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11 SinnesphysiologieManfred Kaib, Heiner Römer, Hans Scharstein Antan Stabentheinerund Gearg Stamme!
11.1 MechanorezeptionHeiner Römer
Verschiedenste Formen von mechanischer Energiewirken als Reize, mit deren Hilfe ein Insekt sensorische Information über seine belebte und unbelebte Umwelt erhält. Das feste Exoskelett ist verantwortlich dafür, dass die mechanischen Kräftedie Sinneszellen nur an Orten erreichen, wo dieCuticula deformierbar ist oder spezielle Haar- undHebelstrukturen entstanden sind, die die Reizenergie von außen an die Sinneszelle im Körperinnerenübertragen. Durch zum Teil nur geringfügige Abwandlungen des morphologischen Aufbaus voncuticulären Strukturen können Mechanorezeptoren sehr variabel an die zahlreichen ökologischenBedingungen - und damit auch Reizbedingungen- verschiedener Insektenspecies angepasst sein.Dies drückt sich in der Fähigkeit dieser Rezeptoren aus, auf die unterschiedlichsten mechanischenReize zu reagieren , wie z. B. die Stauchung oderDehnung einzelner Körperteile, die Lage des Körpers im Raum, die Strömung von Luft oder Wasser, Erschütterungen des Substrates oder denSchallwechseldruck im umgebenden Medium, umnur einige zu nennen. Die sensorische Informationdieser Rezeptoren wird in vielfältiger Weise zurKontrolle des Verhaltens eingesetzt, sei es bei derOrientierung, der Futtersuche, der Flucht vorFeinden oder den komplexen Formen der Kommunikation im Zusammenhang mit der Fortpflanzung und sozialen Interaktionen.
Der Begriff Rezeptor wird allerdings auch inLehrbüchern in sehr unterschiedlicher Weise genutzt: Er kann entweder ein Rezeptormolekül z. B.in der Nervenzellmembran bezeichnen , oder Teileeiner Sinnszelle wie den Tubularkörper, die für dieReiztransduktion verantwortlich sind, oder dieganze Sinneszelle. In diesem Kapitel wird der Begriff dagegen in einem umfassenderen Sinn desgesamten mechanosensitiven Sensillums genutztund umfasst sowohl die Sinneszelle selbst samt derHüllzellen und deren Bildungen, wie das Sinneshaar oder die Gelenkhaut. Grund dafür ist, dassnur diese Gesamtheit den Mechanorezeptor auchin seiner Funktion erklärt.
11.1.1 Bau- und FunktionsprinzipmechanorezeptiverInsektensensillen
Ein Insektensensillum ist ein sensorisches Kleinstorgan , das aus nur wenigen, unterschiedlich differenzierten Zellen besteht , deren Entwicklung voneiner gemeinsamen Epithelzelle ausgeht. Der Aufbau eines solchen Sensillums ist schematisch inAbb. li-lA gezeigt. Zu seiner Grundausstattunggehören stets 4 Zellen: eine trichogene, eine tormogene, eine thecogene (scheidenbildende) Zelleund eine (in Ausnahmefällen auch mehrere) Sinneszellen. Die trichogene Zelle bildet das cuticulare Haar bzw. diesem analoge Strukturen. Entsprechend den vier unterschiedlichen Konstruktionstypen von Haarbildungen unterscheidet man:FadenhaarsensiIlen (Sensillum trichodeum), bei denen ein nur wenige Mikrometer dünnes, aber biszu 2 mm langes Haar in einem sehr beweglichenDiaphragma aufgespannt ist. BorstenhaarsensiIlen(Sensillum chaeticum) haben kurze dickwandigeHaare, die in eine elastische Gelenkwand übergehen. Bei campaniformen Sensillen (Sensillumcampaniformium) wird das Haar durch eine Cuticulakuppel ersetzt. Scolopidiale Sensillen sindebenfalls haarlos; bei ihnen ist die Epithelebenevöllig in den Körper hineingezogen .
Die tormogene Zelle ist die äußerste der Hilfszellen eines Sensillums. Sie bildet bei den Haarsensillen die funktionell wichtige Gelenkmembran , Teile des Haarsockels und den basalen Teildes Haarschafts. Im Endstadium der Morphogenese zieht sich die tormogene Zelle (gemeinsammit der trichogenen Zelle) von der Cuticula zurückund bildet einen großen subcuticulären Rezeptorlymphraum aus (Abb. 11-2). Ihre apikale Membran formt zahlreiche Mikrovilli und Mikrolamellen, an deren Innenseite im Elektronenmikroskop8 nm große Partikel zu erkennen sind, wie sie fürMembranen mit intensivem Ionentransport charakteristisch sind. Die trichogene Zelle trägt während der Morphogenese die Hauptlast der sekretorischen Aktivität, weil sie den Haarschaft undTeile der Gelenkmembran bildet. Sie zieht sichnach der Haarbildung (Abb. 11-2 B, C) aus demHaar zurück und bildet apikal zum Rezeptorlymphraum hin ebenfalls Mikrovilli aus. Aller-
282 11 Sinnesphysiologie
c
es sich um ein Bündel von 30 bis über 1000 Mikrotubuli, die untereinander durch eine amo rphe,elektronendichte Substanz verbunden sind. Dieperipheren Mikrotubul i sind mit der Dendriten-
RezeptorIymphraum
tormogene Zelle
Abb. 11·2: SchematischeDarstellung verschiedener Entwicklungsstadien einer Makrochaete der SchmeißfliegeCalliphora erythrocephala. Die trichogene Zelle produziert denHaarschaft und ist am 6. Puppentag (A) außergewöhnlich groß,der Kern ist hochpolytän. Zu diesem Zeitpunkt umhüllt diethecogene Zelle den gesamten Dendriten der Sinneszelle. Am10. Puppentag (8) istdietrichogene Zelle bisaufwenige Reste(einer davon im basal verschlossenen Haarlumen) reduziert. Dietormogene Zelle beginnt mit der Ausbildung des RezeptorIymphraums. Am 5. Imaginaltag (C) ist derRezeptorlymphraumausgebildet, der Rest der trichogenen Zelle im Haarlumen istvollständig reduziert. (Modifiziert nach Keil 1978)
A
B
tormogene Ze;lllle~~~~~",," ~~-·C::;·nneszele
trichogene ZeDethecogene Zelle
Abb. 11-1: Das mechanorezeptorische Sensillum. ASchema des epithel ialen Aufbaus mit der Sinneszelle sowietormagener, trichogener und thecogenerZelle. Zu beachten sinddie typischen Zwischenzellverbindungen aus Desmosomen undgap junetions, sowie derRezeptorlymphraum, dervor allem vonder tormogenen Zelle gebildet wird. 8 Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Querschnitts durch den Tubularkörpereines Fadenhaarsensillums des Heimchens (Acheta domesticus).Der Tubularkörper besteht aus 520 Mikrotubuli, die in eineZwischensubstanz eingelagert sind. D Dendritenscheide; MMembran der Sinneszelle. Die Pfeile geben die Richtung derKrafteinwi rkung eines depolarisierenden Reizes an. (Modifiziertnach Thurm 1984)
dings ist der von der trichogenen Zelle eingenommene Anteil am Rezeptorlymphraum klein imVergleich zu dem der tormogenen Zelle. Bei einigen Sensillen degeneriert die trichogene Zelle amEnde der Morphogenese und verschwindet vollständig. Die thecogene (scheidenbildende) Zelle istdie innerste der Hilfszellen und umhüllt sowohlden Zellkörper als auch den Dendrit en der Sinneszelle innerhalb des Rezeptorlymphr aums.
Die Sinneszellen selbst sind primäre Sinneszellen, d.h. sie bilden proximal Fortsätze aus, dieals Axon die Verbindung mit dem Zentralnervensystem (ZNS) herstellen. Mit Ausnahme der multipolaren Rezeptoren (s.u.) dient der distale Fortsatz der Reizaufnahme und stellt ein modifiziertesCilium mit einer 9 x 2 + 0 Struktur dar. Manbezeichnet diesen Teil der Sinneszelle als das Außensegment. Innerhalb dieses ciliären Außensegments haben alle mechanosensitiven Sinneszelleneinen Tubularkörper als modalitätsspezifischeStruktur ausgebildet (Abb. 11-1 B). Dabei handelt
11 .1 Mechanorezeption 283
Tab. 11·1:Verteilung von Mechanorezeptorenan bzw. in einem Insektenkörper am Beispiel einer Grille.Während die Zahlder Rezeptoren bei verschiedenen Grillenarten variieren kann, istdie relative Lage der unterschiedlichen Rezeptoren recht konstant.Gleiches gilt für verschiedene Körpersegmente, in denen die Rezeptoren nach den Regeln der seriellen Homologie zu finden sind(vergl. Abb. 11-13 B). Mechanorezeptoren, die nicht eindeutig nachgewiesen sind, aber wahrscheinlich vorkommen, sind mitFragezeichen angedeutet; ein Strich bedeutet nicht vorhanden. (Nach Gnatzy und Hustert 1989)
Rezeptortypen
Antenne Kopf Thorax Abdomen parm
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cuticulare Rezeptoren
Borstenhaare
sch lanke Haare
Haarfelder
Fadenhaare
keulenförmige Haare
campaniforme Sensillen
interne Rezeptoren
Chordotonalorgane
multipolare Sensillen
Sehnenorgane
membran über membranintegrierte konusförmigeMoleküle verbunden, von denen angenommenwird, dass sie Teil der mechanosensitiven Ionen kanäle sind.
Die Membranen der Zellen eines solchen Sensillums sind untereinander (und mit den Membranen umliegender Epithelzellen) durch Zellkontakte in Form von Desmosomen verbunden. Zusätzlich sind die Hüllzellen miteinander durch gapjunctions verbunden (Abb. 11-1 A). Diese Kontakte im apikalen Bereich der Zellen stellen einestarke Barriere für die Diffusion von Ionen in dieInterzellularspalten dar und bewirken eine elektrische Abgrenzung des äußeren Rezeptorlymphraums gegenüber dem Interzellularraum. Dies hatzur Folge, dass der Rezeptorstromkreis der Sinneszelle durch die benachbarten Zellen des Epithelshindurch, nämlich die tormogene und trichogeneZelle, geschlossen wird. Insofern gestalten diesenichtneuronalen Zellen die Eigenschaften des Rezeptorstromkreises mit. Zusätzlich ist in der starkgefalteten apikalen Membran der tormogenenZelle ein elektrogener K+-Auswärtstransport inden Rezeptorlymphraum hinein lokalisiert. DieZelle produziert so eine extrazelluläre Ionen zusammensetzung, die einem intrazellulären Milieu mit hohem K+-Gehalt ähnlich ist. Weil aufdiese Weise eine hohe transepitheliale Spannungaufgebaut wird, beeinflusst vor allem die tormo-
gene Zelle indirekt die Größe des depolarisierenden Rezeptorstromes und damit die Amplitudedes Rezeptorpotentials. Sie trägt auf diese Weisewesentlich zur Empfindlichkeitssteigerung derSinneszelle bei.
11.1.2 Die Vielfalt mechanosensitiver Sensillen
Ein Insektenkörper ist mit Mechanorezeptorenübersät (Tab. l l -I) . Besonders auffällig sind dievielen mechanosensorischen Haare, wie sie z. B.einzeln oder in Gruppen als Stellungshaare imBereich von Gelenken vorhanden sind (Abb. 11-3,11-5, vergl. auch mit Abb. 9-2). Die Haare selbstkönnen sehr unterschiedlich gebaut sein: mit einem kurzen, borstenförmigen Haarschaft, als biszu 2 mm langes Fadenhaar, oder als keulenförmi ges Haar (Abb. 11 -4 A). Alle Haare sind beweglich, weil die von der tormogenen Zelle gebildeteGelenkmembran mechanisch mit der umliegendenCuticula gekoppelt ist. Bei den campaniformenSensillen, die hinsichtlich ihrer cuticularen Struk turen wenig Gemeinsamkeit mit den Haarsensillenaufweisen, wird bei Reizung die Kuppel verbogen.Dort setzt das dendritische Ende der Sinneszelle
284 11 Sinnesphysiologie
Abb. 11·3:Rasterelektronenmikroskopische Darstellungvon Stellungshaaren an der Basis der Antenne einer Honigbiene. SScapus; PPedicellus. (Foto W. Peters)
an, das ansonsten ähnlich wie bei den Haarsensillen aufgebaut ist.
Scolopidien (stiftführende Sensillen) sind völligin das Körperinnere verlagerte Mechanorezeptoren; sie stehen mit der Cuticula nur noch über eineoder mehrere Hilfszellen in Verbindung (Abb. 11-4E). Ihre namengebende Struktur ist der Scolops(Stift), der von der trichogenen Zelle sezerniertwird und den apikalen Bereich des Ciliums umgibt. Man unterscheidet amphinematische Scolopidien, bei denen der Scolops zu einem Endfadenausgezogen an der Cuticula inseriert, von mononematischen Scolopidien, wo dieser in der trichogenen Zelle frei endet. Meistens sind mehrere bisviele solcher Scolopidien zu Scolopidialorganenzusammengefasst und überspannen saitenartigSegmentgrenzen, Bein- oder Antennengelenke.Solche Sinnesorgane bezeichnet man als Chordotonalorgane; sie können sowohl propriozeptive alsauch exterozeptive Funktion haben .
11.1.3 Reiz-Erregungsumsetzung(sensorische Transduktion)
Man bezeichnet den Prozess, bei dem physikalische oder chemische Vorgänge außerhalb der Zelle- die Reize - in Erregung innerhalb der Zelleumgesetzt werden, als sensorische Transduktion.Bei diesem Prozess wird der äußere Reiz in einelektrisches Signal umgesetzt, das innerhalb derSinneszelle und den angeschlossenen Zellen desZNS die Verrechnung der Reizinformation ermöglicht. Innerhalb der Sinneszelle und den nachgeschalteten Nervenzellen existieren Reize also nichtmehr, sondern nur noch deren Repräsentation inForm von elektrischen Potentialdifferenzen bzw.deren Änderungen. Jede Sinneszelle besitzt für dieReiztransduktion im Bereich des Außensegments
Strukturen, die für die reizspezifische Spezialisierung der Zelle verantwortlich sind . Die Spitze desAußengliedes besitzt eine dichtgepackte Anordnung von Mikrotubuli, den sog. Tubularkörper,sowie Membranstrukturen, die als mechanosensitive Molekülkomplexe angesehen werden(Abb, II -lB, Abb. 11-4). Das Außenglied der Sinneszelle ragt in den Rezeptorlymphraum hinein ,der von den Hüllzellen unterhalb der Cuticulagebildet wird. Die Spitze des Außengliedes ist mitdem cuticularen Apparat verbunden, der den mechanischen Reiz auf den Tubularkörper überträgt.Als wirksamer Reiz kommt in allen untersuchtenFällen die Querkompression der Spitze des Außengliedes in Betracht.
Die Übertragung der Reizkraft auf das Außenglied der Sinneszelle variiert entsprechend der unterschiedlichen Konstruktionsweise der Sensillen(Abb. 11-4). Ein Fadenhaarsensillum ist wegen seiner bis fast 2 mm langen und nur wenige um dicken Haare sowie der Konstruktion seiner Aufhängung in einem cuticularen Diaphragma für diePerzeption sehr kleiner Kräfte, wie z.B. geringerLuftströmungen, besonders geeignet (Abb. 11-4B). Das lange Haar funktioniert als zweiarmigerHebel (s. Lage der Drehachse in Abb. 11-4 B) undüberträgt die Reizkraft direkt auf die Spitze desRezeptoraußengliedes, wobei die Auslenkung desHaares in eine Richtung eine Querkompressiondes dort liegenden Tubularkörpers verursacht unddie Zelle depolarisiert, während eine Auslenkungin die Gegenrichtung eine Zugspannung transversal zur Membranrichtung ausübt und die Zellehyperpol arisiert. Dementsprechend ist die Empfindlichkeit richtungsselektiv. Die für die Auslösung solcher messbaren Potentialänderungen notwendigen Auslenkungen des Fadenhaares sind außerordentlich gering . Eine maximale Antwort derSinneszelle wird schon bei Auslenkungen um etwa0,5 um erreicht. Überschwellige, d. h. Nervenimpulse auslö sende Rezeptorpotentiale werden beiVerformungen der Dendritenspitze von nur 0, I nmgemessen. Die dazu notwendige Reizenergie liegtbei einer Größenordnung von 10-19 Ws, und damitunter dem Energiegehalt eines Quants von sichtbarem Licht. Es ist daher nicht verwunderlich,dass gerade solche hochempfindlichen Fadenhaare auf den Cerci von Schaben als Detektorenfür die Annäherung eines Fressfeindes und dieAuslösung eines Fluchtretlexes eingesetzt werden(s. 8.5.2.2 und Abb. 8-19).
Im Gegensatz dazu wird bei einem Borstensensillum in jeder Abbiegungsrichtung der Borste aufden Tubularkörper Druck ausgeübt (Abb, 11-4 C):die dicke Haarwand geht in eine ebenfalls dicke,allerdings sehr elastische Gelenkwand über, darunter wird die Spitze des Außensegments voneiner Matrix umgeben , die den Gelenkbereich aus-
cDepol. '-
E
o
Abb. 11-4: Mechanosensitive Haare. A Verschiedene Haartypen (von links nach rechts: Borstenhaar, Fadenhaar, keulenförmiges Haar). Die Länge des fadenförmigen Haares ist imVergleich zum Borstenhaar stark verkürzt dargestellt. Bei campaniformen Sensillen (rechts) istdas Haar bis aufeinen Cuticulaspalt völlig zurückgebildet. (Nach Gnatzy und Hustert 1989) BEKonstruktionstypen epidermaler Sensillen sowie Mechanismusder Übertragung der Reizkraft auf das Außensegment derSinneszelle. Die Pfeile geben die Richtung der Reizkraft an, diezur De- oder Hyperpolarisation führt. Der Punkt in B beschreibtdie Lage der Drehachse des Haares. Schwarz: cuticulare Strukturen; punktiert: elastische Matrix. (Modifiziert nach Thurm1996)
füllt. Die erforderliche Energie für die Abbiegungist um Zehnerpotenzen größer als bei den Fadenhaarsensillen; solche Konstruktionen eignen sichdaher besonders als Berührungsrezeptoren oderals Stellungshaare (vergl. mit Abb. 11-3). Bei dencampaniformen Sensillen liegt die Spitze des Außengliedes in einem Spalt zwischen Cuticula-Aufwölbungen (Abb. 11-4 D). Der Spalt ist durch eineCuticulaleiste und beidseitig durch Streifen vonEpicuticula abgedeckt. Kräfte , die durch äußereBelastungen, Beschleunigungen oder durch Mus-
11 .1 Mechanorezeption 285
Coxa Gasler
Trochanter
Abb. 11-5: Lage von Stellungshaaren und Haarfeldernbei einer Ameise. Einzelne Stellungshaare bzw. Haarfelderliegen im Bereich von Gelenken der Extremitäten oder Körpersegmenten und können so als Propriorezeptoren wirken . (Modifiziert nach Markl 1971)
kelkräfte in der Körperwand eines Insekts auftreten und quer zu den Spalten angreifen, wirkendepolarisierend, indem sie eine Querkompressionder Matrix und der in ihr eingebetteten Endungdes Rezeptoraußengliedes verursachen . Tatsächlich lässt sich im Elektronenmikroskop eine Verringerung der Spaltbreite um maximal 15% beigereizten Sensillen nachweisen. In ganz ähnlicherWeise arbeiten auch die Spaltsinnesorgane (lyriforme Organe) von Spinnen und Skorpionen.
Bei den scolopidialen Sensillen (Abb. 11-4 E)hat die Spitze des Rezeptoraußengliedes den direkten Kontakt zur Epithelebene völlig verloren;sie endet in einer Kappe, die ihrerseits über eineoder mehrere Verbindungszellen den Kontakt zurKörperwand hält. Namengebend für diese Sensillen (stiftführende S.) ist der Stift (=Scolops) ,eine von der trichogenen Zelle erzeugte, kompakteAktinversteifung, die den Rezeptorlymphraumumgibt. Die Cilienbasis ist über lange Wurzelfäden bis in das Soma der Sinneszelle hinein verankert. Diese Sensillen perzipieren Druck- oderZugkräfte im Körperinneren.
11.1.4 Die adäquaten Reize, ihrePerzeption und derVerhaltenskontext
Die mechanische Reizenergie deformiert Strukturen des Sinnesorgans ; als Folge ergeben sichDehnungs, Scherungs-, oder Torsionskräfte. Hilfsstrukturen wie z.B. die cuticulären Haare übertragen die reizabhängige Auslenkung auf die mechanosensitiven Strukturen der Sinneszellen. Die
286 11 Sinnesphysiologie
reizleitenden Strukturen sowie die Position derSinneszelle am oder im Insektenkörper entscheiden also im Wesentlichen darüber, welche Art vonReizenergie"ad äquat" für sie ist, und welche Reizenergien gefiltert werden. Dagegen scheint der sensorische Mechanismus der Sinneszellen selbst sehrähnlich zu sein. So sind z. B. Sinneszellen in Verbindung mit mechanosensorischen Haaren zurMessung von Berührungsreizen, Schwerkraft,kontinuierlichen Medienströmungen, Winkelbeschleunigungen, Schall oder Substratvibrationengeeignet, oder sie dienen als Extero- oder Propriorezeptoren. Dieselben Sinneszellen des lohnstonschen Organs im Pedicellus der Antenne können sowohl Gehörorgane für Nahfeldschall ,Echoortungsorgan für Oberflächenwellen auf demWasser oder Sinnesorgan für Windströmungensein. Im Folgenden werden die mechanischenReize, ihre Perzeption, sowie ihre biologische Bedeutung beschrieben.
11.1.4.1 Propriozeption
Insekten müssen ständig über die relative Lageihrer Extremitäten oder Körperteile zueinanderinformiert sein. Diese Information erhalten sie vonunterschiedlichsten Propriorezeptoren. Einerseitskönnen Sinneszellen in Verbindung mit mechanosensorischen Haaren daran beteiligt sein, derenafferente Entladung mit der Auslenkung des Haares variiert. Solche Stellungshaare liegen einzelnoder in Form von Haarfeldern über den gesamtenInsektenkörper verteilt, bevorzugt allerdings anGelenken oder zwischen Kopf und Thorax bzw.Thorax und Abdomen (Abb. 11-3, 11-5). Die einzelnen Körperteile eines Insekts sind durch Gelenkhäute beweglich miteinander verbunden . DieStellungshaare werden bei Bewegungen der Körperteile von der benachbarten Gelenkhaut in ihrerLage geändert. Andere, längere Stellungshaarez.B. auf der ventralen Körperoberfl äche könnensensorische Rückmeldung über Kontakt mit Bodenstrukturen während des Laufens ergeben undermöglichen auf diese Weise, Substratkontakt zuvermeiden. Auch Stellungshaare im Bereich desCoxa-Trochanter Gelenks sind an der Abstandsregelung vom Boden beteiligt (vergl. Abb. 9-7).Schließlich tragen campaniforme Sensillen alsDehnungsrezeptoren in der Cuticula wesentlichzur Registrierung der Bewegung von Körperteilenoder deren Auslenkung bei, besonders wenn sie inder Nähe von Gelenken lokalisiert sind, die beiEigenbewegungen mechanisch deformiert werden.Campaniforme Sensillen findet man oft in parallelangeordneten Gruppen in der Cuticula. Sie arbeiten dort analog zu technischen Dehnungsmessstreifen, da der adäquate Reiz die Kompression
Abb. 11-6:Rasterelektronenmikroskopische Darstellungvon campaniformen Sensillen auf dem basalen ventralenTeil der Haltere der Schmeißfliege (alliphora erythrocephala. Diecampaniformen Sensillen sind in zehn parallelen Kreisbögenangeordnet. Die Spitze der Dendriten inseriert am Dom, derhufeisenförmig versenkt ist, sodass je ein Spalt von 0,2-0,3 11mBreite sichtbar ist. Deformationen in Richtung der Kreisbögensind reizwirksam und führen zur Erregung der Sinneszellen.(Fotos w. Peters)
der cuticularen Kuppel ist (vergl. Abb. 11-4D). Sokönnen sie z.B. als Propriorezeptoren die Stellungvon Körperteilen relativ zu anderen registrieren,oder bei schwingenden Strukturen wie einer Fliegenhaltere die dabei auftretenden Deformationender Cuticula messen (Abb. 11-6). Wie die sensorischen Rückmeldungen von campaniformenSensillen der Haltere und auf den Flügeln einerFliege die Steuermuskulatur für den Flug beeinflussen, ist in Abb. 9-22 dargestellt. Das ZNS einesGrillenmännchens erhält z. B. propriozeptive Information über die korrekte Ausführung der Gesangsbewegungen der Vorderflügel u.a. über campaniforme Sensillen im Bereich der Cubitalader.Werden die Sensillen ausgeschaltet, kommt es zuVeränderungen der Schallsignale: Ausfall und Verkürzung von Silben, zu hohe Geschwindigkeit derFlügelschließbewegung etc., die das Lautsignaldes Männchens letztlich weniger attraktiv fürGrillenweibchen machen. Multipolare Streckrezeptoren (Abb. 11-7) sind ebenfalls Propriorezeptoren , deren sensorische Endungen z.B. die Dehnung von Muskelfasern in der Darmwand registrieren, oder die Streckung von membranösen Teilen der Cuticula . Ihr Soma liegt stets peripher, die
11 .1 Mechanorezeption 287
30 ern• I
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Abb. "-7: Multipolare Nervenzelle im Labellum derSchmeißfliege Calliphora erythrocephala. (Foto W. Peters)
dendritischen Endungen sind entweder mit Bindegewebe oder Muskelfasern als reizleitendem Apparat assoziiert (zur Rolle eines multipolarenStreckrezeptors bei der Flugstabilisierung s.8.4.3.3).
Häufig sind an Orten hoher mechanischer Beanspru chung unterschiedliche Mechanorezeptoren zu Rezeptorkomplexen zusammengefasst, wobei jedem Rezeptoreine andere propriozeptive Funktion zugeordnet ist. AmAnsatz des Hintertlügeis des Schwärmers Manduca sex ta(Sphingidae) sind ein multiterminaler Streckrezeptor, einHaarfeld und ein Chordotonalorgan lokalisiert. Während der Streckrezeptor auf das Heben und Senken desHintertlügeis reagiert, liegen die Stellungshaare in einerPosition, in der sie auf die FlügelsteIlung im ruhendenTier ansprechen . Das Chordotonalorgan wiederum reagiert auf Vibrationen und soll in der Aufwärmphase desInsekts die geringen Schwingungen des Flügels messenkönnen.
11.1.4.2 Schwerkraft
Praktisch alle Insekten machen sich die Schwerkraft zunutze, um sich im Raum zu orientieren.Der Kopf oder das Abdomen können als schwereMassen dienen, die den Gravitationsvektor anzeigen. Die Richtung der Schwerkraft wird daher inder Regel über Sinneszellen gemessen, die die Winkelstellung der Körpergelenke kontrollieren . Dazubrauchbare Stellungshaare kommen an der Antennenbasis, in der Halsregion, an den Coxen und amÜbergang zwischen Thorax und Abdomen vor(Abb. 11-5). Sie werden bei Änderungen der Lagevon Körperteilen durch die jeweiligen Gelenk häute abgeschert. Im Prinzip ähnlich, aber mitumgekehrten Vorzeichen, nutzen wasserlebendeInsekten (z. B. Nepa oder Ranatra, Abb. 11-8 C)Stellungshaare, die durch den Auftrieb von mitgeführten Luftblasen mechanisch ausgelenkt werden. Die Wasserwanze Notonecta hält ihren Luftvorrat in Form einer Luftblase unterhalb der Antennen . Ändert die Luftblase ihre Form oder Lage
Abb. "-8: Schwerkraft. A Orientierung des Körpers imSchwerefeld. Kompensatorische Kopfbewegung einer Grille,wenn der Körper parallel zur Längsrichtung um einen bestimmten Winkelbetrag gekippt wird. Offene Symbole: intaktesSystem; geschlossene Symbole: nach Ausschaltung der keulenförmigen Haare auf den Cerci, deren Haargewicht selbst einenAuslenkungsreiz erzeugt, der von der Richtung der Schwerkraftabhängt. (Nach Horn und Bischof 1983) B Basis des Cercuseiner Grille mit keulenförmigen Haaren und Fadenhaaren; Balken = 100um, (Foto M.A. Pabst) C Statisches Organ zurMessung des Auftriebs bei der Larve einer Wasserwanze derGattung Ranatra. Die Atemluft wird durch Deckborsten in denAtemrinnen entlang der ventralen Oberfläche des Abdomensgehalten. An 4 Stellen liegen statt der Deckborsten Sinnesborsten, die jenach der Lage des Tieres imRaum unterschiedlichstark von der eingeschlossenen Luft ausgelenkt werden. (NachMarkt 1963)
288 11 Sinnesphysiologie
entsprechend der Richtung der Schwerkraft, kanndies durch die Auslenkung der Antennen gemessen werden. Nach Ausschaltung der Antennenoder nach Entfernung der Luftblase schwimmt dieWanze unorientiert.
Im Gegensatz dazu besitzen Schaben und Grillen ein eigenes, exterozeptives System von Schwererezeptoren in Form der keulenförmigen Sensillenauf den Cerci, die in Abhängigkeit von der Körperposition ausgelenkt werden (Abb. 11-8 A, B).Der distale Teil des Sensillums besteht aus einerflüssigkeitsgefüllten Keule, die beweglich über einen dünnen Schaft in einem Sockel inseriert ist.Die Sockelstruktur ist ähnlich wie bei einem Fadenhaar aufgebaut (vergl. mit Abb. 11-4 A). DieEbene der bevorzugten Auslenkung der ca. 200Sensillen im adulten Tier variiert. Im ersten Larvenstadium findet sich nur ein einziges Sensillumauf jedem Cercus, dennoch reicht die Informationder damit assoziierten einen Sinneszelle aus, Verhaltensantworten auszulösen. Diese bestehen inkompensatorischen Kopfbewegungen relativ zumübrigen Körper, wenn das Tier seine Körperhaltung ändert. Ausschaltexperimente machen allerdings wahrscheinlich, dass die Tiere zusätzlichepropriozeptive Information von den Antennenund/oder Beinen nutzen. Dies ist ein Beispiel fürein weit verbreitetes Prinzip in Sinnessystemen: Siesind mehrfach gesichert (redundant) angelegt undso vor Störungen besonders geschützt.
11.1.4.3 Berührung
Berührungsreize entstehen durch aktiven oderpassiven Kontakt des Insekts mit festen Strukturen der Umwelt; sie haben in aller Regel aperiodischen Charakter. Die Verhaltensantwort kanndie Vermeidung eines Hindernisses sein, die Beseitigung von Fremdkörpern, oder Flucht bzw. aggressives Verhalten bei Kontakt mit anderen Individuen. Berührungsreize werden oft aktiv "gesammelt" , indem die Umgebung zur räumlichenOrientierung oder zur Futtersuche mit Beinen,Antennen oder Mundwerkzeugen abgetastet wird.Sie spielen des Weiteren eine wichtige Rolle bei derAuslösung und Durchführung der Kopulationoder der Eiablage.
Typische taktile Rezeptoren bei Insekten sindmechanosensorische Haare, die durch ihre Längedie Reizenergie schon in einer gewissen Distanzvom Körper wirksam erfassen und die Sinneszelleerregen können. Sowohl die Länge, Dicke undBeweglichkeit der Haare, als auch die Anordnungin Form von Einzelhaaren oder Haarpolstern variiert sehr, was für unterschiedliche Funktionenspricht. Campaniforme Sensillen sind häufig inGruppen angeordnet oder mit Haarsensillen asso-
ziiert und tragen ebenfalls zur Wahrnehmung vonBerührungsreizen bei.
11.1.4.4 KontinuierlicheMedienströmungen
Strömungsreize kommen durch Bewegungen derMedien Luft oder Wasser relativ zum Insekt zustande. Für Insekten, die sich kaum oder nurlangsam bewegen sind Strömungsreize fremderzeugt; die sensorische Information kann genutztwerden, Intensität und Richtung der Strömung zumessen und in ein adaptives Verhalten umzusetzen. So nutzen Larven von Trichopteren die Information des schnell strömenden Wassers, umsich positiv rheotaktisch zu orientieren und ihrenKörper in den Strom zu drehen, womit der Strömungswiderstand erniedrigt wird. Termiten reagieren auf geringe Luftströmungen in ihren Bauten; das verantwortliche Rezeptororgan ist dasJohnstonsche Organ an der Antennenbasis. Diegleichen Rezeptoren haben schließlich auch Bedeutung für Orientierungsleistungen am Boden,indem während des Laufens eine Kurssteuerungrelativ zur Windrichtung durchgeführt wird. DasEinhalten eines konstanten Kurses gegenüber derWindrichtung (anemomenotaktische Orientierung) ist z. B. für einige Käfer bekannt (Abb. 119). Das Verhalten tritt schon bei Windgeschwindigkeiten von 0,15 m/s auf. Es wird gesteuert überBewegungen des Gelenks zwischen Pedicellus undFlagellum.
