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7 Hämolymphe und Hämolymphtransport Lutz Thilo WasserthaI 7.1 Hauptmerkmale des offenen Kreislaufs Wie bei allen Arthropoden verschmelzen primäre und sekundäre Leibeshöhle zu einem einheitlichen Mixocöl im Laufe der Embryonalentwicklung. Blut und interstitielle Gewebsflüssigkeit bilden da- her eine einheitliche Körperflüssigkeit, die Hämo- lymphe. Diese setzt sich zusammen aus dem Plasma und verschiedenen Typen von Hämocyten. Die Hämolymphe hat primär die Aufgabe des Stofftransports von Nährstoffen, Metaboliten und Abbauprodukten. Sie transportiert Signalstoffe wie Neurotransmitter und Hormone. Sie dient aber auch als Träger der gegen Räuber gerichteten Abwehrsubstanzen (s. Kap. 17), enthält die Kom- ponenten für die Immunabwehr und den Wund- verschluss. Weitere wichtige Aufgaben der Hämo- lymphe sind ihre Hydraulikfunktion zur Aufrecht- erhaltung der Körperform, der Turgorwirkung bei Larven, als Druckvermittler für die Häutungsvor- gänge und bei der Tracheenventilation. Ihre Funk- tion beim Transport und bei der Speicherung von Atemgasen ist durch die normalerweise fehlenden respiratorischen Pigmente vor allem für Sauerstoff eingeschränkt (s. Kap. 6). Eine wichtige Rolle spielt die Hämolymphe bei der Temperaturregula- tion sowohl als Wärmevermittler wie auch als Kühlf1üssigkeit. Für den dorsalen Transport der Hämolymphe sorgt das Rückengefäß, dessen abdominaler Ab- schnitt als Herz bezeichnet wird. Es ist unterseits mit einer horizontalen Membran verbunden (Abb. 6-2, 7-4). Dieses dorsale Diaphragma ver- spannt das Herz über die Alarmuskeln mit der seitlichen Körperwand und grenzt einen dorsalen Perikardialsinus gegen den die Verdauungs- und Fortpflanzungsorgane enthaltenden Periviszeralsi- nus ab. Für den ventralen Rückfluss der Hämo- lymphe ins Abdomen sorgt in einigen Insekten- ordnungen das muskulöse ventrale Diaphragma . In den meisten Fällen ist es über dem abdominalen Bauchmark ausgespannt. Es fördert durch wellen- förmige Bewegungen den Fluss der Hämolymphe durch den ventralen Perineuralsinus. Zur Versor- gung von Kopf und Körperanhängen dienen ver- schiedene akzessorische Pulsationsorgane. Das offene Hämolymphsystem war wahr- scheinlich eine wesentliche Voraussetzung für die Entstehung der zum Teil extremen Gestaltände- rungen der verschiedenen Metamorphosestadien. Es ermöglichte die teilweise Verdrängung des H ä- molymphvolumens durch das Luftsacksystem im Anschluss an die Imaginalhäutung und Flügel- entfaltung und wurde damit zur Vorausetzung für das geringe Körpergewicht der Fluginsekten. Die zunächst segmental und dadurch redundant an- gelegten Organsysteme erlaubten wie nach dem Baukastenprinzip die unabhängige Ausdifferenzie- rung oder Unterdrückung dieser Strukturen in bestimmten Körperabschnitten. 7.1.1 Das Hämolymphplasma Das Hämolymphplasma ist meist farblos, helIgelb- lieh oder grünlich , da es bis auf wenige Aus- nahmen keine respiratorischen Pigmente enthält. Während Sauerstoff nur in geringer Menge physi- kalisch gelöst wird, enthält das Plasma eine grö- ßere Menge an Kohlendioxid, das hauptsächlich als Hydrogenkarbonat vorliegt. Kohlendioxid fällt bei der Zellatmung an und geht zunächst in Lö- sung, bevor es als Gas über das Tracheensystem ausgeatmet wird. In der Hämolymphe ist es Be- standteil des Kohlendioxid-Bicarbonat-Puffersys- tems, das eine wichtige Funktion in der pH-Regu- lation spielt. Volumen und Zusammensetzung des Plasmas sind stark von der Lebensweise und dem Entwicklungsstadium abhängig. Dadurch, dass die Hämolymphe nur eine geringe Speicherfunk- tion für Sauerstoff hat , konnte ihr Volumen verrin- gert werden. Dieses variiert zwischen 10% und 40% des Gesamtkörpervolumens. Das offene Hä- molymphsystem ist gegenüber Änderungen des Hämolymphvolumens und der Viskosität sehr viel toleranter als ein geschlossenes Blutgefäßsystem mit seinen vielen engen Kapillaren . Das Plasma enthält je nach Entwicklungs- und Ernährungszu- stand qualitativ und quantitativ unterschiedlich viel Proteine, vor allem Speicherproteine, Lipid- Transport-Proteine, Enzyme und einen hohen An- teil an freien Aminosäuren sowie Lipide, beson- ders Diacylglycerin, und Kohlenhydrate, vor allem Trehalose und Glucose. Der osmotische Wert liegt

Lehrbuch der Entomologie || Hämolymphe und Hämolymphtransport

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Page 1: Lehrbuch der Entomologie || Hämolymphe und Hämolymphtransport

7 Hämolymphe und Hämolymphtransport

Lutz Thilo WasserthaI

7.1 Hauptmerkmale desoffenen Kreislaufs

Wie bei allen Arthropoden verschmelzen primäreund sekundäre Leibeshöhle zu einem einheitlichenMixocöl im Laufe der Embryonalentwicklung.Blut und interstitielle Gewebsflüssigkeit bilden da­her eine einheitliche Körperflüssigkeit, die Hämo­lymphe. Diese setzt sich zusammen aus demPlasma und verschiedenen Typen von Hämocyten.Die Hämolymphe hat primär die Aufgabe desStofftransports von Nährstoffen, Metaboliten undAbbauprodukten. Sie transportiert Signalstoffewie Neurotransmitter und Hormone. Sie dientaber auch als Träger der gegen Räuber gerichtetenAbwehrsubstanzen (s. Kap. 17), enthält die Kom­ponenten für die Immunabwehr und den Wund­verschluss. Weitere wichtige Aufgaben der Hämo­lymphe sind ihre Hydraulikfunktion zur Aufrecht­erhaltung der Körperform, der Turgorwirkung beiLarven, als Druckvermittler für die Häutungsvor­gänge und bei der Tracheenventilation. Ihre Funk­tion beim Transport und bei der Speicherung vonAtemgasen ist durch die normalerweise fehlendenrespiratorischen Pigmente vor allem für Sauerstoffeingeschränkt (s. Kap. 6). Eine wichtige Rollespielt die Hämolymphe bei der Temperaturregula­tion sowohl als Wärmevermittler wie auch alsKühlf1üssigkeit.

Für den dorsalen Transport der Hämolymphesorgt das Rückengefäß, dessen abdominaler Ab­schnitt als Herz bezeichnet wird. Es ist unterseitsmit einer horizontalen Membran verbunden(Abb. 6-2, 7-4). Dieses dorsale Diaphragma ver­spannt das Herz über die Alarmuskeln mit derseitlichen Körperwand und grenzt einen dorsalenPerikardialsinus gegen den die Verdauungs- undFortpflanzungsorgane enthaltenden Periviszeralsi­nus ab. Für den ventralen Rückfluss der Hämo­lymphe ins Abdomen sorgt in einigen Insekten­ordnungen das muskulöse ventrale Diaphragma . Inden meisten Fällen ist es über dem abdominalenBauchmark ausgespannt. Es fördert durch wellen­förmige Bewegungen den Fluss der Hämolymphedurch den ventralen Perineuralsinus. Zur Versor­gung von Kopf und Körperanhängen dienen ver­schiedene akzessorische Pulsationsorgane.

Das offene Hämolymphsystem war wahr­scheinlich eine wesentliche Voraussetzung für dieEntstehung der zum Teil extremen Gestaltände­rungen der verschiedenen Metamorphosestadien.Es ermöglichte die teilweise Verdrängung des H ä­molymphvolumens durch das Luftsacksystem imAnschluss an die Imaginalhäutung und Flügel­entfaltung und wurde damit zur Vorausetzung fürdas geringe Körpergewicht der Fluginsekten. Diezunächst segmental und dadurch redundant an­gelegten Organsysteme erlaubten wie nach demBaukastenprinzip die unabhängige Ausdifferenzie­rung oder Unterdrückung dieser Strukturen inbestimmten Körperabschnitten.

