Leseprobe im Licht verloschener Sterne

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Teil I: AUFBRUCH

Kurz nach Neujahr 1882 erreicht ein junger Mann nach seiner berfahrt von England den Hafen von New York. Lngere Planungen und vielfltige Korrespondenzen waren der Reise vorausgegangen, und wenn alles gut lief, wrde sein Aufenthalt ein groer Erfolg werden. Zeitungen hatten ber seine bevorstehende Ankunft berichtet, und die Leute, zumindest die gebildeten, sprachen bereits von ihm. Es war spt am Abend. Es bliebe eine Nacht, bevor er den Kontinent wirklich betreten wrde. Er war vorbereitet.

BremerhavenJanuar 1882-5 Grad, gleich drei Tiefdruckgebiete drngen aus dem Norden auf Europa zu. Eines aus Grnland, eines aus Skandinavien und eines von den britischen Inseln.

Kurz nach Neujahr 1882 schifft sich ein junger Mann fr die berfahrt von Bremerhaven nach New York des Norddeutschen Lloyds ein. Unerwartet, wie aus heiterem Himmel, hatte sich die Gelegenheit geboten, und er hatte nicht gezgert, sie zu ergreifen. So stand er nun, seine Erregung mhsam im Zaum haltend und ein wenig die anstehenden Prozeduren der Abfertigung scheuend, vor dem Schalter der Schifffahrtsgesellschaft und wartete.

Ihr Name ist Pedersen?Jawohl.Schwede?Norweger.Kann ich bitte Ihre Papiere sehen, mein Herr?Am soliden Schalter stand der junger Mann. Gro und schlank, mit glattem Gesicht und einer goldgerahmten Brille vor den kleinen dunklen Augen. Ein enormes Bschel dichten Haars auf seinem Kopf. Der Beamte lie sich Zeit, die ihm gereichten Dokumente zu prfen. Der junge Mann hatte seinen Koffer neben sich abgestellt und wartete, mit den Hnden in den Taschen seines Mantels, geduldig auf seine Abfertigung. Die Halle war gro und gefllt mit Menschen, die ebenfalls die berfahrt gebucht hatten. Russen und Polen, aber auch Nordlnder darunter. Der junge Mann hrte viel Unverstndliches, aber in dem Gemurmel auch hier und da Rufen in Schwedisch, Worte auf Dnisch und Stze in seiner Heimatsprache. Er selbst sprach bewusst Deutsch; einige Brocken hatte er sich aus Bchern beigebracht, um den Angestellten der Behrden sein Entgegenkommen zu zeigen, und weil er nicht unbedingt von seinen Landsleuten als solcher erkannt und in Beschlag genommen werden wollte. Auerdem liebte er das Deutsche seit Langem. Selbst die Grndlichkeit und Strenge der deutschen Beamten, die ihn jetzt zum Warten zwangen, bewunderte er, wenn er auch gewhnlich zu Ungeduld und leichter Reizbarkeit neigte.

Sie haben freie berfahrt, mein Herr?Jawohl. Es ist so vereinbart worden.Ich sehe es. Sie sind Journalist?Der junge Mann schwieg.Es ist fr die Passagierliste, mein Herr.Schreiben Sie: Arbeiter, das geht.

