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dergruenevogel
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299 Seiten, geb., 23 Abbildungen, eine davon farbig, 4 Zeichnungen, 2000ISBN 978-3-905705-11-9, CHF 36.- EUR 29.-Aus der Forschungsarbeit im Anthroposophischen Studienjahr am Goetheanum in Dornach, 1980-1999. – Ausgehend von der phänomenologischen Anschauung im Sinne Goethes führt der Wissenschaft, Kunst und soziales Erleben vereinende Erkenntnisweg zur Erfahrung des wahren Menschseins als das «Ich-Bin», das wie in einem «Pendelschlag» (ein Schlüsselwort Rudolf Steiners) sowohl das ureigenste Wesenszentrum wie das Universale der Welt in sich schliesst (dynamischer Monismus).«... Es ist ihm gelungen, eine Vielzahl von Menschen in einer Art an die Anthroposophie heranzuführen, dass sie zum bleibenden Lebensinhalt wurde. In stiller und unspektakulärer Weise entwickelte er diese Einrichtung zu einem blühenden Zweig am Goetheanum. Der Ruf dieser gediegenen Arbeit wuchs so, dass längst nicht alle Bewerber aufgenommen werden konnten und daher meist übervolle Kurse durchgeführt wurden. Dabei gelang es ihm auch, in einer besonderen Weise die Gemeinschaftsbildung anzuregen. So ist im Laufe der Jahre die Zahl derer, die sich durch diese Arbeit mit der Anthroposophie verbinden konnten, stetig gewachsen, und viele von ihnen pflegen auch heute noch dankbar die Beziehung. ...»
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GEORG GOELZER – DER KRISTALLENE STROM 1 Inhalt
Zu dieser dreibändigen Veröffentlichung .............................................. 11
Die Oben-Unten- und die Vorne-Hinten-Polarisierung Von der Eins über die Drei zur Sieben
Zum Kursbeginn ..................................................................................... 15
1. Die Wirk–lichkeit des Menschen ...................................................... 19
2. Die erste Polarisierung, dynamische Dreigliederung: Strahlen und Konzentrieren – A und O ........................................... 20
3. Die Umstülpung zwischen den Polen: Kopfform aus dem Willen, Gliedmassenformen aus dem Gedanklichen ............ 23
(Die Entwicklungs-Schwingung der ersten drei Jahrsiebente) ......... 30
4. Die zweite Polarisierung: das Endlich-Unendliche der sieben Stufen ................................... 33
a) Der Bildungs- und Wirkens-Weg des Menschen und die sieben
Entwicklungsstufen der Pflanze (zur Vorrede der Theosophie) ........... 33 b) Die Vorne-Hinten-Polarisierung der Dreigliederung
(zur Einleitung der Theosophie) .......................................................... 41
Die Wesensdynamik des Ich-Bin als die Wirklichkeit der menschlichen Wesensglieder
Das differenzierte Sich-selbst-Vollziehen
(Zum Theosophie-Kapitel «Das Wesen des Menschen»)
1. Leib, Seele und Geist – der «Einstieg» vom Bewusstseinspol her ..................................... 52 Das Unendliche in der Geometrie ................................................... 56
2. Leib, Seele und Geist – Phänomene der Vorne-Hinten-Dimension ................................. 67 Die drei Naturreiche ....................................................................... 75
3. Die Chi-Dynamik der «Wesensglieder» ............................. 78
Die Materienatur und der Schöpfergeist
a) Schwere und Trägheit .................................................................. 79 b) Die vier auf das Körperliche hinorientierten Sinne ....................... 80 c) Das Verwandtsein von Fremdkraft und Eigenkraft ........................ 83 d) «Dichtung» – zeugend und sich zurückstauend ............................. 86 e) Der Geist des Schöpfertums und der Seinsdifferenzierung ............. 89
Die Empfindungsnatur und der Lichtgeist
a) Egozentrisch kreisende Innerlichkeit ............................................. 92 b) Kelchbildung, Einstülpung, Wirbelung ......................................... 93 c) Innenraumwirbelung des Windes ................................................. 94 d) «Lichtung» – erschliessend und zurückwirbelnd ............................ 95 e) Vom Urlicht über das Egolicht zum Ichlicht ................................. 97 f) Bogen der Wahrnehmung – Pfeil der Wahrheit .............................. 99 g) Der Geist des «Durchblicks» und der Schicksalsordnung ...............101
Das naturhafte Leben und der Liebegeist
