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11 Sinnesphysiologie Manfred Kaib, Heiner Römer, Hans Scharstein Antan Stabentheiner und Gearg Stamme! 11.1 Mechanorezeption Heiner Römer Verschiedenste Formen von mechanischer Energie wirken als Reize, mit deren Hilfe ein Insekt sen- sorische Information über seine belebte und unbe- lebte Umwelt erhält. Das feste Exoskelett ist ver- antwortlich dafür, dass die mechanischen Kräfte die Sinneszellen nur an Orten erreichen, wo die Cuticula deformierbar ist oder spezielle Haar- und Hebelstrukturen entstanden sind, die die Reizener- gie von außen an die Sinneszelle im Körperinneren übertragen. Durch zum Teil nur geringfügige Ab- wandlungen des morphologischen Aufbaus von cuticulären Strukturen können Mechanorezepto- ren sehr variabel an die zahlreichen ökologischen Bedingungen - und damit auch Reizbedingungen - verschiedener Insektenspecies angepasst sein. Dies drückt sich in der Fähigkeit dieser Rezepto- ren aus, auf die unterschiedlichsten mechanischen Reize zu reagieren , wie z. B. die Stauchung oder Dehnung einzelner Körperteile, die Lage des Kör- pers im Raum, die Strömung von Luft oder Was- ser, Erschütterungen des Substrates oder den Schallwechseldruck im umgebenden Medium, um nur einige zu nennen. Die sensorische Information dieser Rezeptoren wird in vielfältiger Weise zur Kontrolle des Verhaltens eingesetzt, sei es bei der Orientierung, der Futtersuche, der Flucht vor Feinden oder den komplexen Formen der Kom- munikation im Zusammenhang mit der Fortpflan- zung und sozialen Interaktionen. Der Begriff Rezeptor wird allerdings auch in Lehrbüchern in sehr unterschiedlicher Weise ge- nutzt: Er kann entweder ein Rezeptormolekül z. B. in der Nervenzellmembran bezeichnen, oder Teile einer Sinnszelle wie den Tubularkörper, die für die Reiztransduktion verantwortlich sind, oder die ganze Sinneszelle. In diesem Kapitel wird der Be- griff dagegen in einem umfassenderen Sinn des gesamten mechanosensitiven Sensillums genutzt und umfasst sowohl die Sinneszelle selbst samt der Hüllzellen und deren Bildungen, wie das Sinnes- haar oder die Gelenkhaut. Grund dafür ist, dass nur diese Gesamtheit den Mechanorezeptor auch in seiner Funktion erklärt. 11.1.1 Bau- und Funktionsprinzip mechanorezeptiver Insektensensillen Ein Insektensensillum ist ein sensorisches Kleinst- organ , das aus nur wenigen, unterschiedlich diffe- renzierten Zellen besteht, deren Entwicklung von einer gemeinsamen Epithelzelle ausgeht. Der Auf- bau eines solchen Sensillums ist schematisch in Abb. li-lA gezeigt. Zu seiner Grundausstattung gehören stets 4 Zellen : eine trichogene, eine tor- mogene, eine thecogene (scheidenbildende) Zelle und eine (in Ausnahmefällen auch mehrere) Sin- neszellen. Die trichogene Zelle bildet das cuticu- lare Haar bzw. diesem analoge Strukturen. Ent- sprechend den vier unterschiedlichen Konstruk- tionstypen von Haarbildungen unterscheidet man: FadenhaarsensiIlen (Sensillum trichodeum), bei de- nen ein nur wenige Mikrometer dünnes, aber bis zu 2 mm langes Haar in einem sehr beweglichen Diaphragma aufgespannt ist. BorstenhaarsensiIlen (Sensillum chaeticum) haben kurze dickwandige Haare, die in eine elastische Gelenkwand über- gehen . Bei campaniformen Sensillen (Sensillum campaniformium) wird das Haar durch eine Cuti- culakuppel ersetzt. Scolopidiale Sensillen sind ebenfalls haarlos; bei ihnen ist die Epithelebene völlig in den Körper hineingezogen . Die tormogene Zelle ist die äußerste der Hilfs- zellen eines Sensillums. Sie bildet bei den Haar- sensillen die funktionell wichtige Gelenkmem- bran , Teile des Haarsockels und den basalen Teil des Haarschafts. Im Endstadium der Morpho- genese zieht sich die tormogene Zelle (gemeinsam mit der trichogenen Zelle) von der Cuticula zurück und bildet einen großen subcuticulären Rezeptor- lymphraum aus (Abb. 11-2). Ihre apikale Mem- bran formt zahlreiche Mikrovilli und Mikrolamel- len, an deren Innenseite im Elektronenmikroskop 8 nm große Partikel zu erkennen sind, wie sie für Membranen mit intensivem Ionentransport cha- rakteristisch sind. Die trichogene Zelle trägt wäh- rend der Morphogenese die Hauptlast der sekreto- rischen Aktivität, weil sie den Haarschaft und Teile der Gelenkmembran bildet. Sie zieht sich nach der Haarbildung (Abb. 11-2 B, C) aus dem Haar zurück und bildet apikal zum Rezeptor- lymphraum hin ebenfalls Mikrovilli aus. Aller-

Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

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Page 1: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

11 SinnesphysiologieManfred Kaib, Heiner Römer, Hans Scharstein Antan Stabentheinerund Gearg Stamme!

11.1 MechanorezeptionHeiner Römer

Verschiedenste Formen von mechanischer Energiewirken als Reize, mit deren Hilfe ein Insekt sen­sorische Information über seine belebte und unbe­lebte Umwelt erhält. Das feste Exoskelett ist ver­antwortlich dafür, dass die mechanischen Kräftedie Sinneszellen nur an Orten erreichen, wo dieCuticula deformierbar ist oder spezielle Haar- undHebelstrukturen entstanden sind, die die Reizener­gie von außen an die Sinneszelle im Körperinnerenübertragen. Durch zum Teil nur geringfügige Ab­wandlungen des morphologischen Aufbaus voncuticulären Strukturen können Mechanorezepto­ren sehr variabel an die zahlreichen ökologischenBedingungen - und damit auch Reizbedingungen- verschiedener Insektenspecies angepasst sein.Dies drückt sich in der Fähigkeit dieser Rezepto­ren aus, auf die unterschiedlichsten mechanischenReize zu reagieren , wie z. B. die Stauchung oderDehnung einzelner Körperteile, die Lage des Kör­pers im Raum, die Strömung von Luft oder Was­ser, Erschütterungen des Substrates oder denSchallwechseldruck im umgebenden Medium, umnur einige zu nennen. Die sensorische Informationdieser Rezeptoren wird in vielfältiger Weise zurKontrolle des Verhaltens eingesetzt, sei es bei derOrientierung, der Futtersuche, der Flucht vorFeinden oder den komplexen Formen der Kom­munikation im Zusammenhang mit der Fortpflan­zung und sozialen Interaktionen.

Der Begriff Rezeptor wird allerdings auch inLehrbüchern in sehr unterschiedlicher Weise ge­nutzt: Er kann entweder ein Rezeptormolekül z. B.in der Nervenzellmembran bezeichnen , oder Teileeiner Sinnszelle wie den Tubularkörper, die für dieReiztransduktion verantwortlich sind, oder dieganze Sinneszelle. In diesem Kapitel wird der Be­griff dagegen in einem umfassenderen Sinn desgesamten mechanosensitiven Sensillums genutztund umfasst sowohl die Sinneszelle selbst samt derHüllzellen und deren Bildungen, wie das Sinnes­haar oder die Gelenkhaut. Grund dafür ist, dassnur diese Gesamtheit den Mechanorezeptor auchin seiner Funktion erklärt.

11.1.1 Bau- und FunktionsprinzipmechanorezeptiverInsektensensillen

Ein Insektensensillum ist ein sensorisches Kleinst­organ , das aus nur wenigen, unterschiedlich diffe­renzierten Zellen besteht , deren Entwicklung voneiner gemeinsamen Epithelzelle ausgeht. Der Auf­bau eines solchen Sensillums ist schematisch inAbb. li-lA gezeigt. Zu seiner Grundausstattunggehören stets 4 Zellen: eine trichogene, eine tor­mogene, eine thecogene (scheidenbildende) Zelleund eine (in Ausnahmefällen auch mehrere) Sin­neszellen. Die trichogene Zelle bildet das cuticu­lare Haar bzw. diesem analoge Strukturen. Ent­sprechend den vier unterschiedlichen Konstruk­tionstypen von Haarbildungen unterscheidet man:FadenhaarsensiIlen (Sensillum trichodeum), bei de­nen ein nur wenige Mikrometer dünnes, aber biszu 2 mm langes Haar in einem sehr beweglichenDiaphragma aufgespannt ist. BorstenhaarsensiIlen(Sensillum chaeticum) haben kurze dickwandigeHaare, die in eine elastische Gelenkwand über­gehen. Bei campaniformen Sensillen (Sensillumcampaniformium) wird das Haar durch eine Cuti­culakuppel ersetzt. Scolopidiale Sensillen sindebenfalls haarlos; bei ihnen ist die Epithelebenevöllig in den Körper hineingezogen .

Die tormogene Zelle ist die äußerste der Hilfs­zellen eines Sensillums. Sie bildet bei den Haar­sensillen die funktionell wichtige Gelenkmem­bran , Teile des Haarsockels und den basalen Teildes Haarschafts. Im Endstadium der Morpho­genese zieht sich die tormogene Zelle (gemeinsammit der trichogenen Zelle) von der Cuticula zurückund bildet einen großen subcuticulären Rezeptor­lymphraum aus (Abb. 11-2). Ihre apikale Mem­bran formt zahlreiche Mikrovilli und Mikrolamel­len, an deren Innenseite im Elektronenmikroskop8 nm große Partikel zu erkennen sind, wie sie fürMembranen mit intensivem Ionentransport cha­rakteristisch sind. Die trichogene Zelle trägt wäh­rend der Morphogenese die Hauptlast der sekreto­rischen Aktivität, weil sie den Haarschaft undTeile der Gelenkmembran bildet. Sie zieht sichnach der Haarbildung (Abb. 11-2 B, C) aus demHaar zurück und bildet apikal zum Rezeptor­lymphraum hin ebenfalls Mikrovilli aus. Aller-

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282 11 Sinnesphysiologie

c

es sich um ein Bündel von 30 bis über 1000 Mikro­tubuli, die untereinander durch eine amo rphe,elektronendichte Substanz verbunden sind. Dieperipheren Mikrotubul i sind mit der Dendriten-

Rezeptor­Iymphraum

tormogene Zelle

Abb. 11·2: SchematischeDarstellung verschiedener Ent­wicklungsstadien einer Makrochaete der SchmeißfliegeCalliphora erythrocephala. Die trichogene Zelle produziert denHaarschaft und ist am 6. Puppentag (A) außergewöhnlich groß,der Kern ist hochpolytän. Zu diesem Zeitpunkt umhüllt diethecogene Zelle den gesamten Dendriten der Sinneszelle. Am10. Puppentag (8) istdietrichogene Zelle bisaufwenige Reste(einer davon im basal verschlossenen Haarlumen) reduziert. Dietormogene Zelle beginnt mit der Ausbildung des Rezeptor­Iymphraums. Am 5. Imaginaltag (C) ist derRezeptorlymphraumausgebildet, der Rest der trichogenen Zelle im Haarlumen istvollständig reduziert. (Modifiziert nach Keil 1978)

A

B

tormogene Ze;lllle~~~~~",," ~~-·C::;·nneszele

trichogene ZeDethecogene Zelle

Abb. 11-1: Das mechanorezeptorische Sensillum. ASchema des epithel ialen Aufbaus mit der Sinneszelle sowietormagener, trichogener und thecogenerZelle. Zu beachten sinddie typischen Zwischenzellverbindungen aus Desmosomen undgap junetions, sowie derRezeptorlymphraum, dervor allem vonder tormogenen Zelle gebildet wird. 8 Elektronenmikroskopi­sche Aufnahme eines Querschnitts durch den Tubularkörpereines Fadenhaarsensillums des Heimchens (Acheta domesticus).Der Tubularkörper besteht aus 520 Mikrotubuli, die in eineZwischensubstanz eingelagert sind. D Dendritenscheide; MMembran der Sinneszelle. Die Pfeile geben die Richtung derKrafteinwi rkung eines depolarisierenden Reizes an. (Modifiziertnach Thurm 1984)

dings ist der von der trichogenen Zelle einge­nommene Anteil am Rezeptorlymphraum klein imVergleich zu dem der tormogenen Zelle. Bei eini­gen Sensillen degeneriert die trichogene Zelle amEnde der Morphogenese und verschwindet voll­ständig. Die thecogene (scheidenbildende) Zelle istdie innerste der Hilfszellen und umhüllt sowohlden Zellkörper als auch den Dendrit en der Sinnes­zelle innerhalb des Rezeptorlymphr aums.

Die Sinneszellen selbst sind primäre Sinnes­zellen, d.h. sie bilden proximal Fortsätze aus, dieals Axon die Verbindung mit dem Zentralnerven­system (ZNS) herstellen. Mit Ausnahme der multi­polaren Rezeptoren (s.u.) dient der distale Fort­satz der Reizaufnahme und stellt ein modifiziertesCilium mit einer 9 x 2 + 0 Struktur dar. Manbezeichnet diesen Teil der Sinneszelle als das Au­ßensegment. Innerhalb dieses ciliären Außenseg­ments haben alle mechanosensitiven Sinneszelleneinen Tubularkörper als modalitätsspezifischeStruktur ausgebildet (Abb. 11-1 B). Dabei handelt

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11 .1 Mechanorezeption 283

Tab. 11·1:Verteilung von Mechanorezeptorenan bzw. in einem Insektenkörper am Beispiel einer Grille.Während die Zahlder Rezeptoren bei verschiedenen Grillenarten variieren kann, istdie relative Lage der unterschiedlichen Rezeptoren recht konstant.Gleiches gilt für verschiedene Körpersegmente, in denen die Rezeptoren nach den Regeln der seriellen Homologie zu finden sind(vergl. Abb. 11-13 B). Mechanorezeptoren, die nicht eindeutig nachgewiesen sind, aber wahrscheinlich vorkommen, sind mitFragezeichen angedeutet; ein Strich bedeutet nicht vorhanden. (Nach Gnatzy und Hustert 1989)

Rezeptortypen

Antenne Kopf Thorax Abdomen parm

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cuticulare Rezeptoren

Borstenhaare

sch lanke Haare

Haarfelder

Fadenhaare

keulenförmige Haare

campaniforme Sensillen

interne Rezeptoren

Chordotonalorgane

multipolare Sensillen

Sehnenorgane

membran über membranintegrierte konusförmigeMoleküle verbunden, von denen angenommenwird, dass sie Teil der mechanosensitiven Ionen ­kanäle sind.

Die Membranen der Zellen eines solchen Sen­sillums sind untereinander (und mit den Mem­branen umliegender Epithelzellen) durch Zellkon­takte in Form von Desmosomen verbunden. Zu­sätzlich sind die Hüllzellen miteinander durch gapjunctions verbunden (Abb. 11-1 A). Diese Kon­takte im apikalen Bereich der Zellen stellen einestarke Barriere für die Diffusion von Ionen in dieInterzellularspalten dar und bewirken eine elek­trische Abgrenzung des äußeren Rezeptorlymph­raums gegenüber dem Interzellularraum. Dies hatzur Folge, dass der Rezeptorstromkreis der Sinnes­zelle durch die benachbarten Zellen des Epithelshindurch, nämlich die tormogene und trichogeneZelle, geschlossen wird. Insofern gestalten diesenichtneuronalen Zellen die Eigenschaften des Re­zeptorstromkreises mit. Zusätzlich ist in der starkgefalteten apikalen Membran der tormogenenZelle ein elektrogener K+-Auswärtstransport inden Rezeptorlymphraum hinein lokalisiert. DieZelle produziert so eine extrazelluläre Ionen ­zusammensetzung, die einem intrazellulären Mi­lieu mit hohem K+-Gehalt ähnlich ist. Weil aufdiese Weise eine hohe transepitheliale Spannungaufgebaut wird, beeinflusst vor allem die tormo-

gene Zelle indirekt die Größe des depolarisieren­den Rezeptorstromes und damit die Amplitudedes Rezeptorpotentials. Sie trägt auf diese Weisewesentlich zur Empfindlichkeitssteigerung derSinneszelle bei.

11.1.2 Die Vielfalt mechano­sensitiver Sensillen

Ein Insektenkörper ist mit Mechanorezeptorenübersät (Tab. l l -I) . Besonders auffällig sind dievielen mechanosensorischen Haare, wie sie z. B.einzeln oder in Gruppen als Stellungshaare imBereich von Gelenken vorhanden sind (Abb. 11-3,11-5, vergl. auch mit Abb. 9-2). Die Haare selbstkönnen sehr unterschiedlich gebaut sein: mit ei­nem kurzen, borstenförmigen Haarschaft, als biszu 2 mm langes Fadenhaar, oder als keulenförmi ­ges Haar (Abb. 11 -4 A). Alle Haare sind beweg­lich, weil die von der tormogenen Zelle gebildeteGelenkmembran mechanisch mit der umliegendenCuticula gekoppelt ist. Bei den campaniformenSensillen, die hinsichtlich ihrer cuticularen Struk ­turen wenig Gemeinsamkeit mit den Haarsensillenaufweisen, wird bei Reizung die Kuppel verbogen.Dort setzt das dendritische Ende der Sinneszelle

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284 11 Sinnesphysiologie

Abb. 11·3:Rasterelektronenmikroskopische Darstellungvon Stellungshaaren an der Basis der Antenne einer Ho­nigbiene. SScapus; PPedicellus. (Foto W. Peters)

an, das ansonsten ähnlich wie bei den Haarsen­sillen aufgebaut ist.

Scolopidien (stiftführende Sensillen) sind völligin das Körperinnere verlagerte Mechanorezepto­ren; sie stehen mit der Cuticula nur noch über eineoder mehrere Hilfszellen in Verbindung (Abb. 11-4E). Ihre namengebende Struktur ist der Scolops(Stift), der von der trichogenen Zelle sezerniertwird und den apikalen Bereich des Ciliums um­gibt. Man unterscheidet amphinematische Scolo­pidien, bei denen der Scolops zu einem Endfadenausgezogen an der Cuticula inseriert, von mono­nematischen Scolopidien, wo dieser in der tricho­genen Zelle frei endet. Meistens sind mehrere bisviele solcher Scolopidien zu Scolopidialorganenzusammengefasst und überspannen saitenartigSegmentgrenzen, Bein- oder Antennengelenke.Solche Sinnesorgane bezeichnet man als Chordo­tonalorgane; sie können sowohl propriozeptive alsauch exterozeptive Funktion haben .

11.1.3 Reiz-Erregungsumsetzung(sensorische Transduktion)

Man bezeichnet den Prozess, bei dem physikali­sche oder chemische Vorgänge außerhalb der Zelle- die Reize - in Erregung innerhalb der Zelleumgesetzt werden, als sensorische Transduktion.Bei diesem Prozess wird der äußere Reiz in einelektrisches Signal umgesetzt, das innerhalb derSinneszelle und den angeschlossenen Zellen desZNS die Verrechnung der Reizinformation ermög­licht. Innerhalb der Sinneszelle und den nachge­schalteten Nervenzellen existieren Reize also nichtmehr, sondern nur noch deren Repräsentation inForm von elektrischen Potentialdifferenzen bzw.deren Änderungen. Jede Sinneszelle besitzt für dieReiztransduktion im Bereich des Außensegments

Strukturen, die für die reizspezifische Spezialisie­rung der Zelle verantwortlich sind . Die Spitze desAußengliedes besitzt eine dichtgepackte Anord­nung von Mikrotubuli, den sog. Tubularkörper,sowie Membranstrukturen, die als mechanosen­sitive Molekülkomplexe angesehen werden(Abb, II -lB, Abb. 11-4). Das Außenglied der Sin­neszelle ragt in den Rezeptorlymphraum hinein ,der von den Hüllzellen unterhalb der Cuticulagebildet wird. Die Spitze des Außengliedes ist mitdem cuticularen Apparat verbunden, der den me­chanischen Reiz auf den Tubularkörper überträgt.Als wirksamer Reiz kommt in allen untersuchtenFällen die Querkompression der Spitze des Außen­gliedes in Betracht.

Die Übertragung der Reizkraft auf das Außen­glied der Sinneszelle variiert entsprechend der un­terschiedlichen Konstruktionsweise der Sensillen(Abb. 11-4). Ein Fadenhaarsensillum ist wegen sei­ner bis fast 2 mm langen und nur wenige um di­cken Haare sowie der Konstruktion seiner Auf­hängung in einem cuticularen Diaphragma für diePerzeption sehr kleiner Kräfte, wie z.B. geringerLuftströmungen, besonders geeignet (Abb. 11-4B). Das lange Haar funktioniert als zweiarmigerHebel (s. Lage der Drehachse in Abb. 11-4 B) undüberträgt die Reizkraft direkt auf die Spitze desRezeptoraußengliedes, wobei die Auslenkung desHaares in eine Richtung eine Querkompressiondes dort liegenden Tubularkörpers verursacht unddie Zelle depolarisiert, während eine Auslenkungin die Gegenrichtung eine Zugspannung trans­versal zur Membranrichtung ausübt und die Zellehyperpol arisiert. Dementsprechend ist die Emp­findlichkeit richtungsselektiv. Die für die Auslö­sung solcher messbaren Potentialänderungen not­wendigen Auslenkungen des Fadenhaares sind au­ßerordentlich gering . Eine maximale Antwort derSinneszelle wird schon bei Auslenkungen um etwa0,5 um erreicht. Überschwellige, d. h. Nervenim­pulse auslö sende Rezeptorpotentiale werden beiVerformungen der Dendritenspitze von nur 0, I nmgemessen. Die dazu notwendige Reizenergie liegtbei einer Größenordnung von 10-19 Ws, und damitunter dem Energiegehalt eines Quants von sicht­barem Licht. Es ist daher nicht verwunderlich,dass gerade solche hochempfindlichen Faden­haare auf den Cerci von Schaben als Detektorenfür die Annäherung eines Fressfeindes und dieAuslösung eines Fluchtretlexes eingesetzt werden(s. 8.5.2.2 und Abb. 8-19).

Im Gegensatz dazu wird bei einem Borstensen­sillum in jeder Abbiegungsrichtung der Borste aufden Tubularkörper Druck ausgeübt (Abb, 11-4 C):die dicke Haarwand geht in eine ebenfalls dicke,allerdings sehr elastische Gelenkwand über, da­runter wird die Spitze des Außensegments voneiner Matrix umgeben , die den Gelenkbereich aus-

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cDepol. '-

E

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Abb. 11-4: Mechanosensitive Haare. A Verschiedene Haar­typen (von links nach rechts: Borstenhaar, Fadenhaar, keulen­förmiges Haar). Die Länge des fadenförmigen Haares ist imVergleich zum Borstenhaar stark verkürzt dargestellt. Bei cam­paniformen Sensillen (rechts) istdas Haar bis aufeinen Cuticula­spalt völlig zurückgebildet. (Nach Gnatzy und Hustert 1989) B­EKonstruktionstypen epidermaler Sensillen sowie Mechanismusder Übertragung der Reizkraft auf das Außensegment derSinneszelle. Die Pfeile geben die Richtung der Reizkraft an, diezur De- oder Hyperpolarisation führt. Der Punkt in B beschreibtdie Lage der Drehachse des Haares. Schwarz: cuticulare Struk­turen; punktiert: elastische Matrix. (Modifiziert nach Thurm1996)

füllt. Die erforderliche Energie für die Abbiegungist um Zehnerpotenzen größer als bei den Faden­haarsensillen; solche Konstruktionen eignen sichdaher besonders als Berührungsrezeptoren oderals Stellungshaare (vergl. mit Abb. 11-3). Bei dencampaniformen Sensillen liegt die Spitze des Au­ßengliedes in einem Spalt zwischen Cuticula-Auf­wölbungen (Abb. 11-4 D). Der Spalt ist durch eineCuticulaleiste und beidseitig durch Streifen vonEpicuticula abgedeckt. Kräfte , die durch äußereBelastungen, Beschleunigungen oder durch Mus-

11 .1 Mechanorezeption 285

Coxa Gasler

Trochanter

Abb. 11-5: Lage von Stellungshaaren und Haarfeldernbei einer Ameise. Einzelne Stellungshaare bzw. Haarfelderliegen im Bereich von Gelenken der Extremitäten oder Körper­segmenten und können so als Propriorezeptoren wirken . (Modi­fiziert nach Markl 1971)

kelkräfte in der Körperwand eines Insekts auf­treten und quer zu den Spalten angreifen, wirkendepolarisierend, indem sie eine Querkompressionder Matrix und der in ihr eingebetteten Endungdes Rezeptoraußengliedes verursachen . Tatsäch­lich lässt sich im Elektronenmikroskop eine Ver­ringerung der Spaltbreite um maximal 15% beigereizten Sensillen nachweisen. In ganz ähnlicherWeise arbeiten auch die Spaltsinnesorgane (lyri­forme Organe) von Spinnen und Skorpionen.

Bei den scolopidialen Sensillen (Abb. 11-4 E)hat die Spitze des Rezeptoraußengliedes den di­rekten Kontakt zur Epithelebene völlig verloren;sie endet in einer Kappe, die ihrerseits über eineoder mehrere Verbindungszellen den Kontakt zurKörperwand hält. Namengebend für diese Sen­sillen (stiftführende S.) ist der Stift (=Scolops) ,eine von der trichogenen Zelle erzeugte, kompakteAktinversteifung, die den Rezeptorlymphraumumgibt. Die Cilienbasis ist über lange Wurzelfä­den bis in das Soma der Sinneszelle hinein ver­ankert. Diese Sensillen perzipieren Druck- oderZugkräfte im Körperinneren.

11.1.4 Die adäquaten Reize, ihrePerzeption und derVerhaltenskontext

Die mechanische Reizenergie deformiert Struk­turen des Sinnesorgans ; als Folge ergeben sichDehnungs, Scherungs-, oder Torsionskräfte. Hilfs­strukturen wie z.B. die cuticulären Haare über­tragen die reizabhängige Auslenkung auf die me­chanosensitiven Strukturen der Sinneszellen. Die

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286 11 Sinnesphysiologie

reizleitenden Strukturen sowie die Position derSinneszelle am oder im Insektenkörper entschei­den also im Wesentlichen darüber, welche Art vonReizenergie"ad äquat" für sie ist, und welche Reiz­energien gefiltert werden. Dagegen scheint der sen­sorische Mechanismus der Sinneszellen selbst sehrähnlich zu sein. So sind z. B. Sinneszellen in Ver­bindung mit mechanosensorischen Haaren zurMessung von Berührungsreizen, Schwerkraft,kontinuierlichen Medienströmungen, Winkelbe­schleunigungen, Schall oder Substratvibrationengeeignet, oder sie dienen als Extero- oder Pro­priorezeptoren. Dieselben Sinneszellen des lohn­stonschen Organs im Pedicellus der Antenne kön­nen sowohl Gehörorgane für Nahfeldschall ,Echoortungsorgan für Oberflächenwellen auf demWasser oder Sinnesorgan für Windströmungensein. Im Folgenden werden die mechanischenReize, ihre Perzeption, sowie ihre biologische Be­deutung beschrieben.

11.1.4.1 Propriozeption

Insekten müssen ständig über die relative Lageihrer Extremitäten oder Körperteile zueinanderinformiert sein. Diese Information erhalten sie vonunterschiedlichsten Propriorezeptoren. Einerseitskönnen Sinneszellen in Verbindung mit mechano­sensorischen Haaren daran beteiligt sein, derenafferente Entladung mit der Auslenkung des Haa­res variiert. Solche Stellungshaare liegen einzelnoder in Form von Haarfeldern über den gesamtenInsektenkörper verteilt, bevorzugt allerdings anGelenken oder zwischen Kopf und Thorax bzw.Thorax und Abdomen (Abb. 11-3, 11-5). Die ein­zelnen Körperteile eines Insekts sind durch Ge­lenkhäute beweglich miteinander verbunden . DieStellungshaare werden bei Bewegungen der Kör­perteile von der benachbarten Gelenkhaut in ihrerLage geändert. Andere, längere Stellungshaarez.B. auf der ventralen Körperoberfl äche könnensensorische Rückmeldung über Kontakt mit Bo­denstrukturen während des Laufens ergeben undermöglichen auf diese Weise, Substratkontakt zuvermeiden. Auch Stellungshaare im Bereich desCoxa-Trochanter Gelenks sind an der Abstandsre­gelung vom Boden beteiligt (vergl. Abb. 9-7).Schließlich tragen campaniforme Sensillen alsDehnungsrezeptoren in der Cuticula wesentlichzur Registrierung der Bewegung von Körperteilenoder deren Auslenkung bei, besonders wenn sie inder Nähe von Gelenken lokalisiert sind, die beiEigenbewegungen mechanisch deformiert werden.Campaniforme Sensillen findet man oft in parallelangeordneten Gruppen in der Cuticula. Sie arbei­ten dort analog zu technischen Dehnungsmess­streifen, da der adäquate Reiz die Kompression

Abb. 11-6:Rasterelektronenmikroskopische Darstellungvon campaniformen Sensillen auf dem basalen ventralenTeil der Haltere der Schmeißfliege (alliphora erythrocephala. Diecampaniformen Sensillen sind in zehn parallelen Kreisbögenangeordnet. Die Spitze der Dendriten inseriert am Dom, derhufeisenförmig versenkt ist, sodass je ein Spalt von 0,2-0,3 11mBreite sichtbar ist. Deformationen in Richtung der Kreisbögensind reizwirksam und führen zur Erregung der Sinneszellen.(Fotos w. Peters)

der cuticularen Kuppel ist (vergl. Abb. 11-4D). Sokönnen sie z.B. als Propriorezeptoren die Stellungvon Körperteilen relativ zu anderen registrieren,oder bei schwingenden Strukturen wie einer Flie­genhaltere die dabei auftretenden Deformationender Cuticula messen (Abb. 11-6). Wie die sen­sorischen Rückmeldungen von campaniformenSensillen der Haltere und auf den Flügeln einerFliege die Steuermuskulatur für den Flug beein­flussen, ist in Abb. 9-22 dargestellt. Das ZNS einesGrillenmännchens erhält z. B. propriozeptive In­formation über die korrekte Ausführung der Ge­sangsbewegungen der Vorderflügel u.a. über cam­paniforme Sensillen im Bereich der Cubitalader.Werden die Sensillen ausgeschaltet, kommt es zuVeränderungen der Schallsignale: Ausfall und Ver­kürzung von Silben, zu hohe Geschwindigkeit derFlügelschließbewegung etc., die das Lautsignaldes Männchens letztlich weniger attraktiv fürGrillenweibchen machen. Multipolare Streckre­zeptoren (Abb. 11-7) sind ebenfalls Propriorezep­toren , deren sensorische Endungen z.B. die Deh­nung von Muskelfasern in der Darmwand regis­trieren, oder die Streckung von membranösen Tei­len der Cuticula . Ihr Soma liegt stets peripher, die

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11 .1 Mechanorezeption 287

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Abb. "-7: Multipolare Nervenzelle im Labellum derSchmeißfliege Calliphora erythrocephala. (Foto W. Peters)

dendritischen Endungen sind entweder mit Binde­gewebe oder Muskelfasern als reizleitendem Ap­parat assoziiert (zur Rolle eines multipolarenStreckrezeptors bei der Flugstabilisierung s.8.4.3.3).

Häufig sind an Orten hoher mechanischer Beanspru ­chung unterschiedliche Mechanorezeptoren zu Rezep­torkomplexen zusammengefasst, wobei jedem Rezeptoreine andere propriozeptive Funktion zugeordnet ist. AmAnsatz des Hintertlügeis des Schwärmers Manduca sex ta(Sphingidae) sind ein multiterminaler Streckrezeptor, einHaarfeld und ein Chordotonalorgan lokalisiert. Wäh­rend der Streckrezeptor auf das Heben und Senken desHintertlügeis reagiert, liegen die Stellungshaare in einerPosition, in der sie auf die FlügelsteIlung im ruhendenTier ansprechen . Das Chordotonalorgan wiederum rea­giert auf Vibrationen und soll in der Aufwärmphase desInsekts die geringen Schwingungen des Flügels messenkönnen.

11.1.4.2 Schwerkraft

Praktisch alle Insekten machen sich die Schwer­kraft zunutze, um sich im Raum zu orientieren.Der Kopf oder das Abdomen können als schwereMassen dienen, die den Gravitationsvektor anzei­gen. Die Richtung der Schwerkraft wird daher inder Regel über Sinneszellen gemessen, die die Win­kelstellung der Körpergelenke kontrollieren . Dazubrauchbare Stellungshaare kommen an der Anten­nenbasis, in der Halsregion, an den Coxen und amÜbergang zwischen Thorax und Abdomen vor(Abb. 11-5). Sie werden bei Änderungen der Lagevon Körperteilen durch die jeweiligen Gelenk ­häute abgeschert. Im Prinzip ähnlich, aber mitumgekehrten Vorzeichen, nutzen wasserlebendeInsekten (z. B. Nepa oder Ranatra, Abb. 11-8 C)Stellungshaare, die durch den Auftrieb von mitge­führten Luftblasen mechanisch ausgelenkt wer­den. Die Wasserwanze Notonecta hält ihren Luft­vorrat in Form einer Luftblase unterhalb der An­tennen . Ändert die Luftblase ihre Form oder Lage

Abb. "-8: Schwerkraft. A Orientierung des Körpers imSchwerefeld. Kompensatorische Kopfbewegung einer Grille,wenn der Körper parallel zur Längsrichtung um einen be­stimmten Winkelbetrag gekippt wird. Offene Symbole: intaktesSystem; geschlossene Symbole: nach Ausschaltung der keulen­förmigen Haare auf den Cerci, deren Haargewicht selbst einenAuslenkungsreiz erzeugt, der von der Richtung der Schwerkraftabhängt. (Nach Horn und Bischof 1983) B Basis des Cercuseiner Grille mit keulenförmigen Haaren und Fadenhaaren; Bal­ken = 100um, (Foto M.A. Pabst) C Statisches Organ zurMessung des Auftriebs bei der Larve einer Wasserwanze derGattung Ranatra. Die Atemluft wird durch Deckborsten in denAtemrinnen entlang der ventralen Oberfläche des Abdomensgehalten. An 4 Stellen liegen statt der Deckborsten Sinnes­borsten, die jenach der Lage des Tieres imRaum unterschiedlichstark von der eingeschlossenen Luft ausgelenkt werden. (NachMarkt 1963)

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288 11 Sinnesphysiologie

entsprechend der Richtung der Schwerkraft, kanndies durch die Auslenkung der Antennen gemes­sen werden. Nach Ausschaltung der Antennenoder nach Entfernung der Luftblase schwimmt dieWanze unorientiert.

