vorstellun-gen (προλήψεις) mit den konkreten Lebensverhaumlltnissen konfiguriert (ταῖς ἐπὶ μέρους οὐσίαις sect41f)43 bdquoSuche und du wirst findenldquo (sect51)44 Wer

40 Muumlnzen Inschriften und Literatur belegen die Zugkraft des ideenpolitischen Schlagworts

bdquoFreiheitldquo so beanspruchte der Prinzipat die res publica und ihre libertas wiederherge-stellt zu haben

41 Vgl Forschner oben S Anders jetzt ASMIS 2001 der Epiktet eine neue Frei-heitskonzeption zuschreibt (bdquoEpictetus in sum offers a new concept of human freedom according to which the power of choice [sc prohairesis SV] confers on each person the freedom to determine onersquos own characterrdquo 412)

42 Diese gaumlngige Formel begegnet zB auch bei Paulus Gal 517 Roumlm 715ndash19 43 Zum Verstaumlndnis der Prolepsen im Kontext der Oikeiosislehre vgl FORSCHNER 1995

151ndash156 (πρόληψις als bdquoein umrisshafter unbestimmter undifferenzierter Vorgriffldquo der von einem bestimmten Begriff bzw einer Definition zu unterscheiden ist Epiktet ist bdquohier wohl altstoischem Gedankengut verpflichtetldquo 153) Vgl FORSCHNER oben S

44 Zum Bezug zur Jesustradition (Mt 77 usw) vgl WILLMS 2011 I 263ndash265 sowie BETZ 1995 501ndash504 und unten S Die Sentenz ist so weit gestreut dass sie keine Benut-zung des Neuen Testaments durch Epiktet belegt

132

nicht von selber dank der dem Logos entsprechenden natuumlrlichen Faumlhigkeiten zur Wahrheit gelangt kann sich an bewaumlhrten Wahrheitszeugen orientieren (sect51f) fak-tisch ist hier der aktuell Lehrende mindestens mitgemeint Epiktet steuert die Unter-redung die in diesem Teil (sect51ndash75) besonders stark als sokratischer Dialog gestaltet ist45 auf seine elementare Formel der Unterscheidung dessen was bdquouns zuhandenldquo und bdquouns nicht zuhandenldquo ist zu (sect65 τὰ μὲν ἐφ᾽ ἡμῖν ἐστιν τὰ δ᾽ ἐπ᾽ ἄλλοις vgl Diss I 1)46 Am Koumlrper selber wird geradezu hautnah der Bereich des Fremden des ἀλλότριον erfahrbar (sect76ndash80) plastisch verbildlicht im Gleichnis eines bepack-ten Esels den man notfalls auch bdquolassenldquo muss ganz zu schweigen vom Zubehoumlr und Gepaumlck (sect79f)

Bereits in diesem Abschnitt macht sich ein entscheidender Bezugstext ein Praumltext bemerkbar der spaumlter explizit zu Wort kommen wird das Gebet des Kleanthes Wird der Esel von anderen requiriert (angareia) so gilt bdquoLass ihn gehen widerstrebe nicht und murre nicht ndash andernfalls wirst du den Esel genauso einbuumlssen nur mit Schlaumlgenldquo Im bdquogenauso hellip nurldquo (woumlrtlich bdquonichts desto wenigerldquo οὐδὲν ἧττον) spielt Epiktet an auf Kleanthesrsquo Vers bdquoWenn ich aber nicht (folgen) wollte waumlre ich ein feiger Schwaumlchling und muumlsste euch nichtsdestoweniger (οὐδὲν ἧττον) folgenldquo (Ench 531)

Mit der Aufforderung unablaumlssig die elementare Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo zu uumlben (sect81) die wiederum im Bereich von Koumlrper und Besitz die Frei-heit von Angst und Begehren eroumlffnet ist die Plattform fuumlr die uns interessierende theologische Deutung etabliert47

Bereits sect82 hat vorausweisenden Charakter Die Bestimmung uumlber das Wesen des Guten und Schlechten faumlllt in den Bereich des Eigenen bdquoWer kann es dir wegnehmen

45 Auf das sokratische Design der Dissertationes hat besonders LONG 2002 67ndash96 uouml

hingewiesen (bdquoSocrates rather than any Stoic philosopher or even the Cynic Diogenes is Epictetus favoured paradigm not only as a model for life but also as a practitioner of philosophical conversationldquo 4) hier auch verbunden mit Kritik an BONHOumlFFER (166f 176)

46 Zu Herkunft und Hintergrund der Formel vgl DOBBIN 1998 65ndash68 WILLMS 2011 I 328ndash337

47 Die Strukturierung unseres Lehrgespraumlchs durch das Nacheinander eines sbquoprofanenlsquo bzw sbquosaumlkularenlsquo Teils als Tradition (sect6ndash90) und eines sbquotheologischenlsquo Teils als Interpretation (sect91ndash131) durch NESTLE 1967 125ndash128 134 (zustimmend GRETENKORD 1981 195f) hat keinen Anhalt am Text (bereits sect89f stellt eine theologische Klimax dar die durch die Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo eng mit der ab sect62 entfalteten Argumen-tation verbunden ist) und arbeitet mit (redaktionsgeschichtlichen) Kategorien die sich bei Epiktet nicht bewaumlhren (das richtige Applizieren der allgemeinen Vorstellungen auf die konkreten Lebensumstaumlnde in sect41f ist eine spezifisch epiktetische Konzeption ohne dass sie deswegen unstoisch waumlre) vgl oben Anm 43)

133

wer kann dich behindern Ebenso wenig kann man Gott behindernldquo Dies wird in sect90 wieder aufgenommen48

32 Das Gleichnis von der Burg und das Basisprinzip (sect85ndash90)

Im Abschnitt sect85ndash110 arbeitet Epiktet mit drei aufeinander folgenden Gleichnissen die jeweils fliessend in allgemeine Aussagen uumlbergehen Burg Reisegesellschaft und Festversammlung Die Befreiung von der Furcht wird verbildlicht mit der Zerstoumlrung der inneren Burg (Akropolis) dem Sitz der Tyrannen Die Metapher uumlberrascht zu-naumlchst da man die innere Festung eher als positives Sinnbild fuumlr die uneinnehmbare Position des Denkvermoumlgens erwartet haumltte49 Sie hat hier aber den Charakter der Zwingburg die man niederreissen oder wenigstens entvoumllkern soll Mit dem erneuten bdquoLassenldquo des Koumlrpers und seiner Teile von Besitz Ehrungen Kindern Geschwistern und Freunden (vgl sect66f) wechseln wir wieder auf die Sachebene (die eher an einen defensiven Ruumlckzug denken laumlsst) Uumlber das Bildelement von den Leibwaumlchtern die ihren bedrohlichen Charakter verloren haben fokussiert der Meister nun auf den Wil-len der von keinem Zwang mehr behindert wird (sect88) und damit auf die Leitdefini-tion am Anfang der Unterweisung (sect1) Wir stehen vor einem Scharnier der Argu-mentation weil nun das theologische Bekenntnis bdquoIch habe mein Streben Gott anheim gestelltldquo eine neue Dimension der wahren Freiheit eroumlffnet und zur Formulierung des Basisprinzips fuumlhrt (sect89ndash90)50

Das Bekenntnis selber verdichtet den stoischen Gedanken der Einfuumlgung in die

48 Dieser Verweis auf Gott unterscheidet sich von Diss I 123 wonach Zeus als houmlchster

Repraumlsentant des bdquoFremdenldquo die eigene Prohairesis nicht bezwingen (νικῆσαι) kann Dazu GRAVER 2003 348f

49 Praumlgnant ist vor allem die Aumlusserung Marc Aurels bdquoDeshalb ist die von Leidenschaften freie Denkkraft eine feste Burg (ἀκρόπολίς ἐστιν ἡ ἐλευθέρα παθῶν διάνοια) denn

nichts Staumlrkeres hat der Menschldquo (VIII 483) als Leitmotiv bei HADOT 1997 156ndash184 Vgl Sen Ep 825 Negativ konnotiert ist die Festung etwa auch bei Philon Fug 148 (bdquoZwingburg der Lustldquo) positiv Abr 150 vom Ort der Augen dem koumlniglichen Sinn Spec 3184 vom Kopf Spec 449 von der Seele

50 Auffaumlllig ist die perfektische Formulierung des Bekenntnisses die sich auch im vorange-gangenen Satz spiegelt (οὐπώποτε mit zwei Verben im Aorist) Spielt Epiktet hier an auf seinen Status als einer von denen die die Wahrheit gesucht und gefunden haben (sect51)

134

goumlttliche Weltordnung51 Beim bdquoStrebenldquo (ὁρμή) handelt es sich um einen gaumlngigen Terminus fuumlr die menschlichen Antriebe also den Bereich der Willensbewegungen des θέλειν und βούλεσθαι (vgl sect99) die vom Logos geformt werden muumlssen52

Die folgenden kurzen Saumltze in sect8990 formulieren in aumlusserster Zuspitzung die Rhe-torik arbeitet mit provokanten Paradoxien Der Wille Gottes determiniert den Willen des Subjekts nicht nur vollumfaumlnglich sondern bestimmt auch seine Intentionalitaumlt ndash das Ich bdquowillldquo Peristasen wie Fieber Tod und Folter Die scheinbare Fremdbestim-mung wird schliesslich aufgefangen durch die Analogisierung mit Zeus selber (vgl sect82)53

Das Basisprinzip besteht also in der vollstaumlndigen Konvergenz des Willens des (menschlichen) Subjekts mit dem Willen Gottes eine Konvergenz die im Zeichen der wahren Freiheit steht Es reflektiert die traditionelle Figur des stoischen Determi-nismus der einerseits zwar die Willensfreiheit ganz im Geflecht der kosmischen Kau-salketten aufhebt andrerseits aber das Freiheitspathos steigert54 Offenkundig spiegelt Epiktet hier absichtsvoll zwei verschiedene Modi von Freiheit ineinander diejenige des Entscheidens (Freiheit als Immer-auch-anders-Koumlnnen) und diejenige des Wol-lens (die in der nachmaligen lateinischen Theologie bei Marius Victorinus und beson-ders bei Augustin zur Entfaltung der Willensmetaphysik gefuumlhrt hat)

Die Passage ist so stark von paradoxaler Rhetorik bestimmt dass man sie nicht vor-schnell mit fruumlhchristlichen Texten kontrastieren sollte Epiktet am naumlchsten steht die Szene in Getsemane wo Jesus Gottes Willen seinem eigenen vorordnet bdquoAbba

51 Das Verb προσκατατάσσειν das bei Epiktet nur in Diss IV 1 begegnet meint die Ein-

ordnung unter eine uumlbergeordnete Groumlsse (vgl unten sect9198) und beruumlhrt sich mit κατατάσσειν das in Ench 311 die Eusebeia das angemessene Verhalten gegenuumlber den Goumlttern beschreibt und mit bdquogehorchenldquo bdquosich fuumlgenldquo und bdquofreiwillig folgenldquo expli-ziert wird Besonders praumlgend ist das Sokrateswort in Platons Apologie 28e (τάξις) das Diss I 924 unter dem Einfluss von Leg 12945a (εἰς τάξιν κατατάξῃ) reformuliert wird bdquoGott hat uns einen bestimmten Platz und eine bestimmte Lebensform zugewiesen (κατατέταχεν) die wir nicht verlassen sollenldquo vgl III 14114 (εἰς τοιαύτην ὑπηρεσίαν κατατεταγμένος) II 139 I 134 (von einer uumlbergeordneten Stellung) Un-sere Formulierung in sect89ndash99 druumlckt mit dem zusaumltzlichen Compositum πρoς- auch noch jene dynamische Richtungsbestimmung aus die aus dem Praumltext des Kleanthes stammt (bdquofuumlhre mich [hellip] dahinldquo sect131) προσκατατάσσειν (LSJ 1516a bdquosubjoin append as-sign attachldquo) begegnet nur gelegentlich in der griechischen Literatur (Polyb III 201 [Re-den hinzufuumlgen] Philon Op 131 [Suumlsswasser der Erde zuweisen vgl 38] Cornut Nat deor 323 [Feuchtes in Aumlther uumlberfuumlhren] OGIS 5627 [hinzugefuumlgte Priester]) Vgl WILLMS 2011 I 489f

52 Zenon hat einen Traktat περὶ ὁρμῆς ἢ περὶ ἀνθρώπου φύσεως verfasst (Diog Laert 74 = SVF 1 41) vgl ferner POHLENZ 61991 II 52 77 80f Textintern sind die Bezuumlge der ὁρμή auf das θέλειν durch den voranstehenden wie den nachfolgenden Satz deutlich

53 Fuumlr diese Analogie bietet Diss II 1722ndash25 eine instruktive Parallele bdquoMit einem Wort Wolle nichts anderes als was Gott will Wer wird dich dann noch behindern wer dich zwingen Ebenso wenig wie (man) Zeus (zwingen kann) Wenn du einen solchen Fuumlhrer hast und mit ihm eines Willens und eines Wunsches bist was fuumlrchtest du dann noch an Fehlschlaumlgenldquo Epiktet raumlt auch hier dazu sich nicht zu binden an Reichtum Armut Ge-sundheit Ehre Vater Heimat Freunde und Kinder die alle nicht unserem Verfuumlgungs-bereich zugehoumlren

54 Zugespitzt bei BRAICOVICH 2010 der Epiktets handlungspsychologisches Freiheitsver-staumlndnis konsequent deterministisch deutet Zur allgemeinen Diskussion des stoischen Determinismus vgl STEINMETZ 1994 610ndash612 GUCKES 2004 12ndash17 im Zusammenhang mit Epiktet LONG 2002 220ndash222 (bdquothe autonomous person as someone who voluntarily complies with a predetermined situationldquo 222) sowie FORSCHNER oben S

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Vater alles ist dir moumlglich Lass diesen Kelch an mir voruumlbergehen Doch nicht was ich will sondern was du willstldquo (Mk 1436 vgl Mt 2639 Lk 2242)55 Die nur bei Mk vorkommende Allmachtsformel haumllt die ndash nicht realisierte ndash Moumlglichkeit offen dass Jesu eigener Wille dem Leiden zu entgehen sich verwirklichen liesse Der Vers der in der altkirchlichen Zweinaturenchristologie intensiv debattiert worden ist scheint es im Kontrast zu Epiktet bei einem sbquoproduktivenlsquo Gegenuumlber von zwei Wil-lensbewegungen zu belassen ndash eine Asymmetrie von erheblichem anthropologischem Gewicht Der Unterschied des Genre will freilich beachtet sein Waumlhrend Epiktet in einem argumentativen Text das Resultat einer geradezu lebenslaumlnglich vollzogenen Uumlbung (askesis) in praumlsentischen Paradoxien versprachlicht markiert die Getsemane-Erzaumlhlung der Evangelien eine Station auf dem Passionsweg Jesu der die vollstaumlndige Konvergenz der beiden Willensbewegungen narrativ zur Darstellung bringen wird Jesus ergibt sich als leidender Gerechter in den Gotteswillen bis zum Tod am Kreuz

Keine direkte Relevanz fuumlr die von uns hier diskutierte Thematik hat die Problemati-sierung der Einheit des menschlichen Willensbereichs56 Sowohl Epiktet (Diss II 1718f II 261 uouml) wie Paulus (Roumlm 715ndash19) sprechen vom inneren Zwiespalt des Menschen und orientieren sich dabei an einer in der Antike verbreiteten Figur die auf die Gestalt der euripideischen Medea zuruumlckfuumlhrt Die zugrunde liegenden anthropo-logischen Konzeptionen sind zwar denkbar verschieden Dem grundsaumltzlich monisti-schen Ansatz Epiktets steht der dualistische des Paulus gegenuumlber57 Es faumlllt aber auf dass beide das fuumlr die Medea-Rezeption traditionelle Schema des Gegensatzes von Erkennen und Trieb von Vernunft und Leidenschaft durch eine weit radikalere Deu-tung uumlberlagern Der Zwiespalt im Inneren ist uumlberhaupt nur retrospektiv durchschau-bar geworden erst das Ereignis der Befreiung laumlsst es zur Erkenntnis der Sklaverei kommen Dabei sprechen beide von der Unfreiheit gut traditionell als dem bdquoTun was ich nicht willldquo58

Freiheit wird praumlsentiert als Anerkennung dessen was ohnehin nicht zur Disposition steht und nicht anders sein kann als es der Fall ist Das klassische Bild der Stoiker

55 Die Uumlbersetzung biblischer Texte richtet sich meistens nach der Zuumlrcher Bibel 2007 56 Der optimistischen Anthropologie Epiktets laumlsst sich dann diejenige des Paulus gegen-

uumlberstellen die zwar nicht pessimistisch ist aber Suumlnde nicht im kognitiven Bereich son-dern im Willensbereich platziert vgl zB SCHNELLE 2009 156f

57 Zum Verhaumlltnis zwischen Epiktet und Roumlm 7 vgl HUTTUNEN 2005 ferner VOLLENWEIDER 1989 350ndash352

58 Vgl oben bei Anm 42 Das Versklavtsein wird bei Epiktet deswegen nicht so ausweglos wie bei Paulus wahrgenommen weil es wesentlich auf falschem Denken beruht

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stellt der an einen Wagen festgebundene Hund dar der entweder aus eigenen Stuumlcken mitgeht oder aber mitgeschleift wird59

33 Das Gleichnis von der sicheren Reisegesellschaft (sect91ndash98)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft changiert zwischen Bildrede und eigentlicher Rede Mit οὕτως (sect91) wird das Bild eingefuumlhrt ebenfalls mit οὕτως erfolgt der Wechsel zur Sachebene naumlmlich zur kosmischen Position des Verstaumlndigen (sect9298) dessen Selbstgespraumlch wieder auf der Bildebene spielt (sect92ndash97) Mit seinen Hinwei-sen auf hoch gestellte Personen besonders den Status des Freunds des Kaisers wird Bezug genommen auf fruumlhere Passagen (sect8ndash15 45ndash50) Das Selbstgespraumlch endet ironisch in einer Aporie ndash selbst in der Einoumlde gibt es keinen Schutz vor negativen Maumlchten (sect97) Erst der Anschluss an Gott ermoumlglicht eine sichere Reise Die Philo-sophie spielt hier ihre in hellenistischer und kaiserzeitlicher Zeit zentral gewordene Rolle als Ratgeber fuumlr den Umgang mit jederzeit drohenden Kontingenzen und ant-wortet auf ein Anliegen das auch die zeitgenoumlssischen Religionen das Christentum so gut wie Mysterienreligionen und magische Praktiken bearbeiten

Die traditionelle und uumlberaus reiche Metaphorik des Wegs deckt ein breites Spektrum ab Die hauptsaumlchliche Konnotation die auch bei Epiktet reichhaltig begegnet ist die-jenige des Zusammenhangs von Weg und Ziel So spricht unser Lehrgespraumlch sum-mierend vom Weg zur wahren Freiheit (sect131)60 Das Reisegleichnis in Diss II 2336ndash39 raumlt dazu Raststaumltten wieder zu verlassen um zur Heimatstadt zu gelangen (εἰς τὴν

πατρίδα ἐπανελθεῖν)61 Auch wo Gott (II 710f) oder der wahre Kyniker (III 2226) den rechten Weg weisen ist das Ziel im Blick62 Aumlhnlich steht es mit der christ-lichen Wegmetaphorik63 In unserem Zusammenhang geht es dagegen ausschliesslich um das sichere Reisen ndash in der Sprache heutiger Lebensratgeber der Weg ist das Ziel Fuumlr die Reisegemeinschaft mit Gott bietet II 1723 eine bemerkenswerte Parallele da hier neben der Konvergenz des Wollens auch die Analogie mit Zeus figuriert (sect22)64 Das Leben laumlsst sich generell mit einer Reise vergleichen65 III 139ndash11 stellt heraus dass nur die Philosophie nicht aber der Kaiser si-

59 Chrysipp () SVF 2 975 vgl POHLENZ 82010 I 106 STEINMETZ 1994 611f weiteres bei

VOLLENWEIDER 1989 75f 60 Vgl IV 439 vom Weg zur wahren εὔροια 61 Auch hier wird explizit der Bezug zur Freiheit hergestellt (sect42) verbunden mit dem bdquomit

ganzem Herzenldquo zu sprechenden Gebet des Kleanthes 62 Vgl ferner I 1618 II 216 II 123 III 263f IV 24 IV 659 IV 916 63 Vgl den Uumlberblick (auch zur Umwelt) von W MICHAELIS Art ὁδός κτλ ThWNT 5

(1954) 42ndash118 sowie die bei WILLMS 2012 II 709 genannte Literatur 64 Vgl oben Anm 53 65 Diss II 510 von der Seereise wo bdquoeiniges an mir liegt anderes aber nichtldquo vgl ferner II

1624 I 99 II 1737f in III 2493 wird die Abreise mit dem Sterben verglichen

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cheren Reiseschutz verleihen kann (vgl sect3) Es gibt durchaus neutestamentliches Vergleichsmaterial Die Nachfolge auf Jesu Weg wie ihn die Evangelien darstellen ist transparent fuumlr den Lebensweg der Christusglaumlubigen (Mk 827ndash1052 besonders 834) Dieser ist freilich auch wieder auf ein Ziel hin orientiert naumlmlich auf die Pas-sion und das Kreuz Epiktets goumlttlicher Reisegesellschaft am naumlchsten kommen wir mit der Topik des bdquoMitseinsldquo Jesu bzw Gottes mit den Glaubenden (Mt 2820 vgl 123 1820 Joh 1416f [vom Geist]) welche die gesamte biblische Tradition des Mit-gehens Gottes mit seinem Volk insbesondere waumlhrend der Wuumlstenwanderung sum-miert Obschon der Lebensweg die Stoiker in widrige Umstaumlnde und die Christen in das Martyrium fuumlhren mag gibt die Gemeinschaft mit Gott ultimative Sicherheit Der Vergleich fuumlhrt uns also wieder in den Bereich der Passionsgeschichte Waumlhrend fuumlr die Christen der Gottessohn und somit der in diesem praumlsente Gott selber den Weg des Leidens geht sieht sich der Stoiker gewiesen an Vorbilder die paradigmatisch das Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens vor Augen stellen zumal an Herakles und Sokrates Zwar ist auch ihr Gott im Kosmos gegenwaumlrtig aber da er das harmo-nisch gefuumlgte Ganze repraumlsentiert ist er den immer nur einzelne Teile betreffenden Turbulenzen nicht ausgesetzt

34 Das Gleichnis von der Festversammlung (sect99ndash110)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft endet in einem radikalen Ruumlckzug aus dem Bereich des Ungewissen der nicht einmal in der Einsamkeit der Einoumlde haltmacht sondern gleichsam in die Unweltlichkeit versetzt Dieser Reduktionsbewegung auf einen einzigen Punkt der mit Gott identifiziert wird kommt nun eine expandierende Bewegung entgegenzustehen die in die Weite des Kosmos und die universale Ge-meinschaft hinaus weist

Mit dem erneuten Ruumlckgriff auf das theologische Bekenntnis und das Prinzip von sect89 baut Epiktet sukzessive ein neues Gleichnis auf das sich mit kosmologischen Deu-tungen verbindet Im Fokus stehen nun die Willensbewegungen Gottes und sein ord-nendes Wirken im Kosmos Die Basisunterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoAnderemldquo wird theologisch akzentuiert Im Bereich des Eigenen figuriert die freie Selbstbestim-mung die Prohairesis66 der Bereich des Anderen wird der Gottheit und ihrem Wal-ten dem bdquoKreislauf des Allsldquo zugemessen (sect100) Koumlrper Besitz sowie Haus Kinder und Frau (vgl sect66f 87 107 111) Alles wovon sich der Verstaumlndige innerlich als

66 Zur Prohairesis vgl FORSCHNER in diesem Band S [[Typoskript S 5]] ferner STE-

PHENS 2007 16ndash25 (bdquoProhairesis as selfldquo) und die Diskussion von ENGBERG-PEDERSEN 2010 212ndash214 (bdquotrue human selfldquo) mit LONG 2002 28ndash30 207ndash220 (bdquovolitionldquo)

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dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

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logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

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41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

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Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

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die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

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Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

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Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

MITCHELL (Hg) Antiquity and Humanity Essays on ancient Religion and Phi-losophy presented to Hans Dieter Betz Tuumlbingen 2001 385ndash412

B LANG Jesus der Hund Leben und Lehre eines juumldischen Kynikers Beckrsquosche Reihe 1957 Muumlnchen 2010

BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

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Page 11: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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theologischen Reflexion etwa bei Paulus andrerseits hat sich als plausibel und weg-weisend erwiesen Wo immer die beiden Kulturgestalten komparatistisch auf einander bezogen werden orientiert man sich an diesem Basismodell31 Die Umbruumlche in den Geistes- und Kulturwissenschaften seit der Mitte des 20 Jahrhunderts haben freilich die Koordinaten entlang denen das Wirklichkeitsverstaumlndnis und die Ethik der Stoi-ker wie der Christen rekonstruiert werden tiefgreifend veraumlndert So hat sich auf der Seite der neutestamentlichen Theologie die urchristliche Eschatologie in den Vorder-grund geschoben die die Kontrastierung zur griechisch-hellenistischen Philosophie noch einmal anders konturiert32 In juumlngerer Zeit hat das Interesse an einem umfas-senden sbquoSystemvergleichlsquo deutlich abgenommen33

31 Grunddifferenzen bei gleichzeitigen Konvergenzen werden herausgearbeitet etwa bei

GRETENKORD 1981 261ndash305 KLAUCK 1989 ders 1996 85ndash88 92 GALLOWAY 2004 HUTTUNEN 2005 SCHNELLE 2009 RAMELLI 2009 WILLMS 2011 I 431f uouml Auch die juumlngste Gesamtdarstellung von Epiktet liegt auf dieser Linie LONG 2002 3 (bdquoEpictetus has also been misunderstood because his appeals to theology which are ubiquitous have been consciously or unconsciously read in the light of Christianity In my opinion Epic-tetusrsquo deepest ideas are remote from the main Christian message notwithstanding notable parallels between some things he says and the New Testamentldquo) 143ndash147 176

32 Bereits BULTMANN 1912 185ndash188 stellt ua das Fehlen eines Geschichtsbewusstseins in der Philosophie fest bdquoEtwas Neues ist nie gekommenldquo (185) Auf dieser Linie urteilt er spaumlter bdquoder Stoiker meint seine Zeitlichkeit eliminieren zu koumlnnen seine sbquoEntweltli-chunglsquo ist sbquoEntzeitlichunglsquoldquo (194941976 161) Ich selber habe versucht die Differenz zwischen Stoikern und Urchristen am ineinander verschraumlnkten Verhaumlltnis der drei Zeit-modi herauszuarbeiten und in die Kosmologie zu extrapolieren Waumlhrend die Gegenwart in der Perspektive der Christen von der endzeitlichen Zukunft tangiert wird steht sie bei den Stoikern im Bann der Vergangenheit Dem sich ewig wiederholenden Kosmos steht die sich vorerst partikular realisierende neue Schoumlpfung entgegen VOLLENWEIDER 1989 44ndash53 404f vgl unten S

33 Eine Ausnahme stellt der neuere Versuch von ENGBERG-PEDERSEN 2000 dar stoische Phi-losophie und paulinische Theologie idealtypisch zu vergleichen statt sich von der Frage nach historischen Beeinflussungen engfuumlhren zu lassen Die Basis dafuumlr stellt ein kom-plexes theoretisches Modell bereit das die Wechselwirkung zwischen Individuum Ge-meinschaft und dem Goumlttlichen bzw dem Logos beschreibt (33ndash44) Der Erkenntnisge-winn der Studie reicht genau so weit wie die Leserschaft bereit ist diesem Modell Plau-

sibilitaumlt zuzuerkennen ndash In seinem juumlngsten Buch fuumlhrt ENGBERG-PEDERSEN (2010 106ndash138) einen Vergleich speziell zwischen Epiktet und Paulus durch Er konzentriert sich dabei auf die Gotteserkenntnis und stellt neben Differenzen erhebliche Uumlbereinstimmun-gen fest Problematisiert werden die bisher gelaumlufigen Differenzkriterien von self-suffi-ciency (resp human agency) versus dependence (resp divine agency) und damit zusam-menhaumlngend von philosophy versus apocalypticism Bezuumlglich des erstgenannten Duals ist Engberg-Pedersen mE im Recht beim zweitgenannten aber kaum (vgl die vorherige Anm) Die Gotteserkenntnis ihrerseits hat bei den beiden Denkern einen derart unter-schiedlichen Stellenwert dass sie schwer vergleichbar ist zumal sie bei Paulus christolo-gisch vermittelt ist Ausserdem laumldt die Konvergenzformel bdquoknowledge (of God) as align-ment with Godldquo nicht primaumlr die Stoiker sondern vielmehr die Platoniker mit ihrer ὁμοίωσις θεῷ zum Gespraumlch mit Paulus Epiktet duumlrfte gerade an diesem Punkt plato-nische Motive rezipiert haben (vgl unten Anm 98) was vielleicht auch fuumlr Paulus gilt (so VAN KOOTEN 2008) Auch bei anderen Thesen des Buchs legen sich statt stoischer eher platonische Bezuumlge nahe vgl die Rezension von R HIRSCH-LUIPOLD Early Christianity 3 (2012) 122ndash133

129

Methodisch gesehen erweist sich das komparatistische Geschaumlft als uumlberaus komplex Ich weise auf wenigstens drei Punkte hin wo ein umsichtiges historisches und herme-neutisches Urteil gefordert ist

1 Ein Vergleich kommt nur dort angemessen zum Zug wo beide Seiten in optimam partem interpretiert werden wo also Abstinenz gegenuumlber vorschnellen Verurteilun-gen eingeuumlbt wird Die neutestamentliche Exegese hat waumlhrend der letzten Jahrzehnte auf einem anderen Feld naumlmlich in der Einschaumltzung des Fruumlhjudentums geradezu einen Paradigmenwechsel vollzogen Anstatt das Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels als dunkle Folie zu entwerfen von der sich das entstehende Christentum strahlend abhebt wird es nun in seinem eigenen Selbstverstaumlndnis und unter Verzicht auf Werturteile rekonstruiert Es legt sich nahe diesen Typ einer interessierten und aufmerksamen Hermeneutik auch der Wahrnehmung hellenistischer Philosophen zu-gutekommen zu lassen

2 Der Versuch uumlberaus vielfaumlltige geschichtliche Kulturerscheinungen auf basale Figuren hin zu typisieren muss die Grenzen seiner Reichweite explizit reflektieren und sich mit der dienenden Rolle einer heuristischen Kunst bescheiden Sowohl die sokratisch modellierten und praktisch ausgerichteten Lehrgespraumlche Epiktets wie die Briefe und Erzaumlhltexte des Neuen Testaments bleiben widerstaumlndig gegenuumlber aller Systematik

3 Gerade weil umfassende geisteswissenschaftliche Rekonstruktionen unaus-weichlich im Kontext ihrer eigenen Zeit stehen muumlssen sie konsequent darauf hin befragt werden ob sie die historischen Phaumlnomene noch angemessen vergegenwaumlrti-gen und nicht ungebuumlhrlich verzerren So ist es nicht ratsam Figuren die sich erst im Lauf der christlichen Theologiegeschichte herausgebildet haben ndash beispielsweise die Kontrastierung von Selbsterloumlsung und Gnade ndash an philosophische Texte die in ganz anderen Kontexten zu situieren sind heranzutragen Umgekehrt zeigen uns die an-faumlnglich vorgestellten christlichen Rezensionen des Enchiridion dass Grenzziehun-gen zwischen den beiden Bereichen ihrerseits erheblichen geschichtlichen Variatio-nen unterliegen

24 Diskursmodelle

Angeregt von philosophischen Diskurstheorien lassen sich urchristliche und philoso-phische Texte der fruumlhen Kaiserzeit darauf hin befragen inwieweit sie aktuelle

130

sbquoDiskurselsquo dokumentieren und ihrerseits bestimmte Positionen beziehen34 Sie sind also engagiert in argumentativen Dialogen uumlber die Wahrheit von Behauptungen und die Legitimitaumlt von Normen Das klassische Geschaumlft von Exegeten und Philologen die Sortierung von sbquoParallelenlsquo stellt einschlaumlgiges Material fuumlr die Identifizierung von Themen und fuumlr die Rekonstruktion von Rezeptionserwartungen zusammen35 Auf dem weltanschaulichen Markt der fruumlhen Kaiserzeit einer fuumlr antike Verhaumlltnisse hochgradig globalisierten Welt bieten sich sowohl Philosophien wie Religionen als Fuumlhrerinnen zur Lebenskunst und als Weg zum Gluumlck an36 Ihre Diskurse handeln von den fundamentalen Fragen der Lebensorientierung ndash Schicksal und Freiheit Le-ben Tod und Jenseits ndash und von den ethischen und praktischen Problemstellungen rund um Ehe Besitz Sklaverei Freundschaft und Alter37 Sie lassen sich etwa mit Hilfe von Theorien sozialer oder personaler Identitaumlt profilieren38

Es ist attraktiv Epiktets Lehrgespraumlch uumlber die Eleutheria in den zeitgenoumlssischen Diskursen uumlber die Freiheit zu verorten39 an denen sich auch Exponenten von

34 Zur Hochkonjunktur des Diskursbegriffs in den letzten Jahrzehnten vgl die summari-

schen Bemerkungen von K GRUumlNDER Vorbemerkungen zu HWPh 9 (1995) 84ndash86 35 So spielen Epiktets Texte im Neuen Wettstein eine prominente Rolle s unten S 36 Zur Philosophie als exercice spirituelle vgl HADOT 2005 Zu den methodischen Proble-

men bei der Identifizierung von Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament vgl VOLLENWEIDER 2012 298f

37 Instruktiv ist in unserem Zusammenhang der juumlngst erschienene Sammelband unter dem Titel bdquoStoicism in early Christianityldquo (RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010) Behandelt werden ua Fragen der Ethik und des Gesetzes bei Paulus die Darstellung Jesu als Lehrer bei Mt der sbquoemotionalelsquo Jesus in Joh die Weltbrand-Eschatologie (2Petr) das Thema der Sklaverei und der Willensfreiheit

38 So spielt Epiktet bei NGUYEN 2008 eine wichtige Rolle in der Rekonstruktion der Inter-aktionen zwischen den Korinthern und Paulus Auch die bdquoWeltdistanzldquo die zum Ver-gleich von Urchristen und Epiktet einlaumldt (BRAUN 1971 SCHRAGE 2004 WEBER 1999) waumlre heute auf der Basis von Theorien sozialer Identitaumlt zu reformulieren

39 Als besonders herausragende Texte der fruumlhen Kaiserzeit sind neben Epiktet Diss IV 1 und Paulus Roumlm 6ndash8 Gal 45 1Kor 910 zu nennen Dion Or 14ndash15 80 Philon Prob verschiedene Texte von Seneca sodann Cicero Parad 33ndash41 (omnes sapientes liberos esse et stultos omnes servos) Persius Sat 5 Ps-Andron Rhod Pass 97 Nicht erhal-tene Traktate bdquoUumlber die Freiheitldquo oder bdquoUumlber Knechtschaft (und Freiheit)ldquo werden ua Antisthenes (Diog Laert 616) und Kleanthes (Diog Laert 7175 = SVF 1 481) zuge-schrieben Wichtige Quellentexte stellt WILLMS 2011 I 63ndash83 89 zusammen Sein Ver-such eine bdquostoische Urschriftldquo namentlich aufgrund von Uumlbereinstimmungen zwischen Epiktet und Philon zu postulieren ist mE wie viele andere literarkritische Modelle die auf die Quellenkritik des 19 Jh zuruumlckgehen zum Scheitern verurteilt Die Parallelen erweisen sich als so partiell dass sie mit der Annahme von gemeinsamem Traditionsgut ausreichend erklaumlrt werden koumlnnen Die methodisch viel anspruchsvollere Hypothese ei-ner gemeinsamen Quelle laumlsst sich nicht plausibilisieren (vgl dazu bereits VOLLENWEIDER 1989 28f)

131

Partialkulturen wie der juumldischen und der christlichen beteiligten Zu beachten ist da-bei dass die Freiheitsdiskurse auch implizit oder explizit politische Akzente setzen etwa im Verhaumlltnis zur imperialen Ideologie40 Wir beschaumlftigen uns im Folgenden exemplarisch mit dem spezifisch theologischen Profil des Freiheitsverstaumlndnisses Epiktets Zugrunde gelegt wird die Annahme dass sein Verstaumlndnis von Freiheit zwar ein deutlich erkennbares individuelles Kolorit aufweist sich aber grundsaumltzlich doch in die klassische stoische Konfiguration einzeichnen laumlsst41

3 Der goumlttliche Grund der Freiheit nach Diss IV 185ndash110

31 Grundlegende Unterscheidungen

Epiktet geht in seinem Lehrgespraumlch von einer weithin konsensfaumlhigen Definition von Freiheit aus die Freiheit zu leben bdquowie man willldquo (sect1)42 Die Argumentation steuert uumlber mehrere Gaumlnge auf ein Verstaumlndnis von Freiheit zu das sich fuumlr die vom Meister in die Unterredung einbezogenen virtuellen Schuumller mit uumlberraschenden Entdeckun-gen verbindet Der soziale Status mit all seinen Implikationen traumlgt nicht nur nichts bei zum Erwerb der Freiheit sondern entpuppt sich sogar als bdquoschoumlnste und glaumln-zendste Sklavereildquo (sect40) Dies gilt zumal dort wo einer nur noch den Kaiser als bdquoHerrn uumlber alleldquo uumlber sich weiss (sect12f) Zentral fuumlr den Befreiungsprozess ist das unablaumlssige Einuumlben jener kognitiven Operation welche die allgemeinen Vorstellun-gen (προλήψεις) mit den konkreten Lebensverhaumlltnissen konfiguriert (ταῖς ἐπὶ μέρους οὐσίαις sect41f)43 bdquoSuche und du wirst findenldquo (sect51)44 Wer

40 Muumlnzen Inschriften und Literatur belegen die Zugkraft des ideenpolitischen Schlagworts

bdquoFreiheitldquo so beanspruchte der Prinzipat die res publica und ihre libertas wiederherge-stellt zu haben

41 Vgl Forschner oben S Anders jetzt ASMIS 2001 der Epiktet eine neue Frei-heitskonzeption zuschreibt (bdquoEpictetus in sum offers a new concept of human freedom according to which the power of choice [sc prohairesis SV] confers on each person the freedom to determine onersquos own characterrdquo 412)

42 Diese gaumlngige Formel begegnet zB auch bei Paulus Gal 517 Roumlm 715ndash19 43 Zum Verstaumlndnis der Prolepsen im Kontext der Oikeiosislehre vgl FORSCHNER 1995

151ndash156 (πρόληψις als bdquoein umrisshafter unbestimmter undifferenzierter Vorgriffldquo der von einem bestimmten Begriff bzw einer Definition zu unterscheiden ist Epiktet ist bdquohier wohl altstoischem Gedankengut verpflichtetldquo 153) Vgl FORSCHNER oben S

44 Zum Bezug zur Jesustradition (Mt 77 usw) vgl WILLMS 2011 I 263ndash265 sowie BETZ 1995 501ndash504 und unten S Die Sentenz ist so weit gestreut dass sie keine Benut-zung des Neuen Testaments durch Epiktet belegt

132

nicht von selber dank der dem Logos entsprechenden natuumlrlichen Faumlhigkeiten zur Wahrheit gelangt kann sich an bewaumlhrten Wahrheitszeugen orientieren (sect51f) fak-tisch ist hier der aktuell Lehrende mindestens mitgemeint Epiktet steuert die Unter-redung die in diesem Teil (sect51ndash75) besonders stark als sokratischer Dialog gestaltet ist45 auf seine elementare Formel der Unterscheidung dessen was bdquouns zuhandenldquo und bdquouns nicht zuhandenldquo ist zu (sect65 τὰ μὲν ἐφ᾽ ἡμῖν ἐστιν τὰ δ᾽ ἐπ᾽ ἄλλοις vgl Diss I 1)46 Am Koumlrper selber wird geradezu hautnah der Bereich des Fremden des ἀλλότριον erfahrbar (sect76ndash80) plastisch verbildlicht im Gleichnis eines bepack-ten Esels den man notfalls auch bdquolassenldquo muss ganz zu schweigen vom Zubehoumlr und Gepaumlck (sect79f)

Bereits in diesem Abschnitt macht sich ein entscheidender Bezugstext ein Praumltext bemerkbar der spaumlter explizit zu Wort kommen wird das Gebet des Kleanthes Wird der Esel von anderen requiriert (angareia) so gilt bdquoLass ihn gehen widerstrebe nicht und murre nicht ndash andernfalls wirst du den Esel genauso einbuumlssen nur mit Schlaumlgenldquo Im bdquogenauso hellip nurldquo (woumlrtlich bdquonichts desto wenigerldquo οὐδὲν ἧττον) spielt Epiktet an auf Kleanthesrsquo Vers bdquoWenn ich aber nicht (folgen) wollte waumlre ich ein feiger Schwaumlchling und muumlsste euch nichtsdestoweniger (οὐδὲν ἧττον) folgenldquo (Ench 531)

Mit der Aufforderung unablaumlssig die elementare Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo zu uumlben (sect81) die wiederum im Bereich von Koumlrper und Besitz die Frei-heit von Angst und Begehren eroumlffnet ist die Plattform fuumlr die uns interessierende theologische Deutung etabliert47

Bereits sect82 hat vorausweisenden Charakter Die Bestimmung uumlber das Wesen des Guten und Schlechten faumlllt in den Bereich des Eigenen bdquoWer kann es dir wegnehmen

45 Auf das sokratische Design der Dissertationes hat besonders LONG 2002 67ndash96 uouml

hingewiesen (bdquoSocrates rather than any Stoic philosopher or even the Cynic Diogenes is Epictetus favoured paradigm not only as a model for life but also as a practitioner of philosophical conversationldquo 4) hier auch verbunden mit Kritik an BONHOumlFFER (166f 176)

46 Zu Herkunft und Hintergrund der Formel vgl DOBBIN 1998 65ndash68 WILLMS 2011 I 328ndash337

47 Die Strukturierung unseres Lehrgespraumlchs durch das Nacheinander eines sbquoprofanenlsquo bzw sbquosaumlkularenlsquo Teils als Tradition (sect6ndash90) und eines sbquotheologischenlsquo Teils als Interpretation (sect91ndash131) durch NESTLE 1967 125ndash128 134 (zustimmend GRETENKORD 1981 195f) hat keinen Anhalt am Text (bereits sect89f stellt eine theologische Klimax dar die durch die Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo eng mit der ab sect62 entfalteten Argumen-tation verbunden ist) und arbeitet mit (redaktionsgeschichtlichen) Kategorien die sich bei Epiktet nicht bewaumlhren (das richtige Applizieren der allgemeinen Vorstellungen auf die konkreten Lebensumstaumlnde in sect41f ist eine spezifisch epiktetische Konzeption ohne dass sie deswegen unstoisch waumlre) vgl oben Anm 43)

133

wer kann dich behindern Ebenso wenig kann man Gott behindernldquo Dies wird in sect90 wieder aufgenommen48

32 Das Gleichnis von der Burg und das Basisprinzip (sect85ndash90)

Im Abschnitt sect85ndash110 arbeitet Epiktet mit drei aufeinander folgenden Gleichnissen die jeweils fliessend in allgemeine Aussagen uumlbergehen Burg Reisegesellschaft und Festversammlung Die Befreiung von der Furcht wird verbildlicht mit der Zerstoumlrung der inneren Burg (Akropolis) dem Sitz der Tyrannen Die Metapher uumlberrascht zu-naumlchst da man die innere Festung eher als positives Sinnbild fuumlr die uneinnehmbare Position des Denkvermoumlgens erwartet haumltte49 Sie hat hier aber den Charakter der Zwingburg die man niederreissen oder wenigstens entvoumllkern soll Mit dem erneuten bdquoLassenldquo des Koumlrpers und seiner Teile von Besitz Ehrungen Kindern Geschwistern und Freunden (vgl sect66f) wechseln wir wieder auf die Sachebene (die eher an einen defensiven Ruumlckzug denken laumlsst) Uumlber das Bildelement von den Leibwaumlchtern die ihren bedrohlichen Charakter verloren haben fokussiert der Meister nun auf den Wil-len der von keinem Zwang mehr behindert wird (sect88) und damit auf die Leitdefini-tion am Anfang der Unterweisung (sect1) Wir stehen vor einem Scharnier der Argu-mentation weil nun das theologische Bekenntnis bdquoIch habe mein Streben Gott anheim gestelltldquo eine neue Dimension der wahren Freiheit eroumlffnet und zur Formulierung des Basisprinzips fuumlhrt (sect89ndash90)50

Das Bekenntnis selber verdichtet den stoischen Gedanken der Einfuumlgung in die

48 Dieser Verweis auf Gott unterscheidet sich von Diss I 123 wonach Zeus als houmlchster

Repraumlsentant des bdquoFremdenldquo die eigene Prohairesis nicht bezwingen (νικῆσαι) kann Dazu GRAVER 2003 348f

49 Praumlgnant ist vor allem die Aumlusserung Marc Aurels bdquoDeshalb ist die von Leidenschaften freie Denkkraft eine feste Burg (ἀκρόπολίς ἐστιν ἡ ἐλευθέρα παθῶν διάνοια) denn

nichts Staumlrkeres hat der Menschldquo (VIII 483) als Leitmotiv bei HADOT 1997 156ndash184 Vgl Sen Ep 825 Negativ konnotiert ist die Festung etwa auch bei Philon Fug 148 (bdquoZwingburg der Lustldquo) positiv Abr 150 vom Ort der Augen dem koumlniglichen Sinn Spec 3184 vom Kopf Spec 449 von der Seele

50 Auffaumlllig ist die perfektische Formulierung des Bekenntnisses die sich auch im vorange-gangenen Satz spiegelt (οὐπώποτε mit zwei Verben im Aorist) Spielt Epiktet hier an auf seinen Status als einer von denen die die Wahrheit gesucht und gefunden haben (sect51)

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goumlttliche Weltordnung51 Beim bdquoStrebenldquo (ὁρμή) handelt es sich um einen gaumlngigen Terminus fuumlr die menschlichen Antriebe also den Bereich der Willensbewegungen des θέλειν und βούλεσθαι (vgl sect99) die vom Logos geformt werden muumlssen52

Die folgenden kurzen Saumltze in sect8990 formulieren in aumlusserster Zuspitzung die Rhe-torik arbeitet mit provokanten Paradoxien Der Wille Gottes determiniert den Willen des Subjekts nicht nur vollumfaumlnglich sondern bestimmt auch seine Intentionalitaumlt ndash das Ich bdquowillldquo Peristasen wie Fieber Tod und Folter Die scheinbare Fremdbestim-mung wird schliesslich aufgefangen durch die Analogisierung mit Zeus selber (vgl sect82)53

Das Basisprinzip besteht also in der vollstaumlndigen Konvergenz des Willens des (menschlichen) Subjekts mit dem Willen Gottes eine Konvergenz die im Zeichen der wahren Freiheit steht Es reflektiert die traditionelle Figur des stoischen Determi-nismus der einerseits zwar die Willensfreiheit ganz im Geflecht der kosmischen Kau-salketten aufhebt andrerseits aber das Freiheitspathos steigert54 Offenkundig spiegelt Epiktet hier absichtsvoll zwei verschiedene Modi von Freiheit ineinander diejenige des Entscheidens (Freiheit als Immer-auch-anders-Koumlnnen) und diejenige des Wol-lens (die in der nachmaligen lateinischen Theologie bei Marius Victorinus und beson-ders bei Augustin zur Entfaltung der Willensmetaphysik gefuumlhrt hat)

Die Passage ist so stark von paradoxaler Rhetorik bestimmt dass man sie nicht vor-schnell mit fruumlhchristlichen Texten kontrastieren sollte Epiktet am naumlchsten steht die Szene in Getsemane wo Jesus Gottes Willen seinem eigenen vorordnet bdquoAbba

51 Das Verb προσκατατάσσειν das bei Epiktet nur in Diss IV 1 begegnet meint die Ein-

ordnung unter eine uumlbergeordnete Groumlsse (vgl unten sect9198) und beruumlhrt sich mit κατατάσσειν das in Ench 311 die Eusebeia das angemessene Verhalten gegenuumlber den Goumlttern beschreibt und mit bdquogehorchenldquo bdquosich fuumlgenldquo und bdquofreiwillig folgenldquo expli-ziert wird Besonders praumlgend ist das Sokrateswort in Platons Apologie 28e (τάξις) das Diss I 924 unter dem Einfluss von Leg 12945a (εἰς τάξιν κατατάξῃ) reformuliert wird bdquoGott hat uns einen bestimmten Platz und eine bestimmte Lebensform zugewiesen (κατατέταχεν) die wir nicht verlassen sollenldquo vgl III 14114 (εἰς τοιαύτην ὑπηρεσίαν κατατεταγμένος) II 139 I 134 (von einer uumlbergeordneten Stellung) Un-sere Formulierung in sect89ndash99 druumlckt mit dem zusaumltzlichen Compositum πρoς- auch noch jene dynamische Richtungsbestimmung aus die aus dem Praumltext des Kleanthes stammt (bdquofuumlhre mich [hellip] dahinldquo sect131) προσκατατάσσειν (LSJ 1516a bdquosubjoin append as-sign attachldquo) begegnet nur gelegentlich in der griechischen Literatur (Polyb III 201 [Re-den hinzufuumlgen] Philon Op 131 [Suumlsswasser der Erde zuweisen vgl 38] Cornut Nat deor 323 [Feuchtes in Aumlther uumlberfuumlhren] OGIS 5627 [hinzugefuumlgte Priester]) Vgl WILLMS 2011 I 489f

52 Zenon hat einen Traktat περὶ ὁρμῆς ἢ περὶ ἀνθρώπου φύσεως verfasst (Diog Laert 74 = SVF 1 41) vgl ferner POHLENZ 61991 II 52 77 80f Textintern sind die Bezuumlge der ὁρμή auf das θέλειν durch den voranstehenden wie den nachfolgenden Satz deutlich