a) Der vermittelnde Lebensrhythmus ............................................... 105 b) Der siebengliedrige Lebensprozess ................................................ 110 c) Die Gliederung des Leibesorganismus .......................................... 114 d) Die Stufen der pflanzlichen Entwicklung ..................................... 118 e) Die Lebensstufen des denkenden Menschseins .............................. 122 f) Der Geist der Verwandlung und der Sphärenharmonie ................ 130
Das Seelenkreuz – «Aufstieg und Landen»
a) Frühlingsseele und Herbstseele .................................................... 133 b) Umkehrung Innen-Aussen: Deltasegler und Bergsteiger ............... 135 c) Der Diebstahl am Geist und seine Verleugnung ........................... 136
Das «Seelen-Ei» – Umspielen des springenden Punktes
a) Die abgeschlossene Scheinwelt des Wählenkönnens ..................... 138 b) Das Willkürspiel der Wendeseele und das Böse ............................ 139 c) Wechselndes Seelenleben .............................................................. 141 d) Hell und Dunkel der Wehen einer Weltgeburt .............................. 142 e) Der «horror vacui» – und der Sonnenbote am Herztor ................. 143
Das Ich: das differenzierte Sich-selbst-Vollziehen in dreifacher Wandlung
a) Ichsein als Stirb-und-Werde-Prozess ............................................ 145 b) Egowirbel wird Kronenlicht ......................................................... 146 c) Gewohnheitswoge wird Lebensspendung ...................................... 147 d) Härtekraft wird Schöpfermacht ................................................... 149
Der Weltenwandlungsgang des Menschen
Das gleichzeitige Pulsieren durch das Innen und das Aussen
(Zum Theosophie-Kapitel «Wiederverkörperung des Geistes und Schicksal»)
1. Der lemniskatisch-hyperbolische Kreislauf – die Lebenseinheit Mensch-Pflanze
a) Die Entdeckung des organischen Doppelkreislaufs ....................... 154
b) Die Inversion am Kreis ................................................................ 155
c) Lemniskate und Hyperbel –
Zentrumströmung und Umkreisströmung .................................... 159
2. Der polarisierte grosse Kreislauf des Lebens
a) Die neue Anschauung der Lebenswandlungen ............................. 162
b) Das Wesen des Erinnerns und Vergessens ..................................... 163
c) Das individuelle Weltgedächtnis – und die Wandlung durch den
Lebensgeist im «lichtend-dichtenden» Lebenskreislauf .................. 168
Die weltenbildende Sinfonie der Wesen
Von der Vermischung zum Intervallklang,
das Ganze in jedem Teil und
die Geistrepräsentation in der Seele
(Zum Theosophie-Kapitel «Die drei Welten»)
1. Die Welten als Einstimmungsbereiche in der Sinfonie der Wesen
a) Was ist eine Welt? ....................................................................... 186
b) Jeder Wesensklang des Ich-Bin webt ein Welt .............................. 187
c) Die drei «Mischwelten» ................................................................ 191 1. Der «Sumpfboden» – die Erdenlebenswelt ............................. 191 2. Das «zehrende Schwirrwesen» – die Naturseelenwelt ............ 192 3. Der «Vogel im Netz» – die Geistseelenwelt ............................. 193
d) Die «Ganzheit-im-Teil» und das «Oben-Unten» ........................... 195
e) «Repräsentation» – Widerschein des Geistes in der Seele ............... 197
f) Die Welten der Gruppenseelen und die «Elementarreiche» ............ 199
2. Die drei Übungsfelder für intervallisches Klingen
a) Die verwandelnde Lösung ahrimanischer Fessel .......................... 204 Die siebengliedrige Materiewelt .................................................. 204 Die siebengliedrige Welt des naturhaften Lebens ....................... 211 Die siebengliedrige «Mischwelt» des Konkretisiert-Lebendigen .... 213
b) Die verwandelnde Lösung luziferischer Fessel .............................. 219 Die siebengliedrige Welt der Empfindungsnatur ........................ 223 Die siebengliedrige Welt der «Frühlingsseele» ............................ 225 Die siebengliedrige «Mischwelt» des Naturhaft-Seelischen ......... 225