Im Gegensatz dazu besitzen Schaben und Gril­len ein eigenes, exterozeptives System von Schwe­rerezeptoren in Form der keulenförmigen Sensillenauf den Cerci, die in Abhängigkeit von der Kör­perposition ausgelenkt werden (Abb. 11-8 A, B).Der distale Teil des Sensillums besteht aus einerflüssigkeitsgefüllten Keule, die beweglich über ei­nen dünnen Schaft in einem Sockel inseriert ist.Die Sockelstruktur ist ähnlich wie bei einem Fa­denhaar aufgebaut (vergl. mit Abb. 11-4 A). DieEbene der bevorzugten Auslenkung der ca. 200Sensillen im adulten Tier variiert. Im ersten Lar­venstadium findet sich nur ein einziges Sensillumauf jedem Cercus, dennoch reicht die Informationder damit assoziierten einen Sinneszelle aus, Ver­haltensantworten auszulösen. Diese bestehen inkompensatorischen Kopfbewegungen relativ zumübrigen Körper, wenn das Tier seine Körperhal­tung ändert. Ausschaltexperimente machen aller­dings wahrscheinlich, dass die Tiere zusätzlichepropriozeptive Information von den Antennenund/oder Beinen nutzen. Dies ist ein Beispiel fürein weit verbreitetes Prinzip in Sinnessystemen: Siesind mehrfach gesichert (redundant) angelegt undso vor Störungen besonders geschützt.

11.1.4.3 Berührung

Berührungsreize entstehen durch aktiven oderpassiven Kontakt des Insekts mit festen Struk­turen der Umwelt; sie haben in aller Regel aperio­dischen Charakter. Die Verhaltensantwort kanndie Vermeidung eines Hindernisses sein, die Besei­tigung von Fremdkörpern, oder Flucht bzw. ag­gressives Verhalten bei Kontakt mit anderen In­dividuen. Berührungsreize werden oft aktiv "ge­sammelt" , indem die Umgebung zur räumlichenOrientierung oder zur Futtersuche mit Beinen,Antennen oder Mundwerkzeugen abgetastet wird.Sie spielen des Weiteren eine wichtige Rolle bei derAuslösung und Durchführung der Kopulationoder der Eiablage.

Typische taktile Rezeptoren bei Insekten sindmechanosensorische Haare, die durch ihre Längedie Reizenergie schon in einer gewissen Distanzvom Körper wirksam erfassen und die Sinneszelleerregen können. Sowohl die Länge, Dicke undBeweglichkeit der Haare, als auch die Anordnungin Form von Einzelhaaren oder Haarpolstern vari­iert sehr, was für unterschiedliche Funktionenspricht. Campaniforme Sensillen sind häufig inGruppen angeordnet oder mit Haarsensillen asso-

ziiert und tragen ebenfalls zur Wahrnehmung vonBerührungsreizen bei.

11.1.4.4 KontinuierlicheMedienströmungen

Strömungsreize kommen durch Bewegungen derMedien Luft oder Wasser relativ zum Insekt zu­stande. Für Insekten, die sich kaum oder nurlangsam bewegen sind Strömungsreize fremder­zeugt; die sensorische Information kann genutztwerden, Intensität und Richtung der Strömung zumessen und in ein adaptives Verhalten umzuset­zen. So nutzen Larven von Trichopteren die In­formation des schnell strömenden Wassers, umsich positiv rheotaktisch zu orientieren und ihrenKörper in den Strom zu drehen, womit der Strö­mungswiderstand erniedrigt wird. Termiten rea­gieren auf geringe Luftströmungen in ihren Bau­ten; das verantwortliche Rezeptororgan ist dasJohnstonsche Organ an der Antennenbasis. Diegleichen Rezeptoren haben schließlich auch Be­deutung für Orientierungsleistungen am Boden,indem während des Laufens eine Kurssteuerungrelativ zur Windrichtung durchgeführt wird. DasEinhalten eines konstanten Kurses gegenüber derWindrichtung (anemomenotaktische Orientie­rung) ist z. B. für einige Käfer bekannt (Abb. 11­9). Das Verhalten tritt schon bei Windgeschwin­digkeiten von 0,15 m/s auf. Es wird gesteuert überBewegungen des Gelenks zwischen Pedicellus undFlagellum.

Wenn ein Insekt dagegen fliegt oder schwimmt,werden Strömungsreize im Wesentlichen durchseine eigene motorische Aktivität erzeugt, und diemotorische und sensorische neuronale Aktivitätkönnen zentral miteinander verrechnet und zurRegelung der Fortbewegungsgeschwindigkeit ge­nutzt werden. Bei der Wanderheuschrecke Locustamigratoria dienen sowohl verschiedene Felder vonStellungshaaren auf dem Kopf als auch die Anten­nen als Luftströmungssinnesorgane, die in derLage sind, die Eigengeschwindigkeit während desFluges zu messen. Die Geißelantenne von Locustabesteht aus zahlreichen Gliedern (Abb. 11-10 A);der proximale Scapus ist mit dem 2. Glied, demPedicellus, gelenkig verbunden, darauf folgt daslange Flagellum. Als Maß für die Fluggeschwin­digkeit dient die Ablenkung des Flagellums gegenden Pedicellus; dies ist der adäquate Reiz für dieMechanorezeptoren des Pedicellus, vor allem dieSensillen des Johnstonschen Organs und eineReihe von campaniformen Sensillen am distalenRand des Pedicellus. Die beiden Luftströmungs­sinnesorgane haben unterschiedliche Bedeutungfür die Fluggeschwindigkeit der Heuschrecke:schaltet man die Stirnhaare aus, so erniedrigt sich

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11 .1 Mechanorezeption 289

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5BAbb. "-9: Einfluss von Windreizen auf die Orientierung

eines Käfers. Oben: Laufwege eines Mistkäfers (Geotrupessilvaticus) bei absoluter Dunkelheit und Windstille auf einerLaufkugel (S Startpunkt), Unten: Laufwege desselben Mistkäfersdirekt nach Beginn eines Windreizes bei ansonsten gleichenVersuchsbedingungen. Die Richtung des Luftstroms mit einerGeschwindigkeit von ca. 1 m/s ist durch die Pfeile angezeigt.(Nach Linsenmair 1969)

die Fluggeschwindigkeit , während nach Ausschal­tung der Antennen die Geschwindigkeit erhöhtwird (Abb. ll-1O B).

11.1.4.5 Vibration

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Ahb. " -'0: Perzeption von Windströmung. A Die Auslen­kung der Antennen der Wanderheuschrecke Locusta migratoriabei Windstille (0m/s) bzw. einer Windgeschwindigkeit von 4 mls. Die linke Antenne kann sich frei bewegen, die rechte ist anihrer Basis fixiert. Die punktierten Areale geben die Lage vonBorstenfeldern an. Der Flügelschlag der Heuschrecke erzeugtauch eine Modulation der Windgeschwindigkeit mit Spitzen­werten von 1rn/s im Bereich der Antennenbasisund derBorsten­felder (s. Einschaltbild). BDer Einfluss der Windsinnesorgane aufder Antenne bzw. der Borstenfelder am Kopf auf die Flug­geschwindigkeit. Nach Ausschaltung der Antenne erhöht sichdie Geschwindigkeit, nach Ausschaltung der Borstenfelder wirdsie erniedrigt. Die beiden mittleren Kurven zeigen die Flug­geschwindigkeit der TIere vor der Ausschaltung. (Modifiziertnach Gewecke 1974)

verhaltenswirksamen Signale sind jedoch oft tief­frequente Substratvibrationen, die - wenn sie aufPflanzen erzeugt werden - einen Empfänger ingeringer Distanz erreichen können. Auf dieseWeise werden unerwünschte Adressaten , die ent­weder keinen Kontakt mit dem übertragendenMedium haben oder zu weit vom Sender entfernt

Der Begriff "Vibration" wird hier für mechanischeOszillationen benutzt, die als Reize bei Kontakt­und Substratvibration auftreten. Bei der Kontakt­vibration wird der mechanische Reiz durch direk­ten physischen Kontakt zwischen Sender undEmpfänger - ohne die Hilfe eines zwischenge­schalteten Mediums - übertragen. Von normalenBerührungsreizen unterscheiden sie sich durchihre rhythmische Struktur. Rezeptoren für solcheKontaktvibrationen sind verschiedene Haar- bzw.campaniforme Sensillen und Chordotonalorganein der Nähe von Segmentgrenzen und Gelenken.

Im Gegensatz dazu werden Substratvibrationenan den Grenzflächen zweier Medien, entwederLuft - Wasser, Luft - Boden oder Wasser - Boden,zum Empfänger übertragen . Kleine Insekten sindbei tiefen Frequenzen sehr ineffiziente Schallab­strahler, sie können dagegen tieffrequenten "Sub­stratschaU" auf Pflanzen oder festem Material er­zeugen und auf diese Weise über kurze DistanzenKommunikationssignale übertragen. Wanzen undKleinzikaden erzeugen zwar Luftschall geringerIntensität mit ähnlichen Tymbalorganen bzw. Stri­dulationsmechanismen wie andere Insekten, die

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290 11 Sinnesphysiologie

sind, von der Kommunikation ausgeschlossen. DieDämpfungseigenschaften der Substrate sind sehrvariabel und führen - neben der unterschiedlichenEmpfindlichkeit der Sinnessysteme - zu Kommu­nikationsdistanzen von einigen Millimetern bis zuwenigen Metern .

An der Grenzfläche zwischen Luft und Wasserkönnen Insekten, die auf bzw, unmittelbar unterder Wasseroberfläche leben, selbsterzeugte Ober­flächenwellen zur Kommunikation mit Ge­schlechtspartnern oder Rivalen nutzen . Männchendes Wasserläufers Gerris remigis erzeugen eine nie­derfrequente Oberflächenwelle von 3-10 Hz fürdie Anlockung von Weibchen, während eine Fre­quenz von 80-90 Hz als territoriales Signal dient ,um andere Männchen vom eigenen Revier fern­zuhalten. Mithilfe von Oberflächenwellen könnenWasserwanzen auch zappelnde Beute wahrneh­men und lokalisieren, die ins Wasser gefallen ist.Bei Gerris und Notonecta wird das Beutefangver­halten durch Oberflächenwellen in einem Fre­quenzbereich zwischen 20 und 200 Hz optimalausgelöst; hier liegen auch die maximalen Am­plituden der Signale, die durch die zappelndeBeute erzeugt werden. Da die Ausbreitungsge­schwindigkeit der Wellen im Vergleich zur Schall­geschwindigkeit in Luft re\. gering ist, erreicht dieWellenfront die Tarsen der einzelnen Beinpaare zuunterschiedlichen Zeiten. So entstehen Zeitdiffe­renzen bei der Aktivierung der scolopidialen Sen­sillen in den Tarsen, die zwischen 1--4 ms liegenund für die Orientierung genutzt werden können .Perzipiert werden die Oberflächenwellen entwederdurch Sensillen der John stonschen Organe, derAntennen (Gyrinus) oder Scolopidialorgane imEndglied der Tarsen (Notoneeta). Bei Letzterenmessen je 8 Sinneszellen die Stellung und die Be­wegung der Krallen, die durch den Auftrieb desRückenschwimmers von unten gegen die Ober­fächenhaut des Wassers gedrückt und durch dieOberflächenwellen ausgelenkt werden. Das Fre­quenzspektrum der Oberflächenwellen eines zap­pelnden Insekts liegt genau im Empfindlichkeits­maximum des Tarsalorgans.

Neben der Funktion im Zusammenhang mitder innerartliehen Verständigung und dem Beute­fang spielen Substratvibrationen und die perzi­pierenden Sinnesorgane auch eine wichtige Rolleals Warnsystem vor Räubern. Die meisten In­sekten besitzen mit den Subgenualorganen äußerstempfindliche Rezeptororgane für derartigeSchwingungen in allen Beinpaaren . Sie bestehenaus etwa 20--40 scolopidialen Sensillen, die in denproximalen Bereichen der Tibien fächerförmigaufgespannt sind. Schwingungsamplituden zwi­schen 0,001-0,1 nm führen im Frequenzoptimumvon 1-5 kHz noch zu überschwelligen Antwortender Sinneszellen.

11.1.4.6 Schall

Schallsignale werden von Insekten auf unter­schiedlichste Weise erzeugt, wobei die Stridulationdie am häufigsten benutzte Methode der Schaller­zeugung ist. Einige Feldheuschrecken besitzen aufder Innenseite ihrer Hinterbeine eine Reihe vonZähnchen, die sie an einer anderen Zähnchenreiheam Tergiten des 2. Abdominalsegments reiben(Abb. li-li A). Durch das zeitliche Muster derAktivierung der entsprechenden Motoneuronewerden die Hinterbeine in art spezifischer Weisebewegt und es entstehen amplitudenmodulierteLaute, die in aller Regel garantieren, dass nurarteigene Geschlechtspartner angelockt werden(Abb. li-li B). Das Zirpen von Grillen und Laub­heuschrecken ist vom Prinzip her ähnlich . Hierwerden eine Schrillkante und eine Schrillader anden beiden Vorderflügeln gegeneinander bewegtund so bestimmte Teile des Flügels in Schwingungversetzt.

Abb. 11-11: Lauterzeugung durch Stridulation. A EinMännchen der Blasenschrecke Bullacris membracioides (Acridi­dae, Orthoptera) striduliert mithilfe einer Reihe von Cuticula­zähnchen an der Innenseite des Femurs des Hinterbeins (REM­Aufnahme unten; Balken 200 um), die an einer Zähnchenreiheam zweiten Abdominalsegment (REM-Aufnahme oben; Balken500 um) gerieben wird. (Fotos M.A. Pabst) BOszillogramm desdurch die Stridulation erzeugten Lautes mit 5 leisen Vorsilbenund einer letzten Silbe mit einem Schalldruckpegel von bis zu98 dB.

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11.1 Mechanorezeption 291

Ausgang

Ausgang

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Abb. 11-12: Mechanismus zur Erzeugung eines lautenLockgesangs bei der Maulwurfsgrille. Männchen derMaulwurfsgrille Scapteriscus adetus in einer selbst gegrabenenHöhle, deren trichterartige Öffnung es in mehreren Arbeits­schritten der Form eines akustischen Horns so angepasst hat,dass sein Gesang bei einer Trägerfrequenz von etwa 2,7 kHz mitmaximaler Lautstärke abgestrahlt wird. Oben Aufsicht; untenSeitenansicht. Die Zahlen geben die verschiedenen Tiefenlinienan. (Modifiziert nach Bennet-Clark 1987)

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zikaden zwar auch ein Tymbalorgan, aber keinassoziiertes Resonanzsystem und erzeugen des­halb nur sehr geringen Schallwechseldruck. AlsVibrationssignal kann es dagegen erfolgreich zurKommunikation über Distanzen von maximalmehreren Metern eingesetzt werden.

Grillenmännchen erzeugen durch das Reibeneiner Schrillkante des rechten Vorderflügels aneiner mit feinen Zähnchen besetzten Schrilladerdes linken Vorderflügels ein weithin hörbaresSchallsignal mit Frequenzen zwischen 2 und 8kHz, das von entsprechenden Sinneszellen im Ge­hörorgan, die auf den Schallwechseldruck der Luftreagieren, im sog. akustischen Fernfeld perzipiertwerden kann. Dieselbe Bewegung der Vorderflügelerzeugt allerdings in der Nähe des Männchensauch eine Teilchenbewegung der Luftrnolek üle,die geeignete Sinneszellen im sog. akustischenNahfeld der Schallquelle aktivieren können .Schließlich wird die Energie der Muskelkontrak­tionen für die Flügelbewegungen auch über dieBeine des Männchens auf das jeweilige Substratübertragen und löst dort lokale Schwingungen desSubstrats aus ("Sub stratschall"; s.o.) , die von Vi­brationsrezeptoren eines Empfängers in einer ge­wissen Entfernung noch wahrgenommen werdenkönnen . Zumindest bei den ersten beiden Vor­gängen - dem Schallwechseldruck und der Teil­chenbewegung des Mediums im Nahfeld - handeltes sich um Schall im weiteren Sinne, wenn auch die

Insekten sind allerdings in der Regel klein undkönnen aus physikalischen Gründen nur wenigSchallenergie bei niedrigen Frequenzen abstrah­len, es sei denn als Medienoszillation im akusti­schen Nahfeld (s.u.). Das Spektrum der Lauteliegt daher häufig im Ultraschallbereich oberhalbvon 20 kHz, oder es werden physikalische "Tricks"angewandt, um Luftschall mit Wellenlängen, diemehr als IOx größer als die schallabstrahlendeStruktur sind, mit einem genügend großen Wir­kungsgrad abzustrahlen. So benutzen kleine, süd­afrikanische Baumgrillen der Gattung OecanthusLücken zwischen Blättern, oder schneiden mit ih­ren Mundwerkzeugen sogar Löcher in ein Blatt,um darin mit hochaufgestellten Flügeln zu stridu­lieren. Durch Ausnutzen einer solchen Scheibevermeiden sie einen "akustischen Kurzschluss"zwischen Vorder- und Rückseite ihrer Flügel underzeugen einen Schalldruckpegel, der um 10 Dezi­bel über dem einer "frei" singenden Baumgrilleliegt. Männchen der Maulwurfsgrille Scapt eriscusacletus graben eine Höhle, deren Öffnung sie derForm eines akustischen Horns (vergleichbar demTrichter altmodischer Hörhilfen) immer besser an­passen, bis ihr Gesang bei einer Trägerfrequenzvon etwa 2,7 kHz über den Schalltrichter um biszu 15 Dezibel lauter abgestrahlt wird (Abb. 11­12).

Bei der anatomischen Vielfalt der Insekten ver­wundert es allerdings nicht, dass Stridulation mitHilfe vieler verschiedener Kombinationen von Cu­ticulastrukturen in der Evolution entstanden ist.Eine vorsichtige Schätzung nur für die Familie derDytiscidae (Coleoptera) zählt allein 14 Möglich­keiten auf, Schallsignale zu erzeugen. Daran sindso unterschiedliche Körperteile wie Mundwerk­zeuge, Beine, Flügel oder Genitalapparate betei­ligt. Neben der Stridulation gibt es auch andereMechanismen der Lauterzeugung. Im Gegensatzzu Grillen und Heuschrecken wird bei Zikadenund einigen Schmetterlingen das Schallsignalnicht durch Reiben von Schrilleisten und -kantenerzeugt, sondern mith ilfe sog. Tymbal- oder Trom­melorgane. Diese bestehen aus zwei ovalen Mem­branen an den Seiten des ersten Abdominalseg­ments. Die Membranen sind elastisch und durchmehrere parallele Querrippen versteift. An derInnenseite greift über eine Sehne ein großer Mus­kel an, durch dessen Kontraktion die Membraneingedellt wird und bei Erschlaffung wegen derElastizität zurückschnellt. Die Arbeit sweise istetwa vergleichbar mit dem Deckel einer Blechdose,der schnell hintereinander deformiert wird unddabei ein Geräusch erzeugt. Die enorme Laut­stärke kommt bei den großen Zikaden durch Kop­pelung dieses schallerzeugenden Apparates mit ei­nem Resonator in Form des luftgefüllten Abdo­mens zustande. Im Gegensatz dazu haben Klein-

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292 11 Sinnesphysiologie

Nahfeld-Schall

B Druck- Druckgradienlen- Schallschnelle-empfänger empfänger empfänger

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erreichten Kommunikationsdistanzen und betei­ligten Sinnesorgane sehr unterschiedlich sein kön­nen. Die Übergänge von aperiodischen Berüh­rungsreizen zu Kontaktvibration, über Substrat­vibrationen zu Nahfeld- und Fernfeldschall sindalso fließend; Kategorien wie "Vibration" oder"Schall" haben insofern für ein Insekt nicht diegleiche Bedeutung wie für den Menschen.

Ein oszillierender Körper in einem Medium wieLuft oder Wasser erzeugt einen Schallwechsel­druck , wenn der Körper im Vergleich zur Wellen­länge groß ist. Unterhalb eines kritischen Wertesfür dieses Verhältnis wird jedoch die meiste Ener­gie der Oszillation in Form lokaler Druckunter­schiede und nicht als fortgeleiteter Schallwechsel­druck auftreten . Deshalb wird die Teilchenbewe­gung des Mediums der entscheidende Parameterim akustischen Nahfeld ; die entsprechenden Sin­nesorgane bezeichnet man auch als Schallschnelle­empfänger (Abb. 11-13). Beispielsweise kann eineWespe von 2 cm Länge keinen nennenswertenSchallwechseldruck unterhalb von etwa 3 kHz er­zeugen. Obwohl die Wespe bei ihrer Flügelschlag­frequenz von ca. 150 Hz (Wellenlänge 2,25 m!) einextrem schlechter Schallstrahier ist, können dieTeilchenbewegungen der Luft in der Nähe derfliegenden Wespe erstaunlich große Amplitudenerreichen. Zwar fällt die Amplitude dieser Teil­chenbewegungen mit der 2. bis 4. Potenz der Dis­tanz von der Quelle wesentlich stärker ab als derSchallwechseldruck, dennoch erreichen einige In­sekten mit dafür geeigneten Sinnesorganen Wahr­nehmungsdistanzen von einigen Zentimetern biszu einem Meter. Wegen ihrer geringen Masse sinddie Fadenhaarsensillen auf den Cerci oder diegefiederten Antennen einiger Insekten mit denscolopidialen Sensillen der Johnstonschen Organetypische Schallschnelleempfänger für solchenNahfeldschall (Abb. 11-13). Da beide Rezeptor­systerne sowohl auf oszillierende Teilchenbewe­gung als auch auf Wind reagieren, ist es nichtverwunderlich, dass sie sowohl als "Gehörorgane"wie auch als "Windrezeptoren" fungieren.

Kommunikation mithilfe von Nahfeldschall istaus den genannten Gründen insbesondere bei In­sekten mit geringen Individualdistanzen verbrei­tet . Der Paarungsgesang als Bestandteil des Balz­verhaltens einiger Fruchtfliegenarten besteht auszeitlich strukturierten Flügelbewegungen, die Teil­chenbewegungen im Nahfeld mit einer Frequenzzwischen 100-500 Hz produzieren. Obwohl einekleine Fruchtfliege praktisch keine nennenswerteEnergie in Form eines Schallwechseldrucks er­zeugen kann, ist die Energie der Oszillationen derLuftmoleküle im akustischen Nahfeld groß genug,dass der Paarungspartner im Abstand von etwalern dieses Signal noch mithilfe des JohnstonschenOrgans wahrnehmen kann .

Die Biomechanik bei der Aktivierung des lohn­stonschen Organs ist allerdings außergewöhnlich .Beider Fruchtfliege hat die Antenne eine asymme­trische Struktur und besteht aus drei Segmentenmit einer distalen Arista . Das dritte Segment funk­tioniert gemeinsam mit der Arista als mechani-

FlagellumA

äußererScolopidien­ring

Abb. "-13: Verschiedene Schallempfänger. A Schema­tischer längsschnitt durch den basalen Teil der Antenne einesStechmückenmännchens. (Modifiziert nach Risler 1953) BSchema eines Druckempfängers (links). eines Druckgradienten­empfängers (Mitte), und eines Schallschnelleempfängers(rechts). p1 und p2stellen die zwei Schallkomponenten dar, diedie Außenseite des Tympanums direkt, bzw. mit einer gewissenPhasenverzögerung die Innenseite indirekt, erreichen. Ein Fa­denhaar kann wegen seiner geringen Masse von der Bewegungder Medienteilchen mitgenommen werden und bei nieder­frequentem Schall « 200 Hz) als Schallschnelleempfängerfungieren. Die fiedrige Verzweigung der Antennen einiger Flie­gen (s.o.) trägt mitdazu bei, dass die gesamte Antenne mitderTeilchenbewegung der luft schwingt.

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11 .1 Mechanorezeption 293

C Tanzlaut

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räuberischer und parasitischer Wespenarten liegen zwi­schen 100 und 200 Hz und damit in dem empfindlichenBereich der Stopppreaktion der Raupe. Dieser natürlicheReiz wird immerhin aus Entfernungen bis zu 70cm"gehört"; die ausgelöste Verhaltensreaktion erhöht dieÜberlebenswahrscheinlichkeit der Raupe um 30%.

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A

B

Abb. 11-14: Kommunikation und Hören mithilfe vonNahfeldschall. A-C Eine Sammlerin der Biene Apis melliferaerzeugt beim Schwänzeltanz mithilfe ihrer Flügel Nahfeldschall(C, obere Spur), der Information über die Lage einer Futterquelleaußerhalb des Stocks enthält. Die Folgebienen befinden sichwährend dieses Schwänzeltanzes mit ihren Antennen vorwie­gend in unmittelbarer Nähe der Tänzerin dort, wo die Amplitudeder Teilchenbewegung der Luft am größten ist (A, B; jeder der3496 Punkte in (B) entspricht der Position des Kopfes einerFolgebiene relativ zur Tänzerin). Die Folgebienen erzeugen mitihrem Thorax eine Substratvibration (C, untere Spur), die alsStopsignal die Tänzerin veranlasst, kleine Mengen von Futter­proben abzugeben. Die Balken in (B) und (C) entsprechen 1cmund 400 ms. (Nach Michelsen et al. 1987)

scher Schallempfänger und oszilliert maximal beietwa 420 Hz. Gleichzeitig induziert der Schall eineRotation des dritten Segments, die an der Kon­taktsteIle mit dem zweiten Antennensegment zueiner Aktivierung der Rezeptoren des lohnston­sehen Organs führt. Das dritte Antennensegmentder Fruchtfliege wirkt nicht nur als mechanischerSchallempfänger, es trägt auch mehrere hundertolfaktorische Sensillen und ist also gleichzeitigauch Geruchsorgan. Da aber das Hören mecha­nisch auf der Rotation des Segments beruht, stö­ren sich die beiden Sinnesmodalitäten Geruch undGehör nicht an ihrer Funktion und können aufder selben Struktur nebeneinander existieren.

Sammlerinnen der Honigbiene Apis melliferainformieren andere Arbeiterinnen mithilfe desSchwänzeltanzes über die Richtung, Distanz undErgiebigkeit von Futterquellen (zum Prinzip derInformationsübermittlung bei Bienen s. 9.5.2.3und Abb. 9-34). Dabei erzeugen sie - ähnlich wiedie Fruchtfliege oder die Wespe - mit ihren Flü­geln Oszillationen der Luftmolek üle, die im Ab­stand von 2 mm Geschwindigkeiten von 0,7 rnJserreichen. Der Kopf der Folgebienen - und damitdas Johnstonsche Organ der Antenne als Mess­instrument - befindet sich dabei vorzugsweise imBereich der maximalen Teilchenbewegung derTanzlaute (Abb.lI-14 A, B). Die Tatsache, dassdie Teilchenbewegung sehr stark mit der Distanzin ihrer Amplitude abnimmt ist hier sogar vonVorteil, denn die Information bleibt "privat" undbenachbarte Gruppen von Tänzerinnen mit ihrenFolgebienen stören sich nicht gegenseitig bei derKommunikation. Weil die Rezeptororgane für dieTeilchenbewegung paarig angelegt sind, d. h. einesin jeder Antennenbasis, können die Folgebienenihre Position zur Tänzerin im dunklen Bienen­stock bestimmen und damit "verstehen", wo dieRichtung der Futterquelle liegt. Auch die Folge­bienen erzeugen ein Schallsignal, indem sie mitihrem Thorax gegen die Waben drücken; diesesStoppsignal wird allerdings als Substratvibrationübertragen (Abb. 11-14 C) und veranlasst dieSarnmlerin, kleine Portionen von Futtertröpfchenabzugeben.

Nahfeldschall wird nicht nur als innerartliches Kom­munikationssignal eingesetzt, sondern er kann auch als"unfreiwillig" erzeugtes Signal eines Räubers Flucht­oder Vermeidungsreaktionen bei der Beute auslösen.Nur 8 Sinneshaare sind bei der Raupe der KohleuleBarathra brassicae verantwortlich für die Perzeption derTeilchenbewegungen, die durch den Flügelschlag vonparasitoiden Wespen herrühren. Bei diesem Reiz hebendie Raupen den Vorderkörper von der Unterlage ab understarren in dieser Haltung. Die spektrale Schwellen­kurve für die Verhaltensreaktion zeigt einen Bereichgrößter Empfindlichkeit zwischen 100-600 Hz; dieSchwellenwerte der Oszillation der Luftteilchen liegenbei Amplituden von 1,611m. Die Flügelschlagfrequenzen

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294 11 Sinnesphysiologie

Schallwechseldruck

' T2 'T3 ' A1 'A2'A3'A4 'A5'A6'A7'

Thorax Abdomen

Von Schall und Hören im engeren Sinn sprichtman, wenn ein Schallwechseldruck oder einewechselnde Strömung in einem Medium im sog.Fernfeld einer Schallquelle das Sinnesorgan ak­tiviert. Insekten haben zur Perzeption solcherSchwingungen Tympanalorgane entwickelt. Sie be­stehen aus einer dünnen Cuticulamembran - demTympanum - einem luftgefüllten, trachealenHohlraum, der das Organ zum Körperlumen hin

abgrenzt , sowie einer mehr oder weniger großenGruppe von Sensillen. Durch dieses Bauprinzipkann das Tympanum nicht durch die Teilchen­bewegung der Luft , sondern nur durch den Schall­wechseldruck in Schwingung versetzt werden undscolopidiale Sensillen aktivieren, deren Dendritenindirekt über die Kappenzelle oder zwischenge­schaltete Zellen mechanisch mit der schwingendenMembran verbunden sind. Die Position dieser Or­gane an völlig verschiedenen Körperteilen bei un­terschiedlichen Insektenordnungen (Abb. 11-15)und ihr Auftreten bei phylogenetisch weit entfern­ten Taxa sind deutliche Hinweise auf einen poly­phyletischen Ursprung. Entsprechend vielfältig istauch die Anatomie der Organe. Die Abb. 11-16und 11-17 zeigen 4 Beispiele aus den OrdnungenLepidoptera, Homoptera und Orthoptera. DieZahl der Sensillen pro Gehörorgan variiert sehr,von einem einzigen bei einigen Nachtschmetter­lingen bis zu 2000 bei der Blasenschrecke Bulla­cris. Dagegen bleibt der generelle Bau des einzel­nen Sensillums gleich (Abb. 11-18).

Tympanalorgane arbeiten entweder als Druck­oder Druckdifferenzempfänger, oder als eine Mi­schung aus beiden (Abb. 11-13 B). Im ersten Fallführt die Anatomie des Gehörorgans und seineLage am bzw. im Insektenkörper dazu, dass nurdie außen auf das Tympanum auftreffende Schall­welle dieses in Schwingung versetzt und die Kraftauf die dort ansetzenden scolopidialen Sensillenüberträgt. Das Problem solcher reinen Druckemp­fänger ist ihre fehlende oder geringe Richtwir­kung, da in Abhängigkeit von der Beschallungs­richtung nur dann verlässliche Erregungsunter­schiede zwischen den Organen beider Körpersei­ten erzeugt werden, wenn der Insektenkörper etwagleiche Dimension wie die Wellenlänge des Schallshat (ein Ton mit einer Frequenz von 1000 Hz hateine Wellenlänge von 34 cm) und auf der schallab­gewandten Körperseite durch Beugung ein"Schallschatten" entsteht. Bei einem Druckdiffe­renz-(Druckgradienten-jempfänger dagegen wirddie Tympanalmembran von zwei Schallwellen aus­gelenkt, die auf unterschiedlichen Wegen eintref­fen. Die Differenz der Druckamplituden pi undp2 ergibt den für das Tympanum wirksamenSchalldruck. Die Reizstärke für die scolopidialenSensillen hängt entscheidend von der Phasenbezie­hung der beiden Schallwellen ab. Da diese wie­derum mit der Beschallungsrichtung variiert, istein Druckgradientenempfänger notwendigerweiserichtungsabhängig und kann zur Lokalisation ei­ner Schallquelle eingesetzt werden.