53 Fuumlr diese Analogie bietet Diss II 1722ndash25 eine instruktive Parallele bdquoMit einem Wort Wolle nichts anderes als was Gott will Wer wird dich dann noch behindern wer dich zwingen Ebenso wenig wie (man) Zeus (zwingen kann) Wenn du einen solchen Fuumlhrer hast und mit ihm eines Willens und eines Wunsches bist was fuumlrchtest du dann noch an Fehlschlaumlgenldquo Epiktet raumlt auch hier dazu sich nicht zu binden an Reichtum Armut Ge-sundheit Ehre Vater Heimat Freunde und Kinder die alle nicht unserem Verfuumlgungs-bereich zugehoumlren

54 Zugespitzt bei BRAICOVICH 2010 der Epiktets handlungspsychologisches Freiheitsver-staumlndnis konsequent deterministisch deutet Zur allgemeinen Diskussion des stoischen Determinismus vgl STEINMETZ 1994 610ndash612 GUCKES 2004 12ndash17 im Zusammenhang mit Epiktet LONG 2002 220ndash222 (bdquothe autonomous person as someone who voluntarily complies with a predetermined situationldquo 222) sowie FORSCHNER oben S

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Vater alles ist dir moumlglich Lass diesen Kelch an mir voruumlbergehen Doch nicht was ich will sondern was du willstldquo (Mk 1436 vgl Mt 2639 Lk 2242)55 Die nur bei Mk vorkommende Allmachtsformel haumllt die ndash nicht realisierte ndash Moumlglichkeit offen dass Jesu eigener Wille dem Leiden zu entgehen sich verwirklichen liesse Der Vers der in der altkirchlichen Zweinaturenchristologie intensiv debattiert worden ist scheint es im Kontrast zu Epiktet bei einem sbquoproduktivenlsquo Gegenuumlber von zwei Wil-lensbewegungen zu belassen ndash eine Asymmetrie von erheblichem anthropologischem Gewicht Der Unterschied des Genre will freilich beachtet sein Waumlhrend Epiktet in einem argumentativen Text das Resultat einer geradezu lebenslaumlnglich vollzogenen Uumlbung (askesis) in praumlsentischen Paradoxien versprachlicht markiert die Getsemane-Erzaumlhlung der Evangelien eine Station auf dem Passionsweg Jesu der die vollstaumlndige Konvergenz der beiden Willensbewegungen narrativ zur Darstellung bringen wird Jesus ergibt sich als leidender Gerechter in den Gotteswillen bis zum Tod am Kreuz

Keine direkte Relevanz fuumlr die von uns hier diskutierte Thematik hat die Problemati-sierung der Einheit des menschlichen Willensbereichs56 Sowohl Epiktet (Diss II 1718f II 261 uouml) wie Paulus (Roumlm 715ndash19) sprechen vom inneren Zwiespalt des Menschen und orientieren sich dabei an einer in der Antike verbreiteten Figur die auf die Gestalt der euripideischen Medea zuruumlckfuumlhrt Die zugrunde liegenden anthropo-logischen Konzeptionen sind zwar denkbar verschieden Dem grundsaumltzlich monisti-schen Ansatz Epiktets steht der dualistische des Paulus gegenuumlber57 Es faumlllt aber auf dass beide das fuumlr die Medea-Rezeption traditionelle Schema des Gegensatzes von Erkennen und Trieb von Vernunft und Leidenschaft durch eine weit radikalere Deu-tung uumlberlagern Der Zwiespalt im Inneren ist uumlberhaupt nur retrospektiv durchschau-bar geworden erst das Ereignis der Befreiung laumlsst es zur Erkenntnis der Sklaverei kommen Dabei sprechen beide von der Unfreiheit gut traditionell als dem bdquoTun was ich nicht willldquo58

Freiheit wird praumlsentiert als Anerkennung dessen was ohnehin nicht zur Disposition steht und nicht anders sein kann als es der Fall ist Das klassische Bild der Stoiker

55 Die Uumlbersetzung biblischer Texte richtet sich meistens nach der Zuumlrcher Bibel 2007 56 Der optimistischen Anthropologie Epiktets laumlsst sich dann diejenige des Paulus gegen-

uumlberstellen die zwar nicht pessimistisch ist aber Suumlnde nicht im kognitiven Bereich son-dern im Willensbereich platziert vgl zB SCHNELLE 2009 156f

57 Zum Verhaumlltnis zwischen Epiktet und Roumlm 7 vgl HUTTUNEN 2005 ferner VOLLENWEIDER 1989 350ndash352

58 Vgl oben bei Anm 42 Das Versklavtsein wird bei Epiktet deswegen nicht so ausweglos wie bei Paulus wahrgenommen weil es wesentlich auf falschem Denken beruht

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stellt der an einen Wagen festgebundene Hund dar der entweder aus eigenen Stuumlcken mitgeht oder aber mitgeschleift wird59

33 Das Gleichnis von der sicheren Reisegesellschaft (sect91ndash98)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft changiert zwischen Bildrede und eigentlicher Rede Mit οὕτως (sect91) wird das Bild eingefuumlhrt ebenfalls mit οὕτως erfolgt der Wechsel zur Sachebene naumlmlich zur kosmischen Position des Verstaumlndigen (sect9298) dessen Selbstgespraumlch wieder auf der Bildebene spielt (sect92ndash97) Mit seinen Hinwei-sen auf hoch gestellte Personen besonders den Status des Freunds des Kaisers wird Bezug genommen auf fruumlhere Passagen (sect8ndash15 45ndash50) Das Selbstgespraumlch endet ironisch in einer Aporie ndash selbst in der Einoumlde gibt es keinen Schutz vor negativen Maumlchten (sect97) Erst der Anschluss an Gott ermoumlglicht eine sichere Reise Die Philo-sophie spielt hier ihre in hellenistischer und kaiserzeitlicher Zeit zentral gewordene Rolle als Ratgeber fuumlr den Umgang mit jederzeit drohenden Kontingenzen und ant-wortet auf ein Anliegen das auch die zeitgenoumlssischen Religionen das Christentum so gut wie Mysterienreligionen und magische Praktiken bearbeiten

Die traditionelle und uumlberaus reiche Metaphorik des Wegs deckt ein breites Spektrum ab Die hauptsaumlchliche Konnotation die auch bei Epiktet reichhaltig begegnet ist die-jenige des Zusammenhangs von Weg und Ziel So spricht unser Lehrgespraumlch sum-mierend vom Weg zur wahren Freiheit (sect131)60 Das Reisegleichnis in Diss II 2336ndash39 raumlt dazu Raststaumltten wieder zu verlassen um zur Heimatstadt zu gelangen (εἰς τὴν

πατρίδα ἐπανελθεῖν)61 Auch wo Gott (II 710f) oder der wahre Kyniker (III 2226) den rechten Weg weisen ist das Ziel im Blick62 Aumlhnlich steht es mit der christ-lichen Wegmetaphorik63 In unserem Zusammenhang geht es dagegen ausschliesslich um das sichere Reisen ndash in der Sprache heutiger Lebensratgeber der Weg ist das Ziel Fuumlr die Reisegemeinschaft mit Gott bietet II 1723 eine bemerkenswerte Parallele da hier neben der Konvergenz des Wollens auch die Analogie mit Zeus figuriert (sect22)64 Das Leben laumlsst sich generell mit einer Reise vergleichen65 III 139ndash11 stellt heraus dass nur die Philosophie nicht aber der Kaiser si-

59 Chrysipp () SVF 2 975 vgl POHLENZ 82010 I 106 STEINMETZ 1994 611f weiteres bei

VOLLENWEIDER 1989 75f 60 Vgl IV 439 vom Weg zur wahren εὔροια 61 Auch hier wird explizit der Bezug zur Freiheit hergestellt (sect42) verbunden mit dem bdquomit

ganzem Herzenldquo zu sprechenden Gebet des Kleanthes 62 Vgl ferner I 1618 II 216 II 123 III 263f IV 24 IV 659 IV 916 63 Vgl den Uumlberblick (auch zur Umwelt) von W MICHAELIS Art ὁδός κτλ ThWNT 5

(1954) 42ndash118 sowie die bei WILLMS 2012 II 709 genannte Literatur 64 Vgl oben Anm 53 65 Diss II 510 von der Seereise wo bdquoeiniges an mir liegt anderes aber nichtldquo vgl ferner II

1624 I 99 II 1737f in III 2493 wird die Abreise mit dem Sterben verglichen

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cheren Reiseschutz verleihen kann (vgl sect3) Es gibt durchaus neutestamentliches Vergleichsmaterial Die Nachfolge auf Jesu Weg wie ihn die Evangelien darstellen ist transparent fuumlr den Lebensweg der Christusglaumlubigen (Mk 827ndash1052 besonders 834) Dieser ist freilich auch wieder auf ein Ziel hin orientiert naumlmlich auf die Pas-sion und das Kreuz Epiktets goumlttlicher Reisegesellschaft am naumlchsten kommen wir mit der Topik des bdquoMitseinsldquo Jesu bzw Gottes mit den Glaubenden (Mt 2820 vgl 123 1820 Joh 1416f [vom Geist]) welche die gesamte biblische Tradition des Mit-gehens Gottes mit seinem Volk insbesondere waumlhrend der Wuumlstenwanderung sum-miert Obschon der Lebensweg die Stoiker in widrige Umstaumlnde und die Christen in das Martyrium fuumlhren mag gibt die Gemeinschaft mit Gott ultimative Sicherheit Der Vergleich fuumlhrt uns also wieder in den Bereich der Passionsgeschichte Waumlhrend fuumlr die Christen der Gottessohn und somit der in diesem praumlsente Gott selber den Weg des Leidens geht sieht sich der Stoiker gewiesen an Vorbilder die paradigmatisch das Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens vor Augen stellen zumal an Herakles und Sokrates Zwar ist auch ihr Gott im Kosmos gegenwaumlrtig aber da er das harmo-nisch gefuumlgte Ganze repraumlsentiert ist er den immer nur einzelne Teile betreffenden Turbulenzen nicht ausgesetzt

34 Das Gleichnis von der Festversammlung (sect99ndash110)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft endet in einem radikalen Ruumlckzug aus dem Bereich des Ungewissen der nicht einmal in der Einsamkeit der Einoumlde haltmacht sondern gleichsam in die Unweltlichkeit versetzt Dieser Reduktionsbewegung auf einen einzigen Punkt der mit Gott identifiziert wird kommt nun eine expandierende Bewegung entgegenzustehen die in die Weite des Kosmos und die universale Ge-meinschaft hinaus weist

Mit dem erneuten Ruumlckgriff auf das theologische Bekenntnis und das Prinzip von sect89 baut Epiktet sukzessive ein neues Gleichnis auf das sich mit kosmologischen Deu-tungen verbindet Im Fokus stehen nun die Willensbewegungen Gottes und sein ord-nendes Wirken im Kosmos Die Basisunterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoAnderemldquo wird theologisch akzentuiert Im Bereich des Eigenen figuriert die freie Selbstbestim-mung die Prohairesis66 der Bereich des Anderen wird der Gottheit und ihrem Wal-ten dem bdquoKreislauf des Allsldquo zugemessen (sect100) Koumlrper Besitz sowie Haus Kinder und Frau (vgl sect66f 87 107 111) Alles wovon sich der Verstaumlndige innerlich als

66 Zur Prohairesis vgl FORSCHNER in diesem Band S [[Typoskript S 5]] ferner STE-

PHENS 2007 16ndash25 (bdquoProhairesis as selfldquo) und die Diskussion von ENGBERG-PEDERSEN 2010 212ndash214 (bdquotrue human selfldquo) mit LONG 2002 28ndash30 207ndash220 (bdquovolitionldquo)

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dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

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logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

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41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

143

Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

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Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

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-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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21995

Page 12: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

129

Methodisch gesehen erweist sich das komparatistische Geschaumlft als uumlberaus komplex Ich weise auf wenigstens drei Punkte hin wo ein umsichtiges historisches und herme-neutisches Urteil gefordert ist

1 Ein Vergleich kommt nur dort angemessen zum Zug wo beide Seiten in optimam partem interpretiert werden wo also Abstinenz gegenuumlber vorschnellen Verurteilun-gen eingeuumlbt wird Die neutestamentliche Exegese hat waumlhrend der letzten Jahrzehnte auf einem anderen Feld naumlmlich in der Einschaumltzung des Fruumlhjudentums geradezu einen Paradigmenwechsel vollzogen Anstatt das Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels als dunkle Folie zu entwerfen von der sich das entstehende Christentum strahlend abhebt wird es nun in seinem eigenen Selbstverstaumlndnis und unter Verzicht auf Werturteile rekonstruiert Es legt sich nahe diesen Typ einer interessierten und aufmerksamen Hermeneutik auch der Wahrnehmung hellenistischer Philosophen zu-gutekommen zu lassen

2 Der Versuch uumlberaus vielfaumlltige geschichtliche Kulturerscheinungen auf basale Figuren hin zu typisieren muss die Grenzen seiner Reichweite explizit reflektieren und sich mit der dienenden Rolle einer heuristischen Kunst bescheiden Sowohl die sokratisch modellierten und praktisch ausgerichteten Lehrgespraumlche Epiktets wie die Briefe und Erzaumlhltexte des Neuen Testaments bleiben widerstaumlndig gegenuumlber aller Systematik

3 Gerade weil umfassende geisteswissenschaftliche Rekonstruktionen unaus-weichlich im Kontext ihrer eigenen Zeit stehen muumlssen sie konsequent darauf hin befragt werden ob sie die historischen Phaumlnomene noch angemessen vergegenwaumlrti-gen und nicht ungebuumlhrlich verzerren So ist es nicht ratsam Figuren die sich erst im Lauf der christlichen Theologiegeschichte herausgebildet haben ndash beispielsweise die Kontrastierung von Selbsterloumlsung und Gnade ndash an philosophische Texte die in ganz anderen Kontexten zu situieren sind heranzutragen Umgekehrt zeigen uns die an-faumlnglich vorgestellten christlichen Rezensionen des Enchiridion dass Grenzziehun-gen zwischen den beiden Bereichen ihrerseits erheblichen geschichtlichen Variatio-nen unterliegen

24 Diskursmodelle

Angeregt von philosophischen Diskurstheorien lassen sich urchristliche und philoso-phische Texte der fruumlhen Kaiserzeit darauf hin befragen inwieweit sie aktuelle

130

sbquoDiskurselsquo dokumentieren und ihrerseits bestimmte Positionen beziehen34 Sie sind also engagiert in argumentativen Dialogen uumlber die Wahrheit von Behauptungen und die Legitimitaumlt von Normen Das klassische Geschaumlft von Exegeten und Philologen die Sortierung von sbquoParallelenlsquo stellt einschlaumlgiges Material fuumlr die Identifizierung von Themen und fuumlr die Rekonstruktion von Rezeptionserwartungen zusammen35 Auf dem weltanschaulichen Markt der fruumlhen Kaiserzeit einer fuumlr antike Verhaumlltnisse hochgradig globalisierten Welt bieten sich sowohl Philosophien wie Religionen als Fuumlhrerinnen zur Lebenskunst und als Weg zum Gluumlck an36 Ihre Diskurse handeln von den fundamentalen Fragen der Lebensorientierung ndash Schicksal und Freiheit Le-ben Tod und Jenseits ndash und von den ethischen und praktischen Problemstellungen rund um Ehe Besitz Sklaverei Freundschaft und Alter37 Sie lassen sich etwa mit Hilfe von Theorien sozialer oder personaler Identitaumlt profilieren38

Es ist attraktiv Epiktets Lehrgespraumlch uumlber die Eleutheria in den zeitgenoumlssischen Diskursen uumlber die Freiheit zu verorten39 an denen sich auch Exponenten von

34 Zur Hochkonjunktur des Diskursbegriffs in den letzten Jahrzehnten vgl die summari-

schen Bemerkungen von K GRUumlNDER Vorbemerkungen zu HWPh 9 (1995) 84ndash86 35 So spielen Epiktets Texte im Neuen Wettstein eine prominente Rolle s unten S 36 Zur Philosophie als exercice spirituelle vgl HADOT 2005 Zu den methodischen Proble-

men bei der Identifizierung von Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament vgl VOLLENWEIDER 2012 298f

37 Instruktiv ist in unserem Zusammenhang der juumlngst erschienene Sammelband unter dem Titel bdquoStoicism in early Christianityldquo (RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010) Behandelt werden ua Fragen der Ethik und des Gesetzes bei Paulus die Darstellung Jesu als Lehrer bei Mt der sbquoemotionalelsquo Jesus in Joh die Weltbrand-Eschatologie (2Petr) das Thema der Sklaverei und der Willensfreiheit

38 So spielt Epiktet bei NGUYEN 2008 eine wichtige Rolle in der Rekonstruktion der Inter-aktionen zwischen den Korinthern und Paulus Auch die bdquoWeltdistanzldquo die zum Ver-gleich von Urchristen und Epiktet einlaumldt (BRAUN 1971 SCHRAGE 2004 WEBER 1999) waumlre heute auf der Basis von Theorien sozialer Identitaumlt zu reformulieren

39 Als besonders herausragende Texte der fruumlhen Kaiserzeit sind neben Epiktet Diss IV 1 und Paulus Roumlm 6ndash8 Gal 45 1Kor 910 zu nennen Dion Or 14ndash15 80 Philon Prob verschiedene Texte von Seneca sodann Cicero Parad 33ndash41 (omnes sapientes liberos esse et stultos omnes servos) Persius Sat 5 Ps-Andron Rhod Pass 97 Nicht erhal-tene Traktate bdquoUumlber die Freiheitldquo oder bdquoUumlber Knechtschaft (und Freiheit)ldquo werden ua Antisthenes (Diog Laert 616) und Kleanthes (Diog Laert 7175 = SVF 1 481) zuge-schrieben Wichtige Quellentexte stellt WILLMS 2011 I 63ndash83 89 zusammen Sein Ver-such eine bdquostoische Urschriftldquo namentlich aufgrund von Uumlbereinstimmungen zwischen Epiktet und Philon zu postulieren ist mE wie viele andere literarkritische Modelle die auf die Quellenkritik des 19 Jh zuruumlckgehen zum Scheitern verurteilt Die Parallelen erweisen sich als so partiell dass sie mit der Annahme von gemeinsamem Traditionsgut ausreichend erklaumlrt werden koumlnnen Die methodisch viel anspruchsvollere Hypothese ei-ner gemeinsamen Quelle laumlsst sich nicht plausibilisieren (vgl dazu bereits VOLLENWEIDER 1989 28f)

131

Partialkulturen wie der juumldischen und der christlichen beteiligten Zu beachten ist da-bei dass die Freiheitsdiskurse auch implizit oder explizit politische Akzente setzen etwa im Verhaumlltnis zur imperialen Ideologie40 Wir beschaumlftigen uns im Folgenden exemplarisch mit dem spezifisch theologischen Profil des Freiheitsverstaumlndnisses Epiktets Zugrunde gelegt wird die Annahme dass sein Verstaumlndnis von Freiheit zwar ein deutlich erkennbares individuelles Kolorit aufweist sich aber grundsaumltzlich doch in die klassische stoische Konfiguration einzeichnen laumlsst41

3 Der goumlttliche Grund der Freiheit nach Diss IV 185ndash110

31 Grundlegende Unterscheidungen

Epiktet geht in seinem Lehrgespraumlch von einer weithin konsensfaumlhigen Definition von Freiheit aus die Freiheit zu leben bdquowie man willldquo (sect1)42 Die Argumentation steuert uumlber mehrere Gaumlnge auf ein Verstaumlndnis von Freiheit zu das sich fuumlr die vom Meister in die Unterredung einbezogenen virtuellen Schuumller mit uumlberraschenden Entdeckun-gen verbindet Der soziale Status mit all seinen Implikationen traumlgt nicht nur nichts bei zum Erwerb der Freiheit sondern entpuppt sich sogar als bdquoschoumlnste und glaumln-zendste Sklavereildquo (sect40) Dies gilt zumal dort wo einer nur noch den Kaiser als bdquoHerrn uumlber alleldquo uumlber sich weiss (sect12f) Zentral fuumlr den Befreiungsprozess ist das unablaumlssige Einuumlben jener kognitiven Operation welche die allgemeinen Vorstellun-gen (προλήψεις) mit den konkreten Lebensverhaumlltnissen konfiguriert (ταῖς ἐπὶ μέρους οὐσίαις sect41f)43 bdquoSuche und du wirst findenldquo (sect51)44 Wer

40 Muumlnzen Inschriften und Literatur belegen die Zugkraft des ideenpolitischen Schlagworts

bdquoFreiheitldquo so beanspruchte der Prinzipat die res publica und ihre libertas wiederherge-stellt zu haben

41 Vgl Forschner oben S Anders jetzt ASMIS 2001 der Epiktet eine neue Frei-heitskonzeption zuschreibt (bdquoEpictetus in sum offers a new concept of human freedom according to which the power of choice [sc prohairesis SV] confers on each person the freedom to determine onersquos own characterrdquo 412)

42 Diese gaumlngige Formel begegnet zB auch bei Paulus Gal 517 Roumlm 715ndash19 43 Zum Verstaumlndnis der Prolepsen im Kontext der Oikeiosislehre vgl FORSCHNER 1995

151ndash156 (πρόληψις als bdquoein umrisshafter unbestimmter undifferenzierter Vorgriffldquo der von einem bestimmten Begriff bzw einer Definition zu unterscheiden ist Epiktet ist bdquohier wohl altstoischem Gedankengut verpflichtetldquo 153) Vgl FORSCHNER oben S

44 Zum Bezug zur Jesustradition (Mt 77 usw) vgl WILLMS 2011 I 263ndash265 sowie BETZ 1995 501ndash504 und unten S Die Sentenz ist so weit gestreut dass sie keine Benut-zung des Neuen Testaments durch Epiktet belegt

132

nicht von selber dank der dem Logos entsprechenden natuumlrlichen Faumlhigkeiten zur Wahrheit gelangt kann sich an bewaumlhrten Wahrheitszeugen orientieren (sect51f) fak-tisch ist hier der aktuell Lehrende mindestens mitgemeint Epiktet steuert die Unter-redung die in diesem Teil (sect51ndash75) besonders stark als sokratischer Dialog gestaltet ist45 auf seine elementare Formel der Unterscheidung dessen was bdquouns zuhandenldquo und bdquouns nicht zuhandenldquo ist zu (sect65 τὰ μὲν ἐφ᾽ ἡμῖν ἐστιν τὰ δ᾽ ἐπ᾽ ἄλλοις vgl Diss I 1)46 Am Koumlrper selber wird geradezu hautnah der Bereich des Fremden des ἀλλότριον erfahrbar (sect76ndash80) plastisch verbildlicht im Gleichnis eines bepack-ten Esels den man notfalls auch bdquolassenldquo muss ganz zu schweigen vom Zubehoumlr und Gepaumlck (sect79f)

Bereits in diesem Abschnitt macht sich ein entscheidender Bezugstext ein Praumltext bemerkbar der spaumlter explizit zu Wort kommen wird das Gebet des Kleanthes Wird der Esel von anderen requiriert (angareia) so gilt bdquoLass ihn gehen widerstrebe nicht und murre nicht ndash andernfalls wirst du den Esel genauso einbuumlssen nur mit Schlaumlgenldquo Im bdquogenauso hellip nurldquo (woumlrtlich bdquonichts desto wenigerldquo οὐδὲν ἧττον) spielt Epiktet an auf Kleanthesrsquo Vers bdquoWenn ich aber nicht (folgen) wollte waumlre ich ein feiger Schwaumlchling und muumlsste euch nichtsdestoweniger (οὐδὲν ἧττον) folgenldquo (Ench 531)

Mit der Aufforderung unablaumlssig die elementare Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo zu uumlben (sect81) die wiederum im Bereich von Koumlrper und Besitz die Frei-heit von Angst und Begehren eroumlffnet ist die Plattform fuumlr die uns interessierende theologische Deutung etabliert47

Bereits sect82 hat vorausweisenden Charakter Die Bestimmung uumlber das Wesen des Guten und Schlechten faumlllt in den Bereich des Eigenen bdquoWer kann es dir wegnehmen

45 Auf das sokratische Design der Dissertationes hat besonders LONG 2002 67ndash96 uouml

hingewiesen (bdquoSocrates rather than any Stoic philosopher or even the Cynic Diogenes is Epictetus favoured paradigm not only as a model for life but also as a practitioner of philosophical conversationldquo 4) hier auch verbunden mit Kritik an BONHOumlFFER (166f 176)

46 Zu Herkunft und Hintergrund der Formel vgl DOBBIN 1998 65ndash68 WILLMS 2011 I 328ndash337

47 Die Strukturierung unseres Lehrgespraumlchs durch das Nacheinander eines sbquoprofanenlsquo bzw sbquosaumlkularenlsquo Teils als Tradition (sect6ndash90) und eines sbquotheologischenlsquo Teils als Interpretation (sect91ndash131) durch NESTLE 1967 125ndash128 134 (zustimmend GRETENKORD 1981 195f) hat keinen Anhalt am Text (bereits sect89f stellt eine theologische Klimax dar die durch die Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo eng mit der ab sect62 entfalteten Argumen-tation verbunden ist) und arbeitet mit (redaktionsgeschichtlichen) Kategorien die sich bei Epiktet nicht bewaumlhren (das richtige Applizieren der allgemeinen Vorstellungen auf die konkreten Lebensumstaumlnde in sect41f ist eine spezifisch epiktetische Konzeption ohne dass sie deswegen unstoisch waumlre) vgl oben Anm 43)

133

wer kann dich behindern Ebenso wenig kann man Gott behindernldquo Dies wird in sect90 wieder aufgenommen48

32 Das Gleichnis von der Burg und das Basisprinzip (sect85ndash90)

Im Abschnitt sect85ndash110 arbeitet Epiktet mit drei aufeinander folgenden Gleichnissen die jeweils fliessend in allgemeine Aussagen uumlbergehen Burg Reisegesellschaft und Festversammlung Die Befreiung von der Furcht wird verbildlicht mit der Zerstoumlrung der inneren Burg (Akropolis) dem Sitz der Tyrannen Die Metapher uumlberrascht zu-naumlchst da man die innere Festung eher als positives Sinnbild fuumlr die uneinnehmbare Position des Denkvermoumlgens erwartet haumltte49 Sie hat hier aber den Charakter der Zwingburg die man niederreissen oder wenigstens entvoumllkern soll Mit dem erneuten bdquoLassenldquo des Koumlrpers und seiner Teile von Besitz Ehrungen Kindern Geschwistern und Freunden (vgl sect66f) wechseln wir wieder auf die Sachebene (die eher an einen defensiven Ruumlckzug denken laumlsst) Uumlber das Bildelement von den Leibwaumlchtern die ihren bedrohlichen Charakter verloren haben fokussiert der Meister nun auf den Wil-len der von keinem Zwang mehr behindert wird (sect88) und damit auf die Leitdefini-tion am Anfang der Unterweisung (sect1) Wir stehen vor einem Scharnier der Argu-mentation weil nun das theologische Bekenntnis bdquoIch habe mein Streben Gott anheim gestelltldquo eine neue Dimension der wahren Freiheit eroumlffnet und zur Formulierung des Basisprinzips fuumlhrt (sect89ndash90)50

Das Bekenntnis selber verdichtet den stoischen Gedanken der Einfuumlgung in die

48 Dieser Verweis auf Gott unterscheidet sich von Diss I 123 wonach Zeus als houmlchster

Repraumlsentant des bdquoFremdenldquo die eigene Prohairesis nicht bezwingen (νικῆσαι) kann Dazu GRAVER 2003 348f

49 Praumlgnant ist vor allem die Aumlusserung Marc Aurels bdquoDeshalb ist die von Leidenschaften freie Denkkraft eine feste Burg (ἀκρόπολίς ἐστιν ἡ ἐλευθέρα παθῶν διάνοια) denn

nichts Staumlrkeres hat der Menschldquo (VIII 483) als Leitmotiv bei HADOT 1997 156ndash184 Vgl Sen Ep 825 Negativ konnotiert ist die Festung etwa auch bei Philon Fug 148 (bdquoZwingburg der Lustldquo) positiv Abr 150 vom Ort der Augen dem koumlniglichen Sinn Spec 3184 vom Kopf Spec 449 von der Seele

50 Auffaumlllig ist die perfektische Formulierung des Bekenntnisses die sich auch im vorange-gangenen Satz spiegelt (οὐπώποτε mit zwei Verben im Aorist) Spielt Epiktet hier an auf seinen Status als einer von denen die die Wahrheit gesucht und gefunden haben (sect51)

134

goumlttliche Weltordnung51 Beim bdquoStrebenldquo (ὁρμή) handelt es sich um einen gaumlngigen Terminus fuumlr die menschlichen Antriebe also den Bereich der Willensbewegungen des θέλειν und βούλεσθαι (vgl sect99) die vom Logos geformt werden muumlssen52

Die folgenden kurzen Saumltze in sect8990 formulieren in aumlusserster Zuspitzung die Rhe-torik arbeitet mit provokanten Paradoxien Der Wille Gottes determiniert den Willen des Subjekts nicht nur vollumfaumlnglich sondern bestimmt auch seine Intentionalitaumlt ndash das Ich bdquowillldquo Peristasen wie Fieber Tod und Folter Die scheinbare Fremdbestim-mung wird schliesslich aufgefangen durch die Analogisierung mit Zeus selber (vgl sect82)53

Das Basisprinzip besteht also in der vollstaumlndigen Konvergenz des Willens des (menschlichen) Subjekts mit dem Willen Gottes eine Konvergenz die im Zeichen der wahren Freiheit steht Es reflektiert die traditionelle Figur des stoischen Determi-nismus der einerseits zwar die Willensfreiheit ganz im Geflecht der kosmischen Kau-salketten aufhebt andrerseits aber das Freiheitspathos steigert54 Offenkundig spiegelt Epiktet hier absichtsvoll zwei verschiedene Modi von Freiheit ineinander diejenige des Entscheidens (Freiheit als Immer-auch-anders-Koumlnnen) und diejenige des Wol-lens (die in der nachmaligen lateinischen Theologie bei Marius Victorinus und beson-ders bei Augustin zur Entfaltung der Willensmetaphysik gefuumlhrt hat)

Die Passage ist so stark von paradoxaler Rhetorik bestimmt dass man sie nicht vor-schnell mit fruumlhchristlichen Texten kontrastieren sollte Epiktet am naumlchsten steht die Szene in Getsemane wo Jesus Gottes Willen seinem eigenen vorordnet bdquoAbba

51 Das Verb προσκατατάσσειν das bei Epiktet nur in Diss IV 1 begegnet meint die Ein-

ordnung unter eine uumlbergeordnete Groumlsse (vgl unten sect9198) und beruumlhrt sich mit κατατάσσειν das in Ench 311 die Eusebeia das angemessene Verhalten gegenuumlber den Goumlttern beschreibt und mit bdquogehorchenldquo bdquosich fuumlgenldquo und bdquofreiwillig folgenldquo expli-ziert wird Besonders praumlgend ist das Sokrateswort in Platons Apologie 28e (τάξις) das Diss I 924 unter dem Einfluss von Leg 12945a (εἰς τάξιν κατατάξῃ) reformuliert wird bdquoGott hat uns einen bestimmten Platz und eine bestimmte Lebensform zugewiesen (κατατέταχεν) die wir nicht verlassen sollenldquo vgl III 14114 (εἰς τοιαύτην ὑπηρεσίαν κατατεταγμένος) II 139 I 134 (von einer uumlbergeordneten Stellung) Un-sere Formulierung in sect89ndash99 druumlckt mit dem zusaumltzlichen Compositum πρoς- auch noch jene dynamische Richtungsbestimmung aus die aus dem Praumltext des Kleanthes stammt (bdquofuumlhre mich [hellip] dahinldquo sect131) προσκατατάσσειν (LSJ 1516a bdquosubjoin append as-sign attachldquo) begegnet nur gelegentlich in der griechischen Literatur (Polyb III 201 [Re-den hinzufuumlgen] Philon Op 131 [Suumlsswasser der Erde zuweisen vgl 38] Cornut Nat deor 323 [Feuchtes in Aumlther uumlberfuumlhren] OGIS 5627 [hinzugefuumlgte Priester]) Vgl WILLMS 2011 I 489f

52 Zenon hat einen Traktat περὶ ὁρμῆς ἢ περὶ ἀνθρώπου φύσεως verfasst (Diog Laert 74 = SVF 1 41) vgl ferner POHLENZ 61991 II 52 77 80f Textintern sind die Bezuumlge der ὁρμή auf das θέλειν durch den voranstehenden wie den nachfolgenden Satz deutlich

53 Fuumlr diese Analogie bietet Diss II 1722ndash25 eine instruktive Parallele bdquoMit einem Wort Wolle nichts anderes als was Gott will Wer wird dich dann noch behindern wer dich zwingen Ebenso wenig wie (man) Zeus (zwingen kann) Wenn du einen solchen Fuumlhrer hast und mit ihm eines Willens und eines Wunsches bist was fuumlrchtest du dann noch an Fehlschlaumlgenldquo Epiktet raumlt auch hier dazu sich nicht zu binden an Reichtum Armut Ge-sundheit Ehre Vater Heimat Freunde und Kinder die alle nicht unserem Verfuumlgungs-bereich zugehoumlren

54 Zugespitzt bei BRAICOVICH 2010 der Epiktets handlungspsychologisches Freiheitsver-staumlndnis konsequent deterministisch deutet Zur allgemeinen Diskussion des stoischen Determinismus vgl STEINMETZ 1994 610ndash612 GUCKES 2004 12ndash17 im Zusammenhang mit Epiktet LONG 2002 220ndash222 (bdquothe autonomous person as someone who voluntarily complies with a predetermined situationldquo 222) sowie FORSCHNER oben S

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Vater alles ist dir moumlglich Lass diesen Kelch an mir voruumlbergehen Doch nicht was ich will sondern was du willstldquo (Mk 1436 vgl Mt 2639 Lk 2242)55 Die nur bei Mk vorkommende Allmachtsformel haumllt die ndash nicht realisierte ndash Moumlglichkeit offen dass Jesu eigener Wille dem Leiden zu entgehen sich verwirklichen liesse Der Vers der in der altkirchlichen Zweinaturenchristologie intensiv debattiert worden ist scheint es im Kontrast zu Epiktet bei einem sbquoproduktivenlsquo Gegenuumlber von zwei Wil-lensbewegungen zu belassen ndash eine Asymmetrie von erheblichem anthropologischem Gewicht Der Unterschied des Genre will freilich beachtet sein Waumlhrend Epiktet in einem argumentativen Text das Resultat einer geradezu lebenslaumlnglich vollzogenen Uumlbung (askesis) in praumlsentischen Paradoxien versprachlicht markiert die Getsemane-Erzaumlhlung der Evangelien eine Station auf dem Passionsweg Jesu der die vollstaumlndige Konvergenz der beiden Willensbewegungen narrativ zur Darstellung bringen wird Jesus ergibt sich als leidender Gerechter in den Gotteswillen bis zum Tod am Kreuz

Keine direkte Relevanz fuumlr die von uns hier diskutierte Thematik hat die Problemati-sierung der Einheit des menschlichen Willensbereichs56 Sowohl Epiktet (Diss II 1718f II 261 uouml) wie Paulus (Roumlm 715ndash19) sprechen vom inneren Zwiespalt des Menschen und orientieren sich dabei an einer in der Antike verbreiteten Figur die auf die Gestalt der euripideischen Medea zuruumlckfuumlhrt Die zugrunde liegenden anthropo-logischen Konzeptionen sind zwar denkbar verschieden Dem grundsaumltzlich monisti-schen Ansatz Epiktets steht der dualistische des Paulus gegenuumlber57 Es faumlllt aber auf dass beide das fuumlr die Medea-Rezeption traditionelle Schema des Gegensatzes von Erkennen und Trieb von Vernunft und Leidenschaft durch eine weit radikalere Deu-tung uumlberlagern Der Zwiespalt im Inneren ist uumlberhaupt nur retrospektiv durchschau-bar geworden erst das Ereignis der Befreiung laumlsst es zur Erkenntnis der Sklaverei kommen Dabei sprechen beide von der Unfreiheit gut traditionell als dem bdquoTun was ich nicht willldquo58

Freiheit wird praumlsentiert als Anerkennung dessen was ohnehin nicht zur Disposition steht und nicht anders sein kann als es der Fall ist Das klassische Bild der Stoiker

55 Die Uumlbersetzung biblischer Texte richtet sich meistens nach der Zuumlrcher Bibel 2007 56 Der optimistischen Anthropologie Epiktets laumlsst sich dann diejenige des Paulus gegen-

uumlberstellen die zwar nicht pessimistisch ist aber Suumlnde nicht im kognitiven Bereich son-dern im Willensbereich platziert vgl zB SCHNELLE 2009 156f

57 Zum Verhaumlltnis zwischen Epiktet und Roumlm 7 vgl HUTTUNEN 2005 ferner VOLLENWEIDER 1989 350ndash352

58 Vgl oben bei Anm 42 Das Versklavtsein wird bei Epiktet deswegen nicht so ausweglos wie bei Paulus wahrgenommen weil es wesentlich auf falschem Denken beruht

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stellt der an einen Wagen festgebundene Hund dar der entweder aus eigenen Stuumlcken mitgeht oder aber mitgeschleift wird59

33 Das Gleichnis von der sicheren Reisegesellschaft (sect91ndash98)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft changiert zwischen Bildrede und eigentlicher Rede Mit οὕτως (sect91) wird das Bild eingefuumlhrt ebenfalls mit οὕτως erfolgt der Wechsel zur Sachebene naumlmlich zur kosmischen Position des Verstaumlndigen (sect9298) dessen Selbstgespraumlch wieder auf der Bildebene spielt (sect92ndash97) Mit seinen Hinwei-sen auf hoch gestellte Personen besonders den Status des Freunds des Kaisers wird Bezug genommen auf fruumlhere Passagen (sect8ndash15 45ndash50) Das Selbstgespraumlch endet ironisch in einer Aporie ndash selbst in der Einoumlde gibt es keinen Schutz vor negativen Maumlchten (sect97) Erst der Anschluss an Gott ermoumlglicht eine sichere Reise Die Philo-sophie spielt hier ihre in hellenistischer und kaiserzeitlicher Zeit zentral gewordene Rolle als Ratgeber fuumlr den Umgang mit jederzeit drohenden Kontingenzen und ant-wortet auf ein Anliegen das auch die zeitgenoumlssischen Religionen das Christentum so gut wie Mysterienreligionen und magische Praktiken bearbeiten

Die traditionelle und uumlberaus reiche Metaphorik des Wegs deckt ein breites Spektrum ab Die hauptsaumlchliche Konnotation die auch bei Epiktet reichhaltig begegnet ist die-jenige des Zusammenhangs von Weg und Ziel So spricht unser Lehrgespraumlch sum-mierend vom Weg zur wahren Freiheit (sect131)60 Das Reisegleichnis in Diss II 2336ndash39 raumlt dazu Raststaumltten wieder zu verlassen um zur Heimatstadt zu gelangen (εἰς τὴν

πατρίδα ἐπανελθεῖν)61 Auch wo Gott (II 710f) oder der wahre Kyniker (III 2226) den rechten Weg weisen ist das Ziel im Blick62 Aumlhnlich steht es mit der christ-lichen Wegmetaphorik63 In unserem Zusammenhang geht es dagegen ausschliesslich um das sichere Reisen ndash in der Sprache heutiger Lebensratgeber der Weg ist das Ziel Fuumlr die Reisegemeinschaft mit Gott bietet II 1723 eine bemerkenswerte Parallele da hier neben der Konvergenz des Wollens auch die Analogie mit Zeus figuriert (sect22)64 Das Leben laumlsst sich generell mit einer Reise vergleichen65 III 139ndash11 stellt heraus dass nur die Philosophie nicht aber der Kaiser si-

59 Chrysipp () SVF 2 975 vgl POHLENZ 82010 I 106 STEINMETZ 1994 611f weiteres bei

VOLLENWEIDER 1989 75f 60 Vgl IV 439 vom Weg zur wahren εὔροια 61 Auch hier wird explizit der Bezug zur Freiheit hergestellt (sect42) verbunden mit dem bdquomit

ganzem Herzenldquo zu sprechenden Gebet des Kleanthes 62 Vgl ferner I 1618 II 216 II 123 III 263f IV 24 IV 659 IV 916 63 Vgl den Uumlberblick (auch zur Umwelt) von W MICHAELIS Art ὁδός κτλ ThWNT 5

(1954) 42ndash118 sowie die bei WILLMS 2012 II 709 genannte Literatur 64 Vgl oben Anm 53 65 Diss II 510 von der Seereise wo bdquoeiniges an mir liegt anderes aber nichtldquo vgl ferner II

1624 I 99 II 1737f in III 2493 wird die Abreise mit dem Sterben verglichen

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cheren Reiseschutz verleihen kann (vgl sect3) Es gibt durchaus neutestamentliches Vergleichsmaterial Die Nachfolge auf Jesu Weg wie ihn die Evangelien darstellen ist transparent fuumlr den Lebensweg der Christusglaumlubigen (Mk 827ndash1052 besonders 834) Dieser ist freilich auch wieder auf ein Ziel hin orientiert naumlmlich auf die Pas-sion und das Kreuz Epiktets goumlttlicher Reisegesellschaft am naumlchsten kommen wir mit der Topik des bdquoMitseinsldquo Jesu bzw Gottes mit den Glaubenden (Mt 2820 vgl 123 1820 Joh 1416f [vom Geist]) welche die gesamte biblische Tradition des Mit-gehens Gottes mit seinem Volk insbesondere waumlhrend der Wuumlstenwanderung sum-miert Obschon der Lebensweg die Stoiker in widrige Umstaumlnde und die Christen in das Martyrium fuumlhren mag gibt die Gemeinschaft mit Gott ultimative Sicherheit Der Vergleich fuumlhrt uns also wieder in den Bereich der Passionsgeschichte Waumlhrend fuumlr die Christen der Gottessohn und somit der in diesem praumlsente Gott selber den Weg des Leidens geht sieht sich der Stoiker gewiesen an Vorbilder die paradigmatisch das Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens vor Augen stellen zumal an Herakles und Sokrates Zwar ist auch ihr Gott im Kosmos gegenwaumlrtig aber da er das harmo-nisch gefuumlgte Ganze repraumlsentiert ist er den immer nur einzelne Teile betreffenden Turbulenzen nicht ausgesetzt

34 Das Gleichnis von der Festversammlung (sect99ndash110)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft endet in einem radikalen Ruumlckzug aus dem Bereich des Ungewissen der nicht einmal in der Einsamkeit der Einoumlde haltmacht sondern gleichsam in die Unweltlichkeit versetzt Dieser Reduktionsbewegung auf einen einzigen Punkt der mit Gott identifiziert wird kommt nun eine expandierende Bewegung entgegenzustehen die in die Weite des Kosmos und die universale Ge-meinschaft hinaus weist

Mit dem erneuten Ruumlckgriff auf das theologische Bekenntnis und das Prinzip von sect89 baut Epiktet sukzessive ein neues Gleichnis auf das sich mit kosmologischen Deu-tungen verbindet Im Fokus stehen nun die Willensbewegungen Gottes und sein ord-nendes Wirken im Kosmos Die Basisunterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoAnderemldquo wird theologisch akzentuiert Im Bereich des Eigenen figuriert die freie Selbstbestim-mung die Prohairesis66 der Bereich des Anderen wird der Gottheit und ihrem Wal-ten dem bdquoKreislauf des Allsldquo zugemessen (sect100) Koumlrper Besitz sowie Haus Kinder und Frau (vgl sect66f 87 107 111) Alles wovon sich der Verstaumlndige innerlich als

66 Zur Prohairesis vgl FORSCHNER in diesem Band S [[Typoskript S 5]] ferner STE-

PHENS 2007 16ndash25 (bdquoProhairesis as selfldquo) und die Diskussion von ENGBERG-PEDERSEN 2010 212ndash214 (bdquotrue human selfldquo) mit LONG 2002 28ndash30 207ndash220 (bdquovolitionldquo)

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dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

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logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

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41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

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Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

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die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

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Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

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Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

MITCHELL (Hg) Antiquity and Humanity Essays on ancient Religion and Phi-losophy presented to Hans Dieter Betz Tuumlbingen 2001 385ndash412

B LANG Jesus der Hund Leben und Lehre eines juumldischen Kynikers Beckrsquosche Reihe 1957 Muumlnchen 2010

BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

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Page 13: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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sbquoDiskurselsquo dokumentieren und ihrerseits bestimmte Positionen beziehen34 Sie sind also engagiert in argumentativen Dialogen uumlber die Wahrheit von Behauptungen und die Legitimitaumlt von Normen Das klassische Geschaumlft von Exegeten und Philologen die Sortierung von sbquoParallelenlsquo stellt einschlaumlgiges Material fuumlr die Identifizierung von Themen und fuumlr die Rekonstruktion von Rezeptionserwartungen zusammen35 Auf dem weltanschaulichen Markt der fruumlhen Kaiserzeit einer fuumlr antike Verhaumlltnisse hochgradig globalisierten Welt bieten sich sowohl Philosophien wie Religionen als Fuumlhrerinnen zur Lebenskunst und als Weg zum Gluumlck an36 Ihre Diskurse handeln von den fundamentalen Fragen der Lebensorientierung ndash Schicksal und Freiheit Le-ben Tod und Jenseits ndash und von den ethischen und praktischen Problemstellungen rund um Ehe Besitz Sklaverei Freundschaft und Alter37 Sie lassen sich etwa mit Hilfe von Theorien sozialer oder personaler Identitaumlt profilieren38

Es ist attraktiv Epiktets Lehrgespraumlch uumlber die Eleutheria in den zeitgenoumlssischen Diskursen uumlber die Freiheit zu verorten39 an denen sich auch Exponenten von

34 Zur Hochkonjunktur des Diskursbegriffs in den letzten Jahrzehnten vgl die summari-

schen Bemerkungen von K GRUumlNDER Vorbemerkungen zu HWPh 9 (1995) 84ndash86 35 So spielen Epiktets Texte im Neuen Wettstein eine prominente Rolle s unten S 36 Zur Philosophie als exercice spirituelle vgl HADOT 2005 Zu den methodischen Proble-

men bei der Identifizierung von Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament vgl VOLLENWEIDER 2012 298f

37 Instruktiv ist in unserem Zusammenhang der juumlngst erschienene Sammelband unter dem Titel bdquoStoicism in early Christianityldquo (RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010) Behandelt werden ua Fragen der Ethik und des Gesetzes bei Paulus die Darstellung Jesu als Lehrer bei Mt der sbquoemotionalelsquo Jesus in Joh die Weltbrand-Eschatologie (2Petr) das Thema der Sklaverei und der Willensfreiheit

38 So spielt Epiktet bei NGUYEN 2008 eine wichtige Rolle in der Rekonstruktion der Inter-aktionen zwischen den Korinthern und Paulus Auch die bdquoWeltdistanzldquo die zum Ver-gleich von Urchristen und Epiktet einlaumldt (BRAUN 1971 SCHRAGE 2004 WEBER 1999) waumlre heute auf der Basis von Theorien sozialer Identitaumlt zu reformulieren

39 Als besonders herausragende Texte der fruumlhen Kaiserzeit sind neben Epiktet Diss IV 1 und Paulus Roumlm 6ndash8 Gal 45 1Kor 910 zu nennen Dion Or 14ndash15 80 Philon Prob verschiedene Texte von Seneca sodann Cicero Parad 33ndash41 (omnes sapientes liberos esse et stultos omnes servos) Persius Sat 5 Ps-Andron Rhod Pass 97 Nicht erhal-tene Traktate bdquoUumlber die Freiheitldquo oder bdquoUumlber Knechtschaft (und Freiheit)ldquo werden ua Antisthenes (Diog Laert 616) und Kleanthes (Diog Laert 7175 = SVF 1 481) zuge-schrieben Wichtige Quellentexte stellt WILLMS 2011 I 63ndash83 89 zusammen Sein Ver-such eine bdquostoische Urschriftldquo namentlich aufgrund von Uumlbereinstimmungen zwischen Epiktet und Philon zu postulieren ist mE wie viele andere literarkritische Modelle die auf die Quellenkritik des 19 Jh zuruumlckgehen zum Scheitern verurteilt Die Parallelen erweisen sich als so partiell dass sie mit der Annahme von gemeinsamem Traditionsgut ausreichend erklaumlrt werden koumlnnen Die methodisch viel anspruchsvollere Hypothese ei-ner gemeinsamen Quelle laumlsst sich nicht plausibilisieren (vgl dazu bereits VOLLENWEIDER 1989 28f)

131

Partialkulturen wie der juumldischen und der christlichen beteiligten Zu beachten ist da-bei dass die Freiheitsdiskurse auch implizit oder explizit politische Akzente setzen etwa im Verhaumlltnis zur imperialen Ideologie40 Wir beschaumlftigen uns im Folgenden exemplarisch mit dem spezifisch theologischen Profil des Freiheitsverstaumlndnisses Epiktets Zugrunde gelegt wird die Annahme dass sein Verstaumlndnis von Freiheit zwar ein deutlich erkennbares individuelles Kolorit aufweist sich aber grundsaumltzlich doch in die klassische stoische Konfiguration einzeichnen laumlsst41

3 Der goumlttliche Grund der Freiheit nach Diss IV 185ndash110

31 Grundlegende Unterscheidungen

Epiktet geht in seinem Lehrgespraumlch von einer weithin konsensfaumlhigen Definition von Freiheit aus die Freiheit zu leben bdquowie man willldquo (sect1)42 Die Argumentation steuert uumlber mehrere Gaumlnge auf ein Verstaumlndnis von Freiheit zu das sich fuumlr die vom Meister in die Unterredung einbezogenen virtuellen Schuumller mit uumlberraschenden Entdeckun-gen verbindet Der soziale Status mit all seinen Implikationen traumlgt nicht nur nichts bei zum Erwerb der Freiheit sondern entpuppt sich sogar als bdquoschoumlnste und glaumln-zendste Sklavereildquo (sect40) Dies gilt zumal dort wo einer nur noch den Kaiser als bdquoHerrn uumlber alleldquo uumlber sich weiss (sect12f) Zentral fuumlr den Befreiungsprozess ist das unablaumlssige Einuumlben jener kognitiven Operation welche die allgemeinen Vorstellun-gen (προλήψεις) mit den konkreten Lebensverhaumlltnissen konfiguriert (ταῖς ἐπὶ μέρους οὐσίαις sect41f)43 bdquoSuche und du wirst findenldquo (sect51)44 Wer

