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April 2012 LEBENSZEICHEN Nächstenliebe – ein Auslaufmodell!? I in dieser gefährlichen Gegend. Aber irgendetwas berührt ihn, er packt an, hilft, sorgt für das Notwen- dige. Wie würde die Geschichte vom „barmherzigen Samariter“ wohl auf uns wirken, wenn wir wüssten, dass er, der Retter in der Not, gerade eben erst in der Stadt einer Frau die Handtasche aus der Hand gerissen hat, und der Überfallene heute nicht nur Opfer gewor- den ist, sondern gestern noch Heroin auf der Straße verkauft hat, um sich selbst einen „Schuss“ setzen zu können? Wie würden wir über den „Räuber“ urteilen, wenn wir seine Lebensgeschichte kennen würden? In Wirklichkeit ist doch kein Mensch nur gut und keiner nur böse. Und jeder ist darauf angewiesen, dass er für einen anderen der „Nächste“ ist. ch frage mich: Wie könnte diese Geschichte (übri- gens nachzulesen in der Bibel bei Lukas 10, 30 ff.) heute in einem Gefängnis aussehen? In Berlin- Tegel, in Burg, in Stammheim, Bautzen oder Aichach. Viel zu viele gehen an den hohen Mauern, am Stachel- draht, an den verschlossenen Türen und damit an Men- schen in einer Ausnahmesituation vorbei: Keine Zeit, zu gefährlich, die sind doch selbst schuld, das kann ich Liebe Freunde des Schwarzen Kreuzes! Was meinen Sie: Ist Nächstenliebe ein Auslaufmodell geworden? Oder war es immer schon so, dass Menschen mit Scheuklappen durchs Leben gehen, um nicht aufgehal- ten, gestört oder in ihrer Meinung verunsichert zu werden? Jesus beantwortet diese Frage mit einer Geschichte: Der Überfall war blitzschnell gekommen. Er hatte keine Chance gehabt. Jetzt liegt er hier und kann sich vor Schmerzen nicht be- wegen. Wie gut, dass gerade ein Mann vor- beikommt, in dieser Einöde wahrlich kei- ne Selbstverständlichkeit. Er schließt die Augen, aber als er sie wieder öffnet, ist dieser Mann schon längst an ihm vorbei. Hat er ihn denn nicht gesehen? Unmöglich, er liegt doch mitten auf dem Weg! Da kommt noch jemand, neue Hoffnung wacht in ihm auf. Aber auch dieser Mensch geht schnell weiter. Das ist das Ende, denkt er. Eine dritte Chance werde ich wohl nicht haben… Wie gut, dass es die die dritte Chance dann doch noch gibt! Dass jemand vorbeikommt und sich kümmert. Auch dieser Mensch hat seine Termine, Verpflichtungen und Vorurteile. Auch er denkt vielleicht: bloß schnell weiter in

LEBENSZEICHEN

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Aktuell: Ausgabe 01/2012

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Page 1: LEBENSZEICHEN

April 2012

LEBENSZEICHENNächstenliebe –ein Auslaufmodell!?

I

in dieser gefährlichen Gegend. Aber irgendetwas berührt ihn, er packt an, hilft, sorgt für das Notwen-dige. Wie würde die Geschichte vom „barmherzigen Samariter“ wohl auf uns wirken, wenn wir wüssten, dass er, der Retter in der Not, gerade eben erst in der Stadt einer Frau die Handtasche aus der Hand gerissen hat, und der Überfallene heute nicht nur Opfer gewor-den ist, sondern gestern noch Heroin auf der Straße verkauft hat, um sich selbst einen „Schuss“ setzen zu können? Wie würden wir über den „Räuber“ urteilen, wenn wir seine Lebensgeschichte kennen würden? In Wirklichkeit ist doch kein Mensch nur gut und keiner nur böse. Und jeder ist darauf angewiesen, dass er für einen anderen der „Nächste“ ist.

ch frage mich: Wie könnte diese Geschichte (übri- gens nachzulesen in der Bibel bei Lukas 10, 30 ff.) heute in einem Gefängnis aussehen? In Berlin-Tegel, in Burg, in Stammheim, Bautzen oder Aichach. Viel zu viele gehen an den hohen Mauern, am Stachel-draht, an den verschlossenen Türen und damit an Men-schen in einer Ausnahmesituation vorbei: Keine Zeit, zu gefährlich, die sind doch selbst schuld, das kann ich

Liebe Freunde des Schwarzen Kreuzes!