Bei Feldheuschrecken entwickelt sich währendder Embryonalentwicklung eine Gruppe von ek­todermalen Zellen, die in jedem Körpersegmentaus den gleichen Vorläuferzellen entstehen (seg­mentale Homologie), und die zu einem Chordoto-

pleuralesChordotonalorganTympanalorgan

B

Abb. 11-15: Evolution von Gehörorganen. A Bei Insektensind in der Phylogenese anmindestens 10 verschiedenen Stellendes Körpers tympanale Gehörorgane entstanden, die nur1 Sco­lopidium, oder auch mehr als 1000 enthalten können. DieZahlen entsprechen den Orten der Gehörorgane bei folgendenInsektengruppen: (1) lepidoptera: Sphingoidea, (2)Orthoptera:Ensifera, (3) Diptera: Tachinidae, (4) Mantodea: Mantidae, (5)lepidoptera: Geometroidea und Pyraloidea, (6) Orthoptera:Acri­didae, (7) Hemiptera: Cicadidae, (8) lepidoptera: Noctuoidea,(9) Hemiptera: Corixidae, (10) Neuroptera: Chrysopidae. (NachFullard und Yack 1993) BSchematische Darstellung der seriellenHomologie verschiedener Mechanorezeptoren im zweiten unddritten Thorakalsegment (T2, 13)sowie den sieben Abdominal­segmenten (A1 - A7) einer Feldheuschrecke. Aus seriell homo­logen Zellen (schwarz) wird nur im ersten Abdominalsegmentein tympanales Gehörorgan (Pfeil in A1), während in denübrigen abdominalen Segmenten daraus pleurale Chordotonal­organe werden. (Modifiziert nach Meier und Reichert 1991)

Page 15: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

11 .1 Mechanorezeption 295

B

Subgenual­organ

Belntrachee

t.-\J__-1ntermediär­organ

ii---+...,<:ehörorgan(crista acustica)

~---H__- Kappenzellen

Tympana lnerv

c

Tympanum

Abb. 11·16:Tympanalorgane von Orthopterenund Zikaden. ATympanalorgan der Zikade Cicada amiL. (Homoptera) mitderAnordnung der Scolopidien in der Gehörkapsel des zweiten Abdominalsegments. Das Scolopidialorgan ist zwischen demAnheftungshorn Ah und dem Anheftungsspatel As ausgespannt. K Kappenzellen, St Stiftzelle, Sz Sinneszelle, Tr Trachee. (Modifiziertnach Michel 1975) B Komplex von Sinneszellen inder Tibia des Vorderbeins einer Laubheuschrecke (Tettigoniidae). Die Sensillen desGehörorgans (crista acustica) sind linear entlang der Beintrachee aufgespannt; ihre Kappenzellen nehmen von proximal nach distalin ihrer Größe ab. C Ansicht von innen auf das Gehörorgan der Wanderheuschrecke Schistacerca gregaria (Acrid idae) im erstenAbdomina/segment. Innerha/b des Ganglions liegen 4 Gruppen von Sensillen, die über Hilfszellen an unterschiedlichen Stellen mitder Tympanalmembran verankert sind (vergl. auch mitAbb. 11-18). (B und Cmodifiziert nach Schwabe 1906)

nalorgan mit den oben beschriebenen Sinnes- undHilfszellen ausdifferenzieren. Allerdings wird da­raus nur im ersten Abdominalsegment ein Gehör­organ, weil sich nur dort ein Tympanum undandere cuticulare Strukturen ausbilden, die dasOrgan für die Perzeption von Schallwechseldruckgeeignet machen. In den anderen Segmenten ent-

stehen dagegen pleurale Chordotonalorgane, die alsStreckrezeptoren die Lage der Segmente zuei­nander registrieren (Abb. 11-15 B). Der Nachweisder segmentalen Homologie von Chordotonalor­ganen und Gehörorgan macht deutlich, dassStreck- und Gehörsrezeptoren in der Ontogeneseund Phylogenese Teil des gleichen sensorischen

Page 16: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

296 11 Sinnesphysiologie

bei verschiedenen Frequenzen (Abb. 11-19). Es istnoch unklar, ob diese Frequenzselektivität da­durch zustandekommt, dass die Dendriten derSinneszellen die Schwingungen der Tympanal­membran an unterschiedlichen Stellen abgreifen(entsprechend dem Ortprinzip in der Cochlea vonSäugern) oder ob sie eine intrinsische Eigenschaftder Zellen selbst ist. Schließlich ist die Erregungder Rezeptoren auch von der Richtung der Sig­nalquelle abhängig, sodass ein zentraler Vergleichder Erregungen beider Organe die Lokalisationdes Senders ermöglicht.

Tympanalmembran11.1.5.2 Feindvermeidung

B

100

1i 90(j) 80lD

~ 70~.~ 60Cl):s 50

Viele Arten von Nachtschmetterlingen besitzentypische tympanale Gehörorgane (Abb. 11-17 A),obwohl kein lautgebender Mechanismus bekanntist. Bei diesen Tieren - und vielen anderen nacht­aktiven Insekten - dient das Gehörorgan zur Per-

11.1.5.1 Innerartliche Kommunikation

Systems sind, und dass sich tympanale Gehör­organe von Propriarezeptoren ableiten lassen.

11.1.5 Die adaptive Funktiontympanaler Gehörorgane

xon

Schwann-Zelle

Stiftzelle

- -t;;;-- Kappenzelle

JlHhit-- Cilium

~~T*~I ftllt"ffi, - w urzelfaden

Abb. 11-18:Aufbau eines scolopidialen Sensillums einerHeuschrecke nach elektronenmikroskopischen Befunden. (Modi­fiziert nach Gray 1960)

10020 40 60 80Frequenz [kHz)

Abb. 11-17: Hören bei Nachtschmetterlingen. A Schemades Gehörorgans eines Nachtschmetterlings (Noctuidae) imersten Abdominalsegment. LS tympanale Luftsäcke. Die B-Zelleist wahrscheinlich ein Streckrezeptor. (Nach Eggers 1919) BSchwellenkurven der beiden A-Zellen im Gehörorgan von Agra­tis segetum (Noctuidae). (Nach Surlykke und Miller 1982)

Bei den Insekten erzeugen vor allem Orthopterenund Zikaden artspezifische Schallsignale zur in­nerartlichen Kommunikation, die als prägame Iso­lationsmechanismen wesentlich dazu beitragen,dass eine Paarung in der Regel nur mit dem artei­genen Geschlechtspartner stattfindet. Im Allgemei­nen stimmen die Bereiche größter Empfindlichkeitder Rezeptoren im Gehörorgan des Empfängersmit dem Frequenzbereich der Schallsignale desSenders gut überein. Die Abstimmkurven einzel­ner Rezeptoren - oder Gruppen von Rezeptorender Gehörorgane von Grillen, Laub- und Feldheu­schrecken zeigen oft bevorzugte Empfindlichkeit

Page 17: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

11 .1 Mechanorezeption 297

B

80

I I I I I I-

1--"-

f-

I

Abb.11-19: Hören von Tönen unterschiedlicher Fre­quenz. A Die Hörschwellenkurven einzelner tympanaler Re­zeptoren im Gehörorgan der Laubheuschrecke Mygalopsis marki(Tettigoniidae) unterscheiden sich in ihrer absoluten Empfind­lichkeit und charakteristischen Frequenz (CF). Rezeptoren mitniedriger CF liegen proximal in der crista acustica, solche mithöherer CF weiter distal (Pfeile). Dies bezeichnet man alstonotope Ordnung. (Modifiziert nach Oldfield 1982) B Ant­agonistische Verhaltensreaktion auf Töne hoher und niedrigerFrequenz. Anzahl der positiven bzw. negativen phonotaktischenAntworten von im Flug fixierten Weibchen der Grille Teleogryllusoceanicus bei Reizung mit Tönen unterschiedlicher Frequenz(in %). Als Reaktion wurde das Abbiegen des Abdomens inRichtung Schallquelle (positive Phonotaxis) bzw. weg von derSchallquelle (neg. Phonotaxis) gemessen, was imfreien Flug einHinfliegen zur Schallquelle bzw. ein Wegfliegen bedeutenwürde. Reize unter 10kHz werden als attraktiv bewertet,oberhalb von 15 kHz lösen sie Fluchtverhalten aus. (NachMoiseff et al. 1978)

negativ 3 4 5 8 10 20 40 60 100

Frequenz[kHz]

100

~ 50CI)

·x~ 0so&. 50

positiv

100

20

4 10 20 40 100Frequenz[kHz]

i

::ra..C/) 60III~

E.~ 40s.E

A

Gehörorgane der Tachiniden reagieren besondersempfindlich bei den Trägerfrequenzen der Lauteihrer Wirtstiere. Die Fliegenweibchen hören undlokalisieren diese Laute über größere Distanzenund legen dann auf den Wirtstieren ein Ei bzw.eine Larve ab. Bemerkenswert ist bei der Orientie­rungsleistung der parasitoiden Fliege Ormiaochracea die außerordentliche Genauigkeit der

zeption der Echoortungslaute von insektivorenFledermäusen, die als Räuber einen großen Selek­tionsdruck auf die Beute ausüben (s. 17.2.2.1). DieEchoortungslaute liegen außerhalb des mensch­lichen Hörbereichs z.T. weit oberhalb von 20 kHz;entsprechend ist die Empfindlichkeit der Sinnes­zellen der Nachtschmetterlinge auf diesen Ultra­schallbereich abgestimmt (Abb. 11-17B). Die Zahlder Sinneszellen im Organ ist äußerst gering (zwi­schen 1--4). Am Beispiel der Noctuidae mit nur 2Sinneszellen (Al und A2) wird deutlich, dass dasOrgan keine Voraussetzung für eine Frequenz­unterscheidung liefert, denn beide Sinneszellenzeigen die gleiche Abstimmkurve. Allerdings rea­giert die Zelle A2 um etwa 20 Dezibel unemp­findlicher als Al, was eine Unterscheidung zwi­schen einer weit entfernten und einer nahen Fle­dermaus mit entsprechend leisen und lautenEchoortungssignalen erleichtert. Tatsächlich be­obachtet man im Verhalten der Nachtschmetter­linge unterschiedliche Reaktionen auf leise bzw.laute Echoortungssignale: eine gerichtete Fluchtweg von der Schallquelle, wenn die Fledermausweiter entfernt ist, dagegen unregelmäßigen Flugoder "Abstürzen" bei kurzen Distanzen.

Beiverschiedenen Nachtschmetterlingen, Gold­augen (Chrysopidae) und einigen Gottesanbete­rinnen (Mantidae) scheinen die Gehörorgane ein­zig im Funktionszusammenhang der Feindvermei­dung zu stehen. Aber auch Grillen und Laubheu­schrecken sind z.T. gute, nachtaktive Flieger undsomit potenzielle Beute echoortender Fleder­mäuse. Ihr Gehörsystem ermöglicht eine Unter­scheidung zwischen innerartliehen Kommunika­tionslauten und den Ultraschallsignalen der Fress­feinde. Dementsprechend findet man z. B. bei Gril­len, dass tieffrequente, arteigene Lockgesängeauch im Flug mit einer Hinwendung zur Schall­quelle beantwortet werden (positive Phonotaxis),während die Tiere sich bei Ultraschallsignalen vonder Schallquelle abwenden und wegfliegen (nega­tive Phonotaxis; Abb. 11-19 B).

Parasitisch lebende Dipteren aus der Familie derTachinidae besitzen Gehörorgane, die auf die in­nerartlichen Kommunikationslaute ihrer Wirts­tiere (Grillen und Laubheuschrecken) abgestimmtsind (Abb.11-20). Das Organ liegt in einer Aufwöl­bung des prothorakalen Sternums und enthältetwa 40 scolopidiale Sensillen, die ganz ähnlichaufgebaut sind wie diejenigen in tympanalen Ge­hörorganen anderer Insekten . Bei dem Gehör­organ dieser Fliegen handelt es sich wahrschein­lich um in der Evolution abgewandelte Stellungs­haare des Prosternalorgans in der Halsregion . Die

11.1.5.3 Beutefinden

Page 18: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

298 11 Sinnesphysiologie

A

Tachinid en, deren Wirte Laubheuschrecken mitinnerartliehen Signalen weit oberhalb von 10 kHzsind, reagiert das Gehörorgan besonders empfind­lich auf Ultraschallfrequenzen.

c

Ausbuchtung des Prostemumsmit Gehörorgan

Abb. 11-20: Gehörorgan einer parasitoiden Fliege. A DastympanaleGehörorganeinesWeibchensderFliege Ormiaochra­cea (Tachinidae) liegt in einer blasenartigen Aufwölbung desprothorakalen Sternums, verborgen hinter der Kopfkapsel. BFrontalsicht derAußenstrukturen des Gehörorgansmit derTym­panalmembran nach Entfernen des Kopfes. N Nackenverbin­dung. Das Organ enthält etwa 40 scolopidiale Sensillen mitähnlichem Aufbau wie bei tympanalen Gehörorganen andererInsekten. CSie reagieren besondersempfindlichim Frequenzbe­reich der Laute ihrer Wirtstiere. Das schraffierteAreal zeigt dasSpektrum des Lockgesangs der Wirtsgrille. (Verändert nachRobert et al. 1994)

11.2 Temperatur- undFeuchterezeptionAnton Stabentheiner und HeinerRömer

11.2.1 Lage, Struktur undPhysiologie der Rezeptoren

Temperatur- (Therrno-) und Feuchte- (Hygro-) re­zeptoren wurden bei allen daraufhin untersuchtenInsekten arten gefunden. Sie kommen besondershäufig auf den Antennen, aber auch am übrigenKörper vor. Bei der Honigbiene sind vor allem dieäußeren (distalen) fünf Antennenglieder für dieOrientierung in einem Temperaturgradientenwichtig. Auch bei der Stabheuschrecke Carausiusmorosus und bei der Schabe Periplaneta americanawurden Thermo- und Hygrorezept oren auf derAntenne, beim Seidenspinner (Bombyx mori) ander Spitze der Antennenfiedern nachgewiesen. Ineinem Sensillum sind häufig therm o- und hygrore­zeptive Neurone vereint, in den meisten Fällenzwei hygrorezeptive und eine thermorezeptiveZelle. Diese Kombination wird auch als "thermo-Ihygrosensitive Triade " bezeichnet. Bei der Gelb­fiebermü cke Aedes aegypti wurden Sensillen mitzwei Thermorezeptoren, einer Kalt- und einerWarmzelle (s.u.), gefunden. Die Zahl antennalerthermo-/hygrosensitiver Sensillen ist im Vergleichzu der von Mechano- und Chemorezeptoren rela­tiv gering. Sie beträgt nur 2 bei der Kleiderlaus(Pediculus humanus corporis) und etwa 70 beimNachtfalter Anth eraea polyphemus. Im Gegensat zdazu wurden auf den Antennen des Männchensdieses Falters etwa 70000 olfaktorische Sensillengezählt. Bei Periplaneta americana wurden Tem­peratur- und Feuchterezeptoren auch auf den Ma­xillarpalpen gefunden.

Thermo-/hygrosensitive Sensillen sehen zapfen­förmig aus und sind in die umgebende Cuticulaeingesenkt (Abb. 11-21). Die Basis des Zapfens ist,im Gegensatz zu Mechanorezeptoren, unbeweg ­lich gestaltet (Abb. 11-22 A). Die Cuticula desZapfens weist keine Poren oder sonstige Verbin­dungen nach außen auf. Die distalen Fortsätzevon zwei Sinneszellen sind eng von der Wand desZapfens und einer dendritischen Hülle (Dendri­tenscheide) umschlossen. Diese Zellen fungierenals Feuchterezeptoren. Die dritte Sinneszelle, de-

äi'60 :!:!.

Ql"0

40 .~a.

20Ecl:

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100

Tyrnpanal ­msmbran

10Frequenz 1kHz]

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E 20

100

akustischen Lokalisation von 2 Winkelgraden, diedamit besser ist als die von Säugetieren und gleichgut wie das für akustische Ortung hoch spezia­lisierte System der Eulen. Da s Geh örssystem desParasitoiden muss also im Hinbli ck auf die Detek­tion und Lokalisation der Beute Vergleichb aresleisten wie das Weibchen des Wirtes bei der Part­nerfindung, wobei die nicht perfekte Abstimmungzwischen der Geh örsempfindlichkeit der Fliegeund Gesangsfrequenz des Grillenmännchens viel­leicht ein Hinweis darauf ist, da ss das Gehörorgandes Parasitoid en auf die Laut e mehrerer Grillen­arten mit jeweils unterschiedlichen Gesangsfre­quenzen reagieren muss. Bei anderen Arten von

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11 .2 Temperatur- und Feuchterezeption 299

Abb. 11-21 : Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmezweier thermo-/hygrosensitiver Sensillen (5. styloconica,Pfeile) auf der Spitze einer Antennenfieder von Bambyx mari(Nach Steinbrecht 1989).

einer Abnahme. Bei einem schnellen Absinken derLufttemperatur steigt die Impulsfrequenz in denersten 300 ms nach Reizbeginn linear mit derGröße des Temperaturabfalles an. Die Stärke die­ses Zusammenhanges (die Steilheit der Regres­sionsgeraden) ist aber größer, wenn der Tempera­tursprung von einer tieferen Anfangstemperaturaus erfolgt (Abb, 11-24). Aus der Steilheit der Re­gressionsgeraden kann grob auf die Unterschieds­empfindlichkeit des Kaltre zeptors geschlossenwerden. Bei einer Ausgangstemperatur von 31 "Cerhöht sich die Impulsfrequenz des Rezeptors beiTemperaturerniedrigung um I "C nur um 0,6 Hz,bei einer Ausgangstemperatur von 16,9 "C hinge­gen um 16,7 Hz. Im Gegensatz zum Feuchte- undTrockenrezeptor hängt beim Kaltrezeptor die Un­terschiedsempfindlichkeit für schnelle Reizände­rungen demnach nicht von der Größe des Tem­peratursprunges, dafür aber von seinem Ausgangs­wert ab. Für stationäre Temperaturreize nimmt beidiesem Rezeptor die Impulsfrequenz mit sinken­der Temperatur nicht linear, sondern entsprechendeiner parabolischen Funktion zu. Dadurch wirddie Empfindlichkeit für stationäre Temperatur­reize über 24 "C sehr gering.

Der Mechanismus zur Transduktion vonFeuchtereizen in nervöse Erregungsmuster ist der-

ren dendritischer Fortsatz unterhalb des Zapfensendet und mehr oder weniger finger- oder lamel­lenartig aufgegliedert ist, dient als Thermorezep­tor (Abb. 11-22). Die inneren Anteile der dendriti­schen Fortsätze wie auch die Perikaryen der Sin­neszellen sind von einer Hüllzelle, der thecogenenZelle umgeben. Das Haargebilde wird von einertrichogenen, der Sockel von einer tormogenenZelle gebildet (Abb. 11-22; vergl. auch mit demAufbau eines cuticularen Mechanorezeptors,Abb.II-1) .

Die Physiologie einer typischen "thermo-/hy­grosensitiven Triade" ist besonders gut bei derStabheuschrecke untersucht. Alle drei Rezeptor­zellen des Sensillums sind spontanaktiv. Von denzwei Feuchterezeptoren stellt eine Zelle einen so­genannten "Feuchte-" und die andere einen "Tm­ckenrezeptor" dar (Abb. 11 -23). Der Trockenre­zeptor antwortet auf eine schnelle Verringerungder Luftfeuchte mit einer Zunahme der Impulsfre­quenz, während die Entladungsfrequenz desFeuchterezeptors bei einer Zunahme der Feuchteansteigt. In ähnlicher Weise, wenn auch in einemgeringeren Ausmaß, ändert sich die Impulsfre­quenz, wenn die einzelnen Feuchtestufen statio­när, d.h. mit langen Adaptierungszeiten zwischenden Reizen, geboten werden (Abb. 11-23). Es er­scheint zunächst verwirrend, dass viele Rezeptorenfür Luftfeuchte sich dadurch auszeichnen, dass sienicht nur auf Feuchtereize reagieren, sondern auchauf Temperaturänderungen. Bei der Stabheu­schrecke konnte aber gezeigt werden, dass dieTemperaturantwort des Feuchterezeptors zu ei­nem erheblichen Teil dadurch zustande kommt,dass eine Temperaturerniedrigung bei gleichblei­bendem absolutem Wasserdampfgehalt der Luftzu einer Erhöhung der relativen Luftfeuchte undauf diesem Wege zu einer Erhöhung der Impuls­frequenz führt . Die Unterschiedsempfindlichkeitfür schnelle Feuchteänderungen sowohl desFeuchte- als auch des Trockenrezeptors ist bei derStabheuschrecke unabhängig davon, von welchemAusgangswert ein Feuchtereiz erfolgt. Sie nimmtallerdings mit zunehmender Größe des Feuchte­sprunges ab.

Die dritte Rezeptorzelle, der Kaltrezeptor, zeigtein phasisch-tonisches Antwortverhalten. Er be­antwortet eine plötzliche Temperaturerniedrigungzuerst mit einer steilen Zunahme der Entladungs­frequenz, die anschließend auf ein etwas höheresNiveau als vor der Reizung absinkt. Bei einerTemperaturerhöhung verhält er sich annäherndentgegengesetzt mit dem Unterschied , dass dieEntladungsfrequenz bei größeren Temperaturan­stiegen (> 4 "C) z.T. mehr als eine Minute lang aufnull absinken kann . Das bedeutet aber, dass dieGröße eines Temperaturanstieges mit dieser Zellenicht so gut gemessen werden kann wie die Größe

10 u rn

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300 11 Sinnesphysiologie

A B

Abb. 11-22: Thermo/hygrosensitive Triade. Schema (A) bzw. elektronenmikroskopischer Querschnitt (8) durch ein thermolhygrosensitives S. styloconicum auf den Antennen von Bombyx mori, Antheraea pernyi oder A. polyphemus mit drei bipolarenRezeptorzellen. Th: Thecogenzelle; Tr: Trichogenzelle; To: Tormogenzelle. Z: Zellkern. Querschnitt in Höhe der Schnittmarke in (A)(Nach Steinbrecht et al. 1989).

zeit noch nicht vollständig geklärt. Bei Periplanetakonnte aber gezeigt werden, dass die Feuchtere­zeptoren in den Sensilli capituli der Antennenkeine Chemorezeptoren sind wie etwa die Wasser­rezeptoren in den labellaren chemorezeptiven Sen-

sillen der Fliege Phormia terranovae. Die für Pe­riplaneta favorisierte "Hygrometer-Hypothese"nimmt an, dass hygroskopisches Material im Cuti­cularzapfen seine Form durch Feuchtereize verän­dert und auf diesem Wege die dendritischen Fort-

N •~ ...::! 15 •Cl) •• [] ~E- ~ _ 0

!':~:~Feuchterezeptor

25

20

•• • / Trockenrezeptor

•50

40

~~ 30GI:>C'!!!'l;; 20"5Co

.§10

"'-."'.,,-Ausgangstemperatur:

.., 20,8 -c• •••••

AtJ. • •.... .A~6 "'••

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AUsgangstemperat~r~"h~ •22,2 -c "''''.............. a

o-4 -3 -2 -1Temperatursprung ("C)

o+----.--""T""--,...--"""T----,-510020 40 60 80

Feuchteniveau (%)o

Abb. 11-23: Physiologische Antwort von Hygrorezepto­ren. Frequenz von Aktionspotentialen der zwei Hygrorezeptoreneiner .therrno-zhyqrosensitiven Triade" auf der Antenne vonCarausius morosus bei stationären Feuchtereizen (Modifiziertnach Tichy 1987).

Abb. 11-24: Physiologische Antwort eines Kaltrezep­tors. Mittlere Aktionspotential-Impulsfrequenz eines Kaltrezep­tors auf der Antenne von Carausius morosus als Antwort aufverschieden große Temperatursprünge bei zwei Ausgangstempe­raturen (Nach Tichy und Lohus 1987).

Page 21: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

11.2 Temperatur- und Feuchterezeption 301

Abb. 11-25: Thermorezeptor in den Grubenorganen des Prachtkäfers Melanophila acuminata. Die Organe liegenventrolateral am anterioren Metathorax. unmittelbar neben den Coxen des mittleren Beinpaares (s. Einschaltfigur in a). ARasterelektronenmikroskopische Aufnahme mehrerer Köpfchen von Infrarot-Rezeptoren, die jeweils mit einer Wachsdrüse (WD)assoziiert sind. B Schema eines Grubenorgans. Es ist vollständig von einem dreidimensionalen Geflecht aus Wachsfilamentenausgefüllt (nicht dargestellt), die von den Wachsdrüsen gebildet werden. Dieses Wachsgeflecht lässt die Infrarotstrahlung zu denRezeptoren durchdringen, vermindert aber Luftbewegungen im Grubenorgan. C Schema des Aufbaus eines Sensillums. Die vonaußen sichtbare Aufwölbung enthält eine Cuticulakugel mit Bereichen unterschiedlicher Strukturierung. Die Kugel wird vonMesocuticula bedeckt und istansonsten von einem dünnen Plasmasaum umgeben, der von den Ausläufern der trichogenen (Tr) undtormogenen (Ta) Zelle gebildet wird. Das Sensillum enthält eine ciliäre Sinneszelle, die imAußensegment ihres Dendriten einenTubularkörper besitzt, der exzentri sch in der Cuticula inseriert. (Th: Thecogene Zelle). (Modifiziert nach Vondran et al 1995)

sätze der Sinneszellen mechanisch zur Erzeugungvon Generatorpotentialen anregt (vergl. übernäch­ster Absatz) . Der Mechanismus der Transduktionbei thermorezeptiven Neuronen ist noch nicht ge­klärt.

Eine besondere Form eines thermoempfindli­chen Sinnesorgans ist ein ventrolateral gelegenes,grubenförmiges Organ am Metathorax desPrachtkäfers Melanophila acuminata, an dessenBasis ca. 50-100 Sensillen liegen (Abb. 11-25). Je­des Sensillum ist mit einer Wachsdrüse assoziiert(Abb.11-25 A, B); es besteht aus einem rundenKöpfchen, das von Mesocuticula umgeben ist undim Inneren aus Lamellen von Endocuticula be­steht, die ihrerseits von Ausläufern der torrno­genen und trichogenen Zelle umgeben sind(Abb. 11-25 C). In die Lamellen des Köpfchensragt die Spitze des Außensegments einer Sinnes­zelle hinein, die wie bei einem Mechanorezeptor

einen Tubularkörper besitzt (vergleiche mitAbb. li-I). Der äußere Rezeptorlymphraum wirdhier ausschließlich von der trichogenen Zelle ge­bildet.

Die Vorstellung über die Funktionsweise einessolchen Sensillums als Thermorezeptor ist, dassInfrarotstrahlung mit Wellenlängen um 3 um dieEndocuticulalamellen im Inneren des Köpfchensausdehnt und dies eine Deformation des Tubular­körpers des Rezeptoraußensegments bewirkt. Diebiologische Bedeutung solcher Thermorezeptorenliegt darin , dass die Larvalentwicklung bei diesemKäfer im Holz von Bäumen stattfinden muss, dasdurch Feuer zerstört wurde. Käfer beiderlei Ge­schlechts werden durch Waldbrände in Scharenangelockt ; Paarung und Eiablage können schonstattfinden, wenn das Feuer noch nicht verloschenist. Daher müssen Rezeptoren mit entsprechenderEmpfindlichkeit vorhanden sein, die die Infrarot-

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302 11 Sinnesphysiologie

Nes"emperatur(OC)

RelativeNestluftfeuchle (%)

luftlemperalur: 29.7·e

-:.~rBesledelungsdlchte

(Artlertemnenl

tf@J\?\ ,~''10':::--. .-/-'" .' --~

Abb. 11·26: Mikroklima und Besie­delungsdichte im Nest der RotenWaldameise (Formica polyctena) wäh­rend eines heißen, sonnigen Sommer­tages (oben) und einer Kälteperiode(unten). Das schraffierte Areal zeigt denOrt an, wo Puppen (P) gehalten wer­den. (Modifiziert nach Coenen-Staß1988)

strahlung als Folge eines Waldbrandes aus großerEntfernung wahrnehmen können, wofür die Sin­neszellen in den Grubenorganen hervorragend ge­eignet sind .

Die bisher geschilderten Rezeptoren wie z.B. diethermo-/hygrosensitiven Triaden sind aufgrund ihrerLage und ihres Baues darauf ausgelegt, äußere Tem­peratur- und Feuchtereize wahrzunehmen. Für Insekten,die in der Flugvorbereitungihre Flugmuskulaturvorwär­men müssen (viele Hymenopteren, Käfer, Schmetter­linge, etc., Abb. 11-28) oder die ein auf die jeweiligenVerhaltensumstände abgestimmtes thermoregulatori­sches Verhalten zeigen wie die Honigbiene muss ange­nommen werden, dass sie auch ihre Körpertemperaturmessen können. Über die Natur solcher internen Ther­morezeptoren ist wenig bekannt. Bei der Schabe Peri­planeta americana wurde festgestellt , dass eine künstlicheErwärmung des Kopfes die Flugbereitschaft deutlichherabsetzt, nicht aber eine Erwärmung des Metathorax.Daraus ließ sichschließen, dass die Rezeptoren und/oderdie Kontrollzentrenzur Verhinderung einer Überhitzungdurch zu langen Flug nicht im Metathorax, dem Sitz derFlugmuskulatur, sondern eher im Kopf oder im Pro­thorax zu finden sind. Obwohl auch im ZNS von In­sekten Neurone gefunden wurden, deren Aktionspoten­tial-Frequenz sich mit der Temperatur ändert, konnteeine Funktion als Thermorezeptor noch nicht schlüssignachgewiesen werden.

11.2.2 Thermorezeption undVerhalten

Für kleine Tiere wie Insekten, deren Körpermasseund Wärmekapazität sehr gering sind, ist es be­sonders wichtig, über Temperatur und Feuchte derumgebenden Luft informiert zu sein. Zwar bietetdie Cuticula einen relativ guten Schutz vor Aus­trocknung, doch ist auch die Menge an Körper-

flüssigkeit gering. Eine Arbeitsbiene z. B. hat beieiner Körpermasse von 90-110 mg nur ein Hämo­lymphvolumen von etwa 15-20 ul, Zudem wirdauch bei der Atmung über das TracheensystemFeuchtigkeit abgegeben. Für einzeln lebende In­sekten wie z. B. Heuschrecken besteht daher einwichtiger Teil der Überlebensstrategie darin, überÄnderungen der Temperatur- und Feuchteverhält­nisse jederzeit informiert zu sein, um möglichstrasch Bereiche mit günstigerem Mikroklima auf­suchen zu können.

Die rote Waldameise (Formica polyctena) hältsich in einer Klima-Wahlapparatur bevorzugt beieiner Temperatur von 29 ± 2,3 °C und einer rela­tiven Luftfeuchte von 88 ± 12% auf. An warmen,sonnigen Sommertagen meiden sie meist die be­sonntenTeile an der Oberfläche des Ameisenhü­gels und ziehen sich in den kühleren Schattenzurück. Im Hügel besteht dann ein erheblicherTemperaturgradient zwischen Nestrand und Nest­innerem: die oberen Nestbereiche können Tem­peraturen bis über 35°C annehmen, während dieTemperaturen im Nestinneren deutlich niedrigerliegen . Die relative Luftfeuchte im Nest beträgt imZentrum 100% und fällt entsprechend den höhe­ren Temperaturen zur Oberfläche hin ab (Abb. 11­26). An kühlen Tagen hingegen ist es im Zentrumdes Nestes am wärmsten und an der Oberflächeam kühlsten, und die relative Nestluftfeuchtesteigt fast im ganzen Nest auf 100% an. DieVerteilung der Tiere im Nest folgt dann nicht demFeuchte-, sondern dem Temperaturgradienten(Abb. 11-26). Damit die Brut immer ihrem Vor­zugsklima ausgesetzt ist, wird sie innerhalb desNestes entsprechend verlagert.

Präzise Information über die Umgebungstem­peratur ist für das Überleben der SilberameiseCataglyphis bombycina (Formicidae) in der Zen-

Page 23: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

11.2 Temperatur- und Feuchterezeption 303

42 Thorax -<>- Gehen ...... Schwänzeltanz __ Verfüttern

A

02:0001:30

-----------

00:30

G'~ 40:::>

N~ 38 CaputE2~ 36

1.3,'"~ 34.0o

32 .........---.,.......-~...,...~_---,r---~ ...00:00

Abb. 11-28: Regelung der Körpertemperatur bei derHonigbiene (Apis mellifera). A Infrarot-Thermogramm einerBiene, die beim Trinken eines Tropfens Zuckerwasser ihre thora­kale Flugmuskulatur zur Flugvorbereitung aufheizt. Aufgrundder hohen Wärmeverluste wird die Thoraxtemperatur aufUmge­bungsniveau abgesenkt, wenn keine erhöhte Aktivität der Flug­muskulatur erforderlich ist. Der Graustufenskala am rechtenBildrand entsprechen nach oben ansteigend Temperaturschrittevon 0,6 -c Kopf: 25,8 oe,Thorax: 28,8 oe, Abdomen: 26,1 oe.Umgebungstemperatur: 25,1 "C. (nach Schmaranzer und Sta­bentheiner 1988) B Oberflächen-Temperaturen einer Sammel­biene während eines Aufenthaltes im Bienenstock. Die Tem­peratur des Thorax wird während des gesamten Sammelzyklusauf hohem Niveau reguliert. Pfeil: Biene verlässt den Stock.(Verändert nach Stabentheiner und Hagmüller 1991)

B

Wärme u.a. auch, um die Temperatur des Brut­nestes im Bereich von 34-36 "C zu regulieren.Sinkt die Stocktemperatur ab, rücken die Bienenzur besseren Isolation zusammen und heizen ver­stärkt mit der Flugmuskulatur, steigt sie an, wirdzuerst die Luftzirkulation im Stock durch Flügel­fächeln erhöht. Wenn auch das nicht ausreicht ,wird Wasser eingetragen und und zur Kühlungdurch Verdunstung auf den Waben verteilt. In derbrutlosen Zeit, wenn sich die Bienen in gemäßig­ten und kühlen Breiten zur Wintertraube zusam­menschließen, wird deren Kerntemperatur auchdann im Bereich von etwa 20-32 "C gehalten ,

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~0 06 8 10 12 14 16 18

Tageszeit (h)

tralsahara besonders wichtig. Diese Ameise zeich­net sich dadurch aus, dass sie ihre Sammeltätigkeitauf ein kurzes zeitliches Fenster von nur etwa 10Minuten in der Mittagszeit beschränkt. Die Tem­peratur des Wüstenbodens erreicht dann Werte bis60 "C, Sobald die Lufttemperatur in der Höhe desAmeisenkörpers (d.h . 4 mm über dem Wüsten­boden) auf 46,5 "C angestiegen ist, verlassen alleAußendiensttiere schlagartig das Nest (Abb. 11­27), während sich andere Wüstenameisen bereitsbei Oberflächentemperaturen von 25-45 "C in ihreunterirdischen Nester zurückziehen. Die Sammel­tätigkeit wird beendet, bevor die Körpertempe­ratur tödliche Werte von etwa 53-55 "C erreicht .Damit die Sammeltätigkeit bei diesen extremenAußentemperaturen überhaupt möglicht ist, sinddie Silberameisen darauf angewiesen, zumindest30% der Zeit in thermischen Refugien auf ver­trockneten Pflanzenstengeln zuzubringen , wo dieTemperatur um mehrere Grade niedriger ist als4 mm über dem Wüstenboden. Der Grund fürdieses extreme Verhalten ist im Feinddruck durcheine Wüsteneidechse (Acanthodactylus dumerili)zu suchen, die die Jagd auf die Silberameisen erstbei Temperaturen einstellen muss, bei denen dieAmeisen gerade das Nest verlassen. Den Ameisenbleibt für die Sammeltätigkeit also nur ein kleineszeitliches und thermisches Fenster, in dem sie ei­nerseits ihren Feinden entgehen können, ohne an­dererseits an Hitzestress zu sterben.