7.1.1 Das Hämolymphplasma

Das Hämolymphplasma ist meist farblos, helIgelb­lieh oder grünlich , da es bis auf wenige Aus­nahmen keine respiratorischen Pigmente enthält.Während Sauerstoff nur in geringer Menge physi­kalisch gelöst wird, enthält das Plasma eine grö­ßere Menge an Kohlendioxid, das hauptsächlichals Hydrogenkarbonat vorliegt. Kohlendioxid fälltbei der Zellatmung an und geht zunächst in Lö­sung, bevor es als Gas über das Tracheensystemausgeatmet wird. In der Hämolymphe ist es Be­standteil des Kohlendioxid-Bicarbonat-Puffersys­tems, das eine wichtige Funktion in der pH-Regu­lation spielt. Volumen und Zusammensetzung desPlasmas sind stark von der Lebensweise und demEntwicklungsstadium abhängig. Dadurch, dassdie Hämolymphe nur eine geringe Speicherfunk­tion für Sauerstoff hat , konnte ihr Volumen verrin­gert werden. Dieses variiert zwischen 10% und40% des Gesamtkörpervolumens. Das offene Hä­molymphsystem ist gegenüber Änderungen desHämolymphvolumens und der Viskosität sehr vieltoleranter als ein geschlossenes Blutgefäßsystemmit seinen vielen engen Kapillaren . Das Plasmaenthält je nach Entwicklungs- und Ernährungszu­stand qualitativ und quantitativ unterschiedlichviel Proteine, vor allem Speicherproteine, Lipid­Transport-Proteine, Enzyme und einen hohen An­teil an freien Aminosäuren sowie Lipide, beson­ders Diacylglycerin, und Kohlenhydrate, vor allemTrehalose und Glucose. Der osmotische Wert liegt

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186 ] Hämolymphe und Hämolymphtransport

A

E

B

zwischen 300 und 500 mOsmol. Durch Wasserent­zug oder Anreicherung mit Zuckern, Polyhydro­xyalkoholen und Gefrierschutzproteinen vor derÜberwinterung kann sich der osmotische Werterheblich erhöhen. Bereits während des Fressenskann der Wert vorübergehend um 50 mOsmolsteigen. Die Ionenkonzentration ist stadienspezi­fisch relativ konstant und ergibt einen pH von6,4-6,8 . Da pflanzliche Nahrung der Larven häu­fig nur wenig Natrium enthält , muss es von denImagines vieler Phytophagen gezielt aufgenom­men werden, z. B. beim Saugen an Schweiß, Kotoder Kadavern . Die Pufferkapazität ist an diemeist sauren Stoffwechselprodukte optimal ange­passt und wird im normalen Bereich über Bi­karbonate und Phosphate geregelt, während imsauren Bereich mehr die Carboxylgruppen derorganischen Säuren und im alkalischen Bereichmehr die Aminogruppen der Aminosäuren puf­fern. Proteine gewährleisten zusätzlich eine Puffe­rung über einen weiten Bereich.

7.1.2 Hämoeyten

Die Hämolymphe der Insekten enthält eine Viel­falt von Hämocyten (Abb. 7-1). Die meisten Zell­typen, wie Granulocyten, Sphärulocyten, Coagulo­cyten, Plasmatocyten, entwickeln sich aus meso­dermalen Prohämocyten. Die Önocytoide entste­hen meist aus ektodermalen Zellen. Hämocytenentstehen durch Mitose freier Zellen oder in hä­m(at)ocytopoietischen Organen, die besonders auf-

FAbb. ]-1: Hämocyten-Typen. A Pro­hämocyte, B Plasmatocyte, CGranule­cyte, D Cystocyte, E Sphärulocyte,FÖnocytoid. (Nach Seifert 1995)

fällig ventrolateral am Herzen bei einigen Ortho­pteren vorkommen (Abb.7-2A). Bei den Raupensind sie in Zellgruppen um die Flügel-Imaginal­scheiben herum angeordnet (Abb. 7-2B). Bei denLarven der Diptera und Coleoptera sind sie nurlocker mit dem Herzen assoziiert (Abb. 7-2C). DieHämocyten zeigen eine große Variation in derBildung von Ausläufern an der Zelloberfläche,von Organellen und vesikulären oder membran­freien Einschlüssen im Cytoplasma. Die Zahl derin der Hämolymphe nachweisbaren Hämocyten ,das Hämocytenprofil, ändert sich meist im Laufeder Entwicklung und ist in den einzelnen Taxasehr verschieden. Bei Locusta und bei Bombyxnimmt die Zahl der Hämocyten während der all­gemeinen Mitosetätigkeit vor der jeweiligen Häu­tung über 10000/~1 bzw. 8000/~1 zu und sinktunmittelbar danach auf unter 8000/~1 bzw. 2000/J.dab. Die Hämocyten spielen während der Meta­morphose eine wesentliche Rolle beim Abbau undder Phagocytose zerfallender Gewebe und vermit­teln das Rezyklieren der Körper substanzen. Durchdie Produktion von Proteasen tragen Hämocytendazu bei, Gewebezellen, besonders die des Fett­körpers, zu vereinzeln. Umgekehrt beteiligen siesich an der Neubildung der Basallamina. Granulo­cyten und Sphärulocyten synthetisieren und sezer­nieren auch Polypeptide, die in die Cuticula einge­lagert werden. Während in der ausdifferenziertenImago bei Locusta der Hämocytengehalt nach derImaginalhäutung wieder ansteigt , fällt er bei Bom­byx weiter stark ab. Dieser Unterschied mag damitzusammenhängen, dass die Lebensdauer bei derHeuschrecke mehrere Wochen beträgt, beim Sei­denspinner dagegen nur wenige Tage.

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7.1 Hauptmerkmale des offenen Kreislaufs 187

HOsumFlugel­imaginalscheiben

dorsales Diaphragma

Herz

c

abdominalesSegment 6

abdominalesSegment 8

B2

':'d-~;",,,-- Athrocyte.Perikardialzelle

---''-- Stigma

Abb.7·2: Hämocytopoietische Organe bei verschiedenen Insekten. Al Blick von ventral auf das freigelegte Herz mitdorsalem Diaphragma und hämopoietischen Organen (HO) bei der Laubheuschrecke Liparoscelis. A2 Seitenansicht der HOs unterden Herzabschnitten der vorderen abdominalen Segmente. B Hämopoietische Organe an den Flügelimaginalanlagen ·einer Raupedes Spinners Antheraea pernyi. Bl Dorsalansicht desVorderk örpers. B2 Querschnitt durch dieFlügelimaginalscheibe, B3 Detail mitBildungsstellen der Blutzellen in den Lobulae. CVentralansicht des Hämopoietischen Organs am Herzende der Larve von Calliphora.(A nach Nutting 1951, B nach Monpeyssin & Beaulaton 1978, Cnach Zachary & Hoffmann 1973)

7.1.3 Immunabwehr undWundverschluss

Hämocyten sind beteiligt am komplexen Abwehr­und Reparatursystem und können durch Selbst­oder Fremderkennung eingedrungene Organismenphagocytieren oder einkapseln (Abb. 7-3). Die Ab­wehr wird initiiert durch Hämagglutine (Lectine).Diese interagieren mit bestimmten Lipopolysac­chariden oder Peptidoglycanen der Körperober­fläche der Invasoren , wodurch diese von Granulo­cyten erkannt und umlagert werden. Diese schei­den ihren granulösen Inhalt ab und verklebendamit die Eindringlinge. Die durch diesen Prozessangelockten Plasmatocyten phagocytieren die fi-

xierten Fremdorganismen, wenn sie klein genugsind, wie beispielsweise Bakterien . Größere Bak­terienansammlungen oder Eindringlinge werdeneingekapselt. Im Innern dieser Knötchen oderKapseln sterben die Zellen ab und die Zwischen­substanz wird durch Melanineinlagerung schwarz.Das Melaninmolekül ist mit seinen zahlreichenfreien Valenzen sehr reaktiv. Es blockiert in un­mittelbarer Umgebung der Invasoren die Sauer­stoff- und Nährstoffzufuhr. Melanin wird unterMitwirkung von Enzymen des Phenoloxidasesys­tems synthetisiert. Die in der Hämolymphe gelöstePhenoloxidase lagert sich an die gelösten Proteine,verfestigt und härtet sie. Durch ihre Abwehrtätig­keit verringert sich bei Larven nach einem Infektvorübergehend die Zahl der frei in der Hämo-