Wenn ein Insekt dagegen fliegt oder schwimmt,werden Strömungsreize im Wesentlichen durchseine eigene motorische Aktivität erzeugt, und diemotorische und sensorische neuronale Aktivitätkönnen zentral miteinander verrechnet und zurRegelung der Fortbewegungsgeschwindigkeit genutzt werden. Bei der Wanderheuschrecke Locustamigratoria dienen sowohl verschiedene Felder vonStellungshaaren auf dem Kopf als auch die Antennen als Luftströmungssinnesorgane, die in derLage sind, die Eigengeschwindigkeit während desFluges zu messen. Die Geißelantenne von Locustabesteht aus zahlreichen Gliedern (Abb. 11-10 A);der proximale Scapus ist mit dem 2. Glied, demPedicellus, gelenkig verbunden, darauf folgt daslange Flagellum. Als Maß für die Fluggeschwindigkeit dient die Ablenkung des Flagellums gegenden Pedicellus; dies ist der adäquate Reiz für dieMechanorezeptoren des Pedicellus, vor allem dieSensillen des Johnstonschen Organs und eineReihe von campaniformen Sensillen am distalenRand des Pedicellus. Die beiden Luftströmungssinnesorgane haben unterschiedliche Bedeutungfür die Fluggeschwindigkeit der Heuschrecke:schaltet man die Stirnhaare aus, so erniedrigt sich
11 .1 Mechanorezeption 289
20 cm
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5BAbb. "-9: Einfluss von Windreizen auf die Orientierung
eines Käfers. Oben: Laufwege eines Mistkäfers (Geotrupessilvaticus) bei absoluter Dunkelheit und Windstille auf einerLaufkugel (S Startpunkt), Unten: Laufwege desselben Mistkäfersdirekt nach Beginn eines Windreizes bei ansonsten gleichenVersuchsbedingungen. Die Richtung des Luftstroms mit einerGeschwindigkeit von ca. 1 m/s ist durch die Pfeile angezeigt.(Nach Linsenmair 1969)
die Fluggeschwindigkeit , während nach Ausschaltung der Antennen die Geschwindigkeit erhöhtwird (Abb. ll-1O B).
11.1.4.5 Vibration
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nach Ausschaltu ng '."" • • .Ader Stlmhaare
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Ahb. " -'0: Perzeption von Windströmung. A Die Auslenkung der Antennen der Wanderheuschrecke Locusta migratoriabei Windstille (0m/s) bzw. einer Windgeschwindigkeit von 4 mls. Die linke Antenne kann sich frei bewegen, die rechte ist anihrer Basis fixiert. Die punktierten Areale geben die Lage vonBorstenfeldern an. Der Flügelschlag der Heuschrecke erzeugtauch eine Modulation der Windgeschwindigkeit mit Spitzenwerten von 1rn/s im Bereich der Antennenbasisund derBorstenfelder (s. Einschaltbild). BDer Einfluss der Windsinnesorgane aufder Antenne bzw. der Borstenfelder am Kopf auf die Fluggeschwindigkeit. Nach Ausschaltung der Antenne erhöht sichdie Geschwindigkeit, nach Ausschaltung der Borstenfelder wirdsie erniedrigt. Die beiden mittleren Kurven zeigen die Fluggeschwindigkeit der TIere vor der Ausschaltung. (Modifiziertnach Gewecke 1974)
verhaltenswirksamen Signale sind jedoch oft tieffrequente Substratvibrationen, die - wenn sie aufPflanzen erzeugt werden - einen Empfänger ingeringer Distanz erreichen können. Auf dieseWeise werden unerwünschte Adressaten , die entweder keinen Kontakt mit dem übertragendenMedium haben oder zu weit vom Sender entfernt
Der Begriff "Vibration" wird hier für mechanischeOszillationen benutzt, die als Reize bei Kontaktund Substratvibration auftreten. Bei der Kontaktvibration wird der mechanische Reiz durch direkten physischen Kontakt zwischen Sender undEmpfänger - ohne die Hilfe eines zwischengeschalteten Mediums - übertragen. Von normalenBerührungsreizen unterscheiden sie sich durchihre rhythmische Struktur. Rezeptoren für solcheKontaktvibrationen sind verschiedene Haar- bzw.campaniforme Sensillen und Chordotonalorganein der Nähe von Segmentgrenzen und Gelenken.
Im Gegensatz dazu werden Substratvibrationenan den Grenzflächen zweier Medien, entwederLuft - Wasser, Luft - Boden oder Wasser - Boden,zum Empfänger übertragen . Kleine Insekten sindbei tiefen Frequenzen sehr ineffiziente Schallabstrahler, sie können dagegen tieffrequenten "SubstratschaU" auf Pflanzen oder festem Material erzeugen und auf diese Weise über kurze DistanzenKommunikationssignale übertragen. Wanzen undKleinzikaden erzeugen zwar Luftschall geringerIntensität mit ähnlichen Tymbalorganen bzw. Stridulationsmechanismen wie andere Insekten, die
290 11 Sinnesphysiologie
sind, von der Kommunikation ausgeschlossen. DieDämpfungseigenschaften der Substrate sind sehrvariabel und führen - neben der unterschiedlichenEmpfindlichkeit der Sinnessysteme - zu Kommunikationsdistanzen von einigen Millimetern bis zuwenigen Metern .
An der Grenzfläche zwischen Luft und Wasserkönnen Insekten, die auf bzw, unmittelbar unterder Wasseroberfläche leben, selbsterzeugte Oberflächenwellen zur Kommunikation mit Geschlechtspartnern oder Rivalen nutzen . Männchendes Wasserläufers Gerris remigis erzeugen eine niederfrequente Oberflächenwelle von 3-10 Hz fürdie Anlockung von Weibchen, während eine Frequenz von 80-90 Hz als territoriales Signal dient ,um andere Männchen vom eigenen Revier fernzuhalten. Mithilfe von Oberflächenwellen könnenWasserwanzen auch zappelnde Beute wahrnehmen und lokalisieren, die ins Wasser gefallen ist.Bei Gerris und Notonecta wird das Beutefangverhalten durch Oberflächenwellen in einem Frequenzbereich zwischen 20 und 200 Hz optimalausgelöst; hier liegen auch die maximalen Amplituden der Signale, die durch die zappelndeBeute erzeugt werden. Da die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wellen im Vergleich zur Schallgeschwindigkeit in Luft re\. gering ist, erreicht dieWellenfront die Tarsen der einzelnen Beinpaare zuunterschiedlichen Zeiten. So entstehen Zeitdifferenzen bei der Aktivierung der scolopidialen Sensillen in den Tarsen, die zwischen 1--4 ms liegenund für die Orientierung genutzt werden können .Perzipiert werden die Oberflächenwellen entwederdurch Sensillen der John stonschen Organe, derAntennen (Gyrinus) oder Scolopidialorgane imEndglied der Tarsen (Notoneeta). Bei Letzterenmessen je 8 Sinneszellen die Stellung und die Bewegung der Krallen, die durch den Auftrieb desRückenschwimmers von unten gegen die Oberfächenhaut des Wassers gedrückt und durch dieOberflächenwellen ausgelenkt werden. Das Frequenzspektrum der Oberflächenwellen eines zappelnden Insekts liegt genau im Empfindlichkeitsmaximum des Tarsalorgans.
Neben der Funktion im Zusammenhang mitder innerartliehen Verständigung und dem Beutefang spielen Substratvibrationen und die perzipierenden Sinnesorgane auch eine wichtige Rolleals Warnsystem vor Räubern. Die meisten Insekten besitzen mit den Subgenualorganen äußerstempfindliche Rezeptororgane für derartigeSchwingungen in allen Beinpaaren . Sie bestehenaus etwa 20--40 scolopidialen Sensillen, die in denproximalen Bereichen der Tibien fächerförmigaufgespannt sind. Schwingungsamplituden zwischen 0,001-0,1 nm führen im Frequenzoptimumvon 1-5 kHz noch zu überschwelligen Antwortender Sinneszellen.
11.1.4.6 Schall
Schallsignale werden von Insekten auf unterschiedlichste Weise erzeugt, wobei die Stridulationdie am häufigsten benutzte Methode der Schallerzeugung ist. Einige Feldheuschrecken besitzen aufder Innenseite ihrer Hinterbeine eine Reihe vonZähnchen, die sie an einer anderen Zähnchenreiheam Tergiten des 2. Abdominalsegments reiben(Abb. li-li A). Durch das zeitliche Muster derAktivierung der entsprechenden Motoneuronewerden die Hinterbeine in art spezifischer Weisebewegt und es entstehen amplitudenmodulierteLaute, die in aller Regel garantieren, dass nurarteigene Geschlechtspartner angelockt werden(Abb. li-li B). Das Zirpen von Grillen und Laubheuschrecken ist vom Prinzip her ähnlich . Hierwerden eine Schrillkante und eine Schrillader anden beiden Vorderflügeln gegeneinander bewegtund so bestimmte Teile des Flügels in Schwingungversetzt.
Abb. 11-11: Lauterzeugung durch Stridulation. A EinMännchen der Blasenschrecke Bullacris membracioides (Acrididae, Orthoptera) striduliert mithilfe einer Reihe von Cuticulazähnchen an der Innenseite des Femurs des Hinterbeins (REMAufnahme unten; Balken 200 um), die an einer Zähnchenreiheam zweiten Abdominalsegment (REM-Aufnahme oben; Balken500 um) gerieben wird. (Fotos M.A. Pabst) BOszillogramm desdurch die Stridulation erzeugten Lautes mit 5 leisen Vorsilbenund einer letzten Silbe mit einem Schalldruckpegel von bis zu98 dB.
11.1 Mechanorezeption 291
Ausgang
Ausgang
I.,';
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Abb. 11-12: Mechanismus zur Erzeugung eines lautenLockgesangs bei der Maulwurfsgrille. Männchen derMaulwurfsgrille Scapteriscus adetus in einer selbst gegrabenenHöhle, deren trichterartige Öffnung es in mehreren Arbeitsschritten der Form eines akustischen Horns so angepasst hat,dass sein Gesang bei einer Trägerfrequenz von etwa 2,7 kHz mitmaximaler Lautstärke abgestrahlt wird. Oben Aufsicht; untenSeitenansicht. Die Zahlen geben die verschiedenen Tiefenlinienan. (Modifiziert nach Bennet-Clark 1987)
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Schalltrichter~.,.......,..,....~~--~~
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zikaden zwar auch ein Tymbalorgan, aber keinassoziiertes Resonanzsystem und erzeugen deshalb nur sehr geringen Schallwechseldruck. AlsVibrationssignal kann es dagegen erfolgreich zurKommunikation über Distanzen von maximalmehreren Metern eingesetzt werden.
Grillenmännchen erzeugen durch das Reibeneiner Schrillkante des rechten Vorderflügels aneiner mit feinen Zähnchen besetzten Schrilladerdes linken Vorderflügels ein weithin hörbaresSchallsignal mit Frequenzen zwischen 2 und 8kHz, das von entsprechenden Sinneszellen im Gehörorgan, die auf den Schallwechseldruck der Luftreagieren, im sog. akustischen Fernfeld perzipiertwerden kann. Dieselbe Bewegung der Vorderflügelerzeugt allerdings in der Nähe des Männchensauch eine Teilchenbewegung der Luftrnolek üle,die geeignete Sinneszellen im sog. akustischenNahfeld der Schallquelle aktivieren können .Schließlich wird die Energie der Muskelkontraktionen für die Flügelbewegungen auch über dieBeine des Männchens auf das jeweilige Substratübertragen und löst dort lokale Schwingungen desSubstrats aus ("Sub stratschall"; s.o.) , die von Vibrationsrezeptoren eines Empfängers in einer gewissen Entfernung noch wahrgenommen werdenkönnen . Zumindest bei den ersten beiden Vorgängen - dem Schallwechseldruck und der Teilchenbewegung des Mediums im Nahfeld - handeltes sich um Schall im weiteren Sinne, wenn auch die
Insekten sind allerdings in der Regel klein undkönnen aus physikalischen Gründen nur wenigSchallenergie bei niedrigen Frequenzen abstrahlen, es sei denn als Medienoszillation im akustischen Nahfeld (s.u.). Das Spektrum der Lauteliegt daher häufig im Ultraschallbereich oberhalbvon 20 kHz, oder es werden physikalische "Tricks"angewandt, um Luftschall mit Wellenlängen, diemehr als IOx größer als die schallabstrahlendeStruktur sind, mit einem genügend großen Wirkungsgrad abzustrahlen. So benutzen kleine, südafrikanische Baumgrillen der Gattung OecanthusLücken zwischen Blättern, oder schneiden mit ihren Mundwerkzeugen sogar Löcher in ein Blatt,um darin mit hochaufgestellten Flügeln zu stridulieren. Durch Ausnutzen einer solchen Scheibevermeiden sie einen "akustischen Kurzschluss"zwischen Vorder- und Rückseite ihrer Flügel underzeugen einen Schalldruckpegel, der um 10 Dezibel über dem einer "frei" singenden Baumgrilleliegt. Männchen der Maulwurfsgrille Scapt eriscusacletus graben eine Höhle, deren Öffnung sie derForm eines akustischen Horns (vergleichbar demTrichter altmodischer Hörhilfen) immer besser anpassen, bis ihr Gesang bei einer Trägerfrequenzvon etwa 2,7 kHz über den Schalltrichter um biszu 15 Dezibel lauter abgestrahlt wird (Abb. 1112).
Bei der anatomischen Vielfalt der Insekten verwundert es allerdings nicht, dass Stridulation mitHilfe vieler verschiedener Kombinationen von Cuticulastrukturen in der Evolution entstanden ist.Eine vorsichtige Schätzung nur für die Familie derDytiscidae (Coleoptera) zählt allein 14 Möglichkeiten auf, Schallsignale zu erzeugen. Daran sindso unterschiedliche Körperteile wie Mundwerkzeuge, Beine, Flügel oder Genitalapparate beteiligt. Neben der Stridulation gibt es auch andereMechanismen der Lauterzeugung. Im Gegensatzzu Grillen und Heuschrecken wird bei Zikadenund einigen Schmetterlingen das Schallsignalnicht durch Reiben von Schrilleisten und -kantenerzeugt, sondern mith ilfe sog. Tymbal- oder Trommelorgane. Diese bestehen aus zwei ovalen Membranen an den Seiten des ersten Abdominalsegments. Die Membranen sind elastisch und durchmehrere parallele Querrippen versteift. An derInnenseite greift über eine Sehne ein großer Muskel an, durch dessen Kontraktion die Membraneingedellt wird und bei Erschlaffung wegen derElastizität zurückschnellt. Die Arbeit sweise istetwa vergleichbar mit dem Deckel einer Blechdose,der schnell hintereinander deformiert wird unddabei ein Geräusch erzeugt. Die enorme Lautstärke kommt bei den großen Zikaden durch Koppelung dieses schallerzeugenden Apparates mit einem Resonator in Form des luftgefüllten Abdomens zustande. Im Gegensatz dazu haben Klein-
292 11 Sinnesphysiologie
Nahfeld-Schall
B Druck- Druckgradienlen- Schallschnelle-empfänger empfänger empfänger
O ~ -1~ -r =--..=
erreichten Kommunikationsdistanzen und beteiligten Sinnesorgane sehr unterschiedlich sein können. Die Übergänge von aperiodischen Berührungsreizen zu Kontaktvibration, über Substratvibrationen zu Nahfeld- und Fernfeldschall sindalso fließend; Kategorien wie "Vibration" oder"Schall" haben insofern für ein Insekt nicht diegleiche Bedeutung wie für den Menschen.
Ein oszillierender Körper in einem Medium wieLuft oder Wasser erzeugt einen Schallwechseldruck , wenn der Körper im Vergleich zur Wellenlänge groß ist. Unterhalb eines kritischen Wertesfür dieses Verhältnis wird jedoch die meiste Energie der Oszillation in Form lokaler Druckunterschiede und nicht als fortgeleiteter Schallwechseldruck auftreten . Deshalb wird die Teilchenbewegung des Mediums der entscheidende Parameterim akustischen Nahfeld ; die entsprechenden Sinnesorgane bezeichnet man auch als Schallschnelleempfänger (Abb. 11-13). Beispielsweise kann eineWespe von 2 cm Länge keinen nennenswertenSchallwechseldruck unterhalb von etwa 3 kHz erzeugen. Obwohl die Wespe bei ihrer Flügelschlagfrequenz von ca. 150 Hz (Wellenlänge 2,25 m!) einextrem schlechter Schallstrahier ist, können dieTeilchenbewegungen der Luft in der Nähe derfliegenden Wespe erstaunlich große Amplitudenerreichen. Zwar fällt die Amplitude dieser Teilchenbewegungen mit der 2. bis 4. Potenz der Distanz von der Quelle wesentlich stärker ab als derSchallwechseldruck, dennoch erreichen einige Insekten mit dafür geeigneten Sinnesorganen Wahrnehmungsdistanzen von einigen Zentimetern biszu einem Meter. Wegen ihrer geringen Masse sinddie Fadenhaarsensillen auf den Cerci oder diegefiederten Antennen einiger Insekten mit denscolopidialen Sensillen der Johnstonschen Organetypische Schallschnelleempfänger für solchenNahfeldschall (Abb. 11-13). Da beide Rezeptorsysterne sowohl auf oszillierende Teilchenbewegung als auch auf Wind reagieren, ist es nichtverwunderlich, dass sie sowohl als "Gehörorgane"wie auch als "Windrezeptoren" fungieren.
Kommunikation mithilfe von Nahfeldschall istaus den genannten Gründen insbesondere bei Insekten mit geringen Individualdistanzen verbreitet . Der Paarungsgesang als Bestandteil des Balzverhaltens einiger Fruchtfliegenarten besteht auszeitlich strukturierten Flügelbewegungen, die Teilchenbewegungen im Nahfeld mit einer Frequenzzwischen 100-500 Hz produzieren. Obwohl einekleine Fruchtfliege praktisch keine nennenswerteEnergie in Form eines Schallwechseldrucks erzeugen kann, ist die Energie der Oszillationen derLuftmoleküle im akustischen Nahfeld groß genug,dass der Paarungspartner im Abstand von etwalern dieses Signal noch mithilfe des JohnstonschenOrgans wahrnehmen kann .
Die Biomechanik bei der Aktivierung des lohnstonschen Organs ist allerdings außergewöhnlich .Beider Fruchtfliege hat die Antenne eine asymmetrische Struktur und besteht aus drei Segmentenmit einer distalen Arista . Das dritte Segment funktioniert gemeinsam mit der Arista als mechani-
FlagellumA
äußererScolopidienring
Abb. "-13: Verschiedene Schallempfänger. A Schematischer längsschnitt durch den basalen Teil der Antenne einesStechmückenmännchens. (Modifiziert nach Risler 1953) BSchema eines Druckempfängers (links). eines Druckgradientenempfängers (Mitte), und eines Schallschnelleempfängers(rechts). p1 und p2stellen die zwei Schallkomponenten dar, diedie Außenseite des Tympanums direkt, bzw. mit einer gewissenPhasenverzögerung die Innenseite indirekt, erreichen. Ein Fadenhaar kann wegen seiner geringen Masse von der Bewegungder Medienteilchen mitgenommen werden und bei niederfrequentem Schall « 200 Hz) als Schallschnelleempfängerfungieren. Die fiedrige Verzweigung der Antennen einiger Fliegen (s.o.) trägt mitdazu bei, dass die gesamte Antenne mitderTeilchenbewegung der luft schwingt.
11 .1 Mechanorezeption 293
C Tanzlaut
~~
räuberischer und parasitischer Wespenarten liegen zwischen 100 und 200 Hz und damit in dem empfindlichenBereich der Stopppreaktion der Raupe. Dieser natürlicheReiz wird immerhin aus Entfernungen bis zu 70cm"gehört"; die ausgelöste Verhaltensreaktion erhöht dieÜberlebenswahrscheinlichkeit der Raupe um 30%.
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A
B
Abb. 11-14: Kommunikation und Hören mithilfe vonNahfeldschall. A-C Eine Sammlerin der Biene Apis melliferaerzeugt beim Schwänzeltanz mithilfe ihrer Flügel Nahfeldschall(C, obere Spur), der Information über die Lage einer Futterquelleaußerhalb des Stocks enthält. Die Folgebienen befinden sichwährend dieses Schwänzeltanzes mit ihren Antennen vorwiegend in unmittelbarer Nähe der Tänzerin dort, wo die Amplitudeder Teilchenbewegung der Luft am größten ist (A, B; jeder der3496 Punkte in (B) entspricht der Position des Kopfes einerFolgebiene relativ zur Tänzerin). Die Folgebienen erzeugen mitihrem Thorax eine Substratvibration (C, untere Spur), die alsStopsignal die Tänzerin veranlasst, kleine Mengen von Futterproben abzugeben. Die Balken in (B) und (C) entsprechen 1cmund 400 ms. (Nach Michelsen et al. 1987)
scher Schallempfänger und oszilliert maximal beietwa 420 Hz. Gleichzeitig induziert der Schall eineRotation des dritten Segments, die an der KontaktsteIle mit dem zweiten Antennensegment zueiner Aktivierung der Rezeptoren des lohnstonsehen Organs führt. Das dritte Antennensegmentder Fruchtfliege wirkt nicht nur als mechanischerSchallempfänger, es trägt auch mehrere hundertolfaktorische Sensillen und ist also gleichzeitigauch Geruchsorgan. Da aber das Hören mechanisch auf der Rotation des Segments beruht, stören sich die beiden Sinnesmodalitäten Geruch undGehör nicht an ihrer Funktion und können aufder selben Struktur nebeneinander existieren.
Sammlerinnen der Honigbiene Apis melliferainformieren andere Arbeiterinnen mithilfe desSchwänzeltanzes über die Richtung, Distanz undErgiebigkeit von Futterquellen (zum Prinzip derInformationsübermittlung bei Bienen s. 9.5.2.3und Abb. 9-34). Dabei erzeugen sie - ähnlich wiedie Fruchtfliege oder die Wespe - mit ihren Flügeln Oszillationen der Luftmolek üle, die im Abstand von 2 mm Geschwindigkeiten von 0,7 rnJserreichen. Der Kopf der Folgebienen - und damitdas Johnstonsche Organ der Antenne als Messinstrument - befindet sich dabei vorzugsweise imBereich der maximalen Teilchenbewegung derTanzlaute (Abb.lI-14 A, B). Die Tatsache, dassdie Teilchenbewegung sehr stark mit der Distanzin ihrer Amplitude abnimmt ist hier sogar vonVorteil, denn die Information bleibt "privat" undbenachbarte Gruppen von Tänzerinnen mit ihrenFolgebienen stören sich nicht gegenseitig bei derKommunikation. Weil die Rezeptororgane für dieTeilchenbewegung paarig angelegt sind, d. h. einesin jeder Antennenbasis, können die Folgebienenihre Position zur Tänzerin im dunklen Bienenstock bestimmen und damit "verstehen", wo dieRichtung der Futterquelle liegt. Auch die Folgebienen erzeugen ein Schallsignal, indem sie mitihrem Thorax gegen die Waben drücken; diesesStoppsignal wird allerdings als Substratvibrationübertragen (Abb. 11-14 C) und veranlasst dieSarnmlerin, kleine Portionen von Futtertröpfchenabzugeben.
Nahfeldschall wird nicht nur als innerartliches Kommunikationssignal eingesetzt, sondern er kann auch als"unfreiwillig" erzeugtes Signal eines Räubers Fluchtoder Vermeidungsreaktionen bei der Beute auslösen.Nur 8 Sinneshaare sind bei der Raupe der KohleuleBarathra brassicae verantwortlich für die Perzeption derTeilchenbewegungen, die durch den Flügelschlag vonparasitoiden Wespen herrühren. Bei diesem Reiz hebendie Raupen den Vorderkörper von der Unterlage ab understarren in dieser Haltung. Die spektrale Schwellenkurve für die Verhaltensreaktion zeigt einen Bereichgrößter Empfindlichkeit zwischen 100-600 Hz; dieSchwellenwerte der Oszillation der Luftteilchen liegenbei Amplituden von 1,611m. Die Flügelschlagfrequenzen
294 11 Sinnesphysiologie
Schallwechseldruck
' T2 'T3 ' A1 'A2'A3'A4 'A5'A6'A7'
Thorax Abdomen
Von Schall und Hören im engeren Sinn sprichtman, wenn ein Schallwechseldruck oder einewechselnde Strömung in einem Medium im sog.Fernfeld einer Schallquelle das Sinnesorgan aktiviert. Insekten haben zur Perzeption solcherSchwingungen Tympanalorgane entwickelt. Sie bestehen aus einer dünnen Cuticulamembran - demTympanum - einem luftgefüllten, trachealenHohlraum, der das Organ zum Körperlumen hin
abgrenzt , sowie einer mehr oder weniger großenGruppe von Sensillen. Durch dieses Bauprinzipkann das Tympanum nicht durch die Teilchenbewegung der Luft , sondern nur durch den Schallwechseldruck in Schwingung versetzt werden undscolopidiale Sensillen aktivieren, deren Dendritenindirekt über die Kappenzelle oder zwischengeschaltete Zellen mechanisch mit der schwingendenMembran verbunden sind. Die Position dieser Organe an völlig verschiedenen Körperteilen bei unterschiedlichen Insektenordnungen (Abb. 11-15)und ihr Auftreten bei phylogenetisch weit entfernten Taxa sind deutliche Hinweise auf einen polyphyletischen Ursprung. Entsprechend vielfältig istauch die Anatomie der Organe. Die Abb. 11-16und 11-17 zeigen 4 Beispiele aus den OrdnungenLepidoptera, Homoptera und Orthoptera. DieZahl der Sensillen pro Gehörorgan variiert sehr,von einem einzigen bei einigen Nachtschmetterlingen bis zu 2000 bei der Blasenschrecke Bullacris. Dagegen bleibt der generelle Bau des einzelnen Sensillums gleich (Abb. 11-18).
Tympanalorgane arbeiten entweder als Druckoder Druckdifferenzempfänger, oder als eine Mischung aus beiden (Abb. 11-13 B). Im ersten Fallführt die Anatomie des Gehörorgans und seineLage am bzw. im Insektenkörper dazu, dass nurdie außen auf das Tympanum auftreffende Schallwelle dieses in Schwingung versetzt und die Kraftauf die dort ansetzenden scolopidialen Sensillenüberträgt. Das Problem solcher reinen Druckempfänger ist ihre fehlende oder geringe Richtwirkung, da in Abhängigkeit von der Beschallungsrichtung nur dann verlässliche Erregungsunterschiede zwischen den Organen beider Körperseiten erzeugt werden, wenn der Insektenkörper etwagleiche Dimension wie die Wellenlänge des Schallshat (ein Ton mit einer Frequenz von 1000 Hz hateine Wellenlänge von 34 cm) und auf der schallabgewandten Körperseite durch Beugung ein"Schallschatten" entsteht. Bei einem Druckdifferenz-(Druckgradienten-jempfänger dagegen wirddie Tympanalmembran von zwei Schallwellen ausgelenkt, die auf unterschiedlichen Wegen eintreffen. Die Differenz der Druckamplituden pi undp2 ergibt den für das Tympanum wirksamenSchalldruck. Die Reizstärke für die scolopidialenSensillen hängt entscheidend von der Phasenbeziehung der beiden Schallwellen ab. Da diese wiederum mit der Beschallungsrichtung variiert, istein Druckgradientenempfänger notwendigerweiserichtungsabhängig und kann zur Lokalisation einer Schallquelle eingesetzt werden.
Bei Feldheuschrecken entwickelt sich währendder Embryonalentwicklung eine Gruppe von ektodermalen Zellen, die in jedem Körpersegmentaus den gleichen Vorläuferzellen entstehen (segmentale Homologie), und die zu einem Chordoto-
pleuralesChordotonalorganTympanalorgan
B
Abb. 11-15: Evolution von Gehörorganen. A Bei Insektensind in der Phylogenese anmindestens 10 verschiedenen Stellendes Körpers tympanale Gehörorgane entstanden, die nur1 Scolopidium, oder auch mehr als 1000 enthalten können. DieZahlen entsprechen den Orten der Gehörorgane bei folgendenInsektengruppen: (1) lepidoptera: Sphingoidea, (2)Orthoptera:Ensifera, (3) Diptera: Tachinidae, (4) Mantodea: Mantidae, (5)lepidoptera: Geometroidea und Pyraloidea, (6) Orthoptera:Acrididae, (7) Hemiptera: Cicadidae, (8) lepidoptera: Noctuoidea,(9) Hemiptera: Corixidae, (10) Neuroptera: Chrysopidae. (NachFullard und Yack 1993) BSchematische Darstellung der seriellenHomologie verschiedener Mechanorezeptoren im zweiten unddritten Thorakalsegment (T2, 13)sowie den sieben Abdominalsegmenten (A1 - A7) einer Feldheuschrecke. Aus seriell homologen Zellen (schwarz) wird nur im ersten Abdominalsegmentein tympanales Gehörorgan (Pfeil in A1), während in denübrigen abdominalen Segmenten daraus pleurale Chordotonalorgane werden. (Modifiziert nach Meier und Reichert 1991)
11 .1 Mechanorezeption 295
B
Subgenualorgan
Belntrachee
t.-\J__-1ntermediärorgan
ii---+...,<:ehörorgan(crista acustica)
~---H__- Kappenzellen
Tympana lnerv
c
Tympanum
Abb. 11·16:Tympanalorgane von Orthopterenund Zikaden. ATympanalorgan der Zikade Cicada amiL. (Homoptera) mitderAnordnung der Scolopidien in der Gehörkapsel des zweiten Abdominalsegments. Das Scolopidialorgan ist zwischen demAnheftungshorn Ah und dem Anheftungsspatel As ausgespannt. K Kappenzellen, St Stiftzelle, Sz Sinneszelle, Tr Trachee. (Modifiziertnach Michel 1975) B Komplex von Sinneszellen inder Tibia des Vorderbeins einer Laubheuschrecke (Tettigoniidae). Die Sensillen desGehörorgans (crista acustica) sind linear entlang der Beintrachee aufgespannt; ihre Kappenzellen nehmen von proximal nach distalin ihrer Größe ab. C Ansicht von innen auf das Gehörorgan der Wanderheuschrecke Schistacerca gregaria (Acrid idae) im erstenAbdomina/segment. Innerha/b des Ganglions liegen 4 Gruppen von Sensillen, die über Hilfszellen an unterschiedlichen Stellen mitder Tympanalmembran verankert sind (vergl. auch mitAbb. 11-18). (B und Cmodifiziert nach Schwabe 1906)
nalorgan mit den oben beschriebenen Sinnes- undHilfszellen ausdifferenzieren. Allerdings wird daraus nur im ersten Abdominalsegment ein Gehörorgan, weil sich nur dort ein Tympanum undandere cuticulare Strukturen ausbilden, die dasOrgan für die Perzeption von Schallwechseldruckgeeignet machen. In den anderen Segmenten ent-
stehen dagegen pleurale Chordotonalorgane, die alsStreckrezeptoren die Lage der Segmente zueinander registrieren (Abb. 11-15 B). Der Nachweisder segmentalen Homologie von Chordotonalorganen und Gehörorgan macht deutlich, dassStreck- und Gehörsrezeptoren in der Ontogeneseund Phylogenese Teil des gleichen sensorischen
296 11 Sinnesphysiologie
bei verschiedenen Frequenzen (Abb. 11-19). Es istnoch unklar, ob diese Frequenzselektivität dadurch zustandekommt, dass die Dendriten derSinneszellen die Schwingungen der Tympanalmembran an unterschiedlichen Stellen abgreifen(entsprechend dem Ortprinzip in der Cochlea vonSäugern) oder ob sie eine intrinsische Eigenschaftder Zellen selbst ist. Schließlich ist die Erregungder Rezeptoren auch von der Richtung der Signalquelle abhängig, sodass ein zentraler Vergleichder Erregungen beider Organe die Lokalisationdes Senders ermöglicht.