Einige soziale Insekten wie Bienen sind dazuübergegangen, im Nest optimale Temperatur- undFeuchteverh ältnisse aktiv herzustellen. Wie vieleflugfähige Insekten heizen Bienen ihre Flugmus­kulatur schon vor Flugbeginn ohne sichtbare Flü­gelbewegungen auf die erforderlichen Werte vor(Abb. 11-28). Sie verwenden die dabei entstehende

Abb. 11-27: Temperaturabhängigkeit der Sammelaktivi­tät vonAmeisen. ZeitlichesAuftreten der Sammelaktivität derSilberameise (Cataglyphis bombycina) in der Zentralsahara imVergleich zu einer anderen Ameise (c. bicolot), die in etwasgemäßigteren Breiten lebt. Gemessen wurde die Zahl der Amei­sen, die pro Minute das Nest verließen. (Nach Wehner, Marshund Wehner 1992)

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304 11 Sinnesphysiologie

wenn die Außentemperatur weit unter 0 °C ab­sinkt. Eine der wichtigsten Voraussetzungen fürdie soziale Thermoregulation ist die Fähigkeit desIndividuums, sowohl die Umgebungs- als auch dieKörpertemperatur messen zu können. Die erfor­derliche Bestimmung von absoluter Temperaturund Temperaturänderungen wird mithilfe einesempfindlichen Temperatursinnes bewerkstelligt.In Verhaltensversuchen wurde nachgewiesen, dassBienen (ähnlich wie Ameisen) in der Lage sind,Änderungen der Umgebungstemperatur von nur0,25 °C wahrzunehmen . Da dieser Befund auf ei­ner Verhaltensantwort beruht, ist dies nur einMindestwert für die Empfindlichkeit des Tem­peratursinnes. Wahrscheinlich ist die Unter­schiedsempfindlichkeit der Rezeptoren noch grö­ßer.

11.3 ChemorezeptionManfred Kaib

11.3.1 Einleitung

"Alle Bäume, kann man sagen, haben Würmer,aber manche wie Feigen und Äpfel weniger alsandere, wie der Birnbaum. Allgemein ausge­drückt, die, die von Würmern weniger befallensind, haben einen bitteren , sauren Saft." DieseBeobachtung ermöglichte Theophrast etwa 300Jahre vor Christus nicht nur die wohl erste che­misch-ökologische Aussage, sondern er wies zu­mindest indirekt auf einen chemischen Sinn beiInsekten hin. Im ausgehenden 18. und im 19.Jahrhundert wurden chemische Sinnesorgane derInsekten näher beschrieben und deren Funktionerkannt. Jedoch erst in den 50er- und 60er-Jahrendes vorigen Jahrhunderts, als sich morphologischund physiologisch arbeitende Entomologen mitChemikern zu interdisziplinären Arbeitsgruppenzusammenfanden, gelang der eigentliche Durch ­bruch zum Verständnis des chemischen Sinnes derInsekten . Karlson und Lüscher führten 1959 fürchemische Signale, die von Insekten als Geruchs­stoffe oder Geschmacksstoffe abgegeben und beiArtgenossen charakteristische Verhaltensmusteroder spezifische physiologische Prozesse regulie­ren, den Begriff Pheromon ein. Dietrich Schneiderund seiner Arbeitsgruppe und Schule gelang es inden folgenden Jahren, Morphologie und Physio­logie geruchsempfindlicher Sinnesorgane und Sin­neszellen zu erfassen, die in verschiedenen In­sektengruppen solche chemischen Signale wahr­nehmen. Etwa zeitgleich begannen die Arbeits-

gruppen von Dethier und von Morita denGeschmackssinn der Insekten , vorwiegend der ca­lyptraten Fliegen, zu erforschen und fassten späterihre Arbeiten und die anderer zusammen.

11.3.2 Biologische Bedeutung deschemischen Sinnes

Der chemische Sinn besitzt für Insekten eine über­aus große Bedeutung sowohl bei der Wahl desHabitates oder der Nahrung als auch bei derWahrnehmung chemischer Signale während derKommunikation, wahrscheinlich mehr als in an­deren Tiergruppen . Anhand von Pflanzeninhalts­stoffen suchen und wählen phytophage Insektenihre Futterpflanzen oder sie werden durch solcheInhaltsstoffe abgewehrt. Auch koprophage undomniphage Insekten bedienen sich während derNahrungswahl chemischer Signale, wobei diese In­sekten vielfach eine erstaunlich hohe Anzahl ver­schiedener chemischer Substanzen wahrnehmenund als Informationsträger verarbeiten können.Blattminierer entscheiden anhand des Buketts che­mischer Reize aus den Pflanzen, ob das Substratfür die Eiablage und die Entwicklung der Larvengeeignet ist. Vergleichbares gilt auch für die großeGruppe jener Insekten, die ihre Eier auf Aas oderKot ablegen. Schießlieh markiert zum Beispiel dieKirschfruchtfliege Kirschen chemisch, wenn siemit einem Ei belegt worden sind, wodurch eineZweitbelegung der Kirsche und eine Konkurrenzum die limitierte Nahrungsressource Kirsche ver­hindert wird (s. 21 .3.2.3).

ChemischeSignale dienen auch der intraspezifi­schen Kommunikation. Zwischen den Geschlech­tern werden in der Regel artspezifische Sexual­lockstoffe eingesetzt, mit deren Hilfe Männchenzum Teil über große Entfernungen zu den Weib­chen finden. Auf die hierzu nötigen Orientierungs­leistungen der Empfänger der Signale und dieerstaunliche Empfindlichkeit der Chemorezepto­ren wird später eingegangen. Während des Balz­verhaltens und der Kopula , aber auch in der Post­kopulaphase, setzen die Geschlechtspartner wei­tere chemische Signale ein, mittels derer denMännchen die Paarungsbereitschaft eines Weib­chens, den Weibchen die Fitness eines Männchensoder die bereits erfolgte Kopula gegenüber an­deren Männchen angezeigt wird. Häufig sind esGemische von chemischen Substanzen , die ganzeHandlungsketten auslösen und steuern. Hierbeikönnen Hauptkomponenten selbst wenig attraktivsein, und es bedarf zusätzlich oft nur in Spuren­konzentrationen vorhandener Nebenkomponen­ten, um die volle Wirksamkeit des Signals zu er­reichen.

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Innerartliehe chemische Kommunikation dient jedochnicht nur dem Paarungsverhalten. Kommunikation mit­tels chemischer Signale wird bei sozialen Insekten als eineKlammer für die komplexen Sozietäten angesehen (s.Kap. 14). Für soziale Insekten sind bislang 63 verschie­dene exokrine Drüsen beschrieben, aus denen kontextab­hängig unterschiedliche Sekrete als chemische Signaleabgegeben werden können. Solche Signale werden zurErkennung der Arten, der Nestgenossen und wahr­scheinlich auch der Kastenzugehörigkeit und des Domi­nanzgrades einzelner, meist reproduktiver Individuenherangezogen. Sie dienen sozialen Insekten zum Markie­ren von Nesteingängen oder Territorien und während derSuche nach Nahrung oder neuen Nistplätzen zum Mar­kieren der Wege. Und sie dienen schließlich zum Rekru­tieren von Nestgenossen zu Nahrungsquellen oder zuOrten, an denen Nestbau nötig ist oder Konkurrentenoder Feinde abgewehrt werden müssen.

Der chemische Sinn lässt sich untergliedern inGeruchssinn und Geschmackssinn. Mit dem Ge­ruchssinn werden flüchtige chemische Verbindun­gen meist über eine größere räumliche Distanzhinweg wahrgenommen. Die Ausbreitung desDuftreizes erfolgt entweder durch Diffusion in derLuft oder durch Konvektion in einer Luftströ­mung. Diffusion tritt häufig in nach außen weitge­hend geschlossenen Räumen wie zum BeispielBrutkammern, unterirdischen oder tunnelartigüberbauten Furagierarealen oder in Nestern vielersozialer Insekten auf. VieleAmeisen und Termitenlegen Duftspuren, auf denen sie selbst oder Nest­genossen sich orientieren. Durch die Diffusion desSpurpheromons entsteht ein .Dutttunnel", dessenDuftkonzentration mit der Distanz zur Spurmitte,der Reizquelle, abnimmt. In einem solchen Duft­gradientenfeld zeigen die der Spur folgenden In­sekten in der Regel Chemo-Tropotaxis, indem siemit einem paarigen Sinneseingang (Antennen) dieDuftkonzentration messen und bei einer Erre­gungsdifferenz beider Sinneseingänge so langeeine Wendetendenz zur Seite der höchsten Duft­konzentration durchführen, bis eine Erregungs­symmetrie vorliegt. Solche tropotaktischen Orien­tierungsleistungen sind auch für Blütenbesucherbeschrieben, sofern sie sich im Nahfeld der Duft ­quelle befinden, oder für Insekten, die den Son­nenkompass zur Orientierung über große Entfer­nungen einsetzen, aber in unmittelbarer Umge­bung des Nesteinganges auf chemische Orientie­rung umschalten . Manche Insekten hingegen"tasten" Duftgradientenfelder mittels Pendelbe­wegungen des Körpers oder beider Antennen ab;sie nutzen Chemo-Klinotaxis. Konvektion eineschemischen Reizes erfolgt in der Regel nicht inlaminaren Luftströmungen, wodurch verwirbelteDuftfahnen entstehen , in denen die Duftkonzen­tration nicht von der Entfernung zur Duftquellealleine abhängt und zudem der Reiz in Form vondiskontinuierlichen Duftwolken eintrifft. In sol-

11.3 Chemorezeption 305

chen Fällen ist eine chemotaktische Orientierungnicht möglich, sondern der Geruchsreiz, wenn erwahrgenommen wird, löst eine Windorientierungaus (Anemotaxis) , die das Insekt letztlich auch zurDuftquelle führt, da der Geruchsreiz von derDuftquelle ausgehend vom Wind verdriftet wird.Geruchsrezeptoren der Insekten besitzen charak­teristischerweise eine extrem hohe Empfindlichkeitund sind z.B. zur Wahrnehmung von Futterdüftenvielfach befähigt, hochkomplexe Duftgemische zudiskriminieren.

Geschmacksreize sind nicht oder nur wenigflüchtig. Sie liegen meist in Wasser gelöst vor oderwerden als Feststoff mittels spezieller Carriersys­teme bis an die Rezeptorzellen transportiert. Umden Geschmackssinn erregen zu können, müssenGeschmacksrezeptoren daher in direkten Kontaktmit der Reizsubstanz treten, weshalb Geschmacks­sensillen auch kontaktchemosensitive Sensillen ge­nannt werden. Geschmacksreize sind bedeutendbei der Wahl und der Kontrolle der Nahrung oderder Eiablageorte. Geschmacksrezeptoren besitzenin der Regel nur eine geringe Empfindlichkeit,jedoch meist eine hohe Spezifität für bestimmteSubstanzen. In jüngerer Zeit mehren sich in derLiteratur Hinweise, dass nichtflüchtige cuticuläreOberflächensubstanzen bei der Arterkennung so­wie bei sozialen Insekten sogar der Erkennung vonNestgenossen und Nestfremden eine wesentlicheRolle spielen. Da diesen Erkennungsprozessengrunds ätzlich ein direkter Kontakt zwischen denIndividuen vorausgeht , nimmt man an, dass derGeschmackssinn auch in diesem Kontext eine in­formationsvermittelnde Rolle spielt. Koloniespezi­fische Signale in Form einzelner Verbindungensind bislang nicht beschrieben, hingegen stellensich art- oder koloniespezifische Merkmale inForm einer komplexen chemischen Gestalt dar, diesich aus einer Mischung vieler Substanzen ergibt.Man muss daher annehmen, dass es neben denhochspezifischen Geschmacksrezeptoren auch sol­che gibt, die sich zur Diskriminierung chemischerMuster eignen.

Eine besondere Form des Geschmackssinnsstellt die Empfindlichkeit für Wasser dar. Andersals die im vorigen Kapitel beschriebenen Hygrore­zeptoren reagieren die Wasserrezeptoren nicht aufWasserdampf, sondern nur auf das Wasser selbst.Diese Sinnesleistung ermöglicht es den Insekten,Wasserqualität, also z.B. den Salzgehalt im Was­ser, zu testen und stellt damit eine wichtige Vor­aussetzung für die kontrollierte Wasseraufnahmeund somit auch für die Homöostase des Organis­mus dar. Solche Wasserrezeptoren wurden bislangbei allen daraufhin untersuchten Insekten gefun­den.

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306 11 Sinnesphysiologie

11.3.3 Struktur chemischerSinnesorgane undStrukturvielfalt

Die kleinste Einheit der chemischen Sinnesorganebei Insekten sind die Sensillen, deren Aufbau weit­gehend dem allgemeinen Typus der Insektensensil­len entspricht (Abb. 11-29). Zwischen den Epi­dermiszellen der Cuticula liegt eine Sinneszelleoder eine Gruppe von mehreren Sinneszellen, diein der Regel von drei Hüllzellen umgeben ist.Oberhalb dieser Sinneszellen differenziert sich dieCuticula zu einem Haar (oder einem Kegel), des­sen Wand bei chemischen Sensillen typische Diffe-

Abb. 11-29: Schematischer Aufbau eines chemosensi­tiven Sensillums. Von den zentral gelegenen Sinneszellen (SZ,hier nur eine dargestellt) ziehen die Axone (AX) eingebettet ineiner gliaähnlichen Hülle bis ins Zentralnervensystem und dieDendriten (D) distal ins Haarlumen. Dort werden die Dendri­tenaußensegmente von der Sensillenlymphe (Sl) umspült. DerHaarschaft (HS) ist aus cuticulärem Material (C) gebildet undzeigt unterschiedlich starke Differenzierungen (5. auch Abb. 11­30 und 11-33). Die Sinneszellen sind von drei Hüllzellen, derthekogenen (TH), der trichogenen (TR) und der tormogenen(TO), umgeben und in der Epidermis (E) eingebettet. Bei man­chen Sensillentypen bildet die thekogene Zelle eine Dendriten­scheide (DS) aus, die die Dendritenaußensegmente vom Re­zeptorlymphraum (Rl) abtrennt. Zwischen den Hüllzellen undden Epidermiszellen verfestigen Desmosomen (DE) und .septa­ted junctions" (SJ) die Interzellularräume und dichten denSensillenlymphraum gegenüber der Hämolymphe ab. (Original­zeichnung von U. Wolfrum)

renzierungen aufweist. Die Dendriten der chemo­sensitiven Sinneszellen ziehen in das Haarlumenein.

Während der Häutung des Insektes bilden diedrei Hüllzellen verschiedene Teilstrukturen derSensillen aus. Die äußerste Hüllzelle, die tormo­gene Zelle, bildet den Haarsockel und das bei denmeisten Geschmackssensillen vorhandene Gelenkan der Haarbasis, die mittlere, die trichogene Zelle,den Haarschaft mit den die Haarwand durch­dringenden Poren oder Kanälen und die innerste,die thekogene Zelle, die Dendritenscheide, die dasoder die Dendritenaußensegmente umgibt und sovom äußeren Rezeptorlymphraum abtrennt. Den­dritenscheiden sind allerdings bei vielen Riech­sensillen nicht oder nicht vollständig ausgebildet.In voll entwickelten und funktionstüchtigen Sen­sillen haben sich die tormogene und die trichogeneZelle aus dem Haar zurückgezogen, vergrößerndurch Auffaltung ihre apikale Membran und bil­den den äußeren Rezeptorlymphraum, der bis indas Haarlumen hineinreicht. Die Interzellular­räume zwischen Sinneszellen und Hüllzellen sinddurch Desmosomen und "septated junctions" ver­festigt und wahrscheinlich elektrisch abgedichtet,wodurch ein geschlossenes Epithel entsteht undder äußere Rezeptorlymphraum gegenüber derHämolymphe abgetrennt wird (Abb. 11-29). In derapikalen Membran der tormogenen und der tri­chogenen Zelle wurde eine hohe Anzahl von elek­trogenen K+-Na+-Pumpen gefunden, die ein trans­epitheliales Potential erzeugen: Der äußere Re­zeptorlymphraum ist kaliumreich und positiv ge­genüber der Hämolymphe geladen und steht mitdem Sensillenlymphraum im Haarlumen in Ver­bindung .

Bei Geschmackssensillen durchziehen in der Re­gel zwei Lumina die ganze Länge des Haares.Eines der beiden Lumina ist innerviert; die Den­driten der kontaktchemosensitiven Sinneszellenziehen unverzweigt bis zur Haarspitze und endenan einem terminalen Haarporus (Abb. 11-30). Diesgilt auch für die Wasserrezeptoren, die in derRegel mit anderen kontaktchemosensitiven Sin­neszellen in einem Sensillum gemeinsam vorkom­men. Eine viskose Flüssigkeit füllt diesen Haar­porus aus. Sie ist an der Reizübertragung festerGeschmacksstoffe beteiligt, die durch die wässrigeFlüssigkeit diffundieren oder mittels Bindeprotei­nen bis hin zu den Dendritenenden transportiertwerden. Der Haa rschaft ist steifwandig ausgebil­det und meist längs gerillt und mittels eines Ge­lenkes elastisch mit der Cuticula verbunden . Zu­sätzlich zu den kontaktchemosensitiven Zellentritt bei den meisten Insekten eine mechanosen­sitive Zelle auf, deren Dendrit mit dem für Me­chanorezeptoren typischen Tubularkörper in derGelenkstruktur an der Haarbasis endet (s. Kap.

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11.3 Chemorezeption 307

B

o

Abb. 11-32: Chemosensitive Sensillen der Insekten va­riieren in ihrer äußeren Morphologie. Diese Typisierungbezieht sich nur aufdie äußere Form der Sensillen und berück­sichtigt nicht die Differenzierung der Haarwand. Auf der An­tenne des Nachtpfauenauges Antherea polyphemus findet manA fadenförmige bis 370 11m lange Sensilla trichodea sowie Bnur 6-12 11m lange S. basiconica. C S. coeloconica der Heu­schrecke Locusta migratoria, D S. ampullacea auf der Antenneder Honigbiene Apis mellifera. EEinen besonderen Sensillentyp,die Porenplatten oder S. placodea, findet man bei einigenHymenopteren; das Beispiel stammt von der Honigbiene. Poren­platten können über 50 Sinneszellen enthalten. F Bei calyp­traten Fliegen (Beispiel: Sarcophaga argyrostoma) enthalten dieindie Oberfläche des Funiculus eingesenkten Gruben ein dichtesFeld von Sensillen. Die Öffnungen der Gruben weisen in dieRichtung, aus der der Wind während des Fluges anströmt.Maßstab in A - D: 1011m, in E: 111m. (Nach Kaissling 1971)

11.1). Sie wird erregt, wenn die Haarspitze aufeinen festen Untergrund auftrifft, das Haar alsoausgelenkt wird. Geschmackssensillen sind folg­lich bimodal. Entsprechend ihrer biologischenBedeutung finden sie sich auf Mundwerkzeugenoder Rüssel, Antennen, Tarsen , Ovipositoren etc.(Abb. 11-31). Fliegen und Bienen zeigen beispiels­weise einen Rüsselstreckreflex , wenn sie mit ihren

Abb. 11-30: Geschmackssensillum. A Querschnitt durchden Haarschaft eines Geschmackssensillums von Drosophilamelanogaster. Die Dendriten (D) der drei Sinneszellen sind vonSensillenlymphe (SL) umgeben und ziehen bis zum terminalenPorus. C Cuticula, NL nicht innerviertes Lumen. Maßstab: 0,511m. B Rasterelektronische Aufnahme der Spitze eines Schmeck­haares aufdem Labellum der Schmeißfliege Boettcherisca pera­grina. Das innervierte Haarlumen endet am terminalen Porus(TP). Maßstab: 0,5 11m (A nach Steinbrecht 1992, B nachSteinbrecht 1984)

Abb. 11-31: Geschmackssensillen bei der Fliege Phor­mia regina. A Trifft eine Fliege mit einem Tarsus auf Zucker­lösung, so streckt sie ihren Rüssel zur Futtersuche aus. B Aufdem letzten Tarsalsegment der Vorderbeine kann man 4 mor­phologische Typen von Geschmackssensillen (a-d) unterschei­den. C Vorderfläche des ausgestülpten Rüssels. Zwischen denPseudotracheen (P) stehen 132 papillenförmige Geschmacks­kegel (K), die je von 4 Sinneszellen innerviert sind. D Sicht vonmedian aufein Labellum (Rüsselhälfte) mitGeschmackssensillenunterschiedlicher Länge. (Aus Boeckh in Gewecke 1995)

Tarsen ein zuckerhaltiges Substrat berühren. Beimanchen, vorwiegend hemimetabolen Insektenbilden Geschmackssensillen auf der Unterseite derPalpen dichte Haarpolster, die durch Änderungdes Hämolymphdruckes eingeklappt oder ausge­stülpt werden können.

Geruchssensillen besitzen eine erstaunlicheStrukturvielfalt. Ihre Haarschäfte können lang

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308 11 Sinnesphysiologie

B

Abb. 11·33:Querschnitte durchden Haarschaft von Riechsensillen. A Sensillum miteinfacher Haarwand (Beispiel: Bombyxmod; Die Cuticula (C) ist von Porentubuli (Pt) durchdrungen, die eine Verbindung von der Luft zum Sensillenlymphraum (SL)herstellt. Durch diese Porentubuli werden die Duftmoleküle in diesen Sensillenlymphraum und zu den Dendriten (D) geleitet (s. auchAbb. 11 -34A, B). Maßstab 0,5 11m. BSensillum mitdoppelwandigem Haarschaft (Beispiel: B. mon; Bei diesem Sensillentyp dringendie Duftmoleküle durch Poren (P) in das Haarinnere ein, wobei die Moleküle durch duftstoffbindende Proteine transportiert werdenkönnen. Maßstab 0,5 11m. (Nach Steinbrecht 1992)

und fadenförmig, kurz und kegel- oder schlauch­förmig, keulenförmig oder kugelförmig sein sowieeinzeln oder in Gruppen in Gruben versenkt ste­hen (Abb. 11-32). Vom Grundtypus der haarför­migen Geruchssensillen, der in allen Insektenord­nungen vertreten ist, weichen die Porenplatten(Sensilla placodea) der Hymenopteren mit Reihenvon ringförmig angeordneten Cuticulaporen ab,unter denen die Dendriten der bis zu 50 Sinnes­zellen ebenfalls ringförmig verlaufen (Abb. 11 ­32 E). Ähnlich gebaute Porenplatten fand manauch bei einigen Käfern und Aphiden. Auch dieHaarwand zeigt charakteristische Differenzierun­gen, sie kann einfachwandig oder doppelwandigausgebildet sein (Abb. 11-33). Bei Sensillen miteinfacher Haarwand wird die Cuticula von einemPorentubulussystem durchbrochen, mittels dessendie Duftmoleküle aus der Luft bis in den Sen­sillenlymphraum und schließlich zu den Dendritengelangen können. Das klassische und auch bestun­tersu chte Beispiel für einfachwandige Sensillensind die über 100 11m langen , fadenförmigen Sen­silla trichodea des Seidenspinners Bombyx mori.Etwa 2600 Poren durchdringen die Haarwand ei­nes Sensillums. An einen äußeren Porenkanal ((/):10-20 nm) schließt sich ein Liquorkanal an , der imDurchmesser 50-100 nm misst und meist 4-8 Po­rentubuli ((/) : etwa 10 nm) enthält. Die Porentubuligehen vom Porenkanal aus und reichen in denSensillenlymphraum hinein (Abb. 11-37). Poren­kanäle und Porentubuli, deren Länge von derHaarwand abhängt, sind zum Außenmedium Luft

hin offen. Die unverzweigten oder auch verzweig­ten Dendriten der zwei oder mehr Sinneszellennehmen im Sensillenlymphraum Kontakt mit denPorentubuli auf. Porentubulisysteme wurden ineinfachwandigen Riechhaaren vieler Insektenfa­milien gefunden. Verglichen mit einfachwandigenSensillen sind doppelwandige Sensillen weniger gutuntersucht. Auch bei ihnen durchdringen Poren­kanäle die meist gerillte Haarwand, jedoch schei­nen diese Kanäle nicht mit Luft, sondern miteinem elektronendichten Material gefüllt zu sein.

Geruchssensillen finden sich vorwiegend aufden Antennen, wobei die ersten beiden (proxim a­len) Segmente selten mit chemosensitiven Sensillenbesetzt sind , wohl aber das Flagellum bzw. derFuniculus bei den meisten cyclorrhaphen Fliegen .Antennen zeigen bei Insekten in Größe und Formein hohes Maß an Variabilität und bei einigenFamilien, wie z. B. vielen Hymenopteren und Lepi­dopteren, einen ausgeprägten Sexualdimorphismus(Abb. 11 -34). Entsprechend variieren auch An­zahl, Typen und Verteilung der Sensillen. Bei he­mimetaboien Insekten stehen die chemosensitivenSensillen verschiedener morphologischer Typendurchmischt in einem lockeren Verbund auf denAntennensegmenten. Meist findet man zwischenden Geruchssensillen auch thermo- und feuchte­sensitive Sensillen sowie Geschmacksborsten, diedie anderen Sensillen in der Regel aufgrund ihrerLänge überragen (Abb. 11-35). Bei holometabolenInsekten sind die Antennensegmente häufig miteinem dichten Besatz von Sensillen pelzartig über-

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11.3 Chemorezeption 309

Abb. 11-35: Chemosensitive Sensillen der Insektenwei­sen eine große morphologische Vielfalt auf.A Die Anten­nenäste (Ausschnitt) der Männchen des Seidenspinners Bombyxmori sind einseitig mit Reihen von langen Sensilla trichodea (L)besetzt, die gemeinsam mit denen auf benachbarten Anten­nenästen eine "Reuse" bilden (s. auch Abb. 11-36). Zwischendiesen Sensillen stehen halblange S. trichodea (H) und große (G)und kleine (K) S. basiconica. Alle Sensillen enthalten Ge­ruchsrezeptoren. BTermite Schedorhinotermes lamanianus, Aus­schnitt aus einem Antennensegment. Die einfachwandigen Ty­pen SW1 und SW2 und der doppelwandige Typ DW sindolfaktorische Sensillen, die Sinneszellen des poren losen TypesNP reagieren aufFeuchte und Temperatur und das alle anderenin der Länge weit überragende Sensillum mit einem terminalenPorus (TP) enthält Geschmacksrezeptoren. (Nach Steinbrecht1973 und Originalaufnahme)

Futterdüften dient. Wenn auch nicht ähnlich deut­lich ausgeprägt wie beim Sexualdimorphismusmancher Insekten, so findet sich auch bei den stetssozial lebenden Termiten ein kastenspezifischerPolymorphismus. Arbeiter verfügen über eine hö­here Anzahl von einfachwandigen Sensillen als dieSoldaten. Auch die Häufigkeit eines Types vonGeschmackssensillen (TP III) , der einen Wasser­rezeptor enthält, ist bei den Arbeitern höher alsbei Soldaten.

Abb. 11-34: Die Antennender Insektentragen den über­wiegendenAnteil der Geruchsrezeptoren undauchvieleGeschmacksrezeptoren. Die Antennengeißeln zeigen ein ho­hes Maß an Variabilität und mitunter einen ausgeprägtenSexualdimorphismus. A Honigbiene Apis mellifera (Länge derAntennengeißeln bei Drohnen: 3,8mm, bei Arbeiterinnen:2,7 mm). B Totengräber Nicrophorus vespilloides (Länge derAntenne bei Männchen: 3,5mm). C Fliege Sarcophaga (Längedes Funiculus: 1mm). D Scarabaeide Rhopaea (Länge derAntenne bei Männchen: 2,7 mm). ENachtpfauenauge Anthereapolyphemus (Länge der Antennengeißel bei Männchen: 18mm,bei Weibchen: 15mm). F Termite Schedorhinotermes lamania­nus (Länge der Arbeiterantenne: 1,1 mm). (A-E nach Kaissling1987, FOriginalzeichnung)

zogen, bestimmte Sensillentypen können in ho­mogenen Feldern auftreten oder, wie bei den Mus­eiden, auch in Antennengruben versenkt stehen(Abb. 11-32 F). Einen auffälligen Sexualdimor­phismus findet man bei Häufigkeit und Verteilungbestimmter Sensillentypen (Tab. 11-2). Drohnenvon Honigbienen verfügen auf ihren Antennenüber eine große Anzahl von Sensillen, die aufWeibchenlockstoff spezifisch reagieren. SolcheSensillen und damit die pheromonspezifischenSinneszellen fehlen den Weibchen und Arbeiterin­nen. Der Sexualdimorphismus bei der Sensillen­ausstattung der amerikanischen Schabe (Peripla­neta americana) ist anders ausgeprägt. Männchenund Weibchen verfügen auf der Antenne zwarüber dieselben morphologischen Sensillentypen,jedoch fehlen den Weibchen die Sinneszellen, dieden Sexuallockstoff wahrnehmen . Ähnlicheswurde für den Seidenspinner (Bambyx mari) be­schrieben, bei dem man bei Männchen und Weib­chen denselben morphologischen Sensillentyp(lange Sensilla trichodea) findet, der bei Männ­chen die Sexuallockstoffrezeptorenenthält, bei denWeibchen hingegen alleine der Wahrnehmung von

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310 11 Sinnesphysiologie

Tab. 11-2: Sexual- und Kastendimorphismus bei der Häufigkeit bestimmter Sensillentypen auf den Antennen verschiedenerInsekten. (Nach Steinbrecht 1973, Wolfrum und Kaib 1988, Boeckh in Gewecke 1995)

Insektenart Sensillentyp Sensillenzahl pro Antenne Reaktion der Zellenauf:

amerikanische Schabe Typ swB d 37000 WeibchenlockstoftPeriplaneta americana Futterdüfte

« 6000 nur Futterdüfte

Seidenspinner S. trichodea d 17000 WeibchenlockstoffBombyx mori « 0

Termite SW-Sensillen Arbeiter 1150 verschiedene DüfteSchedorhinotermes Soldat 900 z.B.: Futterinhalts-

lamanianus TPIII-Sensillen Arbeiter 280 stoHe, chemischeSoldat 170 Signale

11.3.4 Reizleitung zu denSinneszellen

Duftreize breiten sich in der Luft aus oder werdendurch sie transportiert. Bei einer konstanten Duft­stoffkonzentration erreichen um so mehr Duftmo­leküle die Geruchsrezeptoren, je mehr Luft proZeiteinheit über die Antennen streicht. Für flie­gende Insekten stellt sich die Konvektion der Luftüber die Antennen durch die Fortbewegung ein,ruhende oder langsam laufende Insekten wedelnmit ihren Antennen, um Duftmoleküle einzufan-

Abb. 11-36: Zwei Segmente aus dem distalen Anten­nenbereich eines männlichen Nachtpfauenauges (An­therea polyphemus). Jedes Geißelsegment trägt zwei Ast­paare, auf denen lange Sensilla trichodea in Reihen stehen undeine Reuse bilden. Während des Fluges strömt bei normalerAntennenhaltung die mit dem Sexuallockstoff beladene Luftüber den Antennenstamm in die Reuse hinein (inder Abbildungvon links). Der Pfeil zeigt in Richtung Antennenspitze. Maßstab:0,2mm. (Nach Boeckh et al. 1960)

gen. Männchen vieler nachtaktiver Schmetter­lingsarten zeigen eine auffällige Differenzierungder Antennen, mittels derer sie die Zahl der einge­fangenen Duftmoleküle und somit ihre Empfind­lichkeit für bestimmte Düfte, meist Sexuallock­stoffe, erhöhen. Die Antennen der männlichenNachtpfauenaugen (Saturniidae) sind stark gefä­chert. Von jedem Segment der Antennengeißelgehen zwei Paar von Antennenästen aus. So ent­steht eine gesamte Antennenumrissfläche von85 mrrr', die bei normaler Antennenhaltung ineiner Ebene parallel zur Querschnittsebene desTieres liegt. Dadurch bieten Antennen frontal an­strömender Luft einen größtmöglichen Wider­stand. Sensilla trichodea stehen in Reihen so aufden Antennenästen angeordnet, dass sie zusam­men mit den Seitenästen eine reusenartige Struk­tur bilden (Abb. 1/-36). Sensillen und Seitenästemachen zusammen mit 20 mrrr' etwa 30% derUmrissfläche aus. Überraschenderweise werdenaber fast 80% der mit der Luft durch die Anten­nen strömenden Duftmoleküle aus der Luft gefil­tert. Dieses Phänomen wird dadurch erklärt, dassdie stömende Luft beim Durchtritt durch die An­tenne in starke Turbulenzen versetzt wird und dieDuftmoleküle aufgrund der engen "Maschen­weite" der Reuse (10-30 um) und der dadurchbedingten kurzen Diffusionswege an der Cuticulaadsorbiert werden . Die Antenne des Nachtpfau­enauges wirkt demnach wie ein Molekularsieb.

