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Vertragsbruch zwischen den Generationen Was tun bei Kritik im Internet? Das Eule-Lerche-Prinzip WWW.BDP-VERBAND.DE G 3777 FACHZEITSCHRIFT DES BDP ZEITSCHRIFT DES BERUFSVERBANDES DEUTSCHER PSYCHOLOGINNEN UND PSYCHOLOGEN E.V. 36. JAHRGANG OKTOBER 2011 10|2011 reportpsychologie WOGE

Leseprobe Report Psychologie 10/11

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Leseprobe Report Psychologie 10/2011: Das Eule-Lerche-Prinzip

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Vertragsbruch zwischen den GenerationenWas tun bei Kritik im Internet?

Das Eule-Lerche-PrinzipW W W . B D P - V E R B A N D . D E

G 3777FACHZEITSCHRIFT DES BDPZEITSCHRIFT DES BERUFSVERBANDES DEUTSCHERPSYCHOLOGINNEN UND PSYCHOLOGEN E.V.36. JAHRGANGOKTOBER 2011

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Elisabeth Hahn, Universität des SaarlandesFranzis Preckel, Universität TrierFrank M. Spinath, Universität des Saarlandes

Das Eule-Lerche-Prinzip:Der Zusammenhang von Chronotyp, Persönlichkeit, Intelligenz und akademischer Leistung

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sammenhang auch nach der Kontrolle von Geschlecht,Persönlichkeitseigenschaften, Intelligenz und Leistungs-motivation bestehen blieb. Ein Artikel in dem Wissens-magazin »Scinexx« wählte in diesem Zusammenhang dieÜberschrift »Schule benachteiligt Eulen« und beschriebdamit das deutsche Schulsystem als ein System, das aufFrühaufsteher zugeschnitten ist. Dieser Nachteil betrifft,wie bereits ausgeführt, insbesondere Jugendliche wäh-rend und nach der Pubertät. In diesem Lebensabschnittrichten viele ihre »innere Uhr« auf die Abendstunden ausund stoßen dadurch in der Schule auf Schwierigkeiten.Frühaufsteher machen laut einer Studie von Randler undFrech (2006) ein deutlich besseres Abitur als Langschlä-fer. Eine Begründung sieht Randler darin, dass Morgen-typen genau dann geprüft werden, wenn sie physisch undkognitiv besonders leistungsfähig sind, während Abend-typen ihr Leistungshoch beispielsweise während der Abi-turprüfung am Morgen noch nicht erreicht haben. Eskönnten also Synchronizitätseffekte sein, die für die bes-seren Leistungen der Frühaufsteher verantwortlich sind.Gleichzeitig könnte das Schlafdefizit der Eulen verant-wortlich sein für deren schlechtere Leistung im Schulall-

tag. An dieser Stelle wird häufig der Einwand vorge-bracht, dass die betreffenden Kinder doch einfach früherins Bett gehen könnten, jedoch genau das gelingt Abend-typen nicht gut. Selbst wenn sie sich zwingen würden,abends früher schlafen zu gehen, um dem Schlafdefizit amMorgen entgegenzuwirken, würde ihnen das Einschlafenschwerfallen. Gemäß ihrer inneren Uhr sind sie einfachnoch nicht müde. Der Abendtyp muss also morgens trotzseines Rhythmus früh aufstehen und kann dem resultie-renden Schlafdefizit nicht effektiv entgegenwirken.Gleichzeitig könnten niedrigere Werte in Bezug auf dieGewissenhaftigkeit einen weiteren Faktor darstellen, wel-cher den negativen Effekt auf schulische Leistungen er-klärt. Auch hier sind weitere Forschungsarbeiten vonnö-ten, insbesondere auch Studien, die bereits im Grund-schulalter einsetzen und das Zusammenspiel von Chro-notyp, Persönlichkeit und akademischer Leistung imLängsschnitt betrachten. Darüber hinaus könnte eine Be-rücksichtigung möglicher vermittelnder Faktoren, wiebeispielsweise unterschiedliche Coping-Strategien, einbesseres Verständnis für den Zusammenhang zwischendem Chronotyp und akademischen Leistungen liefern.