Tympanalmembran11.1.5.2 Feindvermeidung
B
100
1i 90(j) 80lD
~ 70~.~ 60Cl):s 50
Viele Arten von Nachtschmetterlingen besitzentypische tympanale Gehörorgane (Abb. 11-17 A),obwohl kein lautgebender Mechanismus bekanntist. Bei diesen Tieren - und vielen anderen nachtaktiven Insekten - dient das Gehörorgan zur Per-
11.1.5.1 Innerartliche Kommunikation
Systems sind, und dass sich tympanale Gehörorgane von Propriarezeptoren ableiten lassen.
11.1.5 Die adaptive Funktiontympanaler Gehörorgane
xon
Schwann-Zelle
Stiftzelle
- -t;;;-- Kappenzelle
JlHhit-- Cilium
~~T*~I ftllt"ffi, - w urzelfaden
Abb. 11-18:Aufbau eines scolopidialen Sensillums einerHeuschrecke nach elektronenmikroskopischen Befunden. (Modifiziert nach Gray 1960)
10020 40 60 80Frequenz [kHz)
Abb. 11-17: Hören bei Nachtschmetterlingen. A Schemades Gehörorgans eines Nachtschmetterlings (Noctuidae) imersten Abdominalsegment. LS tympanale Luftsäcke. Die B-Zelleist wahrscheinlich ein Streckrezeptor. (Nach Eggers 1919) BSchwellenkurven der beiden A-Zellen im Gehörorgan von Agratis segetum (Noctuidae). (Nach Surlykke und Miller 1982)
Bei den Insekten erzeugen vor allem Orthopterenund Zikaden artspezifische Schallsignale zur innerartlichen Kommunikation, die als prägame Isolationsmechanismen wesentlich dazu beitragen,dass eine Paarung in der Regel nur mit dem arteigenen Geschlechtspartner stattfindet. Im Allgemeinen stimmen die Bereiche größter Empfindlichkeitder Rezeptoren im Gehörorgan des Empfängersmit dem Frequenzbereich der Schallsignale desSenders gut überein. Die Abstimmkurven einzelner Rezeptoren - oder Gruppen von Rezeptorender Gehörorgane von Grillen, Laub- und Feldheuschrecken zeigen oft bevorzugte Empfindlichkeit
11 .1 Mechanorezeption 297
B
80
I I I I I I-
1--"-
f-
I
Abb.11-19: Hören von Tönen unterschiedlicher Frequenz. A Die Hörschwellenkurven einzelner tympanaler Rezeptoren im Gehörorgan der Laubheuschrecke Mygalopsis marki(Tettigoniidae) unterscheiden sich in ihrer absoluten Empfindlichkeit und charakteristischen Frequenz (CF). Rezeptoren mitniedriger CF liegen proximal in der crista acustica, solche mithöherer CF weiter distal (Pfeile). Dies bezeichnet man alstonotope Ordnung. (Modifiziert nach Oldfield 1982) B Antagonistische Verhaltensreaktion auf Töne hoher und niedrigerFrequenz. Anzahl der positiven bzw. negativen phonotaktischenAntworten von im Flug fixierten Weibchen der Grille Teleogryllusoceanicus bei Reizung mit Tönen unterschiedlicher Frequenz(in %). Als Reaktion wurde das Abbiegen des Abdomens inRichtung Schallquelle (positive Phonotaxis) bzw. weg von derSchallquelle (neg. Phonotaxis) gemessen, was imfreien Flug einHinfliegen zur Schallquelle bzw. ein Wegfliegen bedeutenwürde. Reize unter 10kHz werden als attraktiv bewertet,oberhalb von 15 kHz lösen sie Fluchtverhalten aus. (NachMoiseff et al. 1978)
negativ 3 4 5 8 10 20 40 60 100
Frequenz[kHz]
100
~ 50CI)
·x~ 0so&. 50
positiv
100
20
4 10 20 40 100Frequenz[kHz]
i
::ra..C/) 60III~
E.~ 40s.E
A
Gehörorgane der Tachiniden reagieren besondersempfindlich bei den Trägerfrequenzen der Lauteihrer Wirtstiere. Die Fliegenweibchen hören undlokalisieren diese Laute über größere Distanzenund legen dann auf den Wirtstieren ein Ei bzw.eine Larve ab. Bemerkenswert ist bei der Orientierungsleistung der parasitoiden Fliege Ormiaochracea die außerordentliche Genauigkeit der
zeption der Echoortungslaute von insektivorenFledermäusen, die als Räuber einen großen Selektionsdruck auf die Beute ausüben (s. 17.2.2.1). DieEchoortungslaute liegen außerhalb des menschlichen Hörbereichs z.T. weit oberhalb von 20 kHz;entsprechend ist die Empfindlichkeit der Sinneszellen der Nachtschmetterlinge auf diesen Ultraschallbereich abgestimmt (Abb. 11-17B). Die Zahlder Sinneszellen im Organ ist äußerst gering (zwischen 1--4). Am Beispiel der Noctuidae mit nur 2Sinneszellen (Al und A2) wird deutlich, dass dasOrgan keine Voraussetzung für eine Frequenzunterscheidung liefert, denn beide Sinneszellenzeigen die gleiche Abstimmkurve. Allerdings reagiert die Zelle A2 um etwa 20 Dezibel unempfindlicher als Al, was eine Unterscheidung zwischen einer weit entfernten und einer nahen Fledermaus mit entsprechend leisen und lautenEchoortungssignalen erleichtert. Tatsächlich beobachtet man im Verhalten der Nachtschmetterlinge unterschiedliche Reaktionen auf leise bzw.laute Echoortungssignale: eine gerichtete Fluchtweg von der Schallquelle, wenn die Fledermausweiter entfernt ist, dagegen unregelmäßigen Flugoder "Abstürzen" bei kurzen Distanzen.
Beiverschiedenen Nachtschmetterlingen, Goldaugen (Chrysopidae) und einigen Gottesanbeterinnen (Mantidae) scheinen die Gehörorgane einzig im Funktionszusammenhang der Feindvermeidung zu stehen. Aber auch Grillen und Laubheuschrecken sind z.T. gute, nachtaktive Flieger undsomit potenzielle Beute echoortender Fledermäuse. Ihr Gehörsystem ermöglicht eine Unterscheidung zwischen innerartliehen Kommunikationslauten und den Ultraschallsignalen der Fressfeinde. Dementsprechend findet man z. B. bei Grillen, dass tieffrequente, arteigene Lockgesängeauch im Flug mit einer Hinwendung zur Schallquelle beantwortet werden (positive Phonotaxis),während die Tiere sich bei Ultraschallsignalen vonder Schallquelle abwenden und wegfliegen (negative Phonotaxis; Abb. 11-19 B).
Parasitisch lebende Dipteren aus der Familie derTachinidae besitzen Gehörorgane, die auf die innerartlichen Kommunikationslaute ihrer Wirtstiere (Grillen und Laubheuschrecken) abgestimmtsind (Abb.11-20). Das Organ liegt in einer Aufwölbung des prothorakalen Sternums und enthältetwa 40 scolopidiale Sensillen, die ganz ähnlichaufgebaut sind wie diejenigen in tympanalen Gehörorganen anderer Insekten . Bei dem Gehörorgan dieser Fliegen handelt es sich wahrscheinlich um in der Evolution abgewandelte Stellungshaare des Prosternalorgans in der Halsregion . Die
11.1.5.3 Beutefinden
298 11 Sinnesphysiologie
A
Tachinid en, deren Wirte Laubheuschrecken mitinnerartliehen Signalen weit oberhalb von 10 kHzsind, reagiert das Gehörorgan besonders empfindlich auf Ultraschallfrequenzen.
c
Ausbuchtung des Prostemumsmit Gehörorgan
Abb. 11-20: Gehörorgan einer parasitoiden Fliege. A DastympanaleGehörorganeinesWeibchensderFliege Ormiaochracea (Tachinidae) liegt in einer blasenartigen Aufwölbung desprothorakalen Sternums, verborgen hinter der Kopfkapsel. BFrontalsicht derAußenstrukturen des Gehörorgansmit derTympanalmembran nach Entfernen des Kopfes. N Nackenverbindung. Das Organ enthält etwa 40 scolopidiale Sensillen mitähnlichem Aufbau wie bei tympanalen Gehörorganen andererInsekten. CSie reagieren besondersempfindlichim Frequenzbereich der Laute ihrer Wirtstiere. Das schraffierteAreal zeigt dasSpektrum des Lockgesangs der Wirtsgrille. (Verändert nachRobert et al. 1994)
11.2 Temperatur- undFeuchterezeptionAnton Stabentheiner und HeinerRömer
11.2.1 Lage, Struktur undPhysiologie der Rezeptoren
Temperatur- (Therrno-) und Feuchte- (Hygro-) rezeptoren wurden bei allen daraufhin untersuchtenInsekten arten gefunden. Sie kommen besondershäufig auf den Antennen, aber auch am übrigenKörper vor. Bei der Honigbiene sind vor allem dieäußeren (distalen) fünf Antennenglieder für dieOrientierung in einem Temperaturgradientenwichtig. Auch bei der Stabheuschrecke Carausiusmorosus und bei der Schabe Periplaneta americanawurden Thermo- und Hygrorezept oren auf derAntenne, beim Seidenspinner (Bombyx mori) ander Spitze der Antennenfiedern nachgewiesen. Ineinem Sensillum sind häufig therm o- und hygrorezeptive Neurone vereint, in den meisten Fällenzwei hygrorezeptive und eine thermorezeptiveZelle. Diese Kombination wird auch als "thermo-Ihygrosensitive Triade " bezeichnet. Bei der Gelbfiebermü cke Aedes aegypti wurden Sensillen mitzwei Thermorezeptoren, einer Kalt- und einerWarmzelle (s.u.), gefunden. Die Zahl antennalerthermo-/hygrosensitiver Sensillen ist im Vergleichzu der von Mechano- und Chemorezeptoren relativ gering. Sie beträgt nur 2 bei der Kleiderlaus(Pediculus humanus corporis) und etwa 70 beimNachtfalter Anth eraea polyphemus. Im Gegensat zdazu wurden auf den Antennen des Männchensdieses Falters etwa 70000 olfaktorische Sensillengezählt. Bei Periplaneta americana wurden Temperatur- und Feuchterezeptoren auch auf den Maxillarpalpen gefunden.
Thermo-/hygrosensitive Sensillen sehen zapfenförmig aus und sind in die umgebende Cuticulaeingesenkt (Abb. 11-21). Die Basis des Zapfens ist,im Gegensatz zu Mechanorezeptoren, unbeweg lich gestaltet (Abb. 11-22 A). Die Cuticula desZapfens weist keine Poren oder sonstige Verbindungen nach außen auf. Die distalen Fortsätzevon zwei Sinneszellen sind eng von der Wand desZapfens und einer dendritischen Hülle (Dendritenscheide) umschlossen. Diese Zellen fungierenals Feuchterezeptoren. Die dritte Sinneszelle, de-
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akustischen Lokalisation von 2 Winkelgraden, diedamit besser ist als die von Säugetieren und gleichgut wie das für akustische Ortung hoch spezialisierte System der Eulen. Da s Geh örssystem desParasitoiden muss also im Hinbli ck auf die Detektion und Lokalisation der Beute Vergleichb aresleisten wie das Weibchen des Wirtes bei der Partnerfindung, wobei die nicht perfekte Abstimmungzwischen der Geh örsempfindlichkeit der Fliegeund Gesangsfrequenz des Grillenmännchens vielleicht ein Hinweis darauf ist, da ss das Gehörorgandes Parasitoid en auf die Laut e mehrerer Grillenarten mit jeweils unterschiedlichen Gesangsfrequenzen reagieren muss. Bei anderen Arten von
11 .2 Temperatur- und Feuchterezeption 299
Abb. 11-21 : Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmezweier thermo-/hygrosensitiver Sensillen (5. styloconica,Pfeile) auf der Spitze einer Antennenfieder von Bambyx mari(Nach Steinbrecht 1989).
einer Abnahme. Bei einem schnellen Absinken derLufttemperatur steigt die Impulsfrequenz in denersten 300 ms nach Reizbeginn linear mit derGröße des Temperaturabfalles an. Die Stärke dieses Zusammenhanges (die Steilheit der Regressionsgeraden) ist aber größer, wenn der Temperatursprung von einer tieferen Anfangstemperaturaus erfolgt (Abb, 11-24). Aus der Steilheit der Regressionsgeraden kann grob auf die Unterschiedsempfindlichkeit des Kaltre zeptors geschlossenwerden. Bei einer Ausgangstemperatur von 31 "Cerhöht sich die Impulsfrequenz des Rezeptors beiTemperaturerniedrigung um I "C nur um 0,6 Hz,bei einer Ausgangstemperatur von 16,9 "C hingegen um 16,7 Hz. Im Gegensatz zum Feuchte- undTrockenrezeptor hängt beim Kaltrezeptor die Unterschiedsempfindlichkeit für schnelle Reizänderungen demnach nicht von der Größe des Temperatursprunges, dafür aber von seinem Ausgangswert ab. Für stationäre Temperaturreize nimmt beidiesem Rezeptor die Impulsfrequenz mit sinkender Temperatur nicht linear, sondern entsprechendeiner parabolischen Funktion zu. Dadurch wirddie Empfindlichkeit für stationäre Temperaturreize über 24 "C sehr gering.
Der Mechanismus zur Transduktion vonFeuchtereizen in nervöse Erregungsmuster ist der-
ren dendritischer Fortsatz unterhalb des Zapfensendet und mehr oder weniger finger- oder lamellenartig aufgegliedert ist, dient als Thermorezeptor (Abb. 11-22). Die inneren Anteile der dendritischen Fortsätze wie auch die Perikaryen der Sinneszellen sind von einer Hüllzelle, der thecogenenZelle umgeben. Das Haargebilde wird von einertrichogenen, der Sockel von einer tormogenenZelle gebildet (Abb. 11-22; vergl. auch mit demAufbau eines cuticularen Mechanorezeptors,Abb.II-1) .
Die Physiologie einer typischen "thermo-/hygrosensitiven Triade" ist besonders gut bei derStabheuschrecke untersucht. Alle drei Rezeptorzellen des Sensillums sind spontanaktiv. Von denzwei Feuchterezeptoren stellt eine Zelle einen sogenannten "Feuchte-" und die andere einen "Tmckenrezeptor" dar (Abb. 11 -23). Der Trockenrezeptor antwortet auf eine schnelle Verringerungder Luftfeuchte mit einer Zunahme der Impulsfrequenz, während die Entladungsfrequenz desFeuchterezeptors bei einer Zunahme der Feuchteansteigt. In ähnlicher Weise, wenn auch in einemgeringeren Ausmaß, ändert sich die Impulsfrequenz, wenn die einzelnen Feuchtestufen stationär, d.h. mit langen Adaptierungszeiten zwischenden Reizen, geboten werden (Abb. 11-23). Es erscheint zunächst verwirrend, dass viele Rezeptorenfür Luftfeuchte sich dadurch auszeichnen, dass sienicht nur auf Feuchtereize reagieren, sondern auchauf Temperaturänderungen. Bei der Stabheuschrecke konnte aber gezeigt werden, dass dieTemperaturantwort des Feuchterezeptors zu einem erheblichen Teil dadurch zustande kommt,dass eine Temperaturerniedrigung bei gleichbleibendem absolutem Wasserdampfgehalt der Luftzu einer Erhöhung der relativen Luftfeuchte undauf diesem Wege zu einer Erhöhung der Impulsfrequenz führt . Die Unterschiedsempfindlichkeitfür schnelle Feuchteänderungen sowohl desFeuchte- als auch des Trockenrezeptors ist bei derStabheuschrecke unabhängig davon, von welchemAusgangswert ein Feuchtereiz erfolgt. Sie nimmtallerdings mit zunehmender Größe des Feuchtesprunges ab.
Die dritte Rezeptorzelle, der Kaltrezeptor, zeigtein phasisch-tonisches Antwortverhalten. Er beantwortet eine plötzliche Temperaturerniedrigungzuerst mit einer steilen Zunahme der Entladungsfrequenz, die anschließend auf ein etwas höheresNiveau als vor der Reizung absinkt. Bei einerTemperaturerhöhung verhält er sich annäherndentgegengesetzt mit dem Unterschied , dass dieEntladungsfrequenz bei größeren Temperaturanstiegen (> 4 "C) z.T. mehr als eine Minute lang aufnull absinken kann . Das bedeutet aber, dass dieGröße eines Temperaturanstieges mit dieser Zellenicht so gut gemessen werden kann wie die Größe
10 u rn
300 11 Sinnesphysiologie
A B
Abb. 11-22: Thermo/hygrosensitive Triade. Schema (A) bzw. elektronenmikroskopischer Querschnitt (8) durch ein thermolhygrosensitives S. styloconicum auf den Antennen von Bombyx mori, Antheraea pernyi oder A. polyphemus mit drei bipolarenRezeptorzellen. Th: Thecogenzelle; Tr: Trichogenzelle; To: Tormogenzelle. Z: Zellkern. Querschnitt in Höhe der Schnittmarke in (A)(Nach Steinbrecht et al. 1989).
zeit noch nicht vollständig geklärt. Bei Periplanetakonnte aber gezeigt werden, dass die Feuchterezeptoren in den Sensilli capituli der Antennenkeine Chemorezeptoren sind wie etwa die Wasserrezeptoren in den labellaren chemorezeptiven Sen-
sillen der Fliege Phormia terranovae. Die für Periplaneta favorisierte "Hygrometer-Hypothese"nimmt an, dass hygroskopisches Material im Cuticularzapfen seine Form durch Feuchtereize verändert und auf diesem Wege die dendritischen Fort-
N •~ ...::! 15 •Cl) •• [] ~E- ~ _ 0
!':~:~Feuchterezeptor
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"'-."'.,,-Ausgangstemperatur:
.., 20,8 -c• •••••
AtJ. • •.... .A~6 "'••
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Feuchteniveau (%)o
Abb. 11-23: Physiologische Antwort von Hygrorezeptoren. Frequenz von Aktionspotentialen der zwei Hygrorezeptoreneiner .therrno-zhyqrosensitiven Triade" auf der Antenne vonCarausius morosus bei stationären Feuchtereizen (Modifiziertnach Tichy 1987).
Abb. 11-24: Physiologische Antwort eines Kaltrezeptors. Mittlere Aktionspotential-Impulsfrequenz eines Kaltrezeptors auf der Antenne von Carausius morosus als Antwort aufverschieden große Temperatursprünge bei zwei Ausgangstemperaturen (Nach Tichy und Lohus 1987).
11.2 Temperatur- und Feuchterezeption 301
Abb. 11-25: Thermorezeptor in den Grubenorganen des Prachtkäfers Melanophila acuminata. Die Organe liegenventrolateral am anterioren Metathorax. unmittelbar neben den Coxen des mittleren Beinpaares (s. Einschaltfigur in a). ARasterelektronenmikroskopische Aufnahme mehrerer Köpfchen von Infrarot-Rezeptoren, die jeweils mit einer Wachsdrüse (WD)assoziiert sind. B Schema eines Grubenorgans. Es ist vollständig von einem dreidimensionalen Geflecht aus Wachsfilamentenausgefüllt (nicht dargestellt), die von den Wachsdrüsen gebildet werden. Dieses Wachsgeflecht lässt die Infrarotstrahlung zu denRezeptoren durchdringen, vermindert aber Luftbewegungen im Grubenorgan. C Schema des Aufbaus eines Sensillums. Die vonaußen sichtbare Aufwölbung enthält eine Cuticulakugel mit Bereichen unterschiedlicher Strukturierung. Die Kugel wird vonMesocuticula bedeckt und istansonsten von einem dünnen Plasmasaum umgeben, der von den Ausläufern der trichogenen (Tr) undtormogenen (Ta) Zelle gebildet wird. Das Sensillum enthält eine ciliäre Sinneszelle, die imAußensegment ihres Dendriten einenTubularkörper besitzt, der exzentri sch in der Cuticula inseriert. (Th: Thecogene Zelle). (Modifiziert nach Vondran et al 1995)
sätze der Sinneszellen mechanisch zur Erzeugungvon Generatorpotentialen anregt (vergl. übernächster Absatz) . Der Mechanismus der Transduktionbei thermorezeptiven Neuronen ist noch nicht geklärt.
Eine besondere Form eines thermoempfindlichen Sinnesorgans ist ein ventrolateral gelegenes,grubenförmiges Organ am Metathorax desPrachtkäfers Melanophila acuminata, an dessenBasis ca. 50-100 Sensillen liegen (Abb. 11-25). Jedes Sensillum ist mit einer Wachsdrüse assoziiert(Abb.11-25 A, B); es besteht aus einem rundenKöpfchen, das von Mesocuticula umgeben ist undim Inneren aus Lamellen von Endocuticula besteht, die ihrerseits von Ausläufern der torrnogenen und trichogenen Zelle umgeben sind(Abb. 11-25 C). In die Lamellen des Köpfchensragt die Spitze des Außensegments einer Sinneszelle hinein, die wie bei einem Mechanorezeptor
einen Tubularkörper besitzt (vergleiche mitAbb. li-I). Der äußere Rezeptorlymphraum wirdhier ausschließlich von der trichogenen Zelle gebildet.
Die Vorstellung über die Funktionsweise einessolchen Sensillums als Thermorezeptor ist, dassInfrarotstrahlung mit Wellenlängen um 3 um dieEndocuticulalamellen im Inneren des Köpfchensausdehnt und dies eine Deformation des Tubularkörpers des Rezeptoraußensegments bewirkt. Diebiologische Bedeutung solcher Thermorezeptorenliegt darin , dass die Larvalentwicklung bei diesemKäfer im Holz von Bäumen stattfinden muss, dasdurch Feuer zerstört wurde. Käfer beiderlei Geschlechts werden durch Waldbrände in Scharenangelockt ; Paarung und Eiablage können schonstattfinden, wenn das Feuer noch nicht verloschenist. Daher müssen Rezeptoren mit entsprechenderEmpfindlichkeit vorhanden sein, die die Infrarot-
302 11 Sinnesphysiologie
Nes"emperatur(OC)
RelativeNestluftfeuchle (%)
luftlemperalur: 29.7·e
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tf@J\?\ ,~''10':::--. .-/-'" .' --~
Abb. 11·26: Mikroklima und Besiedelungsdichte im Nest der RotenWaldameise (Formica polyctena) während eines heißen, sonnigen Sommertages (oben) und einer Kälteperiode(unten). Das schraffierte Areal zeigt denOrt an, wo Puppen (P) gehalten werden. (Modifiziert nach Coenen-Staß1988)
strahlung als Folge eines Waldbrandes aus großerEntfernung wahrnehmen können, wofür die Sinneszellen in den Grubenorganen hervorragend geeignet sind .
Die bisher geschilderten Rezeptoren wie z.B. diethermo-/hygrosensitiven Triaden sind aufgrund ihrerLage und ihres Baues darauf ausgelegt, äußere Temperatur- und Feuchtereize wahrzunehmen. Für Insekten,die in der Flugvorbereitungihre Flugmuskulaturvorwärmen müssen (viele Hymenopteren, Käfer, Schmetterlinge, etc., Abb. 11-28) oder die ein auf die jeweiligenVerhaltensumstände abgestimmtes thermoregulatorisches Verhalten zeigen wie die Honigbiene muss angenommen werden, dass sie auch ihre Körpertemperaturmessen können. Über die Natur solcher internen Thermorezeptoren ist wenig bekannt. Bei der Schabe Periplaneta americana wurde festgestellt , dass eine künstlicheErwärmung des Kopfes die Flugbereitschaft deutlichherabsetzt, nicht aber eine Erwärmung des Metathorax.Daraus ließ sichschließen, dass die Rezeptoren und/oderdie Kontrollzentrenzur Verhinderung einer Überhitzungdurch zu langen Flug nicht im Metathorax, dem Sitz derFlugmuskulatur, sondern eher im Kopf oder im Prothorax zu finden sind. Obwohl auch im ZNS von Insekten Neurone gefunden wurden, deren Aktionspotential-Frequenz sich mit der Temperatur ändert, konnteeine Funktion als Thermorezeptor noch nicht schlüssignachgewiesen werden.
11.2.2 Thermorezeption undVerhalten
Für kleine Tiere wie Insekten, deren Körpermasseund Wärmekapazität sehr gering sind, ist es besonders wichtig, über Temperatur und Feuchte derumgebenden Luft informiert zu sein. Zwar bietetdie Cuticula einen relativ guten Schutz vor Austrocknung, doch ist auch die Menge an Körper-
flüssigkeit gering. Eine Arbeitsbiene z. B. hat beieiner Körpermasse von 90-110 mg nur ein Hämolymphvolumen von etwa 15-20 ul, Zudem wirdauch bei der Atmung über das TracheensystemFeuchtigkeit abgegeben. Für einzeln lebende Insekten wie z. B. Heuschrecken besteht daher einwichtiger Teil der Überlebensstrategie darin, überÄnderungen der Temperatur- und Feuchteverhältnisse jederzeit informiert zu sein, um möglichstrasch Bereiche mit günstigerem Mikroklima aufsuchen zu können.
Die rote Waldameise (Formica polyctena) hältsich in einer Klima-Wahlapparatur bevorzugt beieiner Temperatur von 29 ± 2,3 °C und einer relativen Luftfeuchte von 88 ± 12% auf. An warmen,sonnigen Sommertagen meiden sie meist die besonntenTeile an der Oberfläche des Ameisenhügels und ziehen sich in den kühleren Schattenzurück. Im Hügel besteht dann ein erheblicherTemperaturgradient zwischen Nestrand und Nestinnerem: die oberen Nestbereiche können Temperaturen bis über 35°C annehmen, während dieTemperaturen im Nestinneren deutlich niedrigerliegen . Die relative Luftfeuchte im Nest beträgt imZentrum 100% und fällt entsprechend den höheren Temperaturen zur Oberfläche hin ab (Abb. 1126). An kühlen Tagen hingegen ist es im Zentrumdes Nestes am wärmsten und an der Oberflächeam kühlsten, und die relative Nestluftfeuchtesteigt fast im ganzen Nest auf 100% an. DieVerteilung der Tiere im Nest folgt dann nicht demFeuchte-, sondern dem Temperaturgradienten(Abb. 11-26). Damit die Brut immer ihrem Vorzugsklima ausgesetzt ist, wird sie innerhalb desNestes entsprechend verlagert.
Präzise Information über die Umgebungstemperatur ist für das Überleben der SilberameiseCataglyphis bombycina (Formicidae) in der Zen-
11.2 Temperatur- und Feuchterezeption 303
42 Thorax -<>- Gehen ...... Schwänzeltanz __ Verfüttern
A
02:0001:30
-----------
00:30
G'~ 40:::>
N~ 38 CaputE2~ 36
1.3,'"~ 34.0o
32 .........---.,.......-~...,...~_---,r---~ ...00:00
Abb. 11-28: Regelung der Körpertemperatur bei derHonigbiene (Apis mellifera). A Infrarot-Thermogramm einerBiene, die beim Trinken eines Tropfens Zuckerwasser ihre thorakale Flugmuskulatur zur Flugvorbereitung aufheizt. Aufgrundder hohen Wärmeverluste wird die Thoraxtemperatur aufUmgebungsniveau abgesenkt, wenn keine erhöhte Aktivität der Flugmuskulatur erforderlich ist. Der Graustufenskala am rechtenBildrand entsprechen nach oben ansteigend Temperaturschrittevon 0,6 -c Kopf: 25,8 oe,Thorax: 28,8 oe, Abdomen: 26,1 oe.Umgebungstemperatur: 25,1 "C. (nach Schmaranzer und Stabentheiner 1988) B Oberflächen-Temperaturen einer Sammelbiene während eines Aufenthaltes im Bienenstock. Die Temperatur des Thorax wird während des gesamten Sammelzyklusauf hohem Niveau reguliert. Pfeil: Biene verlässt den Stock.(Verändert nach Stabentheiner und Hagmüller 1991)
B
Wärme u.a. auch, um die Temperatur des Brutnestes im Bereich von 34-36 "C zu regulieren.Sinkt die Stocktemperatur ab, rücken die Bienenzur besseren Isolation zusammen und heizen verstärkt mit der Flugmuskulatur, steigt sie an, wirdzuerst die Luftzirkulation im Stock durch Flügelfächeln erhöht. Wenn auch das nicht ausreicht ,wird Wasser eingetragen und und zur Kühlungdurch Verdunstung auf den Waben verteilt. In derbrutlosen Zeit, wenn sich die Bienen in gemäßigten und kühlen Breiten zur Wintertraube zusammenschließen, wird deren Kerntemperatur auchdann im Bereich von etwa 20-32 "C gehalten ,
4Cafaglyphisf- ~
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Tageszeit (h)
tralsahara besonders wichtig. Diese Ameise zeichnet sich dadurch aus, dass sie ihre Sammeltätigkeitauf ein kurzes zeitliches Fenster von nur etwa 10Minuten in der Mittagszeit beschränkt. Die Temperatur des Wüstenbodens erreicht dann Werte bis60 "C, Sobald die Lufttemperatur in der Höhe desAmeisenkörpers (d.h . 4 mm über dem Wüstenboden) auf 46,5 "C angestiegen ist, verlassen alleAußendiensttiere schlagartig das Nest (Abb. 1127), während sich andere Wüstenameisen bereitsbei Oberflächentemperaturen von 25-45 "C in ihreunterirdischen Nester zurückziehen. Die Sammeltätigkeit wird beendet, bevor die Körpertemperatur tödliche Werte von etwa 53-55 "C erreicht .Damit die Sammeltätigkeit bei diesen extremenAußentemperaturen überhaupt möglicht ist, sinddie Silberameisen darauf angewiesen, zumindest30% der Zeit in thermischen Refugien auf vertrockneten Pflanzenstengeln zuzubringen , wo dieTemperatur um mehrere Grade niedriger ist als4 mm über dem Wüstenboden. Der Grund fürdieses extreme Verhalten ist im Feinddruck durcheine Wüsteneidechse (Acanthodactylus dumerili)zu suchen, die die Jagd auf die Silberameisen erstbei Temperaturen einstellen muss, bei denen dieAmeisen gerade das Nest verlassen. Den Ameisenbleibt für die Sammeltätigkeit also nur ein kleineszeitliches und thermisches Fenster, in dem sie einerseits ihren Feinden entgehen können, ohne andererseits an Hitzestress zu sterben.
Einige soziale Insekten wie Bienen sind dazuübergegangen, im Nest optimale Temperatur- undFeuchteverh ältnisse aktiv herzustellen. Wie vieleflugfähige Insekten heizen Bienen ihre Flugmuskulatur schon vor Flugbeginn ohne sichtbare Flügelbewegungen auf die erforderlichen Werte vor(Abb. 11-28). Sie verwenden die dabei entstehende
Abb. 11-27: Temperaturabhängigkeit der Sammelaktivität vonAmeisen. ZeitlichesAuftreten der Sammelaktivität derSilberameise (Cataglyphis bombycina) in der Zentralsahara imVergleich zu einer anderen Ameise (c. bicolot), die in etwasgemäßigteren Breiten lebt. Gemessen wurde die Zahl der Ameisen, die pro Minute das Nest verließen. (Nach Wehner, Marshund Wehner 1992)
304 11 Sinnesphysiologie
wenn die Außentemperatur weit unter 0 °C absinkt. Eine der wichtigsten Voraussetzungen fürdie soziale Thermoregulation ist die Fähigkeit desIndividuums, sowohl die Umgebungs- als auch dieKörpertemperatur messen zu können. Die erforderliche Bestimmung von absoluter Temperaturund Temperaturänderungen wird mithilfe einesempfindlichen Temperatursinnes bewerkstelligt.In Verhaltensversuchen wurde nachgewiesen, dassBienen (ähnlich wie Ameisen) in der Lage sind,Änderungen der Umgebungstemperatur von nur0,25 °C wahrzunehmen . Da dieser Befund auf einer Verhaltensantwort beruht, ist dies nur einMindestwert für die Empfindlichkeit des Temperatursinnes. Wahrscheinlich ist die Unterschiedsempfindlichkeit der Rezeptoren noch größer.