Die Epicuticula der Sensilla trichodea der Sa­turniden ist mit drei 2,5-8,5 nm dicken Schichtenüberzogen, deren innerste Schicht sich bis in diePorentubuli fortsetzt (Abb. 11-37 A, B). In diesenaußerordentlich dünnen Schichten unterliegen dieadsorbierten Duftmoleküle nicht einer dreidimen­sionalen Diffusion wie in der Luft , sondern einerbeschleunigten zweidimensionalen Diffusion, undtreffen somit schnell auf die die Haarwand durch­dringenden Poren, obwohl diese nur etwa 1/1000der Haaroberfläche ausmachen. Wegen der gerin­gen Durchmesser der Porentubuli erfolgt dort die

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11.3 Chemorezeption 311

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IPJ • Ca"ATP ADP

cGMP

Abb. 11-37: Transport der Duftmo­leküle auf der Sensillenoberflächeund Reiz-Erregungs-Transduktion.A Halbschematische Darstellung desHaarquerschnittes eines Sensillum tri­chodeum und B des Porentubulussy­sterns des Seidenspinners Bombyx mari.Treffen Duftmoleküle aufdie Epicuticula(E), so werden sie adsorbiert und ge­langen mittels beschleunigter Diffusionin den Schichten L1 bis L3 und durchdie Poren (P) und die Porentubuli (Pt)bis in den Sensi llenlymphraum (SL) oderdirekt zu den Dendritenästen (D). CCu-ticu la. C Reizmoleküle (M) im Sensil-lenlymphraum können an Bindeproteine(BP) gebunden werden. Von der Bin-dung der Reizmoleküle an spezifischeRezeptorproteine (R) in der Dendriten-membran (DM) bis hin zur Aktivierungder Ionenkanäle (K) sind wahrscheinlichneben einer Reihe weiterer, membrange­bundener Proteine (*) auch intrazellulä­re Botenstoffe wie Inositoltrisphosphat(IP3), cycl isches Guanosinmonophosphat(cGMP) und Ca' " beteiligt. Im Sensil­lenlymphraum konnten auch Enzyme (E)nachgewiesen werden, die Reizmolekülespalten und somit inaktivieren. (A und BOriginalzeichnung von Steinbrecht; C Cnach Boeckh in Gewecke 1995)

Diffusion wahrsch einlich sogar eindimensional.Duftmoleküle werden somit sehr schnell dem Dif­fusionsgleichgewicht in der Oberfläche der Cuti­cula entzogen und den Geruchsrezeptoren zuge­führt. Dieser Anreicherungsprozess von Duftmo­lekülen in strömender Luft , deren Adsorption ander Cuticula und die gerichtete Diffusion der Duft­stoffe zu den Dendriten in den Sensillen trägtwahrscheinlich entscheidend zur außerordentlichhohen Empfindlichkeit der Pheromonrezeptorender Saturniiden bei.

Porentubuli stehen nicht in festem Kont akt mitder Dendritenmembran. Wahrscheinlich flottierendie Dendriten bzw. deren Äste im Sensillenlymph­raum und nehmen wechselnd und kurzfristig Kon-

takt mit Porentubuli auf. In der Sensillenlymphekonnten Proteine nachgewiesen werden, die einehohe Affinität gegenüber Pheromonen besitzenund diese an sich binden . Solche Bindeproteinekönnten einerseits verhindern, dass Duft stoffe imSensillenlymphraum chemisch verändert und da­mit reizunwirksam werden; sie dienen andererseitsdem Transport lipophiler Duftstoffe durch diewässrige Rezeptorlymphe von den Porentubuli bishin zu den Dendritenmembranen. In der Dendri­tenmembran der Sinneszelle, so nimmt man inAnalogie zu Rezeptoren im Zentralnervensysteman , sind intrinsische Proteine eingelagert, die alsspezifische Rezeptorproteine bestimmte Duftstoffebinden und zu einer Permeabilitätsänderung der

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312 11 Sinnesphysiologie

11.3.5 Empfindlichkeit derchemischen Sinnesorgane

Chemische Signale, die der Kommunikation zwi­schen Sozialpartnern oder während der Paarungdienen, werden in so genannten exokrinen Drüsengebildet. Meistens sind es flüchtige Substanzen,die aus diesen Drüsen nur in geringsten Mengenausgesendet und überdies über eine große Entfer-

Verglichen mit den Geruchsrezeptoren ist die Reizüber­tragung bei den Gesch macks rezep toren weniger gut un­tersuc ht, allerdi ngs auch nicht ähn lich abhängig vonstrukturellen Differenzie rungen . Bei Geschmacksrezep­toren liegt bei Reizung stets ein di rekter Kontakt zwi­schen Reiz und Sensillum vor. In der viskösen Flüssig­keit, die den Terminalporus füllt und auch feste Reiz­stoffe löst, sind ebenfalls Bindeproteine vorhanden, diedie Transduktion auch lipophi ler Reize garantieren. Vor­gänge an der Rezeptormembran laufen wahrsc heinlichvergleichbar zu denen an den Geruchsrezeptoren ab.

Die Öffnung der Kationenkanäle als Folge derBindung des Reizes an die Rezeptorproteine führtin der Dendritenmembran zu einem Rezeptorpo­tential , welches sich bis zum Impulsgenerationsortam Soma der Sinneszelle ausbreitet. Diese Weiter­leitung des Signales über die Sinneszelle wirdwahrschein lich durch eine externe Batterie, die inden oben beschriebenen elektrogenen K+-Na+­Pumpen in den gefalteten Membranen der tor­mogenen und der trichogenen Zelle zu suchen ist,unterstützt. Am Soma entstehen dann fortgeleiteteAlIes-Oder-Nichts-Potentiale, die mit ihrer Fre­quenz von der Amplitude des Rezeptorpotentialesabhängen und über die chemosensorischen Bah­nen ins Zentralnervensystem geleitet werden. Fü rdie antennalen Sinneszellen liegen die ersten Sy­napsen in den Glome ruli des Deutocerebrums imOberschlundganglion, für die auf dem Labrumund im Hypopharynx im Tritocerebrum und fürdie auf den Mundwerkzeugen im Unterschlund­ganglion.

Dendritenmembran der Sinneszelle führen(Abb. 11-37 C). Die Spezifität einer Rezeptorzellewürde demnach durch die Spezifität des Rezeptor­proteins, über welche diese Zelle verfügt , be­stimmt. Enzyme in der Sensillenlymphe desak­tivieren die an Rezeptorproteine gebundenenDuftmoleküle und machen so die Rezeptorpro­teine für neue Duftmoleküle frei. Eine Erregungder Sinneszelle entste ht erst, wenn Membranka­näle für Kationen geöffnet werden. Bei diesemProzess spielen wahrscheinlich eine Reihe intra­zellulärer Botenstoffe wie Inositoltrisphosphat,zyklisches Guanosinmonophosphat und Ca""eine Rolle.

~g Bombykol

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"t:lC 40 40l!!Cl>'ÖlOl 20 20l!!

A

Abb. 11-38: Reaktion des Seidenspinnermännchens(Bombyx mori) auf das Sexualpheromon Bombykol.A Wird von einer Reizquelle (links) abdampfendes Bombykolüber die Antenne eines Männchens geblasen. so beginnt es zuschwirren. Diese Schwirreaktion kann mittels eines Tonkopfeseines Plattenspielers (unter dem Tier) reg istriert und in elek­trische Spannungsänderungen umgesetzt werden. Ein Thermi ­stor (über dem Tier) misst den Beginn des Duftreizes. B Mitsteigender Bombykolkonzentration aufder Reizquelle (10--4 Ilgbis 1 Ilg) steigt das Maß der Erregung der für Bombykolempfindlichen Sinneszelle in den Sensilla trichodea. Bei einerQuellenbeladung von 10-4 Ilg Bombykol beantwortet eineSinneszelle nicht jeden Reiz mit Erregung oder - anders be­trachtet - nicht jede Sinneszelle einen so lchen Reiz. Daher sind3 Registrierungen dargestellt. Balken stellt die Reizdauer dar.C Anteil der mit Flügelschwirren reag ierenden Männchen (e)bzw. der mit~ 2 Nervenimpulsen reagierenden Sinneszellen (e)in Abhängigkeit von der Bombykolmenge aufder Reizquelle. KReaktionsstärke bei Reizung mit reiner Luft, (Nach Kaissling undPriesner 1970)

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nung von Artgenossen empfangen und erkanntwerden. Das gilt in besonderem Maße für Sexual­pheromone, für deren Wahrnehmung Rezeptorenmit einer erstaunlichen Empfindlichkeit beschrie­ben worden sind. Bei vielen Insektenarten sindsolche Sexualpheromone chemisch aufgeklärt.Häufig wurden diese Untersuchungen letztlich mitdem Ziel durchgeführt, durch synthetische Phero­monfallen die Populationsdichte von Schadinsek­ten für eine gezielte chemische Bekämpfung zuerfassen oder durch das Ausbringen hoher Kon­zentrationen des Sexualpheromons paarungsbe­reite Männchen zu verwirren (s. 21.3.2.3). Bislangist jedoch im gesamten Tierreich kein auf Phero­mone gestütztes Sender-Empfänger-System auchnur annähernd ähnlich umfassend untersucht wor­den wie das des Seidenspinners (Bombyx mori).Seidenspinner-Weibchen produzieren in einer ab­dominalen Drüse das Sexualpheromon Bombykol(E,Z)-(1O,12)-Hexadecadienol), das sie aus derausgestülpten Drüse abgeben und das unter güns­tigen Bedingungen Männchen aus einer Entfer­nung von mehreren Kilometern anlockt. NehmenMännchen dieses Bombykol wahr, so zittern siemit ihren Antennenspitzen, schwirren mit ihrenFlügeln und orientieren sich schließlich bis hin zurPheromonquelle, dem Weibchen. Diese klar quan­tifizierbaren, pheromoninduzierten Verhaltenswei­sen, die frühe chemische Aufklärung des Bomby­kols und dessen spätere synthetische Herstellung,sowie die elektrophysiologische Untersuchung derPheromonrezeptoren auf den Antennen derMännchen durch Schneider machten die Bestim­mung der Riechschwelle des Seidenspinnermänn­chens möglich.

Kaissling und Priesner konnten nachweisen,dass ein einziges Bombykolmolekül ausreicht, umin einer Pheromonzelle einen Nervenimpuls aus­zulösen. Treffen Bombykolmoleküle in ausrei­chender Konzentration auf die Antennen einesMännchens, so werden die Pheromonrezeptorenin den Sensilla trichodea erregt und das Männ­chen zeigt Flügelschwirren (Abb. 11-38A). Auf ei­ner Antenne verfügt das Männchen insgesamt inden 17000 S. trichodea über je einen Pheromon­rezeptor. Bei der Schwellenkonzentration von 6 x10-4 ug Bombykol auf der Reizquelle treffen proSekunde 690 Moleküle auf die Antenne und somitim Durchschnitt nur 0,04 Moleküle auf eine Sin­neszelle bzw. je I Molekül auf 690 Sinneszellen(Abb, 11-39). Da bei dieser Schwellenkonzentra­tion nur 1/4 der getroffenen Sinneszellen erregtwird, entsteht in nur 170 Sinneszellen ein Nerven­impuls. Das besagen die elektrophysiologischenExperimente. Nachrichtentheoretische Überlegun­gen fordern, dass ein Signal die Spontanaktivitätaller Pheromonzellen, also die Aktivität, die ohneReizung mit Bombykol vorliegt, um das Dreifache

11.3 Chemorezeption 313

..-/~~-,~ . H

t 6 x 10' : 1 tt 150 : 1

1 : 0,8

t 1,7 X10' : 1f

Abb. 11-39: Molekülmenge an einem Pheromonrezep­tor an der Verhaltensschwelle des Seidenspinnermänn­chens (Bombyx mori). Wird die Reizquelle mit 3 x 10-6 JlgBombykol = 7,5 x 109 Moleküle beladen (s. Abb. 11-35C), sowerden pro Sekunde bei einer Strömungsgeschwindigkeit derReizluft von 6 cm/s insgesamt 1,3 x 105 Moleküle abgegeben,und 690 Moleküle treffen auf die Sensilla trichodea. Da eineAntenne 17000 Sensilla trichodea miteinem Pheromonrezeptorenthält, treffen im Durchschnitt nur 0,04 Moleküle auf einenPheromonrezeptor. Ausgehend von der Beladung der Reizquellewird beim Transport der Duftmoleküle bis zur Rezeptormembrandie Zahl der Moleküle schrittweise verringert. Die jeweiligenVerhältnisse sind in der Abbildungsmitte angegeben. (NachKaissling 1987)

der Wurzel der Spontanaktivität überschreitenmuss, um vom empfangenden Männchen wahr­genommen zu werden . Die Spontanaktivität einerSinneszelle beträgt etwa 0,08 Impulse/sec, alsotreffen von allen pheromonempfindlichen Sinnes­zellen einer Antenne pro Sekunde etwa 1450 Im­pulse im Gehirn des Männchens ein. Eine Erhö­hung dieser im Gehirn eintreffenden Impulsrateum 114 Impulse/sec wäre also nötig, damit dasMännchen eine Erregung als Folge eines Bomby­kolreizes vom Grundrauschen unterscheidenkann. Dieser theoretische Wert steht im gutemEinklang mit den experimentell bestimmten Mole­külzahlen. Es reicht also einem Seidenspinner­männchen zum Auslösen des Sexualverhaltens,wenn nur I % seiner das Bombykol wahrnehmen­den Sinneszellen mit nur einem Bombykolmolekülgetroffen werden.

Diese extreme Leistung des Geruchssinns des Seiden­spinners lässt sich neben der außerordentlich hohenEmpfindlichkeit der Pheromonrezeptoren durch die be­reits zuvor beschriebene Anatomie der Antennen derMännchen und durch die physikochemischen Eigen­schaften der Cuticula und der Sensillenwand erklären.Ähnlich hohe Empfindlichkeit der Pheromonrezeptorenkann für Männchen einer Reihe weiterer nachtaktiverInsekten angenommen werden. Diese Männchen habenauf ihren Antennen meist nur einen Sinneszelltyp odersehr wenige Sinneszelltypen, die auf das Pheromon oderdas Pheromongemisch reagieren. Stark vereinfacht aus­gedrückt reicht dem Männchen für die Fortpflanzungletztlich nur ein pheromonempfindlicher Typ, um Prä-

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314 11 Sinnesphysiologie

Tab: 11-3: Schwellenkonzentrationen unterschiedlicher Schmeckstoffe für Geschmackssensillen verschiedener Insekten.(..HMP" : host marking pheromone). (Nach verschiedenen Autoren und unveröffentlicht)

Reizsubstanz Schwelle [mol/I) lage des Sensillums

IsopteraSchedorhinotermes NaCi 3-10 x 1O--<l Antenne

lamanianus Securinin < 1 x 10 5 Antenne

HymenopteraApis mellifera Saccharose 6-10 x 10-2 Galea

Saccharose 10 Antenne

DipteraPhormia terraenovae Saccharose 4 x 10--<l TarsenCalliphora vicina Saccharose 3-10 x 10-1 Tarsen

NaCI 1 x 10- 1 TarsenGlossina palpalis ATP 5 x 10-7 PharynxRhagoletis pomone/la Saccharose 5 x 10-2 Tarsen

NaCi 5 x 10- 1 TarsenRhago/etis cerssi .HMP· 2 x 10- 10 Tarsen

lepidoptera3 x 10-5Spodoptera exempta (larven) Adenosin MaxilIen

Pieris btsssicee sek. Pflanzeninhaltssloffe 10-6-10--3 Tarsen

senz und Aufenthaltsort eines Weibehens wahrzuneh­men. Auf Kosten einer Typenvielfalt kann der Phero­monrezeptor aber in sehr hoher Anzahl ausgebildet sein.Aufgrund nachrichtentheoretischer Überlegungen sinktdie Wahrnehmungsschwelle eines Insektes für einen be­stimmten Reiz um so weiter, je mehr Sinneszellen an derWahrnehmung dieses Signales beteiligt sind.

An ein Sinnesorgan, das zur Nahrungswahl oderzur Erkennung von Artgenossen - oder bei sozialenInsekten von Nestgenossen - dient, werden jedochandere Anforderungen gestellt, da das Signal zumeinen aus komplexen Stoffgemischen besteht undzum anderen habitat- und kontextabhängig starkvariieren kann (s. 11 .3.6). Entsprechend verfügensolche Insekten auch über physiologische Klassenvon Sinneszellen und verteilen die Gesamtzahlder Sinneszellen auf viele Klassen . Diese Klassenvon Sinneszellen unterscheiden sich in ihrer Spe­zifität (Abb. 11-41 und 11-42). Damit steigt dieSchwellenkonzentration für die Wahrnehmungdes chemischen Signals an. Obwohl die von ver­schiedenen Autoren verwendeten Reiztechnikensich sehr deutlich unterscheiden und damit einpräziser Vergleich der bestimmten Schwellenkon­zentrationen bei verschiedenen Insekten nicht

möglich ist, so zeichnet sich doch ab, dass dieSchwellenkonzentrationen für die Wahrnehmungvon Futterinhaltsstoffen bei 1010 bis 1011 Mole­küle/mi Luft liegt und somit etwa 105 mal höherals die Schwelle für das Sexualpheromon Born­bykol ist. Ferner zeigen auch viele Insekten mitihren geißel- oder keulenförmigen Antennen nichtjene anatomischen Anpassungen zur erhöhten Ad­sorption der Duftmoleküle wie die Antenne z. B.der Seidenspinnermännchen (Abb. 11-34 und11-35).

Im Vergleich mit den Geruchsrezeptoren sinddie Geschmacksrezeptoren in der Regel deutlichweniger empfindlich. Insekten betasten mit ihrenGeschmackssensillen auf den Beinen, den Mund­werkzeugen oder den Antennen den Untergrundund suchen oder überprüfen Nahrung und Was­ser. Geschmacksreize werden also nicht über grö­ßere Entfernungen wahrgenommen und unterlie­gen damit nicht einer Konzentrationsabnahme wiedie Duftreize während der Verfrachtung durch dieLuft. Experimentell bestimmte Schwellenkonzent­rationen für viele Geschmacksstoffe - vorwiegendZucker und Salze - liegen bei 10- 1 bis 10-4 mol/I,was etwa 1020 bis 1017 Moleküle/mi entspricht

Tab, 11-4: Vergleich der Konzentrationen von Adenosinnucleotiden, die bei verschiedenen Insektenarten bei 50% dergetesteten Tiere (EDso) Saugverhalten auslösen. (Nach Galun und Kabayo 1988)

Insektenart EDso [mol/I)

ATP ADP AMP

G/ossina pa/palis (9) 5,0 x 10 7 6,7 X 10-7 1.0 x 10Aedes aegypti 1,2 x 10-5 1,9x 10 4,6 X 10--<lAedes caspius 9.1 x 10 1,5x 1<r 3,1 x 10--<lCu/ex pipiens 2.5 x 10 s 1,2X lO-s 2.7 x 10 sSimu/ium venustrum 2,1 x 10 5 6,0 X 10-6 1,0 X 10-4

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11.3 Chemorezeption 315

B

Abb. 11-40: Empfindlichkeit tarsaler " HMP" -Rezepto­ren der Ki rschfruchtfliege (Rhagoletis cerasi) für die Na+-Salzeder beiden imKot derWeibchen vorhandenen Isomere N(15R(ß­Glucopyranosyl)-oxy-SR-hydroxypalmitoyl)·taurin (SR, 15R­HMP) und N(15R(ß-Glucopyranosyl)-oxy-SS-hydroxypalmitoyl)­taurin (S5, 15R-HMP), des "hast marking pheromones = HMP",mit dem dieWeibchen nach der Eiablagedie parasitierte Kirschemarkieren, sowie die beiden weniger wirksamen synthetischenIsomere SR, 15S-HMP und S5, 15S-HMP. A Reiz-Erregungs-Bezie­hung eines HMP-Rezeptorsund BStrukturformelnder optischenIsomere. (Nach Städler et al. 1994)

10-1 mol/l für Raupen des Tabakschwärm ers (Ma nducasex tat fraßinh ibierend . Beide Arten fressen an Kohl­pflanzen. Die Kohleule besitzt tarsale Sensillen, in denenzumindest eine Sinneszelle auf Senfölglykoside in einerKonzentr ation von 10-5 molll mit Erregung antworten.Diese Senfölglykoside, sekundäre InhaltsstofTe in Kohl­blättern , stimulieren Weibchen der Kohleule, ihre Eierauf Kohlbl ätt er abzulegen.

Auch für blutsaugende Insekten sind Geschmacks­rezeptoren mit vergleichbarer Empfindlichkeit be­schrieben worden (Tab. 11-4), Diese Geschmacks­rezeptoren zeigen eine hohe Spezifität für einebestimmte Geschmackssubstanz. Gut vergleich­bare, auf Saugverhalten basierende Daten liegenfür eine Reihe verschiedener blut saugender In­sekten vor. Hier zeigt sich, dass für die Ener­gielieferanten ATP und häufig auch ADP einewesentlich höhere Empfindlichkeit vorliegt als fürAMP (Tab. 11-4),

Manch e Insekten setzen Geschmacksstoffeauch als Pheromon ein. Verglichen mit den Re­zeptoren , die der Wahrnehmung von Futterin­haltsstoffen dienen , besitzen Pheromonrezeptoreneine außerordentlich hoh e Empfindlichkeit. Eingut untersuchtes Beispiel hierfür ist die Kirsch­fruchtfliege (Rhagoletis cerasi), Nach der Eiablagemarkieren Weibchen der Kirschfruchtfliege dieparasitierte Kirsche mit einem Pheromon, dasHMP (host marking pheromone) genannt wurde.Männ chen und Weibchen verfügen auf den ven­tralen Seiten ihrer Tarsen über einen Sensillentyp,der neben einer mechanosensitiven Sinneszelle vierGeschma cksrezeptoren enthält. Einer dieser Ge­schmacksrezeptoren zeigt eine Schwelle von2 x 10- 10 molll für zwei der vier möglichen opti ­schen Isomere des HMP (Abb. 11 -40). Beide Iso­mere kommen im Kot der Weibchen in etwa glei­chen Konzentrationen vor. Die beiden anderenIsomere sind um den Faktor 13 weniger wirk­sam.

Bei den Wasserrezeptoren stellt sich nicht dieFrage der Empfindlichkeit für das Wasser selbst.Für die Hom öostase ist es vielmehr wichtig, dieKonzentration der im Wasser gelösten Ionen zuerkennen, denn liegt diese zu hoch, so müssen dieIonen wieder ausgeschieden werden, Wasserrezep­toren reagieren typischerweise auf reines Wassermit Erregung. Dieses Erregungsniveau sinkt mitsteigenden Ionenkonzentrationen bis hin zur voll­ständigen Hemmung. Bei der Mehrzahl der In­sektenarten liegt die Schwellenkon zent ration fürdie Hemmun g bei 5 bis 50 mmolll und die für dietotale Hemmung bei Konzent rationen bis über einmolll (Tab. 11 -5). Bei solchen Konzentrationenwird die Präsenz des Wassers nicht mehr wahr­genommen,

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Reizkonzentration [I.lmollll

(Tab. 11-3). Phytophage Insekten sind mit Ge­schmacksrezeptoren ausgestattet, die Pflanzen aufihre Eignung als Nahrung oder als Eiablageme­dium prüfen. Bei dieser Prüfung der Pflanzenspielen sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, häufigGlucosinolate oder Alkaloide, eine wesentlicheRolle, für die bestimmte Rezeptoren eine höhereEmpfindlichkeit zeigen als für Salze oder Zuckerund die auf das Insekt fraßstimulierend oder auchfraßinhibierend wirken. Hierbe i können verschie­dene Insektenarten sehr unterschiedlich auf diesel­ben Substanzen reagieren, was als ein Mechani s­mus zur Nischentrennung angesehen werdenkann .

So wirkt z. B. Sinigrin in Konzentrationen von 10-7 bis10-4 molll für Raup en der Kohleule (Pieris brassicae)fraßstimulierend und in Konzentrationen von 2 x 10-3 bis

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316 11 Sinnesphysiologie

Tab: "-5: Konzentrationen unterschiedlicher Ionen, die das Erregungsniveau der Wasserrezeptoren verschiedenerInsektenhemmen (Nach verschiedenen Autoren und unveröffentlicht).

Reizsubstanz Schwelle für Hemmung totale Hemmung Lage des Sensi11ums[moili) [moili)

IsopteraSchedorhinotermes CaCl2 2-3x 10~ 1x 10-4 Antenne

lamanianus NaCi 3x 10-2 1X 10-1 Antenne

DipteraPhormia regina NaCi 5x 10-2 5x 10-1 labellumPhormia terraenovae NaCl, KCI 5x 10-3 6x 10-2 labellumProtophormia terraenovae NaCi 1x 10-2 l,5x 10- 1 labellum

Na·Citrat 5x 10-3 5x 10-2 labellumDrosophila melanogaster NaCi 1x 10-3 3x 10-1 labellum

Tricholincitrat 3x 10-3 3x 10-2 labellumBoettcherisca peregrina NaCI, KCI 2x 10-2 1 labellum

1x 10-3 1X 10-3 labellumMusca domestica KCI l,2x 10-2 1,5 labellum

ColeopteraLeptinotarsa decemlineata NaCI 1x 10-2 >1xl0-1 Epipharynx

LepidopteraPlutella xylostella KCI 1x 10-5 1X 10-3 Ovipositor

11.3.6 Spezifität der chemischenSinnesorgane und Erkennungchemischer Muster

Chemorezeptoren werden nicht nur von einer ein­zigen Substanz erregt , sondern meist von vielenSubstanzen, die überdies chemisch nicht ähnlichzu sein brauchen. Die Summe aller der Substan­zen, auf die eine Sinneszelle reagiert, bezeichnetman als das Reaktionsspektrum einer Sinneszelle.Innerhalb eines solchen Reaktionsspektrums sindnatürlich nicht alle Substanzen gleichermaßenreizwirksam; für bestimmte Substanzen besitzenSinneszellen eine höhere Empfindlichkeit als fürandere. Manche Sinneszellen verfügen über breiteReaktionsspektren, sie reagieren also auf vieleSubstanzen, andere Sinneszellen hingegen übersehr schmale (Abb. 11-41). Duftrezeptoren mitbreiten und zudem stark überlappenden Reak­tionsspektren findet man bei vielen Insekten. Siedienen dem Erkennen chemischer Muster bei derWahl der Nahrung oder eines Eiablagemediums.Der Kiefernrüßler (Hylobius abietis) verfügt aufder Antenne über eine große Anzahl von Duft­rezeptoren, die mit Duftstoffen aus Tannennadelngereizt, jeweils unterschiedliche Erregungsmusterzeigen. Viele Zellen werden z. B. durch Terpinolenoder a-Pinen maximal erregt, doch unterscheidensich diese Zellen in ihrer Antwort auf Duftstoffewie ß-Pinen, Camphen, Verbenon, Limonen,Menthon oder p-Cymol. Für diese Sinneszellenlassen sich also keine Typen von Rezeptoren mitdenselben Reaktionsspektren bilden. Vergleichba-

res wurde für eine Reihe anderer Insektenartenbeschrieben.

Neben diesen Rezeptoren kennt man auch solche, diezwar ebenfalls breite und überlappende Reaktionsspek­tren zeigen, jedoch in mehrfacher Ausführung vorkom­men und daher zu Reaktionstypen zusammengefasst wer­den können. Die amerikanische Schabe (Periplaneta ame­ricana) verfügt über mindestens 5 Typen von Sinnes­zellen, die auf aliphatische, gesättigte Alkohole mitErregung antworten. Beieinem gegebenen Reizstoff, z. B.Octanol, werden die Sinneszelltypen I und II schwach,der Typ III maximal und die Typen IV und V mittelstarkerregt (Abb. 11-42). Somit entsteht bei dieser Substanzein Erregungsmuster über die fünf Reaktionstypen hin­weg, welches sich von dem Erregungsmuster bei Reizungmit z. B. Pentanol oder Dodecanol klar unterscheidet.

Rezeptoren mit überlappenden Reaktionsspektrenermöglichen es dem Insekt, Buketts von Duftstof­fen zu erkennen , auch dann, wenn nicht qualitativesondern nur quantitative Unterschiede im Duft­muster vorliegen. Je größer die Zahl der an derDiskriminierung verschiedener Buketts beteiligtenTypen von Rezeptoren ist, um so feiner kann dieseDuftdiskriminierung erfolgen. Hierbei ist es Auf­gabe der Sinneszellen, das Bukett in seinen einzel­nen Komponenten quantitativ zu erfassen und dasErregungsmuster an das Gehirn weiterzuleiten . ImDeutocerebrum, wo die Axone der antennalenGeruchssensillen enden , und in höheren Projek­tionszentren werden die Erregungshöhen der ander Antwort beteiligten Sinneszelltypen vergli­chen .

Erkennung chemischer Muster spielt bei denInsekten eine wichtige Rolle. Sammelnde Honig-

Page 37: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

11.3 Chemorezeption 317

Nummer der Duftsubstanz 11 111 IV v

n

1 00000 0 . 0 ·0 . 02 0000 0 0 0 0 O· 03 000· 0 0 . 00 . 0 040000'0 ' 0 0 0 0' 0 05 0000 00 . 0 0 0 ·000 . 06 0000 ·0 0 .007 0 0 0 000 . 00· 0 0 0 .8 0 0 . 00000' 000

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4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

C-Atome gesättigter Alkohole

bienen können nicht nur Blütendüfte unterschei­den und solche Duftmuster sogar erlernen , siekönnen auch anhand der quantitativen Verschie­bung von Duftkomponenten Änderungen in derNektarzusammensetzung und damit im Energie­gehalt des Nektars erkennen (s. 10.3). Für dieEiablage bevorzugen viele Insekten ein Substrat,welches den Larven günstige Entwicklungsbedin­gungen bietet . So bevorzugen z. B. Weibchen derSchmeißfliegen (Calliphora vicina) Fleisch einesbestimmten Zersetzungsgrades, um ihre Eier ab-

Abb. 11·41: Allgemeines Schema des Erregungsmustersvon Geruchsrezeptoren. Die Punkte mit aufsteigendemDurchmesser symbolisieren bei Reizung mitverschiedenen Duft­stoffen das Erregungsmaß der Sinneszellen von keiner Reaktion,über « 25% und> 50% bis hin zu 100 % des für die Zellemaximal möglichen Erregungsniveaus. A Jede einzelne Sinnes­zelle (1 bis n) reagiert unterschiedlich auf eine Reihe ver­schiedener Duftsubstanzen. Die breiten Reaktionsspektren derSinneszellen überlappen stark. B Klassen von Sinneszellen ver­sammeln Sinneszellen mit identischen Reaktionsspektren. Hier­bei können die Reaktionsspektren der verschiedenen Klassenüberlappen (Klassen Abis C) oder auch nicht überlappen(Klassen D und E). Sinneszellen der Klassen mit überlappendenReaktionsspektren sind z.B. Futterduftrezeptoren. Rezeptorender Klassen D oder E zeigen eine sehr enge Spezifität fürbestimmte Duftstoffe, meist Pheromone oder Pheromonkompo­nenten (P1, P2, ••), und können in lOs·facher Wiederholung aufeiner Insektenantenne auftreten. (Nach Boeckh und Ernst1983)

B A.1 00000A.' 00000

Abb. 11-42: Reiz-Erregungs-Beziehung von 5 Klassenvon Geruchsrezeptoren auf der Antenne der Schabe (Peri­planeta americana). Die Rezeptoren der Klassen I bis V zeigenihre maximale Empfindlichkeit (von links nach rechts) für 2-Me­thylbutanol, n-Hexanol, n-Octanol, n-Decanol und n-Dodecanol.Die Reaktionsspektren dieser Klassen überlappen und ermögli­chen somit die Analyse komplexer Duftstoffmuster wie z.B.Futterdüfte. (Nach Selzer 1984)

zusetzen. Mit mehreren Typen von Geruchsre­zeptoren sind sie in der Lage, anhand des Fleisch­duftes die Qualität des Eiablagemediums zu prüfen(Tab. 11-6). Obwohl hierzu keine Verhaltensunter­suchungen vorliegen, so berechtigt doch die neu­ronale Ausstattung des Geruchssinnes zur An­nahme, dass Schmeißfliegenweibchen vor der Ei­ablage das Fleisch auf seine Eignung als Lebens­raum zur Entwicklung ihrer Larven geruchliehprüfen .

An der chemischen Beurteilung der Nahrung sind nebenden Riechrezeptoren auch Geschmacksrezeptoren be­teiligt. Die Kohleule (Pieris brassicae) verfügt in ver­schiedenen Sensillenfeldern auf den MaxilIen und imEpipharynx über Geschmacksrezeptoren, die auf unter­schiedliche Reizsubstanzen mit Erregung antworten unddie Verhaltenskette während des Fressens modulieren(Tab. 11-7).