40 Muumlnzen Inschriften und Literatur belegen die Zugkraft des ideenpolitischen Schlagworts

bdquoFreiheitldquo so beanspruchte der Prinzipat die res publica und ihre libertas wiederherge-stellt zu haben

41 Vgl Forschner oben S Anders jetzt ASMIS 2001 der Epiktet eine neue Frei-heitskonzeption zuschreibt (bdquoEpictetus in sum offers a new concept of human freedom according to which the power of choice [sc prohairesis SV] confers on each person the freedom to determine onersquos own characterrdquo 412)

42 Diese gaumlngige Formel begegnet zB auch bei Paulus Gal 517 Roumlm 715ndash19 43 Zum Verstaumlndnis der Prolepsen im Kontext der Oikeiosislehre vgl FORSCHNER 1995

151ndash156 (πρόληψις als bdquoein umrisshafter unbestimmter undifferenzierter Vorgriffldquo der von einem bestimmten Begriff bzw einer Definition zu unterscheiden ist Epiktet ist bdquohier wohl altstoischem Gedankengut verpflichtetldquo 153) Vgl FORSCHNER oben S

44 Zum Bezug zur Jesustradition (Mt 77 usw) vgl WILLMS 2011 I 263ndash265 sowie BETZ 1995 501ndash504 und unten S Die Sentenz ist so weit gestreut dass sie keine Benut-zung des Neuen Testaments durch Epiktet belegt

132

nicht von selber dank der dem Logos entsprechenden natuumlrlichen Faumlhigkeiten zur Wahrheit gelangt kann sich an bewaumlhrten Wahrheitszeugen orientieren (sect51f) fak-tisch ist hier der aktuell Lehrende mindestens mitgemeint Epiktet steuert die Unter-redung die in diesem Teil (sect51ndash75) besonders stark als sokratischer Dialog gestaltet ist45 auf seine elementare Formel der Unterscheidung dessen was bdquouns zuhandenldquo und bdquouns nicht zuhandenldquo ist zu (sect65 τὰ μὲν ἐφ᾽ ἡμῖν ἐστιν τὰ δ᾽ ἐπ᾽ ἄλλοις vgl Diss I 1)46 Am Koumlrper selber wird geradezu hautnah der Bereich des Fremden des ἀλλότριον erfahrbar (sect76ndash80) plastisch verbildlicht im Gleichnis eines bepack-ten Esels den man notfalls auch bdquolassenldquo muss ganz zu schweigen vom Zubehoumlr und Gepaumlck (sect79f)

Bereits in diesem Abschnitt macht sich ein entscheidender Bezugstext ein Praumltext bemerkbar der spaumlter explizit zu Wort kommen wird das Gebet des Kleanthes Wird der Esel von anderen requiriert (angareia) so gilt bdquoLass ihn gehen widerstrebe nicht und murre nicht ndash andernfalls wirst du den Esel genauso einbuumlssen nur mit Schlaumlgenldquo Im bdquogenauso hellip nurldquo (woumlrtlich bdquonichts desto wenigerldquo οὐδὲν ἧττον) spielt Epiktet an auf Kleanthesrsquo Vers bdquoWenn ich aber nicht (folgen) wollte waumlre ich ein feiger Schwaumlchling und muumlsste euch nichtsdestoweniger (οὐδὲν ἧττον) folgenldquo (Ench 531)

Mit der Aufforderung unablaumlssig die elementare Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo zu uumlben (sect81) die wiederum im Bereich von Koumlrper und Besitz die Frei-heit von Angst und Begehren eroumlffnet ist die Plattform fuumlr die uns interessierende theologische Deutung etabliert47

Bereits sect82 hat vorausweisenden Charakter Die Bestimmung uumlber das Wesen des Guten und Schlechten faumlllt in den Bereich des Eigenen bdquoWer kann es dir wegnehmen

45 Auf das sokratische Design der Dissertationes hat besonders LONG 2002 67ndash96 uouml

hingewiesen (bdquoSocrates rather than any Stoic philosopher or even the Cynic Diogenes is Epictetus favoured paradigm not only as a model for life but also as a practitioner of philosophical conversationldquo 4) hier auch verbunden mit Kritik an BONHOumlFFER (166f 176)

46 Zu Herkunft und Hintergrund der Formel vgl DOBBIN 1998 65ndash68 WILLMS 2011 I 328ndash337

47 Die Strukturierung unseres Lehrgespraumlchs durch das Nacheinander eines sbquoprofanenlsquo bzw sbquosaumlkularenlsquo Teils als Tradition (sect6ndash90) und eines sbquotheologischenlsquo Teils als Interpretation (sect91ndash131) durch NESTLE 1967 125ndash128 134 (zustimmend GRETENKORD 1981 195f) hat keinen Anhalt am Text (bereits sect89f stellt eine theologische Klimax dar die durch die Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo eng mit der ab sect62 entfalteten Argumen-tation verbunden ist) und arbeitet mit (redaktionsgeschichtlichen) Kategorien die sich bei Epiktet nicht bewaumlhren (das richtige Applizieren der allgemeinen Vorstellungen auf die konkreten Lebensumstaumlnde in sect41f ist eine spezifisch epiktetische Konzeption ohne dass sie deswegen unstoisch waumlre) vgl oben Anm 43)

133

wer kann dich behindern Ebenso wenig kann man Gott behindernldquo Dies wird in sect90 wieder aufgenommen48

32 Das Gleichnis von der Burg und das Basisprinzip (sect85ndash90)

Im Abschnitt sect85ndash110 arbeitet Epiktet mit drei aufeinander folgenden Gleichnissen die jeweils fliessend in allgemeine Aussagen uumlbergehen Burg Reisegesellschaft und Festversammlung Die Befreiung von der Furcht wird verbildlicht mit der Zerstoumlrung der inneren Burg (Akropolis) dem Sitz der Tyrannen Die Metapher uumlberrascht zu-naumlchst da man die innere Festung eher als positives Sinnbild fuumlr die uneinnehmbare Position des Denkvermoumlgens erwartet haumltte49 Sie hat hier aber den Charakter der Zwingburg die man niederreissen oder wenigstens entvoumllkern soll Mit dem erneuten bdquoLassenldquo des Koumlrpers und seiner Teile von Besitz Ehrungen Kindern Geschwistern und Freunden (vgl sect66f) wechseln wir wieder auf die Sachebene (die eher an einen defensiven Ruumlckzug denken laumlsst) Uumlber das Bildelement von den Leibwaumlchtern die ihren bedrohlichen Charakter verloren haben fokussiert der Meister nun auf den Wil-len der von keinem Zwang mehr behindert wird (sect88) und damit auf die Leitdefini-tion am Anfang der Unterweisung (sect1) Wir stehen vor einem Scharnier der Argu-mentation weil nun das theologische Bekenntnis bdquoIch habe mein Streben Gott anheim gestelltldquo eine neue Dimension der wahren Freiheit eroumlffnet und zur Formulierung des Basisprinzips fuumlhrt (sect89ndash90)50

Das Bekenntnis selber verdichtet den stoischen Gedanken der Einfuumlgung in die

48 Dieser Verweis auf Gott unterscheidet sich von Diss I 123 wonach Zeus als houmlchster

Repraumlsentant des bdquoFremdenldquo die eigene Prohairesis nicht bezwingen (νικῆσαι) kann Dazu GRAVER 2003 348f

49 Praumlgnant ist vor allem die Aumlusserung Marc Aurels bdquoDeshalb ist die von Leidenschaften freie Denkkraft eine feste Burg (ἀκρόπολίς ἐστιν ἡ ἐλευθέρα παθῶν διάνοια) denn

nichts Staumlrkeres hat der Menschldquo (VIII 483) als Leitmotiv bei HADOT 1997 156ndash184 Vgl Sen Ep 825 Negativ konnotiert ist die Festung etwa auch bei Philon Fug 148 (bdquoZwingburg der Lustldquo) positiv Abr 150 vom Ort der Augen dem koumlniglichen Sinn Spec 3184 vom Kopf Spec 449 von der Seele

50 Auffaumlllig ist die perfektische Formulierung des Bekenntnisses die sich auch im vorange-gangenen Satz spiegelt (οὐπώποτε mit zwei Verben im Aorist) Spielt Epiktet hier an auf seinen Status als einer von denen die die Wahrheit gesucht und gefunden haben (sect51)

134

goumlttliche Weltordnung51 Beim bdquoStrebenldquo (ὁρμή) handelt es sich um einen gaumlngigen Terminus fuumlr die menschlichen Antriebe also den Bereich der Willensbewegungen des θέλειν und βούλεσθαι (vgl sect99) die vom Logos geformt werden muumlssen52

Die folgenden kurzen Saumltze in sect8990 formulieren in aumlusserster Zuspitzung die Rhe-torik arbeitet mit provokanten Paradoxien Der Wille Gottes determiniert den Willen des Subjekts nicht nur vollumfaumlnglich sondern bestimmt auch seine Intentionalitaumlt ndash das Ich bdquowillldquo Peristasen wie Fieber Tod und Folter Die scheinbare Fremdbestim-mung wird schliesslich aufgefangen durch die Analogisierung mit Zeus selber (vgl sect82)53

Das Basisprinzip besteht also in der vollstaumlndigen Konvergenz des Willens des (menschlichen) Subjekts mit dem Willen Gottes eine Konvergenz die im Zeichen der wahren Freiheit steht Es reflektiert die traditionelle Figur des stoischen Determi-nismus der einerseits zwar die Willensfreiheit ganz im Geflecht der kosmischen Kau-salketten aufhebt andrerseits aber das Freiheitspathos steigert54 Offenkundig spiegelt Epiktet hier absichtsvoll zwei verschiedene Modi von Freiheit ineinander diejenige des Entscheidens (Freiheit als Immer-auch-anders-Koumlnnen) und diejenige des Wol-lens (die in der nachmaligen lateinischen Theologie bei Marius Victorinus und beson-ders bei Augustin zur Entfaltung der Willensmetaphysik gefuumlhrt hat)

Die Passage ist so stark von paradoxaler Rhetorik bestimmt dass man sie nicht vor-schnell mit fruumlhchristlichen Texten kontrastieren sollte Epiktet am naumlchsten steht die Szene in Getsemane wo Jesus Gottes Willen seinem eigenen vorordnet bdquoAbba

51 Das Verb προσκατατάσσειν das bei Epiktet nur in Diss IV 1 begegnet meint die Ein-

ordnung unter eine uumlbergeordnete Groumlsse (vgl unten sect9198) und beruumlhrt sich mit κατατάσσειν das in Ench 311 die Eusebeia das angemessene Verhalten gegenuumlber den Goumlttern beschreibt und mit bdquogehorchenldquo bdquosich fuumlgenldquo und bdquofreiwillig folgenldquo expli-ziert wird Besonders praumlgend ist das Sokrateswort in Platons Apologie 28e (τάξις) das Diss I 924 unter dem Einfluss von Leg 12945a (εἰς τάξιν κατατάξῃ) reformuliert wird bdquoGott hat uns einen bestimmten Platz und eine bestimmte Lebensform zugewiesen (κατατέταχεν) die wir nicht verlassen sollenldquo vgl III 14114 (εἰς τοιαύτην ὑπηρεσίαν κατατεταγμένος) II 139 I 134 (von einer uumlbergeordneten Stellung) Un-sere Formulierung in sect89ndash99 druumlckt mit dem zusaumltzlichen Compositum πρoς- auch noch jene dynamische Richtungsbestimmung aus die aus dem Praumltext des Kleanthes stammt (bdquofuumlhre mich [hellip] dahinldquo sect131) προσκατατάσσειν (LSJ 1516a bdquosubjoin append as-sign attachldquo) begegnet nur gelegentlich in der griechischen Literatur (Polyb III 201 [Re-den hinzufuumlgen] Philon Op 131 [Suumlsswasser der Erde zuweisen vgl 38] Cornut Nat deor 323 [Feuchtes in Aumlther uumlberfuumlhren] OGIS 5627 [hinzugefuumlgte Priester]) Vgl WILLMS 2011 I 489f

52 Zenon hat einen Traktat περὶ ὁρμῆς ἢ περὶ ἀνθρώπου φύσεως verfasst (Diog Laert 74 = SVF 1 41) vgl ferner POHLENZ 61991 II 52 77 80f Textintern sind die Bezuumlge der ὁρμή auf das θέλειν durch den voranstehenden wie den nachfolgenden Satz deutlich

53 Fuumlr diese Analogie bietet Diss II 1722ndash25 eine instruktive Parallele bdquoMit einem Wort Wolle nichts anderes als was Gott will Wer wird dich dann noch behindern wer dich zwingen Ebenso wenig wie (man) Zeus (zwingen kann) Wenn du einen solchen Fuumlhrer hast und mit ihm eines Willens und eines Wunsches bist was fuumlrchtest du dann noch an Fehlschlaumlgenldquo Epiktet raumlt auch hier dazu sich nicht zu binden an Reichtum Armut Ge-sundheit Ehre Vater Heimat Freunde und Kinder die alle nicht unserem Verfuumlgungs-bereich zugehoumlren

54 Zugespitzt bei BRAICOVICH 2010 der Epiktets handlungspsychologisches Freiheitsver-staumlndnis konsequent deterministisch deutet Zur allgemeinen Diskussion des stoischen Determinismus vgl STEINMETZ 1994 610ndash612 GUCKES 2004 12ndash17 im Zusammenhang mit Epiktet LONG 2002 220ndash222 (bdquothe autonomous person as someone who voluntarily complies with a predetermined situationldquo 222) sowie FORSCHNER oben S

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Vater alles ist dir moumlglich Lass diesen Kelch an mir voruumlbergehen Doch nicht was ich will sondern was du willstldquo (Mk 1436 vgl Mt 2639 Lk 2242)55 Die nur bei Mk vorkommende Allmachtsformel haumllt die ndash nicht realisierte ndash Moumlglichkeit offen dass Jesu eigener Wille dem Leiden zu entgehen sich verwirklichen liesse Der Vers der in der altkirchlichen Zweinaturenchristologie intensiv debattiert worden ist scheint es im Kontrast zu Epiktet bei einem sbquoproduktivenlsquo Gegenuumlber von zwei Wil-lensbewegungen zu belassen ndash eine Asymmetrie von erheblichem anthropologischem Gewicht Der Unterschied des Genre will freilich beachtet sein Waumlhrend Epiktet in einem argumentativen Text das Resultat einer geradezu lebenslaumlnglich vollzogenen Uumlbung (askesis) in praumlsentischen Paradoxien versprachlicht markiert die Getsemane-Erzaumlhlung der Evangelien eine Station auf dem Passionsweg Jesu der die vollstaumlndige Konvergenz der beiden Willensbewegungen narrativ zur Darstellung bringen wird Jesus ergibt sich als leidender Gerechter in den Gotteswillen bis zum Tod am Kreuz

Keine direkte Relevanz fuumlr die von uns hier diskutierte Thematik hat die Problemati-sierung der Einheit des menschlichen Willensbereichs56 Sowohl Epiktet (Diss II 1718f II 261 uouml) wie Paulus (Roumlm 715ndash19) sprechen vom inneren Zwiespalt des Menschen und orientieren sich dabei an einer in der Antike verbreiteten Figur die auf die Gestalt der euripideischen Medea zuruumlckfuumlhrt Die zugrunde liegenden anthropo-logischen Konzeptionen sind zwar denkbar verschieden Dem grundsaumltzlich monisti-schen Ansatz Epiktets steht der dualistische des Paulus gegenuumlber57 Es faumlllt aber auf dass beide das fuumlr die Medea-Rezeption traditionelle Schema des Gegensatzes von Erkennen und Trieb von Vernunft und Leidenschaft durch eine weit radikalere Deu-tung uumlberlagern Der Zwiespalt im Inneren ist uumlberhaupt nur retrospektiv durchschau-bar geworden erst das Ereignis der Befreiung laumlsst es zur Erkenntnis der Sklaverei kommen Dabei sprechen beide von der Unfreiheit gut traditionell als dem bdquoTun was ich nicht willldquo58

Freiheit wird praumlsentiert als Anerkennung dessen was ohnehin nicht zur Disposition steht und nicht anders sein kann als es der Fall ist Das klassische Bild der Stoiker

55 Die Uumlbersetzung biblischer Texte richtet sich meistens nach der Zuumlrcher Bibel 2007 56 Der optimistischen Anthropologie Epiktets laumlsst sich dann diejenige des Paulus gegen-

uumlberstellen die zwar nicht pessimistisch ist aber Suumlnde nicht im kognitiven Bereich son-dern im Willensbereich platziert vgl zB SCHNELLE 2009 156f

57 Zum Verhaumlltnis zwischen Epiktet und Roumlm 7 vgl HUTTUNEN 2005 ferner VOLLENWEIDER 1989 350ndash352

58 Vgl oben bei Anm 42 Das Versklavtsein wird bei Epiktet deswegen nicht so ausweglos wie bei Paulus wahrgenommen weil es wesentlich auf falschem Denken beruht

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stellt der an einen Wagen festgebundene Hund dar der entweder aus eigenen Stuumlcken mitgeht oder aber mitgeschleift wird59

33 Das Gleichnis von der sicheren Reisegesellschaft (sect91ndash98)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft changiert zwischen Bildrede und eigentlicher Rede Mit οὕτως (sect91) wird das Bild eingefuumlhrt ebenfalls mit οὕτως erfolgt der Wechsel zur Sachebene naumlmlich zur kosmischen Position des Verstaumlndigen (sect9298) dessen Selbstgespraumlch wieder auf der Bildebene spielt (sect92ndash97) Mit seinen Hinwei-sen auf hoch gestellte Personen besonders den Status des Freunds des Kaisers wird Bezug genommen auf fruumlhere Passagen (sect8ndash15 45ndash50) Das Selbstgespraumlch endet ironisch in einer Aporie ndash selbst in der Einoumlde gibt es keinen Schutz vor negativen Maumlchten (sect97) Erst der Anschluss an Gott ermoumlglicht eine sichere Reise Die Philo-sophie spielt hier ihre in hellenistischer und kaiserzeitlicher Zeit zentral gewordene Rolle als Ratgeber fuumlr den Umgang mit jederzeit drohenden Kontingenzen und ant-wortet auf ein Anliegen das auch die zeitgenoumlssischen Religionen das Christentum so gut wie Mysterienreligionen und magische Praktiken bearbeiten

Die traditionelle und uumlberaus reiche Metaphorik des Wegs deckt ein breites Spektrum ab Die hauptsaumlchliche Konnotation die auch bei Epiktet reichhaltig begegnet ist die-jenige des Zusammenhangs von Weg und Ziel So spricht unser Lehrgespraumlch sum-mierend vom Weg zur wahren Freiheit (sect131)60 Das Reisegleichnis in Diss II 2336ndash39 raumlt dazu Raststaumltten wieder zu verlassen um zur Heimatstadt zu gelangen (εἰς τὴν

πατρίδα ἐπανελθεῖν)61 Auch wo Gott (II 710f) oder der wahre Kyniker (III 2226) den rechten Weg weisen ist das Ziel im Blick62 Aumlhnlich steht es mit der christ-lichen Wegmetaphorik63 In unserem Zusammenhang geht es dagegen ausschliesslich um das sichere Reisen ndash in der Sprache heutiger Lebensratgeber der Weg ist das Ziel Fuumlr die Reisegemeinschaft mit Gott bietet II 1723 eine bemerkenswerte Parallele da hier neben der Konvergenz des Wollens auch die Analogie mit Zeus figuriert (sect22)64 Das Leben laumlsst sich generell mit einer Reise vergleichen65 III 139ndash11 stellt heraus dass nur die Philosophie nicht aber der Kaiser si-

59 Chrysipp () SVF 2 975 vgl POHLENZ 82010 I 106 STEINMETZ 1994 611f weiteres bei

VOLLENWEIDER 1989 75f 60 Vgl IV 439 vom Weg zur wahren εὔροια 61 Auch hier wird explizit der Bezug zur Freiheit hergestellt (sect42) verbunden mit dem bdquomit

ganzem Herzenldquo zu sprechenden Gebet des Kleanthes 62 Vgl ferner I 1618 II 216 II 123 III 263f IV 24 IV 659 IV 916 63 Vgl den Uumlberblick (auch zur Umwelt) von W MICHAELIS Art ὁδός κτλ ThWNT 5

(1954) 42ndash118 sowie die bei WILLMS 2012 II 709 genannte Literatur 64 Vgl oben Anm 53 65 Diss II 510 von der Seereise wo bdquoeiniges an mir liegt anderes aber nichtldquo vgl ferner II

1624 I 99 II 1737f in III 2493 wird die Abreise mit dem Sterben verglichen

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cheren Reiseschutz verleihen kann (vgl sect3) Es gibt durchaus neutestamentliches Vergleichsmaterial Die Nachfolge auf Jesu Weg wie ihn die Evangelien darstellen ist transparent fuumlr den Lebensweg der Christusglaumlubigen (Mk 827ndash1052 besonders 834) Dieser ist freilich auch wieder auf ein Ziel hin orientiert naumlmlich auf die Pas-sion und das Kreuz Epiktets goumlttlicher Reisegesellschaft am naumlchsten kommen wir mit der Topik des bdquoMitseinsldquo Jesu bzw Gottes mit den Glaubenden (Mt 2820 vgl 123 1820 Joh 1416f [vom Geist]) welche die gesamte biblische Tradition des Mit-gehens Gottes mit seinem Volk insbesondere waumlhrend der Wuumlstenwanderung sum-miert Obschon der Lebensweg die Stoiker in widrige Umstaumlnde und die Christen in das Martyrium fuumlhren mag gibt die Gemeinschaft mit Gott ultimative Sicherheit Der Vergleich fuumlhrt uns also wieder in den Bereich der Passionsgeschichte Waumlhrend fuumlr die Christen der Gottessohn und somit der in diesem praumlsente Gott selber den Weg des Leidens geht sieht sich der Stoiker gewiesen an Vorbilder die paradigmatisch das Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens vor Augen stellen zumal an Herakles und Sokrates Zwar ist auch ihr Gott im Kosmos gegenwaumlrtig aber da er das harmo-nisch gefuumlgte Ganze repraumlsentiert ist er den immer nur einzelne Teile betreffenden Turbulenzen nicht ausgesetzt

34 Das Gleichnis von der Festversammlung (sect99ndash110)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft endet in einem radikalen Ruumlckzug aus dem Bereich des Ungewissen der nicht einmal in der Einsamkeit der Einoumlde haltmacht sondern gleichsam in die Unweltlichkeit versetzt Dieser Reduktionsbewegung auf einen einzigen Punkt der mit Gott identifiziert wird kommt nun eine expandierende Bewegung entgegenzustehen die in die Weite des Kosmos und die universale Ge-meinschaft hinaus weist

Mit dem erneuten Ruumlckgriff auf das theologische Bekenntnis und das Prinzip von sect89 baut Epiktet sukzessive ein neues Gleichnis auf das sich mit kosmologischen Deu-tungen verbindet Im Fokus stehen nun die Willensbewegungen Gottes und sein ord-nendes Wirken im Kosmos Die Basisunterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoAnderemldquo wird theologisch akzentuiert Im Bereich des Eigenen figuriert die freie Selbstbestim-mung die Prohairesis66 der Bereich des Anderen wird der Gottheit und ihrem Wal-ten dem bdquoKreislauf des Allsldquo zugemessen (sect100) Koumlrper Besitz sowie Haus Kinder und Frau (vgl sect66f 87 107 111) Alles wovon sich der Verstaumlndige innerlich als

66 Zur Prohairesis vgl FORSCHNER in diesem Band S [[Typoskript S 5]] ferner STE-

PHENS 2007 16ndash25 (bdquoProhairesis as selfldquo) und die Diskussion von ENGBERG-PEDERSEN 2010 212ndash214 (bdquotrue human selfldquo) mit LONG 2002 28ndash30 207ndash220 (bdquovolitionldquo)

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dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

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logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

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41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

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Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

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zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

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Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

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bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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B LANG Jesus der Hund Leben und Lehre eines juumldischen Kynikers Beckrsquosche Reihe 1957 Muumlnchen 2010

BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

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BULTMANN R Das religioumlse Moment in der ethischen Unterweisung des Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 97ndash110 177ndash191

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Page 14: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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Partialkulturen wie der juumldischen und der christlichen beteiligten Zu beachten ist da-bei dass die Freiheitsdiskurse auch implizit oder explizit politische Akzente setzen etwa im Verhaumlltnis zur imperialen Ideologie40 Wir beschaumlftigen uns im Folgenden exemplarisch mit dem spezifisch theologischen Profil des Freiheitsverstaumlndnisses Epiktets Zugrunde gelegt wird die Annahme dass sein Verstaumlndnis von Freiheit zwar ein deutlich erkennbares individuelles Kolorit aufweist sich aber grundsaumltzlich doch in die klassische stoische Konfiguration einzeichnen laumlsst41

3 Der goumlttliche Grund der Freiheit nach Diss IV 185ndash110

31 Grundlegende Unterscheidungen

Epiktet geht in seinem Lehrgespraumlch von einer weithin konsensfaumlhigen Definition von Freiheit aus die Freiheit zu leben bdquowie man willldquo (sect1)42 Die Argumentation steuert uumlber mehrere Gaumlnge auf ein Verstaumlndnis von Freiheit zu das sich fuumlr die vom Meister in die Unterredung einbezogenen virtuellen Schuumller mit uumlberraschenden Entdeckun-gen verbindet Der soziale Status mit all seinen Implikationen traumlgt nicht nur nichts bei zum Erwerb der Freiheit sondern entpuppt sich sogar als bdquoschoumlnste und glaumln-zendste Sklavereildquo (sect40) Dies gilt zumal dort wo einer nur noch den Kaiser als bdquoHerrn uumlber alleldquo uumlber sich weiss (sect12f) Zentral fuumlr den Befreiungsprozess ist das unablaumlssige Einuumlben jener kognitiven Operation welche die allgemeinen Vorstellun-gen (προλήψεις) mit den konkreten Lebensverhaumlltnissen konfiguriert (ταῖς ἐπὶ μέρους οὐσίαις sect41f)43 bdquoSuche und du wirst findenldquo (sect51)44 Wer

40 Muumlnzen Inschriften und Literatur belegen die Zugkraft des ideenpolitischen Schlagworts

bdquoFreiheitldquo so beanspruchte der Prinzipat die res publica und ihre libertas wiederherge-stellt zu haben

41 Vgl Forschner oben S Anders jetzt ASMIS 2001 der Epiktet eine neue Frei-heitskonzeption zuschreibt (bdquoEpictetus in sum offers a new concept of human freedom according to which the power of choice [sc prohairesis SV] confers on each person the freedom to determine onersquos own characterrdquo 412)

42 Diese gaumlngige Formel begegnet zB auch bei Paulus Gal 517 Roumlm 715ndash19 43 Zum Verstaumlndnis der Prolepsen im Kontext der Oikeiosislehre vgl FORSCHNER 1995

151ndash156 (πρόληψις als bdquoein umrisshafter unbestimmter undifferenzierter Vorgriffldquo der von einem bestimmten Begriff bzw einer Definition zu unterscheiden ist Epiktet ist bdquohier wohl altstoischem Gedankengut verpflichtetldquo 153) Vgl FORSCHNER oben S

44 Zum Bezug zur Jesustradition (Mt 77 usw) vgl WILLMS 2011 I 263ndash265 sowie BETZ 1995 501ndash504 und unten S Die Sentenz ist so weit gestreut dass sie keine Benut-zung des Neuen Testaments durch Epiktet belegt

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nicht von selber dank der dem Logos entsprechenden natuumlrlichen Faumlhigkeiten zur Wahrheit gelangt kann sich an bewaumlhrten Wahrheitszeugen orientieren (sect51f) fak-tisch ist hier der aktuell Lehrende mindestens mitgemeint Epiktet steuert die Unter-redung die in diesem Teil (sect51ndash75) besonders stark als sokratischer Dialog gestaltet ist45 auf seine elementare Formel der Unterscheidung dessen was bdquouns zuhandenldquo und bdquouns nicht zuhandenldquo ist zu (sect65 τὰ μὲν ἐφ᾽ ἡμῖν ἐστιν τὰ δ᾽ ἐπ᾽ ἄλλοις vgl Diss I 1)46 Am Koumlrper selber wird geradezu hautnah der Bereich des Fremden des ἀλλότριον erfahrbar (sect76ndash80) plastisch verbildlicht im Gleichnis eines bepack-ten Esels den man notfalls auch bdquolassenldquo muss ganz zu schweigen vom Zubehoumlr und Gepaumlck (sect79f)

Bereits in diesem Abschnitt macht sich ein entscheidender Bezugstext ein Praumltext bemerkbar der spaumlter explizit zu Wort kommen wird das Gebet des Kleanthes Wird der Esel von anderen requiriert (angareia) so gilt bdquoLass ihn gehen widerstrebe nicht und murre nicht ndash andernfalls wirst du den Esel genauso einbuumlssen nur mit Schlaumlgenldquo Im bdquogenauso hellip nurldquo (woumlrtlich bdquonichts desto wenigerldquo οὐδὲν ἧττον) spielt Epiktet an auf Kleanthesrsquo Vers bdquoWenn ich aber nicht (folgen) wollte waumlre ich ein feiger Schwaumlchling und muumlsste euch nichtsdestoweniger (οὐδὲν ἧττον) folgenldquo (Ench 531)

Mit der Aufforderung unablaumlssig die elementare Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo zu uumlben (sect81) die wiederum im Bereich von Koumlrper und Besitz die Frei-heit von Angst und Begehren eroumlffnet ist die Plattform fuumlr die uns interessierende theologische Deutung etabliert47

Bereits sect82 hat vorausweisenden Charakter Die Bestimmung uumlber das Wesen des Guten und Schlechten faumlllt in den Bereich des Eigenen bdquoWer kann es dir wegnehmen

45 Auf das sokratische Design der Dissertationes hat besonders LONG 2002 67ndash96 uouml

hingewiesen (bdquoSocrates rather than any Stoic philosopher or even the Cynic Diogenes is Epictetus favoured paradigm not only as a model for life but also as a practitioner of philosophical conversationldquo 4) hier auch verbunden mit Kritik an BONHOumlFFER (166f 176)

46 Zu Herkunft und Hintergrund der Formel vgl DOBBIN 1998 65ndash68 WILLMS 2011 I 328ndash337

47 Die Strukturierung unseres Lehrgespraumlchs durch das Nacheinander eines sbquoprofanenlsquo bzw sbquosaumlkularenlsquo Teils als Tradition (sect6ndash90) und eines sbquotheologischenlsquo Teils als Interpretation (sect91ndash131) durch NESTLE 1967 125ndash128 134 (zustimmend GRETENKORD 1981 195f) hat keinen Anhalt am Text (bereits sect89f stellt eine theologische Klimax dar die durch die Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo eng mit der ab sect62 entfalteten Argumen-tation verbunden ist) und arbeitet mit (redaktionsgeschichtlichen) Kategorien die sich bei Epiktet nicht bewaumlhren (das richtige Applizieren der allgemeinen Vorstellungen auf die konkreten Lebensumstaumlnde in sect41f ist eine spezifisch epiktetische Konzeption ohne dass sie deswegen unstoisch waumlre) vgl oben Anm 43)

133

wer kann dich behindern Ebenso wenig kann man Gott behindernldquo Dies wird in sect90 wieder aufgenommen48

32 Das Gleichnis von der Burg und das Basisprinzip (sect85ndash90)

Im Abschnitt sect85ndash110 arbeitet Epiktet mit drei aufeinander folgenden Gleichnissen die jeweils fliessend in allgemeine Aussagen uumlbergehen Burg Reisegesellschaft und Festversammlung Die Befreiung von der Furcht wird verbildlicht mit der Zerstoumlrung der inneren Burg (Akropolis) dem Sitz der Tyrannen Die Metapher uumlberrascht zu-naumlchst da man die innere Festung eher als positives Sinnbild fuumlr die uneinnehmbare Position des Denkvermoumlgens erwartet haumltte49 Sie hat hier aber den Charakter der Zwingburg die man niederreissen oder wenigstens entvoumllkern soll Mit dem erneuten bdquoLassenldquo des Koumlrpers und seiner Teile von Besitz Ehrungen Kindern Geschwistern und Freunden (vgl sect66f) wechseln wir wieder auf die Sachebene (die eher an einen defensiven Ruumlckzug denken laumlsst) Uumlber das Bildelement von den Leibwaumlchtern die ihren bedrohlichen Charakter verloren haben fokussiert der Meister nun auf den Wil-len der von keinem Zwang mehr behindert wird (sect88) und damit auf die Leitdefini-tion am Anfang der Unterweisung (sect1) Wir stehen vor einem Scharnier der Argu-mentation weil nun das theologische Bekenntnis bdquoIch habe mein Streben Gott anheim gestelltldquo eine neue Dimension der wahren Freiheit eroumlffnet und zur Formulierung des Basisprinzips fuumlhrt (sect89ndash90)50

Das Bekenntnis selber verdichtet den stoischen Gedanken der Einfuumlgung in die

48 Dieser Verweis auf Gott unterscheidet sich von Diss I 123 wonach Zeus als houmlchster

Repraumlsentant des bdquoFremdenldquo die eigene Prohairesis nicht bezwingen (νικῆσαι) kann Dazu GRAVER 2003 348f

49 Praumlgnant ist vor allem die Aumlusserung Marc Aurels bdquoDeshalb ist die von Leidenschaften freie Denkkraft eine feste Burg (ἀκρόπολίς ἐστιν ἡ ἐλευθέρα παθῶν διάνοια) denn

nichts Staumlrkeres hat der Menschldquo (VIII 483) als Leitmotiv bei HADOT 1997 156ndash184 Vgl Sen Ep 825 Negativ konnotiert ist die Festung etwa auch bei Philon Fug 148 (bdquoZwingburg der Lustldquo) positiv Abr 150 vom Ort der Augen dem koumlniglichen Sinn Spec 3184 vom Kopf Spec 449 von der Seele

50 Auffaumlllig ist die perfektische Formulierung des Bekenntnisses die sich auch im vorange-gangenen Satz spiegelt (οὐπώποτε mit zwei Verben im Aorist) Spielt Epiktet hier an auf seinen Status als einer von denen die die Wahrheit gesucht und gefunden haben (sect51)

134

goumlttliche Weltordnung51 Beim bdquoStrebenldquo (ὁρμή) handelt es sich um einen gaumlngigen Terminus fuumlr die menschlichen Antriebe also den Bereich der Willensbewegungen des θέλειν und βούλεσθαι (vgl sect99) die vom Logos geformt werden muumlssen52

Die folgenden kurzen Saumltze in sect8990 formulieren in aumlusserster Zuspitzung die Rhe-torik arbeitet mit provokanten Paradoxien Der Wille Gottes determiniert den Willen des Subjekts nicht nur vollumfaumlnglich sondern bestimmt auch seine Intentionalitaumlt ndash das Ich bdquowillldquo Peristasen wie Fieber Tod und Folter Die scheinbare Fremdbestim-mung wird schliesslich aufgefangen durch die Analogisierung mit Zeus selber (vgl sect82)53

Das Basisprinzip besteht also in der vollstaumlndigen Konvergenz des Willens des (menschlichen) Subjekts mit dem Willen Gottes eine Konvergenz die im Zeichen der wahren Freiheit steht Es reflektiert die traditionelle Figur des stoischen Determi-nismus der einerseits zwar die Willensfreiheit ganz im Geflecht der kosmischen Kau-salketten aufhebt andrerseits aber das Freiheitspathos steigert54 Offenkundig spiegelt Epiktet hier absichtsvoll zwei verschiedene Modi von Freiheit ineinander diejenige des Entscheidens (Freiheit als Immer-auch-anders-Koumlnnen) und diejenige des Wol-lens (die in der nachmaligen lateinischen Theologie bei Marius Victorinus und beson-ders bei Augustin zur Entfaltung der Willensmetaphysik gefuumlhrt hat)

Die Passage ist so stark von paradoxaler Rhetorik bestimmt dass man sie nicht vor-schnell mit fruumlhchristlichen Texten kontrastieren sollte Epiktet am naumlchsten steht die Szene in Getsemane wo Jesus Gottes Willen seinem eigenen vorordnet bdquoAbba

51 Das Verb προσκατατάσσειν das bei Epiktet nur in Diss IV 1 begegnet meint die Ein-

ordnung unter eine uumlbergeordnete Groumlsse (vgl unten sect9198) und beruumlhrt sich mit κατατάσσειν das in Ench 311 die Eusebeia das angemessene Verhalten gegenuumlber den Goumlttern beschreibt und mit bdquogehorchenldquo bdquosich fuumlgenldquo und bdquofreiwillig folgenldquo expli-ziert wird Besonders praumlgend ist das Sokrateswort in Platons Apologie 28e (τάξις) das Diss I 924 unter dem Einfluss von Leg 12945a (εἰς τάξιν κατατάξῃ) reformuliert wird bdquoGott hat uns einen bestimmten Platz und eine bestimmte Lebensform zugewiesen (κατατέταχεν) die wir nicht verlassen sollenldquo vgl III 14114 (εἰς τοιαύτην ὑπηρεσίαν κατατεταγμένος) II 139 I 134 (von einer uumlbergeordneten Stellung) Un-sere Formulierung in sect89ndash99 druumlckt mit dem zusaumltzlichen Compositum πρoς- auch noch jene dynamische Richtungsbestimmung aus die aus dem Praumltext des Kleanthes stammt (bdquofuumlhre mich [hellip] dahinldquo sect131) προσκατατάσσειν (LSJ 1516a bdquosubjoin append as-sign attachldquo) begegnet nur gelegentlich in der griechischen Literatur (Polyb III 201 [Re-den hinzufuumlgen] Philon Op 131 [Suumlsswasser der Erde zuweisen vgl 38] Cornut Nat deor 323 [Feuchtes in Aumlther uumlberfuumlhren] OGIS 5627 [hinzugefuumlgte Priester]) Vgl WILLMS 2011 I 489f

52 Zenon hat einen Traktat περὶ ὁρμῆς ἢ περὶ ἀνθρώπου φύσεως verfasst (Diog Laert 74 = SVF 1 41) vgl ferner POHLENZ 61991 II 52 77 80f Textintern sind die Bezuumlge der ὁρμή auf das θέλειν durch den voranstehenden wie den nachfolgenden Satz deutlich

53 Fuumlr diese Analogie bietet Diss II 1722ndash25 eine instruktive Parallele bdquoMit einem Wort Wolle nichts anderes als was Gott will Wer wird dich dann noch behindern wer dich zwingen Ebenso wenig wie (man) Zeus (zwingen kann) Wenn du einen solchen Fuumlhrer hast und mit ihm eines Willens und eines Wunsches bist was fuumlrchtest du dann noch an Fehlschlaumlgenldquo Epiktet raumlt auch hier dazu sich nicht zu binden an Reichtum Armut Ge-sundheit Ehre Vater Heimat Freunde und Kinder die alle nicht unserem Verfuumlgungs-bereich zugehoumlren

54 Zugespitzt bei BRAICOVICH 2010 der Epiktets handlungspsychologisches Freiheitsver-staumlndnis konsequent deterministisch deutet Zur allgemeinen Diskussion des stoischen Determinismus vgl STEINMETZ 1994 610ndash612 GUCKES 2004 12ndash17 im Zusammenhang mit Epiktet LONG 2002 220ndash222 (bdquothe autonomous person as someone who voluntarily complies with a predetermined situationldquo 222) sowie FORSCHNER oben S

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Vater alles ist dir moumlglich Lass diesen Kelch an mir voruumlbergehen Doch nicht was ich will sondern was du willstldquo (Mk 1436 vgl Mt 2639 Lk 2242)55 Die nur bei Mk vorkommende Allmachtsformel haumllt die ndash nicht realisierte ndash Moumlglichkeit offen dass Jesu eigener Wille dem Leiden zu entgehen sich verwirklichen liesse Der Vers der in der altkirchlichen Zweinaturenchristologie intensiv debattiert worden ist scheint es im Kontrast zu Epiktet bei einem sbquoproduktivenlsquo Gegenuumlber von zwei Wil-lensbewegungen zu belassen ndash eine Asymmetrie von erheblichem anthropologischem Gewicht Der Unterschied des Genre will freilich beachtet sein Waumlhrend Epiktet in einem argumentativen Text das Resultat einer geradezu lebenslaumlnglich vollzogenen Uumlbung (askesis) in praumlsentischen Paradoxien versprachlicht markiert die Getsemane-Erzaumlhlung der Evangelien eine Station auf dem Passionsweg Jesu der die vollstaumlndige Konvergenz der beiden Willensbewegungen narrativ zur Darstellung bringen wird Jesus ergibt sich als leidender Gerechter in den Gotteswillen bis zum Tod am Kreuz

Keine direkte Relevanz fuumlr die von uns hier diskutierte Thematik hat die Problemati-sierung der Einheit des menschlichen Willensbereichs56 Sowohl Epiktet (Diss II 1718f II 261 uouml) wie Paulus (Roumlm 715ndash19) sprechen vom inneren Zwiespalt des Menschen und orientieren sich dabei an einer in der Antike verbreiteten Figur die auf die Gestalt der euripideischen Medea zuruumlckfuumlhrt Die zugrunde liegenden anthropo-logischen Konzeptionen sind zwar denkbar verschieden Dem grundsaumltzlich monisti-schen Ansatz Epiktets steht der dualistische des Paulus gegenuumlber57 Es faumlllt aber auf dass beide das fuumlr die Medea-Rezeption traditionelle Schema des Gegensatzes von Erkennen und Trieb von Vernunft und Leidenschaft durch eine weit radikalere Deu-tung uumlberlagern Der Zwiespalt im Inneren ist uumlberhaupt nur retrospektiv durchschau-bar geworden erst das Ereignis der Befreiung laumlsst es zur Erkenntnis der Sklaverei kommen Dabei sprechen beide von der Unfreiheit gut traditionell als dem bdquoTun was ich nicht willldquo58

Freiheit wird praumlsentiert als Anerkennung dessen was ohnehin nicht zur Disposition steht und nicht anders sein kann als es der Fall ist Das klassische Bild der Stoiker

55 Die Uumlbersetzung biblischer Texte richtet sich meistens nach der Zuumlrcher Bibel 2007 56 Der optimistischen Anthropologie Epiktets laumlsst sich dann diejenige des Paulus gegen-

uumlberstellen die zwar nicht pessimistisch ist aber Suumlnde nicht im kognitiven Bereich son-dern im Willensbereich platziert vgl zB SCHNELLE 2009 156f

57 Zum Verhaumlltnis zwischen Epiktet und Roumlm 7 vgl HUTTUNEN 2005 ferner VOLLENWEIDER 1989 350ndash352

58 Vgl oben bei Anm 42 Das Versklavtsein wird bei Epiktet deswegen nicht so ausweglos wie bei Paulus wahrgenommen weil es wesentlich auf falschem Denken beruht

136

stellt der an einen Wagen festgebundene Hund dar der entweder aus eigenen Stuumlcken mitgeht oder aber mitgeschleift wird59

33 Das Gleichnis von der sicheren Reisegesellschaft (sect91ndash98)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft changiert zwischen Bildrede und eigentlicher Rede Mit οὕτως (sect91) wird das Bild eingefuumlhrt ebenfalls mit οὕτως erfolgt der Wechsel zur Sachebene naumlmlich zur kosmischen Position des Verstaumlndigen (sect9298) dessen Selbstgespraumlch wieder auf der Bildebene spielt (sect92ndash97) Mit seinen Hinwei-sen auf hoch gestellte Personen besonders den Status des Freunds des Kaisers wird Bezug genommen auf fruumlhere Passagen (sect8ndash15 45ndash50) Das Selbstgespraumlch endet ironisch in einer Aporie ndash selbst in der Einoumlde gibt es keinen Schutz vor negativen Maumlchten (sect97) Erst der Anschluss an Gott ermoumlglicht eine sichere Reise Die Philo-sophie spielt hier ihre in hellenistischer und kaiserzeitlicher Zeit zentral gewordene Rolle als Ratgeber fuumlr den Umgang mit jederzeit drohenden Kontingenzen und ant-wortet auf ein Anliegen das auch die zeitgenoumlssischen Religionen das Christentum so gut wie Mysterienreligionen und magische Praktiken bearbeiten

Die traditionelle und uumlberaus reiche Metaphorik des Wegs deckt ein breites Spektrum ab Die hauptsaumlchliche Konnotation die auch bei Epiktet reichhaltig begegnet ist die-jenige des Zusammenhangs von Weg und Ziel So spricht unser Lehrgespraumlch sum-mierend vom Weg zur wahren Freiheit (sect131)60 Das Reisegleichnis in Diss II 2336ndash39 raumlt dazu Raststaumltten wieder zu verlassen um zur Heimatstadt zu gelangen (εἰς τὴν

πατρίδα ἐπανελθεῖν)61 Auch wo Gott (II 710f) oder der wahre Kyniker (III 2226) den rechten Weg weisen ist das Ziel im Blick62 Aumlhnlich steht es mit der christ-lichen Wegmetaphorik63 In unserem Zusammenhang geht es dagegen ausschliesslich um das sichere Reisen ndash in der Sprache heutiger Lebensratgeber der Weg ist das Ziel Fuumlr die Reisegemeinschaft mit Gott bietet II 1723 eine bemerkenswerte Parallele da hier neben der Konvergenz des Wollens auch die Analogie mit Zeus figuriert (sect22)64 Das Leben laumlsst sich generell mit einer Reise vergleichen65 III 139ndash11 stellt heraus dass nur die Philosophie nicht aber der Kaiser si-

59 Chrysipp () SVF 2 975 vgl POHLENZ 82010 I 106 STEINMETZ 1994 611f weiteres bei

VOLLENWEIDER 1989 75f 60 Vgl IV 439 vom Weg zur wahren εὔροια 61 Auch hier wird explizit der Bezug zur Freiheit hergestellt (sect42) verbunden mit dem bdquomit

ganzem Herzenldquo zu sprechenden Gebet des Kleanthes 62 Vgl ferner I 1618 II 216 II 123 III 263f IV 24 IV 659 IV 916 63 Vgl den Uumlberblick (auch zur Umwelt) von W MICHAELIS Art ὁδός κτλ ThWNT 5

(1954) 42ndash118 sowie die bei WILLMS 2012 II 709 genannte Literatur 64 Vgl oben Anm 53 65 Diss II 510 von der Seereise wo bdquoeiniges an mir liegt anderes aber nichtldquo vgl ferner II

1624 I 99 II 1737f in III 2493 wird die Abreise mit dem Sterben verglichen

137

cheren Reiseschutz verleihen kann (vgl sect3) Es gibt durchaus neutestamentliches Vergleichsmaterial Die Nachfolge auf Jesu Weg wie ihn die Evangelien darstellen ist transparent fuumlr den Lebensweg der Christusglaumlubigen (Mk 827ndash1052 besonders 834) Dieser ist freilich auch wieder auf ein Ziel hin orientiert naumlmlich auf die Pas-sion und das Kreuz Epiktets goumlttlicher Reisegesellschaft am naumlchsten kommen wir mit der Topik des bdquoMitseinsldquo Jesu bzw Gottes mit den Glaubenden (Mt 2820 vgl 123 1820 Joh 1416f [vom Geist]) welche die gesamte biblische Tradition des Mit-gehens Gottes mit seinem Volk insbesondere waumlhrend der Wuumlstenwanderung sum-miert Obschon der Lebensweg die Stoiker in widrige Umstaumlnde und die Christen in das Martyrium fuumlhren mag gibt die Gemeinschaft mit Gott ultimative Sicherheit Der Vergleich fuumlhrt uns also wieder in den Bereich der Passionsgeschichte Waumlhrend fuumlr die Christen der Gottessohn und somit der in diesem praumlsente Gott selber den Weg des Leidens geht sieht sich der Stoiker gewiesen an Vorbilder die paradigmatisch das Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens vor Augen stellen zumal an Herakles und Sokrates Zwar ist auch ihr Gott im Kosmos gegenwaumlrtig aber da er das harmo-nisch gefuumlgte Ganze repraumlsentiert ist er den immer nur einzelne Teile betreffenden Turbulenzen nicht ausgesetzt

34 Das Gleichnis von der Festversammlung (sect99ndash110)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft endet in einem radikalen Ruumlckzug aus dem Bereich des Ungewissen der nicht einmal in der Einsamkeit der Einoumlde haltmacht sondern gleichsam in die Unweltlichkeit versetzt Dieser Reduktionsbewegung auf einen einzigen Punkt der mit Gott identifiziert wird kommt nun eine expandierende Bewegung entgegenzustehen die in die Weite des Kosmos und die universale Ge-meinschaft hinaus weist

Mit dem erneuten Ruumlckgriff auf das theologische Bekenntnis und das Prinzip von sect89 baut Epiktet sukzessive ein neues Gleichnis auf das sich mit kosmologischen Deu-tungen verbindet Im Fokus stehen nun die Willensbewegungen Gottes und sein ord-nendes Wirken im Kosmos Die Basisunterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoAnderemldquo wird theologisch akzentuiert Im Bereich des Eigenen figuriert die freie Selbstbestim-mung die Prohairesis66 der Bereich des Anderen wird der Gottheit und ihrem Wal-ten dem bdquoKreislauf des Allsldquo zugemessen (sect100) Koumlrper Besitz sowie Haus Kinder und Frau (vgl sect66f 87 107 111) Alles wovon sich der Verstaumlndige innerlich als

66 Zur Prohairesis vgl FORSCHNER in diesem Band S [[Typoskript S 5]] ferner STE-

PHENS 2007 16ndash25 (bdquoProhairesis as selfldquo) und die Diskussion von ENGBERG-PEDERSEN 2010 212ndash214 (bdquotrue human selfldquo) mit LONG 2002 28ndash30 207ndash220 (bdquovolitionldquo)

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dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

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logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

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41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

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Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

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zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

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bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

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Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

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Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

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-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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WEHNER B Die Funktion der Dialogstruktur in Epiktets Diatriben (Philosophie der Antike 13) Stuttgart 2000