11.3 ChemorezeptionManfred Kaib
11.3.1 Einleitung
"Alle Bäume, kann man sagen, haben Würmer,aber manche wie Feigen und Äpfel weniger alsandere, wie der Birnbaum. Allgemein ausgedrückt, die, die von Würmern weniger befallensind, haben einen bitteren , sauren Saft." DieseBeobachtung ermöglichte Theophrast etwa 300Jahre vor Christus nicht nur die wohl erste chemisch-ökologische Aussage, sondern er wies zumindest indirekt auf einen chemischen Sinn beiInsekten hin. Im ausgehenden 18. und im 19.Jahrhundert wurden chemische Sinnesorgane derInsekten näher beschrieben und deren Funktionerkannt. Jedoch erst in den 50er- und 60er-Jahrendes vorigen Jahrhunderts, als sich morphologischund physiologisch arbeitende Entomologen mitChemikern zu interdisziplinären Arbeitsgruppenzusammenfanden, gelang der eigentliche Durch bruch zum Verständnis des chemischen Sinnes derInsekten . Karlson und Lüscher führten 1959 fürchemische Signale, die von Insekten als Geruchsstoffe oder Geschmacksstoffe abgegeben und beiArtgenossen charakteristische Verhaltensmusteroder spezifische physiologische Prozesse regulieren, den Begriff Pheromon ein. Dietrich Schneiderund seiner Arbeitsgruppe und Schule gelang es inden folgenden Jahren, Morphologie und Physiologie geruchsempfindlicher Sinnesorgane und Sinneszellen zu erfassen, die in verschiedenen Insektengruppen solche chemischen Signale wahrnehmen. Etwa zeitgleich begannen die Arbeits-
gruppen von Dethier und von Morita denGeschmackssinn der Insekten , vorwiegend der calyptraten Fliegen, zu erforschen und fassten späterihre Arbeiten und die anderer zusammen.
11.3.2 Biologische Bedeutung deschemischen Sinnes
Der chemische Sinn besitzt für Insekten eine überaus große Bedeutung sowohl bei der Wahl desHabitates oder der Nahrung als auch bei derWahrnehmung chemischer Signale während derKommunikation, wahrscheinlich mehr als in anderen Tiergruppen . Anhand von Pflanzeninhaltsstoffen suchen und wählen phytophage Insektenihre Futterpflanzen oder sie werden durch solcheInhaltsstoffe abgewehrt. Auch koprophage undomniphage Insekten bedienen sich während derNahrungswahl chemischer Signale, wobei diese Insekten vielfach eine erstaunlich hohe Anzahl verschiedener chemischer Substanzen wahrnehmenund als Informationsträger verarbeiten können.Blattminierer entscheiden anhand des Buketts chemischer Reize aus den Pflanzen, ob das Substratfür die Eiablage und die Entwicklung der Larvengeeignet ist. Vergleichbares gilt auch für die großeGruppe jener Insekten, die ihre Eier auf Aas oderKot ablegen. Schießlieh markiert zum Beispiel dieKirschfruchtfliege Kirschen chemisch, wenn siemit einem Ei belegt worden sind, wodurch eineZweitbelegung der Kirsche und eine Konkurrenzum die limitierte Nahrungsressource Kirsche verhindert wird (s. 21 .3.2.3).
ChemischeSignale dienen auch der intraspezifischen Kommunikation. Zwischen den Geschlechtern werden in der Regel artspezifische Sexuallockstoffe eingesetzt, mit deren Hilfe Männchenzum Teil über große Entfernungen zu den Weibchen finden. Auf die hierzu nötigen Orientierungsleistungen der Empfänger der Signale und dieerstaunliche Empfindlichkeit der Chemorezeptoren wird später eingegangen. Während des Balzverhaltens und der Kopula , aber auch in der Postkopulaphase, setzen die Geschlechtspartner weitere chemische Signale ein, mittels derer denMännchen die Paarungsbereitschaft eines Weibchens, den Weibchen die Fitness eines Männchensoder die bereits erfolgte Kopula gegenüber anderen Männchen angezeigt wird. Häufig sind esGemische von chemischen Substanzen , die ganzeHandlungsketten auslösen und steuern. Hierbeikönnen Hauptkomponenten selbst wenig attraktivsein, und es bedarf zusätzlich oft nur in Spurenkonzentrationen vorhandener Nebenkomponenten, um die volle Wirksamkeit des Signals zu erreichen.
Innerartliehe chemische Kommunikation dient jedochnicht nur dem Paarungsverhalten. Kommunikation mittels chemischer Signale wird bei sozialen Insekten als eineKlammer für die komplexen Sozietäten angesehen (s.Kap. 14). Für soziale Insekten sind bislang 63 verschiedene exokrine Drüsen beschrieben, aus denen kontextabhängig unterschiedliche Sekrete als chemische Signaleabgegeben werden können. Solche Signale werden zurErkennung der Arten, der Nestgenossen und wahrscheinlich auch der Kastenzugehörigkeit und des Dominanzgrades einzelner, meist reproduktiver Individuenherangezogen. Sie dienen sozialen Insekten zum Markieren von Nesteingängen oder Territorien und während derSuche nach Nahrung oder neuen Nistplätzen zum Markieren der Wege. Und sie dienen schließlich zum Rekrutieren von Nestgenossen zu Nahrungsquellen oder zuOrten, an denen Nestbau nötig ist oder Konkurrentenoder Feinde abgewehrt werden müssen.
Der chemische Sinn lässt sich untergliedern inGeruchssinn und Geschmackssinn. Mit dem Geruchssinn werden flüchtige chemische Verbindungen meist über eine größere räumliche Distanzhinweg wahrgenommen. Die Ausbreitung desDuftreizes erfolgt entweder durch Diffusion in derLuft oder durch Konvektion in einer Luftströmung. Diffusion tritt häufig in nach außen weitgehend geschlossenen Räumen wie zum BeispielBrutkammern, unterirdischen oder tunnelartigüberbauten Furagierarealen oder in Nestern vielersozialer Insekten auf. VieleAmeisen und Termitenlegen Duftspuren, auf denen sie selbst oder Nestgenossen sich orientieren. Durch die Diffusion desSpurpheromons entsteht ein .Dutttunnel", dessenDuftkonzentration mit der Distanz zur Spurmitte,der Reizquelle, abnimmt. In einem solchen Duftgradientenfeld zeigen die der Spur folgenden Insekten in der Regel Chemo-Tropotaxis, indem siemit einem paarigen Sinneseingang (Antennen) dieDuftkonzentration messen und bei einer Erregungsdifferenz beider Sinneseingänge so langeeine Wendetendenz zur Seite der höchsten Duftkonzentration durchführen, bis eine Erregungssymmetrie vorliegt. Solche tropotaktischen Orientierungsleistungen sind auch für Blütenbesucherbeschrieben, sofern sie sich im Nahfeld der Duft quelle befinden, oder für Insekten, die den Sonnenkompass zur Orientierung über große Entfernungen einsetzen, aber in unmittelbarer Umgebung des Nesteinganges auf chemische Orientierung umschalten . Manche Insekten hingegen"tasten" Duftgradientenfelder mittels Pendelbewegungen des Körpers oder beider Antennen ab;sie nutzen Chemo-Klinotaxis. Konvektion eineschemischen Reizes erfolgt in der Regel nicht inlaminaren Luftströmungen, wodurch verwirbelteDuftfahnen entstehen , in denen die Duftkonzentration nicht von der Entfernung zur Duftquellealleine abhängt und zudem der Reiz in Form vondiskontinuierlichen Duftwolken eintrifft. In sol-
11.3 Chemorezeption 305
chen Fällen ist eine chemotaktische Orientierungnicht möglich, sondern der Geruchsreiz, wenn erwahrgenommen wird, löst eine Windorientierungaus (Anemotaxis) , die das Insekt letztlich auch zurDuftquelle führt, da der Geruchsreiz von derDuftquelle ausgehend vom Wind verdriftet wird.Geruchsrezeptoren der Insekten besitzen charakteristischerweise eine extrem hohe Empfindlichkeitund sind z.B. zur Wahrnehmung von Futterdüftenvielfach befähigt, hochkomplexe Duftgemische zudiskriminieren.
Geschmacksreize sind nicht oder nur wenigflüchtig. Sie liegen meist in Wasser gelöst vor oderwerden als Feststoff mittels spezieller Carriersysteme bis an die Rezeptorzellen transportiert. Umden Geschmackssinn erregen zu können, müssenGeschmacksrezeptoren daher in direkten Kontaktmit der Reizsubstanz treten, weshalb Geschmackssensillen auch kontaktchemosensitive Sensillen genannt werden. Geschmacksreize sind bedeutendbei der Wahl und der Kontrolle der Nahrung oderder Eiablageorte. Geschmacksrezeptoren besitzenin der Regel nur eine geringe Empfindlichkeit,jedoch meist eine hohe Spezifität für bestimmteSubstanzen. In jüngerer Zeit mehren sich in derLiteratur Hinweise, dass nichtflüchtige cuticuläreOberflächensubstanzen bei der Arterkennung sowie bei sozialen Insekten sogar der Erkennung vonNestgenossen und Nestfremden eine wesentlicheRolle spielen. Da diesen Erkennungsprozessengrunds ätzlich ein direkter Kontakt zwischen denIndividuen vorausgeht , nimmt man an, dass derGeschmackssinn auch in diesem Kontext eine informationsvermittelnde Rolle spielt. Koloniespezifische Signale in Form einzelner Verbindungensind bislang nicht beschrieben, hingegen stellensich art- oder koloniespezifische Merkmale inForm einer komplexen chemischen Gestalt dar, diesich aus einer Mischung vieler Substanzen ergibt.Man muss daher annehmen, dass es neben denhochspezifischen Geschmacksrezeptoren auch solche gibt, die sich zur Diskriminierung chemischerMuster eignen.
Eine besondere Form des Geschmackssinnsstellt die Empfindlichkeit für Wasser dar. Andersals die im vorigen Kapitel beschriebenen Hygrorezeptoren reagieren die Wasserrezeptoren nicht aufWasserdampf, sondern nur auf das Wasser selbst.Diese Sinnesleistung ermöglicht es den Insekten,Wasserqualität, also z.B. den Salzgehalt im Wasser, zu testen und stellt damit eine wichtige Voraussetzung für die kontrollierte Wasseraufnahmeund somit auch für die Homöostase des Organismus dar. Solche Wasserrezeptoren wurden bislangbei allen daraufhin untersuchten Insekten gefunden.
306 11 Sinnesphysiologie
11.3.3 Struktur chemischerSinnesorgane undStrukturvielfalt
Die kleinste Einheit der chemischen Sinnesorganebei Insekten sind die Sensillen, deren Aufbau weitgehend dem allgemeinen Typus der Insektensensillen entspricht (Abb. 11-29). Zwischen den Epidermiszellen der Cuticula liegt eine Sinneszelleoder eine Gruppe von mehreren Sinneszellen, diein der Regel von drei Hüllzellen umgeben ist.Oberhalb dieser Sinneszellen differenziert sich dieCuticula zu einem Haar (oder einem Kegel), dessen Wand bei chemischen Sensillen typische Diffe-
Abb. 11-29: Schematischer Aufbau eines chemosensitiven Sensillums. Von den zentral gelegenen Sinneszellen (SZ,hier nur eine dargestellt) ziehen die Axone (AX) eingebettet ineiner gliaähnlichen Hülle bis ins Zentralnervensystem und dieDendriten (D) distal ins Haarlumen. Dort werden die Dendritenaußensegmente von der Sensillenlymphe (Sl) umspült. DerHaarschaft (HS) ist aus cuticulärem Material (C) gebildet undzeigt unterschiedlich starke Differenzierungen (5. auch Abb. 1130 und 11-33). Die Sinneszellen sind von drei Hüllzellen, derthekogenen (TH), der trichogenen (TR) und der tormogenen(TO), umgeben und in der Epidermis (E) eingebettet. Bei manchen Sensillentypen bildet die thekogene Zelle eine Dendritenscheide (DS) aus, die die Dendritenaußensegmente vom Rezeptorlymphraum (Rl) abtrennt. Zwischen den Hüllzellen undden Epidermiszellen verfestigen Desmosomen (DE) und .septated junctions" (SJ) die Interzellularräume und dichten denSensillenlymphraum gegenüber der Hämolymphe ab. (Originalzeichnung von U. Wolfrum)
renzierungen aufweist. Die Dendriten der chemosensitiven Sinneszellen ziehen in das Haarlumenein.
Während der Häutung des Insektes bilden diedrei Hüllzellen verschiedene Teilstrukturen derSensillen aus. Die äußerste Hüllzelle, die tormogene Zelle, bildet den Haarsockel und das bei denmeisten Geschmackssensillen vorhandene Gelenkan der Haarbasis, die mittlere, die trichogene Zelle,den Haarschaft mit den die Haarwand durchdringenden Poren oder Kanälen und die innerste,die thekogene Zelle, die Dendritenscheide, die dasoder die Dendritenaußensegmente umgibt und sovom äußeren Rezeptorlymphraum abtrennt. Dendritenscheiden sind allerdings bei vielen Riechsensillen nicht oder nicht vollständig ausgebildet.In voll entwickelten und funktionstüchtigen Sensillen haben sich die tormogene und die trichogeneZelle aus dem Haar zurückgezogen, vergrößerndurch Auffaltung ihre apikale Membran und bilden den äußeren Rezeptorlymphraum, der bis indas Haarlumen hineinreicht. Die Interzellularräume zwischen Sinneszellen und Hüllzellen sinddurch Desmosomen und "septated junctions" verfestigt und wahrscheinlich elektrisch abgedichtet,wodurch ein geschlossenes Epithel entsteht undder äußere Rezeptorlymphraum gegenüber derHämolymphe abgetrennt wird (Abb. 11-29). In derapikalen Membran der tormogenen und der trichogenen Zelle wurde eine hohe Anzahl von elektrogenen K+-Na+-Pumpen gefunden, die ein transepitheliales Potential erzeugen: Der äußere Rezeptorlymphraum ist kaliumreich und positiv gegenüber der Hämolymphe geladen und steht mitdem Sensillenlymphraum im Haarlumen in Verbindung .
Bei Geschmackssensillen durchziehen in der Regel zwei Lumina die ganze Länge des Haares.Eines der beiden Lumina ist innerviert; die Dendriten der kontaktchemosensitiven Sinneszellenziehen unverzweigt bis zur Haarspitze und endenan einem terminalen Haarporus (Abb. 11-30). Diesgilt auch für die Wasserrezeptoren, die in derRegel mit anderen kontaktchemosensitiven Sinneszellen in einem Sensillum gemeinsam vorkommen. Eine viskose Flüssigkeit füllt diesen Haarporus aus. Sie ist an der Reizübertragung festerGeschmacksstoffe beteiligt, die durch die wässrigeFlüssigkeit diffundieren oder mittels Bindeproteinen bis hin zu den Dendritenenden transportiertwerden. Der Haa rschaft ist steifwandig ausgebildet und meist längs gerillt und mittels eines Gelenkes elastisch mit der Cuticula verbunden . Zusätzlich zu den kontaktchemosensitiven Zellentritt bei den meisten Insekten eine mechanosensitive Zelle auf, deren Dendrit mit dem für Mechanorezeptoren typischen Tubularkörper in derGelenkstruktur an der Haarbasis endet (s. Kap.
11.3 Chemorezeption 307
B
o
Abb. 11-32: Chemosensitive Sensillen der Insekten variieren in ihrer äußeren Morphologie. Diese Typisierungbezieht sich nur aufdie äußere Form der Sensillen und berücksichtigt nicht die Differenzierung der Haarwand. Auf der Antenne des Nachtpfauenauges Antherea polyphemus findet manA fadenförmige bis 370 11m lange Sensilla trichodea sowie Bnur 6-12 11m lange S. basiconica. C S. coeloconica der Heuschrecke Locusta migratoria, D S. ampullacea auf der Antenneder Honigbiene Apis mellifera. EEinen besonderen Sensillentyp,die Porenplatten oder S. placodea, findet man bei einigenHymenopteren; das Beispiel stammt von der Honigbiene. Porenplatten können über 50 Sinneszellen enthalten. F Bei calyptraten Fliegen (Beispiel: Sarcophaga argyrostoma) enthalten dieindie Oberfläche des Funiculus eingesenkten Gruben ein dichtesFeld von Sensillen. Die Öffnungen der Gruben weisen in dieRichtung, aus der der Wind während des Fluges anströmt.Maßstab in A - D: 1011m, in E: 111m. (Nach Kaissling 1971)
11.1). Sie wird erregt, wenn die Haarspitze aufeinen festen Untergrund auftrifft, das Haar alsoausgelenkt wird. Geschmackssensillen sind folglich bimodal. Entsprechend ihrer biologischenBedeutung finden sie sich auf Mundwerkzeugenoder Rüssel, Antennen, Tarsen , Ovipositoren etc.(Abb. 11-31). Fliegen und Bienen zeigen beispielsweise einen Rüsselstreckreflex , wenn sie mit ihren
Abb. 11-30: Geschmackssensillum. A Querschnitt durchden Haarschaft eines Geschmackssensillums von Drosophilamelanogaster. Die Dendriten (D) der drei Sinneszellen sind vonSensillenlymphe (SL) umgeben und ziehen bis zum terminalenPorus. C Cuticula, NL nicht innerviertes Lumen. Maßstab: 0,511m. B Rasterelektronische Aufnahme der Spitze eines Schmeckhaares aufdem Labellum der Schmeißfliege Boettcherisca peragrina. Das innervierte Haarlumen endet am terminalen Porus(TP). Maßstab: 0,5 11m (A nach Steinbrecht 1992, B nachSteinbrecht 1984)
Abb. 11-31: Geschmackssensillen bei der Fliege Phormia regina. A Trifft eine Fliege mit einem Tarsus auf Zuckerlösung, so streckt sie ihren Rüssel zur Futtersuche aus. B Aufdem letzten Tarsalsegment der Vorderbeine kann man 4 morphologische Typen von Geschmackssensillen (a-d) unterscheiden. C Vorderfläche des ausgestülpten Rüssels. Zwischen denPseudotracheen (P) stehen 132 papillenförmige Geschmackskegel (K), die je von 4 Sinneszellen innerviert sind. D Sicht vonmedian aufein Labellum (Rüsselhälfte) mitGeschmackssensillenunterschiedlicher Länge. (Aus Boeckh in Gewecke 1995)
Tarsen ein zuckerhaltiges Substrat berühren. Beimanchen, vorwiegend hemimetabolen Insektenbilden Geschmackssensillen auf der Unterseite derPalpen dichte Haarpolster, die durch Änderungdes Hämolymphdruckes eingeklappt oder ausgestülpt werden können.
Geruchssensillen besitzen eine erstaunlicheStrukturvielfalt. Ihre Haarschäfte können lang
308 11 Sinnesphysiologie
B
Abb. 11·33:Querschnitte durchden Haarschaft von Riechsensillen. A Sensillum miteinfacher Haarwand (Beispiel: Bombyxmod; Die Cuticula (C) ist von Porentubuli (Pt) durchdrungen, die eine Verbindung von der Luft zum Sensillenlymphraum (SL)herstellt. Durch diese Porentubuli werden die Duftmoleküle in diesen Sensillenlymphraum und zu den Dendriten (D) geleitet (s. auchAbb. 11 -34A, B). Maßstab 0,5 11m. BSensillum mitdoppelwandigem Haarschaft (Beispiel: B. mon; Bei diesem Sensillentyp dringendie Duftmoleküle durch Poren (P) in das Haarinnere ein, wobei die Moleküle durch duftstoffbindende Proteine transportiert werdenkönnen. Maßstab 0,5 11m. (Nach Steinbrecht 1992)
und fadenförmig, kurz und kegel- oder schlauchförmig, keulenförmig oder kugelförmig sein sowieeinzeln oder in Gruppen in Gruben versenkt stehen (Abb. 11-32). Vom Grundtypus der haarförmigen Geruchssensillen, der in allen Insektenordnungen vertreten ist, weichen die Porenplatten(Sensilla placodea) der Hymenopteren mit Reihenvon ringförmig angeordneten Cuticulaporen ab,unter denen die Dendriten der bis zu 50 Sinneszellen ebenfalls ringförmig verlaufen (Abb. 11 32 E). Ähnlich gebaute Porenplatten fand manauch bei einigen Käfern und Aphiden. Auch dieHaarwand zeigt charakteristische Differenzierungen, sie kann einfachwandig oder doppelwandigausgebildet sein (Abb. 11-33). Bei Sensillen miteinfacher Haarwand wird die Cuticula von einemPorentubulussystem durchbrochen, mittels dessendie Duftmoleküle aus der Luft bis in den Sensillenlymphraum und schließlich zu den Dendritengelangen können. Das klassische und auch bestuntersu chte Beispiel für einfachwandige Sensillensind die über 100 11m langen , fadenförmigen Sensilla trichodea des Seidenspinners Bombyx mori.Etwa 2600 Poren durchdringen die Haarwand eines Sensillums. An einen äußeren Porenkanal ((/):10-20 nm) schließt sich ein Liquorkanal an , der imDurchmesser 50-100 nm misst und meist 4-8 Porentubuli ((/) : etwa 10 nm) enthält. Die Porentubuligehen vom Porenkanal aus und reichen in denSensillenlymphraum hinein (Abb. 11-37). Porenkanäle und Porentubuli, deren Länge von derHaarwand abhängt, sind zum Außenmedium Luft
hin offen. Die unverzweigten oder auch verzweigten Dendriten der zwei oder mehr Sinneszellennehmen im Sensillenlymphraum Kontakt mit denPorentubuli auf. Porentubulisysteme wurden ineinfachwandigen Riechhaaren vieler Insektenfamilien gefunden. Verglichen mit einfachwandigenSensillen sind doppelwandige Sensillen weniger gutuntersucht. Auch bei ihnen durchdringen Porenkanäle die meist gerillte Haarwand, jedoch scheinen diese Kanäle nicht mit Luft, sondern miteinem elektronendichten Material gefüllt zu sein.
Geruchssensillen finden sich vorwiegend aufden Antennen, wobei die ersten beiden (proxim alen) Segmente selten mit chemosensitiven Sensillenbesetzt sind , wohl aber das Flagellum bzw. derFuniculus bei den meisten cyclorrhaphen Fliegen .Antennen zeigen bei Insekten in Größe und Formein hohes Maß an Variabilität und bei einigenFamilien, wie z. B. vielen Hymenopteren und Lepidopteren, einen ausgeprägten Sexualdimorphismus(Abb. 11 -34). Entsprechend variieren auch Anzahl, Typen und Verteilung der Sensillen. Bei hemimetaboien Insekten stehen die chemosensitivenSensillen verschiedener morphologischer Typendurchmischt in einem lockeren Verbund auf denAntennensegmenten. Meist findet man zwischenden Geruchssensillen auch thermo- und feuchtesensitive Sensillen sowie Geschmacksborsten, diedie anderen Sensillen in der Regel aufgrund ihrerLänge überragen (Abb. 11-35). Bei holometabolenInsekten sind die Antennensegmente häufig miteinem dichten Besatz von Sensillen pelzartig über-
11.3 Chemorezeption 309
Abb. 11-35: Chemosensitive Sensillen der Insektenweisen eine große morphologische Vielfalt auf.A Die Antennenäste (Ausschnitt) der Männchen des Seidenspinners Bombyxmori sind einseitig mit Reihen von langen Sensilla trichodea (L)besetzt, die gemeinsam mit denen auf benachbarten Antennenästen eine "Reuse" bilden (s. auch Abb. 11-36). Zwischendiesen Sensillen stehen halblange S. trichodea (H) und große (G)und kleine (K) S. basiconica. Alle Sensillen enthalten Geruchsrezeptoren. BTermite Schedorhinotermes lamanianus, Ausschnitt aus einem Antennensegment. Die einfachwandigen Typen SW1 und SW2 und der doppelwandige Typ DW sindolfaktorische Sensillen, die Sinneszellen des poren losen TypesNP reagieren aufFeuchte und Temperatur und das alle anderenin der Länge weit überragende Sensillum mit einem terminalenPorus (TP) enthält Geschmacksrezeptoren. (Nach Steinbrecht1973 und Originalaufnahme)
Futterdüften dient. Wenn auch nicht ähnlich deutlich ausgeprägt wie beim Sexualdimorphismusmancher Insekten, so findet sich auch bei den stetssozial lebenden Termiten ein kastenspezifischerPolymorphismus. Arbeiter verfügen über eine höhere Anzahl von einfachwandigen Sensillen als dieSoldaten. Auch die Häufigkeit eines Types vonGeschmackssensillen (TP III) , der einen Wasserrezeptor enthält, ist bei den Arbeitern höher alsbei Soldaten.
Abb. 11-34: Die Antennender Insektentragen den überwiegendenAnteil der Geruchsrezeptoren undauchvieleGeschmacksrezeptoren. Die Antennengeißeln zeigen ein hohes Maß an Variabilität und mitunter einen ausgeprägtenSexualdimorphismus. A Honigbiene Apis mellifera (Länge derAntennengeißeln bei Drohnen: 3,8mm, bei Arbeiterinnen:2,7 mm). B Totengräber Nicrophorus vespilloides (Länge derAntenne bei Männchen: 3,5mm). C Fliege Sarcophaga (Längedes Funiculus: 1mm). D Scarabaeide Rhopaea (Länge derAntenne bei Männchen: 2,7 mm). ENachtpfauenauge Anthereapolyphemus (Länge der Antennengeißel bei Männchen: 18mm,bei Weibchen: 15mm). F Termite Schedorhinotermes lamanianus (Länge der Arbeiterantenne: 1,1 mm). (A-E nach Kaissling1987, FOriginalzeichnung)
zogen, bestimmte Sensillentypen können in homogenen Feldern auftreten oder, wie bei den Museiden, auch in Antennengruben versenkt stehen(Abb. 11-32 F). Einen auffälligen Sexualdimorphismus findet man bei Häufigkeit und Verteilungbestimmter Sensillentypen (Tab. 11-2). Drohnenvon Honigbienen verfügen auf ihren Antennenüber eine große Anzahl von Sensillen, die aufWeibchenlockstoff spezifisch reagieren. SolcheSensillen und damit die pheromonspezifischenSinneszellen fehlen den Weibchen und Arbeiterinnen. Der Sexualdimorphismus bei der Sensillenausstattung der amerikanischen Schabe (Periplaneta americana) ist anders ausgeprägt. Männchenund Weibchen verfügen auf der Antenne zwarüber dieselben morphologischen Sensillentypen,jedoch fehlen den Weibchen die Sinneszellen, dieden Sexuallockstoff wahrnehmen . Ähnlicheswurde für den Seidenspinner (Bambyx mari) beschrieben, bei dem man bei Männchen und Weibchen denselben morphologischen Sensillentyp(lange Sensilla trichodea) findet, der bei Männchen die Sexuallockstoffrezeptorenenthält, bei denWeibchen hingegen alleine der Wahrnehmung von
310 11 Sinnesphysiologie
Tab. 11-2: Sexual- und Kastendimorphismus bei der Häufigkeit bestimmter Sensillentypen auf den Antennen verschiedenerInsekten. (Nach Steinbrecht 1973, Wolfrum und Kaib 1988, Boeckh in Gewecke 1995)
Insektenart Sensillentyp Sensillenzahl pro Antenne Reaktion der Zellenauf:
amerikanische Schabe Typ swB d 37000 WeibchenlockstoftPeriplaneta americana Futterdüfte
« 6000 nur Futterdüfte
Seidenspinner S. trichodea d 17000 WeibchenlockstoffBombyx mori « 0
Termite SW-Sensillen Arbeiter 1150 verschiedene DüfteSchedorhinotermes Soldat 900 z.B.: Futterinhalts-
lamanianus TPIII-Sensillen Arbeiter 280 stoHe, chemischeSoldat 170 Signale
11.3.4 Reizleitung zu denSinneszellen
Duftreize breiten sich in der Luft aus oder werdendurch sie transportiert. Bei einer konstanten Duftstoffkonzentration erreichen um so mehr Duftmoleküle die Geruchsrezeptoren, je mehr Luft proZeiteinheit über die Antennen streicht. Für fliegende Insekten stellt sich die Konvektion der Luftüber die Antennen durch die Fortbewegung ein,ruhende oder langsam laufende Insekten wedelnmit ihren Antennen, um Duftmoleküle einzufan-
Abb. 11-36: Zwei Segmente aus dem distalen Antennenbereich eines männlichen Nachtpfauenauges (Antherea polyphemus). Jedes Geißelsegment trägt zwei Astpaare, auf denen lange Sensilla trichodea in Reihen stehen undeine Reuse bilden. Während des Fluges strömt bei normalerAntennenhaltung die mit dem Sexuallockstoff beladene Luftüber den Antennenstamm in die Reuse hinein (inder Abbildungvon links). Der Pfeil zeigt in Richtung Antennenspitze. Maßstab:0,2mm. (Nach Boeckh et al. 1960)
gen. Männchen vieler nachtaktiver Schmetterlingsarten zeigen eine auffällige Differenzierungder Antennen, mittels derer sie die Zahl der eingefangenen Duftmoleküle und somit ihre Empfindlichkeit für bestimmte Düfte, meist Sexuallockstoffe, erhöhen. Die Antennen der männlichenNachtpfauenaugen (Saturniidae) sind stark gefächert. Von jedem Segment der Antennengeißelgehen zwei Paar von Antennenästen aus. So entsteht eine gesamte Antennenumrissfläche von85 mrrr', die bei normaler Antennenhaltung ineiner Ebene parallel zur Querschnittsebene desTieres liegt. Dadurch bieten Antennen frontal anströmender Luft einen größtmöglichen Widerstand. Sensilla trichodea stehen in Reihen so aufden Antennenästen angeordnet, dass sie zusammen mit den Seitenästen eine reusenartige Struktur bilden (Abb. 1/-36). Sensillen und Seitenästemachen zusammen mit 20 mrrr' etwa 30% derUmrissfläche aus. Überraschenderweise werdenaber fast 80% der mit der Luft durch die Antennen strömenden Duftmoleküle aus der Luft gefiltert. Dieses Phänomen wird dadurch erklärt, dassdie stömende Luft beim Durchtritt durch die Antenne in starke Turbulenzen versetzt wird und dieDuftmoleküle aufgrund der engen "Maschenweite" der Reuse (10-30 um) und der dadurchbedingten kurzen Diffusionswege an der Cuticulaadsorbiert werden . Die Antenne des Nachtpfauenauges wirkt demnach wie ein Molekularsieb.
Die Epicuticula der Sensilla trichodea der Saturniden ist mit drei 2,5-8,5 nm dicken Schichtenüberzogen, deren innerste Schicht sich bis in diePorentubuli fortsetzt (Abb. 11-37 A, B). In diesenaußerordentlich dünnen Schichten unterliegen dieadsorbierten Duftmoleküle nicht einer dreidimensionalen Diffusion wie in der Luft , sondern einerbeschleunigten zweidimensionalen Diffusion, undtreffen somit schnell auf die die Haarwand durchdringenden Poren, obwohl diese nur etwa 1/1000der Haaroberfläche ausmachen. Wegen der geringen Durchmesser der Porentubuli erfolgt dort die
11.3 Chemorezeption 311
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Abb. 11-37: Transport der Duftmoleküle auf der Sensillenoberflächeund Reiz-Erregungs-Transduktion.A Halbschematische Darstellung desHaarquerschnittes eines Sensillum trichodeum und B des Porentubulussysterns des Seidenspinners Bombyx mari.Treffen Duftmoleküle aufdie Epicuticula(E), so werden sie adsorbiert und gelangen mittels beschleunigter Diffusionin den Schichten L1 bis L3 und durchdie Poren (P) und die Porentubuli (Pt)bis in den Sensi llenlymphraum (SL) oderdirekt zu den Dendritenästen (D). CCu-ticu la. C Reizmoleküle (M) im Sensil-lenlymphraum können an Bindeproteine(BP) gebunden werden. Von der Bin-dung der Reizmoleküle an spezifischeRezeptorproteine (R) in der Dendriten-membran (DM) bis hin zur Aktivierungder Ionenkanäle (K) sind wahrscheinlichneben einer Reihe weiterer, membrangebundener Proteine (*) auch intrazelluläre Botenstoffe wie Inositoltrisphosphat(IP3), cycl isches Guanosinmonophosphat(cGMP) und Ca' " beteiligt. Im Sensillenlymphraum konnten auch Enzyme (E)nachgewiesen werden, die Reizmolekülespalten und somit inaktivieren. (A und BOriginalzeichnung von Steinbrecht; C Cnach Boeckh in Gewecke 1995)
Diffusion wahrsch einlich sogar eindimensional.Duftmoleküle werden somit sehr schnell dem Diffusionsgleichgewicht in der Oberfläche der Cuticula entzogen und den Geruchsrezeptoren zugeführt. Dieser Anreicherungsprozess von Duftmolekülen in strömender Luft , deren Adsorption ander Cuticula und die gerichtete Diffusion der Duftstoffe zu den Dendriten in den Sensillen trägtwahrscheinlich entscheidend zur außerordentlichhohen Empfindlichkeit der Pheromonrezeptorender Saturniiden bei.