Zur Wahrnehmung von Schlüsselsubstanzen, wiesie Pheromone darstellen , werden andere Anforde­rungen an die Sinneszellen gestellt (Abb. 11-44).Anders als bei der Erkennung von chemischenMustern geht es hierbei darum, dass eine ganzbestimmte Substanz oder ein Substanzgemischwahrgenommen wird und keine Verwechslung mitmöglicherweise chemisch sehr ähnlichen Phero­monen anderer Arten auftritt. Entsprechend sinddie Reaktionsspektren außerordentlich eng, undPheromon und Pheromonrezeptor passen zusam­men wie Schlüssel und Schloss. Spezifität vonPhe­romonrezeptoren kann man z. B. in Verhaltensex­perimenten testen. Termiten legen während desFuttersuchens und -eintragens Pheromonspuren,entlang derer sie zur Nahrungsquelle und wiederzurück zum Nest finden. Das Spurpheromon derTermite Reticulitermes virginicus konnte schon

'000·0 0

000000

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00000000

E.lE.

c~ B.1~ 8.2Qlc~ C.1c C.o>5i D.IIIgj D.52

Page 38: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

318 11 Sinnesphysiologie

Tab. 11-6: Reaktionsspektren verschiedener Typen von Fleischduftrezeptoren auf dem Funiculus der Schmeißfliege(alliphora vicina. Die Anzahl der + symbolisiert das relative Erregungsmaß der Sinneszellen, - bedeutet Hemmung durch dieReizsubstanz und 0 keine Reaktion. (Nach Kaib 1974)

Fleischduftrezeptoren Typ

11 111 IV V VI

Alkohole «(5-(6) ++++ ++ 0 0 0Aldehyde, Ketone «(5-(6) ++++ + 0 0 ++6-Methyl·5·hepten-2-on + 0Essigsaure 0 0 ++ ++++ 0 0Buttersäure 0 0 0 ++ ++++ +Fettsäuren «(5-(6) + 0 0 0 ++ +++H2S 0 0 + + 0 0Mercaptane 0 ++ 0 0 0

Frischfleisch + 0 0 0 0Fleisch, 1-3 Wochen alt ++++ ++++ +++ ++ + 0Aas +++ ++++ ++++ ++++ +

früh als (Z,Z,E)-(3 ,6,8)-Dodecatrienol identifiziertwerden. Analoga und Derivate dieses natürlichenSpurpheromons können zwar auch Spurfolgenauslösen, müssen jedoch um mehrere Zehnerpo­tenzen höher konzentriert vorliegen als das Phero­mon selbst (Abb. 11-40). Auf der Ebene der Reak­tion einzelner Sinneszellen konnte vergleichbaresfür Porenplatten-Sinneszellen auf der Antenne derDrohnen der Honigbiene (Ap is mellifera) gezeigtwerden. Diese Zellen sind besonders empfindlichfür die Königinsubstanz (Abb. 11 -44).

Pheromone sind nicht immer einzelne chemi­sche Verbindungen, sondern gewinnen ihre Art­spezifität mitunter erst durch eine artspezifischeMischung verschiedener Substanzen (s. 21.3.2.3).Dies gilt in besonderem Maße für nah verwandteInsektenarten, die häufig mehrere Verbindungengemeinsam nutzen, aber in unterschiedlichen Mi­schungen. Der SexuallockstofT der Weibchen desEulenfalters (Polisia pisi) enthält vier verschiedene

Acetate. Die Männchen verfügen auf ihren Anten­nen über vier Typen von Sinneszellen, von denenjeder für ein ganz bestimmtes Acetat besonderssensitiv ist (Abb. 11-45).

Die Wirkung der einzelnen Komponenten des Sexual­lockstoffes auf Männchen wurde in Freilandfallen ge­testet. Den besten Fangerfolg hat eine Mischung zugleichen Anteilen von zwei Acetaten, und der Fangerfolgwird wieder reduziert , wenn eines der beiden anderenAcetate in gleicher Konzentration beigemischt wird. Aufden ersten Blick überrascht die Komplexizität diesesSystems. Bedenkt man jedoch , dass zur Ausbildungneuer Arten Pheromon und Pheromonrezeptor sich art­spezifisch parallel entwickeln sollten, so erscheint dervon Eulenfaltern eingeschlagene Weg der evolutiv ge­sehen einfachere zu sein. Weibchen besitzen in ihrenDrüsen Biosynthesewege, um alle vier Acetate zu produ­zieren und Männchen die Rezeptoren, um genau dieseAcetate selektiv wahrzunehmen . Es bedarflediglich einerVerschiebung des Mischungsverhältnisses der Acetateund einer veränderten zentralnervösen Bewertung des

Tab. 11-7: Spezifität von Geschmacksrezeptoren in verschiedenen Sensillen auf den MaxilIen und im Epipharynx desKohlweißlings Pieris brassicae und die Bedeutung der Geschmacksstoffe für die Steuerung des Fraßverhaltens. (Nach Visser 1983,Boeckh in Gewecke 1995)

Sensillum

Maxillemedianes Sensillum styloconicum

laterales Sensillum styloconicum

EpipharynxEpipharyngeal sensillum

Zell Nr. Reizsubstanz Wirksamkeit(Verhalten)

1 Kohlenhydrate fraßauslösend2 Alkaloide. Steroide. ete. fraßhemmend3 Glucosinolate fraßfördernd4 Salze fraßfordernd

1 Glucose + Saccharose fraBauslosend2 Glucosinolate fraBfördernd3 ? ?4 Pflanzenpiqrnente ?

1 diverse Zucker fraßauslösend2 ? fraBhemmend3 diverse Salze fraßfördernd

Page 39: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

11.3 Chemorezeption 319

Königinsubstanz

<Il 60

80

GI<Il"5Q.

.~ 40GI~GIZ

20

Moleküle I ml Luft

o+----r-----r-----r---,­

108

Abb. 11-44: Reiz-Erregungs-Beziehung einer Porenplat­ten-Sinneszelle auf der Antenne der Drohnen der Ho­nigbiene (Apis mellifera). Die Zelle reagiert auf die Königin­substanz 9-0xo-E-2-decensäure um 3 bis 7 Zehnerpotenzenempfindlicher als auf aliphatische, gesättigte Fettsäuren miteiner Kettenlänge von vier (C4) bis zwölf (C 12) Kohlenstoff­atomen. (Nach Vareschi 1971)

ihre Nahrung anhand charakteristischer chemi­scher Substanzen aus der Pflanze, in der Regelanh and sekundärer Pflanzeninhalt sstoffe. Werdensolche Substanzen nicht wahrgenommen, so un­terbleibt die Nahrungsaufnahme. Vergleichbaresgilt auch für viele parasitische Insekten, die ihrenWirt durch Körperausdünstungen wahrnehmen

"l;:Abb. 11-43: Reaktionsschwelle der Termite Retkuliter­mes virginicus auf dasnatürliche Spurpheromon {Z,l,Ef(3,6,8)-Dodecatrienol (*) und dessen Analoge und Derivate.Zahlen geben für die verschiedenen Verbindungen die Schwel­lenmengen in ~g an, die nötig sind, damitTermitenarbeitereinerSpur von 10cm folgen. Die Termiten zeigen eine erstaunl icheStereospezifität. (Nach Tai et al. 1971 , Kaissling 1971)

Erregungsmusters der vier Zelltypen , damit die eine Artkeine Männchen einer Schwesterart anlockt.

Chemische Schlüsselreize müssen nicht immerPheromone sein. Monophage Insekten wählen

Abb. 11-45: Pheromonwahrnehmung des Eulenfalters(Polisia pisi). Der Sexuallockstoff der Weibchen enthält die 4Acetate: 1 = {Zf(11)-Tetradecenylacetat, 2 = {Zf(9)-Tetrade­cenylacetat, 3 = {Zf(11)-Hexadecenylacetat, 4 = {Zf(7)-Do­decenylacetat. Auf der Männchenantenne findet man 4 Typenvon Sinneszellen (A bis D), die auf je eines dieser 4 Acetate mitmaximaler Erregung reag ieren. Die Größe der Punkte sym­bol isiert das relative Erregungsmaß der Sinneszellen. InFreiland­fallen hängt dieLockwirkung für Männchen vom Mischungsver­hältnis der Acetate ab. Keines der 4Acetate alleine in den Fallenausgebracht besitzt Lockwirkung. Den besten Fangerfolg hateine Mischung der Acetate 1 und 2 in gleichen Anteilen. DieAcetate 3 und 4 reduzieren den Fangerfolg . Die + Symbole inder rechten Spalte zeigen die relative Zahl der in den Phero­monfallen gefangenen Männchen. Die gleichzeitige Erregungder Zelltypen A und Bführt zu einem Anflug der Männchen zurDuftquelle, Erregung der Zelltypen C und D unterdrückt dasAnflugverhalten . (Nach Priesner 1986)

RelativeMengeder Acetate Nr.1 234

100100

100100

100 3100 10100 30100 10030 10010 1003 100

100 100 1100 100 10100 100 30100 100 100100 100 1100 100 3100 100 10100 100 30100 100 100

RelativeErregungder Zell-TypenABC D

• •• •

••• •• •• •• •

••

Lockwirkungin Fallen

+

++++

++++++

+++

(+)

Page 40: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

320 11 Sinnesphysiologie

10.5 10-4 10.3 10.2 10"

Verdünnungsstufen

in 3% COz

1III

I I

---~ Duftreiz -----in Luft

100

"0CQ)

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75 u~ 0

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Qj "0'e;, CIII 25

Q)

!!! c!I01ii.0III Buttersäure

0

11.4.1 Bedeutung des Lichtsinnes

11.4 PhotorezeptionHans Scharstein und Georg Stomme!

Ganz ähnlich wie für uns Menschen, gilt auch fürdie meisten Insektenarten, dass der Lichtsinn mitAbstand die größte Bedeutung für die Erkundungdes umgebenden Raums hat. Das wird deutlich ander bei vielen Insekten auffälligen Größe der bei-

CO2 in ihrer Duftempfindlichkeit nicht beein­trächtigt (Abb. 11-47). Da Termiten in ihren Bau­ten einer erhöhten CO2-Konzentration ausgesetztsind, könnte diese CO2-abhängige Modulation derGeruchsempfindlichkeit zur Folge haben, dass einTyp von Sinneszellen im Termitenbau unempfind­lich für chemische Signale ist, jedoch außerhalbder Bauten diese Signale wahrnehmen würde.

4 5Zeit [s]

32o·1

Abb. 11-47: Modulation der Geruchsempfindlichkeitdurch erhöhte Konzentrationen des Kohlendioxids. EinTyp einfachwandiger Sensillen auf den Antennen der TermiteSchedorhinotermes lamanianus enthält stets zwei Sinneszellen,die an Luft beide auf den Duftreiz n-Hexanol mit Erregungreagieren (Registrierung oben), Die beiden Sinneszellen lassensich anhand der Amplitude der erfassten Nervenimpulse klarunterscheiden. Wird derselbe Duftreiz in einer erhöhten (OrKonzentration geboten, so wird eine der beiden Zellen ge­hemmt, während die andere Zelle durch (02 in der Höhe ihrerErregung nicht beeinflusst wird (Registrierung unten), Die kon­zentration des Kohlendioxids in der Luft beträgt etwa 0,04%,kann jedoch in Termitenkolonien bis über 10% erreichen. DieFrequenz der Nervenimpulse ist ein Maß für das Erregungsni·veau (Nach Kaib et al. 1993, Ziesmann 1996)

Abb. 11-46: Anlockende und abstoßende Wirkung vonFettsäuren und Milchsäure unterschiedlicher Konzen­trationen für Stechmücken (Aedes aegypti) . Alle dreiSubstanzen sind in geringen Konzentrationen verhaltensneutral.Ob diese Substanzen in höheren Konzentrationen Stechmückenanlocken oder abstoßen, hängt von der Konzentration desDuftreizes ab. (Nach Müller 1968, Kaissling 1971)

und erkennen . Hierbei kann ein und dieselbe Sub­stanz je nach der wahrgenommenen Konzentra­tion anlockend oder abstoßend wirken (Abb. I 1­46).

Als einen gesonderten Fall des Geruchssinneskann die C02-Empfindlichkeit mancher Rezeptor­zellen angesehen werden. Stechmücken, Tsetse­fliegen oder auch Zecken (Acarina: Ixodidae) wer­den durch CO2-abgebende Organismen angelockt.Auch Honigbienen und eine Reihe verschiedenerSchmetterlings- und Termitenarten zeigen bei er­höhten CO2-Konzentrationen der Luft typischeVerhaltensreaktionen. Dies alles weist bei Insektenauf eine weit verbreitete CO2-Empfindlichkeit hin.CO2-Rezeptoren sind nunmehr in mehreren In­sektenfamilien charakterisiert worden. CO2-Re­zeptoren unterscheiden sich in ihrer Morphologienicht von den Geruchsrezeptoren, häufig sind so­gar COrsensitive und geruchssensitive Sinneszel­len in einem Sensillum vergesellschaftet. Auf eineErhöhung der CO2-Konzentration antworten diemeisten CO2-Rezeptoren mit Erregung, jedochkann bei vorwiegend in der Spreu oder auf demBoden lebenden Insekten auch eine Hemmung derRezeptoren auftreten. Bei einer Termite sind ein­fachwandige Sensillen mit stets zwei Sinneszellengefunden worden, von denen eine durch verschie­dene Düfte erregt, durch eine erhöhte COrKon­zentration jedoch gehemmt wird. Wird ein erre­gender Duft in erhöhter CO2-Konzentration ange­boten, so dominiert bei dieser C02-empfindlichenSinneszelle die Hemmung durch CO2 über derErregung durch den Duftreiz. Die andere Sinnes­zelle im selben Sensillum wird hingegen durch

Page 41: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

A

11.4 Photorezeption 321

B

Abb. 11-48:Organisation einesPhotorezeptors im Komplexaugeder Honigbiene (Drohne). A Photo­rezeptorzeIle: MV Saum aus Mikrovilli;SMC Submikrovilläre Cisternen; N Nu­deus; AAxon. B Elektronenmikroskopi­sche Aufnahme der submikrovillären Re­gion im Längsschnitt: Sterne markierensubmikrovilläre Cisternen unmittelbarneben dem Mikrovillussaum. Man be­achte die enge Nachbarschaft zwischenden Mikrovilli (per Hand kontrastver­stärkt), die den Sehfarbstoff Rhodopsintragen und den submikrovillären Cister­nen, die als intrazelluläre Calciumspei­cher fungieren. Submikrovilläre Cister­nen sind Strukturen des glatten Endo­plasmatischen Reticulums und bildenein räumliches Kontinuum. (Nach Bau­mann und Lautenschläger 1994)

A

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den Komplexaugen , deren Fläche bei jagendenoder besonders schnell fliegenden Arten 70 bis90% der gesamten Kopffiäche ausmachen kannund daran, dass auch die für die Verrechnung deroptischen Information zuständigen Teile im Ge­hirn, die optischen Loben (Abb. 8-1), einen hohenAnteil der Gesamtmasse ausmachen.

Insekten benötigen die Augen in nahezu allenLebenssituationen zur Kontrolle ihrer Lage imRaum, zur Richtungsorientierung, zum Bewe­gungssehen und zur Gestaltwahrnehmung. Diemeisten Insekten sind in der Lage, Farben zuunterscheiden und sehen dabei andere Anteile desSpektrums als der Mensch. Außerdem sind sie imGegensatz zu den Wirbeltieren vielfach befähigt ,die Schwingungsrichtung polarisierten Lichteswahrzunehmen.

Wegen des völlig ander sartigen Aufbaus der Komplex­oder Facettenaugen gegenüber den uns so vertrautenLinsenaugen der Wirbeltiere, sind eine Reihe von miss­verständlichen bis falschen Ansichten über die Funktionund die Leistung der Insektenaugen verbreitet , die imFolgenden korrigiert werden sollen.

11.4.2 Photorezeptoren

Die Grundlage des Sehens bilden die Lichtsinnes­zellen oder Photorezeptoren, in denen Lichtreize inelektrische Signale umgewandelt werden. Es han­delt sich um primäre Sinneszellen, die für die

Absorption von Licht spezialisierte Strukturenaufweisen. Die Photorezeptoren der Insekten, wieauch der meisten anderen Invertebraten sinddurch schlauchförmige Membranstrukturen aus­gezeichnet, den Mikrovilli, in die der SehfarbstoffRhodopsin eingelagert ist (Abb. 11-48). Jeder Pho­torezeptor trägt ca. 105 solcher Mikrovilli, die ineiner parakristallinen Anordnung zum Rhabdomerzusammengefasst sind, dem lichtabsorbierendenTeil des Photorezeptors. Durch die hohe Pa­ckungsdichte dieses Mikrovillisaums hat dasRhabdomer einen höheren Brechungsindex als dasumgebende Lumen der Zelle (n=I,36 gegenübern=I,34) . Das Rhabdomer wirkt daher als Licht­leiter: Licht, das ungefähr aus der Richtung derLängsachse einfällt , wird durch Totalreflexion anden Seitenflächen des Rhabdomers im Mikrovilli­saum gehalten. So kann ein eingefallenes Photonauf der ganzen Länge des Rhabdomers auf einRhodopsinmolekül treffen und absorbiert wer­den.

Die Mikrovillusmembran unterliegt einem stän­digen Abbau und Wiederaufbau. Starke Belich­tung des Photorezeptors fördert den Abbau derMikrovilli. Dabei wird die Mikrovillusmembranvom Photorezeptor selbst oder von Nachbarzellendurch Endocytose aufgenommen. Im elektronen­mikroskopischen Bild des Photorezeptors lassensich verschiedene Abbaustadien der Mikrovillus­membran innerhalb lysosomenähnlicher Struktu­ren darstellen . Es entstehen daraus elektronen­dichte Partikel , so genannte dense bodies, die

Page 42: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

322 11 Sinnesphysiologie

Au

11.4.3.1 Molekulare Mechanismen derPhototransduktion bei Insekten

Die Phototransduktion beginnt mit der Übertra­gung von Lichtenerg ie auf den Sehfarbstoff Rho­dopsin. Dieses Rhodopsin kann nicht frei in derMembran der Mikrovilli diffundieren , sondern eswird vermutlich durch ein Filament system im Mi­krovillus, dem Cytoskelett , in seiner Lage stabili­siert.Diese Verankerung ist für die Wahrnehmungder Schwingungsrichtung polarisierten Lichts vonBedeutung (s. 11.4.4.4). Ein Rhodopsinmoleküländert nach Absorption eines einzigen Photonsseine Konformation (Abb. 11-50), wird katalytisch

Lichtenergie wird von den Photorezeptoren inelektrische Signale gewandelt. Man bezeichnetdies als Phototransduktion. Im unbelichteten Pho­torezeptor ist die Zellmembran an der cytoplas­matischen Seite elektrisch negativ gegen außengeladen . Diese Membranspannung wird Dunkel­potential genannt. Die Belichtung eines Photo­rezeptors führt bei Insekten zur Depolarisation derZellmembran, d.h. das Membranpotential sinktgegen den Wert Null. Diese Depolarisation ist dieLichtantwort des Photorezeptors und wird Re­zeptorpotential genannt. Der Begriff Rezeptorpo­tential bezieht sich auf den gesamten Zeitverlaufder Membranspannung bei Belichtung (Abb. 11­49). Photorezeptoren sind oft so lichtempfindlich,dass schon die Absorption eines einzigen Photonsein messba res Rezeptorpotential auslöst. Rezep­torpotentiale werden mithilfe von Glasmikroelek­troden intrazellulär gemessen. Eine elektrischeAktivität kann auch extrazellulär registriert wer­den. Mit einer auf das Komplexauge platziertenElektrode werden sowohl Rezeptorpotentiale auf­gezeichnet, als auch die elektrische Aktivität nach­geschalteter Nervenzellen . Mit dieser extrazellu­lären Ableitung, die Elektroretinogramm genanntwird, registriert man die Summe der elektri schenAktivitäten im Auge.

11.4.3 Die Phototransduktion: vomLicht zur elektrischenErregung

Cisternen, die vom glatten Endoplasmatischen Re­ticulum gebildet werden und Calciumionen spei­chern . Diese Cisternen durchziehen die Zelle bis indie unmittelbare Nähe der Basis der Mikrovilliund sind in der Lage sowohl Calciumionen aufzu­nehmen wie auch freizusetzen, eine Voraussetzungfür die Verarbeitung von Lichtreizen im Photo­rezeptor.

,Aus

11I11,Ein

B

2mvL1 s I

möglicherweise zu Pigmentgranula umgewandeltwerden und so eine wichtige Rolle bei der Anpas­sung des Photorezeptors an unterschiedlicheLichtverhältni sse spielen. Im Gegensatz dazu wirdbei Dunkelheit die Regeneration der Mikrovillibegünstigt.

Neben den Mikrovilli findet man in Photo­rezeptoren von wirbellosen Tieren eine weitereanatomische Besonderheit, die submikrovilIären

Abb. 11-49: Lichtantworten von Photorezeptoren im In­sektenauge. Rezeptorpotentiale sind in (A) und (B) intra­zellulär aus Photorezeptoren im Komplexauge abgeleitet. Manbeachte, dass nur die Änderungen der Membra nspannungaufgetragen sind, nicht aber der Absolutwert des Potentials.ARezeptorpotentiale eines Photorezeptors der Schmeißfliege,ausgelöst durch Lichtreize von 200 ms Dauer und unterschiedli ­cher Intensität (nach Zettler 1969). Mit zunehmender Intensitätwird aus einer einfachen Depolarisation eine komplexere Licht­antwort, bestehend aus einem vorübergehendenschnell anstei­genden und abfallenden Teil und einem Plateau. Von Photo­rezeptoren bei Drosophila weiß man, dass diesen verschiedenenKomponenten des Rezeptorpotentials unterschiedliche moleku­lare Prozesse zugrunde liegen. BLichtantworten eines Photo­rezeptors der Wanderheuschrecke. Innerhalb der Markierungen(Ein; Aus) wurde das Komplexauge mit schwachem Dauerlichtstimuliert. Jede erkennbare Depola risation wird Bump genanntund ist durch Absorptioneines Photons ausgelöst. Dies lässtsichindi rekt aus der Häufigkeitsvertei lung der Bumps bei sehrschwachem Reizlicht ableiten . Die unterschiedliche Größe derBumps zeigt, dass intrazelluläre Mechanismen mit variablerVerstärku ng ander Entstehung desSignals beteil igt sind. (NachLillywhite 1977)

Page 43: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

11.4 Photorezeption 323

Schnitt

in B

A

B no

Mikrovillus­membran

extrazellulär

3-Hydroxyretinal(all-trans)

Abb. 11·50: Der Sehfarbstoff Rhodopsin von Drosophila. A Das Rhodopsin besteht aus einem Chromophor, dem3-Hydroxyretinal, und einem Proteinanteil. Dieser Proteinanteil ist eine Kette von 373 Aminosäuren, die sich zu 7 membrandurch­spannenden a-Helices faltet, die nebeneinander gezeichnet sind, verbunden durch unterschiedlich lange hydrophile extra- undintrazelluläre Schleifen. Der Chromophor (R) ist an das Lysin in Position 319 der 7.a-Helix gebunden. Wie bei vielen anderen bisherbekannten Rezeptormolekülen mit 7 transmembranen Regionen vermittelt auch Rhodopsin seine Aktivität auf G-Proteine, derenKopplungsstelle wahrscheinlich imBereich der Schleife zwischen den Helices 5 und 6 liegt. BAufsicht aufeinen Schnitt des Molekülsim Bindungsbereich des Chromophors. Die sieben a-Helices umschließen den Chromophor, der innerhalb der Mikrovillusmembranliegt. Durch Lichtabsorption isomerisiert der Chromophor aus der 11 -cis-Form in die all-trans-Form, wahrscheinlich um diegestrichelte Achse herum. Dadurch ändert sich die Konformation des Rhodopsinmoleküls zum aktiven Rhodopsin, dem Meta­rhodopsin, das eine Enzymkaskade aktiviert und sodie elektrische Lichtantwort auslöst. (Nach Hamdorf 1995)

aktiv, und setzt im Mikrovillus eine Kette vonReaktionen in Gang, die das Rezeptorpotentialentstehen lässt. Diese katalytisch wirksame Rho­dopsinkonformation bezeichnet man als Metarho­dopsin. Rhodopsin besteht aus einem Proteinan­teil, dem Opsin und einem Chromophor. DieserChromophor ist entweder ein Retinal oder ein3-Hydroxyretinal. Die Lichtabsorption erfolgt amChromophor und verursacht eine Isomerisationvom ll-cis-Retinal zum all-trans-Retinal. DieseIsornerisation führt zur Konformationsänderungdes gesamten Rhodopsinmoleküls und es entstehtMetarhodopsin. In den Photorezeptoren der In­sekten aber auch anderer wirbeIloser Tiere findetdie Photoregeneration statt, ein Prozess, der dafür

sorgt, dass auch bei großer Sonneneinstrahlunggenügend Rhodopsin zur Aktivierung bereitsteht(Abb. 11-51). Photoregeneration beruht auf derbesonderen Eigenschaft des Metarhodopsins, ähn­lich wie das Ausgangsmolekül Rhodopsin, licht­empfindlich zu sein und durch Photonenabsorp­tion in die katalytisch inaktive Form des Rhodop­sins zurückgeführt zu werden. Je nach Helligkeitstellt sich daher in jeder Zelle ein unterschiedlichesphotochemisches Gleichgewicht zwischen derMenge von aktivierbarem Rhodopsin und Meta­rhodopsin ein. Obwohl der Vorrat an aktivierba­rem Rhodopsin bei großer Helligkeit geringerwird, ist damit sichergestellt, dass er nicht er­schöpft . Die Konformationsänderung zum Meta-

Page 44: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

480 nm

580 nm

324 11 Sinnesphysiologie

Abb. 11-51: Rhodopsinzyklus undPhotoregeneration.Rhodopsin [@ab­sorbiert beim Photorezeptortyp R1 vonDrosophila vorzugsweise bei einer Wel-lenlänge von 480 nm und wird zumaktiven Metarhodopsin @ . Dieses Me­tarhodopsin stößt die Enzymkaskade an,diezum Rezeptorpotential führt. Wenigerals 100 ms lang ist Metarhodopsin aktiv.Es wird enzymatisch durch mehrfachePhosphorylierung @-Pxund Binden vonArrestin (Arr), einem Protein, inaktiviert.Die Bindung von Arrestin an @-Pxscheint Phosphatasen daran zu hindern,aus @>-Px durch Dephosphorylierungaktives Metarhodopsin zu katalysieren, das dann lichtunabhängig die Enzymkaskade in Gang setzen würde. Inaktives Meta­rhodopsin @-Px-Arr ist daher stabil und im Photorezeptor in großer Menge vorhanden. Während kurzweiliges Licht dieKonformationsänderung von Rhodopsin zu Metarhodopsin auslöst, kann langweiliges Licht das Metarhodopsin in Rhodopsinzurückverwandeln. Dieser Vorgang wird als Photoregeneration bezeichnet. Nach Absorption von langweiligem Licht (580 nm)entsteht aus @-Px-Arr eine nicht aktivierbare Rhodopsinkonformation [@-Px-Arr, die nach Freigabe von Arrestin enzymatisch~hosphoryliert wird und nun wieder in den aktivierbaren Ausgangszustand zurückgeführt ist. Diese Umwandlung vonIßbl-Px-Arr in aktivierbares [@ dauert wenige Minuten. Im Tageslicht ist die Energie auf das Spektrum der Wellenlängen derartverteilt, dass unabhängig von der Helligkeit, immer aktivierbares Rhodopsin imPhotorezeptor vorliegt. Diese Photoregeneration, dienur in Photorezeptoren bei wirbellosen TIeren gefunden wurde, verhindert jedoch nicht, dass bei großer Helligkeit die Menge vonaktivierbarem Rhodopsin sinkt.

rhodopsin findet ohne Photonenabsorption nichtstatt und ist daher ein sehr zuverlässiges Maß fürdie Lichtabsorption. Hat Rhodopsin ein Photonabsorbiert, dann aktiviert das entstandene Meta­rhodopsin ein so genanntes G-Protein, das einGOP-Molekül gebunden hat und dabei diesesGOP gegen GTP austauscht (Abb. li-52). Nachdiesem Austausch erhöht eine Untereinheit des G­Proteins die Aktivität eines weiteren Enzyms, derPhospholipase C. Ein Reaktionsprodukt der enzy­matischen Aktivität dieser Phospholipase C ist dasInositol-I,4,5-trisphosphat (IP3) , dessen Bildungwiederum eine notwendige Voraussetzung für dieEntstehung des Rezeptorpotentials ist. IP3 diffun­diert zu den submikrovillären Cisternen (Abb. 11­52), öffnet dort Ca2+-Kanäle und verursacht sodie Freisetzung von Calciumionen aus diesen in­trazellulären Speichern. Welche weiteren Enzymeoder Botenstoffe notwendig sind, um die elek­trische Antwort des Photorezeptors auszulösen,wird derzeit intensiv untersucht. Letztendlich wer­den in der Zellmembran Ionenkanäle geöffnet.Ca2+ sowie Na" strömen in die Zelle und verur­sachen das Rezeptorpotential. Der Photorezeptorüberträgt die Information an einer chemischenSynapse mit dem Transmitter Histamin auf dienachgeschaltete Nervenzelle. Die in diesem Ab­schnitt beschriebene Enzymkaskade der Photo­transduktion beinhaltet eine Signalverstärkung.So kann ein Metarhodopsinmolekül mehrere G­Proteine nacheinander aktivieren und jede Phos­pholipase C katalysiert viele IP3-Moleküle. DieEffektivität dieser Verstärkung wird dadurch be­günstigt, dass diese Prozesse innerhalb eines gerin­gen Volumens am Mikrovillisaum ablaufen

(Abb. 11-48), wodurch die Botenstoffe hochkon­zentriert vorliegen. Die hohe Lichtempfindlichkeitdieser Photorezeptoren muss aber reduziert wer­den können, damit nicht normales Tageslicht dasRezeptorpotential sättigt und dadurch die Zelle"blendet". Einige dieser Adaptationsprozesse wer­den im folgenden Abschnitt vorgestellt.

11.4.3.2 Die Anpassung des Photorezeptorsan unterschiedlicheLichtverhältnisse

Jeder Photorezeptor hat Mechanismen, seineEmpfindlichkeit den Lichtverhältnissen anzupas­sen (s. 11.4.4.4 Pupillenmechanismen) . Der ge­samte zeitliche Verlauf dieser Anpassung an einebestimmte Helligkeit wird als Adaptation bezeich­net. Die Mindestgröße für eine gerade noch wahr­nehmbare Helligkeitsänderung ist von der Grund­helligkeit abhängig, an die der Photorezeptor ad­aptiert ist. Je größer diese Grundhelligkeit ist,desto größer muss auch die Helligkeitsänderungsein, damit sie vom Photorezeptor als Reiz er­kannt werden kann . Ist der Photorezeptor an einekonstante Grundhelligkeit adaptiert, dann ist dieAmplitude des Rezeptorpotentials ein Maß für dieIntensität des Lichtreizes (Abb. li-53). Photore­zeptoren sind daher bei verschiedenen Helligkei­ten für den Vergleich der Intensitäten unterschied­licher Lichtreize geeignet. Die Photorezeptorender Insekten haben verschiedene molekulare Me­chanismen, die diese Anpassung an die jeweiligeHelligkeit ermöglichen:• Die Menge an aktivierbarem Rhodopsin regelt

Page 45: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

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~ TRPL·Kan41~ CNG-Kanal?

11.4 Photorezeption 325

Abb. 11-52: Die Enzymkaskade derPhototransduktion bei Drosophila. Ein Rhodopsinmolekül (Rh) ändert nach Absorptioneines einzigen Photons seine Konformation und wird zum aktiven Rhodopsin, dem Metarhodopsin (M), das eine Kette vonReaktionen intrazellulär in Gang setzt. Erstes Glied dieser Kette istein GTP-bindendes Protein, das aus drei Untereinheiten besteht(aßy), an deren größte (u) ein GDP-Molekül gebunden ist. Dieses G-Protein tritt inWechselwirkung mit Metarhodopsin, in dessenFolge GDP gegen GTP ausgetauscht wird und das G-Protein in zwei Teile dissoziiert (a-GTP und ßy). Es istdie a-Untereinheit, dieden nächsten Schritt in der Kette aktiviert, eine Phospholipase C (PLC). Dieses Enzym spaltet das MembranphospholipidPhosphatidyl-inositol-4,S-bisphosphat (PIP2) in Inositol-1,4,S-trisphosphat (IP3) und Diacylglycerol (DAG). IP3 diffundiert zubenachbarten intrazellulären Calciumspeichern, den submikrovillären Cisternen (SMC) und öffnet dort Calciumkanäle in derMembran. Die Folge ist eine Freisetzung von Calciumionen und damit der Anstieg der cytosol ischen Calciumkonzentration. Bishierhin sind die Glieder dieser Kette gut untersucht, jedoch ist bis heute unklar, durch welchen Liganden oder Mechanismus dieIonenkanäle in der Zellmembran an der Basis der Mikrovilli geöffnet werden. Sind diese Ionenkanäle offen, strömt überwiegend Na+und Ca2+ in den Photorezeptor und es entsteht das Rezeptorpotential. Bei Drosophila sind zwei Typen von Ionenkanälen aufmolekularer und physiologischer Ebene beschrieben worden, die bei Belichtung des Photorezeptors geöffnet werden. Ein Typ vonIonenkanälen (TRPL-Kanal) verursacht den vorübergehenden schnellen Anstieg und Wiederabfall des Rezeptorpotentials, währendder zweite Typ (TRP-Kanal) eine langsame Komponente des Rezeptorpotentials hervorruft (siehe auch Abb 11-46A). Zudem ist inden Augen von Drosophilamitmolekularbiologischen Methoden ein Kanaltyp nachgewiesen worden, der durch zyklische Nucleotidegeöffnet wird. Seine Rolle bei der Entstehung des Rezeptorpotentials istnoch nicht geklärt. Das mit der Bildung von IP3 gemeinsamentstandene Diacylglycerol aktiviert eine Protein-Kinase C (PKC), die weitere Proteine phosphoryliert und die Lichtempfindl ichkeitdes Photorezeptors reduziert.

bei großer Helligkeit die Empfindlichkeit desPhotorezeptors. Je heller es ist, desto wenigeraktivierbares Rhodopsin befindet sich in derZelle, d.h. die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass einRhodopsinmolekül ein Photon absorbiert undder Photorezeptor ist unempfindlicher gewor­den. Außerdem wird aktiviertes Metarhodopsindurch Phosphorylierung und durch Binden einesArrestin genannten Proteins inaktiviert.