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188 7 Hämolymphe und Hämolymphtransport

Abb. 7-3: Einkapselung von Bakte­rien durch Kooperation von Plas­mato- und Granulocyten. Währenddie Granulocyten ausflockendes Materialan der Oberfläche der Eindringlinge(Bakterien, Nematoden, parasitoide Eieroder Larven) abscheiden und diese fest­legen, phagocytieren bzw. umschließendie Plasmatocyten die Eindringlinge. DasMatrixmaterial wird melanisiert, um dieFremdkörper herum verdichtet und voneiner Hülle sich abflachender Plasmato­cyten umgeben. (Nach Ratcliffe & Ga­gan 1977)

lymphe nachweisbaren Plasmatocyten. Bei einigenDipteren, insbesondere Chironomiden, erfolgt dieEinkapselung rein humoral über Anlagerung vonAminosäuren, besonders Tyrosin, oder Proteinen,also ohne direkte Beteiligung von Hämocyten.Dieser Abwehrmechanismus ist dennoch gegenstarken Befall an Bakterien, Pilzen und Nema­toden sehr wirksam. Indirekt können Hämocytenaber auch an humoralen Reaktionen beteiligt sein.So setzen die nicht phagocytierenden Önocytoidebei ihrem leichten Zerfall Tyrosinase und Glyko­proteine frei. Bei der Einkapselung wirken Zellenund humorale Faktoren also zusammen. Die Lei­stungsfähigkeit des Immunsystems wird gesteigertdurch in der Hämolymphe befindliche antibak­terielle Peptide. Lysozym verdaut den Mureinsac­culus von bereits geschädigten Bakterien. Es wirdvom Fettkörper und Athrocytengewebe syntheti­siert (s. Kap. 4.9) und von Granulocyten abge­schieden; Cecropine und Attacine sind Peptide, dieim Fettkörper und einigen Hämocyten syntheti­siert werden . Ihre bakterizide Wirkung wird durchLysozym erhöht. Die Cecropine töteten in vitrosogar Plasmodium jalciparum (Erreger der Ma­laria tropica) und Trypanosoma cruzi (Erreger derChagas-Krankheit). Parasitoide überwinden aller­dings oft das Abwehrsystem, besonders durchMassenbefall oder durch Injektion von Viren beider Eiablage.

Nach Verletzungen nimmt bei Lepidopteren­Puppen die Menge an Plasmatocyten in der Hä­molymphe um den Faktor 10 zu. Bei Schädigungder Hypodermis scheiden die Granulocyten eineSubstanz ab, die ähnlich wie bei der Einkapselungvon Invasoren wirkt und zusammen mit humora­len Faktoren ein Gel bildet , das zusammen mitden Hämocyten die Wunde unterlagert undschließlich einen Wundpfropf bildet, das sog."Clotting". Neben dem Phenoloxidasesystem wir-

ken dabei Gerinnungsproteine, wie z. B. Lipopho­rine bei der Schabe Leucophaea oder Glykolipo­pro tein bei Locusta koagulierend auf bestimmteHämolymphproteine, deren Vernetzung ähnlichwie bei der Fibrinbildung der Wirbeltiere abläuft.Unter dem Wundverschluss lagern sich bei Rhod­nius Plasmatocyten an, die schließlich über "tight"und "septate juctions" ein zusammenhängendesEpithel bilden . Bei Calliphora findet ein zellulärerWundverschluss ohne extrazelluläre Gelbildungnur durch das Aneinanderlagern von Hämocytenstatt.

7.2 Körperkreislauf

7.2.1 Herz und dorsalesDiaphragma

Die bei allen Insekten entwickelte Hämolymph­pumpe ist das schlauchförmige Dorsalgefäß. Derabdominale Teil wird auch als Herz, der Vorder­körperabschnitt wird als Aorta bezeichnet (Abb. 7­4). Das Herz besteht aus paarigen links-rechtsalternierend angeordneten Muskel-Zellen (Blatt­odea , Odonata, Lepidoptera, Diptera, Coleo­ptera). Die quergestreiften Muskelfasern verlaufenin einer engen Spirale (Abb.7-5B) und ermögli­chen so eine peristaltische Kontraktionswelle. DieMuskelzellen sind zum Hämocöl und Herzlumenhin von Basallamina bedeckt. Diese kann an derAußenseite elastische Faserbündel enthalten. Le­diglich bei den Blattodea und Mantodea gibt esnicht-kontraktile Seitenarterien aus Bindegewebs­zellen, deren äußere und innere Basallamina durchKollagenfibrillen verstärkt ist. Das Herz ist über

Page 5: Lehrbuch der Entomologie || Hämolymphe und Hämolymphtransport

7.2 Körperkreislauf 189

Abb. 7·4: Pumporgane und Hämo­Iymphströmungen im offenenKreislauf einer Biene. Bei den Hyme­nopteren mitenger Taille pumpt dasHerz stets zum Kopf und das ventraleDiaphragma saugt die Hämolymphe insAbdomen über den Perineuralsinus.(Nach Vorlagen von Freudenstein 1928und Snodgrass 1931)

Bindegewebe aus Basallamina mit elastischen Fa­sern an den Tergiten befestigt und durch seitlicheFächer von Muskelfasern (Alarmuskeln, Flügel­muskeln) und z.T. auch Bindegewebsfasern mitden dorso-lateralen Intersegmentalfalten ver­spannt. Daraus resultiert eine Art Dreipunkt-Auf­hängung. Die Muskelfächer können als lockereFasern arrangiert sein, wie beispielsweise bei denLepidoptera, oder über die gesamte Länge desAbdomens zu einer zusammenhängenden hori­zontalen Membran mit Bindegewebe abgedichtetsein, dem dorsalen Diaphragma, wie bei den Blatt­odea, Orthoptera, Coleoptera (Abb.7-6). Dieses

Diaphragma grenzt den Perikardial-Sinus gegenden Eingeweide-(Periviszeral-)Sinus ab bis auf seg­mentale seitliche Aussparungen, die den vertikalenAustausch von Hämolymphe ermöglichen . DieAlarmuskeln divergieren und verzweigen sich zumHerzen hin. Sie können bei den Lepidoptera einMaschenwerk direkt um den Herzschlauch herumbilden oder sich zu einem korbartigen Geflechtverdichten, das über Basallamina-Stege mehr oderweniger eng mit dem Herzschlauch verbunden istwie bei den Diptera. Der Muskelfaserverlauf umdas Herz herum ist vielfach längs gerichtet. Auchdas flächige dorsale Diaphragma ist über bindege-

spira Ig verlaufende Myofibrillen

A

innereBasallamina Basallamina

MuskelZeIle

B

ventrale .-=----~~~7Zellgrenze '<~~~~~

Ostien­zenkem

vordereOstienzelle

hintereOstienzelle

Abb. 7·5: Grundschema von Herz und dorsalemDiaphragma. AAnsicht des von dorsal und hinten angeschnittenen HerzensmitAlarmuskeln und Bindegewebsmembran des dorsalen Diaphragmas. BVorderer Abschnitt des Herzens von Calliphora mitrechts­links versetzt angeordneten polyploiden Herzzellen und Einström-Ostien. (A nach Weber 1966, Bnach Wasserthai 1999)

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190 7 Hämolymphe und Hämolymphtransport

11

111

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AJar·muskel

Metathorampuße

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Abb. 7-6: Totalansichten und Querschnitte der Herzen und dorsalen Diaphragmen bei hemimetabolen Insekten. AlHerz mit Seitenarterien der Schabe 8laberus. Ventralansicht. In rechter Hälfte das dorsale Diaphragma weggelassen. A2-A4Richtungsveriauf bei Vor-, Rück- und Kollisionspulsen. AS Querschnitt mitSeitenarterien und Ausströmvalven.A6 Schema der Valvenimgeöffneten und geschlossenen Zustand. B1 Herz der Feldheuschrecke Schistocerca, Ventralansicht, links mitAlarmuskeln, rechtsmit dorsalem Diaphragma, B2 Seitenansicht des Dorsalgefäßes mit Ein- und Ausströmostien (ex). B3 Querschnitt mitAusström­ostien, die durch das dorsale Diaphragma hindurch in den Periviszeralsinus münden. (Nach Nutting 195 1)

webige Stränge mit dem Herzen verbunden . Wäh­rend die untergliedernde Wirkung des Perikardial­septums offensichtlich ist, ist seine Rolle für denHämolymphtransport noch wenig erforscht.