Porentubuli stehen nicht in festem Kont akt mitder Dendritenmembran. Wahrscheinlich flottierendie Dendriten bzw. deren Äste im Sensillenlymphraum und nehmen wechselnd und kurzfristig Kon-
takt mit Porentubuli auf. In der Sensillenlymphekonnten Proteine nachgewiesen werden, die einehohe Affinität gegenüber Pheromonen besitzenund diese an sich binden . Solche Bindeproteinekönnten einerseits verhindern, dass Duft stoffe imSensillenlymphraum chemisch verändert und damit reizunwirksam werden; sie dienen andererseitsdem Transport lipophiler Duftstoffe durch diewässrige Rezeptorlymphe von den Porentubuli bishin zu den Dendritenmembranen. In der Dendritenmembran der Sinneszelle, so nimmt man inAnalogie zu Rezeptoren im Zentralnervensysteman , sind intrinsische Proteine eingelagert, die alsspezifische Rezeptorproteine bestimmte Duftstoffebinden und zu einer Permeabilitätsänderung der
312 11 Sinnesphysiologie
11.3.5 Empfindlichkeit derchemischen Sinnesorgane
Chemische Signale, die der Kommunikation zwischen Sozialpartnern oder während der Paarungdienen, werden in so genannten exokrinen Drüsengebildet. Meistens sind es flüchtige Substanzen,die aus diesen Drüsen nur in geringsten Mengenausgesendet und überdies über eine große Entfer-
Verglichen mit den Geruchsrezeptoren ist die Reizübertragung bei den Gesch macks rezep toren weniger gut untersuc ht, allerdi ngs auch nicht ähn lich abhängig vonstrukturellen Differenzie rungen . Bei Geschmacksrezeptoren liegt bei Reizung stets ein di rekter Kontakt zwischen Reiz und Sensillum vor. In der viskösen Flüssigkeit, die den Terminalporus füllt und auch feste Reizstoffe löst, sind ebenfalls Bindeproteine vorhanden, diedie Transduktion auch lipophi ler Reize garantieren. Vorgänge an der Rezeptormembran laufen wahrsc heinlichvergleichbar zu denen an den Geruchsrezeptoren ab.
Die Öffnung der Kationenkanäle als Folge derBindung des Reizes an die Rezeptorproteine führtin der Dendritenmembran zu einem Rezeptorpotential , welches sich bis zum Impulsgenerationsortam Soma der Sinneszelle ausbreitet. Diese Weiterleitung des Signales über die Sinneszelle wirdwahrschein lich durch eine externe Batterie, die inden oben beschriebenen elektrogenen K+-Na+Pumpen in den gefalteten Membranen der tormogenen und der trichogenen Zelle zu suchen ist,unterstützt. Am Soma entstehen dann fortgeleiteteAlIes-Oder-Nichts-Potentiale, die mit ihrer Frequenz von der Amplitude des Rezeptorpotentialesabhängen und über die chemosensorischen Bahnen ins Zentralnervensystem geleitet werden. Fü rdie antennalen Sinneszellen liegen die ersten Synapsen in den Glome ruli des Deutocerebrums imOberschlundganglion, für die auf dem Labrumund im Hypopharynx im Tritocerebrum und fürdie auf den Mundwerkzeugen im Unterschlundganglion.
Dendritenmembran der Sinneszelle führen(Abb. 11-37 C). Die Spezifität einer Rezeptorzellewürde demnach durch die Spezifität des Rezeptorproteins, über welche diese Zelle verfügt , bestimmt. Enzyme in der Sensillenlymphe desaktivieren die an Rezeptorproteine gebundenenDuftmoleküle und machen so die Rezeptorproteine für neue Duftmoleküle frei. Eine Erregungder Sinneszelle entste ht erst, wenn Membrankanäle für Kationen geöffnet werden. Bei diesemProzess spielen wahrscheinlich eine Reihe intrazellulärer Botenstoffe wie Inositoltrisphosphat,zyklisches Guanosinmonophosphat und Ca""eine Rolle.
~g Bombykol
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60 60i=Cl>
"t:lC 40 40l!!Cl>'ÖlOl 20 20l!!
A
Abb. 11-38: Reaktion des Seidenspinnermännchens(Bombyx mori) auf das Sexualpheromon Bombykol.A Wird von einer Reizquelle (links) abdampfendes Bombykolüber die Antenne eines Männchens geblasen. so beginnt es zuschwirren. Diese Schwirreaktion kann mittels eines Tonkopfeseines Plattenspielers (unter dem Tier) reg istriert und in elektrische Spannungsänderungen umgesetzt werden. Ein Thermi stor (über dem Tier) misst den Beginn des Duftreizes. B Mitsteigender Bombykolkonzentration aufder Reizquelle (10--4 Ilgbis 1 Ilg) steigt das Maß der Erregung der für Bombykolempfindlichen Sinneszelle in den Sensilla trichodea. Bei einerQuellenbeladung von 10-4 Ilg Bombykol beantwortet eineSinneszelle nicht jeden Reiz mit Erregung oder - anders betrachtet - nicht jede Sinneszelle einen so lchen Reiz. Daher sind3 Registrierungen dargestellt. Balken stellt die Reizdauer dar.C Anteil der mit Flügelschwirren reag ierenden Männchen (e)bzw. der mit~ 2 Nervenimpulsen reagierenden Sinneszellen (e)in Abhängigkeit von der Bombykolmenge aufder Reizquelle. KReaktionsstärke bei Reizung mit reiner Luft, (Nach Kaissling undPriesner 1970)
nung von Artgenossen empfangen und erkanntwerden. Das gilt in besonderem Maße für Sexualpheromone, für deren Wahrnehmung Rezeptorenmit einer erstaunlichen Empfindlichkeit beschrieben worden sind. Bei vielen Insektenarten sindsolche Sexualpheromone chemisch aufgeklärt.Häufig wurden diese Untersuchungen letztlich mitdem Ziel durchgeführt, durch synthetische Pheromonfallen die Populationsdichte von Schadinsekten für eine gezielte chemische Bekämpfung zuerfassen oder durch das Ausbringen hoher Konzentrationen des Sexualpheromons paarungsbereite Männchen zu verwirren (s. 21.3.2.3). Bislangist jedoch im gesamten Tierreich kein auf Pheromone gestütztes Sender-Empfänger-System auchnur annähernd ähnlich umfassend untersucht worden wie das des Seidenspinners (Bombyx mori).Seidenspinner-Weibchen produzieren in einer abdominalen Drüse das Sexualpheromon Bombykol(E,Z)-(1O,12)-Hexadecadienol), das sie aus derausgestülpten Drüse abgeben und das unter günstigen Bedingungen Männchen aus einer Entfernung von mehreren Kilometern anlockt. NehmenMännchen dieses Bombykol wahr, so zittern siemit ihren Antennenspitzen, schwirren mit ihrenFlügeln und orientieren sich schließlich bis hin zurPheromonquelle, dem Weibchen. Diese klar quantifizierbaren, pheromoninduzierten Verhaltensweisen, die frühe chemische Aufklärung des Bombykols und dessen spätere synthetische Herstellung,sowie die elektrophysiologische Untersuchung derPheromonrezeptoren auf den Antennen derMännchen durch Schneider machten die Bestimmung der Riechschwelle des Seidenspinnermännchens möglich.
Kaissling und Priesner konnten nachweisen,dass ein einziges Bombykolmolekül ausreicht, umin einer Pheromonzelle einen Nervenimpuls auszulösen. Treffen Bombykolmoleküle in ausreichender Konzentration auf die Antennen einesMännchens, so werden die Pheromonrezeptorenin den Sensilla trichodea erregt und das Männchen zeigt Flügelschwirren (Abb. 11-38A). Auf einer Antenne verfügt das Männchen insgesamt inden 17000 S. trichodea über je einen Pheromonrezeptor. Bei der Schwellenkonzentration von 6 x10-4 ug Bombykol auf der Reizquelle treffen proSekunde 690 Moleküle auf die Antenne und somitim Durchschnitt nur 0,04 Moleküle auf eine Sinneszelle bzw. je I Molekül auf 690 Sinneszellen(Abb, 11-39). Da bei dieser Schwellenkonzentration nur 1/4 der getroffenen Sinneszellen erregtwird, entsteht in nur 170 Sinneszellen ein Nervenimpuls. Das besagen die elektrophysiologischenExperimente. Nachrichtentheoretische Überlegungen fordern, dass ein Signal die Spontanaktivitätaller Pheromonzellen, also die Aktivität, die ohneReizung mit Bombykol vorliegt, um das Dreifache
11.3 Chemorezeption 313
..-/~~-,~ . H
t 6 x 10' : 1 tt 150 : 1
1 : 0,8
t 1,7 X10' : 1f
Abb. 11-39: Molekülmenge an einem Pheromonrezeptor an der Verhaltensschwelle des Seidenspinnermännchens (Bombyx mori). Wird die Reizquelle mit 3 x 10-6 JlgBombykol = 7,5 x 109 Moleküle beladen (s. Abb. 11-35C), sowerden pro Sekunde bei einer Strömungsgeschwindigkeit derReizluft von 6 cm/s insgesamt 1,3 x 105 Moleküle abgegeben,und 690 Moleküle treffen auf die Sensilla trichodea. Da eineAntenne 17000 Sensilla trichodea miteinem Pheromonrezeptorenthält, treffen im Durchschnitt nur 0,04 Moleküle auf einenPheromonrezeptor. Ausgehend von der Beladung der Reizquellewird beim Transport der Duftmoleküle bis zur Rezeptormembrandie Zahl der Moleküle schrittweise verringert. Die jeweiligenVerhältnisse sind in der Abbildungsmitte angegeben. (NachKaissling 1987)
der Wurzel der Spontanaktivität überschreitenmuss, um vom empfangenden Männchen wahrgenommen zu werden . Die Spontanaktivität einerSinneszelle beträgt etwa 0,08 Impulse/sec, alsotreffen von allen pheromonempfindlichen Sinneszellen einer Antenne pro Sekunde etwa 1450 Impulse im Gehirn des Männchens ein. Eine Erhöhung dieser im Gehirn eintreffenden Impulsrateum 114 Impulse/sec wäre also nötig, damit dasMännchen eine Erregung als Folge eines Bombykolreizes vom Grundrauschen unterscheidenkann. Dieser theoretische Wert steht im gutemEinklang mit den experimentell bestimmten Molekülzahlen. Es reicht also einem Seidenspinnermännchen zum Auslösen des Sexualverhaltens,wenn nur I % seiner das Bombykol wahrnehmenden Sinneszellen mit nur einem Bombykolmolekülgetroffen werden.
Diese extreme Leistung des Geruchssinns des Seidenspinners lässt sich neben der außerordentlich hohenEmpfindlichkeit der Pheromonrezeptoren durch die bereits zuvor beschriebene Anatomie der Antennen derMännchen und durch die physikochemischen Eigenschaften der Cuticula und der Sensillenwand erklären.Ähnlich hohe Empfindlichkeit der Pheromonrezeptorenkann für Männchen einer Reihe weiterer nachtaktiverInsekten angenommen werden. Diese Männchen habenauf ihren Antennen meist nur einen Sinneszelltyp odersehr wenige Sinneszelltypen, die auf das Pheromon oderdas Pheromongemisch reagieren. Stark vereinfacht ausgedrückt reicht dem Männchen für die Fortpflanzungletztlich nur ein pheromonempfindlicher Typ, um Prä-
314 11 Sinnesphysiologie
Tab: 11-3: Schwellenkonzentrationen unterschiedlicher Schmeckstoffe für Geschmackssensillen verschiedener Insekten.(..HMP" : host marking pheromone). (Nach verschiedenen Autoren und unveröffentlicht)
Reizsubstanz Schwelle [mol/I) lage des Sensillums
IsopteraSchedorhinotermes NaCi 3-10 x 1O--<l Antenne
lamanianus Securinin < 1 x 10 5 Antenne
HymenopteraApis mellifera Saccharose 6-10 x 10-2 Galea
Saccharose 10 Antenne
DipteraPhormia terraenovae Saccharose 4 x 10--<l TarsenCalliphora vicina Saccharose 3-10 x 10-1 Tarsen
NaCI 1 x 10- 1 TarsenGlossina palpalis ATP 5 x 10-7 PharynxRhagoletis pomone/la Saccharose 5 x 10-2 Tarsen
NaCi 5 x 10- 1 TarsenRhago/etis cerssi .HMP· 2 x 10- 10 Tarsen
lepidoptera3 x 10-5Spodoptera exempta (larven) Adenosin MaxilIen
Pieris btsssicee sek. Pflanzeninhaltssloffe 10-6-10--3 Tarsen
senz und Aufenthaltsort eines Weibehens wahrzunehmen. Auf Kosten einer Typenvielfalt kann der Pheromonrezeptor aber in sehr hoher Anzahl ausgebildet sein.Aufgrund nachrichtentheoretischer Überlegungen sinktdie Wahrnehmungsschwelle eines Insektes für einen bestimmten Reiz um so weiter, je mehr Sinneszellen an derWahrnehmung dieses Signales beteiligt sind.
An ein Sinnesorgan, das zur Nahrungswahl oderzur Erkennung von Artgenossen - oder bei sozialenInsekten von Nestgenossen - dient, werden jedochandere Anforderungen gestellt, da das Signal zumeinen aus komplexen Stoffgemischen besteht undzum anderen habitat- und kontextabhängig starkvariieren kann (s. 11 .3.6). Entsprechend verfügensolche Insekten auch über physiologische Klassenvon Sinneszellen und verteilen die Gesamtzahlder Sinneszellen auf viele Klassen . Diese Klassenvon Sinneszellen unterscheiden sich in ihrer Spezifität (Abb. 11-41 und 11-42). Damit steigt dieSchwellenkonzentration für die Wahrnehmungdes chemischen Signals an. Obwohl die von verschiedenen Autoren verwendeten Reiztechnikensich sehr deutlich unterscheiden und damit einpräziser Vergleich der bestimmten Schwellenkonzentrationen bei verschiedenen Insekten nicht
möglich ist, so zeichnet sich doch ab, dass dieSchwellenkonzentrationen für die Wahrnehmungvon Futterinhaltsstoffen bei 1010 bis 1011 Moleküle/mi Luft liegt und somit etwa 105 mal höherals die Schwelle für das Sexualpheromon Bornbykol ist. Ferner zeigen auch viele Insekten mitihren geißel- oder keulenförmigen Antennen nichtjene anatomischen Anpassungen zur erhöhten Adsorption der Duftmoleküle wie die Antenne z. B.der Seidenspinnermännchen (Abb. 11-34 und11-35).
Im Vergleich mit den Geruchsrezeptoren sinddie Geschmacksrezeptoren in der Regel deutlichweniger empfindlich. Insekten betasten mit ihrenGeschmackssensillen auf den Beinen, den Mundwerkzeugen oder den Antennen den Untergrundund suchen oder überprüfen Nahrung und Wasser. Geschmacksreize werden also nicht über größere Entfernungen wahrgenommen und unterliegen damit nicht einer Konzentrationsabnahme wiedie Duftreize während der Verfrachtung durch dieLuft. Experimentell bestimmte Schwellenkonzentrationen für viele Geschmacksstoffe - vorwiegendZucker und Salze - liegen bei 10- 1 bis 10-4 mol/I,was etwa 1020 bis 1017 Moleküle/mi entspricht
Tab, 11-4: Vergleich der Konzentrationen von Adenosinnucleotiden, die bei verschiedenen Insektenarten bei 50% dergetesteten Tiere (EDso) Saugverhalten auslösen. (Nach Galun und Kabayo 1988)
Insektenart EDso [mol/I)
ATP ADP AMP
G/ossina pa/palis (9) 5,0 x 10 7 6,7 X 10-7 1.0 x 10Aedes aegypti 1,2 x 10-5 1,9x 10 4,6 X 10--<lAedes caspius 9.1 x 10 1,5x 1<r 3,1 x 10--<lCu/ex pipiens 2.5 x 10 s 1,2X lO-s 2.7 x 10 sSimu/ium venustrum 2,1 x 10 5 6,0 X 10-6 1,0 X 10-4
11.3 Chemorezeption 315
B
Abb. 11-40: Empfindlichkeit tarsaler " HMP" -Rezeptoren der Ki rschfruchtfliege (Rhagoletis cerasi) für die Na+-Salzeder beiden imKot derWeibchen vorhandenen Isomere N(15R(ßGlucopyranosyl)-oxy-SR-hydroxypalmitoyl)·taurin (SR, 15RHMP) und N(15R(ß-Glucopyranosyl)-oxy-SS-hydroxypalmitoyl)taurin (S5, 15R-HMP), des "hast marking pheromones = HMP",mit dem dieWeibchen nach der Eiablagedie parasitierte Kirschemarkieren, sowie die beiden weniger wirksamen synthetischenIsomere SR, 15S-HMP und S5, 15S-HMP. A Reiz-Erregungs-Beziehung eines HMP-Rezeptorsund BStrukturformelnder optischenIsomere. (Nach Städler et al. 1994)
10-1 mol/l für Raupen des Tabakschwärm ers (Ma nducasex tat fraßinh ibierend . Beide Arten fressen an Kohlpflanzen. Die Kohleule besitzt tarsale Sensillen, in denenzumindest eine Sinneszelle auf Senfölglykoside in einerKonzentr ation von 10-5 molll mit Erregung antworten.Diese Senfölglykoside, sekundäre InhaltsstofTe in Kohlblättern , stimulieren Weibchen der Kohleule, ihre Eierauf Kohlbl ätt er abzulegen.
Auch für blutsaugende Insekten sind Geschmacksrezeptoren mit vergleichbarer Empfindlichkeit beschrieben worden (Tab. 11-4), Diese Geschmacksrezeptoren zeigen eine hohe Spezifität für einebestimmte Geschmackssubstanz. Gut vergleichbare, auf Saugverhalten basierende Daten liegenfür eine Reihe verschiedener blut saugender Insekten vor. Hier zeigt sich, dass für die Energielieferanten ATP und häufig auch ADP einewesentlich höhere Empfindlichkeit vorliegt als fürAMP (Tab. 11-4),
Manch e Insekten setzen Geschmacksstoffeauch als Pheromon ein. Verglichen mit den Rezeptoren , die der Wahrnehmung von Futterinhaltsstoffen dienen , besitzen Pheromonrezeptoreneine außerordentlich hoh e Empfindlichkeit. Eingut untersuchtes Beispiel hierfür ist die Kirschfruchtfliege (Rhagoletis cerasi), Nach der Eiablagemarkieren Weibchen der Kirschfruchtfliege dieparasitierte Kirsche mit einem Pheromon, dasHMP (host marking pheromone) genannt wurde.Männ chen und Weibchen verfügen auf den ventralen Seiten ihrer Tarsen über einen Sensillentyp,der neben einer mechanosensitiven Sinneszelle vierGeschma cksrezeptoren enthält. Einer dieser Geschmacksrezeptoren zeigt eine Schwelle von2 x 10- 10 molll für zwei der vier möglichen opti schen Isomere des HMP (Abb. 11 -40). Beide Isomere kommen im Kot der Weibchen in etwa gleichen Konzentrationen vor. Die beiden anderenIsomere sind um den Faktor 13 weniger wirksam.
Bei den Wasserrezeptoren stellt sich nicht dieFrage der Empfindlichkeit für das Wasser selbst.Für die Hom öostase ist es vielmehr wichtig, dieKonzentration der im Wasser gelösten Ionen zuerkennen, denn liegt diese zu hoch, so müssen dieIonen wieder ausgeschieden werden, Wasserrezeptoren reagieren typischerweise auf reines Wassermit Erregung. Dieses Erregungsniveau sinkt mitsteigenden Ionenkonzentrationen bis hin zur vollständigen Hemmung. Bei der Mehrzahl der Insektenarten liegt die Schwellenkon zent ration fürdie Hemmun g bei 5 bis 50 mmolll und die für dietotale Hemmung bei Konzent rationen bis über einmolll (Tab. 11 -5). Bei solchen Konzentrationenwird die Präsenz des Wassers nicht mehr wahrgenommen,
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Reizkonzentration [I.lmollll
(Tab. 11-3). Phytophage Insekten sind mit Geschmacksrezeptoren ausgestattet, die Pflanzen aufihre Eignung als Nahrung oder als Eiablagemedium prüfen. Bei dieser Prüfung der Pflanzenspielen sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, häufigGlucosinolate oder Alkaloide, eine wesentlicheRolle, für die bestimmte Rezeptoren eine höhereEmpfindlichkeit zeigen als für Salze oder Zuckerund die auf das Insekt fraßstimulierend oder auchfraßinhibierend wirken. Hierbe i können verschiedene Insektenarten sehr unterschiedlich auf dieselben Substanzen reagieren, was als ein Mechani smus zur Nischentrennung angesehen werdenkann .
So wirkt z. B. Sinigrin in Konzentrationen von 10-7 bis10-4 molll für Raup en der Kohleule (Pieris brassicae)fraßstimulierend und in Konzentrationen von 2 x 10-3 bis
316 11 Sinnesphysiologie
Tab: "-5: Konzentrationen unterschiedlicher Ionen, die das Erregungsniveau der Wasserrezeptoren verschiedenerInsektenhemmen (Nach verschiedenen Autoren und unveröffentlicht).
Reizsubstanz Schwelle für Hemmung totale Hemmung Lage des Sensi11ums[moili) [moili)
IsopteraSchedorhinotermes CaCl2 2-3x 10~ 1x 10-4 Antenne
lamanianus NaCi 3x 10-2 1X 10-1 Antenne
DipteraPhormia regina NaCi 5x 10-2 5x 10-1 labellumPhormia terraenovae NaCl, KCI 5x 10-3 6x 10-2 labellumProtophormia terraenovae NaCi 1x 10-2 l,5x 10- 1 labellum
Na·Citrat 5x 10-3 5x 10-2 labellumDrosophila melanogaster NaCi 1x 10-3 3x 10-1 labellum
Tricholincitrat 3x 10-3 3x 10-2 labellumBoettcherisca peregrina NaCI, KCI 2x 10-2 1 labellum
1x 10-3 1X 10-3 labellumMusca domestica KCI l,2x 10-2 1,5 labellum
ColeopteraLeptinotarsa decemlineata NaCI 1x 10-2 >1xl0-1 Epipharynx
LepidopteraPlutella xylostella KCI 1x 10-5 1X 10-3 Ovipositor
11.3.6 Spezifität der chemischenSinnesorgane und Erkennungchemischer Muster
Chemorezeptoren werden nicht nur von einer einzigen Substanz erregt , sondern meist von vielenSubstanzen, die überdies chemisch nicht ähnlichzu sein brauchen. Die Summe aller der Substanzen, auf die eine Sinneszelle reagiert, bezeichnetman als das Reaktionsspektrum einer Sinneszelle.Innerhalb eines solchen Reaktionsspektrums sindnatürlich nicht alle Substanzen gleichermaßenreizwirksam; für bestimmte Substanzen besitzenSinneszellen eine höhere Empfindlichkeit als fürandere. Manche Sinneszellen verfügen über breiteReaktionsspektren, sie reagieren also auf vieleSubstanzen, andere Sinneszellen hingegen übersehr schmale (Abb. 11-41). Duftrezeptoren mitbreiten und zudem stark überlappenden Reaktionsspektren findet man bei vielen Insekten. Siedienen dem Erkennen chemischer Muster bei derWahl der Nahrung oder eines Eiablagemediums.Der Kiefernrüßler (Hylobius abietis) verfügt aufder Antenne über eine große Anzahl von Duftrezeptoren, die mit Duftstoffen aus Tannennadelngereizt, jeweils unterschiedliche Erregungsmusterzeigen. Viele Zellen werden z. B. durch Terpinolenoder a-Pinen maximal erregt, doch unterscheidensich diese Zellen in ihrer Antwort auf Duftstoffewie ß-Pinen, Camphen, Verbenon, Limonen,Menthon oder p-Cymol. Für diese Sinneszellenlassen sich also keine Typen von Rezeptoren mitdenselben Reaktionsspektren bilden. Vergleichba-
res wurde für eine Reihe anderer Insektenartenbeschrieben.
Neben diesen Rezeptoren kennt man auch solche, diezwar ebenfalls breite und überlappende Reaktionsspektren zeigen, jedoch in mehrfacher Ausführung vorkommen und daher zu Reaktionstypen zusammengefasst werden können. Die amerikanische Schabe (Periplaneta americana) verfügt über mindestens 5 Typen von Sinneszellen, die auf aliphatische, gesättigte Alkohole mitErregung antworten. Beieinem gegebenen Reizstoff, z. B.Octanol, werden die Sinneszelltypen I und II schwach,der Typ III maximal und die Typen IV und V mittelstarkerregt (Abb. 11-42). Somit entsteht bei dieser Substanzein Erregungsmuster über die fünf Reaktionstypen hinweg, welches sich von dem Erregungsmuster bei Reizungmit z. B. Pentanol oder Dodecanol klar unterscheidet.
Rezeptoren mit überlappenden Reaktionsspektrenermöglichen es dem Insekt, Buketts von Duftstoffen zu erkennen , auch dann, wenn nicht qualitativesondern nur quantitative Unterschiede im Duftmuster vorliegen. Je größer die Zahl der an derDiskriminierung verschiedener Buketts beteiligtenTypen von Rezeptoren ist, um so feiner kann dieseDuftdiskriminierung erfolgen. Hierbei ist es Aufgabe der Sinneszellen, das Bukett in seinen einzelnen Komponenten quantitativ zu erfassen und dasErregungsmuster an das Gehirn weiterzuleiten . ImDeutocerebrum, wo die Axone der antennalenGeruchssensillen enden , und in höheren Projektionszentren werden die Erregungshöhen der ander Antwort beteiligten Sinneszelltypen verglichen .
Erkennung chemischer Muster spielt bei denInsekten eine wichtige Rolle. Sammelnde Honig-
11.3 Chemorezeption 317
Nummer der Duftsubstanz 11 111 IV v
n
1 00000 0 . 0 ·0 . 02 0000 0 0 0 0 O· 03 000· 0 0 . 00 . 0 040000'0 ' 0 0 0 0' 0 05 0000 00 . 0 0 0 ·000 . 06 0000 ·0 0 .007 0 0 0 000 . 00· 0 0 0 .8 0 0 . 00000' 000
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0
4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
C-Atome gesättigter Alkohole
bienen können nicht nur Blütendüfte unterscheiden und solche Duftmuster sogar erlernen , siekönnen auch anhand der quantitativen Verschiebung von Duftkomponenten Änderungen in derNektarzusammensetzung und damit im Energiegehalt des Nektars erkennen (s. 10.3). Für dieEiablage bevorzugen viele Insekten ein Substrat,welches den Larven günstige Entwicklungsbedingungen bietet . So bevorzugen z. B. Weibchen derSchmeißfliegen (Calliphora vicina) Fleisch einesbestimmten Zersetzungsgrades, um ihre Eier ab-
Abb. 11·41: Allgemeines Schema des Erregungsmustersvon Geruchsrezeptoren. Die Punkte mit aufsteigendemDurchmesser symbolisieren bei Reizung mitverschiedenen Duftstoffen das Erregungsmaß der Sinneszellen von keiner Reaktion,über « 25% und> 50% bis hin zu 100 % des für die Zellemaximal möglichen Erregungsniveaus. A Jede einzelne Sinneszelle (1 bis n) reagiert unterschiedlich auf eine Reihe verschiedener Duftsubstanzen. Die breiten Reaktionsspektren derSinneszellen überlappen stark. B Klassen von Sinneszellen versammeln Sinneszellen mit identischen Reaktionsspektren. Hierbei können die Reaktionsspektren der verschiedenen Klassenüberlappen (Klassen Abis C) oder auch nicht überlappen(Klassen D und E). Sinneszellen der Klassen mit überlappendenReaktionsspektren sind z.B. Futterduftrezeptoren. Rezeptorender Klassen D oder E zeigen eine sehr enge Spezifität fürbestimmte Duftstoffe, meist Pheromone oder Pheromonkomponenten (P1, P2, ••), und können in lOs·facher Wiederholung aufeiner Insektenantenne auftreten. (Nach Boeckh und Ernst1983)
B A.1 00000A.' 00000
Abb. 11-42: Reiz-Erregungs-Beziehung von 5 Klassenvon Geruchsrezeptoren auf der Antenne der Schabe (Periplaneta americana). Die Rezeptoren der Klassen I bis V zeigenihre maximale Empfindlichkeit (von links nach rechts) für 2-Methylbutanol, n-Hexanol, n-Octanol, n-Decanol und n-Dodecanol.Die Reaktionsspektren dieser Klassen überlappen und ermöglichen somit die Analyse komplexer Duftstoffmuster wie z.B.Futterdüfte. (Nach Selzer 1984)
zusetzen. Mit mehreren Typen von Geruchsrezeptoren sind sie in der Lage, anhand des Fleischduftes die Qualität des Eiablagemediums zu prüfen(Tab. 11-6). Obwohl hierzu keine Verhaltensuntersuchungen vorliegen, so berechtigt doch die neuronale Ausstattung des Geruchssinnes zur Annahme, dass Schmeißfliegenweibchen vor der Eiablage das Fleisch auf seine Eignung als Lebensraum zur Entwicklung ihrer Larven geruchliehprüfen .
An der chemischen Beurteilung der Nahrung sind nebenden Riechrezeptoren auch Geschmacksrezeptoren beteiligt. Die Kohleule (Pieris brassicae) verfügt in verschiedenen Sensillenfeldern auf den MaxilIen und imEpipharynx über Geschmacksrezeptoren, die auf unterschiedliche Reizsubstanzen mit Erregung antworten unddie Verhaltenskette während des Fressens modulieren(Tab. 11-7).
Zur Wahrnehmung von Schlüsselsubstanzen, wiesie Pheromone darstellen , werden andere Anforderungen an die Sinneszellen gestellt (Abb. 11-44).Anders als bei der Erkennung von chemischenMustern geht es hierbei darum, dass eine ganzbestimmte Substanz oder ein Substanzgemischwahrgenommen wird und keine Verwechslung mitmöglicherweise chemisch sehr ähnlichen Pheromonen anderer Arten auftritt. Entsprechend sinddie Reaktionsspektren außerordentlich eng, undPheromon und Pheromonrezeptor passen zusammen wie Schlüssel und Schloss. Spezifität vonPheromonrezeptoren kann man z. B. in Verhaltensexperimenten testen. Termiten legen während desFuttersuchens und -eintragens Pheromonspuren,entlang derer sie zur Nahrungsquelle und wiederzurück zum Nest finden. Das Spurpheromon derTermite Reticulitermes virginicus konnte schon
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c~ B.1~ 8.2Qlc~ C.1c C.o>5i D.IIIgj D.52
318 11 Sinnesphysiologie
Tab. 11-6: Reaktionsspektren verschiedener Typen von Fleischduftrezeptoren auf dem Funiculus der Schmeißfliege(alliphora vicina. Die Anzahl der + symbolisiert das relative Erregungsmaß der Sinneszellen, - bedeutet Hemmung durch dieReizsubstanz und 0 keine Reaktion. (Nach Kaib 1974)
Fleischduftrezeptoren Typ
11 111 IV V VI
Alkohole «(5-(6) ++++ ++ 0 0 0Aldehyde, Ketone «(5-(6) ++++ + 0 0 ++6-Methyl·5·hepten-2-on + 0Essigsaure 0 0 ++ ++++ 0 0Buttersäure 0 0 0 ++ ++++ +Fettsäuren «(5-(6) + 0 0 0 ++ +++H2S 0 0 + + 0 0Mercaptane 0 ++ 0 0 0
Frischfleisch + 0 0 0 0Fleisch, 1-3 Wochen alt ++++ ++++ +++ ++ + 0Aas +++ ++++ ++++ ++++ +
früh als (Z,Z,E)-(3 ,6,8)-Dodecatrienol identifiziertwerden. Analoga und Derivate dieses natürlichenSpurpheromons können zwar auch Spurfolgenauslösen, müssen jedoch um mehrere Zehnerpotenzen höher konzentriert vorliegen als das Pheromon selbst (Abb. 11-40). Auf der Ebene der Reaktion einzelner Sinneszellen konnte vergleichbaresfür Porenplatten-Sinneszellen auf der Antenne derDrohnen der Honigbiene (Ap is mellifera) gezeigtwerden. Diese Zellen sind besonders empfindlichfür die Königinsubstanz (Abb. 11 -44).
Pheromone sind nicht immer einzelne chemische Verbindungen, sondern gewinnen ihre Artspezifität mitunter erst durch eine artspezifischeMischung verschiedener Substanzen (s. 21.3.2.3).Dies gilt in besonderem Maße für nah verwandteInsektenarten, die häufig mehrere Verbindungengemeinsam nutzen, aber in unterschiedlichen Mischungen. Der SexuallockstofT der Weibchen desEulenfalters (Polisia pisi) enthält vier verschiedene
Acetate. Die Männchen verfügen auf ihren Antennen über vier Typen von Sinneszellen, von denenjeder für ein ganz bestimmtes Acetat besonderssensitiv ist (Abb. 11-45).