• Eine wesentliche Rolle bei der Adaptation spieltdie cytosolische Ca2+-Konzentration. Der durchBelichtung ausgelöste Anstieg der Ca2+-Kon­zentration im Cytosol verringert die Lichtemp­findlichkeit der Zelle. Calciumionen inaktivierendie Kanäle in der Zellmembran, die das Re­zeptorpotential hervorrufen. Auch die Protein­Kinase C ist calciumabhängig in ihrer Aktivitätund verringert bei Drosophila die Empfindlich­keit der Photorezeptoren durch Phosphorylie­rung von Proteinen .

• Die G-Proteine verfügen über einen eigenen Ab­schaltmechanismus. Aktiviertes Ga-GTP wird

katalytisch aktiv, spaltet am GTP Phospat abund überführt sich so in die inaktive Form, dasGa-GDP. Dieses Ga-GDP bildet dann wiederzusammen mit Gßy ein vollständiges aktivierba­res G-Protein .

• Auch die Menge an verfügbarem Phosphatidyl­inositol-4,5-bisphosphat (PIP2) , dem Ausgangs­produkt für die Bildung von IP3 durch die Phos­pholipase C, beeinflusst die Größe des Rezeptor­potentials. Im Photorezeptor wird die IP3 Pro­duktion über die Aktivität der Phospholipase Cgeregelt, aber auch molekulare Mechanismen,die dort die PIP2 Menge regulieren, sind zusätz­lich in der Lage, die Verstärkung innerhalb derPhototransduktion zu beeinflussen. Es ist aller­dings noch nicht nachgewiesen, dass der Photo­rezeptor diese Möglichkeit zur Regulation derVerstärkung tatsächlich nutzt. Obwohl in denZellen vieler Lebewesen die Phospholipase Cund IP3 an der Verarbeitung von Signalen eineRolle spielen, ist Drosophila der erste Eukaryot,bei dem dieser Zusammenhang zwischen der zur

Page 46: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

Aufzeichnung elektrischer Aktivität des gesamtenAuges, nachweisbar ist. Die Antwort eines einzel­nen Photorezeptors auf einen kurzen Lichtreizvon wenigen ms dauert etwa IOD ms. Stimuliertman einen kleinen Bereich eines Komplexaugesmit einem sinusförmig modulierten Lichtsignalund leitet man dabei einen Photorezeptor intra­zelluär ab, so folgt das Rezeptorpotential demSinusreiz bei niedrigen Frequenzen (Abb. li-54).Bei hohen Frequenzen (ca. IOD Hz) verringert sichdie Amplitude der sinusförmigen Modulation desMembranpotentials sehr stark und hebt sich nurnoch schwach als Signal vom Rauschen ab. Außer­dem schwingen dann Reiz und Rezeptorpotentialnicht mehr in der gleichen Phase. Das hohe zeit­liche Auflösungsvermögen, das im Elektroretino­gramm sichtbar wird, spiegelt die besondere Artder Weiterverarbeitung der Rezeptorpotentiale aufdem Weg zu den nachgeschalteten Neuronen wie­der. Beider Schmeißfliegewerden die Rezeptorpo­tentiale von jeweils einem Photorezeptor aus 6benachbarten Ommatidien gemeinsam weiterver­arbeitet. Dadurch wird zufallsbedingtes Rauschenverringert, sodass auch sehr kleine Signale vomInsekt genutzt werden können. Das zeitliche Auf­lösungsvermögen hängt vom Adaptationszustanddes Auges ab. Mit zunehmender Helligkeit steigtdas zeitliche Auflösungsvermögen des Photore­zeptors. Beim helladaptierten Auge ist die Mem­branleitfähigkeit des Photorezeptors durch dasÖffnen von spannungsaktivierten Ionenkanälenerhöht. Die Zellmembran kann daher mit einergeringeren Zeitkonstante depolarisiert und repo­larisiert werden, d. h. das Rezeptorpotential er­reicht früher sein Maximum und fallt schnellerwieder ab. Der entscheidende Nachteil ist dann,

326 11 Sinnesphysiologie

• Dunkeladaptierto Helladaptiert

1.0

•••

0.8 •

C- o...c::

0.6 0V> •...-c...-c 0.~a. •E 0.4 0<t:...~'"~ •c:: 0

0.2 •o

o

o0.0 L..o..._~-,-_,---,-_,---,- -'

-6 -5 -4 -3 -2 -1 0

Log (.<il/!)

Abb. 11-53: Lichtadaptation bei einer Photorezeptor­zeIle. Auhragung der Amplitude des Rezeptorpotentials (ReP)gegen die Reizlichtintensität bei zwei verschiedenen Adapta­tionszuständen, einmal bei einer bestimmten Grundhelligkeit(Helladaptiert) und einmal ohne (Dunkeladaptiert). Nach Stimu­lation mit Lichtblitzen (524 nm) von verschiedener Intensität ölwurden Rezeptorpotentiale intrazellulär aus einer einzelnenPhotorezeptorzelle von Drosophila abgeleitet (nach Minke undSelinger 1996). Man beachte, dass die Reizintensität Öl aufdiemaximale Reizintensität I normiert wurde und logarithmisch aufder Abszisse aufgetragen ist, d.h.der Wert 0 bedeutet maximaleReizl ichtintensität. Die Kurve fürdie Antworten bei der heliadap­tierten Zelle ist gegenüber der der dunkeladaptierten zu grö­ßeren Reizlichtintensitäten verschoben. Diese Versch iebungführt dazu, dass die Amplitude des Rezeptorpotentials trotzGrundhelligkeit unterhalb der Sättigung und proportional zumLogarithmus der Reizlichtintensität bleibt. Hell-Dunkel-Kontrastein der Umwelt können daher über einen großen Bereich derGrundhelligkeit als Lichtreize erkannt undin ihrer Kontraststärkeunterschieden werden.

Verfügung stehenden Menge an PIP2 und derSignalverstärkung nachgewiesen wurde.

11.4.3.3 Das zeitliche Auflösungsvermögender Insektenaugen

Hz

5.7

85

t-Reiz

~~'i: mvI I

0.1 s

Die Komplexaugen von Insekten zeigen ein hoheszeitliches Auflösungsvermögen. Von der Schmeiß­fliege Calliphorakönnen einzelne Lichtreize bis zueiner Frequenz von 250 Hz aufgelöst werden. Da­bei führt jeder Lichtreiz zu einem diskreten elek­trischen Signal, das im Elektroretinogramm, der

Abb. 11-54: Der Einfluss unterschiedlicher Reizfrequen­zen auf das Rezeptorpotential. Lichtantworten einer Photo­rezeptorzeIle von Calliphora auf sinusförmig modulierte Licht­reize gleicher Amplitude. (Nach Zettler 1969) Man beachte, dassnur die Änderungen der Membranspannung aufgetragen sind,nicht aber der Absolutwert. Die jeweils untere Spur zeigt denLichtreiz, dieobere das gemessene Rezeptorpotential.

Page 47: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

dass nur relativ große Intensitätsänderungen vomPhotorezeptor erkannt werden können. Bei Dun­keladaptation ist die Membranleitfähigkeit ernied­rigt und ermöglicht so eine größere Lichtemp­findlichkeit , jedoch um den Preis der Verlängerungder Dauer des Rezeptorpotentials.

Dieser Zusammenhang zwischen der Lichtempfindlich­keit und der Membranleitfähigkeit des Photorezeptorslässt sich mithilfe des Ohmsehen Gesetzes erklären .Fließt ein bestimmter Ionenstrom durch die Zellmem­bran, so verhält sich die ausgelöste Potentialänderungproportional zum Membranwiderstand, also umgekehrtproportional zur Leitfähigkeit. Nach einem Lichtreizerhält man bei gleich großem Kationeneinstrom einumso größeres Rezeptorpotential je kleiner die Mem­branleitfähigkeit ist. Der Zeitverlauf und die Amplitudedes Rezeptorpotentials werden zusätzlich durch andereProzesse innerhalb der Phototransduktion bestimmt.

11.4.3.4 Pigmente im Photorezeptor:Chemie der Empfindlichkeits­modulation

Lichtabsorption erfolgt nicht nur durch den anOpsin gebundenen Chromophor, das Retinal oder3-Hydroxyretinal, sondern auch durch ein sen­sibilisierendes Pigment, ein Retinol, mit direktemKontakt zum Rhodopsin (Abb. 11-55). Dieses sen­sibilisierende Pigment absorbiert ein Photon ohneIsomerisation. Die Energie wird direkt vom sen­sibilisierenden Pigment auf den Chromophorübertragen, der dann ohne eigene Photonabsorp­tion isomerisiert und das Rhodopsin aktiviert.Während das Rhodopsin Rhl in den Photore­zeptoren RI-R6 der Dipteren vorzugsweise Lichtim sichtbaren Spektrum absorbiert, sind sensibili­sierende Pigmente überwiegend UV-empfindlich .Diese Erweiterung des Absorptionsspektrums inden UV Bereich kann die Lichtempfindlichkeit desPhotorezeptors steigern . Dagegen beruht die Fä­higkeit zur Farbunterscheidung, z.B. bei Bienen,auf einem anderen Prinzip. Es sind dort unter­schiedliche Opsin-Typen , die die verschiedenenspektralen Empfindlichkeiten in den Photorezep­toren bestimmen (s. 11.4.4.4 Farbensehen). Beieinigen Fliegenarten findet man im PhotorezeptorR7y, einem der beiden zentral gelegenen Photo­rezeptoren (Abb. 11-59), zusätzlich ein C40-Caro­

tin im Rhabdom, das blaues Licht absorbiert, aberdie Energie nicht auf Rhodopsin überträgt. DieserFilter führt dazu, dass relativ wenig blaues LichtR7y erreicht und diese Zelle dadurch besondersUV-empfindlich ist. Der zweite zentral gelegenePhotorezeptor ist R8y und liegt proximal von R7y,also in dessen "Schatten". Durch die Filterwir­kung von R7y erreicht überwiegend langwelligesLicht diese Zelle. Tatsächlich ist R8y besondersempfindlich für langwelliges Licht. Das kompli-

11.4 Photorezeption 327

zierte System der R7 und R8 Photorezeptoren istmöglicherweise die Grundlage für eine kategorialeFarbwahrnehmung, wie sie für Lucilia vorgeschla­gen wurde. Diese Fliege kann demnach drei großeBereiche des Spektrums als Farbkategorien von­einander unterscheiden, d.h. UV, Blau und Gelb,aber innerhalb einer Farbkategorie werden ver­schiedene Wellenlängen nicht unterschieden.

11.4.3.5 Phototransduktion beiWirbeltieren und Insekten

Im Auge von Wirbeltieren kennt man zumindest in denStäbchen alle für die Phototransduktion notwendigenBestandteile. Wie auch bei den Insekten, absorbiert Rho­dopsin das Licht und aktiviert über G-Proteine eineEnzymkaskade. An deren Ende werden jedoch bei Be­lichtung Ionenkanäle in der Zellmembran geschlossen.Die Photorezeptoren der Wirbeltiere antworten dahermit einer Hyperpolarisation auf einen Lichtreiz, währenddie Lichtantwort bei den meisten Photo rezeptoren vonInsekten und anderen wirbellosen Tieren eine Depola­risation ist. Dabei sind Rhodopsin und G-Proteine inihrer Aminosäuresequenz und Funktionsweise bei Wir­beltieren und Wirbellosen ähnlich. Anders ist jedoch beiden Wirbeltieren, dass das G-Protein die Phosphodi­esterase aktiviert, ein Enzym, das den Liganden cGMPabbaut, der im Dunkeln Ionenkanäle in der Zellmem­bran offenhält. Beim Stäbchen fließen also im unbe­lichteten Zustand Kationen in die Zelle und der Lichtreizführt zur Verringerung dieses Einwärtsstroms von posi­tiven Ladungen . Ein weiterer wesentlicher Unterschiedbesteht darin, dass bei Photorezeptoren von Wirbeltierenkeine Photoregeneration stattfindet. Metarhodopsin zer­fällt in Opsin und Retinal, sodass jedes aktivierbareRhodopsinmolekül durch Synthese bereitgestellt werdenmuss. Verglichen mit der Photoregeneration ist dieseResynthese langsam und die Augen der Wirbeltiere müs­sen vor einer möglichen " Blendung" durch direkte Son­neneinstrahlung geschützt sein. Trotz solcher bedeuten­der Unterschiede auf molekularer Ebene ist die Leis­tungsfähigkeit von Photorezeptoren der Insekten undder Wirbeltiere ähnlich (Stieve 1988). Bei beiden Photo­rezeptortypen reicht die Absorption eines einzigen Pho­tons, um eine messbare elektrische Lichtantwort auszu­lösen und beide sind in der Lage über mehrere Dekadenunterschiedlicher Helligkeit, Lichtreize in elektrische Er­regung zu übersetzen.

11.4.4 Von der Sehzelle zum Bild:Augenformen

Neben den Photorezeptoren mit ihrer Fähigkeit ,Licht in elektrische Signale umzuwandeln, sindeine Reihe von Hilfsstrukturen erforderlich , dieder Reizleitung dienen und weitere Funktionenausüben. Das ist vor allem der dioptrische Appa­rat , die abbildende Optik. Dazu die Licht ab­schirmenden Pigmente, die regelmäßige Anord-

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328 11 Sinnesphysiologie

300 400 500

Wellenlänge (nm)

600

Sen sibilisierendes Pigment:UV absorbierend, Energiel ransfer zum Chromophor

Abb. 11-55: Die Modulation der spektralen Empfindlichkeit im Photorezeptor der Fliegen. Links (nach Troje 1993):Relative spektrale Empfindlichkeit verschiedener Photorezeptortypen von Fliegen. Die gestrichelte Linie gilt fürdie PhotorezeptorenR1-R6, die den Hauptanteil im Fliegenauge ausmachen. Diese Photorezeptoren sind für blaues Licht (480 nm) und im UV Bereich(350 nm) besonders empfindlich. Das Rhodopsin absorbiert maximal bei ca. 480 nm und ein sensibilisierendes Pigment bei ca. 350nm Wellenlänge. Das sensibilisierende Pigment überträgt die Lichtenergie direkt aufden Chromophor, wodurch die Empfindlichkeitdes Photorezeptors erhöht ist. Die beiden zentral gelegenen Photorezeptoren (R7 und R8) des Ommatidiums liegen im Lichtweghintereinander und lassen sich bei den meisten Ommatidien in Untergruppen einteilen (ca. 70% der Ommatidien y: yellow und ca.30% p: pale; benannt nach dem erkennbaren Farbton im Durchlicht). Beide Gruppen von R7 sind UV empfindlich, während R8langweiligeres Licht absorbiert. Rechts (nach Kirschfeld et al. 1988): Die molekulare Ausstattung der Photorezeptoren R7y, mit UVempfindlichem Rhodopsin, UV empfindlichem sensibilisierendem Pigment und einem zusätzlichen Pigment (C4o-Carotin), das zwarblaues Licht absorbiert, aber die Energie nicht auf den Chromophor überträgt, macht R7y zu einem fast ausschließlich UVempfindlichen Photorezeptor. Da R7y distal von R8y liegt, filtert R7y einen großen Teil des kurzweiligen Lichts aus dem Spektrumheraus, das R8y erreicht. R8y erhält dadurch ein sehr scharfes spektrales Maximum im grünen Bereich. Jedes Auge der Fliege hatdamit 5 verschiedene spektrale Klassen von Photorezeptoren. Möglicherweise kann die Fliege mithilfe der verschiedenen spektralenEmpfindlichkeiten von R7 und R8 drei verschiedene Farbkategorien unterscheiden.

nung der Sehzellen, Mechanismen zur Steuerungdes Lichtflusses. Als weiterer Bestandteil sindHilfsstrukturen nötig, die Form und Funktion desSinnesorgans aufrechterhalten und es schützen:das Tracheensystem zur Sauerstoffversorgung,Mechanorezeptoren, die Verschmutzung meldenund helfen, Verletzungen zu vermeiden.

11.4.4.1 Extraokularer Lichtsinn

Es mag verwunderlich scheinen, dass Insekten zu­sätzlich zu ihren Augen extraokulare Photorezep­toren haben, die nicht in Augen oder augenähnli­chen Strukturen integriert sind. So wurde beimSchwalbenschwanz Papilio xuthus ein extraoku­larer Photorezeptor im Genitalapparat der Männ­chen gefunden, der ihnen hilft, bei der Kopulationdie richtige Position im weiblichen Genitalapparatzu finden. Ist die erreicht, werden die Photore­zeptoren vollständig abgeschattet. Neben solchen,

eher exotisch anmutenden Aufgaben ist ein an­derer Funktionsbereich von extraokularen Photo­rezeptoren weiter verbreitet: sie finden sich imGehirn vieler Insekten und dienen auf noch nichtausreichend verstandene Weise der Synchronisa­tion der inneren Uhr durch den Hell- Dunkel­wechseI.

11.4.4.2 Einzelaugen (Ocellen, Stemmata)

In den richtigen Augen treten jeweils meist 8 Sin­neszellen zu einer ursprünglich rotationssymmetri­schen Anordnung, dem Ommatidium zusammen,und zwar so, dass die Mikrovillisäume der Achsezugekehrt sind. Aus solchen Ommatidien sindauch die Einzelaugen gebildet. Sie kommen in zweiVarianten vor. In den OceUen (Stirnaugen, nor­malerweise in Dreizahl, Abb. li-56 A, B) und denStemmata (Einzelaugen der Larven) treten zahl­reiche Ommatidien in einer oder mehreren Schich-

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11.4 Photorezeption 329

A c

Cornea

Sinneszelle

retinale Pigmentzelle

'~~--Rhabdom

~=~,,-- Kristallkegelzelle

Kristallkegel

=:=HII~'--- Basalmembran

corneagene Zellen

Corneacorneagene Zelle

epidermale

Pigmentzellpupille

Nerv

B

retinalePigmentzelle

Abb. 11-56: Ocellen und Ommatidium eines Appositionsauges. A, B Schematische Schnitte durch typische Ocellen miteinschichtiger Retina. A mit zelligem Linsenkörper und umhüllenden Pigmentzellen (Ephemeriden); B mit Cornealinse, Retinapig­mentzeIlen und epidermalem Pigment. CSchematischer Längsschnitt durch ein eukones Ommatidium eines Appositionsauges. (NachWeber und Weidner 1974)

ten zu einer Retina zusammen , die mit einer ge­meinsamen Optik, einer dicken bikonvexen Linseversehen sind. Das auf der Retina entstehende,umgekehrte Bild der Umgebung in den Ocellenwird anscheinend von den Insekten nicht ausge­wertet sondern nur zur Helligkeitsbestimmungverwendet. Durch Vergleich der Erregung aus den3 Ocellen kann dieses Helligkeitssignal aber im­merhin zur Lagestabilisierung fliegender Heu­schrecken verwendet werden (Horizontbestim­mung, s. 9.4). In den Stemmata der Insektenlarvenkonnte man Ansätze zu einem Bild- und Bewe­gungssehens nachweisen; besonders gründlichwurde dies bei den Larven von Sandlaufkäfernuntersucht.

einer meist bikonvexen, aus Material mit hohemBrechungsindex (nahe 1,5) geschichteten EinzeI­linse. Daran schließt sich der Kristallkegel an. Erkann als homogenes, durchsichtiges Medium al­lein der Weiterleitung des Lichtes dienen, aberauch (bei den optischen Superpositionsaugen) einwesentlicher Bestandteil der zusammengesetztenOptik sein.

Je nach Bau und Herkunft bei der Entwicklung derKristallkegel unterscheidet man akone, eukone und pseu­dokone Dioptrik (siehe Weber und Weidner 1974). Ent­scheidend für die Funktion sind jedoch die verschie­denen optischen Prinzipien der Komplexaugen, von de­nen anschließend die Grundtypen beschrieben werden.

11.4.4.3 Komplexaugen

Die auffälligsten Lichtsinnesorgane der Insektensind die Komplex- oder Facettenaugen. Ein Kom­plexauge besteht aus bis zu etwa 30000 Ommati­dien, die alle mit einem eigenem dioptrischen Ap­parat versehen sind (Abb. li-56 C). Dieser bestehtzunächst aus der stark brechenden Cornealinse,

Die Mikrovillisäume der Sehzellen der Ommati­dien können getrennt bleiben (offenes oder unfu­sioniertes Rhabdom bei Dipteren) oder (bei denmeisten Insekten) zu einem zentralen Rhabdomfusionieren . Dabei sind auch beim fusioniertenRhabdom die Sinneszellen nicht miteinander ver­schmolzen. Die einzelnen Rhabdomere liegenzwar so dicht aneinander, dass sie einen einzigenLichtleiter bilden, sind aber durch die Zellmem­branen getrennt . Die Ommatidien werden durch 3

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330 11 Sinnesphysiologie

Typen von Pigmentzellen gegeneinander optischabgeschirmt.

Erst die regelmäßige Anordnung vieler Omma­tidien in einem meist hexagonalen Muster (Facet­ten) bildet das funktionsfähige Auge. Die auf­rechte Abbildung der Umgebung auf das Ommati­dienraster kommt dadurch zustande, dass die opti­schen Achsen der kegclförrnigen, etwa auf einerKugelschale liegenden Einzelaugen alle um wenigeGrad divergieren (nämlich um den Divergenzwin­kel ~<1>, Werte liegen im Mittel zwischen 1-3Grad), sodass jedes Einzelauge in eine leicht un­terschiedliche Richtung blickt. Aus dem Erre­gungsmuster der Einzelaugen kann das Zentral­nervensystem die Helligkeitsverteilung der Umge­bung rekonstruieren, ebenso wie das bei unserenAugen aus der Erregungsverteilung der Retinageschieht.

An dieser Stelle sei auf einen weitverbreiteten Irrtumhingewiesen: Das Facettenauge erzeugt keineswegs eingrundsätzlich anderes Bild als unsere Linsenaugen; we­der ist das Bildim Gegensatzzu unseren Augen mosaik­artig (beideBildersind gerastert, allerdingsist das RasterunsererAugenviel feiner) noch erzeugtein Komplexaugeeine Vielzahl von wirr überlagerten Bildern, wie esmanchmal in schlechten Horrorfilmen dargestellt wird.

Bauartbedingte Zusammenhänge der optischenMerkmale von Komplexaugen

Zunächst sollen an einem vereinfachten Schemades Appositionsauges wie es z. B. bei der Bieneverwirklicht ist, die Gcsetzmäßigkeiten der opti­schen Geometrie eines Komplexauges dargelegtwerden (Abb. 11-57).

Abb. 11-57: Abbildungsprinzip eines Appositionsauges.Schematische Darstellung, Erläuterungen siehe Text. (Nach Land1989)

Aus einem Abschnitt des als kugelförmig (mitdem Radius R) gedachten Appositionsauges sindeinige Ommatidien skizziert: je eine Sammellinsemit dem Durchmesser D und der Brennweite f,jeweils ein verschmolzenes Rhabdom mit demDurchmesser d. Der Linsendurchmesser D legtzusammen mit dem Kugelradius den geometri­schen Divergenzwinkel ~<1> fest. Die Skizze zeigtuns, was man machen muss, um den Divergenz­winkel ~<1> zu verkleinern und damit die Winkel­auflösung zu erhöhen: Die relative Größe D derLinse im Verhältnis zum Augenradius muss ver­kleinert werden. Das hat aber erhebliche Neben­wirkungen. Unmittelbar wird klar, dass wegen derdadurch im Quadrat verkleinerten Fläche dieLichtmenge, die auf das Rh abdom fällt , auch ver­kleinert wird - Lichtstärke und Auflösungsver­mögen hängen bei festem Augenradius gegenläu­fig von der Linsengröße D ab.

Etwas schwieriger ist der nächste Effekt nach­zuvollziehen: die Beugung an der kleinen Öffnungder abbildenden Linse. Durch die Wellennatur desLichtes treten an jeder Öffnung, die ein Licht­bündel begrenzt, Beugungseffekte auf, die eineexakt punktförmige Abbildung unmöglich ma­chen. Es wird stattdessen ein Beugungsscheibchen(Airy-Scheibchen, Airy disc) erzeugt, das umsogrößer ist, je kleiner die Öffnung der Linse ist. Dasaber heißt, dass auch Licht, das nicht genau ausder optischen Achse kommt, das Rhabdom trifft ­das Bild wird verschmiert und unscharf, sodass dieerstrebte Erhöhung der Winkelauflösung wiederzunichte gemacht wird.

Ein weiterer begrenzender Faktor der Winkel­auflösung ist die endliche Göße des Rhabdom­durchmessers d: Sie sorgt ebenfalls dafür, dassLicht, das nicht aus der Richtung der optischenAchse auf das Einzelauge trifft, noch zu einerErregung führt , solange es aus dem Winkel Apkommt, dem Winkel , unter dem da s Rhabdomvon der Linse aus erscheint ("Öffnungswinkel" desRhabdoms, engl . "acceptance angle" ).

Es wäre aber nicht vorteilhaft, das Rhabdom immerdünner zu machen, denn dadurch würde die Zahl derQuanten, die auf den Photorezeptor treffen, reduziert,das System würde lichtschwächer. Das Ergebnis dieserÜberlegungen ist, dass die Größe des Beugungsscheib­chens etwa so groß wie der Rhabdomdurchmesser seinsollte und außerdem gerade so groß, dass die Beugungs­scheibchen der benachbarten Ommatidien, die ja geradeum den Divergenzwinkel versetzt sind, in ihren Richt­charakteristiken kaum überlappen.

Diese Überlegungen zeigen, dass der einzige Weg, dieAbbildungseigenschaften eines Appositionsauges zu ver­bessern, eine Vergrößerung des Auges wäre. Mit zu­nehmendem Radius R wird sowohl bei gleichbleibenderLinsengröße das geometrische Auflösungsvermögen bes­ser,ebensoist bei gleichbleibender Auflösung mehr Platzfür größere Linsen.

Page 51: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

A

CornealinseKristallkegel

Sinneszelle

Pigmentzelle

Nerven!aser

Abb. 11·58:Schematische Darstellung des Appositionsauges. A, BLängs- und Querschnitt eines Ommatidiums. CStrahlen­gang von parallelem Licht. Dicker Pfeil: Das Lichtbündel aus der Richtung der optischen Achse eines Ommatidiums wird auf dasRhabdom fokussiert. Dünner Pfeil: Licht, das inbenachbarte Ommatidien (schräg) einfällt, wird aufdie Pigmentzellen gebündelt, woes absorbiert wird. (A und B nach Kirschfeld 1971, Cnach Nilsson 1989)

Die vom Konstruktionsprinzip erzwungenen Zu­sammenhänge legen fest , dass Insektenaugen die­ser Bauform eine relativ geringe Winkelauflösunghaben, und dass sie völlig unrealistisch groß wer­den müssten, und zwar mehrere Meter im Durch­messer, wenn sie eine Winkelauflösung erreichensollten, wie die unserer Augen (in der Fovea ca . IWinkelminute).

Die hier nur skizzierten Zusammenhänge sind auchquantitativ in mehreren sehr eindrucksvollen Arbeitenentwickelt worden (siehe vor allem in Stavengau. Hardie1989) in denen auch die hier stark vereinfachte Dar­stellung des Rhabdoms als Lichtleiter korrigiert wird.Wird ein solchesElement in seinemDurchmesserauf dieGrößenordnung der Lichtwellenlänge verkleinert (ca0,5 um), so spielt auch bei der Ausbreitungdes Lichts imRhabdom die Wellennaturdes Lichtesdie entscheidendeRolle, das Rhabdom muss als Wellenleiter behandeltwerden. Das beeinflusst den genauen Verlaufder Zusam­menhänge, die grundlegenden Überlegungen bleibenaber erhalten.

Klassisches Appositionsauge

Das Appositionsauge kommt bei Bienen, Ameisenund Libellen vor. Es ist ein Komplexauge, dessenEinzelaugen optisch vollständig voneinander iso­liert sind ; die Rhabdomere der 8 oder 9 Sinnes­zellen sind zu einem Rhabdom verschmolzen (fu­sioniert) und die Linse fokussiert Licht, das ausder Richtung der Ommatidienachse von einer weitentfernten Lichtquelle kommt, auf das distaleEnde des Rhabdoms, das direkt hinter dem Kris­tallkegel angeordnet ist. Das Rhabdom hat we­nige um Durchmesser und ist etwa 100 um lang.Der eukone Kristallkegel ist durchsichtig und hatdarüber hinaus keinen Einfluss auf die Abbildung.Die optische Abschirmung erfolgt über die Pig­mentzellen. In den Hauptpigmentzellen sind häufigwasserlösliche, gelbe Farbstoffe, die Pteridine ent­halten, während in den Nebenpigmentzellen ei­weißgebundene, rot-braune Farbstoffe, die Ommo­chrome, vorhanden sind (Abb. 11-56 C, li-58).

Die Rhabdomere treten zwar zu einem ein­heitlichen Lichtleiter zusammen, dem Rhabdom,

Page 52: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

332 11 Sinnesphysiologie

a

3 ·····..···:··Nebenpigmentzelle

zentrale Matrix 2 3 a

4 - ,,=*- .

7

8 - -I-H-

Cornealinse

Kristallkegel

Hauptpigmentzelle

Semperzelle

Nebenpigmentzelle

Kern

Rhabdomer

Sinneszelle

Trachee

zentrale Matrix

Abb. 11-59: Zwei Ommatidieneiner Fliege. Rechts Längsschnitt in Richtung a-a, links zwei Querschnitte in Höhe derPfeile. DieSinneszellen sind nummeriert von 1-8. Die zentrale Matrix trennt die Rhabdomere im offenen Rhabdom. Das rechte Ommatitium istdunkeladaptiert, das linke, helladaptierte zeigtdie Pigmentgrana in der Nähe der Rhabdomere Rh 1-6 konzentriert. (Nach Stavenga1975)

sie sind aber als Kompartiment der Phototrans­duktion jeweils Bestandteil nur der zugehörigenSehzelle, was im Prinzip eine spektral unterschied­liche Antwort der verschiedenen Sehzellen einesOmmatidiums erlaubt und auch eine von der Pola­risationsrichtung abhängige Antwort (s. u.) .

Das Bild, das jede Cornealinse in der Brenn­ebene entwirft, ist ein umgekehrtes, stark verklei­nertes Bild der Umgebung, zwischen den benach­barten Ommatidien jeweils um den Divergenzwin­kel ~<I> verschoben. In jedem Einzelommatidiumwird aus diesem Bild nur der zentrale Punkt ausge­wertet, ausschließlich das Licht aus der Bildmittewird im Rhabdom weitergeleitet und führt zurErregung der Sehzellen. Das beseitigt das Pro­blem , das bei frühen Untersuchungen am Insekten­auge entstand, wie nämlich aus diesen vielen Ein­zelbildchen eine interpretierbare Sicht der Umweltentstehen kann. Die Facettenlinse ist dazu da, dasLicht aus Richtung der Ommatidienachse auf dasRhabdomende zu sammeln, von wo es im Licht­leiter weitergeleitet wird und von den Photopig­menten absorbiert werden kann. Licht, das vonderselben punktförmigen Lichtquelle auf benach­barte Ommatidien fällt , wird wegen der diver­gierenden Achsen nicht auf das Rhabdomende,

sondern auf die Schirmpigmentzellen fokussiert,wo es absorbiert wird . Im Gegensatz zu den klei­nen , inversen aber nicht weiter ausgewerteten Bild­ehen ist das Gesamtbild, das das Facettenaugeerzeugt, und zwar bei allen vorkommenden Typen,aufrecht.

Neurales Superpositionsauge

Dipteren, Ohrwürmer und eine Reihe von Käfernhaben Augen, die vom Bau der Optik Apposi­tionsaugen darstellen, nur mit der Besonderheit,da ss die Rhabdomere nicht verschmolzen sind,sondern ein unfusioniertes , offenes Rhabdom bil­den. Diese Eigenschaft, gekoppelt mit einer spe­ziellen, präzisen Verschaltung der Axone der Sin­neszellen bildet bei Dipteren den Typ des neuralenSuperpositionsauges (Abb. 11-59, 11-60).

Ein Querschnitt durch das Auge der Stubenfliege inHöhe des offenen Rhabdoms zeigt die typische, schieftrapezförmige Anordnung der 7 Rhabdomere (Abb. 11­60 B): 6 periphere, etwas dickere Rhabdomere (0,5-1 11mbei Musca) und I zentrales, etwas dünneres als Nr. 7 (ca0,5 11m). Dieser zentrale Lichtleiter besteht tatsächlichaus zwei hintereinander liegenden Rhabdomeren (Nr. 7und 8, siehe Längsschnitt in Abb. li-59).