Vor wenigen Tagen erst war es ihm gelungen, mit einem Direktor des Norddeutschen Lloyd diese Vereinbarung zu treffen. Er hatte vorgegeben, seine Reise diene einzig dem Zweck, die Erfahrungen der zahlreichen Emigranten, die diese Linie zur berfahrt nach Amerika nutzten, auf journalistische Weise zu dokumentieren. Ein Unterfangen, so hatte er es dargestellt, das viele weitere Menschen ermutigen wrde, diesen Weg zu whlen, und der khle, strenge Verantwortliche ihm gegenber hatte zugestimmt, ihn kostenfrei mit an Bord zu nehmen, wenn er im Gegenzug positiv ber seine Erlebnisse und seine Behandlung whrend der Passage berichten wrde. Er hatte es zugesagt, als Mittel zum Zweck. Er verfgte zwar ber Geld, denn die Mutter eines Freundes, Frau Froisland, hatte ihm 400 Kronen berlassen. Er war um Weihnachten herum zu Besuch im Hause Froisland gewesen, und die gndige Frau hatte sich derart angetan von seiner Ernsthaftigkeit gezeigt, dass sie ihm diese Summe zur Fortsetzung seiner Studien in Aussicht gestellt hatte. Seiner manchmal recht unberlegten und spontanen Art folgend, hatte er nicht verheimlicht, dass er es vorzge, einen solchen Betrag fr eine Reise nach Amerika zu verwenden, und Frau Froisland war zwar berrascht gewesen, hatte sich aber, nachdem sie den Enthusiasmus des jungen Mannes fr die frischen und sauberen Gesellschaftsformen der neuen Welt aus dessen Schilderungen herausgehrt hatte, auch dazu bereit erklrt. Dank der halbwegs der Wahrheit entsprechenden bereinkunft mit dem Schifffahrtsdirektor blieb ihm nun dieses Geld als willkommenes Startkapital. Er hatte ja nicht die Unwahrheit gesagt. Er wollte schreiben und er wrde schreiben, nicht zwingend das, was er vorgegeben hatte, aber er wrde schreiben. Sofort an Bord, wenn er als Norweger unerkannt bliebe, damit seine Landsleute ihn in Frieden lieen, und wenn er endlich, endlich an Bord gehen konnte.

Ihre Bordkarte, mein Herr. Sie haben die Nr. 408, Zwischendeck, 3 Klasse. Wir wnschen Ihnen eine angenehme berfahrt.

Der Beamte am Schalter reichte ihm seine Papiere zurck, die er bis eben aufmerksam studiert hatte, und lie sich in Anbetracht des offiziellen Direktionsschreibens sogar zu einem kleinen Diener hinreien. Pedersen dankte, steckte die Unterlagen sorgfltig zu den Empfehlungsschreiben in seiner Brieftasche und griff nach seinem Koffer. Die MS Oder lag bereit. Es waren die ersten Tage des neuen Jahres, und er wrde dafr sorgen, dass diese Jahr 1882 ebenso ereignisreich und vielversprechend werden wrde, wie dessen allerersten Tage.

Der Passagier Pedersen verlie gemessenen Schrittes die Halle und trat durch eine der meterhohen Doppelschwingtren des Abfertigungsgebudes hinaus, auf dem kurzen Stck Weg vielmals angerempelt und gestoen. Er entgegnete den Eiligen nichts, richtete den verrutschten Hut mit der einen Hand, griff den Koffer mit der anderen fester. Es war kalt und klar. Drauen blendete ihn die Wintersonne; er legte die Handflche wie einen Schirm zum Schutz ber die Augen.Um ihn herum hektisches Treiben, erregtes Lachen und leiseres Weinen. Hunderte von Menschen hasteten umher, griffen nach Koffern, riefen Kinder, richteten ihre Kleider gegen die Klte. Es wurde noch verladen, ein groer Kran war in Bewegung, riesige Frachtkisten schwebten in der Luft oder standen noch bereit. Hinter manchen hrte man das spitze Lachen und gedmpfte Flstern von zuflligen oder ungeduldigen Prchen. Vielfltig prasselten die Erscheinungen und Stimmen an Pedersens Auge und Ohr. Wie schon in der Halle babylonisches Gewirr von Sprachen, aber deutlich vernahm er Vertrautes, suchte in der Menge nach dessen Herkunft und fand sie. Da waren die verarmten Bergbewohner von Telemark, die brtigen Bauern aus Dnemarks Landesinnerem, die dicken fleiigen Schweden - Dandys und Arme, gescheiterte Kaufleute aus den Stdten, Handwerker, alte Frauen und junge Mdchen. Es war die Auswanderung Skandinaviens, so schien ihm. Alle auf der Suche nach dem Glck.