c) Die verwandelnde Lösung vom Bann der «Pseudomitte» .............. 228 Die siebengliedrige Welt der «Wendeseele» ................................ 229 Die siebengliedrige Welt der «Herbstseele» ................................. 230 Die siebengliedrige Welt des Personenhaft-Geistigen ................. 231
Der Urmenschenweg der dreizehn Heiligen Nächte
Hirtenklang und Weisenkönigsklang der «Menschheitsglocke»
1. Die Klangpolarität der Menschenglocke ........................................ 236
2. Dreiklang der Zeitenrhythmen des Menschenlebens ...................... 238
3. Sonnenglockenklang der Menschheitsentwicklung ........................ 240
4. Der Weg: Hirtenstimmung–Königsstimmung–Epiphanias ............. 246
ANHANG
1. Die Lebensprozesse als Inkarnationsstufen ............................... 254
2. Farbenlehre aus dem Einheitsklang
Die Urfarbe ...................................................................................... 260
Die erste Polarisierung: dynamisches Gleichgewicht .......................... 260
Die zweite Polarisierung: Spannung der Extreme .............................. 264
Der Farbenkreis und die allumfassende Mitte ................................... 266
«Die vier Jäger der Finsternissonne» .................................................. 270
Ein Blick auf die Farben der Aura .................................................... 271
3. Der Pfad der Selbstfindung ............................................................ 276
1. Icherwachen im «Kleinkindsein» ................................................... 276
2. Icherwachen im «Schulkindsein» ................................................... 282
3. Icherwachen im «Jugendsein» ....................................................... 284
4. Icherwachen am Wendepunkt ....................................................... 285
5.-6.-7. Icherwachen im Geist ............................................................ 287
4. Wiederkunft «tun» Die Entfaltung des Sonnenauges im «Werden wie die Kinder»
Der Schmerz der Selbstgeburt ............................................................ 289
Das Verschlafen der Wirklichkeit und die Herrschaft des Geistes der Informationsvermittlung ..................... 292
Die aufsteigende Erdensonnenwelt und das Sonnenauge ................... 294
Die Weltmusik im Denken und in der Schicksalsordnung ................. 296
Spruch: Menschen-Welten-Wesen ................................................... 298
2. Leib, Seele und Geist – Phänomene der Vorne-Hinten-Dimension
Ein Junge in den ersten Schuljahren, der in der Sonntagsfeier aufgefor-
dert wurde, den «Gottesgeist» zu suchen, glaubte aufgrund gewisser von
ihm gehörter Geschichten und infolge ungenügender Vorbereitung, er
müsse ein Gespenst suchen, und fand dies schrecklich; es quälte ihn
jahrelang, bis er durch eine Lehrerin eine hilfreiche Aufklärung erhielt.
Das Wort «Geist» ist mit «Gischt» verwandt, und in der Tat ist ein Ge-
spenst eine Art von übersinnlich-sinnlichem Gischt. Doch nicht nur in
diesem noch recht äusserlichen Bereich gibt es Schwierigkeiten in Bezug
auf die Bedeutung des Wortes «Geist». Ein Mensch mit einem «hellen
Geist» ist ein Mensch mit besonderer Intelligenz; «geistige Fähigkeiten»
bedeuten gewöhnlich intellektuelle Fähigkeiten, die Anlagen des Vers-
tandeswesens; man könnte hier von einem «sprühenden Gischt» im
Seelischen sprechen. Vielleicht ist das deutsche Wort weniger zutreffend
als das griechische pneuma oder das lateinische spiritus, die «Hauch»
bedeuten; aber auch in diesen lebt eine Beziehung zum Sinnlichen, wie
ja überhaupt die meisten Worte gleichnishaft sind und deshalb an die
Erscheinungswelt anknüpfen. Unendliches, Ewiges lässt sich sprachlich
nicht unmittelbar fassen – wir müssen uns mit Hilfe von Umschreibun-
gen ausdrücken, und auch diese können nur Wegweiser sein. Wirklich-
keit lässt sich nie durch an äussere Sprache gebundene Begrifflichkeit
mitteilen; darum ist es notwendig, dass der Hörende stets dem Spre-
chenden den guten Willen, Unausgesprochenes zu verstehen, entgegen-
bringt. Rudolf Steiner gebrauchte oft das Wort «Geist» für «alldurch-
schauendes Bewusstseinswesen», vor allem in Zusammenhängen, wo er
von der Polarität «Geist und Materie» sprach: der Geist ist gleichsam das
Lichtvolle «Oben» und die Materie das Dunkle «Unten»; andererseits
geht aus seinen Ausführungen klar hervor, dass der wahre Geist auch
das Liebewesen und das Schöpferwesen ist.