Page 53: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

11.4 Photorezeption 333

v- -'\-- - t-- -f-- Cornealinse

c

-n-- - \-- -l-_ Kristallkegel

\.1:{\~~\~N\.--t---r- Sinneszelle

B

A

Abb. 11·60: Schema des neuralen Superpositionsauges. A längsschnitt. Dicke Pfeile: Paralleles licht trifft in 7 benachbartenOmmatidien auf 7 verschiedene Rhabdomere, die alle die gleiche Blickrichtung haben. [in der Aufsicht (8) schwarz umrandeteQuerschnitte] . Dünner Pfeil: licht, das in benachbarte Ommatidien (schräg) einfällt, wird auf die Pigmentzellen gebündelt, wo esabsorbiert wird. CDieAxone derperipheren Sinneszellen '-6 ausden 6 verschiedenen Ommatidien werden auf dem Weg zur laminamit einer charakteristischen Verdrillung zusammengeführt. Die Axoneder Sinneszellen 7 und 8 laufen ohne synaptischen Kontaktdurch die lamina und werden erst in der Medulla auf Interneuronen verschaltet. (A und B nach Nilsson 1989, C nach Kirschfeld1971)

Anders als beim Appositionsauge wird hier dasumgekehrte Bild, das die Cornealinse entwirft,von 7 unterschiedlichen Rhabdomeren weiterge­leitet und von den zugehörigen Sinneszellen regis­triert. Das Besondere dieses Neuralen Superposi­tionsauges ist, dass die 7 unterschiedlichen Blick­winkel des einzelnen Ommatidiums genau so aus­gerichtet sind, wie die Hauptachsen der direktbenachbarten Ommatidien, die mit der gemein­samen Blickrichtung der Rhabdomere 7 und 8übereinstimmen. Entsprechend werden die Axone

der Sinneszellen aus verschiedenen Ommatidienmit gleicher Blickrichtung im I. Opti schen Gang­lion, der Lamina, zu einer funkt ionellen Einheit,der Cartridge oder dem Neuroommatidium zusam­mengeführt. Und zwar werden nur die Axone derSinneszellen I bis 6, zu einem gemeinsamen Signalzusammengefasst, die Axone der zentralen Sinnes­zellen 7 und 8 laufen ohne synaptischen Kontaktdurch die Lamina und werden erst im 2. OptischenGanglion, der Medulla auf Interneuronen ver­schaltet. Durch die Konvergenz der Antworten

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334 11 Sinnesphysiologie

B

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Rhabdo m

....

Trachealen

Rhabdom

20~m

Achsenfaden

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Basalmembran --.....~

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Kristallkege l

A

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Kristallkegelzelle c:. ...

Abb. 11-61: Schema des Optischen Superpositionsauges. A Längsschnitt der Ommatidien von Ephestia. Die eukonenKristallkegel mit nicht homogenem Brechungsindex sind von der Schicht der Rhabdome durch einen breiten, optisch neutralenBereich, die klare Zone getrennt. B Schema des Strahlengangs. Paralleles Licht wird von vielen Ommatidien durch die klare Zonenach innen aufein zentrales Rhabdom vereinigt. (A nach Fischer und Horstmann 1971 , B nach Nilssan 1989)

von jeweils 6 Sinneszellen aus 6 Ommatidien (dieeine charakteristische Verdrillung der Fasern nötigmacht, Abb. 11-60 C), wird die Empfindlichkeitdieses Systems für niedrige Lichtintensitäten er­höht, grob um den Faktor 6, als ob Licht durcheine 6 fach größere Linse gefallen wäre, ohne Ver­lust an geometrischer Winkelauflösung. Entspre­chend ist das System der Sinneszellen 1-6, die inden Cartridges zu Neuroommatidien zusammen­gefasst werden, für das Sehen in der Dämmerunggeeignet , während das unempfindlichere Systemder Sinneszellen 7 und 8 für das Sehen bei Tagausgelegt ist.

Bei den Bibionidae ist das offene Rhabdom nicht schieftrapezförmig wie bei den höheren Fliegen (Brachycera),sondern die 7 Rhabdomere bilden eine symmetrischehexagonale Anordnung von 6 äußeren rund um einzentrales Paar. Die neurale Superposition findet hier

nicht mit den jeweils nächsten, sondern mit den jeweilsübernächsten Ommatidien statt.

Optisches Superpositionsauge

Hatten die beiden bisher beschriebenen Augen ­typen die Eigenschaften, die in der allgemeinenErörterung beschrieben wurden, so ist der Bauund die Wirkungsweise des Optischen Superposi­tionsauges ein ganz raffinierter Ausweg aus densich widersprechenden Anforderungen von Auf­lösung und Empfindlichkeit. Auch dieses Auge hatzu jedem Ommatidium eine eigene Optik. Diese istaber so gebaut, dass das Licht aus einer weitentfernten Punktlichtquelle nicht nur von einerFacette sondern von sehr vielen, bis zu mehreren100Optiken zusammen auf ein fusioniertes Rhab­dom gelenkt wird (Abb. 11-61). Dabei bündeln

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11.4 Photorezeption 335

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Abb. 11-62: Strahlengang im Linsenzylinder. Durch den parabelförmigen Verlauf des Brechungsindex im Inneren desKristallkegelsnehmen die Lichtstrahlen einen krummenVerlauf.A Exners Beschreibungdes Strahlenverlaufs in einem Linsenzylindermit doppelter Länge seiner Brennweite. rn-n: achsenparallelesLicht wird in y fokussiert und tritt wiederachsparallel aus (n'-rn'), p-q:schiefes Bündel. Von rechts kommendes Licht wird in z fokussiert und tritt als paralleles Bündel wieder nach rechts aus (p'-q'), derEintrittswinkel a ist hiergleich demAustrittswinkel ß. B und C Numerische Berechnung des Strahlenverlaufs nach den Daten vonHausen (1973) an Ephestia. B achsenparalleles Bündel, Cschiefes Büschel mit 21 Grad Eintrittswinkel. Austrittswinkel ist dabei ca.36 Grad. (A nach Exner 1891, Bund C nach Clearyet al. 1977)

dieselben Optiken Licht aus einer anderen Rich­tung auf das Rhabdom des entsprechenden an­deren Ommatidiums.

Die wesentliche Voraussetzung dafür ist, dassder dioptrische Apparat eines Ommatidiums pa­ralleles Licht, das schräg zu seiner Achse einfällt ,nicht wie eine Sammellinse auf der anderen Seiteder optischen Achse fokussiert, wo es absorbiertwird, sondern dass es im Gegenteil zur seIben Seitezurück gelenkt wird. Dabei muss zwischen Optikund den Enden der Rhabdomere genügend Platz(die klare Zone) sein, dass das Licht auch von derSeite zum zentralen Rhabdom gelenkt werdenkann . Die Umlenkung des Lichts wird beim Su­perpositionsauge durch eine optische Besonder­heit der Kristallkegel ermöglicht (Abb. 11-62).

Sigmund Exner (1891) hat als Erster das Prinzipdes optischen Superpositionsauges richtig be­schrieben. Er zeigte, dass eine einfache Sammel­linse als Optik des Superpositionsauges ungeeig­net ist. Die Optik muss dafür sorgen, dass einparalleles Lichtbündel von einer Anordnung ent­sprechend dem Keplerschen Fernrohr innerhalb desSystems fokussiert wird und im weiteren Verlaufvom "Okular" wieder parallel gemacht und zur

seIben Seite der optischen Achse zurückgeworfenwird (Abb. 11-62 A). Das ist im Wesentlichen dieWirkung des Krista llkegels, der bei diesen Augennicht optisch homogen ist. Exner hat dargelegt,dass ein Zylinder mit ebenen Stirnflächen aber mitvon innen nach außen abnehmendem Brechungs­index, in I. Näherung mit parabolischem Verlauf,paralleles Licht wie eine Sammellinse fokussiert.Wenn ein solcher Zylinder nun gerade doppelt solang ist wie seine Brennweite, wird das Licht, vondem Brennpunkt ausgehend, den Zylinder auchwieder parallel und in der " richtigen" Richtungverlassen. Exner hat diese Optik mit nicht ho­mogenem Brechungsindex "Linsenzylinder" ge­nannt (nicht zu verwechseln mit der Zylinderlinse)und sie auch richtig als ausschlaggebend für dieFunktion des Superpositionsauges angesehen. Einsolcher Linsenzylinder mit der doppelten Brenn­weite als Länge wirkt wie ein Keplersches Fern­rohr mit der Vergrößerung - I; schräg einfallendesLicht wird im Linsenzylinder zuerst fokussiert unddabei so abgebogen , dass das wieder paralleleBündel auf der selben Seite der optischen Achseaustritt.

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336 11 Sinnesphysiologie

Bestimmt man mit dem Interferenzmikroskop den Bre­chungsindex innerhalb des Kristallkegels von Ephest iakühn iella, so kann man mit diesen Werten Strahlen­verläufe numerisch bestimmen (Abb. 11-62 B, C). So­wohl der angenähert quadratische Verlauf des Bre­chungsindex als auch die den Erfordernissen entspre­chendeWinkelablenkung der schiefeinfallenden Bündelhaben die Erklärung Exners bestätigt:

Das Superpositionsauge hat eine afokale Optik,d. h. ein paralleles Bündel wird nicht fokussiert,sondern tritt wieder parallel aus. Das entsprichtdem Strahlengang in einem Keplerschen Fernrohrmit geringer Vergrößerung, bei Ephestia - 1,32fach . Die bei Ephestia von ca. 130 Einzeloptikenerzeugten parallelen Bündel werden durch dieklare Zone hindurch so abgelenkt, dass sie auf eineengste Fläche von ca. 3 Rhabdomen Durchmesserdicht hinter der Fläche der distalen Rhabdomen­den überlagert werden. Damit wird die Lichtstärkedieses Augentyps gegenüber dem Appositionsaugeganz drastisch erhöht, wobei wegen der Präzisionder Superposition keine Verschlechterung des Auf­lösungsvermögens stattfindet, wie es immer wiederbehauptet wird.

Bei einer so hohen Öffnung der Superpositions­optik - bei Ephestia beträgt der halbe Öffnungs­winkel fast 50 Grad - kann das Rhabdom mitseinem Brechungindex, der nur geringfügig überdem des umgebenden Mediums liegt, das Lichtnicht mehr durch Totalreflexion im Inneren wei­terleiten. Diese Funktion wird bei Superposition­saugen dadurch erreicht, dass die Rhabdome pro­ximal von einem Tracheenkorb, dem Tracheenta­petum umhüllt werden (Abb. 11-61 A). Diese Tra­cheolen sorgen zum einen dafür, dass dasRhabdom als Lichtleiter von einer dünnen Luft­schicht umhüllt ist, die auf den Seitenflächen füreinen genügend hohen Grenzwinkel der Total­reflexion sorgt. An den proximalen Endflächenbilden die Tracheen Stapel von durch Luft ge­trennten Cuticulalamellen der Dicke )..14 ( ein Vier­tel der Lichtwellenlänge) aus, die durch konstruk­tive Interferenz stark reflektieren und damit Licht,das noch nicht von den Sehpigmenten absobiertwurde, noch einmal durch das Rhabdom schi­cken .

Es sei hier angemerkt, dass das Prinzip der optischenSuperposition auch bei Krebsen gefunden wurde (Land1976), allerdings nicht mit den lichtbrechenden Struk­turen der Kristallkegel, sondern mit einer Anordnungvon hochreflektierenden Flächen und zwar wiederumA./4-Schichten, die in einem quadratischen Raster dasLicht zum zentralen Rhabdom hin spiegeln.

Zwischenformen

Kann man sich noch relativ leicht vorstellen, dassein Komplexauge vom Appositionstyp dadurchentstanden sein mag, dass in der Evolution Einzel-

augen vom Typ der Ommatidien zu Gruppen zu­sammengetreten sind, so ist der Weg für die Evolu­tion eines Superpositionsauges nicht so leichtnachvollziehbar. Zu diesem Problem haben jedochvor allem die Arbeiten von Nilsson (1989) neueEinsichten gebracht.

EineganzeReihevonAppositionsaugen weichen vondergeschilderten Bauweise ab. Es gibt trichterförmige Er­weiterungen des Rhabdoms im Fokus der Cornealinse,die auf Kosten der Sehschärfe die Lichtausbeute ver­bessern. Es gibt afokale Appositionsaugen, die zwarnoch die strenge optische Trennung der Ommatidienbeibehalten, die aber eine afokale Dioptrik ähnlich derder Superpositionsaugen besitzen. Auch bei echten Su­perpositionsaugen fand Nilsson einen neuen Typ vonOptik, das parabolische Superpositionsauge, in dem eineMischform aus Linsen- und Spiegeloptik vorliegt. Dieinzwischen bekannte Vielfalt von Formen lässt gleitendeÜbergänge zwischen den Typen als möglich erscheinen,die dabei zu jedem Zeitpunkt voll funktionsfähig wa­ren.

11.4.4.4 Besondere Leistungen derKomplexaugen

Pupillenmechanismen

Unsere Pupille regelt die auf die Retina auftref­fende Lichtmenge durch Verengen oder Erweiternwie die Irisblende beim Photoapparat. Insektenmit ihren Komplexaugen mussten dafür andereMechanismen entwickeln, da es für den abbilden­den Strahlengang kein gemeinsames Lichtbündelgibt. Wegen des im Allgemeinen sehr großen Ge­sichtsfeldes der Komplexaugen und wegen der feh­lenden Abschattungsmechanismen, wie den Au­genlidern der Wirbeltiere, muss bei freiem Himmeltagsüber ein Teil des Auges direkt die Sonne ab­bilden - ein ungeschütztes Superpositionsaugewürde sich dadurch selbst zerstören. Entsprechenddem Bautyp kommen bei der Steuerung des Licht­flusses unterschiedliche Verfahren zur Anwen­dung.

Optisches Superpositionsauge: Schon Exner(1891) zeigte, dass dieser Augentyp eine ganz be­sondere Form eines Pupillenmechanismus hat(Abb. 11-63): Das von ihm .Jrispigrnent" ge­nannte Pigment der Nebenpigmentzellen ist imdunkeladaptierten Zusand distal zwischen denKristallkegeln (Linsenzylinder!) konzentriert underlaubt die Superposition der Lichtbündel vielerOmmatidien. Im helladaptierten Zustand wandertdas Irispigment nach proximal und schirmt dieeinzelnen Ommatidien gegeneinander ab, sodassletztlich nur Licht aus dem zentralen oder aus nurganz wenigen Ommatidien das zentrale Rhabdomerreicht. Die genauere Analyse dieses Vorgangszeigt (Abb. 11-64), dass außer dieser Pigmentwan-

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11.4 Photorezeption 337

derung noch weitere Prozesse eine Rolle spielen.Pigmentgrana in den Sehzellen lagern sich beiHelladaptation an das Rhabdom an (s. a neuralesSuperpositionsauge). Das Pigment der Hauptpig­mentzeIlen wandert zu der Spitze des enger wer­denden Kristallkegels und reduziert dessen wirk­samen Querschnitt, und auch die Sinneszelle än­dert ihre Form. Die dadurch erreichte Änderungder Empfindlichkeit des Superpositionsauges istbei Manduca sexta mit 2-3 Zehnerpotenzen ex­trem wirkungsvoll.

Die Veränderungen bei der Helladaptation des Opti­schen Superpositionsauges werden oft so dargestellt, alsob das Auge zum Appositionsauge würde. Das ist falsch,es erfolgt zwar eine Abschirmung zwischen den einzelnenOmmatidien , wie sie auch beim Appositionsauge vor­liegt, aber das optische Prinzip bleibt unverändert. Dashelladaptierte Superpositionsauge behält seine afokaleOptik , auch wenn diese sich im Extremfall auf jeweils einOmmatidium beschränkt.

Beim Appositionsauge, das vor allem ein Auge fürdas Sehen bei genügend hoher Lichtintensität ist,sind die Veränderungen nicht so dramatisch(Abb. 11-65). Beim Kleinen Kohlweißling wandertPigment der Nebenpigmentzellen an die Spitze desKristallkegels und verengt wieder dessen wirksame

n

--- - b

n

Abb. "·63: Pupillenmechanismus des Superpositions­auges nach Exner. Untere Hälfte: dunkeladaptierter Zustand mitSchirmpigmenten indistaler Position. Obere Hälfte: heliadaptier­ter Zustand. Das Schirmpigment ist in proximaler Position undunterbricht die stark abgelenkten Strahlenbündel. a-b, Richtungdes einfallenden Lichts, non Retina. (Nach Exner 1891)

Öffnung. Auch hier wandern Pigmentgrana in derSinneszelle zum Rhabdom und beeinflussen damitden Lichtfluss.

A B

Cornea

Basalmembran

Rhabdom

basale Sinneszelle

Sinneszelle

Hauptpigmentzelle

NebenpigmentzelleRetinulazellpigmente --~~'Y"'"

Kern

Abb. "·64: Adaptation des Super­positionsauges bei Ephestia. A hell­adaptierter Zustand; B dunkeladaptier­terZustand eines Ommatidiums. (NachHorridge und Giddings 1971)

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338 11 Sinnesphysiologie

A B

Cornea

Kristallkegel

Hauptpigmenlzelle

Nebenpigmenlzelle

Sinneszelle

..Rhabdom

20 11m

Abb. 11-65: Adaptation des Appo­sitionsauges bei Pieris rapae. Ahelladaptierter Zustand. B dunkeladap­tiert. (Nach Ribi 1978)

Dieser Mechanismus, der vor allem beim Neu­ralen Superpositionsauge besonders gut unter­sucht ist, ist in Abb. 11-66 dargestellt.

Im dunkeladaptierten Zustand sind die Pig­mentgrana in den Sinneszellen des offenen Rhab­doms gleichmäßig verteilt (Abb. 11 -66 A). Bei Be­leuchtung mit mittlerer Intensität wandern in denSehzellen 1-6 (die neural superponieren und daherfür das Sehen in der Dämmerung geeignet sind),die Pigmentgrana dicht an die Rhabdomere(Abb. 11-66 B). Wegen seiner Wellennatur bleibtdas Licht bei der Totalreflexion nicht vollständigim Inneren der Lichtleiter und kann von den dichtan der Grenzfläche liegenden Pigmenten absor­biert werden. Dies führt dazu, dass der Lichtflussbeim Durchlaufen der Rhabdomere reduziertwird. Ist die Lichtintensität noch um etwa 2 Zeh­nerpotenzen höher, so tritt auch bei den Sinnes-

zellen 7 und 8 dieser Mechanismus in Kraft, jetztwandert das Pigment auch beim zentralen Rhab­domer an die Grenzfläche (Abb. 11-66 C).

Farbensehen

Bereits 1914 konnte v. Frisch durch Dressurver­suche an Bienen zeigen, dass sie bestimmte Farbenvon beliebigen Graustufen unterscheiden könnenund dass sie in der Lage sind, die Farben mit demVorhandensein von Futter zu assoziieren (s. Kap.10). Dieser erste Nachweis des Farbsehvermögensvon Invertebraten war der Beginn einer intensivenUntersuchung des Farbensinns der Insekten. Au­ßer Dressurversuchen an Bienen, die ein trichro­matisches Farbensehen aufzeigten, kamen 1964(Autrum u. v. Zwehl) die ersten intrazellulärenMessungen an Photorezeptoren des Bienenauges

A B c

Abb. 11·66: Pigmentwanderung inden Sinneszellen des neuralenSuperpositionsauges. A dunkeladap­tiert. Die Pigmentgrana (Durchmesserca. 0,1 um) sind im Zellplasma der Sin­neszelle gleichmäßig verteilt. BAdapta­tion an eine mittlere Helligkeit. Die Pig­mentgrana lagern sich an die Rhab­domere der Sinneszellen 1-6und ent­koppeln aus diesen Lichtleitern Energiedurch Störung der Totalreflexion.CAdaptation an hohe Lichtintensität.Jetzt lagert sich das Pigment auch andas Rhabdomer der Sinneszelle 7 an.(Nach Franceschini und Kirschfeld 1976)

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Abb. 11·67:Spektrale Empfindlichkeit des Bienenauges.Es handelt sich um intrazelluläre Messungen der spektralenEmpfindlichkeit 5(1..) von Lichtsinneszellen, d.h. die Abhängig­keit der Empfindlichkeit von der Wellenlänge f... . A vier ausge­wählte Messungen von Autrum u. Zwehl 1964. B gemittelteWerte aus älteren Messungen von Menzel u. Blakers 1976.C neuere Messungen mit einer schnellen spektralen Abtastme­thode von Menzel et al. 1986. 0 schematische Darstellung derlage von 8 der 9 Rezeptorzellen unmittelbar unter der Linse.Jedes in der Mitte vorn liegende Ommatidium enthält 2 UV­Zellen (dazu noch eine proximale UV-Zelle), 2 blauempfindliche(B) Zellen und 4 grünempfindliche (G) Zellen. (Nach Menzel undBackhaus 1989)

hinzu, die 3 Rezeptortypen im Grünen (G), imBlauen (B) und im Ultraviolett (UV) nachwiesen(Abb. 11-67).

Die ursprünglichen Messungen von 2 Blau­Rezeptoren (obere Kurven) haben sich nicht be­stätigen lassen. Jedes Ommatidium im medianen,frontalen Bereich enth ält die 3 Rezeptortypen ineiner charakteristischen Anordnung (Abb. 11-67D) .

Farbmischexperimente zeigten, dass sich dieFarbwahrnehmung der Bienen ähnlich wie die un­sere in einem Farbdreieck ano rdnen lässt:• Die 3 Grundfarben Grün, Blau und Ultraviolett

im richtigen Verhältnis gemischt ergeben Bie­nenweiß.

• Der Farbeindruck der Mischung zweier benach­barter monochromatischer Lichter (Grün undBlau oder Blau und UV) wird verwechselt miteinem Spektrallicht, das zwischen den beidenWellenlängen liegt.

11.4 Photorezeption 339

• Die Mischung von Grün und UV unterscheidetsich von allen spektral en Lichtern ("Bienenpur­pur").

Die Fähigkeit zur Wahrnehmung von UV ist wich­tig für die Erkennung der hohen UV-Reflexionvieler von Bienen besuchter Blüten, aber auch fürden UV-Anteil des Himmelslichts, der vor allemals Träger der Information für die Polarisations­richtung von Bedeutung ist (siehe nächster Ab­schnitt) . Der langweilige Anteil des uns sichtbarenSpektrums, Rot, ist für Bienen nicht wahrnehmbarund wirkt somit schwarz.

In der weiteren Verarbeitung der Farbsignalebei der Biene wurden so genannte Gegenfarben­interneurone gefunden, die durch einen bestim­men Bereich des Spektrums erregt, durch denrestlichen gehemmt werden (Abb. 11-68). Dabei istder BegriffGegenfarbenneuron etwas unglücklich,da der spektrale Verlauf der Antwort dieser Inter­neurone nichts mit der Heringsehen Gegenfarben­theorie zu tun hat, sondern nur eine Aufspaltungder Antwort auf komplementäre Bereiche des fürdie Bienen sichtbaren Teile des Spektrums dar­stellt.

Die Erkenntnisse über das Farb ensehen der Bienen wer­den oft unzulässig auf alle Insekten übertragen. So ist dieVorstellung weit verbreitet , dass Insekten kein Rot wahr­nehmen können . Das gilt aber keineswegs generell, dennbei einer Reihe von Insekten ist die Fähigkeit zum Sehenbei Rotlicht nachgewiesen. Elektrophysiologische undverhaltensphysiologische Untersuchungen an Schmetter­lingen (Weißlingen und Schwalbenschwänzen) zeigen,dass hier ein tetrachrornatisches Farbsehen vorliegt. Dieunter suchten Tiere haben maximale Rezeptorempfind­lichkeiten bei 390, 450, 540 und 610 nm, gehen also vomnahen UV bis in das langweilige Rot. Über die Strukturder Farbmetrik eines solchen Sehsysterns mit 4 statt mit 3Rezeptortypen gibt es keine konkreten Vorstellungen.

Wahrnehmung der Schwingungsrichtung polarisiertenLichtes

Licht besteht aus elektromagn etischen Wellen ei­nes bestimmten Wellenlängenbereichs, dabeischwingen die Wellen quer zur Ausbreitungsrich­tung . Bei natürlichen Lichtquellen wie der Sonne,aber auch bei künstlichen wie Glühlampen, undLeuchtstoffiampen ist die Ausrichtung derSchwingungsrichtung im Raum völlig regellos, dasLicht ist unpolarisiert. Das kann durch Reflexionan nichtmetallischen Oberflächen wie Wasser oderdurch Streuung wie beim blauen Himmelslichtanders werden: je nach der Richtung, unter der dieReflexion oder Streuung stattfindet, wird ein mehroder weniger großer Teil des Lichtes einer be­stimmten Schwingungsrichtung stärker zurückge­worfen; das Licht ist teilweise oder vollständigpolarisiert.

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340 11 Sinnesphysiologie

A BAbb. 11-68: Gegenfarbenneuroneder Biene. Es wurden zwei Klassenvon spektral komplementären Interneu­ronen gefunden. A Typ I-Neurone ant­worten antagonistisch aufUV und denlangweiligen Bereich (B und G) desSpektrums. BTyp II-Neurone antwortenantagonistisch aufden mittleren Wellen­längenbereich (B) und die Bereiche UVund G. Es gibt jeweils auch Zellen, diedie gespiegelte Zuordnung von Erre­gung (+5(1,,)) und Hemmung ('5(1.)) zei­gen. (Nach Menzel und Backhaus 1989)

Es war wieder v. Frisch (1949), der fand , dassBienen im Gegensatz zum Menschen in der Lagesind, die Schwingungsrichtung polarisierten Lich­tes wahrzunehmen und dass sie diese Fähigkeitdazu nutzen, den Sonnenstand bei teilweise be­decktem Himmel aus dem Polarisationsmuster desblauen Himmels zu bestimmen . Diese Fähigkeit istinzwischen bei sehr vielen Insekten sowohl imVerhaltensexperiment als auch durch Messung aneinzelnen Photorezeptoren nachgewiesen worden.

Ursache für die Fähigkeit der Insekten, im Ge­gensatz zu den Wirbeltieren die Schwingungsrich­tung polarisierten Lichtes zu registrieren, ist derBau der Photorezeptoren. Im Sehfarbstoff wirddas Licht im Chromophor absorbiert, der Dipol­struktur hat (Abb. lI-50). Dieses Molekül zeigtDichroismus: Es absorbiert Licht maximal, dasparallel zu seiner Längsachse und gar nicht, wennes senkrecht dazu schwingt. Durch den unter­schiedlichen Bau der Photorezeptoren bei Insek­ten und Wirbeltieren sind diese Dipole ganz ver­schieden in der Membran angeordnet (Abb. 11­69): in den Außengliedern der Stäbchen und Zap­fen der 'Retina von Wirbeltieren liegen die Dipolein flachen Membranstapeln (discs) in der Mem­branebene, aber regellos (Abb. 11-69 A). DasLicht durchstrahlt die Membranstapel senkrecht .Außerdem sind die Rhodopsinmoleküle in der

viskosen Membran beweglich. Es ist daher nichtmöglich, bestimmte Richtungen durch intensiveBelichtung mit polarisiertem Licht auszubleichen.

Völliganders ist die Situation in den Mikrovilli­säumen der Sehzellen der Insekten (Abb. 11-69B).Auch bei völlig regelloser Anordnung der Dipolein der Membran der Mikrovilli ergibt sich einePolarisationsempfindlichkeit: Licht, das senkrechtzur Achse der Mikrovilli einfällt und dabei längsdieser Achse schwingt, ist doppelt so wirksam wieLicht, das quer dazu schwingt. Das wird durch dieschematische Darstellung in Abb. 11-69 C erläu­tert . Zerlegt man sowohl die Richtungen der Di­pole in ihre Komponenten parallel und senkrechtzur Mikrovillusachse als auch die Ausrichtung derMembran in die Komponenten parallel und senk­recht zur Einfallsrichtung des Lichtes, so kannman abzählen , dass Licht, das parallel zur Achseder Mikrovillisäume schwingt, von doppelt so vielDipolen absorbiert werden kann, wie Licht dassenkrecht dazu schwingt. Dam it ergibt sich indiesem Fall eine Polarisationsempfindlichkeit von2.

In manchen Photorezeptoren wurde eine Polarisations­empfindlichkeit bis zu 50 gefunden. Polarisiertes Licht ,das parallel zu den Mikrovilli säumen schwingt ist 50 malwirksamer als solches, das senkrecht dazu schwingt. Da­her muss man annehmen, dass in diesen Fällen die

A B c o

Abb. 11-69: Anordnung der Dipoledes Sehpigments in den Membra­nenvon discs und Mikrovilli. A disceines Stäbchenaußensegments beimWirbeltierphotorezeptor; B Mikrovilluseines nicht zum Sehen polarisiertenLichtes spezialisierten Rhabdomers beimInsekt; C Modellmikrovillus mitschema­tisch eingezeichneten Sehfabstoff-Dipo­len, der es erlaubt, die Polarisations­empfindlichkeit abzuschätzen (s. Text);D vermutete Anordnung der Chromo­phore in den Mikrovilli von Lichtsinnes­zeilen, die besonders polarisationsemp­findlich sind. Jeweils schematisch. (NachKirschfeld 1996)

Page 61: Lehrbuch der Entomologie || Sinnesphysiologie

11.4 Photorezeption 341

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Abb. 11-70: Polarisationssehen der Biene. A Spektrale Empfindlichkeit SeAl der Orientierung nach der Polarisationsrichtung(dicke schwarze Linie) und intrazellulär gemessene spektrale Empfindlichkeiten der 3 Rezeptorklassen (UV-Rezeptor grau schattiert).B Räumliche Ausrichtung der polarisationsempfindlichen Photorezeptoren in der POL-Region. Die Kugel zeigt die Sehfelder desrechten und linken Auges getrennt durch eine dicke Linie. Die POL-Region istgrau markiert. Anatomisch und physiologisch lassensich 2 senkrecht aufeinander stehende Richtungen maximaler Empfindlichkeit finden (weiße und dünne schwarze Balken). Die POL­Sehfelder liegen kontra lateral zum jeweiligen Auge. C Polarisationsmuster des blauen Himmelslichts. Die Polarisationsrichtungenverlaufen parallel zu konzentrischen Kreisen um die Sonne. Maximale Polarisation tritt aufdem Großkreis senkrecht zur Sonne auf(weiße Pfeile). Das direkte Sonnenlicht ist nicht polarisiert. (Nach Rossel 1989)

Dipole des Sehfarbstoffs parallel zur Achse der Mi­krovilli in der Membran verankert sind (Abb. 11-64D).

Diese Rezeptoreigenschaft kann von den Insektenzur Analyse der Polarisationsrichtung ausgenutztwerden. Im Prinzip sollte jede Sinneszelle mit ein­heitlicher Ausrichtung der Mikrovilli polarisati­onsempfindlich sein, eine Verrechnung der rela­tiven Erregung von Rezeptoren mit unterschiedli­cher Ausrichtung der Mikrovilli sollte die Analyseder Polarisationsrichtung erlauben. Es zeigt sichjedoch, dass im größten Teil der Sehfelder dermeisten Insekten die Polarisationsempfindlichkeitunwirksam gemacht ist . Bei Fliegen und Bienenzeigen die Rhabdomere in ihrer Längsrichtungeine systematische Verdrehung der Ausrichtungder Mikrovilli (twist), die über die gesamte Längezum Verlust der Polarisationsempfindlichkeitführt. Bei Grillen wird das dadurch erreicht, dassdie Ausrichtung der Mikrovilli unregelmäßigschwankt.

Wenn bei Insekten die Polarisationsempfind­lichkeit genutzt wird, so immer in dafür spezia­lisierten Augenbereichen (POL-Regionen) undauch nur von einem spektralen Typ Photorezep­tor: Bei Bienen, Ameisen und Fliegen ist es derUV-Rezeptor (Abb. 11-70 A), bei Grillen derBlaurezeptor.

Die Beschränkung der Polarisationsempfindlichkeit aufnur einen spektralen Typ von Photorezeptor ist zweck­mäßig. Da die Polarisatiosrichtung aus dem Erregungs­unterschied von Rezeptoren mit unterschiedlicher Mic­rovilIiausrichtungbestimmt werden muss, wird eine Ant­wort, die auch noch von der spektralen Zusammen­setzung des Lichts abhängt, die Auswertung sehrkompliziert, wenn nicht unmöglich machen. Nur beiRezeptoren gleicherspektraler Empfindlichkeit kann der

Erregungsunterschied allein auf die Polarisationsemp­findlichkeit zurückgeführt werden.

Umgekehrt würde die Farbwahrnehmung durch Re­zeptoren, die polarisationsempfindich sind, sehr schwie­rig werden. Wehner hat darauf hingewiesen, dass durchdie Interaktion von Licht, das auf Blattoberflächen re­flektiert wird und dadurch zumindest teilweise polarisiertist, mit den unterschiedlichen Ausrichtungen der Mic­rovilli der verschiedenen spektralen Rezeptortypen einund dasselbe Blatt je nach Stellung zum Licht ganzunterschiedliche Farbeindrücke auslösen müsste. Es istdeshalb zumindest plausibel, dass bei farbtüchtigen In­sekten die dafür verwendeten Rezeptoren ihre Polarisa­tionsempfindlichkeit unterdrücken sollten.

Von den speziell für das Polarisationssehen ausge­bildeten Augenbereichen sind 2 Formen gut unter­sucht: der dorsale Randbereich von Fliegen, Amei­sen , Bienen und Grillen, der zur Analyse des Pola­risationsmusters des blauen Himmelslichts dientund der ventrale Augenbereich des Rückenschwim­mers, mit dem dieser im Flug das von Wasserober­flächen reflektierte, polarisierte Licht erkennenkann (s. 9.5).

Diese POL-Regionen lassen eine Reihe von Besonder­heiten erkennen: Die Ommatidien haben eine hohe Pola­risationsempfindlichkeit, kurze Rhabdome ohne twistund senkrecht zueinander ausgerichtete Mikrovillisäume,die Rezeptoren sind besonders groß. Die Ommatidienvon Bienen und Grillen haben besonders große Gesichts­felder, was durch eine nur sehr grobe Abbildung durchdie Cornealinse und fehlende Schirmpigmente erreichtwird. Damit kann der schmale dorsale Randbereich ei­nen relativ großen Teil des gesamten Sehfeldes abtastenund nicht nur den kleinen Bereich im Zenit, auf den dieoptischen Achsen seiner Ommatidien zeigen.

Bei Bienen dreht die Orientierung des gekreuztenPaares von Mikrovillirichtungen systematisch entlangdes dorsalen Randbereichs von vorn nach hinten

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(Abb. 11-70 B). In raffinierten Verhaltensexperimentenkonnte gezeigt werden, dass Bienen bei der Kompass­orientierung die Sonnenrichtung dadurch bestimmen,dass sie dieses Rezeptormuster durch systematischeDrehbewegungen in maximale Übereinstimmung mitdem ähnlich ausgerichteten Polarisationsmuster desHimmels bringen (Abb. 11-70C).

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