Und dort konnte er, nachdem er den Lrm und das Gelaufe um ihn herum verarbeitet hatte, das Schiff sehen, das ihn in die neue Welt bringen wrde. Er wusste nicht, ob er enttuscht oder befriedigt sein sollte. Die Oder hatte auf den ersten Blick nichts Majesttisches an sich. Vielmehr schien sie schlicht und beraus zweckmig konstruiert zu sein. Hier sollten Menschen und andere Waren transportiert werden und keine Fahrt ins Glck zur Schau gestellt. Inzwischen hatte man ausgerufen, dass das Betreten des Schiffes absteigend nach der Klasse der Billetts vonstattenzugehen habe. Die berschaubare Zahl der Passagiere der ersten Klasse betrat also, unmittelbar gefolgt von der zweiten, das Schiff. Pedersen nahm es zur Kenntnis und erwartete den Aufruf seiner, der dritten Klasse. Bis es soweit war, musterte er weiterhin das Schiff. Dem Publikum, das er um sich herum wahrnahm und, wenn er ehrlich war, auch ihm, war dieses Schiff vollkommen angemessen. Er schtzte es auf etwas mehr als 100 Meter Lnge, begutachtete die beiden Masten, an denen die Segel noch an ihren drei Querbalken eingerollt waren. Ein robustes Stck Handwerkskunst, dachte er, als das Signal kam, an Bord zu gehen.Nur wenig konnten die Krfte der Schifffahrtlinie gegen den Ansturm tun. Durch groe Trichter rief man in verschiedenen Sprachen Anweisungen, dass aus Grnden des Anstands die jungen Frauen zuerst, dann die Familien und die alleinstehenden Mnner zuletzt zu gehen htten. Pedersen schmunzelte; - er wusste, es war nicht, um den Frauen den Vortritt zu lassen, sondern vielmehr um zu vermeiden, dass die vom Reisefieber erregten jungen Herren im anonymen Gewhl ihre Hnde in unmoralischer Weise auf Wanderschaft gehen lieen und Familienvter die Gelegenheit nutzten, einmal ein anderes Hinterteil als das der Ehefrau zu befhlen. So geschah es nun, einigermaen den Anweisungen entsprechend. Auf Deck war es so eng, dass sich um die Moral wohl kaum noch jemand sorgen musste. 650 Menschen drckten sich bereinander und aneinander vorbei, als sie ihre Lasten von Gepck unten in den Laderaum schleppten. An Bord gab es Schlgereien und Aufruhr. Beinahe unbemerkt von den meisten legte die Oder ab und verlie den Hafen. Drei Tage war es her, dass Pedersen Kristiania verlassen hatte, und jetzt verschwand bald Deutschland, verschwand Europa aus seinem Blickfeld. In 17 Tagen, am 1. Februar, wrde er New York erreichen und bis dahin: arbeiten, schreiben, um bei seiner Ankunft nicht mit leeren Hnden dazustehen. Die ersten Stunden verbrachte Pedersen in der Euphorie des Neuen, der Bewunderung des immer grer und rauer werdenden Ozeans, der Sensibilisierung der Sinne durch die Verminderung der ueren Reize und in der Vorfreude auf die ruhigen Stunden der Nacht, in denen er wrde arbeiten knnen. Bald schon jedoch musste er erkennen, dass selbst er, der zwar von Kindesbeinen an Entbehrung und Not gewohnt war, von manchen Gegebenheiten an Bord dennoch auf die Probe gestellt wurde. Er stellte schon nach nicht ganz einem Tag auf der Oder fest, dass die sanitren Einrichtungen einer solchen Masse von Menschen nicht gewachsen waren. Die Lebensmittel, die aus dem Laderaum gebracht wurden, waren nicht zufriedenstellend. Das Schweinefleisch, das man zum ersten Abendbrot servierte, sah aus, als habe es die gleiche Reise schon einmal hinter sich gebracht. Weiterhin schien ihm eine merkwrdige, aus Weltuntergangs- und Aufbruchsstimmung gekreuzte Atmosphre unter den Passagieren zu herrschen. Viele waren von der gelegentlich doch recht schweren See und der unvermeidlichen Seekrankheit sehr geschwcht, dennoch gab es stndig Tanz auf dem Deck und nicht zu vergessen, trotz aller Hindernisse und Ausgangssperren angehende und ganz offensichtlich zur Schau gestellte Romanzen en route.