7.2.1.1 Wechsel der Herzschlagrichtung

Bei apterygoten Insekten pumpt das Herz bidi­rektional, und zwar gleichzeitig nach vorn und abdem 8. Segment nach hinten und versorgt damitgleichzeitig den Vorderkörper und die caudalenAnhä nge (Abb. 7-7A). Das Herz der Larven undvieler flugunfähiger Imagines, aber auch das deraculeaten Hymenoptera pulst in der Regel von

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7.2 Körperkreislauf 191

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Abb. 7-7: Diversität der Herzformen bei Insekten. A ursprüngliches Dorsalgefäß der Diplura mit Circumösophagealring undValven fürbidirektionalen Transport (A2). B Herz der Ephemeride Cloeon. C1 Herz eines Nachtfalters, C2 Vorpulse, C3 Rückpulse C4Frontalsack mit Antennenventilen. Die Ampullenkörper werden bei kräftigen Vorpulsen des Herzens in die sich verjüngendeAntennenarterie gedrückt. 0 caudales Herzende der Dipterenlarve Ceromasia mit Intraventricularpolster, E1 Herz von Calliphora miterweiterter vorderer Kammer, E2 bei Vorpulsen, E3 bei Rückpulsen. F extrem reduziertes Herz der Dipterenlarve Ptychoptera. GKompaktes Herz der 5chweinelaus Haematopinus. (A nach Gereben-Krenn & Pass 1999, B nach Meyer 1931, C nach Vondran &Wasserthai 1998, D nach Pantel 1914, Enach Wasserthai 1998, Fnach Grobben, G nach Prowazek aus Weber 1933)

hinten nach vorn (Abb. 7-4). Bei den adulten Co­leopteren, Dipteren und Lepidopteren und wahr­scheinlich auch weiteren Pterygoten schlägt dasHerz in wechselnden Perioden kopfwärts undrückwärts, oft mit einem bis mehrere Sekundendauernden Herzstillstand zwischen beiden Pulspe­rioden (Abb. 7-8,7-16,7-18). Die Pulswelle hat beiden Raupen von Manduca eine Geschwindigkeitvon 5,5 crnls, bei den Puppen von 0,75-3 crnls undbei der Imago sowohl für Vor- und Rückpulse von3,5-8 crnls. Bei der Schabe Blaberus giganteuswechselt die Schlagrichtung ebenfalls periodisch.Die Vorpulse haben eine Geschwindigkeit von ca.5 cm/s. An die Vorwärts- und Rückwärts-Pulspe­rioden schließen sich in unregelmäßiger FolgePhasen an, bei denen von hinten und vorne gleich­zeitig initiierte Pulswellen in der Abdomenmitteauf unterschiedlicher Höhe der Seitengefäße mitca. 10 crnls zusammenprallen (Abb. 7-6A4). Eswird also ein vorderer und ein hinterer Schritt­macher nicht abwechselnd sondern gleichzeitig ak­tiviert. Die dabei entstehenden Kollisionswellensorgen für einen Austritt der Hämolymphe ausjeweils einem Paar der Seitenarterien. Ein Rück­strom durch die Seitengefäße wird durch ein alsSphinkter wirkendes, verschließbares hohlkegel­förmiges Ventil verhindert (Abb. 7-6A6). Ähnlich

arbeitet das mit abdominalen Seitenarterien aus­gestattete Herz der Gottesanbeterin Sphodroman­tis gastrica. Während bei den kopfwärts gerichte­ten Pulsen nur bei den blattopteroiden und ortho­pteroiden Insekten die Hämolymphe auch überdie thorakalen Seitenarterien bzw. Ausströmostiender Aorta austreten kann, verlässt die Hämo­lymphe die Aorta bei den übrigen Insekten nurdurch die cranialen Öffnungen .

7.2.1.2 Bau und Funktion der Ostien

Das Dorsalgefäß besitzt ursprünglich pro Seg­ment I Paar seitliche Öffnungen, über die dieHämolymphe in das Herz einströmt (Einström­Ostien) . Bei den meisten Insekten besteht jedesOstium aus zwei Zellen, die beide als Lippen insHerzlumen ragen und als Einströmöffnung dienen(Abb.7-5). Bei Druckzunahme im Herzen legensich beide Lippen aneinander und verschließen dieÖffnung (Abb. 7-8A). Die Zahl dieser Ostienpaareist je nach Taxon mehr oder weniger stark redu­ziert. Die maximale Anzahl von 12 findet sich beiden Blattodea und Orthoptera. Lepidoptera be­sitzen 9 Paare, Coleoptera 7 Paare. Aculeate Hy­menoptera und Calliphora weisen nur noch

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192 7 Hämolymphe und Hämolymphtransport

A

Deckflügel

Abb. 7-8: 8eziehung zwischen wechselndem Hämolymph- undTracheenvolumen vonVorder- und HinterkörperbeimNashornkäfer. Beim Nashorn- wie beim Goliathkäfer wird die Hämolymphe durch periodische Herzschlagumkehr regelmäßigzwischen Vorderkörper und Abdomen hin- und hergepumpt. Wenn sich der Hämolymphgehalt bei Rückpulsen des Herzens imVorderkörper und den Elytren verringert, dehnen sich die kettenartig angeordneten Luftsäcke aus (B). Sie ziehen sich leichtzusammen, wenn die Hämolymphe mit den Verpulsen des Herzens wieder in den Vorderkörper zurückströmt (A). Die Luftsäckesorgen damit für einen Rückfluss der Hämolymphe auch in die umgebenden Lakunen der Elytren. Die abdominalen Luftsäckeverhalten sich entsprechend, werden aber zusätzlich durch diskontinuierliche Pumpbewegungen ventiliert. (Nach Wasserthai1982)

5 Paare im Abdomen auf (Abb. 7-7). Phthiraptera,Heteroptera und einige Dipteren-Larven habennur noch die hintersten 1-3 Paare. Im Aortenbe­reich können die Einströmostien ganz fehlen.

Die Aorta endet bei den meisten Insekten imKopf mit einer unpaaren Ausströmöffnung. BeiCalliphora mündet die Aorta bereits im Hals. Beiden Diplura reichen die Aortenzweige bis in dieAntennen (Abb.7-7). Bei den Odonata, Tricho­ptera und Lepidoptera entspringen von einer Aor­tenerweiterung (Aortensaek) ein Paar Augenarte­rien und ein Paar Antennenarterien (Abb. 7-7C).Bei Vespa und Apis teilt sich die Aorta ohneErweiterung in paarige Kopfarterien. Einige In­sektengruppen besitzen zusätzliche Ausströmostienentlang des Dorsalgefäßes. Bei den Plecoptera undEmbioptera sind sie unpaar und öffnen sich an derUnterseite des Herzens. Bei den Zygentoma undOrthoptera sind sie paarig. Bei den Saltatoria gibtes Ausströmostien in zwei Thorax- und maximal 5abdominalen Segmenten (Abb.7-6). Diese einfa­chen Öffnungen werden bei jeder Diastole voneiner sich sphinkterartig kontrahierenden Zelle ge­schlossen . Die Ausströmostien der Phasmatoidea,bei Gryllotalpa und den Tettigonioidea öffnen sichbei Systole in den Perikardialraum unterhalb derhämocytopoietischen Organe. Bei den Locustidenverbinden die Ausströmostien das Herzlumendurch das dorsale Diaphragma hindurch direkt