In aller wahren Esoterik wird der Geist trinitarisch verstanden; er wirkt
genauso durch die Herzensregungen und die Willenstätigkeit wie durch
das Erkenntniswesen. Was ist gewöhnlich das Erste, das man einem
Kind von Gott erzählt? Dass Er alles geschaffen hat! Wir können es uns
also nicht so leicht machen, in der Dreigliederung des Menschen nach
oben hin ein betont Geistiges und nach unten hin ein betont Leibliches
zu sehen. Die häufig vorgenommene Identifizierung bzw. Verbindung
der Dreigliederung Denken-Fühlen-Wollen mit der «Trichotomie» Geist-
Seele-Leib ist ein Irrtum! Dieser Irrtum hat in der Geistesgeschichte der
Menschheit nicht nur Verwirrung erzeugt, sondern den Menschen in
Bezug auf das Wirken des schöpferischen Geistes in ihm auch gelähmt.
Die Polarität Leib-Geist drückt sich aus durch die Polarität Endlich-
Unendlich, und von dieser finden wir, wie wir schon in der einleitenden
Betrachtung gesehen haben, den entsprechenden Ausdruck in der Er-
lebnisrichtung Vorne-Hinten. Das Verhältnis von Leib (Natur) und Geist
kann in der Dreigliederung allein nicht verstanden werden; wir müssen
zur zweiten Polarisierung fortschreiten, das heisst zur Siebengliederung
des Menschen. – Man kann von sechs sich aus der Ichtätigkeit herausdif-
ferenzierenden «Wirkenssphären» sprechen: von drei in das Räumliche
hineinführenden vorne und drei über das Räumliche hinausführenden
hinten. Dabei handelt es sich aber stets nur um Betonungen der ent-
sprechenden Wesenseigenschaften; im Grunde ist jede im ganzen Men-
schen wirksam. Ohne eine Differenzierung in verschiedenartige Wirk-
samkeiten bis in den leiblichen Organismus hinein wäre jedoch der
Mensch ein rundherum gleichgeartetes Kugelwesen. «Gott schuf den
Menschen sich zum Bilde»: der menschliche Organismus spricht uns
von den Geheimnissen der Welt.
Zu der Auffassung, Geist sei vor allem Bewusstseinswesen, kann auch
die Tatsache führen, dass man ihn zunächst nur von dieser Seite her
erkenntnismässig klar fassen kann; nur in der Betrachtung unseres eige-
nen Denkens können wir ganz sicher sein, dass nichts undurchschauba-
res Fremdes, vor allem aus unserem stark egobezogenen Unterbewusst-
sein, hereinwirkt. Wir wissen, dass wir den eigentlichen Denkakt, der
von einem Auftauchen von Bildern im Bewusstsein zu unterscheiden ist,
selbst vollziehen; und zugleich ist er ganz und gar überpersönlich, auf
die allgemeinen Weltgesetze, auf die Wahrheit gerichtet. So wird uns die
Polarisierung Sinneswahrnehmung-Begriffsbildung (siehe Seite 52) zum
«Einstieg» in das Wesen von Leib, Seele und Geist.