Ein Tag war vergangen. Die Oder nherte sich England zum Zwischenstopp. Das Wetter war der Jahreszeit angemessen, kalt und grau, und die See lag noch recht ruhig. Pedersen sah diesem Teil der Reise nicht sehr begeistert entgegen. Er hatte zwar nie die Erfahrung gemacht, in England und unter Englndern zu leben, aber er hegte eine gewisse Abneigung gegen diese seines Erachtens arrogante Nation. Er konnte sich nie erklren, woher die Briten ihre berzeugung nahmen, ihre kleine Insel sei zur Weltmacht schlechthin berufen. Der typisch englische Nebel hing dicht und fast greifbar in der Luft. Pedersen hatte sich in die Kabine begeben, um der Feuchtigkeit zu entgehen, die seinen Bronchien Beschwerden verursachte, aber sie kroch durch alle Ritzen des Schiffes ins Innere. Er lag in seiner Koje und las in Strindbergs Das rote Zimmer, der Lektre, die er sich fr die Passage besorgt und aufgehoben hatte. Er hatte bisher in keiner anderen Literatur eine so mitreiende Kraft gesprt wie in den Werken Strindbergs. Er war kein Sturm, er war einOrkan. Er sprach nicht, er drckte nicht seine Meinungen aus, er explodierte in Worten. Pedersen folgte nun seit der Abfahrt von Bremerhaven den Abenteuern der Hauptperson Arvid Falk und fand immer mehr Gefallen an dessen Suche nach Freiheit und Wahrheit. Im Wunsch Arvids, sein brgerliches Leben aufzugeben und als Schriftsteller und Journalist zu arbeiten, erkannte er sich selbst und seine eigenen Trume fast gespenstisch genau wieder. Allerdings war er selbst kein Beamter gewesen wie Arvid. Pedersen hatte zahlreiche Berufe ausgebt. Mit 16 Jahren war er aufgebrochen, um Norwegen zu durchwandern, hatte hier und dort gearbeitet, erst als Ladengehilfe, dann als fahrender Hndler und in Hfen; spter hatte er als Gemeindeschreiber sein Geld verdient, aber das Schreiben war seine eigentliche Berufung. Er wusste es, hatte es von Anfang an gewusst, und er sah fr seine Zukunft ganz klar: Er wrde schreiben und wrde gelesen werden; anders konnte es, durfte es nicht sein. Auch seine ersten gescheiterten Versuche -billige und lieblose Drucke durch Verleger, die seinen flehenden Bitten schlielich nachgegeben hatten, nur um ihre Ruhe vor dem aufdringlichen Jngling zu haben- taten seinem festen Glauben an Erfolg keinen Abbruch. Er war ein verbissener Arbeiter, einer, der wusste, dass man fr das, was man erreichen will, kmpfen muss; -er hatte seinen Unterhalt nie leicht verdient, nie im berfluss und sorglos vor sich hinleben knnen. Deshalb hasste er auch die immer weiter um sich greifende Dekadenz. Die Englnder schickten ihre Elite nach Oxford und Cambridge; er, Knut Pedersen vom Hamsund, hatte die Schule des Lebens besucht und war stolz darauf. Aus einfachen, ja rmlichen Verhltnissen hatte er sich langsam aber sicher von der Schaufel zum Griffel hochgearbeitet und wrde das noch weiter tun. Er hatte Empfehlungsschreiben der wichtigsten seiner Landsleute in der Tasche. Ein Kontinent stand ihm offen. Drauen, im Hafen von Southampton hrte er es rumoren, murmeln und rufen im derben Slang der Hafenarbeiter; der Regen schlug heftig auf die Aufbauten des Schiffes und auf das Wasser ringsum. Er hrte neue Passagiere an Bord kommen, Kisten rumpeln, Fe trappeln. Er wrde hier, bei Strindberg und Arvid Falk bleiben und keinen einzigen Blick auf diese Insel werfen, die sich selbst zum Weltreich erklrt hatte und die Knute ber Europa schwang. Ein unangenehmer Husten plagte ihn seit heute Morgen, er glaubte, die feuchte Luft und der Nebel seien daran schuld. Ein wenig Schlaf, dachte er. Dieses Kapitel verschlafen und am besten aufwachen mit dem Blick auf die Kste, auf Amerika, dachte er und schloss die Augen. Bald schon lag England hinter ihm. Da Schiff hatte den offenen Atlantik erreicht.Pedersen tat kaum mehr als zu ruhen, zu lesen und sich Notizen zu machen. An seine versprochene Reportage dachte er wenig. Oft stand er einfach an Deck, ein wenig abseits, und sah auf das offene Meer.