WENDLAND P Rez Th Zahn Der Stoiker Epiktet ThLZ 19 (1895) 493ndash495 WETTSTEIN JJ Novum Testamentum Graecum Amsterdam 175152 (= Graz 1962) WILLMS L Epiktets Diatribe Uumlber die Freiheit (41) Einleitung Uumlbersetzung Kom-

mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

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Page 15: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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nicht von selber dank der dem Logos entsprechenden natuumlrlichen Faumlhigkeiten zur Wahrheit gelangt kann sich an bewaumlhrten Wahrheitszeugen orientieren (sect51f) fak-tisch ist hier der aktuell Lehrende mindestens mitgemeint Epiktet steuert die Unter-redung die in diesem Teil (sect51ndash75) besonders stark als sokratischer Dialog gestaltet ist45 auf seine elementare Formel der Unterscheidung dessen was bdquouns zuhandenldquo und bdquouns nicht zuhandenldquo ist zu (sect65 τὰ μὲν ἐφ᾽ ἡμῖν ἐστιν τὰ δ᾽ ἐπ᾽ ἄλλοις vgl Diss I 1)46 Am Koumlrper selber wird geradezu hautnah der Bereich des Fremden des ἀλλότριον erfahrbar (sect76ndash80) plastisch verbildlicht im Gleichnis eines bepack-ten Esels den man notfalls auch bdquolassenldquo muss ganz zu schweigen vom Zubehoumlr und Gepaumlck (sect79f)

Bereits in diesem Abschnitt macht sich ein entscheidender Bezugstext ein Praumltext bemerkbar der spaumlter explizit zu Wort kommen wird das Gebet des Kleanthes Wird der Esel von anderen requiriert (angareia) so gilt bdquoLass ihn gehen widerstrebe nicht und murre nicht ndash andernfalls wirst du den Esel genauso einbuumlssen nur mit Schlaumlgenldquo Im bdquogenauso hellip nurldquo (woumlrtlich bdquonichts desto wenigerldquo οὐδὲν ἧττον) spielt Epiktet an auf Kleanthesrsquo Vers bdquoWenn ich aber nicht (folgen) wollte waumlre ich ein feiger Schwaumlchling und muumlsste euch nichtsdestoweniger (οὐδὲν ἧττον) folgenldquo (Ench 531)

Mit der Aufforderung unablaumlssig die elementare Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo zu uumlben (sect81) die wiederum im Bereich von Koumlrper und Besitz die Frei-heit von Angst und Begehren eroumlffnet ist die Plattform fuumlr die uns interessierende theologische Deutung etabliert47

Bereits sect82 hat vorausweisenden Charakter Die Bestimmung uumlber das Wesen des Guten und Schlechten faumlllt in den Bereich des Eigenen bdquoWer kann es dir wegnehmen

45 Auf das sokratische Design der Dissertationes hat besonders LONG 2002 67ndash96 uouml

hingewiesen (bdquoSocrates rather than any Stoic philosopher or even the Cynic Diogenes is Epictetus favoured paradigm not only as a model for life but also as a practitioner of philosophical conversationldquo 4) hier auch verbunden mit Kritik an BONHOumlFFER (166f 176)

46 Zu Herkunft und Hintergrund der Formel vgl DOBBIN 1998 65ndash68 WILLMS 2011 I 328ndash337

47 Die Strukturierung unseres Lehrgespraumlchs durch das Nacheinander eines sbquoprofanenlsquo bzw sbquosaumlkularenlsquo Teils als Tradition (sect6ndash90) und eines sbquotheologischenlsquo Teils als Interpretation (sect91ndash131) durch NESTLE 1967 125ndash128 134 (zustimmend GRETENKORD 1981 195f) hat keinen Anhalt am Text (bereits sect89f stellt eine theologische Klimax dar die durch die Unterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo eng mit der ab sect62 entfalteten Argumen-tation verbunden ist) und arbeitet mit (redaktionsgeschichtlichen) Kategorien die sich bei Epiktet nicht bewaumlhren (das richtige Applizieren der allgemeinen Vorstellungen auf die konkreten Lebensumstaumlnde in sect41f ist eine spezifisch epiktetische Konzeption ohne dass sie deswegen unstoisch waumlre) vgl oben Anm 43)

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wer kann dich behindern Ebenso wenig kann man Gott behindernldquo Dies wird in sect90 wieder aufgenommen48

32 Das Gleichnis von der Burg und das Basisprinzip (sect85ndash90)

Im Abschnitt sect85ndash110 arbeitet Epiktet mit drei aufeinander folgenden Gleichnissen die jeweils fliessend in allgemeine Aussagen uumlbergehen Burg Reisegesellschaft und Festversammlung Die Befreiung von der Furcht wird verbildlicht mit der Zerstoumlrung der inneren Burg (Akropolis) dem Sitz der Tyrannen Die Metapher uumlberrascht zu-naumlchst da man die innere Festung eher als positives Sinnbild fuumlr die uneinnehmbare Position des Denkvermoumlgens erwartet haumltte49 Sie hat hier aber den Charakter der Zwingburg die man niederreissen oder wenigstens entvoumllkern soll Mit dem erneuten bdquoLassenldquo des Koumlrpers und seiner Teile von Besitz Ehrungen Kindern Geschwistern und Freunden (vgl sect66f) wechseln wir wieder auf die Sachebene (die eher an einen defensiven Ruumlckzug denken laumlsst) Uumlber das Bildelement von den Leibwaumlchtern die ihren bedrohlichen Charakter verloren haben fokussiert der Meister nun auf den Wil-len der von keinem Zwang mehr behindert wird (sect88) und damit auf die Leitdefini-tion am Anfang der Unterweisung (sect1) Wir stehen vor einem Scharnier der Argu-mentation weil nun das theologische Bekenntnis bdquoIch habe mein Streben Gott anheim gestelltldquo eine neue Dimension der wahren Freiheit eroumlffnet und zur Formulierung des Basisprinzips fuumlhrt (sect89ndash90)50

Das Bekenntnis selber verdichtet den stoischen Gedanken der Einfuumlgung in die

48 Dieser Verweis auf Gott unterscheidet sich von Diss I 123 wonach Zeus als houmlchster

Repraumlsentant des bdquoFremdenldquo die eigene Prohairesis nicht bezwingen (νικῆσαι) kann Dazu GRAVER 2003 348f

49 Praumlgnant ist vor allem die Aumlusserung Marc Aurels bdquoDeshalb ist die von Leidenschaften freie Denkkraft eine feste Burg (ἀκρόπολίς ἐστιν ἡ ἐλευθέρα παθῶν διάνοια) denn

nichts Staumlrkeres hat der Menschldquo (VIII 483) als Leitmotiv bei HADOT 1997 156ndash184 Vgl Sen Ep 825 Negativ konnotiert ist die Festung etwa auch bei Philon Fug 148 (bdquoZwingburg der Lustldquo) positiv Abr 150 vom Ort der Augen dem koumlniglichen Sinn Spec 3184 vom Kopf Spec 449 von der Seele

50 Auffaumlllig ist die perfektische Formulierung des Bekenntnisses die sich auch im vorange-gangenen Satz spiegelt (οὐπώποτε mit zwei Verben im Aorist) Spielt Epiktet hier an auf seinen Status als einer von denen die die Wahrheit gesucht und gefunden haben (sect51)

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goumlttliche Weltordnung51 Beim bdquoStrebenldquo (ὁρμή) handelt es sich um einen gaumlngigen Terminus fuumlr die menschlichen Antriebe also den Bereich der Willensbewegungen des θέλειν und βούλεσθαι (vgl sect99) die vom Logos geformt werden muumlssen52

Die folgenden kurzen Saumltze in sect8990 formulieren in aumlusserster Zuspitzung die Rhe-torik arbeitet mit provokanten Paradoxien Der Wille Gottes determiniert den Willen des Subjekts nicht nur vollumfaumlnglich sondern bestimmt auch seine Intentionalitaumlt ndash das Ich bdquowillldquo Peristasen wie Fieber Tod und Folter Die scheinbare Fremdbestim-mung wird schliesslich aufgefangen durch die Analogisierung mit Zeus selber (vgl sect82)53

Das Basisprinzip besteht also in der vollstaumlndigen Konvergenz des Willens des (menschlichen) Subjekts mit dem Willen Gottes eine Konvergenz die im Zeichen der wahren Freiheit steht Es reflektiert die traditionelle Figur des stoischen Determi-nismus der einerseits zwar die Willensfreiheit ganz im Geflecht der kosmischen Kau-salketten aufhebt andrerseits aber das Freiheitspathos steigert54 Offenkundig spiegelt Epiktet hier absichtsvoll zwei verschiedene Modi von Freiheit ineinander diejenige des Entscheidens (Freiheit als Immer-auch-anders-Koumlnnen) und diejenige des Wol-lens (die in der nachmaligen lateinischen Theologie bei Marius Victorinus und beson-ders bei Augustin zur Entfaltung der Willensmetaphysik gefuumlhrt hat)

Die Passage ist so stark von paradoxaler Rhetorik bestimmt dass man sie nicht vor-schnell mit fruumlhchristlichen Texten kontrastieren sollte Epiktet am naumlchsten steht die Szene in Getsemane wo Jesus Gottes Willen seinem eigenen vorordnet bdquoAbba

51 Das Verb προσκατατάσσειν das bei Epiktet nur in Diss IV 1 begegnet meint die Ein-

ordnung unter eine uumlbergeordnete Groumlsse (vgl unten sect9198) und beruumlhrt sich mit κατατάσσειν das in Ench 311 die Eusebeia das angemessene Verhalten gegenuumlber den Goumlttern beschreibt und mit bdquogehorchenldquo bdquosich fuumlgenldquo und bdquofreiwillig folgenldquo expli-ziert wird Besonders praumlgend ist das Sokrateswort in Platons Apologie 28e (τάξις) das Diss I 924 unter dem Einfluss von Leg 12945a (εἰς τάξιν κατατάξῃ) reformuliert wird bdquoGott hat uns einen bestimmten Platz und eine bestimmte Lebensform zugewiesen (κατατέταχεν) die wir nicht verlassen sollenldquo vgl III 14114 (εἰς τοιαύτην ὑπηρεσίαν κατατεταγμένος) II 139 I 134 (von einer uumlbergeordneten Stellung) Un-sere Formulierung in sect89ndash99 druumlckt mit dem zusaumltzlichen Compositum πρoς- auch noch jene dynamische Richtungsbestimmung aus die aus dem Praumltext des Kleanthes stammt (bdquofuumlhre mich [hellip] dahinldquo sect131) προσκατατάσσειν (LSJ 1516a bdquosubjoin append as-sign attachldquo) begegnet nur gelegentlich in der griechischen Literatur (Polyb III 201 [Re-den hinzufuumlgen] Philon Op 131 [Suumlsswasser der Erde zuweisen vgl 38] Cornut Nat deor 323 [Feuchtes in Aumlther uumlberfuumlhren] OGIS 5627 [hinzugefuumlgte Priester]) Vgl WILLMS 2011 I 489f

52 Zenon hat einen Traktat περὶ ὁρμῆς ἢ περὶ ἀνθρώπου φύσεως verfasst (Diog Laert 74 = SVF 1 41) vgl ferner POHLENZ 61991 II 52 77 80f Textintern sind die Bezuumlge der ὁρμή auf das θέλειν durch den voranstehenden wie den nachfolgenden Satz deutlich

53 Fuumlr diese Analogie bietet Diss II 1722ndash25 eine instruktive Parallele bdquoMit einem Wort Wolle nichts anderes als was Gott will Wer wird dich dann noch behindern wer dich zwingen Ebenso wenig wie (man) Zeus (zwingen kann) Wenn du einen solchen Fuumlhrer hast und mit ihm eines Willens und eines Wunsches bist was fuumlrchtest du dann noch an Fehlschlaumlgenldquo Epiktet raumlt auch hier dazu sich nicht zu binden an Reichtum Armut Ge-sundheit Ehre Vater Heimat Freunde und Kinder die alle nicht unserem Verfuumlgungs-bereich zugehoumlren

54 Zugespitzt bei BRAICOVICH 2010 der Epiktets handlungspsychologisches Freiheitsver-staumlndnis konsequent deterministisch deutet Zur allgemeinen Diskussion des stoischen Determinismus vgl STEINMETZ 1994 610ndash612 GUCKES 2004 12ndash17 im Zusammenhang mit Epiktet LONG 2002 220ndash222 (bdquothe autonomous person as someone who voluntarily complies with a predetermined situationldquo 222) sowie FORSCHNER oben S

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Vater alles ist dir moumlglich Lass diesen Kelch an mir voruumlbergehen Doch nicht was ich will sondern was du willstldquo (Mk 1436 vgl Mt 2639 Lk 2242)55 Die nur bei Mk vorkommende Allmachtsformel haumllt die ndash nicht realisierte ndash Moumlglichkeit offen dass Jesu eigener Wille dem Leiden zu entgehen sich verwirklichen liesse Der Vers der in der altkirchlichen Zweinaturenchristologie intensiv debattiert worden ist scheint es im Kontrast zu Epiktet bei einem sbquoproduktivenlsquo Gegenuumlber von zwei Wil-lensbewegungen zu belassen ndash eine Asymmetrie von erheblichem anthropologischem Gewicht Der Unterschied des Genre will freilich beachtet sein Waumlhrend Epiktet in einem argumentativen Text das Resultat einer geradezu lebenslaumlnglich vollzogenen Uumlbung (askesis) in praumlsentischen Paradoxien versprachlicht markiert die Getsemane-Erzaumlhlung der Evangelien eine Station auf dem Passionsweg Jesu der die vollstaumlndige Konvergenz der beiden Willensbewegungen narrativ zur Darstellung bringen wird Jesus ergibt sich als leidender Gerechter in den Gotteswillen bis zum Tod am Kreuz

Keine direkte Relevanz fuumlr die von uns hier diskutierte Thematik hat die Problemati-sierung der Einheit des menschlichen Willensbereichs56 Sowohl Epiktet (Diss II 1718f II 261 uouml) wie Paulus (Roumlm 715ndash19) sprechen vom inneren Zwiespalt des Menschen und orientieren sich dabei an einer in der Antike verbreiteten Figur die auf die Gestalt der euripideischen Medea zuruumlckfuumlhrt Die zugrunde liegenden anthropo-logischen Konzeptionen sind zwar denkbar verschieden Dem grundsaumltzlich monisti-schen Ansatz Epiktets steht der dualistische des Paulus gegenuumlber57 Es faumlllt aber auf dass beide das fuumlr die Medea-Rezeption traditionelle Schema des Gegensatzes von Erkennen und Trieb von Vernunft und Leidenschaft durch eine weit radikalere Deu-tung uumlberlagern Der Zwiespalt im Inneren ist uumlberhaupt nur retrospektiv durchschau-bar geworden erst das Ereignis der Befreiung laumlsst es zur Erkenntnis der Sklaverei kommen Dabei sprechen beide von der Unfreiheit gut traditionell als dem bdquoTun was ich nicht willldquo58

Freiheit wird praumlsentiert als Anerkennung dessen was ohnehin nicht zur Disposition steht und nicht anders sein kann als es der Fall ist Das klassische Bild der Stoiker

55 Die Uumlbersetzung biblischer Texte richtet sich meistens nach der Zuumlrcher Bibel 2007 56 Der optimistischen Anthropologie Epiktets laumlsst sich dann diejenige des Paulus gegen-

uumlberstellen die zwar nicht pessimistisch ist aber Suumlnde nicht im kognitiven Bereich son-dern im Willensbereich platziert vgl zB SCHNELLE 2009 156f

57 Zum Verhaumlltnis zwischen Epiktet und Roumlm 7 vgl HUTTUNEN 2005 ferner VOLLENWEIDER 1989 350ndash352

58 Vgl oben bei Anm 42 Das Versklavtsein wird bei Epiktet deswegen nicht so ausweglos wie bei Paulus wahrgenommen weil es wesentlich auf falschem Denken beruht

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stellt der an einen Wagen festgebundene Hund dar der entweder aus eigenen Stuumlcken mitgeht oder aber mitgeschleift wird59

33 Das Gleichnis von der sicheren Reisegesellschaft (sect91ndash98)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft changiert zwischen Bildrede und eigentlicher Rede Mit οὕτως (sect91) wird das Bild eingefuumlhrt ebenfalls mit οὕτως erfolgt der Wechsel zur Sachebene naumlmlich zur kosmischen Position des Verstaumlndigen (sect9298) dessen Selbstgespraumlch wieder auf der Bildebene spielt (sect92ndash97) Mit seinen Hinwei-sen auf hoch gestellte Personen besonders den Status des Freunds des Kaisers wird Bezug genommen auf fruumlhere Passagen (sect8ndash15 45ndash50) Das Selbstgespraumlch endet ironisch in einer Aporie ndash selbst in der Einoumlde gibt es keinen Schutz vor negativen Maumlchten (sect97) Erst der Anschluss an Gott ermoumlglicht eine sichere Reise Die Philo-sophie spielt hier ihre in hellenistischer und kaiserzeitlicher Zeit zentral gewordene Rolle als Ratgeber fuumlr den Umgang mit jederzeit drohenden Kontingenzen und ant-wortet auf ein Anliegen das auch die zeitgenoumlssischen Religionen das Christentum so gut wie Mysterienreligionen und magische Praktiken bearbeiten

Die traditionelle und uumlberaus reiche Metaphorik des Wegs deckt ein breites Spektrum ab Die hauptsaumlchliche Konnotation die auch bei Epiktet reichhaltig begegnet ist die-jenige des Zusammenhangs von Weg und Ziel So spricht unser Lehrgespraumlch sum-mierend vom Weg zur wahren Freiheit (sect131)60 Das Reisegleichnis in Diss II 2336ndash39 raumlt dazu Raststaumltten wieder zu verlassen um zur Heimatstadt zu gelangen (εἰς τὴν

πατρίδα ἐπανελθεῖν)61 Auch wo Gott (II 710f) oder der wahre Kyniker (III 2226) den rechten Weg weisen ist das Ziel im Blick62 Aumlhnlich steht es mit der christ-lichen Wegmetaphorik63 In unserem Zusammenhang geht es dagegen ausschliesslich um das sichere Reisen ndash in der Sprache heutiger Lebensratgeber der Weg ist das Ziel Fuumlr die Reisegemeinschaft mit Gott bietet II 1723 eine bemerkenswerte Parallele da hier neben der Konvergenz des Wollens auch die Analogie mit Zeus figuriert (sect22)64 Das Leben laumlsst sich generell mit einer Reise vergleichen65 III 139ndash11 stellt heraus dass nur die Philosophie nicht aber der Kaiser si-

59 Chrysipp () SVF 2 975 vgl POHLENZ 82010 I 106 STEINMETZ 1994 611f weiteres bei

VOLLENWEIDER 1989 75f 60 Vgl IV 439 vom Weg zur wahren εὔροια 61 Auch hier wird explizit der Bezug zur Freiheit hergestellt (sect42) verbunden mit dem bdquomit

ganzem Herzenldquo zu sprechenden Gebet des Kleanthes 62 Vgl ferner I 1618 II 216 II 123 III 263f IV 24 IV 659 IV 916 63 Vgl den Uumlberblick (auch zur Umwelt) von W MICHAELIS Art ὁδός κτλ ThWNT 5

(1954) 42ndash118 sowie die bei WILLMS 2012 II 709 genannte Literatur 64 Vgl oben Anm 53 65 Diss II 510 von der Seereise wo bdquoeiniges an mir liegt anderes aber nichtldquo vgl ferner II

1624 I 99 II 1737f in III 2493 wird die Abreise mit dem Sterben verglichen

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cheren Reiseschutz verleihen kann (vgl sect3) Es gibt durchaus neutestamentliches Vergleichsmaterial Die Nachfolge auf Jesu Weg wie ihn die Evangelien darstellen ist transparent fuumlr den Lebensweg der Christusglaumlubigen (Mk 827ndash1052 besonders 834) Dieser ist freilich auch wieder auf ein Ziel hin orientiert naumlmlich auf die Pas-sion und das Kreuz Epiktets goumlttlicher Reisegesellschaft am naumlchsten kommen wir mit der Topik des bdquoMitseinsldquo Jesu bzw Gottes mit den Glaubenden (Mt 2820 vgl 123 1820 Joh 1416f [vom Geist]) welche die gesamte biblische Tradition des Mit-gehens Gottes mit seinem Volk insbesondere waumlhrend der Wuumlstenwanderung sum-miert Obschon der Lebensweg die Stoiker in widrige Umstaumlnde und die Christen in das Martyrium fuumlhren mag gibt die Gemeinschaft mit Gott ultimative Sicherheit Der Vergleich fuumlhrt uns also wieder in den Bereich der Passionsgeschichte Waumlhrend fuumlr die Christen der Gottessohn und somit der in diesem praumlsente Gott selber den Weg des Leidens geht sieht sich der Stoiker gewiesen an Vorbilder die paradigmatisch das Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens vor Augen stellen zumal an Herakles und Sokrates Zwar ist auch ihr Gott im Kosmos gegenwaumlrtig aber da er das harmo-nisch gefuumlgte Ganze repraumlsentiert ist er den immer nur einzelne Teile betreffenden Turbulenzen nicht ausgesetzt

34 Das Gleichnis von der Festversammlung (sect99ndash110)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft endet in einem radikalen Ruumlckzug aus dem Bereich des Ungewissen der nicht einmal in der Einsamkeit der Einoumlde haltmacht sondern gleichsam in die Unweltlichkeit versetzt Dieser Reduktionsbewegung auf einen einzigen Punkt der mit Gott identifiziert wird kommt nun eine expandierende Bewegung entgegenzustehen die in die Weite des Kosmos und die universale Ge-meinschaft hinaus weist

Mit dem erneuten Ruumlckgriff auf das theologische Bekenntnis und das Prinzip von sect89 baut Epiktet sukzessive ein neues Gleichnis auf das sich mit kosmologischen Deu-tungen verbindet Im Fokus stehen nun die Willensbewegungen Gottes und sein ord-nendes Wirken im Kosmos Die Basisunterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoAnderemldquo wird theologisch akzentuiert Im Bereich des Eigenen figuriert die freie Selbstbestim-mung die Prohairesis66 der Bereich des Anderen wird der Gottheit und ihrem Wal-ten dem bdquoKreislauf des Allsldquo zugemessen (sect100) Koumlrper Besitz sowie Haus Kinder und Frau (vgl sect66f 87 107 111) Alles wovon sich der Verstaumlndige innerlich als

66 Zur Prohairesis vgl FORSCHNER in diesem Band S [[Typoskript S 5]] ferner STE-

PHENS 2007 16ndash25 (bdquoProhairesis as selfldquo) und die Diskussion von ENGBERG-PEDERSEN 2010 212ndash214 (bdquotrue human selfldquo) mit LONG 2002 28ndash30 207ndash220 (bdquovolitionldquo)

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dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

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logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

142

41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

143

Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

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die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

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Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

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-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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166

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mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 16: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

133

wer kann dich behindern Ebenso wenig kann man Gott behindernldquo Dies wird in sect90 wieder aufgenommen48

32 Das Gleichnis von der Burg und das Basisprinzip (sect85ndash90)

Im Abschnitt sect85ndash110 arbeitet Epiktet mit drei aufeinander folgenden Gleichnissen die jeweils fliessend in allgemeine Aussagen uumlbergehen Burg Reisegesellschaft und Festversammlung Die Befreiung von der Furcht wird verbildlicht mit der Zerstoumlrung der inneren Burg (Akropolis) dem Sitz der Tyrannen Die Metapher uumlberrascht zu-naumlchst da man die innere Festung eher als positives Sinnbild fuumlr die uneinnehmbare Position des Denkvermoumlgens erwartet haumltte49 Sie hat hier aber den Charakter der Zwingburg die man niederreissen oder wenigstens entvoumllkern soll Mit dem erneuten bdquoLassenldquo des Koumlrpers und seiner Teile von Besitz Ehrungen Kindern Geschwistern und Freunden (vgl sect66f) wechseln wir wieder auf die Sachebene (die eher an einen defensiven Ruumlckzug denken laumlsst) Uumlber das Bildelement von den Leibwaumlchtern die ihren bedrohlichen Charakter verloren haben fokussiert der Meister nun auf den Wil-len der von keinem Zwang mehr behindert wird (sect88) und damit auf die Leitdefini-tion am Anfang der Unterweisung (sect1) Wir stehen vor einem Scharnier der Argu-mentation weil nun das theologische Bekenntnis bdquoIch habe mein Streben Gott anheim gestelltldquo eine neue Dimension der wahren Freiheit eroumlffnet und zur Formulierung des Basisprinzips fuumlhrt (sect89ndash90)50

Das Bekenntnis selber verdichtet den stoischen Gedanken der Einfuumlgung in die

48 Dieser Verweis auf Gott unterscheidet sich von Diss I 123 wonach Zeus als houmlchster

Repraumlsentant des bdquoFremdenldquo die eigene Prohairesis nicht bezwingen (νικῆσαι) kann Dazu GRAVER 2003 348f

49 Praumlgnant ist vor allem die Aumlusserung Marc Aurels bdquoDeshalb ist die von Leidenschaften freie Denkkraft eine feste Burg (ἀκρόπολίς ἐστιν ἡ ἐλευθέρα παθῶν διάνοια) denn

nichts Staumlrkeres hat der Menschldquo (VIII 483) als Leitmotiv bei HADOT 1997 156ndash184 Vgl Sen Ep 825 Negativ konnotiert ist die Festung etwa auch bei Philon Fug 148 (bdquoZwingburg der Lustldquo) positiv Abr 150 vom Ort der Augen dem koumlniglichen Sinn Spec 3184 vom Kopf Spec 449 von der Seele

50 Auffaumlllig ist die perfektische Formulierung des Bekenntnisses die sich auch im vorange-gangenen Satz spiegelt (οὐπώποτε mit zwei Verben im Aorist) Spielt Epiktet hier an auf seinen Status als einer von denen die die Wahrheit gesucht und gefunden haben (sect51)

134

goumlttliche Weltordnung51 Beim bdquoStrebenldquo (ὁρμή) handelt es sich um einen gaumlngigen Terminus fuumlr die menschlichen Antriebe also den Bereich der Willensbewegungen des θέλειν und βούλεσθαι (vgl sect99) die vom Logos geformt werden muumlssen52

Die folgenden kurzen Saumltze in sect8990 formulieren in aumlusserster Zuspitzung die Rhe-torik arbeitet mit provokanten Paradoxien Der Wille Gottes determiniert den Willen des Subjekts nicht nur vollumfaumlnglich sondern bestimmt auch seine Intentionalitaumlt ndash das Ich bdquowillldquo Peristasen wie Fieber Tod und Folter Die scheinbare Fremdbestim-mung wird schliesslich aufgefangen durch die Analogisierung mit Zeus selber (vgl sect82)53

Das Basisprinzip besteht also in der vollstaumlndigen Konvergenz des Willens des (menschlichen) Subjekts mit dem Willen Gottes eine Konvergenz die im Zeichen der wahren Freiheit steht Es reflektiert die traditionelle Figur des stoischen Determi-nismus der einerseits zwar die Willensfreiheit ganz im Geflecht der kosmischen Kau-salketten aufhebt andrerseits aber das Freiheitspathos steigert54 Offenkundig spiegelt Epiktet hier absichtsvoll zwei verschiedene Modi von Freiheit ineinander diejenige des Entscheidens (Freiheit als Immer-auch-anders-Koumlnnen) und diejenige des Wol-lens (die in der nachmaligen lateinischen Theologie bei Marius Victorinus und beson-ders bei Augustin zur Entfaltung der Willensmetaphysik gefuumlhrt hat)

Die Passage ist so stark von paradoxaler Rhetorik bestimmt dass man sie nicht vor-schnell mit fruumlhchristlichen Texten kontrastieren sollte Epiktet am naumlchsten steht die Szene in Getsemane wo Jesus Gottes Willen seinem eigenen vorordnet bdquoAbba

51 Das Verb προσκατατάσσειν das bei Epiktet nur in Diss IV 1 begegnet meint die Ein-

ordnung unter eine uumlbergeordnete Groumlsse (vgl unten sect9198) und beruumlhrt sich mit κατατάσσειν das in Ench 311 die Eusebeia das angemessene Verhalten gegenuumlber den Goumlttern beschreibt und mit bdquogehorchenldquo bdquosich fuumlgenldquo und bdquofreiwillig folgenldquo expli-ziert wird Besonders praumlgend ist das Sokrateswort in Platons Apologie 28e (τάξις) das Diss I 924 unter dem Einfluss von Leg 12945a (εἰς τάξιν κατατάξῃ) reformuliert wird bdquoGott hat uns einen bestimmten Platz und eine bestimmte Lebensform zugewiesen (κατατέταχεν) die wir nicht verlassen sollenldquo vgl III 14114 (εἰς τοιαύτην ὑπηρεσίαν κατατεταγμένος) II 139 I 134 (von einer uumlbergeordneten Stellung) Un-sere Formulierung in sect89ndash99 druumlckt mit dem zusaumltzlichen Compositum πρoς- auch noch jene dynamische Richtungsbestimmung aus die aus dem Praumltext des Kleanthes stammt (bdquofuumlhre mich [hellip] dahinldquo sect131) προσκατατάσσειν (LSJ 1516a bdquosubjoin append as-sign attachldquo) begegnet nur gelegentlich in der griechischen Literatur (Polyb III 201 [Re-den hinzufuumlgen] Philon Op 131 [Suumlsswasser der Erde zuweisen vgl 38] Cornut Nat deor 323 [Feuchtes in Aumlther uumlberfuumlhren] OGIS 5627 [hinzugefuumlgte Priester]) Vgl WILLMS 2011 I 489f

52 Zenon hat einen Traktat περὶ ὁρμῆς ἢ περὶ ἀνθρώπου φύσεως verfasst (Diog Laert 74 = SVF 1 41) vgl ferner POHLENZ 61991 II 52 77 80f Textintern sind die Bezuumlge der ὁρμή auf das θέλειν durch den voranstehenden wie den nachfolgenden Satz deutlich

53 Fuumlr diese Analogie bietet Diss II 1722ndash25 eine instruktive Parallele bdquoMit einem Wort Wolle nichts anderes als was Gott will Wer wird dich dann noch behindern wer dich zwingen Ebenso wenig wie (man) Zeus (zwingen kann) Wenn du einen solchen Fuumlhrer hast und mit ihm eines Willens und eines Wunsches bist was fuumlrchtest du dann noch an Fehlschlaumlgenldquo Epiktet raumlt auch hier dazu sich nicht zu binden an Reichtum Armut Ge-sundheit Ehre Vater Heimat Freunde und Kinder die alle nicht unserem Verfuumlgungs-bereich zugehoumlren

54 Zugespitzt bei BRAICOVICH 2010 der Epiktets handlungspsychologisches Freiheitsver-staumlndnis konsequent deterministisch deutet Zur allgemeinen Diskussion des stoischen Determinismus vgl STEINMETZ 1994 610ndash612 GUCKES 2004 12ndash17 im Zusammenhang mit Epiktet LONG 2002 220ndash222 (bdquothe autonomous person as someone who voluntarily complies with a predetermined situationldquo 222) sowie FORSCHNER oben S

135

Vater alles ist dir moumlglich Lass diesen Kelch an mir voruumlbergehen Doch nicht was ich will sondern was du willstldquo (Mk 1436 vgl Mt 2639 Lk 2242)55 Die nur bei Mk vorkommende Allmachtsformel haumllt die ndash nicht realisierte ndash Moumlglichkeit offen dass Jesu eigener Wille dem Leiden zu entgehen sich verwirklichen liesse Der Vers der in der altkirchlichen Zweinaturenchristologie intensiv debattiert worden ist scheint es im Kontrast zu Epiktet bei einem sbquoproduktivenlsquo Gegenuumlber von zwei Wil-lensbewegungen zu belassen ndash eine Asymmetrie von erheblichem anthropologischem Gewicht Der Unterschied des Genre will freilich beachtet sein Waumlhrend Epiktet in einem argumentativen Text das Resultat einer geradezu lebenslaumlnglich vollzogenen Uumlbung (askesis) in praumlsentischen Paradoxien versprachlicht markiert die Getsemane-Erzaumlhlung der Evangelien eine Station auf dem Passionsweg Jesu der die vollstaumlndige Konvergenz der beiden Willensbewegungen narrativ zur Darstellung bringen wird Jesus ergibt sich als leidender Gerechter in den Gotteswillen bis zum Tod am Kreuz

Keine direkte Relevanz fuumlr die von uns hier diskutierte Thematik hat die Problemati-sierung der Einheit des menschlichen Willensbereichs56 Sowohl Epiktet (Diss II 1718f II 261 uouml) wie Paulus (Roumlm 715ndash19) sprechen vom inneren Zwiespalt des Menschen und orientieren sich dabei an einer in der Antike verbreiteten Figur die auf die Gestalt der euripideischen Medea zuruumlckfuumlhrt Die zugrunde liegenden anthropo-logischen Konzeptionen sind zwar denkbar verschieden Dem grundsaumltzlich monisti-schen Ansatz Epiktets steht der dualistische des Paulus gegenuumlber57 Es faumlllt aber auf dass beide das fuumlr die Medea-Rezeption traditionelle Schema des Gegensatzes von Erkennen und Trieb von Vernunft und Leidenschaft durch eine weit radikalere Deu-tung uumlberlagern Der Zwiespalt im Inneren ist uumlberhaupt nur retrospektiv durchschau-bar geworden erst das Ereignis der Befreiung laumlsst es zur Erkenntnis der Sklaverei kommen Dabei sprechen beide von der Unfreiheit gut traditionell als dem bdquoTun was ich nicht willldquo58

Freiheit wird praumlsentiert als Anerkennung dessen was ohnehin nicht zur Disposition steht und nicht anders sein kann als es der Fall ist Das klassische Bild der Stoiker

55 Die Uumlbersetzung biblischer Texte richtet sich meistens nach der Zuumlrcher Bibel 2007 56 Der optimistischen Anthropologie Epiktets laumlsst sich dann diejenige des Paulus gegen-

uumlberstellen die zwar nicht pessimistisch ist aber Suumlnde nicht im kognitiven Bereich son-dern im Willensbereich platziert vgl zB SCHNELLE 2009 156f

57 Zum Verhaumlltnis zwischen Epiktet und Roumlm 7 vgl HUTTUNEN 2005 ferner VOLLENWEIDER 1989 350ndash352

58 Vgl oben bei Anm 42 Das Versklavtsein wird bei Epiktet deswegen nicht so ausweglos wie bei Paulus wahrgenommen weil es wesentlich auf falschem Denken beruht

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stellt der an einen Wagen festgebundene Hund dar der entweder aus eigenen Stuumlcken mitgeht oder aber mitgeschleift wird59

33 Das Gleichnis von der sicheren Reisegesellschaft (sect91ndash98)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft changiert zwischen Bildrede und eigentlicher Rede Mit οὕτως (sect91) wird das Bild eingefuumlhrt ebenfalls mit οὕτως erfolgt der Wechsel zur Sachebene naumlmlich zur kosmischen Position des Verstaumlndigen (sect9298) dessen Selbstgespraumlch wieder auf der Bildebene spielt (sect92ndash97) Mit seinen Hinwei-sen auf hoch gestellte Personen besonders den Status des Freunds des Kaisers wird Bezug genommen auf fruumlhere Passagen (sect8ndash15 45ndash50) Das Selbstgespraumlch endet ironisch in einer Aporie ndash selbst in der Einoumlde gibt es keinen Schutz vor negativen Maumlchten (sect97) Erst der Anschluss an Gott ermoumlglicht eine sichere Reise Die Philo-sophie spielt hier ihre in hellenistischer und kaiserzeitlicher Zeit zentral gewordene Rolle als Ratgeber fuumlr den Umgang mit jederzeit drohenden Kontingenzen und ant-wortet auf ein Anliegen das auch die zeitgenoumlssischen Religionen das Christentum so gut wie Mysterienreligionen und magische Praktiken bearbeiten

Die traditionelle und uumlberaus reiche Metaphorik des Wegs deckt ein breites Spektrum ab Die hauptsaumlchliche Konnotation die auch bei Epiktet reichhaltig begegnet ist die-jenige des Zusammenhangs von Weg und Ziel So spricht unser Lehrgespraumlch sum-mierend vom Weg zur wahren Freiheit (sect131)60 Das Reisegleichnis in Diss II 2336ndash39 raumlt dazu Raststaumltten wieder zu verlassen um zur Heimatstadt zu gelangen (εἰς τὴν

πατρίδα ἐπανελθεῖν)61 Auch wo Gott (II 710f) oder der wahre Kyniker (III 2226) den rechten Weg weisen ist das Ziel im Blick62 Aumlhnlich steht es mit der christ-lichen Wegmetaphorik63 In unserem Zusammenhang geht es dagegen ausschliesslich um das sichere Reisen ndash in der Sprache heutiger Lebensratgeber der Weg ist das Ziel Fuumlr die Reisegemeinschaft mit Gott bietet II 1723 eine bemerkenswerte Parallele da hier neben der Konvergenz des Wollens auch die Analogie mit Zeus figuriert (sect22)64 Das Leben laumlsst sich generell mit einer Reise vergleichen65 III 139ndash11 stellt heraus dass nur die Philosophie nicht aber der Kaiser si-

59 Chrysipp () SVF 2 975 vgl POHLENZ 82010 I 106 STEINMETZ 1994 611f weiteres bei

VOLLENWEIDER 1989 75f 60 Vgl IV 439 vom Weg zur wahren εὔροια 61 Auch hier wird explizit der Bezug zur Freiheit hergestellt (sect42) verbunden mit dem bdquomit

ganzem Herzenldquo zu sprechenden Gebet des Kleanthes 62 Vgl ferner I 1618 II 216 II 123 III 263f IV 24 IV 659 IV 916 63 Vgl den Uumlberblick (auch zur Umwelt) von W MICHAELIS Art ὁδός κτλ ThWNT 5

(1954) 42ndash118 sowie die bei WILLMS 2012 II 709 genannte Literatur 64 Vgl oben Anm 53 65 Diss II 510 von der Seereise wo bdquoeiniges an mir liegt anderes aber nichtldquo vgl ferner II

1624 I 99 II 1737f in III 2493 wird die Abreise mit dem Sterben verglichen

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cheren Reiseschutz verleihen kann (vgl sect3) Es gibt durchaus neutestamentliches Vergleichsmaterial Die Nachfolge auf Jesu Weg wie ihn die Evangelien darstellen ist transparent fuumlr den Lebensweg der Christusglaumlubigen (Mk 827ndash1052 besonders 834) Dieser ist freilich auch wieder auf ein Ziel hin orientiert naumlmlich auf die Pas-sion und das Kreuz Epiktets goumlttlicher Reisegesellschaft am naumlchsten kommen wir mit der Topik des bdquoMitseinsldquo Jesu bzw Gottes mit den Glaubenden (Mt 2820 vgl 123 1820 Joh 1416f [vom Geist]) welche die gesamte biblische Tradition des Mit-gehens Gottes mit seinem Volk insbesondere waumlhrend der Wuumlstenwanderung sum-miert Obschon der Lebensweg die Stoiker in widrige Umstaumlnde und die Christen in das Martyrium fuumlhren mag gibt die Gemeinschaft mit Gott ultimative Sicherheit Der Vergleich fuumlhrt uns also wieder in den Bereich der Passionsgeschichte Waumlhrend fuumlr die Christen der Gottessohn und somit der in diesem praumlsente Gott selber den Weg des Leidens geht sieht sich der Stoiker gewiesen an Vorbilder die paradigmatisch das Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens vor Augen stellen zumal an Herakles und Sokrates Zwar ist auch ihr Gott im Kosmos gegenwaumlrtig aber da er das harmo-nisch gefuumlgte Ganze repraumlsentiert ist er den immer nur einzelne Teile betreffenden Turbulenzen nicht ausgesetzt

34 Das Gleichnis von der Festversammlung (sect99ndash110)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft endet in einem radikalen Ruumlckzug aus dem Bereich des Ungewissen der nicht einmal in der Einsamkeit der Einoumlde haltmacht sondern gleichsam in die Unweltlichkeit versetzt Dieser Reduktionsbewegung auf einen einzigen Punkt der mit Gott identifiziert wird kommt nun eine expandierende Bewegung entgegenzustehen die in die Weite des Kosmos und die universale Ge-meinschaft hinaus weist

Mit dem erneuten Ruumlckgriff auf das theologische Bekenntnis und das Prinzip von sect89 baut Epiktet sukzessive ein neues Gleichnis auf das sich mit kosmologischen Deu-tungen verbindet Im Fokus stehen nun die Willensbewegungen Gottes und sein ord-nendes Wirken im Kosmos Die Basisunterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoAnderemldquo wird theologisch akzentuiert Im Bereich des Eigenen figuriert die freie Selbstbestim-mung die Prohairesis66 der Bereich des Anderen wird der Gottheit und ihrem Wal-ten dem bdquoKreislauf des Allsldquo zugemessen (sect100) Koumlrper Besitz sowie Haus Kinder und Frau (vgl sect66f 87 107 111) Alles wovon sich der Verstaumlndige innerlich als

66 Zur Prohairesis vgl FORSCHNER in diesem Band S [[Typoskript S 5]] ferner STE-

PHENS 2007 16ndash25 (bdquoProhairesis as selfldquo) und die Diskussion von ENGBERG-PEDERSEN 2010 212ndash214 (bdquotrue human selfldquo) mit LONG 2002 28ndash30 207ndash220 (bdquovolitionldquo)

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dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

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logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

142

41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

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Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

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(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

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BULTMANN R Das religioumlse Moment in der ethischen Unterweisung des Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 97ndash110 177ndash191

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KLAUCK H-J- Wettstein alt und neu Zur Neuausgabe eines Standardwerks Bibli-sche Zeitschrift 41 (1997) 89ndash95

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Page 17: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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goumlttliche Weltordnung51 Beim bdquoStrebenldquo (ὁρμή) handelt es sich um einen gaumlngigen Terminus fuumlr die menschlichen Antriebe also den Bereich der Willensbewegungen des θέλειν und βούλεσθαι (vgl sect99) die vom Logos geformt werden muumlssen52

Die folgenden kurzen Saumltze in sect8990 formulieren in aumlusserster Zuspitzung die Rhe-torik arbeitet mit provokanten Paradoxien Der Wille Gottes determiniert den Willen des Subjekts nicht nur vollumfaumlnglich sondern bestimmt auch seine Intentionalitaumlt ndash das Ich bdquowillldquo Peristasen wie Fieber Tod und Folter Die scheinbare Fremdbestim-mung wird schliesslich aufgefangen durch die Analogisierung mit Zeus selber (vgl sect82)53

Das Basisprinzip besteht also in der vollstaumlndigen Konvergenz des Willens des (menschlichen) Subjekts mit dem Willen Gottes eine Konvergenz die im Zeichen der wahren Freiheit steht Es reflektiert die traditionelle Figur des stoischen Determi-nismus der einerseits zwar die Willensfreiheit ganz im Geflecht der kosmischen Kau-salketten aufhebt andrerseits aber das Freiheitspathos steigert54 Offenkundig spiegelt Epiktet hier absichtsvoll zwei verschiedene Modi von Freiheit ineinander diejenige des Entscheidens (Freiheit als Immer-auch-anders-Koumlnnen) und diejenige des Wol-lens (die in der nachmaligen lateinischen Theologie bei Marius Victorinus und beson-ders bei Augustin zur Entfaltung der Willensmetaphysik gefuumlhrt hat)

Die Passage ist so stark von paradoxaler Rhetorik bestimmt dass man sie nicht vor-schnell mit fruumlhchristlichen Texten kontrastieren sollte Epiktet am naumlchsten steht die Szene in Getsemane wo Jesus Gottes Willen seinem eigenen vorordnet bdquoAbba

51 Das Verb προσκατατάσσειν das bei Epiktet nur in Diss IV 1 begegnet meint die Ein-

ordnung unter eine uumlbergeordnete Groumlsse (vgl unten sect9198) und beruumlhrt sich mit κατατάσσειν das in Ench 311 die Eusebeia das angemessene Verhalten gegenuumlber den Goumlttern beschreibt und mit bdquogehorchenldquo bdquosich fuumlgenldquo und bdquofreiwillig folgenldquo expli-ziert wird Besonders praumlgend ist das Sokrateswort in Platons Apologie 28e (τάξις) das Diss I 924 unter dem Einfluss von Leg 12945a (εἰς τάξιν κατατάξῃ) reformuliert wird bdquoGott hat uns einen bestimmten Platz und eine bestimmte Lebensform zugewiesen (κατατέταχεν) die wir nicht verlassen sollenldquo vgl III 14114 (εἰς τοιαύτην ὑπηρεσίαν κατατεταγμένος) II 139 I 134 (von einer uumlbergeordneten Stellung) Un-sere Formulierung in sect89ndash99 druumlckt mit dem zusaumltzlichen Compositum πρoς- auch noch jene dynamische Richtungsbestimmung aus die aus dem Praumltext des Kleanthes stammt (bdquofuumlhre mich [hellip] dahinldquo sect131) προσκατατάσσειν (LSJ 1516a bdquosubjoin append as-sign attachldquo) begegnet nur gelegentlich in der griechischen Literatur (Polyb III 201 [Re-den hinzufuumlgen] Philon Op 131 [Suumlsswasser der Erde zuweisen vgl 38] Cornut Nat deor 323 [Feuchtes in Aumlther uumlberfuumlhren] OGIS 5627 [hinzugefuumlgte Priester]) Vgl WILLMS 2011 I 489f

52 Zenon hat einen Traktat περὶ ὁρμῆς ἢ περὶ ἀνθρώπου φύσεως verfasst (Diog Laert 74 = SVF 1 41) vgl ferner POHLENZ 61991 II 52 77 80f Textintern sind die Bezuumlge der ὁρμή auf das θέλειν durch den voranstehenden wie den nachfolgenden Satz deutlich

53 Fuumlr diese Analogie bietet Diss II 1722ndash25 eine instruktive Parallele bdquoMit einem Wort Wolle nichts anderes als was Gott will Wer wird dich dann noch behindern wer dich zwingen Ebenso wenig wie (man) Zeus (zwingen kann) Wenn du einen solchen Fuumlhrer hast und mit ihm eines Willens und eines Wunsches bist was fuumlrchtest du dann noch an Fehlschlaumlgenldquo Epiktet raumlt auch hier dazu sich nicht zu binden an Reichtum Armut Ge-sundheit Ehre Vater Heimat Freunde und Kinder die alle nicht unserem Verfuumlgungs-bereich zugehoumlren

54 Zugespitzt bei BRAICOVICH 2010 der Epiktets handlungspsychologisches Freiheitsver-staumlndnis konsequent deterministisch deutet Zur allgemeinen Diskussion des stoischen Determinismus vgl STEINMETZ 1994 610ndash612 GUCKES 2004 12ndash17 im Zusammenhang mit Epiktet LONG 2002 220ndash222 (bdquothe autonomous person as someone who voluntarily complies with a predetermined situationldquo 222) sowie FORSCHNER oben S

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Vater alles ist dir moumlglich Lass diesen Kelch an mir voruumlbergehen Doch nicht was ich will sondern was du willstldquo (Mk 1436 vgl Mt 2639 Lk 2242)55 Die nur bei Mk vorkommende Allmachtsformel haumllt die ndash nicht realisierte ndash Moumlglichkeit offen dass Jesu eigener Wille dem Leiden zu entgehen sich verwirklichen liesse Der Vers der in der altkirchlichen Zweinaturenchristologie intensiv debattiert worden ist scheint es im Kontrast zu Epiktet bei einem sbquoproduktivenlsquo Gegenuumlber von zwei Wil-lensbewegungen zu belassen ndash eine Asymmetrie von erheblichem anthropologischem Gewicht Der Unterschied des Genre will freilich beachtet sein Waumlhrend Epiktet in einem argumentativen Text das Resultat einer geradezu lebenslaumlnglich vollzogenen Uumlbung (askesis) in praumlsentischen Paradoxien versprachlicht markiert die Getsemane-Erzaumlhlung der Evangelien eine Station auf dem Passionsweg Jesu der die vollstaumlndige Konvergenz der beiden Willensbewegungen narrativ zur Darstellung bringen wird Jesus ergibt sich als leidender Gerechter in den Gotteswillen bis zum Tod am Kreuz

Keine direkte Relevanz fuumlr die von uns hier diskutierte Thematik hat die Problemati-sierung der Einheit des menschlichen Willensbereichs56 Sowohl Epiktet (Diss II 1718f II 261 uouml) wie Paulus (Roumlm 715ndash19) sprechen vom inneren Zwiespalt des Menschen und orientieren sich dabei an einer in der Antike verbreiteten Figur die auf die Gestalt der euripideischen Medea zuruumlckfuumlhrt Die zugrunde liegenden anthropo-logischen Konzeptionen sind zwar denkbar verschieden Dem grundsaumltzlich monisti-schen Ansatz Epiktets steht der dualistische des Paulus gegenuumlber57 Es faumlllt aber auf dass beide das fuumlr die Medea-Rezeption traditionelle Schema des Gegensatzes von Erkennen und Trieb von Vernunft und Leidenschaft durch eine weit radikalere Deu-tung uumlberlagern Der Zwiespalt im Inneren ist uumlberhaupt nur retrospektiv durchschau-bar geworden erst das Ereignis der Befreiung laumlsst es zur Erkenntnis der Sklaverei kommen Dabei sprechen beide von der Unfreiheit gut traditionell als dem bdquoTun was ich nicht willldquo58

Freiheit wird praumlsentiert als Anerkennung dessen was ohnehin nicht zur Disposition steht und nicht anders sein kann als es der Fall ist Das klassische Bild der Stoiker

55 Die Uumlbersetzung biblischer Texte richtet sich meistens nach der Zuumlrcher Bibel 2007 56 Der optimistischen Anthropologie Epiktets laumlsst sich dann diejenige des Paulus gegen-

uumlberstellen die zwar nicht pessimistisch ist aber Suumlnde nicht im kognitiven Bereich son-dern im Willensbereich platziert vgl zB SCHNELLE 2009 156f

57 Zum Verhaumlltnis zwischen Epiktet und Roumlm 7 vgl HUTTUNEN 2005 ferner VOLLENWEIDER 1989 350ndash352

58 Vgl oben bei Anm 42 Das Versklavtsein wird bei Epiktet deswegen nicht so ausweglos wie bei Paulus wahrgenommen weil es wesentlich auf falschem Denken beruht

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stellt der an einen Wagen festgebundene Hund dar der entweder aus eigenen Stuumlcken mitgeht oder aber mitgeschleift wird59