Auch Rudolf Steiner setzt in der Darstellung dieser Dreiheit dort an, wo
wir uns im Betrachten zunächst befinden: im Bewusstseinsbereich. Wir
wollen jedoch auch hier am Anfang schon die Fortsetzung der Differen-
zierung in den Bereich der menschlichen Mitte und des kraftenden Wil-
lens hinein verfolgen.
DAS HAUPT: Streben wir ins Irdische hinein, so geschieht dies vor-
nehmlich in der Richtung nach vorne zu. Damit hängt zusammen, dass
unsere Sinne organisch gesehen nach vorne zu konzentriert sind, und
zwar vor allem am Haupt. Vorne haben wir das Ge–sicht. Mit den Ohren
greifen wir etwas nach hinten aus, weil wir uns im Lauschen auf die
Ganzheit hinorientieren, die sich dem Verstehen kundgibt; in der Musik
lebt auch Mathematik, der Klang kann das Ordnungswesen und die
innere Beschaffenheit der Dinge klarer offenbaren. Besonders stark
strebt das Tier in die Sinnessphäre hinein; der Mensch hält seine Sin-
nesorgane, vor allem auch die Nase-Mund-Partie seines Kopfes, im
Ganzen stärker zurück; dadurch hat er die Möglichkeit, den Kopf stärker
nach hinten zu wölben. Als Sprungbrett-Grundlage seines Denkens bil-
det er das Grosshirn differenzierter und dadurch abgerundeter aus als
das Tier. (Ein äusserer Hinweis darauf ist die stark ausgeprägte Na-
ckeneinbuchtung.) Gibt es auch Hinweise auf das strahlende Wesen des
Erkennens selbst, das ja physisch unsichtbar ist? Die Zeugnisse sind
unübersehbar; denn von jeher spürte der Mensch den Drang, auch das
ins Unendliche gehende Bewusstseinswesen zumindest andeutungswei-
se in die Anschauung zu bringen: Der Horusfalke hinter dem Haupt des
Pharao und die Pharaonenkrone; die Königskrone überhaupt; der Helm-
busch, urbildlich bei der Göttin Athene, der Repräsentantin des klären-
den Gedankenlebens, die dem Haupt des Zeus entsprungen ist; der Fe-
derschmuck der Indianer, der umso voller sein darf, je weiser der Träger
geworden ist; die Lamahaube; das Aurengebilde beim Buddha; der Hei-
ligenschein in der christlichen Kunst. Dass diese auf Hellsehen zurück-
führenden «Schmuckerscheinungen» im Grunde Auszeichnungen sind,
die nur wenigen zukamen, macht deutlich, dass der Mensch allgemein
noch geistig unentwickelt ist. Wie der Betrunkene, der sich um eine Re-
klamesäule herumtastet und sich eingemauert glaubt, klammern wir uns
an das vor uns Liegende, das wir mit den Sinnen erfassen können. Wir
stolpern unbesonnen durchs Leben und «fallen auf die Nase». Der
Mensch ist gewöhnlich noch nicht imstande, sich wirklich frei hinzustel-
len und im reinen Denken zu leben – und das heisst: Er vermag sich
noch nicht so ohne weiteres bewusst auf Geistesflügeln ins Unendliche
zu schwingen. Auch das Bild der Flügel ist ein Hinweis auf das uns im
Atem der Ewigkeit durch die Welt tragende Bewusstseinslicht – und man
schaut oder erlebt sie auch als nach hinten sich entfaltend.
(Abb.9: Es wird nochmals die farbige Darstellung der Wesensdynamik
mit der Menschengestalt im Profil gezeichnet; links oben wird die Strah-
lung schirmartig zurückgebogen und teils eingerollt und rechts hellgelb
verstärkt und veranschaulicht durch Athene-Helmbusch und Flügel.)