mit dem Periviszeralsinus (Abb. 7-6B3). Die Sei­tenarterien, die nur bei den Blattodea (2 thorakale+ 4 abdominale) und Mantodea (nur 4 abdomi­nale) vorkommen, weisen an den sich zweimalgabelnden Enden Ausströmöffnungen auf (Abb. 7­6A). Ein Rückstrom wird durch Ventile im basalenLumen der Seitengefäße verhindert. Bei den Dip­lura und ganz anders bei adulten höheren Dipte­ren finden sich paarige Auströmostien nur amcaudalen Herzende. Zusätzlich ragt bei einigenDiptera ein Paar kissenartig verdickter Zellen imhinteren Herzen so weit ins Herzlumen, dass es beiVorpulsen wahrscheinlich einen Hämolymph-Aus­tritt durch diese caudalen Öffnungen verhindert(Abb. 7-7D-E). Bei den scarabaeiden Käfern mün­det eine unpaare vertikale Öffnung in eine caudaleaus Fettkörper gebildete Kammer (Abb. 7-8,7-9A). Insekten mit Terminalfilum, wie Archaeo­gnatha, Zygentoma und Ephemeroptera, besitzenebenfalls eine unpaare Ausströmöffnung am Herz­ende. In der z.T. ampullenartig erweiterten hinte­ren Herzkammer sorgen hier nach hinten gerich­tete Ventil-Lippen für einen retrograden H ämo­lymphstrom (Abb. 7-7B, 7-14A).

Bei den Lepidoptera existieren statt der ge­trennten Ein- und Ausström-Öffnungen Zweiweg­Ostien (Abb. 7-9B). Die jeweils innere Ostien-Zelleragt mit ihrer freien Kante nach vorne ins Herz­lumen und unterlagert die äußere Zelle. Diese ragt

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7.2 Körperkreislauf 193

Abb. 7-9: Wirkung von Ein- und Zweiweg-Ostien in Be­zug auf die wechselnde Herzschlagrichtung. A Die Ein­strömostien der Coleoptera (sowie meisten Insekten) schließensich bei Zunahme des Herzbinnendruckes bei Vor und Rück­pulsen. Für den Rücktransport steht bei den scarabaeidenColeoptera eine einzige caudale Öffnung zur Verfügung. B DieZweiweg-Ostien der Lepidopteren schließen sich nur bei denVorpulsen . Bei Rückpulsen werden die gegen die Strömunggerichteten inneren Ostienlippen aufgedrückt und die Hämo­lymphe kann in das Abdomen entweichen. Jede Pulswelleproduziert eine vorausgehende Bugwelle, die das Herz weitet.(Nach Wasserthai 2003)

Während das Dorsalgefäß bei allen Insekten aus­gebildet ist, kommt das ventrale Diaphragma zu­sammen mit dem umgebenden Perineuralsinus nurbei Insekten mit abdominalem Bauchmark vor(Abb. 7-4, 7-10). Dennoch ist es auch hier nur beider Minderheit der Insektenordnungen nachge­wiesen. Es sind die Odonata, Saltatoria, Hyme­noptera, Neuropteroidea, Hymenoptera, Mecop­tera , Lepidoptera und innerhalb der Diptera nurNernatocera, Tabanidae und Asilidae. Es fehlt beiden basalen Insektengruppen, bei den Blattodeasowie den Ordnungen mit im Thorax konzent­riertem Bauchmark, also den Hemiptera, Coleo­ptera (Abb. 7-8) und höheren Diptera (7-18). Dieeinzelnen quergespannten Muskelfasern, die beiden "Apterygoten" über dem Bauchmark verlau­fen, werden nicht als ventrale Diaphragmen be­trachtet. Die quer verlaufenden Muskelbänder beiAcheta und die einzelnen Muskelfasern, die beiden Trichoptera seitlich am Bauchmark ansetzen,könnten als Primitiv- oder Reduktionsformen ei­nes Diaphragmas gedeutet werden (Abb.7-10A,

7.2.2 Ventrales Diaphragma undPerineuralsinus

Abb.7-10: Ventrale Diaphragmen bei pterygoten In­sekten. Die über dem Bauchmark querverlaufenden Muskelnkönnen als lose Bänder (A) oder als Fächer (Alae: B-D) überunterschiedlich vielen Segmenten ausgespannt sein . Bei denTrichoptera sind nur einzelne Fasern (E), bei den Lepidoptera dieganzen Fächer (F) dorsolateral mit den Ganglien verbunden.(Verändert nach Richards 1963)

Bugwelle

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systolischOf I I8«eich I I

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mit ihrer freien Außenkante nach hinten. Die Os­tienfunktion wird von der Anströmrichtung unddem Hämolymphdruckgradienten zwischen dembei Diastole erweiterten Herzen und dem Hämo­cöl des Abdomens bestimmt. Bei Vorpulsen wirdwährend der Systole die innere Lippe gegen dieäußere gedrückt und das Ostium geschlossen. Beiden Rückpulsen führt die der eigentlichen Kon­traktion vorauseilende "Bugwelle" - in der Elek­trophysiologie bekannt als der "presystolic notch"- zum passiven Aufdrücken der dann gegen dieStrömung gerichteten inneren Ostienlippen, insbe­sondere am caudalen Herzende, wo durch dasgeschlossene Ende ein Hämolymphstau entsteht.Ähnlich verhält sich das hintere Ostienpaar bei derSchabe Blaberus giganteus bei den nach caudalgerichteten Pulsen .

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194 7 Hämolymphe und Hämolymphtransport

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Abb. 7-11: Ventrales Diaphragma undTaillenventil. A Längsschnitt durch den Körper des Schwärmers Acherontia atropos undseine Kompartimentierung. Das abdominale Hämocöl istdurch einen großen Luftsack sowieein Septum aus Muskeln und Fettkörpervom Vorderkörperhämocöl getrennt. Der große Taillen-Luftsack verhindert Wärmeverluste in das Abdomen. Die Aortenschlaufezwischen der Flugmuskulatur sorgt füreine gleichmäßige Wärmeverteilung. Die nach hinten ragende Fettkörperplatte verschließt beiabdominalen Kontraktionen den Perineuralsinus wie ein Rückschlagventil und verhindert ein Ausweichen der Hämolymphe in denVorderkörper. B Querschnitt durch die vordere Ventilregion bei dem Tagfalter Papilio machaon mit ventralem Diaphragma,Perineuralsinus (PNS) und darüber liegender Fettkörperplatte. Bei Druckzunahme imAbdomen werden Fettkörperplatte und ventralesDiaphragma in die Fettkörperfreie Ausparung des PNS gepresst. (B nach Wasserthai 1980)

E). Normalerweise besteht das Diaphragma ausden in Fächern (Alae) angeordneten Muskeln, dieventrolateral an der Körperwand ansetzen . DieMuskelfächer sind häufig durch Bindegewebs­membranen abgedichtet. In den meisten Fällen istdas ventrale Diaphragma nicht mit dem Bauch­mark verwachsen. Bei den adulten Lepidoptera istdas Bauchmark jedoch fest mit einer massivenhochelastischen Bindegewebsleiste verbunden(Abb. 7-llB). Dieses Diaphragma treibt wie einFlossensaum die Hämolymphe durch ununterbro­chene seitliche Schlängelbewegungen vom Thoraxins Abdomen. Bei den Hymenoptera erzielt dasventrale Diaphragma durch wellenförmiges Auf­und Abschwingen den gleichen Transporteffekt.Durch die Diaphragmabewegungen wird vor allemdas Bauchmark stets mit frischer Hämolympheversorgt.