Die Wirkung der einzelnen Komponenten des Sexuallockstoffes auf Männchen wurde in Freilandfallen getestet. Den besten Fangerfolg hat eine Mischung zugleichen Anteilen von zwei Acetaten, und der Fangerfolgwird wieder reduziert , wenn eines der beiden anderenAcetate in gleicher Konzentration beigemischt wird. Aufden ersten Blick überrascht die Komplexizität diesesSystems. Bedenkt man jedoch , dass zur Ausbildungneuer Arten Pheromon und Pheromonrezeptor sich artspezifisch parallel entwickeln sollten, so erscheint dervon Eulenfaltern eingeschlagene Weg der evolutiv gesehen einfachere zu sein. Weibchen besitzen in ihrenDrüsen Biosynthesewege, um alle vier Acetate zu produzieren und Männchen die Rezeptoren, um genau dieseAcetate selektiv wahrzunehmen . Es bedarflediglich einerVerschiebung des Mischungsverhältnisses der Acetateund einer veränderten zentralnervösen Bewertung des
Tab. 11-7: Spezifität von Geschmacksrezeptoren in verschiedenen Sensillen auf den MaxilIen und im Epipharynx desKohlweißlings Pieris brassicae und die Bedeutung der Geschmacksstoffe für die Steuerung des Fraßverhaltens. (Nach Visser 1983,Boeckh in Gewecke 1995)
Sensillum
Maxillemedianes Sensillum styloconicum
laterales Sensillum styloconicum
EpipharynxEpipharyngeal sensillum
Zell Nr. Reizsubstanz Wirksamkeit(Verhalten)
1 Kohlenhydrate fraßauslösend2 Alkaloide. Steroide. ete. fraßhemmend3 Glucosinolate fraßfördernd4 Salze fraßfordernd
1 Glucose + Saccharose fraBauslosend2 Glucosinolate fraBfördernd3 ? ?4 Pflanzenpiqrnente ?
1 diverse Zucker fraßauslösend2 ? fraBhemmend3 diverse Salze fraßfördernd
11.3 Chemorezeption 319
Königinsubstanz
<Il 60
80
GI<Il"5Q.
.~ 40GI~GIZ
20
Moleküle I ml Luft
o+----r-----r-----r---,
108
Abb. 11-44: Reiz-Erregungs-Beziehung einer Porenplatten-Sinneszelle auf der Antenne der Drohnen der Honigbiene (Apis mellifera). Die Zelle reagiert auf die Königinsubstanz 9-0xo-E-2-decensäure um 3 bis 7 Zehnerpotenzenempfindlicher als auf aliphatische, gesättigte Fettsäuren miteiner Kettenlänge von vier (C4) bis zwölf (C 12) Kohlenstoffatomen. (Nach Vareschi 1971)
ihre Nahrung anhand charakteristischer chemischer Substanzen aus der Pflanze, in der Regelanh and sekundärer Pflanzeninhalt sstoffe. Werdensolche Substanzen nicht wahrgenommen, so unterbleibt die Nahrungsaufnahme. Vergleichbaresgilt auch für viele parasitische Insekten, die ihrenWirt durch Körperausdünstungen wahrnehmen
"l;:Abb. 11-43: Reaktionsschwelle der Termite Retkulitermes virginicus auf dasnatürliche Spurpheromon {Z,l,Ef(3,6,8)-Dodecatrienol (*) und dessen Analoge und Derivate.Zahlen geben für die verschiedenen Verbindungen die Schwellenmengen in ~g an, die nötig sind, damitTermitenarbeitereinerSpur von 10cm folgen. Die Termiten zeigen eine erstaunl icheStereospezifität. (Nach Tai et al. 1971 , Kaissling 1971)
Erregungsmusters der vier Zelltypen , damit die eine Artkeine Männchen einer Schwesterart anlockt.
Chemische Schlüsselreize müssen nicht immerPheromone sein. Monophage Insekten wählen
Abb. 11-45: Pheromonwahrnehmung des Eulenfalters(Polisia pisi). Der Sexuallockstoff der Weibchen enthält die 4Acetate: 1 = {Zf(11)-Tetradecenylacetat, 2 = {Zf(9)-Tetradecenylacetat, 3 = {Zf(11)-Hexadecenylacetat, 4 = {Zf(7)-Dodecenylacetat. Auf der Männchenantenne findet man 4 Typenvon Sinneszellen (A bis D), die auf je eines dieser 4 Acetate mitmaximaler Erregung reag ieren. Die Größe der Punkte symbol isiert das relative Erregungsmaß der Sinneszellen. InFreilandfallen hängt dieLockwirkung für Männchen vom Mischungsverhältnis der Acetate ab. Keines der 4Acetate alleine in den Fallenausgebracht besitzt Lockwirkung. Den besten Fangerfolg hateine Mischung der Acetate 1 und 2 in gleichen Anteilen. DieAcetate 3 und 4 reduzieren den Fangerfolg . Die + Symbole inder rechten Spalte zeigen die relative Zahl der in den Pheromonfallen gefangenen Männchen. Die gleichzeitige Erregungder Zelltypen A und Bführt zu einem Anflug der Männchen zurDuftquelle, Erregung der Zelltypen C und D unterdrückt dasAnflugverhalten . (Nach Priesner 1986)
RelativeMengeder Acetate Nr.1 234
100100
100100
100 3100 10100 30100 10030 10010 1003 100
100 100 1100 100 10100 100 30100 100 100100 100 1100 100 3100 100 10100 100 30100 100 100
RelativeErregungder Zell-TypenABC D
• •• •
••• •• •• •• •
••
Lockwirkungin Fallen
+
++++
++++++
+++
(+)
320 11 Sinnesphysiologie
10.5 10-4 10.3 10.2 10"
Verdünnungsstufen
in 3% COz
1III
I I
---~ Duftreiz -----in Luft
100
"0CQ)
~.x:
75 u~ 0
!!! cIII
Q)
i=Q) 50"0l:Ql
Qj "0'e;, CIII 25
Q)
!!! c!I01ii.0III Buttersäure
0
11.4.1 Bedeutung des Lichtsinnes
11.4 PhotorezeptionHans Scharstein und Georg Stomme!
Ganz ähnlich wie für uns Menschen, gilt auch fürdie meisten Insektenarten, dass der Lichtsinn mitAbstand die größte Bedeutung für die Erkundungdes umgebenden Raums hat. Das wird deutlich ander bei vielen Insekten auffälligen Größe der bei-
CO2 in ihrer Duftempfindlichkeit nicht beeinträchtigt (Abb. 11-47). Da Termiten in ihren Bauten einer erhöhten CO2-Konzentration ausgesetztsind, könnte diese CO2-abhängige Modulation derGeruchsempfindlichkeit zur Folge haben, dass einTyp von Sinneszellen im Termitenbau unempfindlich für chemische Signale ist, jedoch außerhalbder Bauten diese Signale wahrnehmen würde.
4 5Zeit [s]
32o·1
Abb. 11-47: Modulation der Geruchsempfindlichkeitdurch erhöhte Konzentrationen des Kohlendioxids. EinTyp einfachwandiger Sensillen auf den Antennen der TermiteSchedorhinotermes lamanianus enthält stets zwei Sinneszellen,die an Luft beide auf den Duftreiz n-Hexanol mit Erregungreagieren (Registrierung oben), Die beiden Sinneszellen lassensich anhand der Amplitude der erfassten Nervenimpulse klarunterscheiden. Wird derselbe Duftreiz in einer erhöhten (OrKonzentration geboten, so wird eine der beiden Zellen gehemmt, während die andere Zelle durch (02 in der Höhe ihrerErregung nicht beeinflusst wird (Registrierung unten), Die konzentration des Kohlendioxids in der Luft beträgt etwa 0,04%,kann jedoch in Termitenkolonien bis über 10% erreichen. DieFrequenz der Nervenimpulse ist ein Maß für das Erregungsni·veau (Nach Kaib et al. 1993, Ziesmann 1996)
Abb. 11-46: Anlockende und abstoßende Wirkung vonFettsäuren und Milchsäure unterschiedlicher Konzentrationen für Stechmücken (Aedes aegypti) . Alle dreiSubstanzen sind in geringen Konzentrationen verhaltensneutral.Ob diese Substanzen in höheren Konzentrationen Stechmückenanlocken oder abstoßen, hängt von der Konzentration desDuftreizes ab. (Nach Müller 1968, Kaissling 1971)
und erkennen . Hierbei kann ein und dieselbe Substanz je nach der wahrgenommenen Konzentration anlockend oder abstoßend wirken (Abb. I 146).
Als einen gesonderten Fall des Geruchssinneskann die C02-Empfindlichkeit mancher Rezeptorzellen angesehen werden. Stechmücken, Tsetsefliegen oder auch Zecken (Acarina: Ixodidae) werden durch CO2-abgebende Organismen angelockt.Auch Honigbienen und eine Reihe verschiedenerSchmetterlings- und Termitenarten zeigen bei erhöhten CO2-Konzentrationen der Luft typischeVerhaltensreaktionen. Dies alles weist bei Insektenauf eine weit verbreitete CO2-Empfindlichkeit hin.CO2-Rezeptoren sind nunmehr in mehreren Insektenfamilien charakterisiert worden. CO2-Rezeptoren unterscheiden sich in ihrer Morphologienicht von den Geruchsrezeptoren, häufig sind sogar COrsensitive und geruchssensitive Sinneszellen in einem Sensillum vergesellschaftet. Auf eineErhöhung der CO2-Konzentration antworten diemeisten CO2-Rezeptoren mit Erregung, jedochkann bei vorwiegend in der Spreu oder auf demBoden lebenden Insekten auch eine Hemmung derRezeptoren auftreten. Bei einer Termite sind einfachwandige Sensillen mit stets zwei Sinneszellengefunden worden, von denen eine durch verschiedene Düfte erregt, durch eine erhöhte COrKonzentration jedoch gehemmt wird. Wird ein erregender Duft in erhöhter CO2-Konzentration angeboten, so dominiert bei dieser C02-empfindlichenSinneszelle die Hemmung durch CO2 über derErregung durch den Duftreiz. Die andere Sinneszelle im selben Sensillum wird hingegen durch
A
11.4 Photorezeption 321
B
Abb. 11-48:Organisation einesPhotorezeptors im Komplexaugeder Honigbiene (Drohne). A PhotorezeptorzeIle: MV Saum aus Mikrovilli;SMC Submikrovilläre Cisternen; N Nudeus; AAxon. B Elektronenmikroskopische Aufnahme der submikrovillären Region im Längsschnitt: Sterne markierensubmikrovilläre Cisternen unmittelbarneben dem Mikrovillussaum. Man beachte die enge Nachbarschaft zwischenden Mikrovilli (per Hand kontrastverstärkt), die den Sehfarbstoff Rhodopsintragen und den submikrovillären Cisternen, die als intrazelluläre Calciumspeicher fungieren. Submikrovilläre Cisternen sind Strukturen des glatten Endoplasmatischen Reticulums und bildenein räumliches Kontinuum. (Nach Baumann und Lautenschläger 1994)
A
l~m
den Komplexaugen , deren Fläche bei jagendenoder besonders schnell fliegenden Arten 70 bis90% der gesamten Kopffiäche ausmachen kannund daran, dass auch die für die Verrechnung deroptischen Information zuständigen Teile im Gehirn, die optischen Loben (Abb. 8-1), einen hohenAnteil der Gesamtmasse ausmachen.
Insekten benötigen die Augen in nahezu allenLebenssituationen zur Kontrolle ihrer Lage imRaum, zur Richtungsorientierung, zum Bewegungssehen und zur Gestaltwahrnehmung. Diemeisten Insekten sind in der Lage, Farben zuunterscheiden und sehen dabei andere Anteile desSpektrums als der Mensch. Außerdem sind sie imGegensatz zu den Wirbeltieren vielfach befähigt ,die Schwingungsrichtung polarisierten Lichteswahrzunehmen.
Wegen des völlig ander sartigen Aufbaus der Komplexoder Facettenaugen gegenüber den uns so vertrautenLinsenaugen der Wirbeltiere, sind eine Reihe von missverständlichen bis falschen Ansichten über die Funktionund die Leistung der Insektenaugen verbreitet , die imFolgenden korrigiert werden sollen.
11.4.2 Photorezeptoren
Die Grundlage des Sehens bilden die Lichtsinneszellen oder Photorezeptoren, in denen Lichtreize inelektrische Signale umgewandelt werden. Es handelt sich um primäre Sinneszellen, die für die
Absorption von Licht spezialisierte Strukturenaufweisen. Die Photorezeptoren der Insekten, wieauch der meisten anderen Invertebraten sinddurch schlauchförmige Membranstrukturen ausgezeichnet, den Mikrovilli, in die der SehfarbstoffRhodopsin eingelagert ist (Abb. 11-48). Jeder Photorezeptor trägt ca. 105 solcher Mikrovilli, die ineiner parakristallinen Anordnung zum Rhabdomerzusammengefasst sind, dem lichtabsorbierendenTeil des Photorezeptors. Durch die hohe Packungsdichte dieses Mikrovillisaums hat dasRhabdomer einen höheren Brechungsindex als dasumgebende Lumen der Zelle (n=I,36 gegenübern=I,34) . Das Rhabdomer wirkt daher als Lichtleiter: Licht, das ungefähr aus der Richtung derLängsachse einfällt , wird durch Totalreflexion anden Seitenflächen des Rhabdomers im Mikrovillisaum gehalten. So kann ein eingefallenes Photonauf der ganzen Länge des Rhabdomers auf einRhodopsinmolekül treffen und absorbiert werden.
Die Mikrovillusmembran unterliegt einem ständigen Abbau und Wiederaufbau. Starke Belichtung des Photorezeptors fördert den Abbau derMikrovilli. Dabei wird die Mikrovillusmembranvom Photorezeptor selbst oder von Nachbarzellendurch Endocytose aufgenommen. Im elektronenmikroskopischen Bild des Photorezeptors lassensich verschiedene Abbaustadien der Mikrovillusmembran innerhalb lysosomenähnlicher Strukturen darstellen . Es entstehen daraus elektronendichte Partikel , so genannte dense bodies, die
322 11 Sinnesphysiologie
Au
11.4.3.1 Molekulare Mechanismen derPhototransduktion bei Insekten
Die Phototransduktion beginnt mit der Übertragung von Lichtenerg ie auf den Sehfarbstoff Rhodopsin. Dieses Rhodopsin kann nicht frei in derMembran der Mikrovilli diffundieren , sondern eswird vermutlich durch ein Filament system im Mikrovillus, dem Cytoskelett , in seiner Lage stabilisiert.Diese Verankerung ist für die Wahrnehmungder Schwingungsrichtung polarisierten Lichts vonBedeutung (s. 11.4.4.4). Ein Rhodopsinmoleküländert nach Absorption eines einzigen Photonsseine Konformation (Abb. 11-50), wird katalytisch
Lichtenergie wird von den Photorezeptoren inelektrische Signale gewandelt. Man bezeichnetdies als Phototransduktion. Im unbelichteten Photorezeptor ist die Zellmembran an der cytoplasmatischen Seite elektrisch negativ gegen außengeladen . Diese Membranspannung wird Dunkelpotential genannt. Die Belichtung eines Photorezeptors führt bei Insekten zur Depolarisation derZellmembran, d.h. das Membranpotential sinktgegen den Wert Null. Diese Depolarisation ist dieLichtantwort des Photorezeptors und wird Rezeptorpotential genannt. Der Begriff Rezeptorpotential bezieht sich auf den gesamten Zeitverlaufder Membranspannung bei Belichtung (Abb. 1149). Photorezeptoren sind oft so lichtempfindlich,dass schon die Absorption eines einzigen Photonsein messba res Rezeptorpotential auslöst. Rezeptorpotentiale werden mithilfe von Glasmikroelektroden intrazellulär gemessen. Eine elektrischeAktivität kann auch extrazellulär registriert werden. Mit einer auf das Komplexauge platziertenElektrode werden sowohl Rezeptorpotentiale aufgezeichnet, als auch die elektrische Aktivität nachgeschalteter Nervenzellen . Mit dieser extrazellulären Ableitung, die Elektroretinogramm genanntwird, registriert man die Summe der elektri schenAktivitäten im Auge.
11.4.3 Die Phototransduktion: vomLicht zur elektrischenErregung
Cisternen, die vom glatten Endoplasmatischen Reticulum gebildet werden und Calciumionen speichern . Diese Cisternen durchziehen die Zelle bis indie unmittelbare Nähe der Basis der Mikrovilliund sind in der Lage sowohl Calciumionen aufzunehmen wie auch freizusetzen, eine Voraussetzungfür die Verarbeitung von Lichtreizen im Photorezeptor.
,Aus
11I11,Ein
B
2mvL1 s I
möglicherweise zu Pigmentgranula umgewandeltwerden und so eine wichtige Rolle bei der Anpassung des Photorezeptors an unterschiedlicheLichtverhältni sse spielen. Im Gegensatz dazu wirdbei Dunkelheit die Regeneration der Mikrovillibegünstigt.
Neben den Mikrovilli findet man in Photorezeptoren von wirbellosen Tieren eine weitereanatomische Besonderheit, die submikrovilIären
Abb. 11-49: Lichtantworten von Photorezeptoren im Insektenauge. Rezeptorpotentiale sind in (A) und (B) intrazellulär aus Photorezeptoren im Komplexauge abgeleitet. Manbeachte, dass nur die Änderungen der Membra nspannungaufgetragen sind, nicht aber der Absolutwert des Potentials.ARezeptorpotentiale eines Photorezeptors der Schmeißfliege,ausgelöst durch Lichtreize von 200 ms Dauer und unterschiedli cher Intensität (nach Zettler 1969). Mit zunehmender Intensitätwird aus einer einfachen Depolarisation eine komplexere Lichtantwort, bestehend aus einem vorübergehendenschnell ansteigenden und abfallenden Teil und einem Plateau. Von Photorezeptoren bei Drosophila weiß man, dass diesen verschiedenenKomponenten des Rezeptorpotentials unterschiedliche molekulare Prozesse zugrunde liegen. BLichtantworten eines Photorezeptors der Wanderheuschrecke. Innerhalb der Markierungen(Ein; Aus) wurde das Komplexauge mit schwachem Dauerlichtstimuliert. Jede erkennbare Depola risation wird Bump genanntund ist durch Absorptioneines Photons ausgelöst. Dies lässtsichindi rekt aus der Häufigkeitsvertei lung der Bumps bei sehrschwachem Reizlicht ableiten . Die unterschiedliche Größe derBumps zeigt, dass intrazelluläre Mechanismen mit variablerVerstärku ng ander Entstehung desSignals beteil igt sind. (NachLillywhite 1977)
11.4 Photorezeption 323
Schnitt
in B
A
B no
Mikrovillusmembran
extrazellulär
3-Hydroxyretinal(all-trans)
Abb. 11·50: Der Sehfarbstoff Rhodopsin von Drosophila. A Das Rhodopsin besteht aus einem Chromophor, dem3-Hydroxyretinal, und einem Proteinanteil. Dieser Proteinanteil ist eine Kette von 373 Aminosäuren, die sich zu 7 membrandurchspannenden a-Helices faltet, die nebeneinander gezeichnet sind, verbunden durch unterschiedlich lange hydrophile extra- undintrazelluläre Schleifen. Der Chromophor (R) ist an das Lysin in Position 319 der 7.a-Helix gebunden. Wie bei vielen anderen bisherbekannten Rezeptormolekülen mit 7 transmembranen Regionen vermittelt auch Rhodopsin seine Aktivität auf G-Proteine, derenKopplungsstelle wahrscheinlich imBereich der Schleife zwischen den Helices 5 und 6 liegt. BAufsicht aufeinen Schnitt des Molekülsim Bindungsbereich des Chromophors. Die sieben a-Helices umschließen den Chromophor, der innerhalb der Mikrovillusmembranliegt. Durch Lichtabsorption isomerisiert der Chromophor aus der 11 -cis-Form in die all-trans-Form, wahrscheinlich um diegestrichelte Achse herum. Dadurch ändert sich die Konformation des Rhodopsinmoleküls zum aktiven Rhodopsin, dem Metarhodopsin, das eine Enzymkaskade aktiviert und sodie elektrische Lichtantwort auslöst. (Nach Hamdorf 1995)
aktiv, und setzt im Mikrovillus eine Kette vonReaktionen in Gang, die das Rezeptorpotentialentstehen lässt. Diese katalytisch wirksame Rhodopsinkonformation bezeichnet man als Metarhodopsin. Rhodopsin besteht aus einem Proteinanteil, dem Opsin und einem Chromophor. DieserChromophor ist entweder ein Retinal oder ein3-Hydroxyretinal. Die Lichtabsorption erfolgt amChromophor und verursacht eine Isomerisationvom ll-cis-Retinal zum all-trans-Retinal. DieseIsornerisation führt zur Konformationsänderungdes gesamten Rhodopsinmoleküls und es entstehtMetarhodopsin. In den Photorezeptoren der Insekten aber auch anderer wirbeIloser Tiere findetdie Photoregeneration statt, ein Prozess, der dafür
sorgt, dass auch bei großer Sonneneinstrahlunggenügend Rhodopsin zur Aktivierung bereitsteht(Abb. 11-51). Photoregeneration beruht auf derbesonderen Eigenschaft des Metarhodopsins, ähnlich wie das Ausgangsmolekül Rhodopsin, lichtempfindlich zu sein und durch Photonenabsorption in die katalytisch inaktive Form des Rhodopsins zurückgeführt zu werden. Je nach Helligkeitstellt sich daher in jeder Zelle ein unterschiedlichesphotochemisches Gleichgewicht zwischen derMenge von aktivierbarem Rhodopsin und Metarhodopsin ein. Obwohl der Vorrat an aktivierbarem Rhodopsin bei großer Helligkeit geringerwird, ist damit sichergestellt, dass er nicht erschöpft . Die Konformationsänderung zum Meta-
480 nm
580 nm
324 11 Sinnesphysiologie
Abb. 11-51: Rhodopsinzyklus undPhotoregeneration.Rhodopsin [@absorbiert beim Photorezeptortyp R1 vonDrosophila vorzugsweise bei einer Wel-lenlänge von 480 nm und wird zumaktiven Metarhodopsin @ . Dieses Metarhodopsin stößt die Enzymkaskade an,diezum Rezeptorpotential führt. Wenigerals 100 ms lang ist Metarhodopsin aktiv.Es wird enzymatisch durch mehrfachePhosphorylierung @-Pxund Binden vonArrestin (Arr), einem Protein, inaktiviert.Die Bindung von Arrestin an @-Pxscheint Phosphatasen daran zu hindern,aus @>-Px durch Dephosphorylierungaktives Metarhodopsin zu katalysieren, das dann lichtunabhängig die Enzymkaskade in Gang setzen würde. Inaktives Metarhodopsin @-Px-Arr ist daher stabil und im Photorezeptor in großer Menge vorhanden. Während kurzweiliges Licht dieKonformationsänderung von Rhodopsin zu Metarhodopsin auslöst, kann langweiliges Licht das Metarhodopsin in Rhodopsinzurückverwandeln. Dieser Vorgang wird als Photoregeneration bezeichnet. Nach Absorption von langweiligem Licht (580 nm)entsteht aus @-Px-Arr eine nicht aktivierbare Rhodopsinkonformation [@-Px-Arr, die nach Freigabe von Arrestin enzymatisch~hosphoryliert wird und nun wieder in den aktivierbaren Ausgangszustand zurückgeführt ist. Diese Umwandlung vonIßbl-Px-Arr in aktivierbares [@ dauert wenige Minuten. Im Tageslicht ist die Energie auf das Spektrum der Wellenlängen derartverteilt, dass unabhängig von der Helligkeit, immer aktivierbares Rhodopsin imPhotorezeptor vorliegt. Diese Photoregeneration, dienur in Photorezeptoren bei wirbellosen TIeren gefunden wurde, verhindert jedoch nicht, dass bei großer Helligkeit die Menge vonaktivierbarem Rhodopsin sinkt.
rhodopsin findet ohne Photonenabsorption nichtstatt und ist daher ein sehr zuverlässiges Maß fürdie Lichtabsorption. Hat Rhodopsin ein Photonabsorbiert, dann aktiviert das entstandene Metarhodopsin ein so genanntes G-Protein, das einGOP-Molekül gebunden hat und dabei diesesGOP gegen GTP austauscht (Abb. li-52). Nachdiesem Austausch erhöht eine Untereinheit des GProteins die Aktivität eines weiteren Enzyms, derPhospholipase C. Ein Reaktionsprodukt der enzymatischen Aktivität dieser Phospholipase C ist dasInositol-I,4,5-trisphosphat (IP3) , dessen Bildungwiederum eine notwendige Voraussetzung für dieEntstehung des Rezeptorpotentials ist. IP3 diffundiert zu den submikrovillären Cisternen (Abb. 1152), öffnet dort Ca2+-Kanäle und verursacht sodie Freisetzung von Calciumionen aus diesen intrazellulären Speichern. Welche weiteren Enzymeoder Botenstoffe notwendig sind, um die elektrische Antwort des Photorezeptors auszulösen,wird derzeit intensiv untersucht. Letztendlich werden in der Zellmembran Ionenkanäle geöffnet.Ca2+ sowie Na" strömen in die Zelle und verursachen das Rezeptorpotential. Der Photorezeptorüberträgt die Information an einer chemischenSynapse mit dem Transmitter Histamin auf dienachgeschaltete Nervenzelle. Die in diesem Abschnitt beschriebene Enzymkaskade der Phototransduktion beinhaltet eine Signalverstärkung.So kann ein Metarhodopsinmolekül mehrere GProteine nacheinander aktivieren und jede Phospholipase C katalysiert viele IP3-Moleküle. DieEffektivität dieser Verstärkung wird dadurch begünstigt, dass diese Prozesse innerhalb eines geringen Volumens am Mikrovillisaum ablaufen
(Abb. 11-48), wodurch die Botenstoffe hochkonzentriert vorliegen. Die hohe Lichtempfindlichkeitdieser Photorezeptoren muss aber reduziert werden können, damit nicht normales Tageslicht dasRezeptorpotential sättigt und dadurch die Zelle"blendet". Einige dieser Adaptationsprozesse werden im folgenden Abschnitt vorgestellt.
11.4.3.2 Die Anpassung des Photorezeptorsan unterschiedlicheLichtverhältnisse
Jeder Photorezeptor hat Mechanismen, seineEmpfindlichkeit den Lichtverhältnissen anzupassen (s. 11.4.4.4 Pupillenmechanismen) . Der gesamte zeitliche Verlauf dieser Anpassung an einebestimmte Helligkeit wird als Adaptation bezeichnet. Die Mindestgröße für eine gerade noch wahrnehmbare Helligkeitsänderung ist von der Grundhelligkeit abhängig, an die der Photorezeptor adaptiert ist. Je größer diese Grundhelligkeit ist,desto größer muss auch die Helligkeitsänderungsein, damit sie vom Photorezeptor als Reiz erkannt werden kann . Ist der Photorezeptor an einekonstante Grundhelligkeit adaptiert, dann ist dieAmplitude des Rezeptorpotentials ein Maß für dieIntensität des Lichtreizes (Abb. li-53). Photorezeptoren sind daher bei verschiedenen Helligkeiten für den Vergleich der Intensitäten unterschiedlicher Lichtreize geeignet. Die Photorezeptorender Insekten haben verschiedene molekulare Mechanismen, die diese Anpassung an die jeweiligeHelligkeit ermöglichen:• Die Menge an aktivierbarem Rhodopsin regelt
Intra..zenolit
Mc rovit1usrnernh'8n
Extrazellulir
+GDP
PKC ../
I DAG
2::=.----1~IP3 Co2.-~-SMC
\?
»:Na+ TRP·KAnal
~ TRPL·Kan41~ CNG-Kanal?
11.4 Photorezeption 325
Abb. 11-52: Die Enzymkaskade derPhototransduktion bei Drosophila. Ein Rhodopsinmolekül (Rh) ändert nach Absorptioneines einzigen Photons seine Konformation und wird zum aktiven Rhodopsin, dem Metarhodopsin (M), das eine Kette vonReaktionen intrazellulär in Gang setzt. Erstes Glied dieser Kette istein GTP-bindendes Protein, das aus drei Untereinheiten besteht(aßy), an deren größte (u) ein GDP-Molekül gebunden ist. Dieses G-Protein tritt inWechselwirkung mit Metarhodopsin, in dessenFolge GDP gegen GTP ausgetauscht wird und das G-Protein in zwei Teile dissoziiert (a-GTP und ßy). Es istdie a-Untereinheit, dieden nächsten Schritt in der Kette aktiviert, eine Phospholipase C (PLC). Dieses Enzym spaltet das MembranphospholipidPhosphatidyl-inositol-4,S-bisphosphat (PIP2) in Inositol-1,4,S-trisphosphat (IP3) und Diacylglycerol (DAG). IP3 diffundiert zubenachbarten intrazellulären Calciumspeichern, den submikrovillären Cisternen (SMC) und öffnet dort Calciumkanäle in derMembran. Die Folge ist eine Freisetzung von Calciumionen und damit der Anstieg der cytosol ischen Calciumkonzentration. Bishierhin sind die Glieder dieser Kette gut untersucht, jedoch ist bis heute unklar, durch welchen Liganden oder Mechanismus dieIonenkanäle in der Zellmembran an der Basis der Mikrovilli geöffnet werden. Sind diese Ionenkanäle offen, strömt überwiegend Na+und Ca2+ in den Photorezeptor und es entsteht das Rezeptorpotential. Bei Drosophila sind zwei Typen von Ionenkanälen aufmolekularer und physiologischer Ebene beschrieben worden, die bei Belichtung des Photorezeptors geöffnet werden. Ein Typ vonIonenkanälen (TRPL-Kanal) verursacht den vorübergehenden schnellen Anstieg und Wiederabfall des Rezeptorpotentials, währendder zweite Typ (TRP-Kanal) eine langsame Komponente des Rezeptorpotentials hervorruft (siehe auch Abb 11-46A). Zudem ist inden Augen von Drosophilamitmolekularbiologischen Methoden ein Kanaltyp nachgewiesen worden, der durch zyklische Nucleotidegeöffnet wird. Seine Rolle bei der Entstehung des Rezeptorpotentials istnoch nicht geklärt. Das mit der Bildung von IP3 gemeinsamentstandene Diacylglycerol aktiviert eine Protein-Kinase C (PKC), die weitere Proteine phosphoryliert und die Lichtempfindl ichkeitdes Photorezeptors reduziert.
bei großer Helligkeit die Empfindlichkeit desPhotorezeptors. Je heller es ist, desto wenigeraktivierbares Rhodopsin befindet sich in derZelle, d.h. die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass einRhodopsinmolekül ein Photon absorbiert undder Photorezeptor ist unempfindlicher geworden. Außerdem wird aktiviertes Metarhodopsindurch Phosphorylierung und durch Binden einesArrestin genannten Proteins inaktiviert.
• Eine wesentliche Rolle bei der Adaptation spieltdie cytosolische Ca2+-Konzentration. Der durchBelichtung ausgelöste Anstieg der Ca2+-Konzentration im Cytosol verringert die Lichtempfindlichkeit der Zelle. Calciumionen inaktivierendie Kanäle in der Zellmembran, die das Rezeptorpotential hervorrufen. Auch die ProteinKinase C ist calciumabhängig in ihrer Aktivitätund verringert bei Drosophila die Empfindlichkeit der Photorezeptoren durch Phosphorylierung von Proteinen .
• Die G-Proteine verfügen über einen eigenen Abschaltmechanismus. Aktiviertes Ga-GTP wird
katalytisch aktiv, spaltet am GTP Phospat abund überführt sich so in die inaktive Form, dasGa-GDP. Dieses Ga-GDP bildet dann wiederzusammen mit Gßy ein vollständiges aktivierbares G-Protein .