33 Das Gleichnis von der sicheren Reisegesellschaft (sect91ndash98)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft changiert zwischen Bildrede und eigentlicher Rede Mit οὕτως (sect91) wird das Bild eingefuumlhrt ebenfalls mit οὕτως erfolgt der Wechsel zur Sachebene naumlmlich zur kosmischen Position des Verstaumlndigen (sect9298) dessen Selbstgespraumlch wieder auf der Bildebene spielt (sect92ndash97) Mit seinen Hinwei-sen auf hoch gestellte Personen besonders den Status des Freunds des Kaisers wird Bezug genommen auf fruumlhere Passagen (sect8ndash15 45ndash50) Das Selbstgespraumlch endet ironisch in einer Aporie ndash selbst in der Einoumlde gibt es keinen Schutz vor negativen Maumlchten (sect97) Erst der Anschluss an Gott ermoumlglicht eine sichere Reise Die Philo-sophie spielt hier ihre in hellenistischer und kaiserzeitlicher Zeit zentral gewordene Rolle als Ratgeber fuumlr den Umgang mit jederzeit drohenden Kontingenzen und ant-wortet auf ein Anliegen das auch die zeitgenoumlssischen Religionen das Christentum so gut wie Mysterienreligionen und magische Praktiken bearbeiten

Die traditionelle und uumlberaus reiche Metaphorik des Wegs deckt ein breites Spektrum ab Die hauptsaumlchliche Konnotation die auch bei Epiktet reichhaltig begegnet ist die-jenige des Zusammenhangs von Weg und Ziel So spricht unser Lehrgespraumlch sum-mierend vom Weg zur wahren Freiheit (sect131)60 Das Reisegleichnis in Diss II 2336ndash39 raumlt dazu Raststaumltten wieder zu verlassen um zur Heimatstadt zu gelangen (εἰς τὴν

πατρίδα ἐπανελθεῖν)61 Auch wo Gott (II 710f) oder der wahre Kyniker (III 2226) den rechten Weg weisen ist das Ziel im Blick62 Aumlhnlich steht es mit der christ-lichen Wegmetaphorik63 In unserem Zusammenhang geht es dagegen ausschliesslich um das sichere Reisen ndash in der Sprache heutiger Lebensratgeber der Weg ist das Ziel Fuumlr die Reisegemeinschaft mit Gott bietet II 1723 eine bemerkenswerte Parallele da hier neben der Konvergenz des Wollens auch die Analogie mit Zeus figuriert (sect22)64 Das Leben laumlsst sich generell mit einer Reise vergleichen65 III 139ndash11 stellt heraus dass nur die Philosophie nicht aber der Kaiser si-

59 Chrysipp () SVF 2 975 vgl POHLENZ 82010 I 106 STEINMETZ 1994 611f weiteres bei

VOLLENWEIDER 1989 75f 60 Vgl IV 439 vom Weg zur wahren εὔροια 61 Auch hier wird explizit der Bezug zur Freiheit hergestellt (sect42) verbunden mit dem bdquomit

ganzem Herzenldquo zu sprechenden Gebet des Kleanthes 62 Vgl ferner I 1618 II 216 II 123 III 263f IV 24 IV 659 IV 916 63 Vgl den Uumlberblick (auch zur Umwelt) von W MICHAELIS Art ὁδός κτλ ThWNT 5

(1954) 42ndash118 sowie die bei WILLMS 2012 II 709 genannte Literatur 64 Vgl oben Anm 53 65 Diss II 510 von der Seereise wo bdquoeiniges an mir liegt anderes aber nichtldquo vgl ferner II

1624 I 99 II 1737f in III 2493 wird die Abreise mit dem Sterben verglichen

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cheren Reiseschutz verleihen kann (vgl sect3) Es gibt durchaus neutestamentliches Vergleichsmaterial Die Nachfolge auf Jesu Weg wie ihn die Evangelien darstellen ist transparent fuumlr den Lebensweg der Christusglaumlubigen (Mk 827ndash1052 besonders 834) Dieser ist freilich auch wieder auf ein Ziel hin orientiert naumlmlich auf die Pas-sion und das Kreuz Epiktets goumlttlicher Reisegesellschaft am naumlchsten kommen wir mit der Topik des bdquoMitseinsldquo Jesu bzw Gottes mit den Glaubenden (Mt 2820 vgl 123 1820 Joh 1416f [vom Geist]) welche die gesamte biblische Tradition des Mit-gehens Gottes mit seinem Volk insbesondere waumlhrend der Wuumlstenwanderung sum-miert Obschon der Lebensweg die Stoiker in widrige Umstaumlnde und die Christen in das Martyrium fuumlhren mag gibt die Gemeinschaft mit Gott ultimative Sicherheit Der Vergleich fuumlhrt uns also wieder in den Bereich der Passionsgeschichte Waumlhrend fuumlr die Christen der Gottessohn und somit der in diesem praumlsente Gott selber den Weg des Leidens geht sieht sich der Stoiker gewiesen an Vorbilder die paradigmatisch das Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens vor Augen stellen zumal an Herakles und Sokrates Zwar ist auch ihr Gott im Kosmos gegenwaumlrtig aber da er das harmo-nisch gefuumlgte Ganze repraumlsentiert ist er den immer nur einzelne Teile betreffenden Turbulenzen nicht ausgesetzt

34 Das Gleichnis von der Festversammlung (sect99ndash110)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft endet in einem radikalen Ruumlckzug aus dem Bereich des Ungewissen der nicht einmal in der Einsamkeit der Einoumlde haltmacht sondern gleichsam in die Unweltlichkeit versetzt Dieser Reduktionsbewegung auf einen einzigen Punkt der mit Gott identifiziert wird kommt nun eine expandierende Bewegung entgegenzustehen die in die Weite des Kosmos und die universale Ge-meinschaft hinaus weist

Mit dem erneuten Ruumlckgriff auf das theologische Bekenntnis und das Prinzip von sect89 baut Epiktet sukzessive ein neues Gleichnis auf das sich mit kosmologischen Deu-tungen verbindet Im Fokus stehen nun die Willensbewegungen Gottes und sein ord-nendes Wirken im Kosmos Die Basisunterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoAnderemldquo wird theologisch akzentuiert Im Bereich des Eigenen figuriert die freie Selbstbestim-mung die Prohairesis66 der Bereich des Anderen wird der Gottheit und ihrem Wal-ten dem bdquoKreislauf des Allsldquo zugemessen (sect100) Koumlrper Besitz sowie Haus Kinder und Frau (vgl sect66f 87 107 111) Alles wovon sich der Verstaumlndige innerlich als

66 Zur Prohairesis vgl FORSCHNER in diesem Band S [[Typoskript S 5]] ferner STE-

PHENS 2007 16ndash25 (bdquoProhairesis as selfldquo) und die Diskussion von ENGBERG-PEDERSEN 2010 212ndash214 (bdquotrue human selfldquo) mit LONG 2002 28ndash30 207ndash220 (bdquovolitionldquo)

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dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

141

logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

142

41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

143

Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

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Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

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-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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166

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21995

Page 18: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

135

Vater alles ist dir moumlglich Lass diesen Kelch an mir voruumlbergehen Doch nicht was ich will sondern was du willstldquo (Mk 1436 vgl Mt 2639 Lk 2242)55 Die nur bei Mk vorkommende Allmachtsformel haumllt die ndash nicht realisierte ndash Moumlglichkeit offen dass Jesu eigener Wille dem Leiden zu entgehen sich verwirklichen liesse Der Vers der in der altkirchlichen Zweinaturenchristologie intensiv debattiert worden ist scheint es im Kontrast zu Epiktet bei einem sbquoproduktivenlsquo Gegenuumlber von zwei Wil-lensbewegungen zu belassen ndash eine Asymmetrie von erheblichem anthropologischem Gewicht Der Unterschied des Genre will freilich beachtet sein Waumlhrend Epiktet in einem argumentativen Text das Resultat einer geradezu lebenslaumlnglich vollzogenen Uumlbung (askesis) in praumlsentischen Paradoxien versprachlicht markiert die Getsemane-Erzaumlhlung der Evangelien eine Station auf dem Passionsweg Jesu der die vollstaumlndige Konvergenz der beiden Willensbewegungen narrativ zur Darstellung bringen wird Jesus ergibt sich als leidender Gerechter in den Gotteswillen bis zum Tod am Kreuz

Keine direkte Relevanz fuumlr die von uns hier diskutierte Thematik hat die Problemati-sierung der Einheit des menschlichen Willensbereichs56 Sowohl Epiktet (Diss II 1718f II 261 uouml) wie Paulus (Roumlm 715ndash19) sprechen vom inneren Zwiespalt des Menschen und orientieren sich dabei an einer in der Antike verbreiteten Figur die auf die Gestalt der euripideischen Medea zuruumlckfuumlhrt Die zugrunde liegenden anthropo-logischen Konzeptionen sind zwar denkbar verschieden Dem grundsaumltzlich monisti-schen Ansatz Epiktets steht der dualistische des Paulus gegenuumlber57 Es faumlllt aber auf dass beide das fuumlr die Medea-Rezeption traditionelle Schema des Gegensatzes von Erkennen und Trieb von Vernunft und Leidenschaft durch eine weit radikalere Deu-tung uumlberlagern Der Zwiespalt im Inneren ist uumlberhaupt nur retrospektiv durchschau-bar geworden erst das Ereignis der Befreiung laumlsst es zur Erkenntnis der Sklaverei kommen Dabei sprechen beide von der Unfreiheit gut traditionell als dem bdquoTun was ich nicht willldquo58

Freiheit wird praumlsentiert als Anerkennung dessen was ohnehin nicht zur Disposition steht und nicht anders sein kann als es der Fall ist Das klassische Bild der Stoiker

55 Die Uumlbersetzung biblischer Texte richtet sich meistens nach der Zuumlrcher Bibel 2007 56 Der optimistischen Anthropologie Epiktets laumlsst sich dann diejenige des Paulus gegen-

uumlberstellen die zwar nicht pessimistisch ist aber Suumlnde nicht im kognitiven Bereich son-dern im Willensbereich platziert vgl zB SCHNELLE 2009 156f

57 Zum Verhaumlltnis zwischen Epiktet und Roumlm 7 vgl HUTTUNEN 2005 ferner VOLLENWEIDER 1989 350ndash352

58 Vgl oben bei Anm 42 Das Versklavtsein wird bei Epiktet deswegen nicht so ausweglos wie bei Paulus wahrgenommen weil es wesentlich auf falschem Denken beruht

136

stellt der an einen Wagen festgebundene Hund dar der entweder aus eigenen Stuumlcken mitgeht oder aber mitgeschleift wird59

33 Das Gleichnis von der sicheren Reisegesellschaft (sect91ndash98)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft changiert zwischen Bildrede und eigentlicher Rede Mit οὕτως (sect91) wird das Bild eingefuumlhrt ebenfalls mit οὕτως erfolgt der Wechsel zur Sachebene naumlmlich zur kosmischen Position des Verstaumlndigen (sect9298) dessen Selbstgespraumlch wieder auf der Bildebene spielt (sect92ndash97) Mit seinen Hinwei-sen auf hoch gestellte Personen besonders den Status des Freunds des Kaisers wird Bezug genommen auf fruumlhere Passagen (sect8ndash15 45ndash50) Das Selbstgespraumlch endet ironisch in einer Aporie ndash selbst in der Einoumlde gibt es keinen Schutz vor negativen Maumlchten (sect97) Erst der Anschluss an Gott ermoumlglicht eine sichere Reise Die Philo-sophie spielt hier ihre in hellenistischer und kaiserzeitlicher Zeit zentral gewordene Rolle als Ratgeber fuumlr den Umgang mit jederzeit drohenden Kontingenzen und ant-wortet auf ein Anliegen das auch die zeitgenoumlssischen Religionen das Christentum so gut wie Mysterienreligionen und magische Praktiken bearbeiten

Die traditionelle und uumlberaus reiche Metaphorik des Wegs deckt ein breites Spektrum ab Die hauptsaumlchliche Konnotation die auch bei Epiktet reichhaltig begegnet ist die-jenige des Zusammenhangs von Weg und Ziel So spricht unser Lehrgespraumlch sum-mierend vom Weg zur wahren Freiheit (sect131)60 Das Reisegleichnis in Diss II 2336ndash39 raumlt dazu Raststaumltten wieder zu verlassen um zur Heimatstadt zu gelangen (εἰς τὴν

πατρίδα ἐπανελθεῖν)61 Auch wo Gott (II 710f) oder der wahre Kyniker (III 2226) den rechten Weg weisen ist das Ziel im Blick62 Aumlhnlich steht es mit der christ-lichen Wegmetaphorik63 In unserem Zusammenhang geht es dagegen ausschliesslich um das sichere Reisen ndash in der Sprache heutiger Lebensratgeber der Weg ist das Ziel Fuumlr die Reisegemeinschaft mit Gott bietet II 1723 eine bemerkenswerte Parallele da hier neben der Konvergenz des Wollens auch die Analogie mit Zeus figuriert (sect22)64 Das Leben laumlsst sich generell mit einer Reise vergleichen65 III 139ndash11 stellt heraus dass nur die Philosophie nicht aber der Kaiser si-

59 Chrysipp () SVF 2 975 vgl POHLENZ 82010 I 106 STEINMETZ 1994 611f weiteres bei

VOLLENWEIDER 1989 75f 60 Vgl IV 439 vom Weg zur wahren εὔροια 61 Auch hier wird explizit der Bezug zur Freiheit hergestellt (sect42) verbunden mit dem bdquomit

ganzem Herzenldquo zu sprechenden Gebet des Kleanthes 62 Vgl ferner I 1618 II 216 II 123 III 263f IV 24 IV 659 IV 916 63 Vgl den Uumlberblick (auch zur Umwelt) von W MICHAELIS Art ὁδός κτλ ThWNT 5

(1954) 42ndash118 sowie die bei WILLMS 2012 II 709 genannte Literatur 64 Vgl oben Anm 53 65 Diss II 510 von der Seereise wo bdquoeiniges an mir liegt anderes aber nichtldquo vgl ferner II

1624 I 99 II 1737f in III 2493 wird die Abreise mit dem Sterben verglichen

137

cheren Reiseschutz verleihen kann (vgl sect3) Es gibt durchaus neutestamentliches Vergleichsmaterial Die Nachfolge auf Jesu Weg wie ihn die Evangelien darstellen ist transparent fuumlr den Lebensweg der Christusglaumlubigen (Mk 827ndash1052 besonders 834) Dieser ist freilich auch wieder auf ein Ziel hin orientiert naumlmlich auf die Pas-sion und das Kreuz Epiktets goumlttlicher Reisegesellschaft am naumlchsten kommen wir mit der Topik des bdquoMitseinsldquo Jesu bzw Gottes mit den Glaubenden (Mt 2820 vgl 123 1820 Joh 1416f [vom Geist]) welche die gesamte biblische Tradition des Mit-gehens Gottes mit seinem Volk insbesondere waumlhrend der Wuumlstenwanderung sum-miert Obschon der Lebensweg die Stoiker in widrige Umstaumlnde und die Christen in das Martyrium fuumlhren mag gibt die Gemeinschaft mit Gott ultimative Sicherheit Der Vergleich fuumlhrt uns also wieder in den Bereich der Passionsgeschichte Waumlhrend fuumlr die Christen der Gottessohn und somit der in diesem praumlsente Gott selber den Weg des Leidens geht sieht sich der Stoiker gewiesen an Vorbilder die paradigmatisch das Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens vor Augen stellen zumal an Herakles und Sokrates Zwar ist auch ihr Gott im Kosmos gegenwaumlrtig aber da er das harmo-nisch gefuumlgte Ganze repraumlsentiert ist er den immer nur einzelne Teile betreffenden Turbulenzen nicht ausgesetzt

34 Das Gleichnis von der Festversammlung (sect99ndash110)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft endet in einem radikalen Ruumlckzug aus dem Bereich des Ungewissen der nicht einmal in der Einsamkeit der Einoumlde haltmacht sondern gleichsam in die Unweltlichkeit versetzt Dieser Reduktionsbewegung auf einen einzigen Punkt der mit Gott identifiziert wird kommt nun eine expandierende Bewegung entgegenzustehen die in die Weite des Kosmos und die universale Ge-meinschaft hinaus weist

Mit dem erneuten Ruumlckgriff auf das theologische Bekenntnis und das Prinzip von sect89 baut Epiktet sukzessive ein neues Gleichnis auf das sich mit kosmologischen Deu-tungen verbindet Im Fokus stehen nun die Willensbewegungen Gottes und sein ord-nendes Wirken im Kosmos Die Basisunterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoAnderemldquo wird theologisch akzentuiert Im Bereich des Eigenen figuriert die freie Selbstbestim-mung die Prohairesis66 der Bereich des Anderen wird der Gottheit und ihrem Wal-ten dem bdquoKreislauf des Allsldquo zugemessen (sect100) Koumlrper Besitz sowie Haus Kinder und Frau (vgl sect66f 87 107 111) Alles wovon sich der Verstaumlndige innerlich als

66 Zur Prohairesis vgl FORSCHNER in diesem Band S [[Typoskript S 5]] ferner STE-

PHENS 2007 16ndash25 (bdquoProhairesis as selfldquo) und die Diskussion von ENGBERG-PEDERSEN 2010 212ndash214 (bdquotrue human selfldquo) mit LONG 2002 28ndash30 207ndash220 (bdquovolitionldquo)

138

dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

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logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

142

41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

143

Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

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bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

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Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

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-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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WALTER N Zur Chronik des Corpus Hellenisticum von den Anfaumlngen bis 195558 in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenis-ticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 325ndash344

WEBER R Die Distanz im Verhaumlltnis zur Welt bei Epiktet Jesus und Paulus in B KOLLMANN ua (Hg) Antikes Judentum und fruumlhes Christentum FS H Stege-mann Berlin ua 1998 327ndash349

WEHNER B Die Funktion der Dialogstruktur in Epiktets Diatriben (Philosophie der Antike 13) Stuttgart 2000

WENDLAND P Rez Th Zahn Der Stoiker Epiktet ThLZ 19 (1895) 493ndash495 WETTSTEIN JJ Novum Testamentum Graecum Amsterdam 175152 (= Graz 1962) WILLMS L Epiktets Diatribe Uumlber die Freiheit (41) Einleitung Uumlbersetzung Kom-

mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 19: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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stellt der an einen Wagen festgebundene Hund dar der entweder aus eigenen Stuumlcken mitgeht oder aber mitgeschleift wird59

33 Das Gleichnis von der sicheren Reisegesellschaft (sect91ndash98)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft changiert zwischen Bildrede und eigentlicher Rede Mit οὕτως (sect91) wird das Bild eingefuumlhrt ebenfalls mit οὕτως erfolgt der Wechsel zur Sachebene naumlmlich zur kosmischen Position des Verstaumlndigen (sect9298) dessen Selbstgespraumlch wieder auf der Bildebene spielt (sect92ndash97) Mit seinen Hinwei-sen auf hoch gestellte Personen besonders den Status des Freunds des Kaisers wird Bezug genommen auf fruumlhere Passagen (sect8ndash15 45ndash50) Das Selbstgespraumlch endet ironisch in einer Aporie ndash selbst in der Einoumlde gibt es keinen Schutz vor negativen Maumlchten (sect97) Erst der Anschluss an Gott ermoumlglicht eine sichere Reise Die Philo-sophie spielt hier ihre in hellenistischer und kaiserzeitlicher Zeit zentral gewordene Rolle als Ratgeber fuumlr den Umgang mit jederzeit drohenden Kontingenzen und ant-wortet auf ein Anliegen das auch die zeitgenoumlssischen Religionen das Christentum so gut wie Mysterienreligionen und magische Praktiken bearbeiten

Die traditionelle und uumlberaus reiche Metaphorik des Wegs deckt ein breites Spektrum ab Die hauptsaumlchliche Konnotation die auch bei Epiktet reichhaltig begegnet ist die-jenige des Zusammenhangs von Weg und Ziel So spricht unser Lehrgespraumlch sum-mierend vom Weg zur wahren Freiheit (sect131)60 Das Reisegleichnis in Diss II 2336ndash39 raumlt dazu Raststaumltten wieder zu verlassen um zur Heimatstadt zu gelangen (εἰς τὴν

πατρίδα ἐπανελθεῖν)61 Auch wo Gott (II 710f) oder der wahre Kyniker (III 2226) den rechten Weg weisen ist das Ziel im Blick62 Aumlhnlich steht es mit der christ-lichen Wegmetaphorik63 In unserem Zusammenhang geht es dagegen ausschliesslich um das sichere Reisen ndash in der Sprache heutiger Lebensratgeber der Weg ist das Ziel Fuumlr die Reisegemeinschaft mit Gott bietet II 1723 eine bemerkenswerte Parallele da hier neben der Konvergenz des Wollens auch die Analogie mit Zeus figuriert (sect22)64 Das Leben laumlsst sich generell mit einer Reise vergleichen65 III 139ndash11 stellt heraus dass nur die Philosophie nicht aber der Kaiser si-

59 Chrysipp () SVF 2 975 vgl POHLENZ 82010 I 106 STEINMETZ 1994 611f weiteres bei

VOLLENWEIDER 1989 75f 60 Vgl IV 439 vom Weg zur wahren εὔροια 61 Auch hier wird explizit der Bezug zur Freiheit hergestellt (sect42) verbunden mit dem bdquomit

ganzem Herzenldquo zu sprechenden Gebet des Kleanthes 62 Vgl ferner I 1618 II 216 II 123 III 263f IV 24 IV 659 IV 916 63 Vgl den Uumlberblick (auch zur Umwelt) von W MICHAELIS Art ὁδός κτλ ThWNT 5

(1954) 42ndash118 sowie die bei WILLMS 2012 II 709 genannte Literatur 64 Vgl oben Anm 53 65 Diss II 510 von der Seereise wo bdquoeiniges an mir liegt anderes aber nichtldquo vgl ferner II

1624 I 99 II 1737f in III 2493 wird die Abreise mit dem Sterben verglichen

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cheren Reiseschutz verleihen kann (vgl sect3) Es gibt durchaus neutestamentliches Vergleichsmaterial Die Nachfolge auf Jesu Weg wie ihn die Evangelien darstellen ist transparent fuumlr den Lebensweg der Christusglaumlubigen (Mk 827ndash1052 besonders 834) Dieser ist freilich auch wieder auf ein Ziel hin orientiert naumlmlich auf die Pas-sion und das Kreuz Epiktets goumlttlicher Reisegesellschaft am naumlchsten kommen wir mit der Topik des bdquoMitseinsldquo Jesu bzw Gottes mit den Glaubenden (Mt 2820 vgl 123 1820 Joh 1416f [vom Geist]) welche die gesamte biblische Tradition des Mit-gehens Gottes mit seinem Volk insbesondere waumlhrend der Wuumlstenwanderung sum-miert Obschon der Lebensweg die Stoiker in widrige Umstaumlnde und die Christen in das Martyrium fuumlhren mag gibt die Gemeinschaft mit Gott ultimative Sicherheit Der Vergleich fuumlhrt uns also wieder in den Bereich der Passionsgeschichte Waumlhrend fuumlr die Christen der Gottessohn und somit der in diesem praumlsente Gott selber den Weg des Leidens geht sieht sich der Stoiker gewiesen an Vorbilder die paradigmatisch das Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens vor Augen stellen zumal an Herakles und Sokrates Zwar ist auch ihr Gott im Kosmos gegenwaumlrtig aber da er das harmo-nisch gefuumlgte Ganze repraumlsentiert ist er den immer nur einzelne Teile betreffenden Turbulenzen nicht ausgesetzt

34 Das Gleichnis von der Festversammlung (sect99ndash110)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft endet in einem radikalen Ruumlckzug aus dem Bereich des Ungewissen der nicht einmal in der Einsamkeit der Einoumlde haltmacht sondern gleichsam in die Unweltlichkeit versetzt Dieser Reduktionsbewegung auf einen einzigen Punkt der mit Gott identifiziert wird kommt nun eine expandierende Bewegung entgegenzustehen die in die Weite des Kosmos und die universale Ge-meinschaft hinaus weist

Mit dem erneuten Ruumlckgriff auf das theologische Bekenntnis und das Prinzip von sect89 baut Epiktet sukzessive ein neues Gleichnis auf das sich mit kosmologischen Deu-tungen verbindet Im Fokus stehen nun die Willensbewegungen Gottes und sein ord-nendes Wirken im Kosmos Die Basisunterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoAnderemldquo wird theologisch akzentuiert Im Bereich des Eigenen figuriert die freie Selbstbestim-mung die Prohairesis66 der Bereich des Anderen wird der Gottheit und ihrem Wal-ten dem bdquoKreislauf des Allsldquo zugemessen (sect100) Koumlrper Besitz sowie Haus Kinder und Frau (vgl sect66f 87 107 111) Alles wovon sich der Verstaumlndige innerlich als

66 Zur Prohairesis vgl FORSCHNER in diesem Band S [[Typoskript S 5]] ferner STE-

PHENS 2007 16ndash25 (bdquoProhairesis as selfldquo) und die Diskussion von ENGBERG-PEDERSEN 2010 212ndash214 (bdquotrue human selfldquo) mit LONG 2002 28ndash30 207ndash220 (bdquovolitionldquo)

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dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

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logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

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41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

143

Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

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(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

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BULTMANN R Das religioumlse Moment in der ethischen Unterweisung des Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 97ndash110 177ndash191

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KLAUCK H-J- Wettstein alt und neu Zur Neuausgabe eines Standardwerks Bibli-sche Zeitschrift 41 (1997) 89ndash95

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Page 20: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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cheren Reiseschutz verleihen kann (vgl sect3) Es gibt durchaus neutestamentliches Vergleichsmaterial Die Nachfolge auf Jesu Weg wie ihn die Evangelien darstellen ist transparent fuumlr den Lebensweg der Christusglaumlubigen (Mk 827ndash1052 besonders 834) Dieser ist freilich auch wieder auf ein Ziel hin orientiert naumlmlich auf die Pas-sion und das Kreuz Epiktets goumlttlicher Reisegesellschaft am naumlchsten kommen wir mit der Topik des bdquoMitseinsldquo Jesu bzw Gottes mit den Glaubenden (Mt 2820 vgl 123 1820 Joh 1416f [vom Geist]) welche die gesamte biblische Tradition des Mit-gehens Gottes mit seinem Volk insbesondere waumlhrend der Wuumlstenwanderung sum-miert Obschon der Lebensweg die Stoiker in widrige Umstaumlnde und die Christen in das Martyrium fuumlhren mag gibt die Gemeinschaft mit Gott ultimative Sicherheit Der Vergleich fuumlhrt uns also wieder in den Bereich der Passionsgeschichte Waumlhrend fuumlr die Christen der Gottessohn und somit der in diesem praumlsente Gott selber den Weg des Leidens geht sieht sich der Stoiker gewiesen an Vorbilder die paradigmatisch das Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens vor Augen stellen zumal an Herakles und Sokrates Zwar ist auch ihr Gott im Kosmos gegenwaumlrtig aber da er das harmo-nisch gefuumlgte Ganze repraumlsentiert ist er den immer nur einzelne Teile betreffenden Turbulenzen nicht ausgesetzt

34 Das Gleichnis von der Festversammlung (sect99ndash110)

Das Gleichnis von der Reisegesellschaft endet in einem radikalen Ruumlckzug aus dem Bereich des Ungewissen der nicht einmal in der Einsamkeit der Einoumlde haltmacht sondern gleichsam in die Unweltlichkeit versetzt Dieser Reduktionsbewegung auf einen einzigen Punkt der mit Gott identifiziert wird kommt nun eine expandierende Bewegung entgegenzustehen die in die Weite des Kosmos und die universale Ge-meinschaft hinaus weist

Mit dem erneuten Ruumlckgriff auf das theologische Bekenntnis und das Prinzip von sect89 baut Epiktet sukzessive ein neues Gleichnis auf das sich mit kosmologischen Deu-tungen verbindet Im Fokus stehen nun die Willensbewegungen Gottes und sein ord-nendes Wirken im Kosmos Die Basisunterscheidung von bdquoEigenemldquo und bdquoAnderemldquo wird theologisch akzentuiert Im Bereich des Eigenen figuriert die freie Selbstbestim-mung die Prohairesis66 der Bereich des Anderen wird der Gottheit und ihrem Wal-ten dem bdquoKreislauf des Allsldquo zugemessen (sect100) Koumlrper Besitz sowie Haus Kinder und Frau (vgl sect66f 87 107 111) Alles wovon sich der Verstaumlndige innerlich als

66 Zur Prohairesis vgl FORSCHNER in diesem Band S [[Typoskript S 5]] ferner STE-

PHENS 2007 16ndash25 (bdquoProhairesis as selfldquo) und die Diskussion von ENGBERG-PEDERSEN 2010 212ndash214 (bdquotrue human selfldquo) mit LONG 2002 28ndash30 207ndash220 (bdquovolitionldquo)

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dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

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logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

142

41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

143

Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

MITCHELL (Hg) Antiquity and Humanity Essays on ancient Religion and Phi-losophy presented to Hans Dieter Betz Tuumlbingen 2001 385ndash412

B LANG Jesus der Hund Leben und Lehre eines juumldischen Kynikers Beckrsquosche Reihe 1957 Muumlnchen 2010

BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

BONHOumlFFER A Die Ethik des Stoikers Epiktet Stuttgart 1894 (= 1968) BONHOumlFFER A Epictet und die Stoa Untersuchungen zur stoischen Philosophie

Stuttgart 1890 (= 1968) BONHOumlFFER A Epiktet und das Neue Testament (RVV 10) Giessen 1911 (= Berlin

1964) BONHOumlFFER A Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 281ndash292 BOTER G The Encheiridion of Epictetus and its three Christian Adaptations Trans-

mission and critical Editions (PhA 82) Leiden ua 1999 BRAICOVICH RS Freedom and Determinism in Epictetusrsquo Discourses CQ 60 (2010)

202ndash220 BRAUN H Die Indifferenz gegenuumlber der Welt bei Paulus und bei Epiktet in Ge-

sammelte Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt Tuumlbingen 31971 159ndash167 343f

BULTMANN R Das religioumlse Moment in der ethischen Unterweisung des Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 97ndash110 177ndash191

BULTMANN R Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen Zuumlrich 1949 41976

CAPELLE W Rez Bonhoumlffer Epiktet und das NT ThLZ 38 (1913) 161ndash165 CASSANMAGNAGO C REALE G (Hg) Epitteto Tutte le opere Testo greco a fronte

Mailand 2009 CIZEK E Epictegravete et lrsquoheacuteritage stoiumlcien Studii Clasice 17 (1975) 71ndash87

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COLARDEAU Th Etude sur Epictegravete Paris 1903 DE LACY Ph The Logical Structure of the Ethics of Epictetus CP 38 (1943) 112ndash

125 DOBBIN RF Epictetus Discourses Book I Oxford 1998 EBNER M Kynische Jesusinterpretation ndash bdquodisciplinated exaggerationldquo Eine An-

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Page 21: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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dem Bereich des Fremden getrennt hat kommt ihm nun wieder zu ndash im Modus der Gabe67 Die geradezu schoumlpfungstheologischen Fragen von sect102 stellen heraus dass alles guumltige Gabe des Gottes ist68 ndash freilich gegeben nur auf Zeit

Epiktet arbeitet gern mit der Metaphorik der staumldtischen Goumltterfeste bzw der Schau der kosmischen Phaumlnomene69 Ihr gesellt sich das gleichfalls traditionelle auf Pytha-goras zuruumlckgehende Bild des Jahrmarkts der verschiedene Rollenangebote bereit-haumllt zur Seite den Philosophen ist das schlichte Schauen die theoria zugedacht (II 1423ndash29)70

Das Bild vom Kosmos als einem praumlchtigen Fest mit Versammlung und Umzug (πανήγυρις πομπή) das zur Schau einlaumldt und alles feierlich zu einem Ganzen zusammenfuumlgt (bdquodie gegenseitige Verbindung und Gemeinschaftldquo sect102) bringt am pointiertesten das theologische Fundament des epiktetischen Freiheitsverstaumlndnisses zum Ausdruck Die Welt ist die vollkommene Repraumlsentation der den Kosmos durch-waltenden Gottheit Ihre Schau ruft nach Verehrung und Dankbarkeit nach Anbetung und Lobpreis (sect105f)71 In seinem Lehrgespraumlch uumlber die bdquoPronoialdquo deutet Epiktet sein eigenes Amt als das Singen von Gotteshymnen72

bdquoDenn was kann ich ein hinkender alter Mann sonst noch ausser Gott zu prei-sen Wenn ich eine Nachtigall waumlre wuumlrde ich wie eine Nachtigall und wenn ich ein Schwan waumlre wie ein Schwan singen Nun bin ich aber ein vernunftbe-gabter Mensch Also muss ich Gott preisen Das ist meine Aufgabe Ich erfuumllle sie und werde meinen Posten nicht verlassen so lange es mir gegeben ist und ich fordere euch auf mit einzustimmenldquo

Mit dem Hinweis auf den zugewiesenen Posten (τάξις) und die Befristung (bdquoso lange es gegeben istldquo) schiebt sich freilich bei Epiktet notorisch die Situation des Abschied-nehmens in den Vordergrund wie auch in unserer Passage (IV 1101104ndash110)73 Die Konvergenz des goumlttlichen und des menschlichen Wollens kulminiert im guten be-

67 Zur Semantik des Gebens vgl WILLMS 2011 I 528ndash532 68 Es ist nicht ganz klar ob bdquomein Vaterldquo in sect102 der dem Sprechenden all bdquodasldquo gegeben

hat den irdischen oder den goumlttlichen Vater meint Zwar spricht Epiktet von Gott gern als Vater (Diss I 3 III 115 uouml) Da aber in sect102 von bdquomeinem Vaterldquo mehrfach ein τίς dh der Schoumlpfer unterschieden wird ist eher an den irdischen zu denken (wie in sect8 vgl sect43) anders WILLMS 2011 I 534f

69 Vgl zum Hintergrund RAUSCH 1982 und das Material bei VOLLENWEIDER 1989 37ndash39 Es faumlllt auf dass Epiktet das Teilhaben am kosmischen Fest meist assoziiert mit der Not-wendigkeit auch heiter Abschied nehmen zu koumlnnen (neben unserer Passage vgl III 510 II 1632f III 1314ndash16)

70 Ihren klassischen literarischen Niederschlag hat die Festmetaphorik gefunden im Schluss-teil von Plutarchs De tranquillitate animi (20 477CndashF) angereichert mit platonischer Ab-bildtheorie und Mysterienterminologie

71 Vgl Diss I 619ndash21 (Uumlber die Vorsehung) III 2630 72 Diss I 1620f Uumlbs NICKEL 73 Zu erinnern ist an den feierlichen Schluss von Mark Aurels Selbstgespraumlch bdquoGeh nun

heiter weg denn auch der der dich entlaumlsst ist heiter (ἵλεως)ldquo (XII 364)

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friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

140

in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

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logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

142

41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

143

Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

MITCHELL (Hg) Antiquity and Humanity Essays on ancient Religion and Phi-losophy presented to Hans Dieter Betz Tuumlbingen 2001 385ndash412

B LANG Jesus der Hund Leben und Lehre eines juumldischen Kynikers Beckrsquosche Reihe 1957 Muumlnchen 2010

BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

BONHOumlFFER A Die Ethik des Stoikers Epiktet Stuttgart 1894 (= 1968) BONHOumlFFER A Epictet und die Stoa Untersuchungen zur stoischen Philosophie

Stuttgart 1890 (= 1968) BONHOumlFFER A Epiktet und das Neue Testament (RVV 10) Giessen 1911 (= Berlin

1964) BONHOumlFFER A Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 281ndash292 BOTER G The Encheiridion of Epictetus and its three Christian Adaptations Trans-

mission and critical Editions (PhA 82) Leiden ua 1999 BRAICOVICH RS Freedom and Determinism in Epictetusrsquo Discourses CQ 60 (2010)

202ndash220 BRAUN H Die Indifferenz gegenuumlber der Welt bei Paulus und bei Epiktet in Ge-

sammelte Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt Tuumlbingen 31971 159ndash167 343f

BULTMANN R Das religioumlse Moment in der ethischen Unterweisung des Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 97ndash110 177ndash191

BULTMANN R Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen Zuumlrich 1949 41976

CAPELLE W Rez Bonhoumlffer Epiktet und das NT ThLZ 38 (1913) 161ndash165 CASSANMAGNAGO C REALE G (Hg) Epitteto Tutte le opere Testo greco a fronte

Mailand 2009 CIZEK E Epictegravete et lrsquoheacuteritage stoiumlcien Studii Clasice 17 (1975) 71ndash87

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COLARDEAU Th Etude sur Epictegravete Paris 1903 DE LACY Ph The Logical Structure of the Ethics of Epictetus CP 38 (1943) 112ndash

125 DOBBIN RF Epictetus Discourses Book I Oxford 1998 EBNER M Kynische Jesusinterpretation ndash bdquodisciplinated exaggerationldquo Eine An-

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Page 22: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

139

friedeten Abschiednehmen-Koumlnnen vom festlich bewegten Kosmos Sogar das goumlttli-che Geben steht im Zeichen des Entzugs Erst wer sich auch in diese Bewegung des Abschiednehmens einzufuumlgen weiss ist vom Tadeln und Hadern zum Loben und Prei-sen von der Theomachie zur Froumlmmigkeit gelangt Entscheidend ist auch hier das Gewahrwerden der bdquoeigenen Kraumlfteldquo also des Bereichs des Eigenen (sect109) In einem Zwischengedanken deutet Epiktet auch die Tugenden die dem Denkvermoumlgen und der Prohairesis zugeordnet sind als gute Gottesgaben ndash Grossmut vornehme Gesin-nung Tapferkeit und die Freiheit selber (vgl sect103)

Mit sect110 wendet der Sprecher den Blick wieder zu denjenigen Gaben die dem Be-reich des Anderen der festlich bewegten Welt zugehoumlren Die Befristung gilt dem gelassenen Umgang mit den aumlusseren Guumltern man soll sich nicht an sie haumlngen

Wir wenden uns dem Neuen Testament zu Bilder von der Welt reichen von der ge-ruhsamen agrarischen Welt Galilaumlas in den Jesusgleichnissen uumlber das schoumlpfungs-theologische Christuslob des Kolosserbriefs (115ndash20) bis zu den katastrophischen Imaginationen der Johannesapokalypse Es empfiehlt sich Vergleiche mit urchristli-cher Literatur strikt auf bestimmte metaphorische Signaturen zu beschraumlnken Zum einen ist an die Festmetaphern des Neuen Testaments zu erinnern die allerdings nicht explizit vom Freiheitsthema beruumlhrt sind In ihnen geht es um das kommende Gottes-reich das im Bild des Festmahls oder Hochzeitsfests verbildlicht wird74 Selbstver-staumlndlich sind bei Juden und Christen nicht die oumlffentlichen staumldtischen Feste mit ihren kultischen Performationen im Blick sondern private Feiern die im Fall des christli-chen Abendmahls rituelle Gestalt annehmen Die Metaphorik des Festmahls zielt da-bei nicht nur auf die Zukunft In der Mahlgemeinschaft nehmen die Jesusanhaumlnger das Kommende schon ein gutes Stuumlck weit vorweg Beziehen sie sich damit auf die nahe Zukunft ndash die zugleich das Ende der Welt mit sich bringt ndash so antizipiert der Philosoph das Abschiednehmen im Sterben bereits hier und jetzt in der Uumlbung des bdquoLassensldquo des sich Freimachens von den Relationen die nicht im eigenen Kompe-tenzbereich liegen So steht die christliche Erwartung des Kommenden der stoischen Vorwegnahme des Vergehens gegenuumlber

Eigens verwiesen sei auf die endzeitliche bdquoFestversammlungldquo (πανήγυρις) von Hebr 1222f zu der die Glaubenden bereits in der Gegenwart bdquohinzugetretenldquo sind Sie hat ihren Ort im himmlischen Jerusalem der Gottesstadt mit ihrer Buumlrgerliste gemeinschaftlich verbunden mit den Engelheeren Wahrscheinlich haben die Christen

74 Jesu Mahlgemeinschaft Mk 215f par (Zoumlllnermahl) Mt 1119 par (Jesus wird ein

Schlemmer und Zecher gescholten) Mt 811f par (Endzeitmahl vgl Jes 256) Lk 1413f

ndash Hochzeitsfest Mt 221ndash10 par (Gleichnis vom Hochzeitsmahl) 251ndash13 Mk 218ndash20 par Joh 21ndash11 329 Apk 199

140

in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

141

logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

142

41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

143

Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

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(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

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BULTMANN R Das religioumlse Moment in der ethischen Unterweisung des Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 97ndash110 177ndash191

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KLAUCK H-J- Wettstein alt und neu Zur Neuausgabe eines Standardwerks Bibli-sche Zeitschrift 41 (1997) 89ndash95

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Page 23: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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in ihren Gottesdiensten die Teilhabe an dieser himmlischen Wirklichkeit als schon teilweise gegenwaumlrtig gefeiert

Zum andern wenden wir uns den kosmologischen Aspekten der Freiheit zu die Paulus in der apokalyptischen Passage Roumlm 818ndash22 herausarbeitet Die Schoumlpfung erscheint im Bild einer Schwangeren die sich nach dem Offenbarwerden der Gotteskinder sehnt Brachte die verhaumlngnisvolle Wahlfreiheit des Urmenschen dh Adams (512ndash21) Tod und Leerlauf uumlber die Schoumlpfung so streckt sich diese nun seufzend aber von Hoffnung bewegt der endzeitlichen bdquoherrlichen Freiheit der Gotteskinderldquo ent-gegen um in Baumllde selber verwandelt zu werden Der Kontrast zu Epiktets feierlich bewegter Welt die sich den Freien erschliesst ist denkbar gross Hier wird der Kos-mos zum Ort der Epiphanie der Gottheit dort transformiert sich die Schoumlpfung im Umbruch der Aumlonen An dem Punkt wo Paulus die Hoffnung und damit die nahe zukuumlnftige Vollendung situiert steht bei Epiktet das heitere Abschiednehmen die Antizipation des nahen Endes Zugespitzt formuliert Steht die Gegenwart bei Paulus im Zeichen der auf Zukunft hin offenen Hoffnung so steht sie bei Epiktet im Zeichen des dankenden Abschieds von dem was immer schon dazu bestimmt ist Vergangen-heit zu werden

Gleichwohl sollte das beide Freiheitsverkuumlndiger Verbindende nicht uumlbersehen wer-den Freiheit hat einen Ort im Weltganzen die menschliche Freiheit laumlsst sich gera-dezu als Resonanz auf den Kosmos bzw auf die Schoumlpfung deuten Damit markieren beide eine tiefe Antithese zum neuzeitlichen Verstaumlndnis von menschlicher Freiheit Dieses begreift Freiheit als Inbegriff der Subjektivitaumlt die der zum Objekt geworde-nen Welt gegenuumlbersteht mehr noch die sich dieser bemaumlchtigt um sie zum Gegen-stand ihres unumschraumlnkten Gestaltungswillens zu machen Die in juumlngerer Zeit sich ankuumlndigende globale oumlkologische Krise zeigt die Schattenseiten der subjektivisti-schen Engfuumlhrung des Freiheitsverstaumlndnisses

35 Beten mit den Worten des Kleanthes (sect131)

Das Lehrgespraumlch wendet sich mit sect111 der Aufforderung zum taumlglichen Einuumlben der ars bene vivendi (vgl sect170) der Applikation der gewonnenen Einsichten auf die Situation der Schuumller zu (sect111ndash177) In sect128ndash131 werden die Kerngedanken noch einmal summiert ndash das angemessene Verstaumlndnis der Freiheit als bdquoTun was man willldquo die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Zuordnung von Koumlrper und Be-sitz zum Bereich des Letzteren sect131 beschliesst diese Zusammenfassung mit feierli-chem Ton und zitiert nun explizit die ersten beiden Verse des Praumltexts der die theo-

141

logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

142

41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

143

Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

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-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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WALTER N Zur Chronik des Corpus Hellenisticum von den Anfaumlngen bis 195558 in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenis-ticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 325ndash344

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WEHNER B Die Funktion der Dialogstruktur in Epiktets Diatriben (Philosophie der Antike 13) Stuttgart 2000

WENDLAND P Rez Th Zahn Der Stoiker Epiktet ThLZ 19 (1895) 493ndash495 WETTSTEIN JJ Novum Testamentum Graecum Amsterdam 175152 (= Graz 1962) WILLMS L Epiktets Diatribe Uumlber die Freiheit (41) Einleitung Uumlbersetzung Kom-

mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 24: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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logische Passage von Anfang an gesteuert hat das Gebet des Kleanthes75

bdquoDieser Weg fuumlhrt zur Freiheit er ist die einzige Befreiung von der Sklaverei einmal aus ganzer Seele dies sagen zu koumlnnen Fuumlhre du mich Zeus und auch du Pepromene dahin wo es von euch fuumlr mich bestimmt istldquo

Epiktet nimmt an drei weiteren Stellen seiner Lehrgespraumlche Bezug auf die Verse des Kleanthes (II 2342 III 2295 IV 434)76 Durchweg wird der Text den Schuumllern als Reminder fuumlr jedwede Lebenssituation empfohlen Mit seiner Hilfe lernen sie den Weg zur Freiheit einzuuumlben

4 Vergleichende Perspektiven auf Epiktet und Paulus

Epiktets Diatriben laden nicht nur zu einem Vergleich mit den urchristlichen Texten die spaumlter im Neuen Testament zusammengestellt wurden im Allgemeinen ein son-dern speziell mit den Briefen des Apostels Paulus Unter allen Repraumlsentanten der Fruumlhgeschichte des Christentums ist uns dieser am besten bekannt nicht nur als histo-rische Persoumlnlichkeit sondern auch als profilierter Theologe und erfolgreicher Lehrer Aus diesem Grund konzentrieren sich die meisten komparatistischen Studien auf diese beiden markanten und originellen Gestalten aus der fruumlhen Kaiserzeit auf ihr Denken und ihr Selbstverstaumlndnis ihre Religiositaumlt und ihre Radikalitaumlt Im Folgenden neh-men wir einige Elemente der Freiheitsdiatribe zum Anlass die beiden herausragenden Repraumlsentanten der neustoischen Philosophie einerseits und des Urchristentums and-rerseits in ein Gespraumlch zu verwickeln Dabei sehen wir von einem Systemvergleich ab und begnuumlgen uns mit einigen Perspektiven die sich aufgrund von Diss IV 1 na-helegen77 Der Ausgangspunkt bei Epiktet-Texten hat die Konsequenz dass sich be-stimmte paulinische Denkfiguren perspektivische Verzerrungen gefallen lassen muumls-sen ndash der Verfremdungseffekt offeriert umgekehrt den Vorteil gut Bekanntes noch einmal anders wahrnehmen zu koumlnnen

75 Zum Stellenwert des Kleanthesgebets (SVF 1 527) im Werk Epiktets vgl NESTLE 1967

132f WEHNER 2000 118ndash123 und besonders WILLMS 2012 II 710ndash717 (mit breiter Dis-kussion der Frage ob das Sprechen des Gebets das Zeichen der Freiheit oder aber der Weg zu ihr sei [so WEHNER 121 Anm 128]) Die vollstaumlndigere Fassung bietet erst Ench 53 hier als staumlndig griffbereite sbquoeiserne Rationlsquo am Ende (531 der lateinische Text findet sich bei Sen ep 10711) Das Gebet muss klar unterschieden werden vom grossen Zeus-hymnus desselben Verfassers (s dazu unten Anm 111)

76 Vgl oben S 77 Nicht beruumlcksichtigt wird etwa die Analogie zwischen Epiktets Portraumltierung des wahren

Kynikers als gottgesandtem Boten (III 2246f dazu BILLERBECK 1978) und Paulusrsquo Selbstverstaumlndnis als Apostel Jesu Christi die beide auf die Ehe verzichten den Koumlrper in ihrem Dienst verzehren und von Widrigkeiten (sbquoPeristasenrsquo) heimgesucht werden

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41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

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Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

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zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

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bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

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Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

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Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

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die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

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wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

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Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

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B LANG Jesus der Hund Leben und Lehre eines juumldischen Kynikers Beckrsquosche Reihe 1957 Muumlnchen 2010

BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

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BULTMANN R Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen Zuumlrich 1949 41976

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KAMLAH Der Ruf des Steuermanns Die religioumlse Verlegenheit dieser Zeit und die Philosophie Stuttgart 1954

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KLAUCK H-J Dankbar leben dankbar sterben Εὐχαριστεῖν bei Epiktet in ders Gemeinde Amt Sakrament Neutestamentliche Perspektiven Wuumlrzburg 1989 373ndash390

KLAUCK H-J Die religioumlse Umwelt des Urchristentums Bd II (Herrscher- und Kai-serkult Philosophie Gnosis) (KStTh 92) Stuttgart 1996

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STRECKER G SCHNELLE U (Hg) Neuer Wettstein Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus Berlin ua

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VOLLENWEIDER S Freiheit als neue Schoumlpfung Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt (FRLANT 147) Goumlttingen 1989

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WEHNER B Die Funktion der Dialogstruktur in Epiktets Diatriben (Philosophie der Antike 13) Stuttgart 2000

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mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 25: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

142

41 Eine elementare Unterscheidung

1 Epiktet fordert in unserer Freiheitsunterredung zu einer elementaren Unterschei-dung auf der in theologischer Sprachregelung geradezu ein sbquosoteriologischerlsquo Rang zukommt die Unterscheidung zwischen bdquoEigenemldquo und bdquoFremdemldquo78 Ihr Stellen-wert wird durch die Identifikation mit dem Gesetz Gottes bzw des Zeus unterstri-chen79

bdquoWorin besteht das goumlttliche Gesetz Das Eigene wahren sich ums Fremde nicht abmuumlhen (τὰ ἴδια τηρεῖν τῶν ἀλλοτρίων μὴ ἀντιποιεῖσθαι) sondern die-ses als Gegebenes zu gebrauchen als nicht Gegebenes aber nicht zu erstreben und wenn etwas weggenommen wird es gelassen und umgehend zuruumlckzugeben und zwar sogleich im Dank fuumlr die Zeit solange es zum Gebrauch warldquo (II 1628)