7.2.3 Taillenseptum undKompartimentierung

Bei den adulten holometabolen Insekten dichtenverschiedene Strukturen, wie Fettkörper, Dorso­ventralmuskeln , Bindegewebe und Luftsäcke, dasabdominale Hämocöl gegen das des Vorderkör­pers mehr oder weniger gut ab, sodass die Hämo­lymphe nur über den Perineuralsinus und das Herzausgetauscht werden kann. Bei einigen Insekten

ohne Perineuralsinus ist das Dorsalgefäß sogar dieeinzige Verbindung zwischen Vorder- und Hinter­körper-Hämocöl. Die hinter der äußerlich sicht­baren Taille liegenden riesigen Luftsäcke bei denDiptera und das zusätzliche Fettgewebe bei denColeoptera wirken wie ein Septum, durch dasneben dem Dorsalgefäß nur Verdauungstrakt,Speicheldrüsen sowie Nerven hindurchtreten(Abb. 7-8). Bei den Lepidopteren wird auch derPerineuralsinus durch eine Art Rückschlagventilbei abdominalen Kompressionsbewegungen ver­schlossen (Abb. 7-11). Eine nach hinten ragendePlatte des Fettkörperseptums wird gegen das vent­rale Diaphragma gepresst. Seine verbreiterte hoch­elastische bindegewebige Leiste mit dem Bauch­mark ist so genau in das U- oder V-förmige vor­dere abdomin ale Sternit eingepasst, dass beiDruckzunahme im Abdomen auch der Perineural­sinus abgedichtet wird und die Hämolymphe nichtin den Thorax ausweichen kann .

7.2.4 Das Abdomen alsübergeordneterDruckerzeuger

Im Unterschied zu Organismen mit geschlossenemGefäßsystem spielt das Herz der Insekten grund­sätzlich nicht die Hauptrolle bei der Erzeugungdes "Blutdruckes", sondern dient vielmehr als

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7.2 Körperkreislauf 195

Abb. 7-12:Akzessorische Pulsationsorgane im Kopf. A1 Antennenpumpe derSchabe Periplaneta mitpaarigen Ampullen, dieüber einen gemeinsamen QuermuskeIl geweitet werden; linkeAmpulledilatiert, rechte Hälfte erschlafft A2Ausschnitt. 8 UnpaarigeAntennenampulle (Amp) und Kopfpulsationsorgan((PO) bei Calliphora. 81 Seitenansicht, 82 Einblick inden dorsalgeöffneten Kopf,83 Ausschnitt mit Antennen-Ampulle, 84 Ausschnitt mit Aortenmündung im Halsund Kopfpulsationsorgan. Antennen-Ampulle und(POwerden über einen gemeinsamen Dilatormuskel gestreckt. Das epowird zusätzlich durch die eigene Muskulatur kontrahiertund über Occipitalmuskeln (OM) hinter dem Oberschlundgangl ion (OSG) entleert. (A1 nach Pawlowa 1898 aus Seifert 1999, A2nach Pass 1985, B nach Wasserthai 1999 u. unveröff. Daten)

Hauptverteilerpumpe zwischen Hinter- und Vor­derkörper. Neben dem Transport durch das Rü­ckengefäß wird bei einigen Insekten die Häm o­lymphe im Bauch sinus, dem Perineuralsinus, ausdem Thorax in das hintere Abdomen gepumpt.Der für den erfolgreichen Hämolymphtransportnötige Druckgradient zwischen Herz und Körper­hämocöl wird durch den Tonus der Körperwand­muskulatur, bei den Imagines meist der des Ab­domen s, erzeugt. Langsame abdominale Volumen­änderungen wirken sich auch auf das Strömungs­geschehen im Perineuralsinus aus. Das Abdomenspielt dadurch die Rolle einer übergeordnetenDruck- oder Saugpumpe, je nachdem, ob es sichkontr ahiert oder ausdehnt. Dadurch ist vielfachüberhaupt erst ein effizienter Transp ort der Hä­molymphe im Herzen und im Perineuralsinusmöglich. Bei den adulten Lepidoptera und einigen

Fliegen unterstützt das Abd omen durch langsa­mes Kontrahieren während der Vorpulse des Her­zens den Vorwärt stransp ort. Parallel mit dem ven­tralen Rückfluss der Hämolymphe in das Ab­domen über den Perineuralsinus erweitert sich dasAbdomen. Bei einer akt iven Längenzunahme ent­steht eine Herzpause, auf die dann die Rückpulsedes Herzens folgen (Abb. 7-14). Die Einschnürungzwischen Vorder- und Hinterkörp er spielt also fürden Hämolymphtransport eine wichtige Rolle. DieTrennun g in 2 Kompartimente ist bei den holo­metabolen Insekten , speziell den Hochleistungs­fliegern , besonders ausgeprägt. Die relativ geringeHämolymphmenge kann abwechselnd in Vorder­körper und Hinterkörper als Hydraulikflü ssigkeitzur Tracheenventilation eingesetzt werden. Durchdie enge Taille bei den apocriten Hymenopterenbzw. Isolierung mittels Luft säcken vor und hinter

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196 7 Hämolymphe und Hämolymphtransport

der Taille bei den Lepidopteren und Dipteren wirdzudem ein Verlust der Muskelwärme des Bewe­gungsapparates in das Abdomen vermieden.

7.3 AkzessorischePulsationsorgane undperipherer Kreislauf

Innerhalb der pterygoten Insekten haben sich zu­sätzlich zum Dorsalgefäß akzessorische Pulsati­onsorgane, sog. Ampullen oder Hilfsherzen ent­wickelt. Diese sind in unterschiedlichem Maßenotwendig, um in den engen, röhrenförmigen Kör­peranhängen einen ausreichenden Hämolymphau­stausch zu gewährleisten. Daher gibt es akzessori­sche Pulsationsorgane unterschiedlicher Bauart imBereich von Kopf, Beinen, Cerci und Terminal­fila.

7.3.1 Versorgung von Kopf, Beinenund caudalen Anhängen

Die Antennen enthalten meist ein zuführendes Ge­faß . Bei den Diplura, Odonata und Lepidopteraentspringt es direkt von einer Aortenerweiterung,dem Frontalsack und es gibt keine zusätzlichenkontraktilen Pumpen an den Antennen. Bei denLepidopteren befinden sich in den basalen Gefäß-

erweiterungen Gewebskugeln zur Regulation desmit der Schlagrichtung wechselnden Hämolymph­druckes (Abb. 7-7). Bei den übrigen Insektenord­nungen nimmt das Antennengefäß seinen Ur­sprung oft von einer paarigen oder gemeinsamenbindegewebigen Erweiterung (Ampulle) an derAntennenbasis (Abb.7-l2A). Diese kann überMuskeln von außen gedehnt werden und dabeiüber eine Ventilöffnung die Kopfhämolymphe an­saugen, um sie beim Erschlaffen in das Antennen­gefäß abzugeben. Bei den Hymenopteren werdendie Antennenampullen indirekt über die benach­barten Pharynxmuskeln betätigt. Bei Calliphora istder Ampullendilatormuskel direkt mit einem imHinterkopf liegenden Kopfpulsationsorgan ver­bunden (Abb. 7-l2B). Dadurch ist die Antennen­versorgung direkt mit dem Ansaugen und demWeitertransport der Hämolymphe im Hinterkopfgekoppelt. Dieses Doppelorgan pulsiert nur, wenndas Herz kopfwärts pumpt (Abb. 7-18).

Die Versorgung der Beine erfolgt als Zirkula­tion, wenn ihr Hämocöl durch ein distal unvoll­ständiges Längsseptum in einen Ein- und einenAusströmsinus unterteilt ist. Dieses Septum kannzusätzlich über direkt ansetzende oder querendeMuskeln bewegt werden, wie bei den Hemiptera,Hymenoptera und Saltatoria (Abb. 7-l3A-B). BeiSchistocerca werden die Bewegungen des zwischenTrochanter und Femurseptum verspannten Mus­kels mit den Ventilationsbewegungen des Abdo­mens koordiniert. Bei den Lepidopteren tritt nachder Metamorphose an die Stelle eines Längssep­tums eine weitlumige elastische Trachee, die sichbei Hämolymph-Reduktion infolge der Herz-

B

Abb. 7-13: Akzessorische Pulsati­onsorgane der Beine. A Vorderbein­pumpe bei der Wasserwanze Ranatra;der Pumpmuskel ist mit dem Septumverbunden. B Hinterbein des Rücken­schwimmers Notonecta; der Prätarsus­Beuger quert und bewegt dadurch dasspiralförmig verlaufende Femurseptum.(Anach Brocher 1909, Bnach Hantschk1991)

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7.3 Akzessorische Pulsationsorgane und peripherer Kreislauf 197

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7.3.2 Die Flügelversorgung

Rückpulse kompensatorisch weitet und bei Rück­kehr der Hämolymphe wieder entspannt (Abb. 6­6).