DIE GLIEDMASSEN: Finden wir auch eine entsprechende Polarisierung
am Bewegungspol? Eindeutig zeigt sie sich bei den Beinen: Die Knochen
liegen durchgehend mehr nach vorne zu, die blutdurchpulste Musku-
latur ist hinten stärker entwickelt. Das gleiche kann von den passiv he-
rabhängenden Händen gesagt werden. Auch bei der umfangenden Arm-
geste sind die Knochen wie ein Schild dem Hauptteil der Muskeln vorge-
lagert; doch im ganzen wird aus dem Vorne-Hinten hier ein Aussen-
Innen. Das von der Mutter getragene Kind ist der in die Erdenwelt «nach
vorn hereingeholte» Geist. (Es gibt ein Bild von Michelangelo, auf dem
Maria das Kind über ihre Schulter hinweg von dem hinter ihr stehenden
«Josef-Gottvater» entgegennimmt.) In den Knochen drückt sich sowohl
das Feste als auch das Mechanische des Materiewesens aus. Ihr Wesen
setzt sich nach aussen in der Maschine und überhaupt in den verschie-
densten Werkzeugen fort; der Finger- bzw. Zehennagel fügt das schnei-
dende Element hinzu. Bei den Tieren sind die Werkzeuge «angewach-
sen», während der Mensch die Spezialisierung der Körpergestaltungen
zurückhält und damit «freie Hand» bekommt. Er schafft sich die Werk-
zeuge ausserhalb des Leibes, kann ein beliebiges in die Hand nehmen
und souverän alle Arbeiten ausführen. Dieses Arbeiten oder Werken
geschieht vornehmlich in der Richtung nach vorne-unten. Hier entfaltet
sich eine gewaltige «Werkwelt» unterschiedlichster Gegenstände und
Einrichtungen. – Die künstlerische Abwandlung mechanischer Bewe-
gung in unserem Organismus geschieht über die Muskeln. Durch sie
offenbart sich geballte Kraft, die aus der «Glut des Blutes» heraus schöp-
ferisch werden kann. Den grossen Knoten- oder Ballungspunkt unseres
gesamten Muskelorganismus bildet das Gesäss. Um die uns besonders
von hinten-unten tragende Muskelkraft zu verstärken, setzt sich der
Mensch mit Vorliebe auf ein Tier und vor allem auf das Pferd. Ein guter
Reiter erlebt sich mit seinem Ross eins, sie bilden zusammen einen ein-
zigen Organismus. Heute bedient man sich der «Pferdestärken» über das
Auto, mit dem man auch so zusammenwachsen kann, dass man sich
ohne es unvollständig erlebt. Hier haben wir die an die Welt der Technik
gebundene Karikatur des tragenden Weltenwillens. Der Planetenkörper,
das Sonnensystem, die Galaxie tragen den Menschen mit Urgewalt
durch den Weltenraum. Aufgabe des Menschen wäre es, sich auf das
Geistross eigenen Wesens zu schwingen. Was in alten Zeiten Cheiron,
der grosse Erzieher und Heiler, an elementarer Naturmacht entfalten
konnte – der Hellseher schaute ihn als Kentauren –, muss in Zukunft aus
dem wachen Ichbewusstsein heraus neu errungen werden. Das Kentaur-
Sternbild des Schützen ist in erster Linie ein Zukunftsbild.
(Abb.9: Links unten werden die blauen Pfeile vom Zentrum «zurückge-
knickt», und rechts wird die Menschengestalt zur Veranschaulichung
des schöpferischen Willensstosses mit einem Pferdehinterleib in Blau
ergänzt.)