Kaum Farben.Tristes, monochromes Grau von Wolken, Horizont und Wasser. Ein Gemisch aus sprhender Gischt, feuchtem Dunst und dem Dampf der Maschine hllt alles in reizarme Gleichfrmigkeit.Anfangs, in Ufernhe, noch vereinzelt Felsen, verhllt und wieder freigegeben vom kraftlosen Schwappen des Meeres, eher verursacht vom Kiel des Bootes als vom Seegang selbst. Felsen, in regelmigen Reihen, rund und glatt geschliffen, aufblitzend wie die blanken Knchel geballter Fuste. Darauf sprlicher, doch widerstandsfhiger Bewuchs von wahrscheinlich unglaublichem Alter, schon so viel lnger auf der Welt als Mensch und Maschine. Weiter drauen nun nichts mehr dieser Art. Attraktion allein noch die kurze, vom Nebel gedmpfte Ahnung der tiefen Sonne wie hinter einem fr einen Moment weniger dichten Vorhang aus Gaze. Die See wirkt schlfrig, das Schiff geht winzig darber wie ber den sich leise hebenden und senkenden Brustkorb eines schlafenden urzeitlichen Tieres oder gar nur sein schorfiges, ab und an im Traum sich kruselndes Augenlid. Aber man sollte der Oberflche nicht zu viel Bedeutung beimessen, vielmehr muss man sich bewusst sein: Das Treiben und Gewimmel ist in diesem Augenblick den Tiefen unter meinen Fen, unter den Bohlen, noch unter dem glutheien Maschinenraum reserviert. Das Leben in den kalten, grnlich dunklen Weiten wird mannigfaltig sein und fremd fr den, der es nicht studiert hat. Keine Ahnung dort von den Wegen der Entdecker, keine Ahnung von den Triebkrften der Reisenden, ein Ziel jenseits ihrer Heimat ins Auge zu fassen und sich aufz machen. Keine Vorstellung herrscht dort von der alten wie der neuen Welt, der Welt an sich, und es besteht auch kein Bedarf daran. Die Geschichte des Lebens und der Regeln dort unten ist lter, unsagbar viel lter als alles, was uns unverrckbar und mchtig als Gesetz erscheinen mag.

Kapitel

Ich war gerufen worden, um eine Kanne chinesischen Tees in die Kabine des Englnders zu bringen. Ich klopfte und wurde hereingebeten. Der Passagier lag bequem auf dem Sofa, die Beine hochgelegt, und bltterte ziemlich schnell durch ein kleines Buch, offenbar war es nicht sonderlich interessant. Der Mann war gro und krftig. Man hatte mir gesagt, er sei Schauspieler oder Knstler oder so was, deshalb hatte ich ihn mir etwas feiner vorgestellt und war ein wenig enttuscht. Vom Gesicht her htte ich ihn so auf dreiig Jahre geschtzt. Ich bin mit meinem Tablett erst einmal in der Tr stehengeblieben, weil ich nicht wusste, wohin ich es stellen sollte. Die Vorhnge waren zugezogen, deshalb war es recht dunkel in der Kabine. Der Englnder wandte den Kopf zu mir und lchelte freundlich. Oh, der Tee, sagte er freundlich. Seine Stimme klang tief und warm. Ich machte meinen Diener und sah mich um, aber es war kein Tisch oder Stuhl frei. berall lagen Stapel von Bchern und Papieren oder Haufen von Kleidern herum. An der offenen Tr des Schrankes hing ein langer Morgenmantel und aus einem offenen Koffer baumelte der rmel eines weien Hemdes heraus, mit Rschen unten dran. Als der Passagier merkte, was mein Problem war, lachte er und schwang seine langen Beine auf den Boden. Da hast du recht, junger Freund. Eine nicht sehr schmeichelhafte Dekoration fr einen Experten in Sachen sthetik.Er erhob sich, strich sein Haar aus dem Gesicht und kam mit wenigen langen Schritten zu mir herber. Gib es nur mir, ich werde schon einen Platz dafr finden. Er griff mit seinen groen Hnden nach dem Tablett und nahm es mir ab. Ich hab gar nichts gesagt, weil ich nicht wusste, was. Dann hat er sich ganz leicht vor mir verbeugt, wobei er mich aber immer noch direkt angesehen hat. Hat mich wohl fr ein bisschen dumm gehalten, weil ich so stumm war, jedenfalls hat er so geguckt und ein wenig schief gelchelt, so mit nur einem Mundwinkel. Vielen Dank, mein Freund, hat er gesagt, aber es klang nicht, als wrde er sich ber mich lustig machen. Da hab ich auch kurz gedienert und mit dem Kopf genickt und mich dann rckwrts durch die Tr verdrckt.