Den Philosophen ist geradezu aufgetragen bdquoExegeten der goumlttlichen Gesetzeldquo zu wer-den ndash nicht derer der Gemeinwesen (IV 312)80

Die Diatribe III 24 uumlber das bdquoSich nicht in Mitleidenschaft Ziehen-lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo arbeitet die angemessene Haltung des Philosophen in vielen Aspekten heraus Diese zielt auf die Einfuumlgung in die umfassende kosmische Ordnung in der sich das Goumlttliche manifestiert (II 2410f) und kann geradezu als Kennzeichen der Froumlmmigkeit gelten Ihr Gegenteil ist die Theomachie der Wider-streit gegen die Goumltter (ebd 2124) die mit knechtischem und niedrigem Wesen ein-hergeht (ebd 42f) Wie in der Freiheitsdiatribe (IV 1154ndash158159ndash161) rangieren Sokrates und Diogenes als herausragende Repraumlsentanten dieser Froumlmmigkeit (III 2460ndash73) Insbesondere Diogenes verdichtet in seiner kosmopolitischen Existenz die Korrelation von Freiheit und Gehorsam gegenuumlber Gott und seinem Gesetz81 Die Unterredung laumlsst diese Einstellung in einem Gebetstext kulminieren der zugleich als Tag und Nacht zu bedenkender Uumlbungstext fuumlr Epiktets Schuumllerschaft fungiert (ebd 95ndash102)82

bdquoWillst du dass ich laumlnger da sei Ich will bleiben als ein Freier als ein Edler wie du es wolltest Du hast mich ja in meinem Bereich unuumlberwindlich gemacht Aber hast du mich jetzt nicht mehr noumltig So soll es gut sein Bis jetzt bin ich geblieben wegen dir nicht wegen eines anderen und jetzt gehe ich dir gehorsam weg sbquoWie gehst du weglsquo Wieder so wie du es wolltest als ein Freier als dein

78 Vgl oben bei Anm 46 79 So vor allem II 1627f III 111f (bdquowie durch das Gesetz verordnete Strafen fuumlr die die

sich der goumlttlichen Verwaltung widersetzenldquo) IV 733ndash35 Vgl in unserer Freiheitsdiat-ribe IV 1158f (Diogenes und Sokrates geben dem Gesetz houmlchste Prioritaumlt)

80 In I 135 werden die Gesetze der Toten kontrastiert mit den Gesetzen der Goumltter Zur No-mologie Epiktets und va zum Verhaumlltnis von goumlttlichem Gesetz und positivem Recht vgl WILLMS 2012 II 894ndash896

81 Auf das goumlttliche Gesetz rekurriert Epiktet auch in anderen aber verwandten Zusammen-haumlngen I 262 (das bdquoGesetz des Lebensldquo [νόμος βιωτικός] lautet das was der Natur entspricht tun [τὸ ἀκόλουθον τῇ φύσει πράττειν]) I 293f (bdquoWenn du etwas Gutes willst so nimm es von dir selberldquo) 13 (bdquoDas Staumlrkere soll dem Schwaumlcheren immer uumlber-legen seinldquo hier auf die Prohairesis bezogen) aumlhnlich III 176

82 Vgl dazu WEHNER 2000 116ndash118

143

Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

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Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

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Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

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Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

MITCHELL (Hg) Antiquity and Humanity Essays on ancient Religion and Phi-losophy presented to Hans Dieter Betz Tuumlbingen 2001 385ndash412

B LANG Jesus der Hund Leben und Lehre eines juumldischen Kynikers Beckrsquosche Reihe 1957 Muumlnchen 2010

BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

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Page 26: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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Diener als einer der deine Gebote und Verbote wahrgenommen hat Solange ich aber hier in deinem Bereich bin wie willst du mich [hellip] Ist mir ein Leben nach der Natur gegeben so verlange ich keinen anderen Ort als den wo ich bin und keine anderen Menschen als die unter denen ich binldquo

Der Aufruf zur Vergegenwaumlrtigung dieser elementaren Einsicht basiert auf einem kos-mologisch-theologischen Prinzip das im Ansatz narrativ entworfen ist Ein Fragment Epiktets bietet eine praumlgnante Zusammenfassung83

bdquoVon allem was existiert hat Gott einen Teil in unsere Verfuumlgungsgewalt gege-ben den anderen Teil nicht In unserer Macht steht das Schoumlnste und Wichtigste wodurch Gott selbst gluumlcklich ist der Gebrauch unserer Eindruumlcke und Vorstel-lungen Denn wenn diese Moumlglichkeit richtig genutzt wird bedeutet dies Frei-heit Gluumlck Heiterkeit Wuumlrde aber auch Recht Gesetz Selbstbeherrschung und Tuumlchtigkeit in jeder Form Alles andere aber hat Gott nicht in unsere Macht ge-geben Daher ist es notwendig dass wir in Uumlbereinstimmung mit Gott gelangen und uns indem wir die Dinge dementsprechend unterscheiden auf jede nur er-denkliche Weise um die Dinge kuumlmmern die in unserer Macht stehen die Dinge aber die nicht in unserer Macht stehen dem Kosmos uumlberlassen und freudig uumlbergeben ob er nun unsere Kinder unsere Heimat unseren Koumlrper oder sonst etwas von uns fordertldquo

Das Fragment summiert eine Denkfigur die in Diss I 1 breiter ausgefuumlhrt wird84 und fuumlr den Redaktor Arrian mit gutem Grund programmatischen Stellenwert besitzt85 Ein im Ansatz mythisches Szenario wird entworfen Die Goumltter unter ihnen nament-lich Zeus der selber das Wort an Epiktet richtet geben den Menschen ein Stuumlck von sich selber bdquodas Staumlrkste und alles Beherrschendeldquo naumlmlich den bdquorichtigen Gebrauch der Vorstellungen und Eindruumlckeldquo Goumlttliche Macht stoumlsst aber an ihre Grenzen der Bereich des Aumlusseren bdquodas bisschen Koumlrper und Besitzldquo abschaumltzig als raffiniert ver-mengter Lehm bezeichnet86 zaumlhlt nicht zum Bereich dessen was in eigener Macht steht87 Epiktet betont in anderen Zusammenhaumlngen dass Gott auch in diesem Bereich

83 Epiktet Frg 4 (uumlbs NICKEL 1987) Dieses bei Stob Ecl II 830 erhaltene Stuumlck aus der

nicht erhaltenen Schrift bdquoUumlber die Freundschaftldquo soll laut dem Anthologisten ein Stuumlck von Musonius (Frg 39 HENSE) dem Lehrer Epiktets wiedergeben (dasselbe gilt auch

von Frg 5ndash8) ndash eine Quellenangabe die angesichts der spezifisch epiktetischen Konzep-tion starkem Zweifel unterliegt (vgl auch LONG 2002 34 Anm 11)

84 Diss I 17ndash13 Zur fiktiven Ansprache von Zeus vgl WEHNER 2000 127f 85 Zur uumlberlegten Komposition Arrians im ersten Buch vgl DE LACY 1943 86 Der bdquoLehmldquo (πηλός vgl dazu auch WILLMS 2011 I 401f 518) haftet an der Menschen-

schoumlpfung durch Prometheus (vgl Kallim Frg 1923 Luk Prom es 2 Philostr Gymn 16 Aumlsop Sent 27 P) man sollte also nicht bdquoKotldquo uumlbersetzen (so CAPELLE 1948 79 NICKEL 1978 60) Zugleich nimmt Epiktet Bezug auf die Menschenschoumlpfung des Timaios (4142)

87 Der Lehmkoumlrper die Fremdbestimmung und die Grenzen goumlttlicher Macht sind uns auch in Diss IV 1100 begegnet

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

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KLAUCK H-J Dankbar leben dankbar sterben Εὐχαριστεῖν bei Epiktet in ders Gemeinde Amt Sakrament Neutestamentliche Perspektiven Wuumlrzburg 1989 373ndash390

KLAUCK H-J Die religioumlse Umwelt des Urchristentums Bd II (Herrscher- und Kai-serkult Philosophie Gnosis) (KStTh 92) Stuttgart 1996

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STRECKER G SCHNELLE U (Hg) Neuer Wettstein Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus Berlin ua

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166

VOLLENWEIDER S Der Geist Gottes als Selbst der Glaubenden Uumlberlegungen zu einem ontologischen Problem in der paulinischen Anthropologie in Ders Ho-rizonte neutestamentlicher Christologie (WUNT 144) Tuumlbingen 2002 163ndash192

VOLLENWEIDER S Freiheit als neue Schoumlpfung Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt (FRLANT 147) Goumlttingen 1989

WALTER N Zur Chronik des Corpus Hellenisticum von den Anfaumlngen bis 195558 in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenis-ticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 325ndash344

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WEHNER B Die Funktion der Dialogstruktur in Epiktets Diatriben (Philosophie der Antike 13) Stuttgart 2000

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mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 27: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

144

zur Wirkung kommt als schicksalsmaumlchtiger Geber einer Gabe die allerdings nur auf Zeit gewaumlhrt wird88 Insgesamt bestaumltigt sich was wir schon in der Freiheitsdiatribe festgestellt haben Wenn der Mensch die elementare Unterscheidung zwischen bdquoEi-genemldquo und bdquoFremdemldquo vollzieht und damit die ihm geschenkte Freiheit aktualisiert steht er in einem doppelten Gottesbezug Im bdquoEigenenldquo hat er Teil an der Selbstmaumlch-tigkeit Gottes im bdquoFremdenldquo steht er dann in Resonanz mit Gott wenn er sich ruumlck-haltlos dem kosmischen Walten des Schicksals anheimstellt

2 Wir wenden uns Paulus zu Auch er proklamiert eine fundamentale soteriolo-gisch relevante Unterscheidung naumlmlich diejenige zwischen Gott und Mensch Ihren praumlgnantesten Ausdruck findet diese Unterscheidung in der Uumlberzeugung dass Gott den Menschen allein aufgrund seines Glaubens gerecht spricht Es geht also um die paulinische Rechtfertigungslehre89 die in der propositio des Roumlmerbriefs program-matisch vorgetragen wird (Roumlm 116f)

bdquoDenn ich schaumlme mich des Evangeliums nicht eine Kraft Gottes ist es zur Ret-tung fuumlr jeden der glaubt fuumlr die Juden zuerst und auch fuumlr die Griechen Gottes Gerechtigkeit naumlmlich wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben wie ge-schrieben steht sbquoDer aus Glauben Gerechte aber wird lebenlsquo (Hab 24)ldquo90

Paulus bestimmt den Glauben als Antwort auf die Gotteskraft (δύναμις θεοῦ) die das Evangelium ausmacht Im Glauben partizipieren die Menschen an der Macht Got-tes die in Tod und Auferstehung Christi wirksam ist Mit dieser Resonanz auf das goumlttliche Wirken verbindet sich die Absage an das Prinzip Gerechtigkeit durch das Tun von Gesetzeswerken zu erlangen (Roumlm 328)

bdquoWir halten fest Gerecht wird ein Mensch durch den Glauben unabhaumlngig von den Taten die das Gesetz fordertldquo

Auf diesem Weg gelangt Paulus zur Unterscheidung zweier Gerechtigkeiten einer bdquoeigenenldquo die auf der Basis des Gesetzes zustande kommt und einer goumlttlichen die auf der Basis des Christusglaubens gegeben wird (Roumlm 103ndash8 Phil 39) Auch dort wo der Apostel nicht in den Figuren von Gerechtigkeit und Rechtfertigung argumen-tiert stellt er sein basales Prinzip alles Gott zuzuschreiben und menschliches Verhal-ten ausschliesslich als Responsion auf Gottes Wirken zu pointieren klar heraus So sagt er vom Evangelium (2Kor 47)

bdquoWir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefaumlssen damit die Uumlberfuumllle der Kraft

Gott gehoumlrt und nicht von uns stammt (ἵνα ἡ ὑπερβολὴ τῆς δυνάμεως ᾖ

τοῦ θεοῦ καὶ μὴ ἐξ ἡμῶν)ldquo

Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch wird zugespitzt in den rhetorischen Fragen von 1Kor 47

88 Vgl unten bei Anm 97 89 Vgl dazu die Darstellung bei WOLTER 2011 342ndash350 90 Der Roumlmerbrief bestimmt in der anschliessenden Passage die Ursuumlnde als Verwechslung

von Schoumlpfer und Geschoumlpf und dementsprechend als Weigerung Gott die ihm gebuumlh-rende Ehre zu geben (118ndash23 vgl 323)

145

bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

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(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

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BULTMANN R Das religioumlse Moment in der ethischen Unterweisung des Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 97ndash110 177ndash191

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KLAUCK H-J- Wettstein alt und neu Zur Neuausgabe eines Standardwerks Bibli-sche Zeitschrift 41 (1997) 89ndash95

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Page 28: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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bdquoDenn wer gibt dir einen Vorzug Was aber hast du das du nicht empfangen haumlttest Wenn du es aber empfangen hast was ruumlhmst du dich als haumlttest du es nicht empfangenldquo

Die Haltung des Glaubens laumlsst sich als Gewissheit umschreiben Er besteht sowohl im Vertrauen auf Gottes Macht wie im Wissen darum dass Gott seine heilvolle Macht in Jesus Christus offenbart hat

3 Es liegt auf der Hand dass Epiktet und Paulus ihre fundamentalen Unterschei-dungen ndash Eigenes und Fremdes bei ersterem Mensch und Gott bei letzterem ndash in einer jeweils ganz anderen Konfiguration vollziehen Gleichwohl gibt es ein paar bemer-kenswerte Beruumlhrungen die zugleich die Differenzen deutlicher ins Licht ruumlcken Drei Momente sind besonders beachtenswert (1) Beide Denker fokussieren auf eine Unterscheidung zwischen einem menschlichen und einem goumlttlichen Bereich Bei Epiktet wird der Bereich eigener Kompetenz positiv gewuumlrdigt bei Paulus aber nega-tiv konnotiert (bdquoRuumlhmenldquo eigenen Tuns Festhalten an einer bdquoeigenen Gerechtigkeitldquo) Fuumlr Epiktet ist der Bereich des Eigenen ein Fenster fuumlr die Praumlsenz des auch den Kos-mos durchwaltenden Gottes fuumlr Paulus stellt er eine Sackgasse dar aus der nur ein im Bereich des bdquoFremdenldquo zum Zug kommendes goumlttliches Wirken befreien kann naumlmlich die Erloumlsung durch Christus (vgl Roumlm 724ndash82 Phil 37ndash11) Umgekehrt ist der Bereich des bdquoFremdenldquo bei Epiktet ambivalent konnotiert ndash er ist zwar goumlttlich durchwaltet fuumlhrt aber in die Versklavung ndash waumlhrend er bei Paulus ganz im Zeichen Christi und damit des endzeitlichen Lebens steht (2) Epiktets Basisuumlberzeugung ver-dankt sich zwar einer kognitiven Operation geht aber mit existentiellen Vollzuumlgen einher ndash sowohl auf der Ebene der emotionalen Orientierung wie auf derjenigen der praktischen Verhaltensregulierung Paulusrsquo Glaubensuumlberzeugung entspringt der um-fassenden Erfahrung einer religioumlsen Wirklichkeit ndash in seiner eigenen Sichtweise von bdquoGottes Gnadeldquo ndash verbindet sich aber mit dem bestimmten Wissen dass Gott in Jesus Christus handelt Die Basisuumlberzeugung dass Gott in Christus eine neue Schoumlpfung ins Sein ruft bestimmt die Identitaumlt der Christen als Glaubende (Gal 615 2Kor 514ndash17)91 Glaube meint zwar nicht einfach ein Fuumlrwahrhalten beinhaltet aber ein dezi-diert kognitives Element das sich im Lauf der Kirchengeschichte insbesondere in Be-kenntnisformulierungen niedergeschlagen hat (3) Epiktet und Paulus berufen sich fuumlr die Guumlltigkeit ihrer Uumlberzeugungen beide auf ein goumlttliches Zeugnis mehr noch auf Gottes Gesetz Bei Epiktet handelt es sich um eine praumlgnante Metapher die sich unmittelbar aus der stoischen Physik bzw Theologie herleitet Der goumlttliche Logos-

91 Zum Glauben als bdquoWirklichkeitsgewissheitldquo vgl WOLTER 2011 86ndash96

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

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die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

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-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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21995

Page 29: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

146

Nomos weist den Menschen in denjenigen Bereich ein wo er seine Freiheit kraft der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu aktualisieren hat Bei Paulus ist der Bezug auf das goumlttliche Gesetz komplexer da dieses weitgehend mit einem distinkten literarischen Corpus der (griechischen) Bibel insbesondere der Tora identifiziert wird Gerade der Roumlmer- und der Galaterbrief zeigen dass die von Christus her gedeutete Schrift die Rechtfertigungsbotschaft selber bezeugt92 Zu-gleich kann sich der Apostel aber auch auf das (ungeschriebene) Gesetz im Inneren der Menschen dh auch der Heiden berufen also einen von Haus aus stoischen Ge-danken aufgreifen (Roumlm 214ndash16 vgl V 28f) (4) Das paulinische Verstaumlndnis des Evangeliums situiert sich in einem praumlgnanten zeitlichen Schema bdquoAls sich aber die Zeit erfuumlllt hatte sandte Gott seinen Sohn hellipldquo (Gal 44) Die paulinische Theologie weist eine grundlegende narrative Dimension auf die das fruumlhjuumldisch-urchristliche Geschichtsverstaumlndnis insbesondere in seiner apokalyptischen Formation widerspie-gelt Paulus selber legt den Akzent auf das bdquoJetztldquo (vgl Roumlm 32126) in dem sich Gottes Verheissungen realisieren (vgl 2Kor 62) Das stoische Rahmenwerk inner-halb dessen sich Epiktet orientiert ist demgegenuumlber statisch und stabil konstruiert Immerhin erzeugt das mythologische Setting mit dessen Hilfe der Philosoph seine Basisunterscheidung theologisch begruumlndet ein narratives Element das den gegen-waumlrtigen Zustand auf eine urzeitliche Setzung durch Gott bzw Zeus zuruumlckfuumlhrt Haumllt man sich Epiktets eigentuumlmliche sbquopersoumlnliche Religionlsquo vor Augen wird man narra-tive Bezuumlge dieser Art nicht vorschnell auf unzeitliche physikalisch-kosmologische Gesetzmaumlssigkeiten hin sbquoentmythologisierenlsquo duumlrfen

42 Vom Selbst zur Welt

Die Basisuumlberzeugungen unserer beiden Denker lassen sich jeweils in einige interes-sante Richtungen hinaus extrapolieren

1 Wir konzentrieren uns zunaumlchst auf die epiktetische Festsetzung eines bdquoeigenenldquo Bereichs der unter keinerlei fremde Bestimmung faumlllt An diesem Ort beruumlhren sich Gott und Mensch das eigene wahre Selbst wird als Ausfluss oder Partikel Gottes identifiziert93 Der Identifikation von Gott und Selbst gesellen sich Figuren zur Seite die eher die dichte Relation zwischen beiden thematisieren So spricht Epiktet dem Selbst die Gotteskindschaft zu und erinnert dabei an die traditionelle Redeweise von

92 Vgl die programmatische Aussage Roumlm 321 bdquoJetzt aber ist unabhaumlngig vom Gesetz die

Gerechtigkeit Gottes erschienen ndash bezeugt durch das Gesetz und die Propheten ndash die Gerechtigkeit Gottes die durch den Glauben an Jesus Christus fuumlr alle da ist die glaubenldquo Als herausragendes Exempel gilt Abraham (Roumlm 41ndash25 Gal 36ndash18) In der oben zitier-ten Passage Roumlm 116 fungiert speziell Hab 24 als Zeuge des Evangeliums (ebenso Gal 311)

93 Vgl Diss I 110 1727 (hier explizit mit der Freiheit korreliert) II 810 uouml

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

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-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

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BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

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BULTMANN R Das religioumlse Moment in der ethischen Unterweisung des Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 97ndash110 177ndash191

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KLAUCK H-J Die religioumlse Umwelt des Urchristentums Bd II (Herrscher- und Kai-serkult Philosophie Gnosis) (KStTh 92) Stuttgart 1996

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STRECKER G SCHNELLE U (Hg) Neuer Wettstein Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus Berlin ua

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166

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21995

Page 30: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

147

Gott als Vater94 Mit der Gottesverwandtschaft die im Logos festgemacht wird kor-relieren die Teilhabe an der Kosmopolis die Freiheit und der Dienst am Weltganzen beispielhaft repraumlsentiert von Sokrates95 Noblesse oblige Der goumlttliche Status des Selbst schliesst ein entsprechendes Ethos mit ein96 bdquoDu traumlgst einen Gott mit dir herum du Elender und merkst es nichtldquo (Diss II 812) Zu beachten ist freilich Ge-rade Epiktets spezifische Froumlmmigkeit bringt es mit sich dass die Identitaumlt des kos-mischen Pneuma mit der menschlichen Vernunft den Gabe-Charakter der letzteren nicht aufhebt So heisst es in unserer Unterredung (IV 1103)97

bdquoNachdem du alles von einem anderen erhalten hast auch dich selbst beschwerst du dich und machst dem Geber Vorwuumlrfe wenn er dir etwas wegnimmtldquo

Das goumlttliche Geben zielt dabei auf dreierlei auf das Wahrnehmen der Selbstverant-wortung98 auf das Akzeptieren des staumlndig moumlglichen Entzugs und vor allem auf Dankbarkeit

Bei Paulus hat die basale Unterscheidung von Gott und Mensch die seine Theologie bestimmt keineswegs die anthropologische Konsequenz dass den in Christus befrei-ten Menschen lediglich eine erneuerte Geschoumlpflichkeit zugeschrieben wird Die Glaubenden werden vielmehr als Traumlger des goumlttlichen Geistes (Pneuma) identifiziert der Geist Gottes nimmt in ihnen Wohnung99 Dabei changiert die Beschreibung der Geistteilhabe Zum einen nimmt der Geist so Wohnung in den Glaubenden dass er eine fremde Macht bleibt zum anderen wird der goumlttliche Geist geradezu zu ihrem eigentlichen Selbst und zum Ursprung ihres Tuns Er ist dies aber immer nur im Mo-dus der Gabe also aufgrund einer bestaumlndigen Relation Dementsprechend werden

94 Vgl Diss I 31 133f 199f 95 Diss I 91f616 (ὑπηρεσία 22 Sokrates) 199 (Freiheit) 96 Diss II 811ndash29 I 1232ndash35 97 Vgl II 823 (bdquoEr hat dich dir selbst uumlbergeben [παραδέδωκέ σοι σεαυτόν] und spricht

sbquoIch hatte keinen treueren als dichrsquoldquo) I 1727f (τὸ ἴδιον μέρος ὃ ἡμῖν ἔδωκεν ἀποσπάσας ὁ θεός) III 310 (vom bdquoEigenenldquo Zeus bdquohat es mir ganz anheim gestellt er hat es mir so gegeben wie er es selbst hat [ἐπ᾽ ἐμοὶ αὐτὸ ἐποίησεν καὶ ἔδωκεν οἷον εἶχεν αὐτός] nicht zu hindern nicht zu zwingen nicht zu hemmenldquo) vgl WILLMS 2012 II 541 (sowie 598ndash600 zum Reflexivpronomen 2 Ps Sing)

98 Dies vor allem in I 640ndash42 (bdquoer hat alles in unsere Hand gelegt ohne sich selbst irgendein Recht vorzubehalten uns zu hindern oder aufzuhalten Obwohl ihr uumlber diese Moumlglich-keiten frei und selbstverantwortlich verfuumlgt nutzt ihr sie nicht und merkt gar nicht was ihr bekommen habt und wer es euch gegeben hat sondern ihr sitzt da klagt und stoumlhntldquo) IV 1014ndash17 (in Gebetsform) 1211f bdquoUnder this conception of Zeus Epictetus makes God a paradigm of virtue in a sense that is humanly applicableldquo LONG 2002 172 der darin auch einen Reflex der platonischen Angleichung an Gott erkennt (170f)

99 Individuelle Einwohnung des Geistes Roumlm 89ndash1114ndash16 Gal 46 1Kor 1414 kollektiv 1Kor 619 Vgl dazu VOLLENWEIDER 2002

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

MITCHELL (Hg) Antiquity and Humanity Essays on ancient Religion and Phi-losophy presented to Hans Dieter Betz Tuumlbingen 2001 385ndash412

B LANG Jesus der Hund Leben und Lehre eines juumldischen Kynikers Beckrsquosche Reihe 1957 Muumlnchen 2010

BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

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BULTMANN R Das religioumlse Moment in der ethischen Unterweisung des Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 97ndash110 177ndash191

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KAMLAH Der Ruf des Steuermanns Die religioumlse Verlegenheit dieser Zeit und die Philosophie Stuttgart 1954

KLAUCK H-J- Wettstein alt und neu Zur Neuausgabe eines Standardwerks Bibli-sche Zeitschrift 41 (1997) 89ndash95

KLAUCK H-J Dankbar leben dankbar sterben Εὐχαριστεῖν bei Epiktet in ders Gemeinde Amt Sakrament Neutestamentliche Perspektiven Wuumlrzburg 1989 373ndash390

KLAUCK H-J Die religioumlse Umwelt des Urchristentums Bd II (Herrscher- und Kai-serkult Philosophie Gnosis) (KStTh 92) Stuttgart 1996

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POHLENZ M Die Stoa Geschichte einer geistigen Bewegung Goumlttingen I 82010 II 61991

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STRECKER G SCHNELLE U (Hg) Neuer Wettstein Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus Berlin ua

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VOLLENWEIDER S Freiheit als neue Schoumlpfung Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt (FRLANT 147) Goumlttingen 1989

WALTER N Zur Chronik des Corpus Hellenisticum von den Anfaumlngen bis 195558 in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenis-ticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 325ndash344

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mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 31: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

148

die Glaubenden als Gotteskinder adressiert (Roumlm 814ndash1629 Gal 46)

Das Verhaumlltnis von goumlttlichem und menschlichem Geist ist demnach sowohl bei Epik-tet wie bei Paulus von Relationalitaumlt bestimmt Sie ist aber nur bei letzterem konstitu-tiv fuumlr das anthropologische Gesamtverstaumlndnis und verbindet sich mit einer Story naumlmlich mit der Sendung Christi und der dieser korrespondierenden Verleihung des Geistes Die Gotteskindschaft gruumlndet deshalb nicht in der Schoumlpfung bzw wie bei den Stoikern in der Natur sondern in einer Adoption (υἱοθεσία Roumlm 81523 Gal 45 2Kor 618) Sie erstreckt sich gegenwaumlrtig vorerst auf den bdquoinneren Menschenldquo (2Kor 416) auf das Selbst wird in der nahen Vollendung der Schoumlpfung aber auch den Koumlrper umfassen (Roumlm 823) Dieser wird in einen bdquopneumatischen Leibldquo trans-formiert (1Kor 1542ndash49 vgl Phil 321)

2 Epiktet ortet im Bereich des bdquoFremdenldquo das kosmische Wirken Gottes der alles aufs Beste zusammenfuumlgt100 Zugleich handelt es sich aber um denjenigen Bereich der geradewegs in die Sklaverei fuumlhrt wenn der Mensch sich nicht auf sein bdquoEigenesldquo besinnt Die Ambivalenz die den Bereich dessen charakterisiert was nicht unserer eigenen Macht untersteht begegnet im Koumlrper geradezu hautnah Meist dominiert eine auffaumlllig pejorative Redeweise101 Epiktets Verhaumlltnisbestimmung von Geist und Koumlrper nimmt gelegentlich ein dualistisches Profil an das der im Ansatz monistisch konstruierten stoischen Anthropologie ein Stuumlck weit entgegen steht102 Der Weis-heitslehrer empfiehlt ein radikales inneres Disengagement in Bezug auf die sbquoUmweltrsquo ndash dh den gesamten Bereich der sich vom Koumlrper uumlber den Besitz und die sozialen Netzwerke bis zur Welt als ganzer erstreckt Zugleich aber erschliesst sich dem der bleibend frei geworden ist wiederum die Fuumllle des Weltganzen das fuumlr das kosmische Walten der Gottheit transparent wird Ganz im Sinn der stoischen Sozialethik erwartet Epiktet von seinen ndash meist den Eliten entstammenden ndash Schuumllern dass sie die ihnen zugemessenen Positionen im Gemeinwesen auf der Basis der verinnerlichten philoso-phischen Uumlberzeugungen verantwortlich wahrnehmen

Auch bei Paulus finden sich zunaumlchst bemerkenswerte Figuren der Distanzierung von der vorfindlichen Welt Dies gilt einmal fuumlr den Bereich des Koumlrperlichen Aumlhnlich

100 Neben unserer Diatribe (IV 199ndash106) vgl besonders I 17ndash13 127ndash1015ndash17 199ndash13

II 103ndash5 1632ndash47 1722ndash24 Frg 3 101 Zur ambivalenten Sicht des Koumlrpers vgl DOBBIN 1998 70ndash72 WILLMS 2011 I 342f ders

2012 II 550f 102 Vgl neben unserer Unterredung (IV 1100104161) zB Diss I 19ndash13 33ndash5 (δύστηνά

μου σαρκίδια) 423f II 1926 (ἐν τῷ σωματίῳ τούτῳ τῷ νεκρῷ) Frg 23 (Koumlrper als bdquoSackldquo) 26 In der Forschung wird die Frage debattiert ob die Juumlngere Stoa unbescha-det ihrer monistischen Systemkonstruktion ein gutes Stuumlck weit von der platonischen Anthropologie beeinflusst wurde vgl zB JAGU 1946 88ndash95 154f LONG 2002 158 208

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

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BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

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BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

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KAMLAH Der Ruf des Steuermanns Die religioumlse Verlegenheit dieser Zeit und die Philosophie Stuttgart 1954

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KLAUCK H-J Dankbar leben dankbar sterben Εὐχαριστεῖν bei Epiktet in ders Gemeinde Amt Sakrament Neutestamentliche Perspektiven Wuumlrzburg 1989 373ndash390

KLAUCK H-J Die religioumlse Umwelt des Urchristentums Bd II (Herrscher- und Kai-serkult Philosophie Gnosis) (KStTh 92) Stuttgart 1996

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WEHNER B Die Funktion der Dialogstruktur in Epiktets Diatriben (Philosophie der Antike 13) Stuttgart 2000

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21995

Page 32: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

149

wie Epiktet die ihm uumlberkommene monistische Anthropologie dualistisch variiert ar-beitet der Apostel auf dem juumldischen Fundament einer im Ansatz ganzheitlichen Anth-ropologie mit dualistischen Figuren teilweise platonischer Provenienz die eine scharfe Differenz zwischen dem irdisch-fleischlichen Koumlrper und dem geistigen Selbst aufrichten (Roumlm 71823f 612 81013 vgl 1Kor 97 2Kor 41016)103 Vor allem aber ruft er in einer beruumlhmten Passage des 1 Korintherbriefs seine Gemeinden in Bezug auf die vielfaumlltigen Umweltbeziehungen zur Haltung eines bdquoals ob nichtldquo (ὡς μή) auf (1Kor 729ndash31)

bdquoDie Zeit draumlngt Darum sollen kuumlnftig auch die die eine Frau haben sie haben als haumltten sie sie nicht die weinen sollen weinen als weinten sie nicht die sich freuen sollen sich freuen als freuten sie sich nicht die etwas kaufen sollen kau-fen als behielten sie es nicht und die sich die Dinge dieser Welt zunutze machen sollen sie sich zunutze machen als nutzten sie sie nicht Denn die Gestalt dieser Welt vergehtldquo

Der Ruumlckgriff des Apostels auf Verhaltens- und Einstellungsregeln die offenkundig der stoisch-kynischen Ethik entstammen situiert sich aber in einem eschatologischen Rahmenwerk bdquoDie Zeit draumlngtldquo (V 29) bdquodie Gestalt dieser Welt vergehtldquo (V 31) Im Zusammenhang der Gesamtargumentation erfaumlhrt diese endzeitliche Motivierung der ethischen Regeln die bei Paulus auch sonst begegnet (vgl Roumlm 1311ndash14 2Kor 59f) ihrerseits eine Ruumlckbindung an seine Christologie (V 323539) dh an seine Uumlberzeugung dass sich mit dem Kommen von Jesus Christus die Zeit bdquoerfuumllltldquo hat (Gal 44) Im Raum der Gemeinde die den Leib des Christus repraumlsentiert (1Kor 1212ndash27 Roumlm 123ndash8) kommt es zum selbstlosen Engagement fuumlr die Mitmenschen (vgl Phil 21ndash4) Auch bei Paulus fuumlhrt die Distanzierung von der vorfindlichen Welt zuruumlck in die Verantwortung fuumlr das Gemeinwesen die von der Liebe (ἀγάπη) ge-tragen ist

3 Wir beschliessen diesen vergleichenden Teil mit einem Blick auf die Wahrneh-mung des Weltganzen Epiktet teilt die stoische Uumlberzeugung dass der Kosmos in unuumlberbietbarer Weise aufs Beste gefuumlgt ist und erkennt darin die Guumlte des diesen durchwaltenden Gottes104 Wer frei geworden ist und zur Gegenwart erwacht feiert das Leben als ein Fest das nach Dankbarkeit und Lobpreis ruft Auch die unablaumlssige

103 Dabei muss bei Paulus unterschieden werden zwischen der katastrophalen Verfassung des

unerloumlsten Menschen wo der Koumlrper voumlllig von der Suumlnde beherrscht wird (Roumlm 66 724) und der Situation der Glaubenden Bei diesen ist der Leib zwar der Herrschaft der Suumlnde entrissen aber aufgrund seiner sbquosarkischenrsquo Natur dh seines biologischen Erbes sterblich (Roumlm 612 810f Phil 321) und weiterhin der gefaumlhrlichen Macht der alten Weltzeit namentlich der Sarx ausgesetzt

104 Zur stetigen Veraumlnderung die auch in der Freiheitsdiatribe thematisiert wird (IV 1106) vgl II 118 III 2410 auf die Ekpyrosis selber wo nur noch Zeus mit sich selber zusam-men ist wird angespielt III 134ndash7 Zur stoischen sbquoEschatologielsquo (samt der sbquoewigen Wiederkehrlsquo) vgl LONG 2006 256ndash282 (bdquothe conflagration is providential since sub spe-cie aeternitatis it preserves the present world by constantly reconstituting itldquo 271) und die Texte in LONGSEDLEY 2000 327ndash333 367ndash373

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

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-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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21995

Page 33: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

150

Veraumlnderung die im Kosmos vor sich geht und seine zyklische Erneuerung durch den Weltenbrand restituiert seine grundlegende Ordnung und bringt nichts bdquoNeuesldquo105 Insofern reproduziert die Gegenwart ein sbquoimmer schonlsquo und steht im Zei-chen der Vergangenheit

bdquoSo war ist und wird die Natur des Kosmos sein und es ist ausgeschlossen dass das Geschehende anders geschieht als es jetzt der Fall ist An diesem Wandel und an dieser Veraumlnderung nehmen nicht nur der Mensch und die uumlbrigen Lebe-wesen auf der Erde teil sondern auch das Goumlttliche [hellip] Wer sich dazu bereit-findet seine Aufmerksamkeit auf diese Vorgaumlnge zu richten und sich selbst dazu zu bringen das Notwendige freiwillig zu akzeptieren der wird ein ganz und gar vernuumlnftiges und harmonisches Leben habenldquo (Frg 8)106

Auch bei Paulus veraumlndert sich fuumlr die frei Gewordenen die Wahrnehmung des Kos-mos Im Vertrauen auf Christus wird die Welt die derzeit noch von widergoumlttlichen und bedrohlichen Maumlchten erfuumlllt ist zu einem Raum den die schoumlpferische Kraft Gottes verheissungsvoll zu verwandeln begonnen hat Die Zukunft gewinnt damit eine ausgezeichnete Bedeutung sie wird zur Quelle von Neuem das bereits die Gegenwart tangiert (vgl 2Kor 517 62) So steht Epiktets heiterem Abschied bei Paulus die Hoffnung (ἐλπίς) gegenuumlber die sich der neuen Welt Gottes entgegenstreckt (Roumlm 818ndash39)107

5 Theismus oder Pantheismus

Wir kehren zu Epiktet zuruumlck um abschliessend nach dem Profil seines Gottesver-staumlndnisses zu fragen Es ist offenkundig dass er wie kein anderer Stoiker theistische Vorstellungen dokumentiert108 Er ruft das kosmische Prinzip als bdquoZeusldquo an (I 637) und praumldiziert es als bdquoGottldquo und als bdquoVaterldquo Auf der anderen Seite teilt er in seinem Werk den uumlberkommenden stoischen Pantheismus insbesondere die Identifizierung des goumlttlichen Prinzips des Logos mit dem menschlichen Denkvermoumlgen Dieses ist Reflex der Gotteskindschaft an der alle Traumlger des Logos teilhaben

105 Der kosmologischen Pivilegierung der Gegenwart gegenuumlber der Zukunft entspricht die

Mahnung die Gegenwart nicht zu verspielen wenn man sich in Hoffnung und Furcht auf die Zukunft ausrichtet

106 Uumlbs NICKEL 1987 Wie Frg 4 soll auch dieser Text auf Musonius (Frg 42 H) zuruumlck-gehen (vgl oben Anm 83)

107 Die Stoiker bringen der Hoffnung erhebliches Misstrauen entgegen waumlhrend etwa Plutarch bdquoeine heitere und helle Hoffnungldquo in Hinsicht auf die Zukunft zusammen mit der dankbaren Erinnerung an das Vergangene zu loben weiss ndash so der Schlusssatz in Tranq 20 477F

108 Vgl dazu LONG 2002 143 bdquoMore emphatically than any other Stoic in our record Epic-tetus speaks of Zeus or God in terms that treat the worlds divine principle as a person to whom one is actually present and who is equally present to oneself as an integral aspect of onelsquos mindldquo vgl 147

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

MITCHELL (Hg) Antiquity and Humanity Essays on ancient Religion and Phi-losophy presented to Hans Dieter Betz Tuumlbingen 2001 385ndash412

B LANG Jesus der Hund Leben und Lehre eines juumldischen Kynikers Beckrsquosche Reihe 1957 Muumlnchen 2010

BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

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Page 34: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

151

Dabei ist zu bedenken Die uumlberkommene Alternative der Kategorien sbquotheistischlsquo ver-sus sbquopantheistischlsquo die sich ihrerseits der juumldisch-christlichen Theologie verdanken ist nicht in der Lage den textlichen Befund angemessen wiederzugeben109 Dies gilt nicht nur fuumlr manche anderen kaiserzeitlichen Schriften sondern auch fuumlr andere re-ligionsgeschichtliche Felder Im hinduistischen Bereich gehen sbquoTheismuslsquo und sbquoMo-nismuslsquo Hand in Hand der Amida-Buddhismus korreliert sbquotheistischelsquo und genuin buddhistische sbquoatheistischelsquo Kategorien

Dem stoischen Changieren zwischen pantheistischen und theistischen Figuren laumlsst sich eine weitere Beobachtung zuordnen Die Gebetsform hat in Epiktets Werk einen ausserordentlichen Stellenwert110 Die Gebete die den Selbstgespraumlchen zur Seite tre-ten zeigen ihrerseits einen sbquomeditativenlsquo Charakter da sie zur Uumlbereinstimmung zwi-schen dem goumlttlichen Willen und dem Philosophierenden verhelfen Wo Epiktet Gott zum Menschen sprechen laumlsst ruft dieser den Menschen wieder zum Gewahrwerden und Gebrauch der eigenen Kraumlfte auf

Die Stoa hat in hohem Ausmass religioumlse Traditionen assimiliert die von der Mantik bis zur durch Allegorese fruchtbar gemachten Mythologie reichen Die erhaltenen Texte des Kleanthes zumal sein grosser Zeushymnus zeigen die Moumlglichkeit die pantheistisch-monistische Grundstruktur mit Elementen persoumlnlicher Froumlmmigkeit zu kombinieren111 Trotzdem stellt sich die Frage nach der sbquopersoumlnlichen Religionlsquo Epik-tets Leider laumlsst uns die zeitgenoumlssische Religionswissenschaft an diesem Punkt im Stich da sie die Terminologie von bdquopersoumlnlicher Religionldquo personal religion uauml aufgrund ihrer beschraumlnkten Operabilitaumlt weitraumlumig umgeht

Uumlblicherweise wird Epiktets persoumlnliche Religion vor dem Hintergrund der stoischen Religiositaumlt diskutiert Wir formulieren abschliessend eine andere Hypothese ohne sie detailliert weiter zu verfolgen und postulieren eine bestimmte religioumlse Haltung und Praxis Epiktets zunaumlchst ganz unabhaumlngig von der philosophischen Schulung112

109 Anders wieder REALE 2009 31ndash36 Er behauptet im Anschluss an JAGU 1946 eine

bdquonuova concezione di dio e del divino in Epittetoldquo Epiktet breche mit dem stoischen Pan-theismus zugunsten einer theistischen Scheidung von Gott und Welt Die scharfe Ge-genthese vertritt ALGRA 2007 Der bdquoquasi-theismldquo (51) muss pantheistisch dekonstruiert werden (es gibt bdquono substantial rift between Epictetus and orthodox Stoicismldquo 52) der Grund fuumlr den Quasitheismus liegt im lebenspraktisch interessierten Schulbetrieb (52ndash55) Beide Thesen sind mE zu einseitig

110 Vgl dazu WEHNER 2000 106ndash135 Dass Epiktet die Gebetsverse griffbereit haumllt in Ana-logie zu Selbstermahnungen (ALGRA 2007 47ndash52) spricht uumlberhaupt nicht gegen deren Gebetscharakter wie die Froumlmmigkeitsgeschichte eindruumlcklich belegt

111 Zum Verhaumlltnis von Religion und Philosophie ndash und damit auch zur Form von Hymnus

und Gebet ndash bei Kleanthes vgl THOM 2005 20ndash27 112 Auf religioumlse Riten bezieht sich Epiktet beispielsweise in II 1813 (Dankopfer vgl 2029)

III 2114f (Reinigungsfunktion von Ritualen) IV 447 (Opfer) vgl ferner LONG 2002 178f zu Elementen von bdquopopular religionldquo

152

Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

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-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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WALTER N Zur Chronik des Corpus Hellenisticum von den Anfaumlngen bis 195558 in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenis-ticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 325ndash344

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WEHNER B Die Funktion der Dialogstruktur in Epiktets Diatriben (Philosophie der Antike 13) Stuttgart 2000

WENDLAND P Rez Th Zahn Der Stoiker Epiktet ThLZ 19 (1895) 493ndash495 WETTSTEIN JJ Novum Testamentum Graecum Amsterdam 175152 (= Graz 1962) WILLMS L Epiktets Diatribe Uumlber die Freiheit (41) Einleitung Uumlbersetzung Kom-

mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 35: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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Sie laumlsst sich zwar biographisch nicht verifizieren Zu vermuten ist aber dass er wie viele andere Menschen seiner Zeit nicht nur selbstverstaumlndlich an den kultischen Per-formationen des staumldtischen Lebens teilgenommen sondern auch ein individuelles re-ligioumlses Verhaumlltnis zu einer Gottheit gepflegt hat Es gibt in der Antike verstreute li-terarische Hinweise auf solche Phaumlnomene persoumlnlicher Religion Zu nennen sind ins-besondere die hellenistischen Romane deren Protagonisten mit ihren Schutzgotthei-ten ndash natuumlrlich ist hier aus gegebenem Anlass die Liebesgoumlttin die prominente Ad-resse ndash eine sehr persoumlnliche Beziehung pflegen sowohl an kultischen Staumltten wie in sbquofreierlsquo Begegnung Hingewiesen sei insbesondere auf die Isis-Beziehung des Helden in Apuleiusrsquo Metamorphosen oder an Kallirhoeumlrsquos Begegnungen mit Aphrodite bei Chariton Natuumlrlich sind die entsprechenden Schilderungen und Reden (va in Ge-betsform) fiktiv aber sie lassen sich grundsaumltzlich als Reflex wirklicher Sachverhalte deuten Weit verbreitete Kulte wie derjenige der Isis aber auch Mysterienreligionen bieten Plattformen fuumlr individuelle religioumlse Einstellungen und Praktiken Individuelle persoumlnliche Gebete sind uns aus antiker Zeit mW allerdings kaum erhalten da das schriftliche Medium eher Formulare privilegiert Votiv- und Grabinschriften hinge-gen kommen dieser Fragestellung staumlrker entgegen Schliesslich erinnere ich an Ailios Aristeides dessen eigenartige Beziehung zu Asklepios in seinen hieroi Logoi trotz aller literarischen Uumlberformung ein deutliches Profil aufweist

Legen wir diese Hypothese zugrunde dann duumlrfte es sich bei Epiktet um eine persoumln-liche Beziehung zu Zeus gehandelt haben Obschon der Goumlttervater gewiss weniger Anhalt fuumlr die Entwicklung einer individuellen Froumlmmigkeit bietet als andere Goumltter koumlnnte die Herkunft Epiktets aus dem Sklavenmilieu den Ausschlag gegeben haben Zeus hat insbesondere im roumlmischen Bereich durch die Fusion mit Iuppiter Liber eine bestimmte Rolle in der Sklavenreligion gespielt113 Ziehen wir dazu Epiktets Frei-heitspathos in Betracht koumlnnte sich seine Religiositaumlt auf den Zeus Eleutherios ge-richtet haben Die stoische Philosophie haumltte ihm dann die Moumlglichkeit gegeben seine Froumlmmigkeit nicht nur umfassend zu reflektieren sondern auch in die pantheistische Dimension hinein zu entwickeln

6 Epilog Von der Aktualitaumlt Epiktets

Es leidet keinen Zweifel dass Epiktet als Meister der Lebenskunst und des Wegs zum

113 Vgl dazu BOumlMER 1981 110ndash140

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

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bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

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Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

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trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

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-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 36: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

153

Gluumlck auch neuzeitliche Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag Ich nenne zum Schluss drei Punkte wo sich unser Philosoph ausgesprochen modern ausnimmt und zugleich quer zu allen neuzeitlichen Selbstverstaumlndlichkeiten steht Zum ersten geht es um das Anerkennen von Grenzen Epiktet tritt uns entgegen als ein Lehrer der dem Menschen enorm viel zutraut naumlmlich unumschraumlnkter Meister seines eigenen Lebensentwurfs und Schicksals zu werden Zugleich markiert er eine scharfe Gegen-position zur Moderne Weiss diese der menschlichen Handlungskompetenz kaum mehr Schranken zu setzen so ruft Epiktet dazu auf sich mit den vorhandenen Um-staumlnden nicht nur abzufinden sondern sogar zu befreunden Dass Freiheit in hohem Ausmass auch mit Selbstbegrenzung oder ganz schlicht mit Mass zu tun hat ist eine Erkenntnis die fuumlr antike Menschen leichter erschwinglich war als fuumlr heutige Zeit-genossen Die bedrohliche Entdeckung der Endlichkeit zahlreicher Ressourcen scheint aber einen Gesinnungswandel zu erzwingen Zum zweiten wird man durch Epiktet an die Macht des menschlichen Denkens erinnert Er laumlsst sich gut als einer der Vaumlter der kognitiven Therapie in Anspruch nehmen Seine Analysen stellen die fatalen Folgen von Urteilen und Meinungen heraus die das Erleben und Verhalten von Menschen hintergruumlndig steuern Der Lebensmeister gibt zu bedenken dass man die Welt und sich selber durch andere Interpretationen nicht nur anders wahrnehmen sondern auch veraumlndern kann Seine Psychagogik stellt die Macht des Denkens her-aus Emotionen zu entfesseln und Motivationen auf ein einziges Ziel hin auszurichten Epiktet stellt eine authentische Verkoumlrperung der alten heute an Plausibilitaumlt verlie-renden Einsicht dar dass Wissen und Bildung mit Persoumlnlichkeitsentwicklung und Sinngebung einhergehen Der dritte Punkt schliesslich betrifft den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und Endlichkeit Die Diesseitsbezogenheit Epiktets und seiner stoischen Tradition bildet bereits in der Antike einen Kontrapunkt zur christlichen wie platonischen Ausrichtung auf eine eschatologische bzw jenseitige Existenz Eine Re-ligiositaumlt die nicht auf ein irgendwie geartetes persoumlnliches Weiterleben nach dem Tod setzt darf bei neuzeitlichen Menschen besonderes Interesse beanspruchen zumal wenn sie sich mit einer kosmotheistischen Perspektive verbindet Eine nochmals ganz andere Frage ist die ob Epiktet auch als Mentor fuumlr ein selbstbestimmtes Sterben in Frage kommen kann Sein Gleichnis vom Steuermann auf das am Anfang die-ses Buchs verwiesen worden ist mag uns auch hier als ein nachdenklich machendes Schlusswort dienen114

114 Ench 7 uumlbs STEINMANN 22004 vgl oben S Zum Verstaumlndnis des Gleichnisses ist

die Mahnung von KAMLAH 1954 87 zu bedenken bdquoWer also heute Epiktet verstehen will muss ihn radikaler vernehmend verstehen als er sich selbst verstandldquo

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

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-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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WEHNER B Die Funktion der Dialogstruktur in Epiktets Diatriben (Philosophie der Antike 13) Stuttgart 2000

WENDLAND P Rez Th Zahn Der Stoiker Epiktet ThLZ 19 (1895) 493ndash495 WETTSTEIN JJ Novum Testamentum Graecum Amsterdam 175152 (= Graz 1962) WILLMS L Epiktets Diatribe Uumlber die Freiheit (41) Einleitung Uumlbersetzung Kom-

mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 37: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

154

bdquoWenn der Steuermann ruft so lass das alles liegen eile zum Schiff und dreh dich dabei nicht um Bist du aber alt so entferne dich niemals mehr weit vom Schiff damit du nicht etwa ausbleibst wenn er dich ruftldquo