• Auch die Menge an verfügbarem Phosphatidylinositol-4,5-bisphosphat (PIP2) , dem Ausgangsprodukt für die Bildung von IP3 durch die Phospholipase C, beeinflusst die Größe des Rezeptorpotentials. Im Photorezeptor wird die IP3 Produktion über die Aktivität der Phospholipase Cgeregelt, aber auch molekulare Mechanismen,die dort die PIP2 Menge regulieren, sind zusätzlich in der Lage, die Verstärkung innerhalb derPhototransduktion zu beeinflussen. Es ist allerdings noch nicht nachgewiesen, dass der Photorezeptor diese Möglichkeit zur Regulation derVerstärkung tatsächlich nutzt. Obwohl in denZellen vieler Lebewesen die Phospholipase Cund IP3 an der Verarbeitung von Signalen eineRolle spielen, ist Drosophila der erste Eukaryot,bei dem dieser Zusammenhang zwischen der zur
Aufzeichnung elektrischer Aktivität des gesamtenAuges, nachweisbar ist. Die Antwort eines einzelnen Photorezeptors auf einen kurzen Lichtreizvon wenigen ms dauert etwa IOD ms. Stimuliertman einen kleinen Bereich eines Komplexaugesmit einem sinusförmig modulierten Lichtsignalund leitet man dabei einen Photorezeptor intrazelluär ab, so folgt das Rezeptorpotential demSinusreiz bei niedrigen Frequenzen (Abb. li-54).Bei hohen Frequenzen (ca. IOD Hz) verringert sichdie Amplitude der sinusförmigen Modulation desMembranpotentials sehr stark und hebt sich nurnoch schwach als Signal vom Rauschen ab. Außerdem schwingen dann Reiz und Rezeptorpotentialnicht mehr in der gleichen Phase. Das hohe zeitliche Auflösungsvermögen, das im Elektroretinogramm sichtbar wird, spiegelt die besondere Artder Weiterverarbeitung der Rezeptorpotentiale aufdem Weg zu den nachgeschalteten Neuronen wieder. Beider Schmeißfliegewerden die Rezeptorpotentiale von jeweils einem Photorezeptor aus 6benachbarten Ommatidien gemeinsam weiterverarbeitet. Dadurch wird zufallsbedingtes Rauschenverringert, sodass auch sehr kleine Signale vomInsekt genutzt werden können. Das zeitliche Auflösungsvermögen hängt vom Adaptationszustanddes Auges ab. Mit zunehmender Helligkeit steigtdas zeitliche Auflösungsvermögen des Photorezeptors. Beim helladaptierten Auge ist die Membranleitfähigkeit des Photorezeptors durch dasÖffnen von spannungsaktivierten Ionenkanälenerhöht. Die Zellmembran kann daher mit einergeringeren Zeitkonstante depolarisiert und repolarisiert werden, d. h. das Rezeptorpotential erreicht früher sein Maximum und fallt schnellerwieder ab. Der entscheidende Nachteil ist dann,
326 11 Sinnesphysiologie
• Dunkeladaptierto Helladaptiert
1.0
•••
0.8 •
C- o...c::
0.6 0V> •...-c...-c 0.~a. •E 0.4 0<t:...~'"~ •c:: 0
0.2 •o
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o0.0 L..o..._~-,-_,---,-_,---,- -'
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0
Log (.<il/!)
Abb. 11-53: Lichtadaptation bei einer PhotorezeptorzeIle. Auhragung der Amplitude des Rezeptorpotentials (ReP)gegen die Reizlichtintensität bei zwei verschiedenen Adaptationszuständen, einmal bei einer bestimmten Grundhelligkeit(Helladaptiert) und einmal ohne (Dunkeladaptiert). Nach Stimulation mit Lichtblitzen (524 nm) von verschiedener Intensität ölwurden Rezeptorpotentiale intrazellulär aus einer einzelnenPhotorezeptorzelle von Drosophila abgeleitet (nach Minke undSelinger 1996). Man beachte, dass die Reizintensität Öl aufdiemaximale Reizintensität I normiert wurde und logarithmisch aufder Abszisse aufgetragen ist, d.h.der Wert 0 bedeutet maximaleReizl ichtintensität. Die Kurve fürdie Antworten bei der heliadaptierten Zelle ist gegenüber der der dunkeladaptierten zu größeren Reizlichtintensitäten verschoben. Diese Versch iebungführt dazu, dass die Amplitude des Rezeptorpotentials trotzGrundhelligkeit unterhalb der Sättigung und proportional zumLogarithmus der Reizlichtintensität bleibt. Hell-Dunkel-Kontrastein der Umwelt können daher über einen großen Bereich derGrundhelligkeit als Lichtreize erkannt undin ihrer Kontraststärkeunterschieden werden.
Verfügung stehenden Menge an PIP2 und derSignalverstärkung nachgewiesen wurde.
11.4.3.3 Das zeitliche Auflösungsvermögender Insektenaugen
Hz
5.7
85
t-Reiz
~~'i: mvI I
0.1 s
Die Komplexaugen von Insekten zeigen ein hoheszeitliches Auflösungsvermögen. Von der Schmeißfliege Calliphorakönnen einzelne Lichtreize bis zueiner Frequenz von 250 Hz aufgelöst werden. Dabei führt jeder Lichtreiz zu einem diskreten elektrischen Signal, das im Elektroretinogramm, der
Abb. 11-54: Der Einfluss unterschiedlicher Reizfrequenzen auf das Rezeptorpotential. Lichtantworten einer PhotorezeptorzeIle von Calliphora auf sinusförmig modulierte Lichtreize gleicher Amplitude. (Nach Zettler 1969) Man beachte, dassnur die Änderungen der Membranspannung aufgetragen sind,nicht aber der Absolutwert. Die jeweils untere Spur zeigt denLichtreiz, dieobere das gemessene Rezeptorpotential.
dass nur relativ große Intensitätsänderungen vomPhotorezeptor erkannt werden können. Bei Dunkeladaptation ist die Membranleitfähigkeit erniedrigt und ermöglicht so eine größere Lichtempfindlichkeit , jedoch um den Preis der Verlängerungder Dauer des Rezeptorpotentials.
Dieser Zusammenhang zwischen der Lichtempfindlichkeit und der Membranleitfähigkeit des Photorezeptorslässt sich mithilfe des Ohmsehen Gesetzes erklären .Fließt ein bestimmter Ionenstrom durch die Zellmembran, so verhält sich die ausgelöste Potentialänderungproportional zum Membranwiderstand, also umgekehrtproportional zur Leitfähigkeit. Nach einem Lichtreizerhält man bei gleich großem Kationeneinstrom einumso größeres Rezeptorpotential je kleiner die Membranleitfähigkeit ist. Der Zeitverlauf und die Amplitudedes Rezeptorpotentials werden zusätzlich durch andereProzesse innerhalb der Phototransduktion bestimmt.
11.4.3.4 Pigmente im Photorezeptor:Chemie der Empfindlichkeitsmodulation
Lichtabsorption erfolgt nicht nur durch den anOpsin gebundenen Chromophor, das Retinal oder3-Hydroxyretinal, sondern auch durch ein sensibilisierendes Pigment, ein Retinol, mit direktemKontakt zum Rhodopsin (Abb. 11-55). Dieses sensibilisierende Pigment absorbiert ein Photon ohneIsomerisation. Die Energie wird direkt vom sensibilisierenden Pigment auf den Chromophorübertragen, der dann ohne eigene Photonabsorption isomerisiert und das Rhodopsin aktiviert.Während das Rhodopsin Rhl in den Photorezeptoren RI-R6 der Dipteren vorzugsweise Lichtim sichtbaren Spektrum absorbiert, sind sensibilisierende Pigmente überwiegend UV-empfindlich .Diese Erweiterung des Absorptionsspektrums inden UV Bereich kann die Lichtempfindlichkeit desPhotorezeptors steigern . Dagegen beruht die Fähigkeit zur Farbunterscheidung, z.B. bei Bienen,auf einem anderen Prinzip. Es sind dort unterschiedliche Opsin-Typen , die die verschiedenenspektralen Empfindlichkeiten in den Photorezeptoren bestimmen (s. 11.4.4.4 Farbensehen). Beieinigen Fliegenarten findet man im PhotorezeptorR7y, einem der beiden zentral gelegenen Photorezeptoren (Abb. 11-59), zusätzlich ein C40-Caro
tin im Rhabdom, das blaues Licht absorbiert, aberdie Energie nicht auf Rhodopsin überträgt. DieserFilter führt dazu, dass relativ wenig blaues LichtR7y erreicht und diese Zelle dadurch besondersUV-empfindlich ist. Der zweite zentral gelegenePhotorezeptor ist R8y und liegt proximal von R7y,also in dessen "Schatten". Durch die Filterwirkung von R7y erreicht überwiegend langwelligesLicht diese Zelle. Tatsächlich ist R8y besondersempfindlich für langwelliges Licht. Das kompli-
11.4 Photorezeption 327
zierte System der R7 und R8 Photorezeptoren istmöglicherweise die Grundlage für eine kategorialeFarbwahrnehmung, wie sie für Lucilia vorgeschlagen wurde. Diese Fliege kann demnach drei großeBereiche des Spektrums als Farbkategorien voneinander unterscheiden, d.h. UV, Blau und Gelb,aber innerhalb einer Farbkategorie werden verschiedene Wellenlängen nicht unterschieden.
11.4.3.5 Phototransduktion beiWirbeltieren und Insekten
Im Auge von Wirbeltieren kennt man zumindest in denStäbchen alle für die Phototransduktion notwendigenBestandteile. Wie auch bei den Insekten, absorbiert Rhodopsin das Licht und aktiviert über G-Proteine eineEnzymkaskade. An deren Ende werden jedoch bei Belichtung Ionenkanäle in der Zellmembran geschlossen.Die Photorezeptoren der Wirbeltiere antworten dahermit einer Hyperpolarisation auf einen Lichtreiz, währenddie Lichtantwort bei den meisten Photo rezeptoren vonInsekten und anderen wirbellosen Tieren eine Depolarisation ist. Dabei sind Rhodopsin und G-Proteine inihrer Aminosäuresequenz und Funktionsweise bei Wirbeltieren und Wirbellosen ähnlich. Anders ist jedoch beiden Wirbeltieren, dass das G-Protein die Phosphodiesterase aktiviert, ein Enzym, das den Liganden cGMPabbaut, der im Dunkeln Ionenkanäle in der Zellmembran offenhält. Beim Stäbchen fließen also im unbelichteten Zustand Kationen in die Zelle und der Lichtreizführt zur Verringerung dieses Einwärtsstroms von positiven Ladungen . Ein weiterer wesentlicher Unterschiedbesteht darin, dass bei Photorezeptoren von Wirbeltierenkeine Photoregeneration stattfindet. Metarhodopsin zerfällt in Opsin und Retinal, sodass jedes aktivierbareRhodopsinmolekül durch Synthese bereitgestellt werdenmuss. Verglichen mit der Photoregeneration ist dieseResynthese langsam und die Augen der Wirbeltiere müssen vor einer möglichen " Blendung" durch direkte Sonneneinstrahlung geschützt sein. Trotz solcher bedeutender Unterschiede auf molekularer Ebene ist die Leistungsfähigkeit von Photorezeptoren der Insekten undder Wirbeltiere ähnlich (Stieve 1988). Bei beiden Photorezeptortypen reicht die Absorption eines einzigen Photons, um eine messbare elektrische Lichtantwort auszulösen und beide sind in der Lage über mehrere Dekadenunterschiedlicher Helligkeit, Lichtreize in elektrische Erregung zu übersetzen.
11.4.4 Von der Sehzelle zum Bild:Augenformen
Neben den Photorezeptoren mit ihrer Fähigkeit ,Licht in elektrische Signale umzuwandeln, sindeine Reihe von Hilfsstrukturen erforderlich , dieder Reizleitung dienen und weitere Funktionenausüben. Das ist vor allem der dioptrische Apparat , die abbildende Optik. Dazu die Licht abschirmenden Pigmente, die regelmäßige Anord-
328 11 Sinnesphysiologie
300 400 500
Wellenlänge (nm)
600
Sen sibilisierendes Pigment:UV absorbierend, Energiel ransfer zum Chromophor
Abb. 11-55: Die Modulation der spektralen Empfindlichkeit im Photorezeptor der Fliegen. Links (nach Troje 1993):Relative spektrale Empfindlichkeit verschiedener Photorezeptortypen von Fliegen. Die gestrichelte Linie gilt fürdie PhotorezeptorenR1-R6, die den Hauptanteil im Fliegenauge ausmachen. Diese Photorezeptoren sind für blaues Licht (480 nm) und im UV Bereich(350 nm) besonders empfindlich. Das Rhodopsin absorbiert maximal bei ca. 480 nm und ein sensibilisierendes Pigment bei ca. 350nm Wellenlänge. Das sensibilisierende Pigment überträgt die Lichtenergie direkt aufden Chromophor, wodurch die Empfindlichkeitdes Photorezeptors erhöht ist. Die beiden zentral gelegenen Photorezeptoren (R7 und R8) des Ommatidiums liegen im Lichtweghintereinander und lassen sich bei den meisten Ommatidien in Untergruppen einteilen (ca. 70% der Ommatidien y: yellow und ca.30% p: pale; benannt nach dem erkennbaren Farbton im Durchlicht). Beide Gruppen von R7 sind UV empfindlich, während R8langweiligeres Licht absorbiert. Rechts (nach Kirschfeld et al. 1988): Die molekulare Ausstattung der Photorezeptoren R7y, mit UVempfindlichem Rhodopsin, UV empfindlichem sensibilisierendem Pigment und einem zusätzlichen Pigment (C4o-Carotin), das zwarblaues Licht absorbiert, aber die Energie nicht auf den Chromophor überträgt, macht R7y zu einem fast ausschließlich UVempfindlichen Photorezeptor. Da R7y distal von R8y liegt, filtert R7y einen großen Teil des kurzweiligen Lichts aus dem Spektrumheraus, das R8y erreicht. R8y erhält dadurch ein sehr scharfes spektrales Maximum im grünen Bereich. Jedes Auge der Fliege hatdamit 5 verschiedene spektrale Klassen von Photorezeptoren. Möglicherweise kann die Fliege mithilfe der verschiedenen spektralenEmpfindlichkeiten von R7 und R8 drei verschiedene Farbkategorien unterscheiden.
nung der Sehzellen, Mechanismen zur Steuerungdes Lichtflusses. Als weiterer Bestandteil sindHilfsstrukturen nötig, die Form und Funktion desSinnesorgans aufrechterhalten und es schützen:das Tracheensystem zur Sauerstoffversorgung,Mechanorezeptoren, die Verschmutzung meldenund helfen, Verletzungen zu vermeiden.
11.4.4.1 Extraokularer Lichtsinn
Es mag verwunderlich scheinen, dass Insekten zusätzlich zu ihren Augen extraokulare Photorezeptoren haben, die nicht in Augen oder augenähnlichen Strukturen integriert sind. So wurde beimSchwalbenschwanz Papilio xuthus ein extraokularer Photorezeptor im Genitalapparat der Männchen gefunden, der ihnen hilft, bei der Kopulationdie richtige Position im weiblichen Genitalapparatzu finden. Ist die erreicht, werden die Photorezeptoren vollständig abgeschattet. Neben solchen,
eher exotisch anmutenden Aufgaben ist ein anderer Funktionsbereich von extraokularen Photorezeptoren weiter verbreitet: sie finden sich imGehirn vieler Insekten und dienen auf noch nichtausreichend verstandene Weise der Synchronisation der inneren Uhr durch den Hell- DunkelwechseI.
11.4.4.2 Einzelaugen (Ocellen, Stemmata)
In den richtigen Augen treten jeweils meist 8 Sinneszellen zu einer ursprünglich rotationssymmetrischen Anordnung, dem Ommatidium zusammen,und zwar so, dass die Mikrovillisäume der Achsezugekehrt sind. Aus solchen Ommatidien sindauch die Einzelaugen gebildet. Sie kommen in zweiVarianten vor. In den OceUen (Stirnaugen, normalerweise in Dreizahl, Abb. li-56 A, B) und denStemmata (Einzelaugen der Larven) treten zahlreiche Ommatidien in einer oder mehreren Schich-
11.4 Photorezeption 329
A c
Cornea
Sinneszelle
retinale Pigmentzelle
'~~--Rhabdom
~=~,,-- Kristallkegelzelle
Kristallkegel
=:=HII~'--- Basalmembran
corneagene Zellen
Corneacorneagene Zelle
epidermale
Pigmentzellpupille
Nerv
B
retinalePigmentzelle
Abb. 11-56: Ocellen und Ommatidium eines Appositionsauges. A, B Schematische Schnitte durch typische Ocellen miteinschichtiger Retina. A mit zelligem Linsenkörper und umhüllenden Pigmentzellen (Ephemeriden); B mit Cornealinse, RetinapigmentzeIlen und epidermalem Pigment. CSchematischer Längsschnitt durch ein eukones Ommatidium eines Appositionsauges. (NachWeber und Weidner 1974)
ten zu einer Retina zusammen , die mit einer gemeinsamen Optik, einer dicken bikonvexen Linseversehen sind. Das auf der Retina entstehende,umgekehrte Bild der Umgebung in den Ocellenwird anscheinend von den Insekten nicht ausgewertet sondern nur zur Helligkeitsbestimmungverwendet. Durch Vergleich der Erregung aus den3 Ocellen kann dieses Helligkeitssignal aber immerhin zur Lagestabilisierung fliegender Heuschrecken verwendet werden (Horizontbestimmung, s. 9.4). In den Stemmata der Insektenlarvenkonnte man Ansätze zu einem Bild- und Bewegungssehens nachweisen; besonders gründlichwurde dies bei den Larven von Sandlaufkäfernuntersucht.
einer meist bikonvexen, aus Material mit hohemBrechungsindex (nahe 1,5) geschichteten EinzeIlinse. Daran schließt sich der Kristallkegel an. Erkann als homogenes, durchsichtiges Medium allein der Weiterleitung des Lichtes dienen, aberauch (bei den optischen Superpositionsaugen) einwesentlicher Bestandteil der zusammengesetztenOptik sein.
Je nach Bau und Herkunft bei der Entwicklung derKristallkegel unterscheidet man akone, eukone und pseudokone Dioptrik (siehe Weber und Weidner 1974). Entscheidend für die Funktion sind jedoch die verschiedenen optischen Prinzipien der Komplexaugen, von denen anschließend die Grundtypen beschrieben werden.
11.4.4.3 Komplexaugen
Die auffälligsten Lichtsinnesorgane der Insektensind die Komplex- oder Facettenaugen. Ein Komplexauge besteht aus bis zu etwa 30000 Ommatidien, die alle mit einem eigenem dioptrischen Apparat versehen sind (Abb. li-56 C). Dieser bestehtzunächst aus der stark brechenden Cornealinse,
Die Mikrovillisäume der Sehzellen der Ommatidien können getrennt bleiben (offenes oder unfusioniertes Rhabdom bei Dipteren) oder (bei denmeisten Insekten) zu einem zentralen Rhabdomfusionieren . Dabei sind auch beim fusioniertenRhabdom die Sinneszellen nicht miteinander verschmolzen. Die einzelnen Rhabdomere liegenzwar so dicht aneinander, dass sie einen einzigenLichtleiter bilden, sind aber durch die Zellmembranen getrennt . Die Ommatidien werden durch 3
330 11 Sinnesphysiologie
Typen von Pigmentzellen gegeneinander optischabgeschirmt.
Erst die regelmäßige Anordnung vieler Ommatidien in einem meist hexagonalen Muster (Facetten) bildet das funktionsfähige Auge. Die aufrechte Abbildung der Umgebung auf das Ommatidienraster kommt dadurch zustande, dass die optischen Achsen der kegclförrnigen, etwa auf einerKugelschale liegenden Einzelaugen alle um wenigeGrad divergieren (nämlich um den Divergenzwinkel ~<1>, Werte liegen im Mittel zwischen 1-3Grad), sodass jedes Einzelauge in eine leicht unterschiedliche Richtung blickt. Aus dem Erregungsmuster der Einzelaugen kann das Zentralnervensystem die Helligkeitsverteilung der Umgebung rekonstruieren, ebenso wie das bei unserenAugen aus der Erregungsverteilung der Retinageschieht.
An dieser Stelle sei auf einen weitverbreiteten Irrtumhingewiesen: Das Facettenauge erzeugt keineswegs eingrundsätzlich anderes Bild als unsere Linsenaugen; weder ist das Bildim Gegensatzzu unseren Augen mosaikartig (beideBildersind gerastert, allerdingsist das RasterunsererAugenviel feiner) noch erzeugtein Komplexaugeeine Vielzahl von wirr überlagerten Bildern, wie esmanchmal in schlechten Horrorfilmen dargestellt wird.
Bauartbedingte Zusammenhänge der optischenMerkmale von Komplexaugen
Zunächst sollen an einem vereinfachten Schemades Appositionsauges wie es z. B. bei der Bieneverwirklicht ist, die Gcsetzmäßigkeiten der optischen Geometrie eines Komplexauges dargelegtwerden (Abb. 11-57).
Abb. 11-57: Abbildungsprinzip eines Appositionsauges.Schematische Darstellung, Erläuterungen siehe Text. (Nach Land1989)
Aus einem Abschnitt des als kugelförmig (mitdem Radius R) gedachten Appositionsauges sindeinige Ommatidien skizziert: je eine Sammellinsemit dem Durchmesser D und der Brennweite f,jeweils ein verschmolzenes Rhabdom mit demDurchmesser d. Der Linsendurchmesser D legtzusammen mit dem Kugelradius den geometrischen Divergenzwinkel ~<1> fest. Die Skizze zeigtuns, was man machen muss, um den Divergenzwinkel ~<1> zu verkleinern und damit die Winkelauflösung zu erhöhen: Die relative Größe D derLinse im Verhältnis zum Augenradius muss verkleinert werden. Das hat aber erhebliche Nebenwirkungen. Unmittelbar wird klar, dass wegen derdadurch im Quadrat verkleinerten Fläche dieLichtmenge, die auf das Rh abdom fällt , auch verkleinert wird - Lichtstärke und Auflösungsvermögen hängen bei festem Augenradius gegenläufig von der Linsengröße D ab.
Etwas schwieriger ist der nächste Effekt nachzuvollziehen: die Beugung an der kleinen Öffnungder abbildenden Linse. Durch die Wellennatur desLichtes treten an jeder Öffnung, die ein Lichtbündel begrenzt, Beugungseffekte auf, die eineexakt punktförmige Abbildung unmöglich machen. Es wird stattdessen ein Beugungsscheibchen(Airy-Scheibchen, Airy disc) erzeugt, das umsogrößer ist, je kleiner die Öffnung der Linse ist. Dasaber heißt, dass auch Licht, das nicht genau ausder optischen Achse kommt, das Rhabdom trifft das Bild wird verschmiert und unscharf, sodass dieerstrebte Erhöhung der Winkelauflösung wiederzunichte gemacht wird.
Ein weiterer begrenzender Faktor der Winkelauflösung ist die endliche Göße des Rhabdomdurchmessers d: Sie sorgt ebenfalls dafür, dassLicht, das nicht aus der Richtung der optischenAchse auf das Einzelauge trifft, noch zu einerErregung führt , solange es aus dem Winkel Apkommt, dem Winkel , unter dem da s Rhabdomvon der Linse aus erscheint ("Öffnungswinkel" desRhabdoms, engl . "acceptance angle" ).
Es wäre aber nicht vorteilhaft, das Rhabdom immerdünner zu machen, denn dadurch würde die Zahl derQuanten, die auf den Photorezeptor treffen, reduziert,das System würde lichtschwächer. Das Ergebnis dieserÜberlegungen ist, dass die Größe des Beugungsscheibchens etwa so groß wie der Rhabdomdurchmesser seinsollte und außerdem gerade so groß, dass die Beugungsscheibchen der benachbarten Ommatidien, die ja geradeum den Divergenzwinkel versetzt sind, in ihren Richtcharakteristiken kaum überlappen.
Diese Überlegungen zeigen, dass der einzige Weg, dieAbbildungseigenschaften eines Appositionsauges zu verbessern, eine Vergrößerung des Auges wäre. Mit zunehmendem Radius R wird sowohl bei gleichbleibenderLinsengröße das geometrische Auflösungsvermögen besser,ebensoist bei gleichbleibender Auflösung mehr Platzfür größere Linsen.
A
CornealinseKristallkegel
Sinneszelle
Pigmentzelle
Nerven!aser
Abb. 11·58:Schematische Darstellung des Appositionsauges. A, BLängs- und Querschnitt eines Ommatidiums. CStrahlengang von parallelem Licht. Dicker Pfeil: Das Lichtbündel aus der Richtung der optischen Achse eines Ommatidiums wird auf dasRhabdom fokussiert. Dünner Pfeil: Licht, das inbenachbarte Ommatidien (schräg) einfällt, wird aufdie Pigmentzellen gebündelt, woes absorbiert wird. (A und B nach Kirschfeld 1971, Cnach Nilsson 1989)
Die vom Konstruktionsprinzip erzwungenen Zusammenhänge legen fest , dass Insektenaugen dieser Bauform eine relativ geringe Winkelauflösunghaben, und dass sie völlig unrealistisch groß werden müssten, und zwar mehrere Meter im Durchmesser, wenn sie eine Winkelauflösung erreichensollten, wie die unserer Augen (in der Fovea ca . IWinkelminute).
Die hier nur skizzierten Zusammenhänge sind auchquantitativ in mehreren sehr eindrucksvollen Arbeitenentwickelt worden (siehe vor allem in Stavengau. Hardie1989) in denen auch die hier stark vereinfachte Darstellung des Rhabdoms als Lichtleiter korrigiert wird.Wird ein solchesElement in seinemDurchmesserauf dieGrößenordnung der Lichtwellenlänge verkleinert (ca0,5 um), so spielt auch bei der Ausbreitungdes Lichts imRhabdom die Wellennaturdes Lichtesdie entscheidendeRolle, das Rhabdom muss als Wellenleiter behandeltwerden. Das beeinflusst den genauen Verlaufder Zusammenhänge, die grundlegenden Überlegungen bleibenaber erhalten.
Klassisches Appositionsauge
Das Appositionsauge kommt bei Bienen, Ameisenund Libellen vor. Es ist ein Komplexauge, dessenEinzelaugen optisch vollständig voneinander isoliert sind ; die Rhabdomere der 8 oder 9 Sinneszellen sind zu einem Rhabdom verschmolzen (fusioniert) und die Linse fokussiert Licht, das ausder Richtung der Ommatidienachse von einer weitentfernten Lichtquelle kommt, auf das distaleEnde des Rhabdoms, das direkt hinter dem Kristallkegel angeordnet ist. Das Rhabdom hat wenige um Durchmesser und ist etwa 100 um lang.Der eukone Kristallkegel ist durchsichtig und hatdarüber hinaus keinen Einfluss auf die Abbildung.Die optische Abschirmung erfolgt über die Pigmentzellen. In den Hauptpigmentzellen sind häufigwasserlösliche, gelbe Farbstoffe, die Pteridine enthalten, während in den Nebenpigmentzellen eiweißgebundene, rot-braune Farbstoffe, die Ommochrome, vorhanden sind (Abb. 11-56 C, li-58).
Die Rhabdomere treten zwar zu einem einheitlichen Lichtleiter zusammen, dem Rhabdom,
332 11 Sinnesphysiologie
a
3 ·····..···:··Nebenpigmentzelle
zentrale Matrix 2 3 a
4 - ,,=*- .
7
8 - -I-H-
Cornealinse
Kristallkegel
Hauptpigmentzelle
Semperzelle
Nebenpigmentzelle
Kern
Rhabdomer
Sinneszelle
Trachee
zentrale Matrix
Abb. 11-59: Zwei Ommatidieneiner Fliege. Rechts Längsschnitt in Richtung a-a, links zwei Querschnitte in Höhe derPfeile. DieSinneszellen sind nummeriert von 1-8. Die zentrale Matrix trennt die Rhabdomere im offenen Rhabdom. Das rechte Ommatitium istdunkeladaptiert, das linke, helladaptierte zeigtdie Pigmentgrana in der Nähe der Rhabdomere Rh 1-6 konzentriert. (Nach Stavenga1975)
sie sind aber als Kompartiment der Phototransduktion jeweils Bestandteil nur der zugehörigenSehzelle, was im Prinzip eine spektral unterschiedliche Antwort der verschiedenen Sehzellen einesOmmatidiums erlaubt und auch eine von der Polarisationsrichtung abhängige Antwort (s. u.) .
Das Bild, das jede Cornealinse in der Brennebene entwirft, ist ein umgekehrtes, stark verkleinertes Bild der Umgebung, zwischen den benachbarten Ommatidien jeweils um den Divergenzwinkel ~<I> verschoben. In jedem Einzelommatidiumwird aus diesem Bild nur der zentrale Punkt ausgewertet, ausschließlich das Licht aus der Bildmittewird im Rhabdom weitergeleitet und führt zurErregung der Sehzellen. Das beseitigt das Problem , das bei frühen Untersuchungen am Insektenauge entstand, wie nämlich aus diesen vielen Einzelbildchen eine interpretierbare Sicht der Umweltentstehen kann. Die Facettenlinse ist dazu da, dasLicht aus Richtung der Ommatidienachse auf dasRhabdomende zu sammeln, von wo es im Lichtleiter weitergeleitet wird und von den Photopigmenten absorbiert werden kann. Licht, das vonderselben punktförmigen Lichtquelle auf benachbarte Ommatidien fällt , wird wegen der divergierenden Achsen nicht auf das Rhabdomende,
sondern auf die Schirmpigmentzellen fokussiert,wo es absorbiert wird . Im Gegensatz zu den kleinen , inversen aber nicht weiter ausgewerteten Bildehen ist das Gesamtbild, das das Facettenaugeerzeugt, und zwar bei allen vorkommenden Typen,aufrecht.
Neurales Superpositionsauge
Dipteren, Ohrwürmer und eine Reihe von Käfernhaben Augen, die vom Bau der Optik Appositionsaugen darstellen, nur mit der Besonderheit,da ss die Rhabdomere nicht verschmolzen sind,sondern ein unfusioniertes , offenes Rhabdom bilden. Diese Eigenschaft, gekoppelt mit einer speziellen, präzisen Verschaltung der Axone der Sinneszellen bildet bei Dipteren den Typ des neuralenSuperpositionsauges (Abb. 11-59, 11-60).
Ein Querschnitt durch das Auge der Stubenfliege inHöhe des offenen Rhabdoms zeigt die typische, schieftrapezförmige Anordnung der 7 Rhabdomere (Abb. 1160 B): 6 periphere, etwas dickere Rhabdomere (0,5-1 11mbei Musca) und I zentrales, etwas dünneres als Nr. 7 (ca0,5 11m). Dieser zentrale Lichtleiter besteht tatsächlichaus zwei hintereinander liegenden Rhabdomeren (Nr. 7und 8, siehe Längsschnitt in Abb. li-59).
11.4 Photorezeption 333
v- -'\-- - t-- -f-- Cornealinse
c
-n-- - \-- -l-_ Kristallkegel
\.1:{\~~\~N\.--t---r- Sinneszelle
B
A
Abb. 11·60: Schema des neuralen Superpositionsauges. A längsschnitt. Dicke Pfeile: Paralleles licht trifft in 7 benachbartenOmmatidien auf 7 verschiedene Rhabdomere, die alle die gleiche Blickrichtung haben. [in der Aufsicht (8) schwarz umrandeteQuerschnitte] . Dünner Pfeil: licht, das in benachbarte Ommatidien (schräg) einfällt, wird auf die Pigmentzellen gebündelt, wo esabsorbiert wird. CDieAxone derperipheren Sinneszellen '-6 ausden 6 verschiedenen Ommatidien werden auf dem Weg zur laminamit einer charakteristischen Verdrillung zusammengeführt. Die Axoneder Sinneszellen 7 und 8 laufen ohne synaptischen Kontaktdurch die lamina und werden erst in der Medulla auf Interneuronen verschaltet. (A und B nach Nilsson 1989, C nach Kirschfeld1971)
Anders als beim Appositionsauge wird hier dasumgekehrte Bild, das die Cornealinse entwirft,von 7 unterschiedlichen Rhabdomeren weitergeleitet und von den zugehörigen Sinneszellen registriert. Das Besondere dieses Neuralen Superpositionsauges ist, dass die 7 unterschiedlichen Blickwinkel des einzelnen Ommatidiums genau so ausgerichtet sind, wie die Hauptachsen der direktbenachbarten Ommatidien, die mit der gemeinsamen Blickrichtung der Rhabdomere 7 und 8übereinstimmen. Entsprechend werden die Axone
der Sinneszellen aus verschiedenen Ommatidienmit gleicher Blickrichtung im I. Opti schen Ganglion, der Lamina, zu einer funkt ionellen Einheit,der Cartridge oder dem Neuroommatidium zusammengeführt. Und zwar werden nur die Axone derSinneszellen I bis 6, zu einem gemeinsamen Signalzusammengefasst, die Axone der zentralen Sinneszellen 7 und 8 laufen ohne synaptischen Kontaktdurch die Lamina und werden erst im 2. OptischenGanglion, der Medulla auf Interneuronen verschaltet. Durch die Konvergenz der Antworten
334 11 Sinnesphysiologie
B
+ + + + + + + + +
Rhabdo m
....