Whrend der Fahrt hab ich ihn ab und an gesehen. Einmal, so ungefhr eine Woche spter, musste ich ihm das Dinner bringen, was ich gerne tat, denn er hatte bei meiner ersten Begegnung eigentlich freundlich und interessant auf mich gewirkt. Als ich also mit dem Servierwagen bei ihm aufkreuzte, erkannte er mich offenbar nicht wieder. Auch war er nicht so gelst und entspannt wie beim ersten Mal. Ich trat in seine Kabine, die beinahe noch weniger aufgerumt war als zuvor. Der Englnder sa ber den Tisch gebeugt, das lange Haar unordentlich und den Kopf in eine Hand gesttzt. Vor ihm war ein ganzer Turm Bcher aufgehuft, die meisten aufgeschlagen oder mit Lesezeichen versehen. Ein hbsches Notizbuch lag an der Kante des Tisches. Sir?!, sagte ich vorsichtig. Er sah auf, wandte den Kopf trge in meine Richtung und sah mich geistesabwesend an. Seine Lider waren schwer, und insgesamt wirkte er etwas erschpft und mde. Das Dinner, sagte ich und dienerte vorschriftsgem. Erst schien er gar nicht registriert zu haben, was ich gesagt hatte, aber dann verstand er offenbar und lchelte pltzlich wieder auf diese etwas schiefe Art. Ah ja, das Dinner. Verzeihen Sie, junger Freund. Er erhob sich, jetzt wach und schwungvoll, kam zu mir rber und knpfte im Gehen sein Jackett zu.Wollen wir doch einmal sehen, ob sich das Essen heute mit meiner geistigen Nahrung messen kann. Einige Strhnen seines dunklen Haares fielen ihm ins Gesicht, als er sich aufmerksam ber die Glosche beugte, die ich, weil er mir aufmunternd zugenickt hatte, anhob. Grundgtiger!, rief er und ein strahlendes Lcheln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Wie schnell doch ein saftiges Stck Fleisch all die schnen Worte vergessen machen kann. Die Sinne hungern nach Schnem, da ist man sthet, aber der Magen fordert dennoch einen guten Bissen, da bleibt man ein arbeitender Mann, beinahe ein Bauer. Ich verstand nicht ganz, was er damit meinte, deshalb verbeugte ich mich nur erneut und wnschte einen guten Appetit. Ohne groe Umstnde hatte er bereits einen Stuhl gegriffen und direkt vor den Wagen gestellt. Sein Blick galt nun nur noch dem Essen. Aufmerksam betrachtete er die angerichtete Mahlzeit, die Karaffe mit dem Wein, und nickte dann zustimmend. Vielen Dank, junger Freund, sagte er noch laut, als ich bereits in der Tr stand. Offenbar war er jetzt bester Laune. Richten Sie doch dem Koch bitte aus, er habe einen Gast vor dem Verhungern gerettet, jedoch..., sein Blick fiel auf die Serviette in seiner Hand, obwohl dieses Muster beinahe einer Beleidigung gleichkommt. Wiederum nickte ich stumm und zog mich zurck.