7 Anhang Epiktet im bdquoNeuen Wettsteinldquo115

Beim bdquoNeuen Wettsteinldquo handelt es sich um eine Sammlung von Paralleltexten aus der griechisch- und lateinischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments Seine noch im Prozess befindliche Herausgabe baut auf dem Novum Testamentum Graecum auf das der Basler Pfarrer und Gelehrte JJ Wettstein 175152 in Amsterdam veroumlffent-licht hatte116 Dieses bietet neben einem Apparat zur neutestamentlichen Textkritik einen zusaumltzlichen umfangreichen Apparat mit uumlber 30rsquo000 Parallelstellen aus der griechischen und lateinischen Literatur den Kirchenvaumltern und der rabbinischen Uumlberlieferung Man benuumltzt diese Datenbank noch heute mit grossem Gewinn Im fruumlhen 20 Jahrhundert verfolgte ein Netzwerk von Neutestamentlern das Projekt weit uumlber Wettsteins Sammlung hinaus ein sbquoCorpus Hellenisticumlsquo zu schaffen anfaumlnglich in Leipzig dann in Halle Zur Publikation kam es allerdings nicht Das Ziel wird heute zweigleisig weiterverfolgt117 Neben dem uumlberaus ambitionierten Programm des ua in Jena domizilierten Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti das den juumldi-schen Sektor in hellenistisch-roumlmischer Zeit (unter Ausschluss von Qumran und Rab-binica) moumlglichst umfassend erschliessen soll arbeitet ein Team in Halle die literari-schen Zeugnisse der gesamten griechisch-roumlmischen Umwelt (unter Einschluss der juumldisch-hellenistischen Texte) gezielt selektiv auf Vom Neuen Wettstein sind bereits mehrere Baumlnde erschienen naumlmlich ndash in der Reihenfolge des Erscheinens ndash zur Brief-literatur und Johannesapokalypse (1996) zum Johannesevangelium (2001) zum Mar-kusevangelium (2008) und schliesslich zum ersten Teil des Matthaumlusevangeliums (2012)118 Ausstehend sind noch die Baumlnde zum zweiten Teil des Matthaumlusevangeli-ums zum Lukasevangelium sowie zur Apostelgeschichte Der Neue Wettstein stellt zu den einzelnen neutestamentlichen Stellen eine Fuumllle antiker Parallelen in deutscher Uumlbersetzung mit knappen Hinweisen zu Kontext und Inhalt bereit aufbauend auf dem

115 Ich danke lic theol Matthias Maywald fuumlr die Sichtung des hier gebotenen Materials und

seine inhaltliche Bewertung 116 WETTSTEIN 175152 Vgl dazu SEELIG 2001 117 Zu Geschichte und Stand der Projekte vgl WALTER 2003 NIEBUHR 2003 und die entspre-

chenden Websites 118 Vgl die Angaben im Literaturverzeichnis

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Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

MITCHELL (Hg) Antiquity and Humanity Essays on ancient Religion and Phi-losophy presented to Hans Dieter Betz Tuumlbingen 2001 385ndash412

B LANG Jesus der Hund Leben und Lehre eines juumldischen Kynikers Beckrsquosche Reihe 1957 Muumlnchen 2010

BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

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Page 38: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

155

Material des sbquoAlten Wettsteinlsquo und selbstredend ohne jeden Anspruch auf sbquoVollstaumln-digkeitlsquo Die programmatische Ausscheidung der Wettsteinrsquoschen Materialien die den neutestamentlichen Text bdquoausschliesslich in sprachlicher Hinsicht beleuchtenldquo119 ist allerdings methodologisch sehr problematisch und in den neueren Baumlnden auch viel zuruumlckhaltender vorgenommen worden120 Das katenenartige Arrangement er-moumlglicht der Leserschaft sich zu jeder Bibelstelle umgehend ein Bild der in Frage kommenden sbquoParallelenlsquo zu verschaffen Der Preis dafuumlr ist freilich die Fragmentie-rung der Bezugstexte in Einzelbelege121 Die damit notwendig verbundene Ausblen-dung der literarischen Kontexte wird durch erlaumluternde Hinfuumlhrungen jeweils ein Stuumlck weit aufgefangen

Mit rund 250 Treffern sind die von Epiktet uumlberlieferten Texte in den bisher vorlie-genden fuumlnf Baumlnden in ansehnlichem Umfang beruumlcksichtigt122 Wir halten uns im Folgenden an die kanonische Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften die auch dem Neuen Wettstein zugrundliegt wobei Markus als wahrscheinlich aumlltestes Evan-gelium vorangestellt wird123

71 Markusevangelium

Im Markusevangelium (mit insgesamt knapp 40 Belegen) nehmen die Parallelen zwi-schen dem Auftritt von Jesus samt seinen Nachfolgern und dem des Kynikers bzw des wahren Philosophen den bedeutsamsten Raum ein In der Gestalt des heimatlosen Gottesgesandten liegen ja tatsaumlchlich auffaumlllige Beruumlhrungspunkte zwischen urchrist-lichen und kynischen bdquoWanderradikalenldquo vor die trotz ihrer verschiedenen Milieus ndash dort das laumlndliche Palaumlstina hier die urbanen Zentren des oumlstlichen Mittelmeerraums ndash in der amerikanischen Forschung sogar zur Hypothese gefuumlhrt haben bei der Jesus-bewegung habe es sich um galilaumlisch-juumldische Kyniker gehandelt124 Die Naumlhe be

119 So das Vorwort zu Bd II1 XV 120 Zu weiteren Problemen wie der Selektion und der Kriterien die fuumlr die Aufnahme von

Material uumlber dasjenige von Wettstein hinaus gelten vgl KLAUCK 1997 121 Zum zuerst erschienenen Doppelband (II1 und 2) moniert KLAUCK 1997 94f dass Epik-

tets Kyniker-Diatribe III 22 vielfach breit zitiert wird bdquoaber verteilt auf 12 verschiedene Stellenldquo

122 Instruktiv ist das Ranking in der Indexierung Die eben genannte Diss III 22 fuumlhrt zu-sammen mit dem Enchiridion die Rangliste an (je ca 26 Referenzen) Schon secundo loco steht die Freiheitsdiatribe IV 1 (ca 19) gefolgt von III 24 (bdquoSich nicht in Mitleidenschaft ziehen lassen von dem was nicht in unserer Macht stehtldquo s dazu oben S ) (ca 15) Bestimmte fuumlr das NT wichtige Passagen fuumlhren zB im Fall von III 24 zu Kumulationen (sect14ndash16 60ndash66 Herakles Sokrates Diogenes)

123 Im Folgenden gebe ich jeweils meist nur die Seitenzahlen der betreffenden Baumlnde des Neuen Wettstein in Klammern wieder

124 Zur Diskussion vgl EBNER 1996 BETZ 1998 unkritisch LANG 2010

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

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-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

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21995

Page 39: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

156

trifft nicht nur die bdquonackteldquo Lebensweise des Kynikers (9)125 sondern auch die auf der Beziehung zu Gott beruhende sbquogeistlichelsquo Verwandtschaft die die sbquowahrenlsquo Ge-schwister verbindet (158)126 Zuruumlckhaltender wird man urteilen hinsichtlich der Be-ziehung zwischen dem nahe gekommenen Koumlnigreich Gottes und dem Koumlnigtum des Kynikers (39) Interessant nehmen sich einige andere Beruumlhrungspunkte aus Sokra-tesrsquo Selbstrettung durch das Sterben in unserer Diatribe (IV 1163ndash165) im Verhaumlltnis zu Jesu Weisung zur Rettung des Lebens gerade durch dessen Verlieren (Mk 835) (416) die Elternehrung (337) das Kennen der Gebote (496f) das Fehlen dessen was zum wahren Leben fuumlhrt (493f) und agrarische Metaphern (162 179) Eher peripher sind wohl die Kontaktflaumlchen zwischen Jesu exklusiver Zuschreibung des Guten an Gott allein und Epiktets Uumlberlegungen zum Guten (504f) ndash hier waumlren Assoziationen mit dem Platonismus verlockender ndash zum houmlchsten Gebot (579f) zu Tod und Aufer-stehung (570) und zur Identitaumlt Jesu bzw des Lehrers (392f) Zum Ruf des Centurio in Mk 1539 (ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν bdquoDieser Mensch war wirklich Gottes Sohnldquo) bieten sich Referenzen auf die generische Gottessohnschaft des Weisen bzw des vernuumlnftigen Menschen uumlberhaupt (Diss I 31f 95f) wie auf Heroen (II 1644 Herakles) an die fuumlr die doppelboumldige Praumldikation des markinischen Heiden am Kreuz zu beachten sind (745f) Das pagane Syntagma bdquoein Sohn Gottesldquo in der erzaumlhlten Szene lesen die christlichen Adressaten als das christologische Be-kenntnis zu dem bdquoSohn Gottesldquo Einige Punkte betreffen die im Vergleich mit dem markinischen Jesus sbquokonservativerelsquo Einstellung Epiktets zu uumlberliefertem religioumlsem Brauchtum (327f 552) Hinweise auf bestimmte Metaphern wie Gefaumlss und Reini-gung (330f) oder Muumlnzen (558) sind wohl hilfreicher als diejenigen zum Nachfolgeruf (51f) zum Lehrer (55 57) zur Menschenmenge (64) zur Suumlndenvergebung (113) zum sbquoVerwerfenlsquo (394) zum Balsam (663) und zum Dornen- bzw Rosenkranz (724)

125 Diss III 2245f53f bzw Mk 14ndash8 (Johannes der Taumlufer) 126 Diss III 2281f bzw Mk 331ndash35 Eine Differenz wird 492 angezeigt zwischen Epiktets

abfaumllliger Bemerkung uumlber Kinder (in derselben Diatribe 77ndash79) und Jesu Spruch uumlber das Kind als Glaubensvorbild (Mk 1013ndash16)

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

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BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

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KLAUCK H-J Dankbar leben dankbar sterben Εὐχαριστεῖν bei Epiktet in ders Gemeinde Amt Sakrament Neutestamentliche Perspektiven Wuumlrzburg 1989 373ndash390

KLAUCK H-J Die religioumlse Umwelt des Urchristentums Bd II (Herrscher- und Kai-serkult Philosophie Gnosis) (KStTh 92) Stuttgart 1996

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mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 40: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

157

72 Matthaumlusevangelium

Der erste Teilband (Mt 1ndash10) enthaumllt die fuumlr den Vergleich mit Epiktet uumlberaus wich-tige Bergpredigt (Mt 5ndash7 mit rund 40 Treffern)127 Obschon das Matthaumlusevangelium (im Unterschied zum lukanischen Doppelwerk) nicht mit spezifisch stoischen Theo-remen arbeitet faumlllt enorm viel Material aus dem viel weiter gespannten Bereich der hellenistischen Ethik an das im Neuen Wettstein nur exemplarisch wiedergegeben werden kann128 Epiktets Texte kumulieren sich in drei Bezugsfeldern Erstens wird der Umgang mit Feinden (Mt 544) reichhaltig dokumentiert (499ndash502) Wer Philo-sophie treibt ndash zumal in der Nachfolge der Kyniker ndash muss nicht nur mit Beleidigung Zank und Streit sondern auch mit Schlaumlgen rechnen129 Sokratesrsquo Haltung ist vor-bildlich (IV 51f I 2531) Mehr noch Der von Zeus gesandte Kyniker bdquomuss sich pruumlgeln lassen wie ein Esel und wenn er gepruumlgelt wird auch noch diejenigen lieben die ihn pruumlgeln als ob er ein Vater oder Bruder von allen waumlreldquo seinen Koumlrper gibt er als das Schwaumlchere hin waumlhrend sich sein Inneres nicht tangieren laumlsst (III 22 54100f) Zum sbquoutilitaristischenlsquo Umgang mit Boumlsem (alles wird durch den Zauberstab des Hermes zu etwas Nuumltzlichem) kommt die kognitive Umwertung Boumlses entsteht aus Unwissen Auch wenn wir inhaltlich recht weit von Jesu Aufforderung ausge-rechnet die Feinde zu lieben entfernt sind deuten die konvergierenden Handlungsan-weisungen doch auf sbquointerkulturellelsquo ethische Verstaumlndigungspotentiale hin Ein zwei-ter Komplex haftet am bdquoDein Wille gescheheldquo des Unservaters (Mt 610) (605ndash608) Hier nimmt die Figur der Konformitaumlt zwischen goumlttlichem und menschlichem Willen breiten Raum ein die fuumlr Epiktets Psychagogik so kennzeichnend ist130 Die dritte Verdichtung betrifft das Sorgen (Mt 625ndash34) in dem der Bergprediger und der Phi-losoph in groumlsste Naumlhe zueinander geraten (652ndash668) Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Mahnung sich der Bewegung des Sorgens fuumlr die irdischen Lebensvollzuumlge zu widersetzen sondern auch im Blick auf die Begruumlndung Die Guumlte des die Schoumlpfung erfuumlllenden Gottes laumldt ein zur Haltung eines unbegrenzten Vertrauens131 Beide Leh-rer insistieren auf der umso dringlicheren Sorge um das wirklich Wichtige im Leben ndash das Reich Gottes bzw das mit dem Logos verbundene Selbst Beide Lehrer beruumlck-sichtigen auch die dunklen Seiten der Welterfahrung jeder Tag hat genug an seiner

127 Der Band war zum Zeitpunkt der Drucklegung erst angekuumlndigt Ich danke den Heraus-

gebern Udo Schnelle und Manfred Lang fuumlr ihre spontane Bereitschaft mir die Indices fuumlr die Epiktet-Texte zuzustellen Die Seitenzahl-Angaben sind approximativ

128 Fuumlr die Bergpredigt bietet der Kommentar von BETZ 1995 eine reichhaltige Fundgrube 129 Abgedruckt werden Diss I 2528ndash31 III 1210 III 209ndash12 2253ndash56100ndash102 IV 5 (=

bdquoAn die Streitsuumlchtigen und Grimmigenldquo)1f 24 Ench 42 130 S oben S 131 An Epiktet-Texten werden abgedruckt neben der zentralen Diss I 16 (bdquoUumlber die Vorse-

hungldquo) 1ndash815ndash21 Diss I 919f II 235f III 57ndash11 III 1313f III 2627f IV 1014ndash16

158

eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

159

Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

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BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

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BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

BONHOumlFFER A Die Ethik des Stoikers Epiktet Stuttgart 1894 (= 1968) BONHOumlFFER A Epictet und die Stoa Untersuchungen zur stoischen Philosophie

Stuttgart 1890 (= 1968) BONHOumlFFER A Epiktet und das Neue Testament (RVV 10) Giessen 1911 (= Berlin

1964) BONHOumlFFER A Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 281ndash292 BOTER G The Encheiridion of Epictetus and its three Christian Adaptations Trans-

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sammelte Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt Tuumlbingen 31971 159ndash167 343f

BULTMANN R Das religioumlse Moment in der ethischen Unterweisung des Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 97ndash110 177ndash191

BULTMANN R Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen Zuumlrich 1949 41976

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KLAUCK H-J Dankbar leben dankbar sterben Εὐχαριστεῖν bei Epiktet in ders Gemeinde Amt Sakrament Neutestamentliche Perspektiven Wuumlrzburg 1989 373ndash390

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aus Griechentum und Hellenismus Bd II Texte zur Briefliteratur und zur Jo-hannesapokalypse Berlin ua 1996 Bd I1 Texte zum Markusevangelium ebd 2008 Bd I2 Texte zum Johannesevangelium ebd 2001

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to God and tripartite Man in Ancient Judaism ancient Philosophy and Early Christianity (WUNT 232) Tuumlbingen 2008

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166

VOLLENWEIDER S Der Geist Gottes als Selbst der Glaubenden Uumlberlegungen zu einem ontologischen Problem in der paulinischen Anthropologie in Ders Ho-rizonte neutestamentlicher Christologie (WUNT 144) Tuumlbingen 2002 163ndash192

VOLLENWEIDER S Freiheit als neue Schoumlpfung Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt (FRLANT 147) Goumlttingen 1989

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WEHNER B Die Funktion der Dialogstruktur in Epiktets Diatriben (Philosophie der Antike 13) Stuttgart 2000

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mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 41: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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eigenen Plage (Jesus)132 der Zeitpunkt vom Leben Abschied zu nehmen will recht-zeitig erkannt sein (Epiktet) Einen gegenuumlber Jesus besonderen Akzent setzt Epiktet mit dem Aufruf zum bestaumlndigen Dank Zwischen Bergpredigt und Epiktet-Texten gibt es daruumlber hinaus zahlreiche Beruumlhrungspunkte die jeweils ganz verschieden zu taxieren sind der gottgegebene Friede (293f)133 das Schwurverbot (444) das Gegen-uumlber von innerer Haltung und aumlusserer Demonstration (Mt 61ndash6) (549f 553) samt dem inneren Kaumlmmerchen (561) die Warnung davor bdquozwei Herren zu dienenldquo bzw bdquozwei Rollen zu spielenldquo (646f) Baumetaphern fuumlr die richtige Einstellung (741) (Mt 724ndash27 bzw Diss II 158ndash10) bdquoSuchen und Findenldquo (694)134 Gott als Vater (598f)

Neben der Bergpredigt nimmt die Aussendungsrede (Mt 10) bedeutsamen Raum ein Uumlber die zentrale Sendungsmotivik hinaus wo natuumlrlich Epiktets gottgesandter Kyni-ker (Diss III 22) ausgiebig zur Sprache kommt (847ndash849 vgl 760f 172) ist eigens zu verweisen auf die Relativierung der das Toumlten des Koumlrpers unterzogen wird (Mt 1028) (863 870ndash873) Furcht ist hier die falsche Haltung wie Epiktet besonders an-hand eines gefluumlgelten Sokratesworts (Apol30cd) herausstreicht (Ench 534 uouml) Schliesslich sei die huumlbsche Bezugsstelle zum hierarchiebewussten Wort des Haupt-manns von Mt 88f notiert wo Epiktet das Leben als einen in Rangordnungen einge-passten Kriegsdienst vorstellt (753) (Diss III 2434ndash36)

73 Johannesevangelium

Mit etwa 70 Treffern erweist sich Epiktet auch als ergiebig fuumlr das Vierte Evangelium obschon dieses ndash trotz neueren Einspruchs ndash135 kaum breite Schnittstellen zur stoi-schen Philosophie anbietet vom Logos des Prologs einmal abgesehen Zu letzterem wird nur gerade eine Epiktet-Passage aufgefuumlhrt die allerdings die Aussage von der Fleischwerdung staumlrker hervortreten laumlsst (Diss II 81f) (11 vgl 57)136 Wenig uumlber-raschend findet sich eine markante Verdichtung der Textbezuumlge im Feld der Christo-logie wo der Philosoph an der Stelle von Jesus dem Gottessohn steht So ist Jesu Weggang als Bedingung fuumlr das Kommen des erinnernden bdquoParakletenldquo (167 vgl 1426) vergleichbar mit dem an Sokrates erkennbaren Gewicht das der Tod eines

132 Zu Mt 634 wird 668 eine sprachlich (nicht inhaltlich) nahe Wendung zitiert (Diss II

1918f) bdquoWas verspottest du mich wo ich schon Uumlbel genug habe (πρὸς τοῖς ἐμοῖς

κακοῖς) [hellip] Mir reichen meine Uumlbel (ἀρκεῖ ἐμοὶ τὰ ἐμὰ κακά)ldquo 133 Diss III 139ndash15 bietet mit seiner Antithese zwischen kaiserlichem und goumlttlichem Frie-

den auch eine wichtige Textstelle zum Verstaumlndnis von Joh 1427 und Phil 46 134 Dazu oben S 135 Vgl dazu die Beitraumlge in RASIMUSENGBERG-PEDERSEN 2010 77ndash114 dazu kritisch

VOLLENWEIDER 2012 136 Dazu kommen zwei spezifisch sprachliche Bezuumlge zum οὐδὲ ἕν in 13 (26f)

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Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

MITCHELL (Hg) Antiquity and Humanity Essays on ancient Religion and Phi-losophy presented to Hans Dieter Betz Tuumlbingen 2001 385ndash412

B LANG Jesus der Hund Leben und Lehre eines juumldischen Kynikers Beckrsquosche Reihe 1957 Muumlnchen 2010

BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

BONHOumlFFER A Die Ethik des Stoikers Epiktet Stuttgart 1894 (= 1968) BONHOumlFFER A Epictet und die Stoa Untersuchungen zur stoischen Philosophie

Stuttgart 1890 (= 1968) BONHOumlFFER A Epiktet und das Neue Testament (RVV 10) Giessen 1911 (= Berlin

1964) BONHOumlFFER A Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 281ndash292 BOTER G The Encheiridion of Epictetus and its three Christian Adaptations Trans-

mission and critical Editions (PhA 82) Leiden ua 1999 BRAICOVICH RS Freedom and Determinism in Epictetusrsquo Discourses CQ 60 (2010)

202ndash220 BRAUN H Die Indifferenz gegenuumlber der Welt bei Paulus und bei Epiktet in Ge-

sammelte Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt Tuumlbingen 31971 159ndash167 343f

BULTMANN R Das religioumlse Moment in der ethischen Unterweisung des Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 97ndash110 177ndash191

BULTMANN R Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen Zuumlrich 1949 41976

CAPELLE W Rez Bonhoumlffer Epiktet und das NT ThLZ 38 (1913) 161ndash165 CASSANMAGNAGO C REALE G (Hg) Epitteto Tutte le opere Testo greco a fronte

Mailand 2009 CIZEK E Epictegravete et lrsquoheacuteritage stoiumlcien Studii Clasice 17 (1975) 71ndash87

164

COLARDEAU Th Etude sur Epictegravete Paris 1903 DE LACY Ph The Logical Structure of the Ethics of Epictetus CP 38 (1943) 112ndash

125 DOBBIN RF Epictetus Discourses Book I Oxford 1998 EBNER M Kynische Jesusinterpretation ndash bdquodisciplinated exaggerationldquo Eine An-

frage in BZ 40 (1996) 93ndash100 ENGBERG-PEDERSEN T Paul and the Stoics Edinburgh 2000 ENGBERG-PEDERSEN TCosmology and Self in the Apostle Paul The material Spirit

Oxford 2010 FORSCHNER M Die stoische Ethik Uumlber den Zusammenhang von Natur- Sprach-

und Moralphilosophie im altstoischen System Darmstadt 21995 GALLOWAY LE Freedom in the Gospel Paullsquos exemplum in 1 Cor 9 in conversation

with the discourses of Epictetus and Philo Leiden usw 2004 GRAVER M Not even Zeus A Discussion of A A Long Epictetus A Stoic and

Socratic Guide to Life Oxford Studies in Ancient Philosophy 25 (2003) 345ndash361

GRETENKORD JC Der Freiheitsbegriff Epiktets Bochum 1981 GUCKES B Stoische Ethik ndash eine Einfuumlhrung in dies (Hg) Zur Ethik der aumllteren

Stoa Goumlttingen 2004 7ndash29 HADOT I Simplicius Commentaire sur le Manuel drsquoEacutepictegravete Introduction et eacutedition

critique du texte grec (PhA 66) Leiden ua 1996 HADOT P Die Innere Burg Anleitung zu einer Lektuumlre Marc Aurels dt Uumlbs Frank-

furt aM 1997 HADOT P Philosophie als Lebensform Geistige Uumlbungen in der Antike dt Uumlbs

Berlin 22005 HERSHBELL J The Stoicism of Epictetus ANRW II 363 (1989) 2148ndash2163 HIRSCH-LUIPOLD R Die religioumls-philosophische Literatur der fruumlhen Kaiserzeit und

das Neue Testament in R HIRSCH-LUIPOLD ua (Hg) Religioumlse Philosophie und philosophische Religion der fruumlhen Kaiserzeit Literaturgeschichtliche Per-spektiven (STAC 51) Tuumlbingen 2009

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HUTTUNEN Niko The human Contradiction Epictetus and Romans 7 in A MUS-

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JAGU A Epictegravete et Platon Essai sur les relations du stoiumlcisme et du platonisme agrave propos de la morale des Entretiens Paris 1946

KAMLAH Der Ruf des Steuermanns Die religioumlse Verlegenheit dieser Zeit und die Philosophie Stuttgart 1954

KLAUCK H-J- Wettstein alt und neu Zur Neuausgabe eines Standardwerks Bibli-sche Zeitschrift 41 (1997) 89ndash95

KLAUCK H-J Dankbar leben dankbar sterben Εὐχαριστεῖν bei Epiktet in ders Gemeinde Amt Sakrament Neutestamentliche Perspektiven Wuumlrzburg 1989 373ndash390

KLAUCK H-J Die religioumlse Umwelt des Urchristentums Bd II (Herrscher- und Kai-serkult Philosophie Gnosis) (KStTh 92) Stuttgart 1996

LAGRANGE M-J (1912) La philosophie religieuse dEpictegravete et le christianisme RBI (NS) 9 (1912) 5ndash21 192ndash212

LONG A A Epictetus A Stoic and Socratic Guide to Life Oxford 2002 LONG AA SEDLEY DN Die hellenistischen Philosophen Texte und Kommen-

tare dt Uumlbs Stuttgart 2000 LONG AA From Epicurus to Epictetus Studies in Hellenistic and Roman Philoso-

phy Oxford 2006 MOREAU J (1964) Epictegravete ou le secret de la liberteacute Philosophes de tous les temps

Paris 1964 NESTLE D Eleutheria Studien zum Wesen der Freiheit bei den Griechen und im

Neuen Testament I Die Griechen (HUTh 6) Tuumlbingen 1967

165

NGUYEN VHT Christian Identity in Corinth A comparative Study of 2 Corinthians Epictetus and Valerius Maximus (WUNT II243) Tuumlbingen 2008

NIEBUHR K-W Das Corpus Hellenisticum Anmerkungen zur Geschichte eines Problems in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Tes-tament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Ju-daeo-Hellenisticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 361ndash379

POHLENZ M Die Stoa Geschichte einer geistigen Bewegung Goumlttingen I 82010 II 61991

POHLENZ M Rez ABonhoumlffer Epiktet und das Neue Testament GGA 175 (1913) 633ndash650

RAMELLI I Philosophen und Prediger Dion und Paulus ndash pagane und christliche weise Maumlnner in H-G NESSELRATH (Hg) Dion von Prusa Der Philosoph und sein Bild Sapere Tuumlbingen 2009 183ndash210

RASIMUS T ENGBERG-PEDERSEN T (Hg) Stoicism in early Christianity Peabody Mass 2010

RAUSCH H THEORIA Von ihrer sakralen zur philosophischen Bedeutung (Huma-nistische Bibliothek R 1 29) Muumlnchen 1982

REALE G siehe CASSANMAGNAGO REALE 2009 SCALTSAS ThMASON AS (Hg) The Philosophy of Epictetus Oxford 2007 SCHMELLER Th Art Diatribe NT erscheint in EBR 5 (2012) SCHMITZ O Der Freiheitsgedanke bei Epiktet und das Freiheitszeugnis des Paulus

Ein religionsgeschichtlicher Vergleich (NTF I1) Guumltersloh 1923 SCHNELLE U Paulus und Epiktet ndash zwei ethische Modelle in FW HORN F WIL-

HELM (Hg) Jenseits von Indikativ und Imperativ Kontexte und Normen neutes-tamentlicher Ethik (Contexts and Norms of New Testament Ethics 1) (WUNT 238) Tuumlbingen 2009 137ndash158

SCHRAGE W Die Stellung zur Welt bei Paulus Epiktet und in der Apokalyptik Ein Beitrag zu 1 Kor 729ndash31 in ders Kreuzestheologie und Ethik im Neuen Tes-tament Gesammelte Aufsaumltze Goumlttingen 2004 59ndash86

SEELIG G Religionsgeschichtliche Methode in Vergangenheit und Gegenwart Ar-beiten zur Bibel und ihrer Geschichte 7 Leipzig 2001

SEVENSTER J N Education or conversion Epictetus and the Gospels NT 8 (1966) 247ndash262

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Introduction texte usw (SC 503) Paris 2007 SPANNEUT M Art Epiktet RAC 5 (1962) 599ndash681 STEINMETZ P Die Stoa in H FLASHAR (Hg) Die hellenistische Philosophie

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York 2007 STRECKER G SCHNELLE U (Hg) Neuer Wettstein Texte zum Neuen Testament

aus Griechentum und Hellenismus Bd II Texte zur Briefliteratur und zur Jo-hannesapokalypse Berlin ua 1996 Bd I1 Texte zum Markusevangelium ebd 2008 Bd I2 Texte zum Johannesevangelium ebd 2001

STRECKER G SCHNELLE U (Hg) Neuer Wettstein Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus Berlin ua

THOM JC Cleanthesrsquo Hymn to Zeus (STAC 33) Tuumlbingen 2005 THOM JC Popular Philosophy in the Hellenistic-Roman World Early Christianity

3 (2012) 279ndash295 VAN KOOTEN GH Paulrsquos Anthropology in Context The Image of God Assimilation

to God and tripartite Man in Ancient Judaism ancient Philosophy and Early Christianity (WUNT 232) Tuumlbingen 2008

VOLLENWEIDER S bdquoMitten auf dem Areopagldquo Uumlberlegungen zu den Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament Early Christianity 3 (2012) 296ndash320

166

VOLLENWEIDER S Der Geist Gottes als Selbst der Glaubenden Uumlberlegungen zu einem ontologischen Problem in der paulinischen Anthropologie in Ders Ho-rizonte neutestamentlicher Christologie (WUNT 144) Tuumlbingen 2002 163ndash192

VOLLENWEIDER S Freiheit als neue Schoumlpfung Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt (FRLANT 147) Goumlttingen 1989

WALTER N Zur Chronik des Corpus Hellenisticum von den Anfaumlngen bis 195558 in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenis-ticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 325ndash344

WEBER R Die Distanz im Verhaumlltnis zur Welt bei Epiktet Jesus und Paulus in B KOLLMANN ua (Hg) Antikes Judentum und fruumlhes Christentum FS H Stege-mann Berlin ua 1998 327ndash349

WEHNER B Die Funktion der Dialogstruktur in Epiktets Diatriben (Philosophie der Antike 13) Stuttgart 2000

WENDLAND P Rez Th Zahn Der Stoiker Epiktet ThLZ 19 (1895) 493ndash495 WETTSTEIN JJ Novum Testamentum Graecum Amsterdam 175152 (= Graz 1962) WILLMS L Epiktets Diatribe Uumlber die Freiheit (41) Einleitung Uumlbersetzung Kom-

mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 42: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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Menschen dem Gedaumlchtnis seiner Worte und Taten verschafft (Diss IV 1169) (736) Die innere Macht des Philosophen sich Gutes oder Boumlses zuzufuumlgen korreliert mit der Exusia des Sohns sein Leben einzusetzen und es wieder zu nehmen (Joh 1018) (541) Wie Jesus (Joh 225) kennt auch Musonius Epiktets Lehrer das Innere des Menschen (138) Zu Jesu Hingabe des Lebens fuumlr die Freunde (Joh 1513) wird selbst-verstaumlndlich das Freundschaftsethos das vom Philosophen vorbildlich gelebt wird aufgeboten (720 vgl 590f Menschenliebe 597 Tod fuumlr das Vaterland) Daruumlber hin-aus entspricht der bdquoEinziggeborene vom Vaterldquo (Joh 114) dem Herakles Epiktets der Zeus wirklich fuumlr seinen Vater hielt und sich entsprechend verhielt (Diss III 2414ndash16) (57 vgl 742) Bei der johanneischen Praumldikation Gottes als Geist (πνεῦμα Joh 424) nimmt man nicht ohne Erstaunen zur Kenntnis dass Epiktet zwar Gott bzw das Gute als bdquoVernunft (νοῦς) Wissen (ἐπιστήμη) und rechten Logos (λόγος ὀρθός) bestimmt (Diss II 81f9ndash11) aber keine theologische Pneuma-Passage bietet (231f) Die Fehlanzeige ist wohl als Indiz dafuumlr zu werten dass die juumlngere Stoa fuumlr die Ver-mittlung zwischen Physik und Theologie bzw persoumlnlicher Froumlmmigkeit nicht mit der Pneuma-Terminologie operiert Diese bietet sich somit kaum als Schnittstelle zur urchristlichen Pneumatologie an137

Die Gotteskindschaft an der Jesus den Seinen Anteil gibt (Joh 112 vgl 1034f) laumldt ein zu mehreren Bezugnahmen auf Epiktet fuumlr den die Menschen als Logostraumlger wesenhaft Soumlhne Gottes bzw Zeusrsquo sind (49 559) Anders als bei Epiktet (694 742) ist fuumlr Joh allerdings Jesus exklusiv der von oben kommende im Uranfang gezeugte Gottessohn (Joh 11 1418 171) Diese Basisdifferenz gilt auch fuumlr den Leib als Tempel (Joh 221) (136) Die Sendungsmotivik im Vierten Evangelium neben Jesus auch auf Johannes den Taumlufer bezogen (Joh 16f) haftet bei Epiktet am Kyniker-Phi-losophen und hier besonders in der Funktion als Zeuge zumal bei Diogenes und Sok-rates (37ndash40 316 325f) Das bdquoEs ist vollbrachtldquo legt das Evangelium dem sterbenden Jesus in den Mund (Joh 1930) waumlhrend Epiktet den Philosophen allabendlich nach dem vollbrachten Noumltigen fragen laumlsst (829f unter Berufung auf Pythagoras) Fuumlr den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit (Joh 831ndash36) bieten sich zentrale Epiktet-Texte an darunter natuumlrlich besonders unsere Freiheitsdiatribe (432ndash434 446 vgl 69) Trefflich sind aumlhnlich formulierte sprachliche Aumlusserungen bdquoErtappt beim Ehe-bruchldquo (411) bdquoWas hat das mit dir und mir zu tunldquo (98) der feststehende Entschluss (Joh 1922) (821) das bdquoAusstrecken der Armeldquo bei Gekreuzigten (857f) Jesu bdquoWas kuumlmmert es dichldquo (Joh 2122) (858f) und vielleicht auch das bdquoἐγώ εἰμιldquo (366) Der Stellenwert der Freundschaft mit dem Kaiser (Joh 1912) (806ndash808) und die Hirten-

137 Anders ENGBERG-PEDERSEN 2010 8ndash74 der Paulus (und Johannes) vor dem Hintergrund

der stoischen Pneuma-Lehre interpretiert

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metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

MITCHELL (Hg) Antiquity and Humanity Essays on ancient Religion and Phi-losophy presented to Hans Dieter Betz Tuumlbingen 2001 385ndash412

B LANG Jesus der Hund Leben und Lehre eines juumldischen Kynikers Beckrsquosche Reihe 1957 Muumlnchen 2010

BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

BONHOumlFFER A Die Ethik des Stoikers Epiktet Stuttgart 1894 (= 1968) BONHOumlFFER A Epictet und die Stoa Untersuchungen zur stoischen Philosophie

Stuttgart 1890 (= 1968) BONHOumlFFER A Epiktet und das Neue Testament (RVV 10) Giessen 1911 (= Berlin

1964) BONHOumlFFER A Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 281ndash292 BOTER G The Encheiridion of Epictetus and its three Christian Adaptations Trans-

mission and critical Editions (PhA 82) Leiden ua 1999 BRAICOVICH RS Freedom and Determinism in Epictetusrsquo Discourses CQ 60 (2010)

202ndash220 BRAUN H Die Indifferenz gegenuumlber der Welt bei Paulus und bei Epiktet in Ge-

sammelte Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt Tuumlbingen 31971 159ndash167 343f

BULTMANN R Das religioumlse Moment in der ethischen Unterweisung des Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 97ndash110 177ndash191

BULTMANN R Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen Zuumlrich 1949 41976

CAPELLE W Rez Bonhoumlffer Epiktet und das NT ThLZ 38 (1913) 161ndash165 CASSANMAGNAGO C REALE G (Hg) Epitteto Tutte le opere Testo greco a fronte

Mailand 2009 CIZEK E Epictegravete et lrsquoheacuteritage stoiumlcien Studii Clasice 17 (1975) 71ndash87

164

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125 DOBBIN RF Epictetus Discourses Book I Oxford 1998 EBNER M Kynische Jesusinterpretation ndash bdquodisciplinated exaggerationldquo Eine An-

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critique du texte grec (PhA 66) Leiden ua 1996 HADOT P Die Innere Burg Anleitung zu einer Lektuumlre Marc Aurels dt Uumlbs Frank-

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aus Griechentum und Hellenismus Bd II Texte zur Briefliteratur und zur Jo-hannesapokalypse Berlin ua 1996 Bd I1 Texte zum Markusevangelium ebd 2008 Bd I2 Texte zum Johannesevangelium ebd 2001

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VOLLENWEIDER S bdquoMitten auf dem Areopagldquo Uumlberlegungen zu den Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament Early Christianity 3 (2012) 296ndash320

166

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WENDLAND P Rez Th Zahn Der Stoiker Epiktet ThLZ 19 (1895) 493ndash495 WETTSTEIN JJ Novum Testamentum Graecum Amsterdam 175152 (= Graz 1962) WILLMS L Epiktets Diatribe Uumlber die Freiheit (41) Einleitung Uumlbersetzung Kom-

mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 43: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

160

metaphorik mit sehr spezifischen Einzelmotiven (528f 536) runden das Bild ab Man-ches ist kaum auszubeuten ndash ein groumlsserer Kontrast zwischen dem Thomasbekenntnis bdquoMein Herr und mein Gottldquo (Joh 2028) und der von Epiktet zitierten gedankenlosen Redensart bdquoAch Herr Gottldquo ist kaum denkbar (854) von Jesu Auferstehungs- und Gerichtsansage in Joh 528f fuumlhrt kein Weg zum bdquogoumlttlichen Gesetzldquo (Diss III 2442f) und zur Selbstschaumldigung in unserer Diss IV 1119 (311 wo aber wenigstens der Kontrast von diesseitigem und jenseitigem bdquoGerichtldquo zu notieren ist) Eine Prise Hu-mor offeriert immerhin das Waschen der Eselshufe (643) das gerade nicht wie Jesu Fusswaschung in Joh 13 mit einer Status-Umkehrung einhergeht

74 Briefe und Apokalypse

Wie zu erwarten bietet die Briefliteratur viele Impacts darunter gut 70 allein fuumlr das Corpus Paulinum das sowohl durch sein urbanes Setting wie durch seine besondere Naumlhe zur philosophischen Ethik einschlaumlgiges Material fuumlr die Komparatistik bereit-haumllt Die Textbezuumlge liessen sich leicht vervielfachen zumal der Neue Wettstein in diesem ersterschienenen Band noch nicht seinen optimalen Formstand erreicht hat Das Spektrum reicht von eigentlichen Anleihen bei der philosophischen Tradition bis zu Gemeinplaumltzen wie der medizinischen Einschaumltzung des Weins (930) der Uner-freulichkeit haumlsslicher Worte (αἰσχρολογία 743) und dem harten Leben der Wett-kaumlmpfer (326) Fragen laumlsst sich ob der Philosophenmantel (1010f) zum Verstaumlndnis von 2Tim 413 beitraumlgt oder ob sich die Notiz zur Kastration nicht auf die Verwen-dung desselben Verbums (Gal 512) beschraumlnkt (569) oder welcher Zusammenhang zwischen der bdquoLastldquo von Gal 65 und dem zu packenden Henkel von Ench 43 besteht (589)

Der Doppelband identifiziert aber vor allem grosse und gewichtige Schnittstellen vie-les haben wir oben bereits gestreift Die als Gottesdienst pointierte Sendung des Apos-tels und diejenige des Kynikers (1f 526) beider Ehelosigkeit (291) die (im Kontext ironisierte) Koumlnigsherrschaft der Christen (1Kor 48) und des Kynikers (266) die Dis-krepanzen zwischen Wissen und Tun (85f) bzw zwischen Sein und Schein 96f) die Uumlberwindung des Verfallenseins an die Suumlnde (137) korreliert mit dem uumlberwunde-nen Widerspruch zwischen Wollen des Guten und Tun des Schlechten ndash also dem Konflikt der Medea ndash (146f)138 die Thematik von Freiheit und Sklaverei (281 296 322 566f 571f) das bdquoBleibenldquo am gegebenen Ort (295f) die Haltung innerer Distanz zu allem Vorfindlichem (297f 300)139 der Weise inmitten von widrigen Umstaumlnden (Peristasen) (269 435f 456f) die platonisierende Befreiung aus den Fesseln des Koumlr-pers (443) die Parallele von Falschaposteln und schmarotzenden Scheinphilosophen

138 Dazu oben S 139 Dazu oben S

161

(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

MITCHELL (Hg) Antiquity and Humanity Essays on ancient Religion and Phi-losophy presented to Hans Dieter Betz Tuumlbingen 2001 385ndash412

B LANG Jesus der Hund Leben und Lehre eines juumldischen Kynikers Beckrsquosche Reihe 1957 Muumlnchen 2010

BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

BONHOumlFFER A Die Ethik des Stoikers Epiktet Stuttgart 1894 (= 1968) BONHOumlFFER A Epictet und die Stoa Untersuchungen zur stoischen Philosophie

Stuttgart 1890 (= 1968) BONHOumlFFER A Epiktet und das Neue Testament (RVV 10) Giessen 1911 (= Berlin

1964) BONHOumlFFER A Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 281ndash292 BOTER G The Encheiridion of Epictetus and its three Christian Adaptations Trans-

mission and critical Editions (PhA 82) Leiden ua 1999 BRAICOVICH RS Freedom and Determinism in Epictetusrsquo Discourses CQ 60 (2010)

202ndash220 BRAUN H Die Indifferenz gegenuumlber der Welt bei Paulus und bei Epiktet in Ge-

sammelte Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt Tuumlbingen 31971 159ndash167 343f

BULTMANN R Das religioumlse Moment in der ethischen Unterweisung des Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 97ndash110 177ndash191

BULTMANN R Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen Zuumlrich 1949 41976

CAPELLE W Rez Bonhoumlffer Epiktet und das NT ThLZ 38 (1913) 161ndash165 CASSANMAGNAGO C REALE G (Hg) Epitteto Tutte le opere Testo greco a fronte

Mailand 2009 CIZEK E Epictegravete et lrsquoheacuteritage stoiumlcien Studii Clasice 17 (1975) 71ndash87

164

COLARDEAU Th Etude sur Epictegravete Paris 1903 DE LACY Ph The Logical Structure of the Ethics of Epictetus CP 38 (1943) 112ndash

125 DOBBIN RF Epictetus Discourses Book I Oxford 1998 EBNER M Kynische Jesusinterpretation ndash bdquodisciplinated exaggerationldquo Eine An-

frage in BZ 40 (1996) 93ndash100 ENGBERG-PEDERSEN T Paul and the Stoics Edinburgh 2000 ENGBERG-PEDERSEN TCosmology and Self in the Apostle Paul The material Spirit

Oxford 2010 FORSCHNER M Die stoische Ethik Uumlber den Zusammenhang von Natur- Sprach-

und Moralphilosophie im altstoischen System Darmstadt 21995 GALLOWAY LE Freedom in the Gospel Paullsquos exemplum in 1 Cor 9 in conversation

with the discourses of Epictetus and Philo Leiden usw 2004 GRAVER M Not even Zeus A Discussion of A A Long Epictetus A Stoic and

Socratic Guide to Life Oxford Studies in Ancient Philosophy 25 (2003) 345ndash361

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Stoa Goumlttingen 2004 7ndash29 HADOT I Simplicius Commentaire sur le Manuel drsquoEacutepictegravete Introduction et eacutedition

critique du texte grec (PhA 66) Leiden ua 1996 HADOT P Die Innere Burg Anleitung zu einer Lektuumlre Marc Aurels dt Uumlbs Frank-

furt aM 1997 HADOT P Philosophie als Lebensform Geistige Uumlbungen in der Antike dt Uumlbs

Berlin 22005 HERSHBELL J The Stoicism of Epictetus ANRW II 363 (1989) 2148ndash2163 HIRSCH-LUIPOLD R Die religioumls-philosophische Literatur der fruumlhen Kaiserzeit und

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Paris 1964 NESTLE D Eleutheria Studien zum Wesen der Freiheit bei den Griechen und im

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165

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NIEBUHR K-W Das Corpus Hellenisticum Anmerkungen zur Geschichte eines Problems in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Tes-tament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Ju-daeo-Hellenisticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 361ndash379

POHLENZ M Die Stoa Geschichte einer geistigen Bewegung Goumlttingen I 82010 II 61991

POHLENZ M Rez ABonhoumlffer Epiktet und das Neue Testament GGA 175 (1913) 633ndash650

RAMELLI I Philosophen und Prediger Dion und Paulus ndash pagane und christliche weise Maumlnner in H-G NESSELRATH (Hg) Dion von Prusa Der Philosoph und sein Bild Sapere Tuumlbingen 2009 183ndash210

RASIMUS T ENGBERG-PEDERSEN T (Hg) Stoicism in early Christianity Peabody Mass 2010

RAUSCH H THEORIA Von ihrer sakralen zur philosophischen Bedeutung (Huma-nistische Bibliothek R 1 29) Muumlnchen 1982

REALE G siehe CASSANMAGNAGO REALE 2009 SCALTSAS ThMASON AS (Hg) The Philosophy of Epictetus Oxford 2007 SCHMELLER Th Art Diatribe NT erscheint in EBR 5 (2012) SCHMITZ O Der Freiheitsgedanke bei Epiktet und das Freiheitszeugnis des Paulus

Ein religionsgeschichtlicher Vergleich (NTF I1) Guumltersloh 1923 SCHNELLE U Paulus und Epiktet ndash zwei ethische Modelle in FW HORN F WIL-

HELM (Hg) Jenseits von Indikativ und Imperativ Kontexte und Normen neutes-tamentlicher Ethik (Contexts and Norms of New Testament Ethics 1) (WUNT 238) Tuumlbingen 2009 137ndash158

SCHRAGE W Die Stellung zur Welt bei Paulus Epiktet und in der Apokalyptik Ein Beitrag zu 1 Kor 729ndash31 in ders Kreuzestheologie und Ethik im Neuen Tes-tament Gesammelte Aufsaumltze Goumlttingen 2004 59ndash86

SEELIG G Religionsgeschichtliche Methode in Vergangenheit und Gegenwart Ar-beiten zur Bibel und ihrer Geschichte 7 Leipzig 2001

SEVENSTER J N Education or conversion Epictetus and the Gospels NT 8 (1966) 247ndash262

SHARP DS Epictetus and the New Testament London 1914 SOUILHEacute JJAGU A (Ed) Epictegravete CUF 4 Bde Paris 1943ndash65 SPANNEUT M (Ed) Commentaire sur la paraphrase chreacutetienne du Manuel dEpictegravete

Introduction texte usw (SC 503) Paris 2007 SPANNEUT M Art Epiktet RAC 5 (1962) 599ndash681 STEINMETZ P Die Stoa in H FLASHAR (Hg) Die hellenistische Philosophie

(GGPhA 4) Zweiter Halbband Basel 1994 491ndash716 STEPHENS WO Stoic Ethics Epictetus and Happiness as Freedom London-New

York 2007 STRECKER G SCHNELLE U (Hg) Neuer Wettstein Texte zum Neuen Testament

aus Griechentum und Hellenismus Bd II Texte zur Briefliteratur und zur Jo-hannesapokalypse Berlin ua 1996 Bd I1 Texte zum Markusevangelium ebd 2008 Bd I2 Texte zum Johannesevangelium ebd 2001

STRECKER G SCHNELLE U (Hg) Neuer Wettstein Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus Berlin ua

THOM JC Cleanthesrsquo Hymn to Zeus (STAC 33) Tuumlbingen 2005 THOM JC Popular Philosophy in the Hellenistic-Roman World Early Christianity

3 (2012) 279ndash295 VAN KOOTEN GH Paulrsquos Anthropology in Context The Image of God Assimilation

to God and tripartite Man in Ancient Judaism ancient Philosophy and Early Christianity (WUNT 232) Tuumlbingen 2008

VOLLENWEIDER S bdquoMitten auf dem Areopagldquo Uumlberlegungen zu den Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament Early Christianity 3 (2012) 296ndash320

166

VOLLENWEIDER S Der Geist Gottes als Selbst der Glaubenden Uumlberlegungen zu einem ontologischen Problem in der paulinischen Anthropologie in Ders Ho-rizonte neutestamentlicher Christologie (WUNT 144) Tuumlbingen 2002 163ndash192

VOLLENWEIDER S Freiheit als neue Schoumlpfung Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt (FRLANT 147) Goumlttingen 1989

WALTER N Zur Chronik des Corpus Hellenisticum von den Anfaumlngen bis 195558 in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenis-ticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 325ndash344

WEBER R Die Distanz im Verhaumlltnis zur Welt bei Epiktet Jesus und Paulus in B KOLLMANN ua (Hg) Antikes Judentum und fruumlhes Christentum FS H Stege-mann Berlin ua 1998 327ndash349

WEHNER B Die Funktion der Dialogstruktur in Epiktets Diatriben (Philosophie der Antike 13) Stuttgart 2000

WENDLAND P Rez Th Zahn Der Stoiker Epiktet ThLZ 19 (1895) 493ndash495 WETTSTEIN JJ Novum Testamentum Graecum Amsterdam 175152 (= Graz 1962) WILLMS L Epiktets Diatribe Uumlber die Freiheit (41) Einleitung Uumlbersetzung Kom-

mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 44: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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(498) die Gefahren der Selbsttaumluschung (582f) die Mahnung bei sich selber das bdquoWerkldquo zu tun (588) die ethische Profilierung der Gotteskindschaft im Blick auf Skla-ven (Phlm 16 und Diss I 133f) (1068) Neben dem Philosophen ruumlckt wieder Herak-les in die Position ein die fuumlr die Christen Jesus hat so hinsichtlich seiner selbstge-waumlhlten Armut (2Kor 89 und Diss III 2631f) (469) In der Einschaumltzung des Geset-zes wird eine deutliche Differenz notiert (540 bdquoWas ist das Gesetzldquo Gal 319 und Diss II 1628) Nur am Rand finden sprachliche Konvergenzen Beachtung so etwa beim bdquoso bin ich nichtsldquo von 1Kor 132 (371) Eine Trouvaille ist die Anekdote zu Empfehlungsbriefen (425) Zur Haustafel von Kol 318ndash41 bietet sich die stoische Pflichtenlehre an (755f)

Fuumlr die Pastoralbriefe wird verwiesen auf die Mythendeutung (817) den Massstab der bdquogesundenldquo Anschauung (829f) das (schwer auszuhaltende) ruhige Leben (845) die innere Schoumlnheit (853) das Lob der Besonnenheit (863) und schliesslich auf den Wert des regelkonformen Kaumlmpfens (979) Auch fuumlr den Hebraumlerbrief (121) wird die agonistische Metaphorik verzeichnet (1211f) dazu kommt die Tragweite der Froumlm-migkeit (Hebr 116 und Ench 311) (1180f)