DER RUMPF: Der mittlere Bereich des menschlichen Organismus ist
gekennzeichnet durch die Lebensorgane – das heisst die nicht dem Zent-
ralnervensystem angehörenden Organe der biologischen Funktionen,
die man die «Lebensprozesse» nennt – und der Wirbelsäule. Hinten stellt
er sich geschlossener dar, vorne offener. Die meisten Organe erlebt man
auch stärker als nach vorne ausgerichtet. Die hinten liegenden Nieren,
die sich in der Embryonalentwicklung von der Halsgegend aus entlang
der Wirbelsäule entfaltet haben, bilden die Lebensorganbrücke zum
Rückgrat und zum Reproduktionswesen (Urogenitalsystem); sie spielen
in dieser Beziehung im Rumpf eine ähnliche Rolle wie am Kopf die Oh-
ren. Durch die Lebensorgane sind wir ins irdische Leben hineingestellt,
das sich rhythmisch webend zwischen dem Bereich betonter Sinnestä-
tigkeit und dem Bereich des Werkens entfaltet. Von ihnen werden wir
auf dem sich vor uns hinziehenden Lebensweg mit seinem vielfältigen
Auf und Ab und Hin und Her elementar getragen. Die ihnen allen ge-
meinsame Eigentümlichkeit ist der Rhythmus. – Doch was wäre der
Rhythmus ohne Verwandlung? Es wäre Leben ohne Entwicklung, und
das bedeutete den Tod. Das Wesen der Entwicklung zeigt sich aber wie
in einer gefrorenen Urbilderscheinung in der Wirbelreihe der Wirbelsäu-
le; hier lässt sich auf eine ideale Weise die fortschreitende Metamorpho-
se studieren – ähnlich wie an der Blattreihe der Pflanze. Die doppelte S-
Form der Wirbelsäule (die man zu den zwei S-Formen einer schmalen
Acht mit kleinerer und grösserer Schleife in Beziehung setzen kann) ist
eine besondere Charakteristik der aufrechten Menschengestalt. Im
Rückgrat erlebt der Mensch die zur Achse ausgezogene Schwelle zwi-
schen der endlichen Welt «vorne» und der unendlichen Welt «hinten».
Beim Rückwärtsschreiten müssen wir uns verstärkt im Rückgrat halten;
dort finden wir den Ansatz für das Aufrichten im Icherleben und damit
für jegliche Entwicklung. Ohne das Rückwärtsschreitenkönnen gäbe es
kein Vorwärtsschreiten im wirklich menschlichen Sinn. Das Entwick-
lungsziel wirkt von der Zukunft her, lebt im Weg durch eine Rück-
wärtsbewegung in der Zeit. – Verwandlung durch Entwicklung bedeutet
auch Heilung von der Einseitigkeit; das Ursymbol des Heilens aber fin-
den wir im Merkurstab, dem Bild der aufgerichteten, sichkreuzenden, zu
zwei Flügeln sich emporwandelnden Schlangen: Hinweis auf die un-
sichtbaren Lebensströme der Wirbelsäule, die sich im Gedankenwesen
auflichten. Diese aufrechte Wandlungsreihe und unser Lebensweg, des-
sen Stationen eine «waagrechte Wandlungsreihe» ergeben, bilden zu-
sammen ein Kreuz. Wo hat die menschheitliche Entwicklung als ein
wirklich lebendig strömendes Sichfortbewegen begonnen? Auf der Welt-
stufe des Fisches – weshalb sich hier auch das Verwandlungsgeschehen
zur Wirbelsäule verdichtete. Der Fisch deutet an, wie in die rhythmisch-
wellende Fortbewegung im «Lebenswasser» die Metamorphose hinein-
kommen kann. In der Fischphase menschlicher Weltentwicklung spie-
gelte sich das kosmische Sonnenwesen der Liebe wider, durch das sich
alle Schöpfung wandelt; darum wurde der Fisch für die frühen Christen
zum Symbol des Gottessohnes selbst. In der Mitte zwischen Flügel und
Pferdeleib offenbart sich in der Vereinigung der beiden Pole die Gestalt
des Pegasus, des allesverwandelnden Wunderwesens der Fantasie – und
der «Fisch» lebt in dessen Rückgrat als der eigentliche Quell wahrer Le-
benskommunion, als die Geistsonne sakramentaler Wandlung.
(Abb.9: Die grüne Wellenlinie wird rechts durch eine Gegenwelle zur
Überkreuzströmung ergänzt und die Symbolform des Fisches, mit dem
Kopf etwas zur linken Seite hinüberreichend, darum herum gezeichnet.
Links werden in die Farben die Worte Wahrnehmung, Lebensrhythmus,
Knochenmechanik geschrieben, rechts die Worte Erkennen, Verwandeln,
Schaffen und ganz in der Mitte das Wort ICH BIN. Die verschiedenen
Dimensionen der Dreigliederung und der «Trichotomie» werden näher
gekennzeichnet. Etwas ausführlichere Charakterisierungen der drei Wir-
kenssphären des Endlich-Naturhaften und derjenigen des Unendlich-
Geistigen können auf einer zusätzlichen Zeichnung wiedergegeben wer-
den: Abb.10.)