Einige Tage spter - die Reise ging ruhig vonstatten und ich war auf dem Weg, einen Auftrag des Captains zu erledigen - traf ich ihn an Deck. Es war kalt und die See war sehr friedlich. Der Englnder stand, gro und aufrecht, im Wind, dick eingemummt in einen warmen Mantel, auch eine Kappe, die ihn noch grer wirken lie, sa auf seinem Kopf. Im Vorbergehen hrte ich ihn mit einem lteren Ehepaar sprechen, das bei ihm an der Reling stand. Die beiden wirkten wie Zwerge neben ihm, er beugte sich im Sprechen zu ihnen hinunter und schien hfliche Konversation zu machen. Ich konnte einige Brocken des Gesprchs aufschnappen, denn der Englnder sprach laut und sehr betont, also konnte ich fast nicht weghren. Verzeihen Sie, sagte er, mit einem Ausdruck des Bedauerns, eine Handflche hinter das Ohr gelegt; er trug elegante Kalbslederhandschuhe, wie ich sehen konnte. Offenbar hatte er die Frage, die der ltere Herr an ihn gerichtet hatte, nicht zur Gnze verstanden. Sie fragten, wie mir die Reise gefalle? Sein Gegenber nickte und bekrftigte sein Interesse. Nun, hob der Gentleman an, kurz innehaltend, als msse er sich eine Antwort auf diese einfache Frage erst grndlich berlegen, dann fuhr er fort: Ich muss doch sagen, ich bin ein wenig enttuscht vom Atlantik. Er wandte den Kopf kurz von seinen Gesprchspartnern ab und blickte zum Wasser hin, dann ergnzte er: Ich stellte ihn mir groartiger vor. Nun streckte er sich wieder zu seiner vollen Gre und sagte mit seinem schiefen Lcheln und den beiden lteren Herrschaften zugekehrt: Der brllende Ozean brllt nicht!, woraufhin alle drei in ein herzliches Lachen ausbrachen. Die ltere Dame schien recht angetan von ihrer Reisebekanntschaft zu sein, und auch ihr Ehemann zeigte sich amsiert. Ich sah ihn dann noch ein paar Mal. Er schien ruhiger und nachdenklicher, sobald er allein war. Oft stand er gegen Abend an der Reling und blickte auf das Wasser.

Das leise Wasser, das vornehm gedmpfte Licht der Sonne und der mit vom Wind spielerisch gekruselten Wolken bekrnzte Horizont malen ein Seestck allerfeinster Art.Unter dem silbergrauen Himmel vorsichtig mit einem Schimmer belegter Schaum auf den Kronen der seichten Wellen. Trges Rollen der Wassermassen in die ein oder andere Richtung, gleichermaen bedeutungslos und ohne Effekt auf das reibungslose Verstreichen der Seemeilen. Nur eine Ahnung von Licht in allem, fern von jedem blendenden Gleien. Nur ab und an finden kleine, spitze Strahlen ihren Weg durch die fein durchbrochene Decke des Dunstes, setzen einer Welle ein Licht auf, das ber sie hinauf- und hinunterrollt und im Versinken mit einem von sich selbst verursachten Reflex auf dem Stahl des Schiffes oder einem noch nicht vom Rost verzehrten Glied einer Kette ein nutzloses, doch hbsches Spiel spielt, solange es ihm gefllt. Zivilisation, Zeit und Hast und Rang sind fern hier ihrer Gltigkeit, dennoch bleibt das Urtreiben des Lebens sichtbar, reduziert auf das blanke Werden und Vergehen. Vgel, mit den seidigen Innenseiten ihrer Flgel das sprliche Licht reflektierend, stehen reglos ber dem Wasser und wissen an einem nur ihnen bekannten Signal abzulesen, wann in die Tiefe zu strzen sich lohnt, um einen Fang zu machen.In der Ferne, so scheint es, sitzen sie unbeeindruckt auf den Kmmen der Wellen, putzen sich, ruhen mit den Schnbeln im Gefieder verborgen, bis der Erste sich vermeintlich grundlos in die Luft erhebt und alle fraglos folgen. Mit einem Wechsel des Lichts wird deutlich, sie ruhten nicht auf magische Weise auf dem Wasser selbst, sondern auf einem Riff, einer Sandbank, dem Auge durch die sich staffelnden Wellen verborgen.