Fuumlr die katholischen Briefe heben wir neben der epidemischen Fehlbarkeit (Jak 32) (1294) die bdquoFreundschaft mit Gottldquo heraus die in Jak 223 Abraham zugeschrieben wird bei Epiktet dem Philosophen (1288f) Ein huumlbsches Fundstuumlck ist die Dreckliebe des Schweins (2Petr 222 und Diss IV 1128f) (1417) Schliesslich bietet die Johan-nesapokalypse einige wenige Bezuumlge das Nein zum halbherzigen Engagement (Apk 315) (1497) die Tischgenossenschaft und Mitherrschaft mit den Goumlttern (1498f) und der Einsatz des Verstands (νοῦς Apk 1318) (1572)

75 Bilanz

Der grosszuumlgig bemessene Einbezug von Texten Epiktets im Neuen Wettstein laumlsst neben eher peripheren Uumlbereinstimmungen in der Diktion die sich vor allem dem literarischen Koinegriechisch und teilweise dem Diatribenstil verdanken einige in-haltliche Verdichtungen erkennen An erster Stelle sind die Analogien zwischen dem Philosophen insbesondere dem bdquowahren Kynikerldquo und dem Jesus der Evangelien bzw dem Apostel der Briefe zu nennen Diese paradigmatische Position wird bei Epiktet gern Diogenes Sokrates und dem ndash vergoumlttlichten ndash Herakles zugemessen Im Blick auf die Gotteslehre provoziert Epiktets personal religion Bruumlckenschlaumlge zum neutestamentlichen Verstaumlndnis Gottes als des Schoumlpfers etwa in der Bergpredigt Die Perspektiven auf die Anthropologie schaumlrfen den Blick fuumlr Konvergenzen wie fuumlr Kontraste dies zeigt sich insbesondere im Freiheitsverstaumlndnis Der Bereich der Ethik bietet zahlreiche Schnittstellen die aber oft nicht auf das Konto spezifisch stoischer

162

Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

MITCHELL (Hg) Antiquity and Humanity Essays on ancient Religion and Phi-losophy presented to Hans Dieter Betz Tuumlbingen 2001 385ndash412

B LANG Jesus der Hund Leben und Lehre eines juumldischen Kynikers Beckrsquosche Reihe 1957 Muumlnchen 2010

BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

BONHOumlFFER A Die Ethik des Stoikers Epiktet Stuttgart 1894 (= 1968) BONHOumlFFER A Epictet und die Stoa Untersuchungen zur stoischen Philosophie

Stuttgart 1890 (= 1968) BONHOumlFFER A Epiktet und das Neue Testament (RVV 10) Giessen 1911 (= Berlin

1964) BONHOumlFFER A Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 281ndash292 BOTER G The Encheiridion of Epictetus and its three Christian Adaptations Trans-

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202ndash220 BRAUN H Die Indifferenz gegenuumlber der Welt bei Paulus und bei Epiktet in Ge-

sammelte Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt Tuumlbingen 31971 159ndash167 343f

BULTMANN R Das religioumlse Moment in der ethischen Unterweisung des Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 97ndash110 177ndash191

BULTMANN R Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen Zuumlrich 1949 41976

CAPELLE W Rez Bonhoumlffer Epiktet und das NT ThLZ 38 (1913) 161ndash165 CASSANMAGNAGO C REALE G (Hg) Epitteto Tutte le opere Testo greco a fronte

Mailand 2009 CIZEK E Epictegravete et lrsquoheacuteritage stoiumlcien Studii Clasice 17 (1975) 71ndash87

164

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Stoa Goumlttingen 2004 7ndash29 HADOT I Simplicius Commentaire sur le Manuel drsquoEacutepictegravete Introduction et eacutedition

critique du texte grec (PhA 66) Leiden ua 1996 HADOT P Die Innere Burg Anleitung zu einer Lektuumlre Marc Aurels dt Uumlbs Frank-

furt aM 1997 HADOT P Philosophie als Lebensform Geistige Uumlbungen in der Antike dt Uumlbs

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HUTTUNEN N Paul and Epictetus on Law A Comparison (Library of New Testa-ment Studies 405) London 2009

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POHLENZ M Die Stoa Geschichte einer geistigen Bewegung Goumlttingen I 82010 II 61991

POHLENZ M Rez ABonhoumlffer Epiktet und das Neue Testament GGA 175 (1913) 633ndash650

RAMELLI I Philosophen und Prediger Dion und Paulus ndash pagane und christliche weise Maumlnner in H-G NESSELRATH (Hg) Dion von Prusa Der Philosoph und sein Bild Sapere Tuumlbingen 2009 183ndash210

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RAUSCH H THEORIA Von ihrer sakralen zur philosophischen Bedeutung (Huma-nistische Bibliothek R 1 29) Muumlnchen 1982

REALE G siehe CASSANMAGNAGO REALE 2009 SCALTSAS ThMASON AS (Hg) The Philosophy of Epictetus Oxford 2007 SCHMELLER Th Art Diatribe NT erscheint in EBR 5 (2012) SCHMITZ O Der Freiheitsgedanke bei Epiktet und das Freiheitszeugnis des Paulus

Ein religionsgeschichtlicher Vergleich (NTF I1) Guumltersloh 1923 SCHNELLE U Paulus und Epiktet ndash zwei ethische Modelle in FW HORN F WIL-

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SCHRAGE W Die Stellung zur Welt bei Paulus Epiktet und in der Apokalyptik Ein Beitrag zu 1 Kor 729ndash31 in ders Kreuzestheologie und Ethik im Neuen Tes-tament Gesammelte Aufsaumltze Goumlttingen 2004 59ndash86

SEELIG G Religionsgeschichtliche Methode in Vergangenheit und Gegenwart Ar-beiten zur Bibel und ihrer Geschichte 7 Leipzig 2001

SEVENSTER J N Education or conversion Epictetus and the Gospels NT 8 (1966) 247ndash262

SHARP DS Epictetus and the New Testament London 1914 SOUILHEacute JJAGU A (Ed) Epictegravete CUF 4 Bde Paris 1943ndash65 SPANNEUT M (Ed) Commentaire sur la paraphrase chreacutetienne du Manuel dEpictegravete

Introduction texte usw (SC 503) Paris 2007 SPANNEUT M Art Epiktet RAC 5 (1962) 599ndash681 STEINMETZ P Die Stoa in H FLASHAR (Hg) Die hellenistische Philosophie

(GGPhA 4) Zweiter Halbband Basel 1994 491ndash716 STEPHENS WO Stoic Ethics Epictetus and Happiness as Freedom London-New

York 2007 STRECKER G SCHNELLE U (Hg) Neuer Wettstein Texte zum Neuen Testament

aus Griechentum und Hellenismus Bd II Texte zur Briefliteratur und zur Jo-hannesapokalypse Berlin ua 1996 Bd I1 Texte zum Markusevangelium ebd 2008 Bd I2 Texte zum Johannesevangelium ebd 2001

STRECKER G SCHNELLE U (Hg) Neuer Wettstein Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus Berlin ua

THOM JC Cleanthesrsquo Hymn to Zeus (STAC 33) Tuumlbingen 2005 THOM JC Popular Philosophy in the Hellenistic-Roman World Early Christianity

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to God and tripartite Man in Ancient Judaism ancient Philosophy and Early Christianity (WUNT 232) Tuumlbingen 2008

VOLLENWEIDER S bdquoMitten auf dem Areopagldquo Uumlberlegungen zu den Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament Early Christianity 3 (2012) 296ndash320

166

VOLLENWEIDER S Der Geist Gottes als Selbst der Glaubenden Uumlberlegungen zu einem ontologischen Problem in der paulinischen Anthropologie in Ders Ho-rizonte neutestamentlicher Christologie (WUNT 144) Tuumlbingen 2002 163ndash192

VOLLENWEIDER S Freiheit als neue Schoumlpfung Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt (FRLANT 147) Goumlttingen 1989

WALTER N Zur Chronik des Corpus Hellenisticum von den Anfaumlngen bis 195558 in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenis-ticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 325ndash344

WEBER R Die Distanz im Verhaumlltnis zur Welt bei Epiktet Jesus und Paulus in B KOLLMANN ua (Hg) Antikes Judentum und fruumlhes Christentum FS H Stege-mann Berlin ua 1998 327ndash349

WEHNER B Die Funktion der Dialogstruktur in Epiktets Diatriben (Philosophie der Antike 13) Stuttgart 2000

WENDLAND P Rez Th Zahn Der Stoiker Epiktet ThLZ 19 (1895) 493ndash495 WETTSTEIN JJ Novum Testamentum Graecum Amsterdam 175152 (= Graz 1962) WILLMS L Epiktets Diatribe Uumlber die Freiheit (41) Einleitung Uumlbersetzung Kom-

mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 45: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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Lehrbildung gehen Im Gesamten bestaumltigen der sbquoAltelsquo und der Neue Wettstein dass Epiktets Werk einen kaum zu uumlberschaumltzenden Stellenwert fuumlr das kontextsensitive Verstaumlndnis des Fruumlhchristentums und seiner Texte hat

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Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

MITCHELL (Hg) Antiquity and Humanity Essays on ancient Religion and Phi-losophy presented to Hans Dieter Betz Tuumlbingen 2001 385ndash412

B LANG Jesus der Hund Leben und Lehre eines juumldischen Kynikers Beckrsquosche Reihe 1957 Muumlnchen 2010

BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

BONHOumlFFER A Die Ethik des Stoikers Epiktet Stuttgart 1894 (= 1968) BONHOumlFFER A Epictet und die Stoa Untersuchungen zur stoischen Philosophie

Stuttgart 1890 (= 1968) BONHOumlFFER A Epiktet und das Neue Testament (RVV 10) Giessen 1911 (= Berlin

1964) BONHOumlFFER A Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 281ndash292 BOTER G The Encheiridion of Epictetus and its three Christian Adaptations Trans-

mission and critical Editions (PhA 82) Leiden ua 1999 BRAICOVICH RS Freedom and Determinism in Epictetusrsquo Discourses CQ 60 (2010)

202ndash220 BRAUN H Die Indifferenz gegenuumlber der Welt bei Paulus und bei Epiktet in Ge-

sammelte Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt Tuumlbingen 31971 159ndash167 343f

BULTMANN R Das religioumlse Moment in der ethischen Unterweisung des Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 97ndash110 177ndash191

BULTMANN R Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen Zuumlrich 1949 41976

CAPELLE W Rez Bonhoumlffer Epiktet und das NT ThLZ 38 (1913) 161ndash165 CASSANMAGNAGO C REALE G (Hg) Epitteto Tutte le opere Testo greco a fronte

Mailand 2009 CIZEK E Epictegravete et lrsquoheacuteritage stoiumlcien Studii Clasice 17 (1975) 71ndash87

164

COLARDEAU Th Etude sur Epictegravete Paris 1903 DE LACY Ph The Logical Structure of the Ethics of Epictetus CP 38 (1943) 112ndash

125 DOBBIN RF Epictetus Discourses Book I Oxford 1998 EBNER M Kynische Jesusinterpretation ndash bdquodisciplinated exaggerationldquo Eine An-

frage in BZ 40 (1996) 93ndash100 ENGBERG-PEDERSEN T Paul and the Stoics Edinburgh 2000 ENGBERG-PEDERSEN TCosmology and Self in the Apostle Paul The material Spirit

Oxford 2010 FORSCHNER M Die stoische Ethik Uumlber den Zusammenhang von Natur- Sprach-

und Moralphilosophie im altstoischen System Darmstadt 21995 GALLOWAY LE Freedom in the Gospel Paullsquos exemplum in 1 Cor 9 in conversation

with the discourses of Epictetus and Philo Leiden usw 2004 GRAVER M Not even Zeus A Discussion of A A Long Epictetus A Stoic and

Socratic Guide to Life Oxford Studies in Ancient Philosophy 25 (2003) 345ndash361

GRETENKORD JC Der Freiheitsbegriff Epiktets Bochum 1981 GUCKES B Stoische Ethik ndash eine Einfuumlhrung in dies (Hg) Zur Ethik der aumllteren

Stoa Goumlttingen 2004 7ndash29 HADOT I Simplicius Commentaire sur le Manuel drsquoEacutepictegravete Introduction et eacutedition

critique du texte grec (PhA 66) Leiden ua 1996 HADOT P Die Innere Burg Anleitung zu einer Lektuumlre Marc Aurels dt Uumlbs Frank-

furt aM 1997 HADOT P Philosophie als Lebensform Geistige Uumlbungen in der Antike dt Uumlbs

Berlin 22005 HERSHBELL J The Stoicism of Epictetus ANRW II 363 (1989) 2148ndash2163 HIRSCH-LUIPOLD R Die religioumls-philosophische Literatur der fruumlhen Kaiserzeit und

das Neue Testament in R HIRSCH-LUIPOLD ua (Hg) Religioumlse Philosophie und philosophische Religion der fruumlhen Kaiserzeit Literaturgeschichtliche Per-spektiven (STAC 51) Tuumlbingen 2009

HUTTUNEN N Paul and Epictetus on Law A Comparison (Library of New Testa-ment Studies 405) London 2009

HUTTUNEN Niko The human Contradiction Epictetus and Romans 7 in A MUS-

TAKALLO (Hg) Lux Humana Lux Aeterna Essays on biblical and related Themes in Honour of Lars Aejmelaeus Helsinki 2005 324ndash333

JAGU A Epictegravete et Platon Essai sur les relations du stoiumlcisme et du platonisme agrave propos de la morale des Entretiens Paris 1946

KAMLAH Der Ruf des Steuermanns Die religioumlse Verlegenheit dieser Zeit und die Philosophie Stuttgart 1954

KLAUCK H-J- Wettstein alt und neu Zur Neuausgabe eines Standardwerks Bibli-sche Zeitschrift 41 (1997) 89ndash95

KLAUCK H-J Dankbar leben dankbar sterben Εὐχαριστεῖν bei Epiktet in ders Gemeinde Amt Sakrament Neutestamentliche Perspektiven Wuumlrzburg 1989 373ndash390

KLAUCK H-J Die religioumlse Umwelt des Urchristentums Bd II (Herrscher- und Kai-serkult Philosophie Gnosis) (KStTh 92) Stuttgart 1996

LAGRANGE M-J (1912) La philosophie religieuse dEpictegravete et le christianisme RBI (NS) 9 (1912) 5ndash21 192ndash212

LONG A A Epictetus A Stoic and Socratic Guide to Life Oxford 2002 LONG AA SEDLEY DN Die hellenistischen Philosophen Texte und Kommen-

tare dt Uumlbs Stuttgart 2000 LONG AA From Epicurus to Epictetus Studies in Hellenistic and Roman Philoso-

phy Oxford 2006 MOREAU J (1964) Epictegravete ou le secret de la liberteacute Philosophes de tous les temps

Paris 1964 NESTLE D Eleutheria Studien zum Wesen der Freiheit bei den Griechen und im

Neuen Testament I Die Griechen (HUTh 6) Tuumlbingen 1967

165

NGUYEN VHT Christian Identity in Corinth A comparative Study of 2 Corinthians Epictetus and Valerius Maximus (WUNT II243) Tuumlbingen 2008

NIEBUHR K-W Das Corpus Hellenisticum Anmerkungen zur Geschichte eines Problems in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Tes-tament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Ju-daeo-Hellenisticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 361ndash379

POHLENZ M Die Stoa Geschichte einer geistigen Bewegung Goumlttingen I 82010 II 61991

POHLENZ M Rez ABonhoumlffer Epiktet und das Neue Testament GGA 175 (1913) 633ndash650

RAMELLI I Philosophen und Prediger Dion und Paulus ndash pagane und christliche weise Maumlnner in H-G NESSELRATH (Hg) Dion von Prusa Der Philosoph und sein Bild Sapere Tuumlbingen 2009 183ndash210

RASIMUS T ENGBERG-PEDERSEN T (Hg) Stoicism in early Christianity Peabody Mass 2010

RAUSCH H THEORIA Von ihrer sakralen zur philosophischen Bedeutung (Huma-nistische Bibliothek R 1 29) Muumlnchen 1982

REALE G siehe CASSANMAGNAGO REALE 2009 SCALTSAS ThMASON AS (Hg) The Philosophy of Epictetus Oxford 2007 SCHMELLER Th Art Diatribe NT erscheint in EBR 5 (2012) SCHMITZ O Der Freiheitsgedanke bei Epiktet und das Freiheitszeugnis des Paulus

Ein religionsgeschichtlicher Vergleich (NTF I1) Guumltersloh 1923 SCHNELLE U Paulus und Epiktet ndash zwei ethische Modelle in FW HORN F WIL-

HELM (Hg) Jenseits von Indikativ und Imperativ Kontexte und Normen neutes-tamentlicher Ethik (Contexts and Norms of New Testament Ethics 1) (WUNT 238) Tuumlbingen 2009 137ndash158

SCHRAGE W Die Stellung zur Welt bei Paulus Epiktet und in der Apokalyptik Ein Beitrag zu 1 Kor 729ndash31 in ders Kreuzestheologie und Ethik im Neuen Tes-tament Gesammelte Aufsaumltze Goumlttingen 2004 59ndash86

SEELIG G Religionsgeschichtliche Methode in Vergangenheit und Gegenwart Ar-beiten zur Bibel und ihrer Geschichte 7 Leipzig 2001

SEVENSTER J N Education or conversion Epictetus and the Gospels NT 8 (1966) 247ndash262

SHARP DS Epictetus and the New Testament London 1914 SOUILHEacute JJAGU A (Ed) Epictegravete CUF 4 Bde Paris 1943ndash65 SPANNEUT M (Ed) Commentaire sur la paraphrase chreacutetienne du Manuel dEpictegravete

Introduction texte usw (SC 503) Paris 2007 SPANNEUT M Art Epiktet RAC 5 (1962) 599ndash681 STEINMETZ P Die Stoa in H FLASHAR (Hg) Die hellenistische Philosophie

(GGPhA 4) Zweiter Halbband Basel 1994 491ndash716 STEPHENS WO Stoic Ethics Epictetus and Happiness as Freedom London-New

York 2007 STRECKER G SCHNELLE U (Hg) Neuer Wettstein Texte zum Neuen Testament

aus Griechentum und Hellenismus Bd II Texte zur Briefliteratur und zur Jo-hannesapokalypse Berlin ua 1996 Bd I1 Texte zum Markusevangelium ebd 2008 Bd I2 Texte zum Johannesevangelium ebd 2001

STRECKER G SCHNELLE U (Hg) Neuer Wettstein Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus Berlin ua

THOM JC Cleanthesrsquo Hymn to Zeus (STAC 33) Tuumlbingen 2005 THOM JC Popular Philosophy in the Hellenistic-Roman World Early Christianity

3 (2012) 279ndash295 VAN KOOTEN GH Paulrsquos Anthropology in Context The Image of God Assimilation

to God and tripartite Man in Ancient Judaism ancient Philosophy and Early Christianity (WUNT 232) Tuumlbingen 2008

VOLLENWEIDER S bdquoMitten auf dem Areopagldquo Uumlberlegungen zu den Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament Early Christianity 3 (2012) 296ndash320

166

VOLLENWEIDER S Der Geist Gottes als Selbst der Glaubenden Uumlberlegungen zu einem ontologischen Problem in der paulinischen Anthropologie in Ders Ho-rizonte neutestamentlicher Christologie (WUNT 144) Tuumlbingen 2002 163ndash192

VOLLENWEIDER S Freiheit als neue Schoumlpfung Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt (FRLANT 147) Goumlttingen 1989

WALTER N Zur Chronik des Corpus Hellenisticum von den Anfaumlngen bis 195558 in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenis-ticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 325ndash344

WEBER R Die Distanz im Verhaumlltnis zur Welt bei Epiktet Jesus und Paulus in B KOLLMANN ua (Hg) Antikes Judentum und fruumlhes Christentum FS H Stege-mann Berlin ua 1998 327ndash349

WEHNER B Die Funktion der Dialogstruktur in Epiktets Diatriben (Philosophie der Antike 13) Stuttgart 2000

WENDLAND P Rez Th Zahn Der Stoiker Epiktet ThLZ 19 (1895) 493ndash495 WETTSTEIN JJ Novum Testamentum Graecum Amsterdam 175152 (= Graz 1962) WILLMS L Epiktets Diatribe Uumlber die Freiheit (41) Einleitung Uumlbersetzung Kom-

mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 46: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

163

Anhang Literaturverzeichnis

Ausgaben und Uumlbersetzungen

BOTER G 1999 siehe Sekundaumlrliteratur CAPELLE W Epiktet Teles und Musonius Wege zum gluumlckseligen Leben

(BAWGR) Zuumlrich 1948 NICKEL R Epiktet Teles und Musonius Wege zum Gluumlck (BAWGR) Zuumlrich 1987 STEINMETZ P Epiktet Handbuumlchlein der Moral (RUB 8788) Stuttgart 1992 22004 WILLMS L 2011 2012 siehe Sekundaumlrliteratur Sekundaumlrliteratur

-- Bd I11 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Markusevan-gelium 2008

-- Bd I12-1 (unter Mitarbeit von M LANG) Texte zum Matthaumlusevangelium (Matthaumlus 1ndash10) erscheint Ende 2012

-- Bd I2 (unter Mitarbeit von M LABAHN M LANG) Texte zum Johannesevan-gelium 2001

-- Bd II 1 und 2 (unter Mitarbeit von G SEELIG) Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse 1996

ALGRA K Epictetus and Stoic Theology in SCALTASMASON 2007 32ndash55 ASMIS Elizabeth Choice in Epictetusrsquo Philosophy in A YARBRO COLLINS MM

MITCHELL (Hg) Antiquity and Humanity Essays on ancient Religion and Phi-losophy presented to Hans Dieter Betz Tuumlbingen 2001 385ndash412

B LANG Jesus der Hund Leben und Lehre eines juumldischen Kynikers Beckrsquosche Reihe 1957 Muumlnchen 2010

BETZ HD A Commentary on the Sermon on the Mount including the Sermon on the Plain (Matthew 53ndash727 and Luke 620ndash49) (Hermeneia) Minneapolis 1995

BETZ HD Jesus and the Cynics Survey and Analysis of a Hypothesis in Ders Antike und Christentum Gesammelte Aufsaumltze Bd 4 Tuumlbingen 1998 32ndash56

BILLERBECK M Epiktet vom Kynismus (Diss III 22) hg und uumlbers mit einem Kommentar PhAnt 34 Leiden 1978

BOumlMER F Untersuchungen uumlber die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom Bd 1 Die wichtigsten Kulte und Religionen in Rom und im lateinischen Westen (FASk 141) Wiesbaden 21981

BONHOumlFFER A Die Ethik des Stoikers Epiktet Stuttgart 1894 (= 1968) BONHOumlFFER A Epictet und die Stoa Untersuchungen zur stoischen Philosophie

Stuttgart 1890 (= 1968) BONHOumlFFER A Epiktet und das Neue Testament (RVV 10) Giessen 1911 (= Berlin

1964) BONHOumlFFER A Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 281ndash292 BOTER G The Encheiridion of Epictetus and its three Christian Adaptations Trans-

mission and critical Editions (PhA 82) Leiden ua 1999 BRAICOVICH RS Freedom and Determinism in Epictetusrsquo Discourses CQ 60 (2010)

202ndash220 BRAUN H Die Indifferenz gegenuumlber der Welt bei Paulus und bei Epiktet in Ge-

sammelte Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt Tuumlbingen 31971 159ndash167 343f

BULTMANN R Das religioumlse Moment in der ethischen Unterweisung des Epiktet und das Neue Testament ZNW 13 (1912) 97ndash110 177ndash191

BULTMANN R Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen Zuumlrich 1949 41976

CAPELLE W Rez Bonhoumlffer Epiktet und das NT ThLZ 38 (1913) 161ndash165 CASSANMAGNAGO C REALE G (Hg) Epitteto Tutte le opere Testo greco a fronte

Mailand 2009 CIZEK E Epictegravete et lrsquoheacuteritage stoiumlcien Studii Clasice 17 (1975) 71ndash87

164

COLARDEAU Th Etude sur Epictegravete Paris 1903 DE LACY Ph The Logical Structure of the Ethics of Epictetus CP 38 (1943) 112ndash

125 DOBBIN RF Epictetus Discourses Book I Oxford 1998 EBNER M Kynische Jesusinterpretation ndash bdquodisciplinated exaggerationldquo Eine An-

frage in BZ 40 (1996) 93ndash100 ENGBERG-PEDERSEN T Paul and the Stoics Edinburgh 2000 ENGBERG-PEDERSEN TCosmology and Self in the Apostle Paul The material Spirit

Oxford 2010 FORSCHNER M Die stoische Ethik Uumlber den Zusammenhang von Natur- Sprach-

und Moralphilosophie im altstoischen System Darmstadt 21995 GALLOWAY LE Freedom in the Gospel Paullsquos exemplum in 1 Cor 9 in conversation

with the discourses of Epictetus and Philo Leiden usw 2004 GRAVER M Not even Zeus A Discussion of A A Long Epictetus A Stoic and

Socratic Guide to Life Oxford Studies in Ancient Philosophy 25 (2003) 345ndash361

GRETENKORD JC Der Freiheitsbegriff Epiktets Bochum 1981 GUCKES B Stoische Ethik ndash eine Einfuumlhrung in dies (Hg) Zur Ethik der aumllteren

Stoa Goumlttingen 2004 7ndash29 HADOT I Simplicius Commentaire sur le Manuel drsquoEacutepictegravete Introduction et eacutedition

critique du texte grec (PhA 66) Leiden ua 1996 HADOT P Die Innere Burg Anleitung zu einer Lektuumlre Marc Aurels dt Uumlbs Frank-

furt aM 1997 HADOT P Philosophie als Lebensform Geistige Uumlbungen in der Antike dt Uumlbs

Berlin 22005 HERSHBELL J The Stoicism of Epictetus ANRW II 363 (1989) 2148ndash2163 HIRSCH-LUIPOLD R Die religioumls-philosophische Literatur der fruumlhen Kaiserzeit und

das Neue Testament in R HIRSCH-LUIPOLD ua (Hg) Religioumlse Philosophie und philosophische Religion der fruumlhen Kaiserzeit Literaturgeschichtliche Per-spektiven (STAC 51) Tuumlbingen 2009

HUTTUNEN N Paul and Epictetus on Law A Comparison (Library of New Testa-ment Studies 405) London 2009

HUTTUNEN Niko The human Contradiction Epictetus and Romans 7 in A MUS-

TAKALLO (Hg) Lux Humana Lux Aeterna Essays on biblical and related Themes in Honour of Lars Aejmelaeus Helsinki 2005 324ndash333

JAGU A Epictegravete et Platon Essai sur les relations du stoiumlcisme et du platonisme agrave propos de la morale des Entretiens Paris 1946

KAMLAH Der Ruf des Steuermanns Die religioumlse Verlegenheit dieser Zeit und die Philosophie Stuttgart 1954

KLAUCK H-J- Wettstein alt und neu Zur Neuausgabe eines Standardwerks Bibli-sche Zeitschrift 41 (1997) 89ndash95

KLAUCK H-J Dankbar leben dankbar sterben Εὐχαριστεῖν bei Epiktet in ders Gemeinde Amt Sakrament Neutestamentliche Perspektiven Wuumlrzburg 1989 373ndash390

KLAUCK H-J Die religioumlse Umwelt des Urchristentums Bd II (Herrscher- und Kai-serkult Philosophie Gnosis) (KStTh 92) Stuttgart 1996

LAGRANGE M-J (1912) La philosophie religieuse dEpictegravete et le christianisme RBI (NS) 9 (1912) 5ndash21 192ndash212

LONG A A Epictetus A Stoic and Socratic Guide to Life Oxford 2002 LONG AA SEDLEY DN Die hellenistischen Philosophen Texte und Kommen-

tare dt Uumlbs Stuttgart 2000 LONG AA From Epicurus to Epictetus Studies in Hellenistic and Roman Philoso-

phy Oxford 2006 MOREAU J (1964) Epictegravete ou le secret de la liberteacute Philosophes de tous les temps

Paris 1964 NESTLE D Eleutheria Studien zum Wesen der Freiheit bei den Griechen und im

Neuen Testament I Die Griechen (HUTh 6) Tuumlbingen 1967

165

NGUYEN VHT Christian Identity in Corinth A comparative Study of 2 Corinthians Epictetus and Valerius Maximus (WUNT II243) Tuumlbingen 2008

NIEBUHR K-W Das Corpus Hellenisticum Anmerkungen zur Geschichte eines Problems in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Tes-tament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Ju-daeo-Hellenisticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 361ndash379

POHLENZ M Die Stoa Geschichte einer geistigen Bewegung Goumlttingen I 82010 II 61991

POHLENZ M Rez ABonhoumlffer Epiktet und das Neue Testament GGA 175 (1913) 633ndash650

RAMELLI I Philosophen und Prediger Dion und Paulus ndash pagane und christliche weise Maumlnner in H-G NESSELRATH (Hg) Dion von Prusa Der Philosoph und sein Bild Sapere Tuumlbingen 2009 183ndash210

RASIMUS T ENGBERG-PEDERSEN T (Hg) Stoicism in early Christianity Peabody Mass 2010

RAUSCH H THEORIA Von ihrer sakralen zur philosophischen Bedeutung (Huma-nistische Bibliothek R 1 29) Muumlnchen 1982

REALE G siehe CASSANMAGNAGO REALE 2009 SCALTSAS ThMASON AS (Hg) The Philosophy of Epictetus Oxford 2007 SCHMELLER Th Art Diatribe NT erscheint in EBR 5 (2012) SCHMITZ O Der Freiheitsgedanke bei Epiktet und das Freiheitszeugnis des Paulus

Ein religionsgeschichtlicher Vergleich (NTF I1) Guumltersloh 1923 SCHNELLE U Paulus und Epiktet ndash zwei ethische Modelle in FW HORN F WIL-

HELM (Hg) Jenseits von Indikativ und Imperativ Kontexte und Normen neutes-tamentlicher Ethik (Contexts and Norms of New Testament Ethics 1) (WUNT 238) Tuumlbingen 2009 137ndash158

SCHRAGE W Die Stellung zur Welt bei Paulus Epiktet und in der Apokalyptik Ein Beitrag zu 1 Kor 729ndash31 in ders Kreuzestheologie und Ethik im Neuen Tes-tament Gesammelte Aufsaumltze Goumlttingen 2004 59ndash86

SEELIG G Religionsgeschichtliche Methode in Vergangenheit und Gegenwart Ar-beiten zur Bibel und ihrer Geschichte 7 Leipzig 2001

SEVENSTER J N Education or conversion Epictetus and the Gospels NT 8 (1966) 247ndash262

SHARP DS Epictetus and the New Testament London 1914 SOUILHEacute JJAGU A (Ed) Epictegravete CUF 4 Bde Paris 1943ndash65 SPANNEUT M (Ed) Commentaire sur la paraphrase chreacutetienne du Manuel dEpictegravete

Introduction texte usw (SC 503) Paris 2007 SPANNEUT M Art Epiktet RAC 5 (1962) 599ndash681 STEINMETZ P Die Stoa in H FLASHAR (Hg) Die hellenistische Philosophie

(GGPhA 4) Zweiter Halbband Basel 1994 491ndash716 STEPHENS WO Stoic Ethics Epictetus and Happiness as Freedom London-New

York 2007 STRECKER G SCHNELLE U (Hg) Neuer Wettstein Texte zum Neuen Testament

aus Griechentum und Hellenismus Bd II Texte zur Briefliteratur und zur Jo-hannesapokalypse Berlin ua 1996 Bd I1 Texte zum Markusevangelium ebd 2008 Bd I2 Texte zum Johannesevangelium ebd 2001

STRECKER G SCHNELLE U (Hg) Neuer Wettstein Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus Berlin ua

THOM JC Cleanthesrsquo Hymn to Zeus (STAC 33) Tuumlbingen 2005 THOM JC Popular Philosophy in the Hellenistic-Roman World Early Christianity

3 (2012) 279ndash295 VAN KOOTEN GH Paulrsquos Anthropology in Context The Image of God Assimilation

to God and tripartite Man in Ancient Judaism ancient Philosophy and Early Christianity (WUNT 232) Tuumlbingen 2008

VOLLENWEIDER S bdquoMitten auf dem Areopagldquo Uumlberlegungen zu den Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament Early Christianity 3 (2012) 296ndash320

166

VOLLENWEIDER S Der Geist Gottes als Selbst der Glaubenden Uumlberlegungen zu einem ontologischen Problem in der paulinischen Anthropologie in Ders Ho-rizonte neutestamentlicher Christologie (WUNT 144) Tuumlbingen 2002 163ndash192

VOLLENWEIDER S Freiheit als neue Schoumlpfung Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt (FRLANT 147) Goumlttingen 1989

WALTER N Zur Chronik des Corpus Hellenisticum von den Anfaumlngen bis 195558 in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenis-ticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 325ndash344

WEBER R Die Distanz im Verhaumlltnis zur Welt bei Epiktet Jesus und Paulus in B KOLLMANN ua (Hg) Antikes Judentum und fruumlhes Christentum FS H Stege-mann Berlin ua 1998 327ndash349

WEHNER B Die Funktion der Dialogstruktur in Epiktets Diatriben (Philosophie der Antike 13) Stuttgart 2000

WENDLAND P Rez Th Zahn Der Stoiker Epiktet ThLZ 19 (1895) 493ndash495 WETTSTEIN JJ Novum Testamentum Graecum Amsterdam 175152 (= Graz 1962) WILLMS L Epiktets Diatribe Uumlber die Freiheit (41) Einleitung Uumlbersetzung Kom-

mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 47: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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COLARDEAU Th Etude sur Epictegravete Paris 1903 DE LACY Ph The Logical Structure of the Ethics of Epictetus CP 38 (1943) 112ndash

125 DOBBIN RF Epictetus Discourses Book I Oxford 1998 EBNER M Kynische Jesusinterpretation ndash bdquodisciplinated exaggerationldquo Eine An-

frage in BZ 40 (1996) 93ndash100 ENGBERG-PEDERSEN T Paul and the Stoics Edinburgh 2000 ENGBERG-PEDERSEN TCosmology and Self in the Apostle Paul The material Spirit

Oxford 2010 FORSCHNER M Die stoische Ethik Uumlber den Zusammenhang von Natur- Sprach-

und Moralphilosophie im altstoischen System Darmstadt 21995 GALLOWAY LE Freedom in the Gospel Paullsquos exemplum in 1 Cor 9 in conversation

with the discourses of Epictetus and Philo Leiden usw 2004 GRAVER M Not even Zeus A Discussion of A A Long Epictetus A Stoic and

Socratic Guide to Life Oxford Studies in Ancient Philosophy 25 (2003) 345ndash361

GRETENKORD JC Der Freiheitsbegriff Epiktets Bochum 1981 GUCKES B Stoische Ethik ndash eine Einfuumlhrung in dies (Hg) Zur Ethik der aumllteren

Stoa Goumlttingen 2004 7ndash29 HADOT I Simplicius Commentaire sur le Manuel drsquoEacutepictegravete Introduction et eacutedition

critique du texte grec (PhA 66) Leiden ua 1996 HADOT P Die Innere Burg Anleitung zu einer Lektuumlre Marc Aurels dt Uumlbs Frank-

furt aM 1997 HADOT P Philosophie als Lebensform Geistige Uumlbungen in der Antike dt Uumlbs

Berlin 22005 HERSHBELL J The Stoicism of Epictetus ANRW II 363 (1989) 2148ndash2163 HIRSCH-LUIPOLD R Die religioumls-philosophische Literatur der fruumlhen Kaiserzeit und

das Neue Testament in R HIRSCH-LUIPOLD ua (Hg) Religioumlse Philosophie und philosophische Religion der fruumlhen Kaiserzeit Literaturgeschichtliche Per-spektiven (STAC 51) Tuumlbingen 2009

HUTTUNEN N Paul and Epictetus on Law A Comparison (Library of New Testa-ment Studies 405) London 2009

HUTTUNEN Niko The human Contradiction Epictetus and Romans 7 in A MUS-

TAKALLO (Hg) Lux Humana Lux Aeterna Essays on biblical and related Themes in Honour of Lars Aejmelaeus Helsinki 2005 324ndash333

JAGU A Epictegravete et Platon Essai sur les relations du stoiumlcisme et du platonisme agrave propos de la morale des Entretiens Paris 1946

KAMLAH Der Ruf des Steuermanns Die religioumlse Verlegenheit dieser Zeit und die Philosophie Stuttgart 1954

KLAUCK H-J- Wettstein alt und neu Zur Neuausgabe eines Standardwerks Bibli-sche Zeitschrift 41 (1997) 89ndash95

KLAUCK H-J Dankbar leben dankbar sterben Εὐχαριστεῖν bei Epiktet in ders Gemeinde Amt Sakrament Neutestamentliche Perspektiven Wuumlrzburg 1989 373ndash390

KLAUCK H-J Die religioumlse Umwelt des Urchristentums Bd II (Herrscher- und Kai-serkult Philosophie Gnosis) (KStTh 92) Stuttgart 1996

LAGRANGE M-J (1912) La philosophie religieuse dEpictegravete et le christianisme RBI (NS) 9 (1912) 5ndash21 192ndash212

LONG A A Epictetus A Stoic and Socratic Guide to Life Oxford 2002 LONG AA SEDLEY DN Die hellenistischen Philosophen Texte und Kommen-

tare dt Uumlbs Stuttgart 2000 LONG AA From Epicurus to Epictetus Studies in Hellenistic and Roman Philoso-

phy Oxford 2006 MOREAU J (1964) Epictegravete ou le secret de la liberteacute Philosophes de tous les temps

Paris 1964 NESTLE D Eleutheria Studien zum Wesen der Freiheit bei den Griechen und im

Neuen Testament I Die Griechen (HUTh 6) Tuumlbingen 1967

165

NGUYEN VHT Christian Identity in Corinth A comparative Study of 2 Corinthians Epictetus and Valerius Maximus (WUNT II243) Tuumlbingen 2008

NIEBUHR K-W Das Corpus Hellenisticum Anmerkungen zur Geschichte eines Problems in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Tes-tament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Ju-daeo-Hellenisticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 361ndash379

POHLENZ M Die Stoa Geschichte einer geistigen Bewegung Goumlttingen I 82010 II 61991

POHLENZ M Rez ABonhoumlffer Epiktet und das Neue Testament GGA 175 (1913) 633ndash650

RAMELLI I Philosophen und Prediger Dion und Paulus ndash pagane und christliche weise Maumlnner in H-G NESSELRATH (Hg) Dion von Prusa Der Philosoph und sein Bild Sapere Tuumlbingen 2009 183ndash210

RASIMUS T ENGBERG-PEDERSEN T (Hg) Stoicism in early Christianity Peabody Mass 2010

RAUSCH H THEORIA Von ihrer sakralen zur philosophischen Bedeutung (Huma-nistische Bibliothek R 1 29) Muumlnchen 1982

REALE G siehe CASSANMAGNAGO REALE 2009 SCALTSAS ThMASON AS (Hg) The Philosophy of Epictetus Oxford 2007 SCHMELLER Th Art Diatribe NT erscheint in EBR 5 (2012) SCHMITZ O Der Freiheitsgedanke bei Epiktet und das Freiheitszeugnis des Paulus

Ein religionsgeschichtlicher Vergleich (NTF I1) Guumltersloh 1923 SCHNELLE U Paulus und Epiktet ndash zwei ethische Modelle in FW HORN F WIL-

HELM (Hg) Jenseits von Indikativ und Imperativ Kontexte und Normen neutes-tamentlicher Ethik (Contexts and Norms of New Testament Ethics 1) (WUNT 238) Tuumlbingen 2009 137ndash158

SCHRAGE W Die Stellung zur Welt bei Paulus Epiktet und in der Apokalyptik Ein Beitrag zu 1 Kor 729ndash31 in ders Kreuzestheologie und Ethik im Neuen Tes-tament Gesammelte Aufsaumltze Goumlttingen 2004 59ndash86

SEELIG G Religionsgeschichtliche Methode in Vergangenheit und Gegenwart Ar-beiten zur Bibel und ihrer Geschichte 7 Leipzig 2001

SEVENSTER J N Education or conversion Epictetus and the Gospels NT 8 (1966) 247ndash262

SHARP DS Epictetus and the New Testament London 1914 SOUILHEacute JJAGU A (Ed) Epictegravete CUF 4 Bde Paris 1943ndash65 SPANNEUT M (Ed) Commentaire sur la paraphrase chreacutetienne du Manuel dEpictegravete

Introduction texte usw (SC 503) Paris 2007 SPANNEUT M Art Epiktet RAC 5 (1962) 599ndash681 STEINMETZ P Die Stoa in H FLASHAR (Hg) Die hellenistische Philosophie

(GGPhA 4) Zweiter Halbband Basel 1994 491ndash716 STEPHENS WO Stoic Ethics Epictetus and Happiness as Freedom London-New

York 2007 STRECKER G SCHNELLE U (Hg) Neuer Wettstein Texte zum Neuen Testament

aus Griechentum und Hellenismus Bd II Texte zur Briefliteratur und zur Jo-hannesapokalypse Berlin ua 1996 Bd I1 Texte zum Markusevangelium ebd 2008 Bd I2 Texte zum Johannesevangelium ebd 2001

STRECKER G SCHNELLE U (Hg) Neuer Wettstein Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus Berlin ua

THOM JC Cleanthesrsquo Hymn to Zeus (STAC 33) Tuumlbingen 2005 THOM JC Popular Philosophy in the Hellenistic-Roman World Early Christianity

3 (2012) 279ndash295 VAN KOOTEN GH Paulrsquos Anthropology in Context The Image of God Assimilation

to God and tripartite Man in Ancient Judaism ancient Philosophy and Early Christianity (WUNT 232) Tuumlbingen 2008

VOLLENWEIDER S bdquoMitten auf dem Areopagldquo Uumlberlegungen zu den Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament Early Christianity 3 (2012) 296ndash320

166

VOLLENWEIDER S Der Geist Gottes als Selbst der Glaubenden Uumlberlegungen zu einem ontologischen Problem in der paulinischen Anthropologie in Ders Ho-rizonte neutestamentlicher Christologie (WUNT 144) Tuumlbingen 2002 163ndash192

VOLLENWEIDER S Freiheit als neue Schoumlpfung Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt (FRLANT 147) Goumlttingen 1989

WALTER N Zur Chronik des Corpus Hellenisticum von den Anfaumlngen bis 195558 in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenis-ticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 325ndash344

WEBER R Die Distanz im Verhaumlltnis zur Welt bei Epiktet Jesus und Paulus in B KOLLMANN ua (Hg) Antikes Judentum und fruumlhes Christentum FS H Stege-mann Berlin ua 1998 327ndash349

WEHNER B Die Funktion der Dialogstruktur in Epiktets Diatriben (Philosophie der Antike 13) Stuttgart 2000

WENDLAND P Rez Th Zahn Der Stoiker Epiktet ThLZ 19 (1895) 493ndash495 WETTSTEIN JJ Novum Testamentum Graecum Amsterdam 175152 (= Graz 1962) WILLMS L Epiktets Diatribe Uumlber die Freiheit (41) Einleitung Uumlbersetzung Kom-

mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

21995

Page 48: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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NGUYEN VHT Christian Identity in Corinth A comparative Study of 2 Corinthians Epictetus and Valerius Maximus (WUNT II243) Tuumlbingen 2008

NIEBUHR K-W Das Corpus Hellenisticum Anmerkungen zur Geschichte eines Problems in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Tes-tament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Ju-daeo-Hellenisticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 361ndash379

POHLENZ M Die Stoa Geschichte einer geistigen Bewegung Goumlttingen I 82010 II 61991

POHLENZ M Rez ABonhoumlffer Epiktet und das Neue Testament GGA 175 (1913) 633ndash650

RAMELLI I Philosophen und Prediger Dion und Paulus ndash pagane und christliche weise Maumlnner in H-G NESSELRATH (Hg) Dion von Prusa Der Philosoph und sein Bild Sapere Tuumlbingen 2009 183ndash210

RASIMUS T ENGBERG-PEDERSEN T (Hg) Stoicism in early Christianity Peabody Mass 2010

RAUSCH H THEORIA Von ihrer sakralen zur philosophischen Bedeutung (Huma-nistische Bibliothek R 1 29) Muumlnchen 1982

REALE G siehe CASSANMAGNAGO REALE 2009 SCALTSAS ThMASON AS (Hg) The Philosophy of Epictetus Oxford 2007 SCHMELLER Th Art Diatribe NT erscheint in EBR 5 (2012) SCHMITZ O Der Freiheitsgedanke bei Epiktet und das Freiheitszeugnis des Paulus

Ein religionsgeschichtlicher Vergleich (NTF I1) Guumltersloh 1923 SCHNELLE U Paulus und Epiktet ndash zwei ethische Modelle in FW HORN F WIL-

HELM (Hg) Jenseits von Indikativ und Imperativ Kontexte und Normen neutes-tamentlicher Ethik (Contexts and Norms of New Testament Ethics 1) (WUNT 238) Tuumlbingen 2009 137ndash158

SCHRAGE W Die Stellung zur Welt bei Paulus Epiktet und in der Apokalyptik Ein Beitrag zu 1 Kor 729ndash31 in ders Kreuzestheologie und Ethik im Neuen Tes-tament Gesammelte Aufsaumltze Goumlttingen 2004 59ndash86

SEELIG G Religionsgeschichtliche Methode in Vergangenheit und Gegenwart Ar-beiten zur Bibel und ihrer Geschichte 7 Leipzig 2001

SEVENSTER J N Education or conversion Epictetus and the Gospels NT 8 (1966) 247ndash262

SHARP DS Epictetus and the New Testament London 1914 SOUILHEacute JJAGU A (Ed) Epictegravete CUF 4 Bde Paris 1943ndash65 SPANNEUT M (Ed) Commentaire sur la paraphrase chreacutetienne du Manuel dEpictegravete

Introduction texte usw (SC 503) Paris 2007 SPANNEUT M Art Epiktet RAC 5 (1962) 599ndash681 STEINMETZ P Die Stoa in H FLASHAR (Hg) Die hellenistische Philosophie

(GGPhA 4) Zweiter Halbband Basel 1994 491ndash716 STEPHENS WO Stoic Ethics Epictetus and Happiness as Freedom London-New

York 2007 STRECKER G SCHNELLE U (Hg) Neuer Wettstein Texte zum Neuen Testament

aus Griechentum und Hellenismus Bd II Texte zur Briefliteratur und zur Jo-hannesapokalypse Berlin ua 1996 Bd I1 Texte zum Markusevangelium ebd 2008 Bd I2 Texte zum Johannesevangelium ebd 2001

STRECKER G SCHNELLE U (Hg) Neuer Wettstein Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus Berlin ua

THOM JC Cleanthesrsquo Hymn to Zeus (STAC 33) Tuumlbingen 2005 THOM JC Popular Philosophy in the Hellenistic-Roman World Early Christianity

3 (2012) 279ndash295 VAN KOOTEN GH Paulrsquos Anthropology in Context The Image of God Assimilation

to God and tripartite Man in Ancient Judaism ancient Philosophy and Early Christianity (WUNT 232) Tuumlbingen 2008

VOLLENWEIDER S bdquoMitten auf dem Areopagldquo Uumlberlegungen zu den Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament Early Christianity 3 (2012) 296ndash320

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VOLLENWEIDER S Der Geist Gottes als Selbst der Glaubenden Uumlberlegungen zu einem ontologischen Problem in der paulinischen Anthropologie in Ders Ho-rizonte neutestamentlicher Christologie (WUNT 144) Tuumlbingen 2002 163ndash192

VOLLENWEIDER S Freiheit als neue Schoumlpfung Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt (FRLANT 147) Goumlttingen 1989

WALTER N Zur Chronik des Corpus Hellenisticum von den Anfaumlngen bis 195558 in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenis-ticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 325ndash344

WEBER R Die Distanz im Verhaumlltnis zur Welt bei Epiktet Jesus und Paulus in B KOLLMANN ua (Hg) Antikes Judentum und fruumlhes Christentum FS H Stege-mann Berlin ua 1998 327ndash349

WEHNER B Die Funktion der Dialogstruktur in Epiktets Diatriben (Philosophie der Antike 13) Stuttgart 2000

WENDLAND P Rez Th Zahn Der Stoiker Epiktet ThLZ 19 (1895) 493ndash495 WETTSTEIN JJ Novum Testamentum Graecum Amsterdam 175152 (= Graz 1962) WILLMS L Epiktets Diatribe Uumlber die Freiheit (41) Einleitung Uumlbersetzung Kom-

mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

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Page 49: Lebenskunst als Gottesdienst : Epiktets Theologie und ihr ... · Epiktet-Verwendung im ”Neuen Wettstein”, einer modernen, umfassenden Sammlung der ”Parallelen” zwischen dem

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VOLLENWEIDER S Der Geist Gottes als Selbst der Glaubenden Uumlberlegungen zu einem ontologischen Problem in der paulinischen Anthropologie in Ders Ho-rizonte neutestamentlicher Christologie (WUNT 144) Tuumlbingen 2002 163ndash192

VOLLENWEIDER S Freiheit als neue Schoumlpfung Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt (FRLANT 147) Goumlttingen 1989

WALTER N Zur Chronik des Corpus Hellenisticum von den Anfaumlngen bis 195558 in W KRAUS K-W NIEBUHR (Hgg) Fruumlhjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenis-ticum Novi Testamenti WUNT 162 Tuumlbingen 2003 325ndash344

WEBER R Die Distanz im Verhaumlltnis zur Welt bei Epiktet Jesus und Paulus in B KOLLMANN ua (Hg) Antikes Judentum und fruumlhes Christentum FS H Stege-mann Berlin ua 1998 327ndash349

WEHNER B Die Funktion der Dialogstruktur in Epiktets Diatriben (Philosophie der Antike 13) Stuttgart 2000

WENDLAND P Rez Th Zahn Der Stoiker Epiktet ThLZ 19 (1895) 493ndash495 WETTSTEIN JJ Novum Testamentum Graecum Amsterdam 175152 (= Graz 1962) WILLMS L Epiktets Diatribe Uumlber die Freiheit (41) Einleitung Uumlbersetzung Kom-

mentar (WKGLS) Bd I Heidelberg 2011 Bd II Heidelberg 2012 WOLTER M Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen 2011 ZAHN Th Der Stoiker Epiktet und sein Verhaumlltnis zum Christentum Erlangen ua

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