Was meinen Sie: Ist Nächstenliebe ein Auslaufmodell geworden? Oder war es immer schon so, dass Menschen mit Scheuklappen durchs Leben gehen, um nicht aufgehal-ten, gestört oder in ihrer Meinung verunsichert zu werden? Jesus beantwortet diese Frage mit einer Geschichte:

Der Überfall war blitzschnell gekommen. Er hatte keine Chance gehabt. Jetzt liegt er hier und kann sich vor Schmerzen nicht be-wegen. Wie gut, dass gerade ein Mann vor-beikommt, in dieser Einöde wahrlich kei-ne Selbstverständlichkeit. Er schließt die Augen, aber als er sie wieder öffnet, ist dieser Mann schon längst an ihm vorbei. Hat er ihn denn nicht gesehen? Unmöglich, er liegt doch mitten auf dem Weg! Da kommt noch jemand, neue Hoffnung wacht in ihm auf. Aber auch dieser Mensch geht schnell weiter. Das ist das Ende, denkt er. Eine dritte Chance werde ich wohl nicht haben…

Wie gut, dass es die die dritte Chance dann doch noch gibt! Dass jemand vorbeikommt und sich kümmert. Auch dieser Mensch hat seine Termine, Verpflichtungen und Vorurteile. Auch er denkt vielleicht: bloß schnell weiter in

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Schwarzes KreuzChristliche Straffälligenhilfe e.V.Jägerstraße 25a · 29221 CelleTelefon 05141 94616-0 · Fax [email protected]

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nicht, dafür sind andere zuständig… Oder kommt Inhaf-tierten Nächstenliebe nicht zu, weil sie doch eindeutig die Bösen, die Räuber, Mörder und Diebe sind?

Könnte es nicht sein, dass auch sie zu irgendeinem Zeit-punkt einmal Opfer gewesen sind und nicht immer nur Täter? Und ist es nicht so, dass Menschen gerade dann am meisten Nächstenliebe brauchen, wenn sie es am we-nigsten verdient haben? Wer, wenn nicht wir, die wir von Gottes Liebe leben, sollte Inhaftierten gegenüber „barm-herzig“ sein? Aber auch in Kirchen und Gemeinden lassen sich nicht viele „Samariter“ für Inhaftierte finden.

Ist Nächstenliebe also ein Auslaufmodell? In unserer Gesellschaft scheint vieles dafür zu sprechen. Wir haben die Probleme mit Hilfebedürftigen, Außenseitern und Unbelehrbaren geregelt. Braucht jemand eine Woh-nung – bitte, dafür ist das Wohnungsamt zuständig. Kann jemand seinen Lebensunterhalt nicht mehr verdienen – wir haben doch Hartz IV, und da ist das Jobcenter zuständig. Hat jemand ein Problem, das er nicht lösen kann – Bera-tungsstellen gibt es zuhauf. Ist jemand alt und einsam – in der nächsten Kirchengemeinde gibt es bestimmt einen Seniorentreff.

Hat jemand ein Drogenproblem, soll er sich die nächste Drogenberatungsstelle suchen. Für Obdachlose gibt es Unterkünfte, für Hungernde Tafeln, für psychisch Kranke Kliniken, für Verzweifelte den Pfarrer.

Irmtraud Meifert

Straffälligenhilfe bietet Ehrenamtlichen viele Möglichkeiten, Herausforderungen und Gelegen-heiten, gesellschaftliche Mitverantwortung in die Tat umzusetzen, und wir möchten, dass Sie gut vorbereitet und qualifiziert mitarbeiten können. Ihr Engagement verdient unsere besondere Auf-merksamkeit. Herzliche Einladung zu unseren Einführungsseminaren!

16.+17.6.2012 // Warum will ich in den Knast? // Karlsruhe, Baden-Württemberg

15.9.2012 // Grundlagenseminar // Ansbach, Bayern

12.-14.10.2012 // Straffälligenhilfe: Was ich weiß, was ich wissen sollte // Bobritzsch, Sachsen

Anmeldungen und weitere Informationen unter www.naechstenliebe-befreit.de und in der Geschäftsstelle Schwarzes Kreuz

Wir helfen Ihnen, auf Inhaftierte zuzugehen!

Und für diejenigen, die mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind, gibt es Gefängnisse.

ür alle Probleme gibt es Zuständigkeiten, Ämter und Behörden. Natürlich ist es hilfreich und wichtig, dass es fachliche Stellen gibt, an die sich Menschen in Not wenden können. Aber wir haben damit auch die Nächstenliebe weit von uns weg ge-schoben, professionalisiert, an so genannte Fachleute delegiert und in Organisationen institutionalisiert. Scheinbar sind wir damit fein raus – für jedes Problem gibt es ja jemand (anderes), der zuständig ist. Nur will sich kein MENSCH mehr um einen anderen kümmern.

Ich lade Sie ein, im Schwarzen Kreuzein MENSCH zu sein, der mit daranglaubt, dass Nächstenliebe kein Aus-laufmodell ist. Lieben zu können be-glückt uns mindestens genauso, wiegeliebt zu werden. Etwas in die Waag-schale des Guten werfen zu können,verändert die Welt, erfüllt unser Lebenmit Sinn und befriedigt uns. Zusammen mit Ihnen hat Nächstenliebe im Schwarzen Kreuz Zukunft und wird zu einem „Zauberwort“ für Hilfe, die Straftäter verän-dern kann.

Viele liebe Grüße aus der Geschäftsstelle in Celleschickt Ihnen

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