Der Versorgung der caudalen Anhänge, wie beiden B1attodea, dienen entweder Gefäße oder einLängsseptum. Nur die Gefäße in den Cerci bei denDiplura und in den Terminalfila der "Apterygo­ten" und Ephemeroptera entspringen direkt amHerzen. Ansonsten beginnen sie getrennt an derBasis der Cerci . Pumpmuskeln sind bisher nur beiden Plecoptera (Abb. 7-14B) und im Legeapparatbei Grillen bekannt. Bei den "Apterygoten" undEphemeroptera pulst das Herz im caudalen Be­reich stets nach hinten. Bei den Zygentoma undEphemeroptera hat die caudale Herzkammer einevom Herzen verschiedene Pulsfrequenz. Sie ent­hält bei den Ephemeroptera eine Gewebskugel, diewahrscheinlich ähnlich wie die in den Antennen­ampullen der Lepidopteren als Dosierventil dient(7-l4A).

Bereits in den Puppen der Schmetterlinge werdendie Flügelanlagen durch die Retraktormuskeln derFüße des 2. und 3. Abdominalsegments versorgt,die einen Funktionswechsel erfahren haben und

Abb.7-14: Akzessorische Pulsationsorgane derSchwanzanhänge. A Caudales Herzende mit akzessorischemPumporgan und Ventil der Ephemeroptera, Ausschnitt vonAbb. 7-7B1. B Cercuspumpe der Plecoptera. (A verändert nachMeyer 1931 und Pass 2000, B nach Pass 1999)

Abb. 7-15: Meso- und metatergalePulsationsorgane. A Querschnittdurch unpaares Scutellarorgan ohneAortenkontakt wie bei Neuroptera, Me­coptera und Trichoptera. B Separatepaarige Scutellarorgane wie bei Tagfal­tern und Diptera. CTergale Ampullenbei üdonata. 01 Mit der Aorta gekop­peltes Mesoscutellarorgan und separa­tes Metascutellarorgan beim NachtfalterAttacus atlas. 02 Ausschnitt des ange­schnittenen Mesoscutellarorgans beiKontraktion, 03 bei Erschlaffen. Wenndas Kammervolumen sich bei Kontrak­tion derMuskelmembran erweitert, wirdHämolymphe von den Thoraxseiten bzw.den Flügeln angesaugt und gleichzeitigdas unterlagernde Luftsackvolumen ver­kleinert. (A, B nach Krenn & Pass 1995,C nach Whedon 1938)

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198 7 Hämolymphe und Hämolymphtransport

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Abb, 7·16: Koordination von pendelndem Kreislauf und Tracheenventilation beim adulten Pfauenspinner Attacusatlas. Schematische Darstellung nach Messkurven. A Abdomenverkürzung und Vorpulsperiode des Herzens. B BeginnendeAbdomenexpansion mit verstärkter Hämolymphströmung im Perineuralsinus und Herzschlagpause. C Fortsetzung der Abdomen­expansion und Rückpulsperiode des Herzens mit paralleler Pumpaktivität der Scutellarorgane. Diese saugen jetzt die Flügel­hämolymphe in den Körper unter Weitung der Flügeltracheen. D Abdominale Peristaltikbewegungen zur Durchmischung derAbdomenhämolymphe und Ventilation der abdominalen Tracheen unter koordiniertem Stigmenschließen. Das CO2 wird dabei durchdie vorderen abdominalen Stigmen ausgeschieden. während die COrAbgabe durch die Thorakalstigmen kontinuierlicher miteinemMaximum während der Vorpulsperioden erfolgt. (Nach Wasserthai 1982 und 1986)

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7.4 Metamorphose des Kreislaufsystems 199

Abb.7-17: Versorgung der Flügel beim Kohlweißling. Nach abdominaler Applikation von fluoreszierendem Tetracyclinerscheint die markierte Hämolymphe getrennt in allen Adern und diffundiert langsam in die Flügelspreite. (Nach Wasserthai 1983)

bei Kontraktion den Hämolymphraum in den Flü­gelscheiden der Puppe vergrößern. Bei den Ima­gines dienen in der Regel die im dorsalen Meso­und Metathorax gelegenen Scutellarorgane alsPumpen für die seitliche Zirkulation im Thoraxund für die Flügelversorgung ("Flügelherzen") . Siekönnen unpaarig oder paarig sein und eine vomHerzen unabhängige Pulsaktivität zeigen (Abb. 7­15A-B). Sie pulsen meist mit dem Herzen koordi­niert , wenn sie Aussackungen (Ampullen) derAorta (Abb. 7-15C) oder als Muskelmembranenanatomisch mit ihr direkt verbunden sind (Abb. 7­1502-3). Je nach Anordnung des Geäders undTracheenausstattung des Flügels wirkt sich dieSaugwirkung der Scutellarorgane sehr unter­schiedlich aus . Bei Flügeln mit gut entwickeltenQueradern und engen Tracheen ergibt sich durchihre Saugwirkung über die Axillarverbindung eineZirkulation mit einem Einstrom durch die vorde­ren Adern und einem Ausstrom über die hinterenAdern, beispielsweise bei den Orthoptera, Blatt­odea, Diptera und Hymenoptera. In den Schmet­terlingsfl ügeln, deren Adern blind enden und dieweitlumige, elastische Tracheen enthalten, führtder Sog der Pulsationsorgane zu einem körper­wärts gerichteten Strom in allen Adern. Durch diedabei erfolgende gleichzeitige Reduktion der Hä­molymphe werden die Tracheen in den Adernkompensatorisch gedehnt. Die Scutellarorganekönnen Flügelhämolymphe aber nur ansaugen,wenn keine konkurrierende Hämolymphe im late­ralen Thorax zur Verfügung steht. Bei den groß­flügligen Pfauenspinnern wird die Kopf- und Tho­raxhämolymphe vor Pulsbeginn der Scutellaror­gane durch ein hierarchisches Zusammenspiel vonMuskeln in der Abdomenwand und Herzaktivitätins Abdomen verfrachtet (Abb. 7-16). Die Expan­sion des Abdomens führt zum Ansaugen der imThorax befindlichen Hämolymphe über den Peri­neuralsinus ins Abdomen, wobei das Herz gleich-

zeitig pausiert. Erst nach Einsetzen der Rückpulsedes Herzens beginnen die Scutellarorgane mit ih­rer Pulsaktivität. Die Hämolymphe kann erst wie­der in die Flügel zurückkehren, wenn das Herzdurch Vorwärtspumpen genügend Hämolymphean den Flügelbasen bereitstellt. Unter Nachlassender Dehnungsspannung der Adertracheen wird dieHämolymphe in die Flügeladern zurück "ge­saugt". Bei Saturniiden und Tagfaltern wird diesesRückströmen durch Unterbrechung der Pulsak­tivität der Tergalorgane begünstigt. Während dieFlügellakunen mit ihren Nerven und Sensillen gutversorgt werden, gelangt die Hämolymphe nursehr langsam über einen mehrere Stunden dauern­den Diffusionsprozess in die aderferne Spreiten­fläche (Abb. 7-17). Besonders bei sich sonnendenInsekten werden hier durch Verdunstung des Was­sers Salze angereichert. Dies führt zum Absterbender Zellen, macht die Flügelmembran aber gleich­zeitig hygroskopisch und hält sie dadurch ela­stisch .

Im Unterschied zu den Dytisciden, deren Aortascutellare Ampullen besitzt, fehlen diese bei denscarabaeiden Käfern. Bei ihnen sorgen allein dieperiodische Herzschlagumkehr und die antagonis­tisch wirkende Dehnungsspannung der Luftsäckefür einen Aus- und Einstrom der Elytrenhämo­lymphe (Abb. 7-8). Zwischen Einström- und Aus­strömphase der Hämolymphe ist eine kurze Zirku­lationsphase eingeschaltet.