Trachealen
Rhabdom
20~m
Achsenfaden
..'
Basalmembran --.....~
Kern der Sinneszelle ---IO.II!
HauptpigmentzelleNebenpigmentzelle
Trachealen-Zellkern
Kristallkege l
A
Cornea~~~f --:;-~~~-:-:-;'~[.;~-:JJ
Kristallkegelzelle c:. ...
Abb. 11-61: Schema des Optischen Superpositionsauges. A Längsschnitt der Ommatidien von Ephestia. Die eukonenKristallkegel mit nicht homogenem Brechungsindex sind von der Schicht der Rhabdome durch einen breiten, optisch neutralenBereich, die klare Zone getrennt. B Schema des Strahlengangs. Paralleles Licht wird von vielen Ommatidien durch die klare Zonenach innen aufein zentrales Rhabdom vereinigt. (A nach Fischer und Horstmann 1971 , B nach Nilssan 1989)
von jeweils 6 Sinneszellen aus 6 Ommatidien (dieeine charakteristische Verdrillung der Fasern nötigmacht, Abb. 11-60 C), wird die Empfindlichkeitdieses Systems für niedrige Lichtintensitäten erhöht, grob um den Faktor 6, als ob Licht durcheine 6 fach größere Linse gefallen wäre, ohne Verlust an geometrischer Winkelauflösung. Entsprechend ist das System der Sinneszellen 1-6, die inden Cartridges zu Neuroommatidien zusammengefasst werden, für das Sehen in der Dämmerunggeeignet , während das unempfindlichere Systemder Sinneszellen 7 und 8 für das Sehen bei Tagausgelegt ist.
Bei den Bibionidae ist das offene Rhabdom nicht schieftrapezförmig wie bei den höheren Fliegen (Brachycera),sondern die 7 Rhabdomere bilden eine symmetrischehexagonale Anordnung von 6 äußeren rund um einzentrales Paar. Die neurale Superposition findet hier
nicht mit den jeweils nächsten, sondern mit den jeweilsübernächsten Ommatidien statt.
Optisches Superpositionsauge
Hatten die beiden bisher beschriebenen Augen typen die Eigenschaften, die in der allgemeinenErörterung beschrieben wurden, so ist der Bauund die Wirkungsweise des Optischen Superpositionsauges ein ganz raffinierter Ausweg aus densich widersprechenden Anforderungen von Auflösung und Empfindlichkeit. Auch dieses Auge hatzu jedem Ommatidium eine eigene Optik. Diese istaber so gebaut, dass das Licht aus einer weitentfernten Punktlichtquelle nicht nur von einerFacette sondern von sehr vielen, bis zu mehreren100Optiken zusammen auf ein fusioniertes Rhabdom gelenkt wird (Abb. 11-61). Dabei bündeln
11.4 Photorezeption 335
J
I
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Abb. 11-62: Strahlengang im Linsenzylinder. Durch den parabelförmigen Verlauf des Brechungsindex im Inneren desKristallkegelsnehmen die Lichtstrahlen einen krummenVerlauf.A Exners Beschreibungdes Strahlenverlaufs in einem Linsenzylindermit doppelter Länge seiner Brennweite. rn-n: achsenparallelesLicht wird in y fokussiert und tritt wiederachsparallel aus (n'-rn'), p-q:schiefes Bündel. Von rechts kommendes Licht wird in z fokussiert und tritt als paralleles Bündel wieder nach rechts aus (p'-q'), derEintrittswinkel a ist hiergleich demAustrittswinkel ß. B und C Numerische Berechnung des Strahlenverlaufs nach den Daten vonHausen (1973) an Ephestia. B achsenparalleles Bündel, Cschiefes Büschel mit 21 Grad Eintrittswinkel. Austrittswinkel ist dabei ca.36 Grad. (A nach Exner 1891, Bund C nach Clearyet al. 1977)
dieselben Optiken Licht aus einer anderen Richtung auf das Rhabdom des entsprechenden anderen Ommatidiums.
Die wesentliche Voraussetzung dafür ist, dassder dioptrische Apparat eines Ommatidiums paralleles Licht, das schräg zu seiner Achse einfällt ,nicht wie eine Sammellinse auf der anderen Seiteder optischen Achse fokussiert, wo es absorbiertwird, sondern dass es im Gegenteil zur seIben Seitezurück gelenkt wird. Dabei muss zwischen Optikund den Enden der Rhabdomere genügend Platz(die klare Zone) sein, dass das Licht auch von derSeite zum zentralen Rhabdom gelenkt werdenkann . Die Umlenkung des Lichts wird beim Superpositionsauge durch eine optische Besonderheit der Kristallkegel ermöglicht (Abb. 11-62).
Sigmund Exner (1891) hat als Erster das Prinzipdes optischen Superpositionsauges richtig beschrieben. Er zeigte, dass eine einfache Sammellinse als Optik des Superpositionsauges ungeeignet ist. Die Optik muss dafür sorgen, dass einparalleles Lichtbündel von einer Anordnung entsprechend dem Keplerschen Fernrohr innerhalb desSystems fokussiert wird und im weiteren Verlaufvom "Okular" wieder parallel gemacht und zur
seIben Seite der optischen Achse zurückgeworfenwird (Abb. 11-62 A). Das ist im Wesentlichen dieWirkung des Krista llkegels, der bei diesen Augennicht optisch homogen ist. Exner hat dargelegt,dass ein Zylinder mit ebenen Stirnflächen aber mitvon innen nach außen abnehmendem Brechungsindex, in I. Näherung mit parabolischem Verlauf,paralleles Licht wie eine Sammellinse fokussiert.Wenn ein solcher Zylinder nun gerade doppelt solang ist wie seine Brennweite, wird das Licht, vondem Brennpunkt ausgehend, den Zylinder auchwieder parallel und in der " richtigen" Richtungverlassen. Exner hat diese Optik mit nicht homogenem Brechungsindex "Linsenzylinder" genannt (nicht zu verwechseln mit der Zylinderlinse)und sie auch richtig als ausschlaggebend für dieFunktion des Superpositionsauges angesehen. Einsolcher Linsenzylinder mit der doppelten Brennweite als Länge wirkt wie ein Keplersches Fernrohr mit der Vergrößerung - I; schräg einfallendesLicht wird im Linsenzylinder zuerst fokussiert unddabei so abgebogen , dass das wieder paralleleBündel auf der selben Seite der optischen Achseaustritt.
336 11 Sinnesphysiologie
Bestimmt man mit dem Interferenzmikroskop den Brechungsindex innerhalb des Kristallkegels von Ephest iakühn iella, so kann man mit diesen Werten Strahlenverläufe numerisch bestimmen (Abb. 11-62 B, C). Sowohl der angenähert quadratische Verlauf des Brechungsindex als auch die den Erfordernissen entsprechendeWinkelablenkung der schiefeinfallenden Bündelhaben die Erklärung Exners bestätigt:
Das Superpositionsauge hat eine afokale Optik,d. h. ein paralleles Bündel wird nicht fokussiert,sondern tritt wieder parallel aus. Das entsprichtdem Strahlengang in einem Keplerschen Fernrohrmit geringer Vergrößerung, bei Ephestia - 1,32fach . Die bei Ephestia von ca. 130 Einzeloptikenerzeugten parallelen Bündel werden durch dieklare Zone hindurch so abgelenkt, dass sie auf eineengste Fläche von ca. 3 Rhabdomen Durchmesserdicht hinter der Fläche der distalen Rhabdomenden überlagert werden. Damit wird die Lichtstärkedieses Augentyps gegenüber dem Appositionsaugeganz drastisch erhöht, wobei wegen der Präzisionder Superposition keine Verschlechterung des Auflösungsvermögens stattfindet, wie es immer wiederbehauptet wird.
Bei einer so hohen Öffnung der Superpositionsoptik - bei Ephestia beträgt der halbe Öffnungswinkel fast 50 Grad - kann das Rhabdom mitseinem Brechungindex, der nur geringfügig überdem des umgebenden Mediums liegt, das Lichtnicht mehr durch Totalreflexion im Inneren weiterleiten. Diese Funktion wird bei Superpositionsaugen dadurch erreicht, dass die Rhabdome proximal von einem Tracheenkorb, dem Tracheentapetum umhüllt werden (Abb. 11-61 A). Diese Tracheolen sorgen zum einen dafür, dass dasRhabdom als Lichtleiter von einer dünnen Luftschicht umhüllt ist, die auf den Seitenflächen füreinen genügend hohen Grenzwinkel der Totalreflexion sorgt. An den proximalen Endflächenbilden die Tracheen Stapel von durch Luft getrennten Cuticulalamellen der Dicke )..14 ( ein Viertel der Lichtwellenlänge) aus, die durch konstruktive Interferenz stark reflektieren und damit Licht,das noch nicht von den Sehpigmenten absobiertwurde, noch einmal durch das Rhabdom schicken .
Es sei hier angemerkt, dass das Prinzip der optischenSuperposition auch bei Krebsen gefunden wurde (Land1976), allerdings nicht mit den lichtbrechenden Strukturen der Kristallkegel, sondern mit einer Anordnungvon hochreflektierenden Flächen und zwar wiederumA./4-Schichten, die in einem quadratischen Raster dasLicht zum zentralen Rhabdom hin spiegeln.
Zwischenformen
Kann man sich noch relativ leicht vorstellen, dassein Komplexauge vom Appositionstyp dadurchentstanden sein mag, dass in der Evolution Einzel-
augen vom Typ der Ommatidien zu Gruppen zusammengetreten sind, so ist der Weg für die Evolution eines Superpositionsauges nicht so leichtnachvollziehbar. Zu diesem Problem haben jedochvor allem die Arbeiten von Nilsson (1989) neueEinsichten gebracht.
EineganzeReihevonAppositionsaugen weichen vondergeschilderten Bauweise ab. Es gibt trichterförmige Erweiterungen des Rhabdoms im Fokus der Cornealinse,die auf Kosten der Sehschärfe die Lichtausbeute verbessern. Es gibt afokale Appositionsaugen, die zwarnoch die strenge optische Trennung der Ommatidienbeibehalten, die aber eine afokale Dioptrik ähnlich derder Superpositionsaugen besitzen. Auch bei echten Superpositionsaugen fand Nilsson einen neuen Typ vonOptik, das parabolische Superpositionsauge, in dem eineMischform aus Linsen- und Spiegeloptik vorliegt. Dieinzwischen bekannte Vielfalt von Formen lässt gleitendeÜbergänge zwischen den Typen als möglich erscheinen,die dabei zu jedem Zeitpunkt voll funktionsfähig waren.
11.4.4.4 Besondere Leistungen derKomplexaugen
Pupillenmechanismen
Unsere Pupille regelt die auf die Retina auftreffende Lichtmenge durch Verengen oder Erweiternwie die Irisblende beim Photoapparat. Insektenmit ihren Komplexaugen mussten dafür andereMechanismen entwickeln, da es für den abbildenden Strahlengang kein gemeinsames Lichtbündelgibt. Wegen des im Allgemeinen sehr großen Gesichtsfeldes der Komplexaugen und wegen der fehlenden Abschattungsmechanismen, wie den Augenlidern der Wirbeltiere, muss bei freiem Himmeltagsüber ein Teil des Auges direkt die Sonne abbilden - ein ungeschütztes Superpositionsaugewürde sich dadurch selbst zerstören. Entsprechenddem Bautyp kommen bei der Steuerung des Lichtflusses unterschiedliche Verfahren zur Anwendung.
Optisches Superpositionsauge: Schon Exner(1891) zeigte, dass dieser Augentyp eine ganz besondere Form eines Pupillenmechanismus hat(Abb. 11-63): Das von ihm .Jrispigrnent" genannte Pigment der Nebenpigmentzellen ist imdunkeladaptierten Zusand distal zwischen denKristallkegeln (Linsenzylinder!) konzentriert underlaubt die Superposition der Lichtbündel vielerOmmatidien. Im helladaptierten Zustand wandertdas Irispigment nach proximal und schirmt dieeinzelnen Ommatidien gegeneinander ab, sodassletztlich nur Licht aus dem zentralen oder aus nurganz wenigen Ommatidien das zentrale Rhabdomerreicht. Die genauere Analyse dieses Vorgangszeigt (Abb. 11-64), dass außer dieser Pigmentwan-
11.4 Photorezeption 337
derung noch weitere Prozesse eine Rolle spielen.Pigmentgrana in den Sehzellen lagern sich beiHelladaptation an das Rhabdom an (s. a neuralesSuperpositionsauge). Das Pigment der HauptpigmentzeIlen wandert zu der Spitze des enger werdenden Kristallkegels und reduziert dessen wirksamen Querschnitt, und auch die Sinneszelle ändert ihre Form. Die dadurch erreichte Änderungder Empfindlichkeit des Superpositionsauges istbei Manduca sexta mit 2-3 Zehnerpotenzen extrem wirkungsvoll.
Die Veränderungen bei der Helladaptation des Optischen Superpositionsauges werden oft so dargestellt, alsob das Auge zum Appositionsauge würde. Das ist falsch,es erfolgt zwar eine Abschirmung zwischen den einzelnenOmmatidien , wie sie auch beim Appositionsauge vorliegt, aber das optische Prinzip bleibt unverändert. Dashelladaptierte Superpositionsauge behält seine afokaleOptik , auch wenn diese sich im Extremfall auf jeweils einOmmatidium beschränkt.
Beim Appositionsauge, das vor allem ein Auge fürdas Sehen bei genügend hoher Lichtintensität ist,sind die Veränderungen nicht so dramatisch(Abb. 11-65). Beim Kleinen Kohlweißling wandertPigment der Nebenpigmentzellen an die Spitze desKristallkegels und verengt wieder dessen wirksame
n
--- - b
n
Abb. "·63: Pupillenmechanismus des Superpositionsauges nach Exner. Untere Hälfte: dunkeladaptierter Zustand mitSchirmpigmenten indistaler Position. Obere Hälfte: heliadaptierter Zustand. Das Schirmpigment ist in proximaler Position undunterbricht die stark abgelenkten Strahlenbündel. a-b, Richtungdes einfallenden Lichts, non Retina. (Nach Exner 1891)
Öffnung. Auch hier wandern Pigmentgrana in derSinneszelle zum Rhabdom und beeinflussen damitden Lichtfluss.
A B
Cornea
Basalmembran
Rhabdom
basale Sinneszelle
Sinneszelle
Hauptpigmentzelle
NebenpigmentzelleRetinulazellpigmente --~~'Y"'"
Kern
Abb. "·64: Adaptation des Superpositionsauges bei Ephestia. A helladaptierter Zustand; B dunkeladaptierterZustand eines Ommatidiums. (NachHorridge und Giddings 1971)
338 11 Sinnesphysiologie
A B
Cornea
Kristallkegel
Hauptpigmenlzelle
Nebenpigmenlzelle
Sinneszelle
..Rhabdom
20 11m
Abb. 11-65: Adaptation des Appositionsauges bei Pieris rapae. Ahelladaptierter Zustand. B dunkeladaptiert. (Nach Ribi 1978)
Dieser Mechanismus, der vor allem beim Neuralen Superpositionsauge besonders gut untersucht ist, ist in Abb. 11-66 dargestellt.
Im dunkeladaptierten Zustand sind die Pigmentgrana in den Sinneszellen des offenen Rhabdoms gleichmäßig verteilt (Abb. 11 -66 A). Bei Beleuchtung mit mittlerer Intensität wandern in denSehzellen 1-6 (die neural superponieren und daherfür das Sehen in der Dämmerung geeignet sind),die Pigmentgrana dicht an die Rhabdomere(Abb. 11-66 B). Wegen seiner Wellennatur bleibtdas Licht bei der Totalreflexion nicht vollständigim Inneren der Lichtleiter und kann von den dichtan der Grenzfläche liegenden Pigmenten absorbiert werden. Dies führt dazu, dass der Lichtflussbeim Durchlaufen der Rhabdomere reduziertwird. Ist die Lichtintensität noch um etwa 2 Zehnerpotenzen höher, so tritt auch bei den Sinnes-
zellen 7 und 8 dieser Mechanismus in Kraft, jetztwandert das Pigment auch beim zentralen Rhabdomer an die Grenzfläche (Abb. 11-66 C).
Farbensehen
Bereits 1914 konnte v. Frisch durch Dressurversuche an Bienen zeigen, dass sie bestimmte Farbenvon beliebigen Graustufen unterscheiden könnenund dass sie in der Lage sind, die Farben mit demVorhandensein von Futter zu assoziieren (s. Kap.10). Dieser erste Nachweis des Farbsehvermögensvon Invertebraten war der Beginn einer intensivenUntersuchung des Farbensinns der Insekten. Außer Dressurversuchen an Bienen, die ein trichromatisches Farbensehen aufzeigten, kamen 1964(Autrum u. v. Zwehl) die ersten intrazellulärenMessungen an Photorezeptoren des Bienenauges
A B c
Abb. 11·66: Pigmentwanderung inden Sinneszellen des neuralenSuperpositionsauges. A dunkeladaptiert. Die Pigmentgrana (Durchmesserca. 0,1 um) sind im Zellplasma der Sinneszelle gleichmäßig verteilt. BAdaptation an eine mittlere Helligkeit. Die Pigmentgrana lagern sich an die Rhabdomere der Sinneszellen 1-6und entkoppeln aus diesen Lichtleitern Energiedurch Störung der Totalreflexion.CAdaptation an hohe Lichtintensität.Jetzt lagert sich das Pigment auch andas Rhabdomer der Sinneszelle 7 an.(Nach Franceschini und Kirschfeld 1976)
lO A
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nm
Abb. 11·67:Spektrale Empfindlichkeit des Bienenauges.Es handelt sich um intrazelluläre Messungen der spektralenEmpfindlichkeit 5(1..) von Lichtsinneszellen, d.h. die Abhängigkeit der Empfindlichkeit von der Wellenlänge f... . A vier ausgewählte Messungen von Autrum u. Zwehl 1964. B gemittelteWerte aus älteren Messungen von Menzel u. Blakers 1976.C neuere Messungen mit einer schnellen spektralen Abtastmethode von Menzel et al. 1986. 0 schematische Darstellung derlage von 8 der 9 Rezeptorzellen unmittelbar unter der Linse.Jedes in der Mitte vorn liegende Ommatidium enthält 2 UVZellen (dazu noch eine proximale UV-Zelle), 2 blauempfindliche(B) Zellen und 4 grünempfindliche (G) Zellen. (Nach Menzel undBackhaus 1989)
hinzu, die 3 Rezeptortypen im Grünen (G), imBlauen (B) und im Ultraviolett (UV) nachwiesen(Abb. 11-67).
Die ursprünglichen Messungen von 2 BlauRezeptoren (obere Kurven) haben sich nicht bestätigen lassen. Jedes Ommatidium im medianen,frontalen Bereich enth ält die 3 Rezeptortypen ineiner charakteristischen Anordnung (Abb. 11-67D) .
Farbmischexperimente zeigten, dass sich dieFarbwahrnehmung der Bienen ähnlich wie die unsere in einem Farbdreieck ano rdnen lässt:• Die 3 Grundfarben Grün, Blau und Ultraviolett
im richtigen Verhältnis gemischt ergeben Bienenweiß.
• Der Farbeindruck der Mischung zweier benachbarter monochromatischer Lichter (Grün undBlau oder Blau und UV) wird verwechselt miteinem Spektrallicht, das zwischen den beidenWellenlängen liegt.
11.4 Photorezeption 339
• Die Mischung von Grün und UV unterscheidetsich von allen spektral en Lichtern ("Bienenpurpur").
Die Fähigkeit zur Wahrnehmung von UV ist wichtig für die Erkennung der hohen UV-Reflexionvieler von Bienen besuchter Blüten, aber auch fürden UV-Anteil des Himmelslichts, der vor allemals Träger der Information für die Polarisationsrichtung von Bedeutung ist (siehe nächster Abschnitt) . Der langweilige Anteil des uns sichtbarenSpektrums, Rot, ist für Bienen nicht wahrnehmbarund wirkt somit schwarz.
In der weiteren Verarbeitung der Farbsignalebei der Biene wurden so genannte Gegenfarbeninterneurone gefunden, die durch einen bestimmen Bereich des Spektrums erregt, durch denrestlichen gehemmt werden (Abb. 11-68). Dabei istder BegriffGegenfarbenneuron etwas unglücklich,da der spektrale Verlauf der Antwort dieser Interneurone nichts mit der Heringsehen Gegenfarbentheorie zu tun hat, sondern nur eine Aufspaltungder Antwort auf komplementäre Bereiche des fürdie Bienen sichtbaren Teile des Spektrums darstellt.
Die Erkenntnisse über das Farb ensehen der Bienen werden oft unzulässig auf alle Insekten übertragen. So ist dieVorstellung weit verbreitet , dass Insekten kein Rot wahrnehmen können . Das gilt aber keineswegs generell, dennbei einer Reihe von Insekten ist die Fähigkeit zum Sehenbei Rotlicht nachgewiesen. Elektrophysiologische undverhaltensphysiologische Untersuchungen an Schmetterlingen (Weißlingen und Schwalbenschwänzen) zeigen,dass hier ein tetrachrornatisches Farbsehen vorliegt. Dieunter suchten Tiere haben maximale Rezeptorempfindlichkeiten bei 390, 450, 540 und 610 nm, gehen also vomnahen UV bis in das langweilige Rot. Über die Strukturder Farbmetrik eines solchen Sehsysterns mit 4 statt mit 3Rezeptortypen gibt es keine konkreten Vorstellungen.
Wahrnehmung der Schwingungsrichtung polarisiertenLichtes
Licht besteht aus elektromagn etischen Wellen eines bestimmten Wellenlängenbereichs, dabeischwingen die Wellen quer zur Ausbreitungsrichtung . Bei natürlichen Lichtquellen wie der Sonne,aber auch bei künstlichen wie Glühlampen, undLeuchtstoffiampen ist die Ausrichtung derSchwingungsrichtung im Raum völlig regellos, dasLicht ist unpolarisiert. Das kann durch Reflexionan nichtmetallischen Oberflächen wie Wasser oderdurch Streuung wie beim blauen Himmelslichtanders werden: je nach der Richtung, unter der dieReflexion oder Streuung stattfindet, wird ein mehroder weniger großer Teil des Lichtes einer bestimmten Schwingungsrichtung stärker zurückgeworfen; das Licht ist teilweise oder vollständigpolarisiert.
340 11 Sinnesphysiologie
A BAbb. 11-68: Gegenfarbenneuroneder Biene. Es wurden zwei Klassenvon spektral komplementären Interneuronen gefunden. A Typ I-Neurone antworten antagonistisch aufUV und denlangweiligen Bereich (B und G) desSpektrums. BTyp II-Neurone antwortenantagonistisch aufden mittleren Wellenlängenbereich (B) und die Bereiche UVund G. Es gibt jeweils auch Zellen, diedie gespiegelte Zuordnung von Erregung (+5(1,,)) und Hemmung ('5(1.)) zeigen. (Nach Menzel und Backhaus 1989)
Es war wieder v. Frisch (1949), der fand , dassBienen im Gegensatz zum Menschen in der Lagesind, die Schwingungsrichtung polarisierten Lichtes wahrzunehmen und dass sie diese Fähigkeitdazu nutzen, den Sonnenstand bei teilweise bedecktem Himmel aus dem Polarisationsmuster desblauen Himmels zu bestimmen . Diese Fähigkeit istinzwischen bei sehr vielen Insekten sowohl imVerhaltensexperiment als auch durch Messung aneinzelnen Photorezeptoren nachgewiesen worden.
Ursache für die Fähigkeit der Insekten, im Gegensatz zu den Wirbeltieren die Schwingungsrichtung polarisierten Lichtes zu registrieren, ist derBau der Photorezeptoren. Im Sehfarbstoff wirddas Licht im Chromophor absorbiert, der Dipolstruktur hat (Abb. lI-50). Dieses Molekül zeigtDichroismus: Es absorbiert Licht maximal, dasparallel zu seiner Längsachse und gar nicht, wennes senkrecht dazu schwingt. Durch den unterschiedlichen Bau der Photorezeptoren bei Insekten und Wirbeltieren sind diese Dipole ganz verschieden in der Membran angeordnet (Abb. 1169): in den Außengliedern der Stäbchen und Zapfen der 'Retina von Wirbeltieren liegen die Dipolein flachen Membranstapeln (discs) in der Membranebene, aber regellos (Abb. 11-69 A). DasLicht durchstrahlt die Membranstapel senkrecht .Außerdem sind die Rhodopsinmoleküle in der
viskosen Membran beweglich. Es ist daher nichtmöglich, bestimmte Richtungen durch intensiveBelichtung mit polarisiertem Licht auszubleichen.
Völliganders ist die Situation in den Mikrovillisäumen der Sehzellen der Insekten (Abb. 11-69B).Auch bei völlig regelloser Anordnung der Dipolein der Membran der Mikrovilli ergibt sich einePolarisationsempfindlichkeit: Licht, das senkrechtzur Achse der Mikrovilli einfällt und dabei längsdieser Achse schwingt, ist doppelt so wirksam wieLicht, das quer dazu schwingt. Das wird durch dieschematische Darstellung in Abb. 11-69 C erläutert . Zerlegt man sowohl die Richtungen der Dipole in ihre Komponenten parallel und senkrechtzur Mikrovillusachse als auch die Ausrichtung derMembran in die Komponenten parallel und senkrecht zur Einfallsrichtung des Lichtes, so kannman abzählen , dass Licht, das parallel zur Achseder Mikrovillisäume schwingt, von doppelt so vielDipolen absorbiert werden kann, wie Licht dassenkrecht dazu schwingt. Dam it ergibt sich indiesem Fall eine Polarisationsempfindlichkeit von2.
In manchen Photorezeptoren wurde eine Polarisationsempfindlichkeit bis zu 50 gefunden. Polarisiertes Licht ,das parallel zu den Mikrovilli säumen schwingt ist 50 malwirksamer als solches, das senkrecht dazu schwingt. Daher muss man annehmen, dass in diesen Fällen die
A B c o
Abb. 11-69: Anordnung der Dipoledes Sehpigments in den Membranenvon discs und Mikrovilli. A disceines Stäbchenaußensegments beimWirbeltierphotorezeptor; B Mikrovilluseines nicht zum Sehen polarisiertenLichtes spezialisierten Rhabdomers beimInsekt; C Modellmikrovillus mitschematisch eingezeichneten Sehfabstoff-Dipolen, der es erlaubt, die Polarisationsempfindlichkeit abzuschätzen (s. Text);D vermutete Anordnung der Chromophore in den Mikrovilli von Lichtsinneszeilen, die besonders polarisationsempfindlich sind. Jeweils schematisch. (NachKirschfeld 1996)
11.4 Photorezeption 341
cA B
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300 .00 500 600 I. (nm)
Abb. 11-70: Polarisationssehen der Biene. A Spektrale Empfindlichkeit SeAl der Orientierung nach der Polarisationsrichtung(dicke schwarze Linie) und intrazellulär gemessene spektrale Empfindlichkeiten der 3 Rezeptorklassen (UV-Rezeptor grau schattiert).B Räumliche Ausrichtung der polarisationsempfindlichen Photorezeptoren in der POL-Region. Die Kugel zeigt die Sehfelder desrechten und linken Auges getrennt durch eine dicke Linie. Die POL-Region istgrau markiert. Anatomisch und physiologisch lassensich 2 senkrecht aufeinander stehende Richtungen maximaler Empfindlichkeit finden (weiße und dünne schwarze Balken). Die POLSehfelder liegen kontra lateral zum jeweiligen Auge. C Polarisationsmuster des blauen Himmelslichts. Die Polarisationsrichtungenverlaufen parallel zu konzentrischen Kreisen um die Sonne. Maximale Polarisation tritt aufdem Großkreis senkrecht zur Sonne auf(weiße Pfeile). Das direkte Sonnenlicht ist nicht polarisiert. (Nach Rossel 1989)
Dipole des Sehfarbstoffs parallel zur Achse der Mikrovilli in der Membran verankert sind (Abb. 11-64D).
Diese Rezeptoreigenschaft kann von den Insektenzur Analyse der Polarisationsrichtung ausgenutztwerden. Im Prinzip sollte jede Sinneszelle mit einheitlicher Ausrichtung der Mikrovilli polarisationsempfindlich sein, eine Verrechnung der relativen Erregung von Rezeptoren mit unterschiedlicher Ausrichtung der Mikrovilli sollte die Analyseder Polarisationsrichtung erlauben. Es zeigt sichjedoch, dass im größten Teil der Sehfelder dermeisten Insekten die Polarisationsempfindlichkeitunwirksam gemacht ist . Bei Fliegen und Bienenzeigen die Rhabdomere in ihrer Längsrichtungeine systematische Verdrehung der Ausrichtungder Mikrovilli (twist), die über die gesamte Längezum Verlust der Polarisationsempfindlichkeitführt. Bei Grillen wird das dadurch erreicht, dassdie Ausrichtung der Mikrovilli unregelmäßigschwankt.
Wenn bei Insekten die Polarisationsempfindlichkeit genutzt wird, so immer in dafür spezialisierten Augenbereichen (POL-Regionen) undauch nur von einem spektralen Typ Photorezeptor: Bei Bienen, Ameisen und Fliegen ist es derUV-Rezeptor (Abb. 11-70 A), bei Grillen derBlaurezeptor.
Die Beschränkung der Polarisationsempfindlichkeit aufnur einen spektralen Typ von Photorezeptor ist zweckmäßig. Da die Polarisatiosrichtung aus dem Erregungsunterschied von Rezeptoren mit unterschiedlicher MicrovilIiausrichtungbestimmt werden muss, wird eine Antwort, die auch noch von der spektralen Zusammensetzung des Lichts abhängt, die Auswertung sehrkompliziert, wenn nicht unmöglich machen. Nur beiRezeptoren gleicherspektraler Empfindlichkeit kann der
Erregungsunterschied allein auf die Polarisationsempfindlichkeit zurückgeführt werden.
Umgekehrt würde die Farbwahrnehmung durch Rezeptoren, die polarisationsempfindich sind, sehr schwierig werden. Wehner hat darauf hingewiesen, dass durchdie Interaktion von Licht, das auf Blattoberflächen reflektiert wird und dadurch zumindest teilweise polarisiertist, mit den unterschiedlichen Ausrichtungen der Microvilli der verschiedenen spektralen Rezeptortypen einund dasselbe Blatt je nach Stellung zum Licht ganzunterschiedliche Farbeindrücke auslösen müsste. Es istdeshalb zumindest plausibel, dass bei farbtüchtigen Insekten die dafür verwendeten Rezeptoren ihre Polarisationsempfindlichkeit unterdrücken sollten.
Von den speziell für das Polarisationssehen ausgebildeten Augenbereichen sind 2 Formen gut untersucht: der dorsale Randbereich von Fliegen, Ameisen , Bienen und Grillen, der zur Analyse des Polarisationsmusters des blauen Himmelslichts dientund der ventrale Augenbereich des Rückenschwimmers, mit dem dieser im Flug das von Wasseroberflächen reflektierte, polarisierte Licht erkennenkann (s. 9.5).
Diese POL-Regionen lassen eine Reihe von Besonderheiten erkennen: Die Ommatidien haben eine hohe Polarisationsempfindlichkeit, kurze Rhabdome ohne twistund senkrecht zueinander ausgerichtete Mikrovillisäume,die Rezeptoren sind besonders groß. Die Ommatidienvon Bienen und Grillen haben besonders große Gesichtsfelder, was durch eine nur sehr grobe Abbildung durchdie Cornealinse und fehlende Schirmpigmente erreichtwird. Damit kann der schmale dorsale Randbereich einen relativ großen Teil des gesamten Sehfeldes abtastenund nicht nur den kleinen Bereich im Zenit, auf den dieoptischen Achsen seiner Ommatidien zeigen.
Bei Bienen dreht die Orientierung des gekreuztenPaares von Mikrovillirichtungen systematisch entlangdes dorsalen Randbereichs von vorn nach hinten
342 11 Sinnesphysiologie
(Abb. 11-70 B). In raffinierten Verhaltensexperimentenkonnte gezeigt werden, dass Bienen bei der Kompassorientierung die Sonnenrichtung dadurch bestimmen,dass sie dieses Rezeptormuster durch systematischeDrehbewegungen in maximale Übereinstimmung mitdem ähnlich ausgerichteten Polarisationsmuster desHimmels bringen (Abb. 11-70C).
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