7.4 Metamorphose desKreislaufsystems

Die trägeren Larven der Holometabolen, beson­ders der phytophagen Raupen und Afterraupensowie substrat-fressenden Larven wie Maden und

Page 16: Lehrbuch der Entomologie || Hämolymphe und Hämolymphtransport

200 7 Hämolymphe und Hämolymphtransport

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Abb. 7-18: Periodischer Hämolymphaustausch durch Herzschlagumkehr und diskontinuierliche Pumpaktivität desKopfherzens bei Calliphora. A Das Kopfpulsationsorgan pulst nur während der Vorpulsperiode des Herzens, jedoch mitniedrigerer Frequenz. Die Pulse führen zu positiven Druckpulsen am Stigma I. Im scutellaren Luftsack bilden sich die einzelnenVorpulse als positive Druckpulse ab. Dabei verkürzt sich dasAbdomen. BWährend der Rückpulsperiode dehnt sich das Abdomenaus. Diehöher frequenten Rückpulse bilden sichals negative Druckpulse im scutellaren Luftsack ab. Sieführen zu einem Unterdruckund zur Zunahme des Sauerstoffgehaltes im Tracheensystem des Vorderkörpers. Die einzelne abdominale Pumpbewegung am Beginnder Vorpulsperiode wirkt sich nicht messbar auf das thorakale Tracheensystem aus. (Nach Wasserthai 1998 und unveröff.Messdaten)

Engerlinge, haben einen hohen Hämolymph-Ge­halt und einen entsprechenden Überdruck im Hä­mocöl, auch mit bedingt durch die pralle Darm­füllung. In den entspannt ruhenden Puppennimmt der Hämolymphdruck ab. Vor und wäh-

rend des Schlüpfens nimmt der Druck in der pha­raten Imago stark zu, um nach der vollen Aus­differenzierung der Imagines subatmosphärisch zuwerden. Bei den meisten holometabolen Insektenschlägt das Herz bereits ab dem Puppenstadium

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7.4 Metamorphose des Kreislaufsystems 201

periodisch vorwärts und rückwärts. Die Herz­schlagumkehr der Lepidopteren tritt erstmals beiden Wanderraupen auf und steht am Anfang derPuppenphase sicher in Zusammenhang mit dermorphogenetischen Verkürzung des Abdomens.Während der Puppenruhe (Diapause) finden eben­falls periodische Schlagrichtungswechsel statt, dievielfach unterbrochen werden durch bis zu Stun­den dauernden Herzpausen . Kurz vor und wäh­rend des Schlüpfens schlägt das Herz gleichmäßigmit sich erhöhender Frequenz kopfwärts, biswei­len bis zum uneffizienten Herzflimmern (Abb. 7­19A). Der Druck zum Sprengen der Puppencuti­cula und die Hämolymphfüllung der sich entfal­tenden Flügel wird dabei hauptsächlich von den

Kontraktionen des Abdomens bewirkt. Bei denschizophoren Dipteren wird dabei eine Stirnblasezum Sprengen des Tönnchens ausgestülpt(Abb. 25-78). Eine wichtige Rolle kommt demHerzen erst nach der Flügelentfaltung zu: UnterVerlängerung der Rückpuls-Perioden wird überdie akzessorischen scutellaren Pulsationsorganedie überschüssige Hämolymphe aus den Flügelnherausgesaugt und in das Abdomen zurückge­pumpt (Abb. 7-l9Ac-Bc). Dabei legen sich diedorsale und ventrale Flügellamelle aneinander,und schließlich weiten sich die Flügeltracheen inden Adern (Abb. 7-l9Bd) . Die Hämolymphe wirdim Verlauf des Prozesses der postecdysialen Di­urese eingedickt. Durch die dabei stattfindende

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Abb.7-19: Flügelentfaltung bei Schmetterlingen. A Herzaktivität während des Schlüpfprozesses beim Eulenfalter Caligo.Schwarze Signatur = Rückpulsperioden. Weiße Signatur = Vorpulsperioden, x - x = Vorpulsfrequenz. B Entfaltung der Flügel beiAttacus und die dabei erfolgenden Änderungen von Hämocöl- und Tracheenvolumen im Flügel. a Beginn der Flügelentfaltung, bEnde der Flügelstreckung, c Rücktransport der überschüssigen Flügelhämolymphe ins Abdomen und Annäherung der oberen undunteren Flügelspreite unter Wasserabgabe. d Voll entwickelter Falter mitgeweiteten Flügeltracheen nach 3Tagen. (Nach Wasserthai1975 und 1998)

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202 7 Hämolymphe und Hämolymphtransport

Wasserausscheidung wird das Hämolymphvolu­men auf ca. 1/3 bis 1/10 reduziert. Dies hat zurFolge, dass sich die Luftsäcke auch in den Beinensowie im übrigen Körper kompensatorisch deh­nen. Die Luftsäcke im Metathorax und I. Ab­dominalsegment weiten sich so stark, dass sie dasHämocöl des Vorderkörpers von dem des Hinter­körpers abgrenzen . Zusätzlich wird durch das Zu­sammenziehen der Abdomensegmente der Fett­körper hinter der Taille so dicht aneinanderlagert,dass er ebenfalls abdichtend wirkt . Bei den schizo­phoren Dipteren führt die Diurese zusätzlich zurEinstülpung der Stirnblase unter Bildung des Pti­linalspaltes.

7.5 Kreislaufregulation

Die muskulösen Kreislaufpumpen sind myogen,ihre autonomen Rhythmen werden jedoch nervösreguliert und in einigen Fällen untereinander undmit den abdominalen Ventilationsbewegungen ko­ordiniert wie die Pulsationsorgane im Trochanter­Femur-Bereich bei Schistocerca oder die akzessori­schen Pulsationsorgane und Herzen bei einigenLepidoptera und Ca/liphora (Abb. 7-16, 7-18). Ef­fektoren für die Regulation gibt es in Form vonneurosekretorischen oder synaptischen Nervenen­digungen des ZNS. Diese entspringen vom Fron­tal- und/oder vom Unterschlundganglion und be­gleiten wenigstens die Aorta oder das gesamteHerz wie bei den Blattodea und Saltatoria. Vonden segmentalen Ganglien ausgehend versorgendie dorsalen Nerven ebenfalls das Herz und proji­zieren bei den Saltatoria und Blattodea in dieLateralnerven. Bei adulten Manduca innervierendie letzten zwei Paar Dorsalnerven des terminalenGanglions das Herzende und stimulieren die Vor­pulstätigkeit. Ferner gibt es zusätzlich periphereMotoneurone, wie beispielsweise im Lateralnervdes Schaben-Herzens oder die segmentalen viel­kernigen Neurone der Lepidoptera, die die Alar­muskeln und das Herz innervieren. Diese stehenüber die transversalen Nerven mit dem ZNS inVerbindung. Sie enthalten neurohämale Ausschüt­tungsorte ähnlich den perisympatischen Organenan den freien Nervenendigungen der Transversal­nerven. Teilweise werden die Neurosekrete direktin die Aorta wie bei Calliphora oder in die Anten­nenampullen wie bei der Schabe Periplaneta abge­geben. Die bisher meist an in-situ- oder in-vitro­Präparaten untersuchten Neurotransmitter ver­halten sich sehr uneinheitlich in Bezug auf dieverschiedenen Pulsationsorgane, selbst innerhalbeiner Art. Die meisten untersuchten Neurotrans­mitter, wie Serotonin , 5-Hydroxytryptamin, Octo-

pamin und Proctolin, wirken beschleunigend aufdie Pulsfrequenz von Herz bzw. akzessor ischenPulsationsorganen. In anderen Fällen können die­selben Transmitter aber auch hemmend wirken,wie beispielsweise Octopamin auf die Pulsfrequenzdes "Antennenherzens" von Periplaneta. Beein­flusst wird das Reaktionsvermögen der Muskel­systerne durch den hormonalen Zustand, wie dieÄnderungen der Frequenz und Periodendauer derPulse von Herz und Scutellarorganen während desSchlüpfprozesses bei Lepidopteren zeigen (Abb. 7­19). Das schlauchförmige Herz kann bei adultenLepidoptera auch auf Spannungsänderungen desAbdomens reagieren. Eine Verkürzung des Ab­domens führt zu Vorpulsen unter Frequenzzu­nahme, Streckung des Abdomens führt zu Fre­quenzabnahme, Herzstillstand und Rückpulsen(Abb.7-16). Ein ruckartiger Herzstillstand oderÄnderung der Schlagrichtung, wie er bei Calli­phora oder bei einigen Lepidopteren als Folgeexterner visueller, akustischer oder taktiler Stress­reize beobachtet werden kann , wird über Nervenausgelöst.

Literatur

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