Von den Pflanzen über die Tiere bis hin zum Men-schen, bei allen tickt eine »innere Uhr«, und bei jedemtickt sie etwas anders. Nicht nur der Job bestimmt so-mit, wann wir aufstehen und aktiv sind, sondern eben-so unsere biologische innere Uhr. Wissenschaftlerinnenund Wissenschaftler bezeichnen diese individuelle Prä-ferenz als Chronotyp und unterscheiden Morgen- undAbendtypen. Abschließend bleibt festzuhalten: DerChronotyp ist mit den beiden Kernbereichen der diffe-renziellen Psychologie, Persönlichkeit (Big Five) und In-telligenz, korreliert und zeigt darüber hinaus systema-tische Zusammenhänge zu akademischer Leistung.Während eine stärkere Präferenz für den Morgentyppositive Zusammenhänge zur Gewissenhaftigkeit, Ver-träglichkeit und schulischen Leistungen aufweist, kor-reliert eine stärkere Orientierung zum Abendtyp posi-tiv mit Extraversion und kognitiven Fähigkeiten. DiesesBefundmuster weist den Chronotyp als hochinteres-santes und psychologisch relevantes Konstrukt sowohlfür Fragen der grundlagenorientierten als auch der an-wendungsbezogenen Forschung aus.

Z U S A M M E N F A S S U N G

There is a circadian clock ticking for plants, animals,and humans – and it ticks differently for all of us. Notonly the alarm clock or the job control determineswhen we get up and when we are active but also ourinternal biological clock. Scientists call this type of individual preference chronotype and they distinguishbetween morning and evening types. Chronotype correlates with the two main research areas of differential psychology, personality (Big Five) and intelligence, and shows systematic relationships toacademic performance, as well. A greater preferencefor morningness indicates positive correlations toconscientiousness, agreeableness, and academic performance, whereas a stronger orientation to eveningness is positively correlated with extraversionand cognitive abilities. This pattern demonstrates,that chronotype is a highly interesting and psychologically relevant construct for both, questionsof basic research and applied research.

A B S T R A C T

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Früherkennung von Auffälligkeiten möglich?(cs) Kann man leichte Entwicklungsauffälligkeiten bereits im

ersten Lebensjahr zuverlässig diagnostizieren? Dieser Frage

gehen Wissenschaftler des Zentrums für Kinder- und

Jugendmedizin Heidelberg nach. Jedes zehnte Kind in

Deutschland kommt als Frühchen zur Welt und trägt damit

ein höheres Risiko für Entwicklungsprobleme als reif

geborene Kinder. Gemeint sind damit leichte bis schwere

Beeinträchtigungen der Bewegung oder geistigen Entwick-

lung. Während schwere Störungen inzwischen zuverlässig im

Laufe des ersten Lebensjahres diagnostiziert werden können,

gibt es bisher keine etablierte Methode zur Früherkennung

der leichten Auffälligkeiten. »Eine frühe Diagnose ist

allerdings wichtig, um betroffene Kinder, die z.B. an einer

Aufmerksamkeitsstörung leiden, von Anfang an optimal

fördern zu können«, erklärt Professor Joachim Pietz von der

Klinik für Neuropädiatrie in Heidelberg.

Hier setzt die Forschung an: Sie baut auf verschiedenen

experimentellen Methoden auf, die bereits seit mehreren

Jahren erprobt werden. Ein Ansatz ist die Analyse der

spontanen Bewegungen bei Säuglingen im korrigierten Alter

von drei Monaten. Die zweite Methode ist die sogenannte

Blickzeitanalyse. »Wir gehen davon aus, dass in diesem

frühen Alter die motorische und die geistige Entwicklung

noch eng miteinander verknüpft sind«, erklärt Dr. Diplom-

Psychologin Gitta Reuner. »Daher wollen wir in diesem

Projekt prüfen, ob die Analyse der Motorik und der Blickzeit

Hinweise auf leichte Störungen der kognitiven Entwicklung

bei Säuglingen geben kann. Außerdem untersuchen wir, wie

frühe Auffälligkeiten in den motorischen Mustern mit der

späteren geistigen Entwicklung zusammenhängen.«

Die Studie ist auf zwei Jahre ausgelegt. In dieser Zeit werden

200 Kinder, bei denen bereits eine Blickzeitanalyse

durchgeführt wurde, nachuntersucht. So wollen die

Wissenschaftler klären, wie aussagekräftig die Ergebnisse für

die spätere Entwicklung der Kinder sind. In einem weiteren

Studienzweig analysiert das Team zunächst die Spontanmoto-

rik und später die Blickzeit ehemaliger Frühchen und

vergleicht diese Ergebnisse mit dem Abschneiden der Kinder

in einem Entwicklungstest.

Der Workshop, zu dem dieSektionen Aus-, Fort- und

Weiterbildung (AFW) und Ange-stellte und beamtete Psychologen(ABP) Vertreter der BV Studierende,des DK-Vorstands und den Fachre-ferenten des Verbands nach Frank-furt/Main eingeladen hatten, hattesich zum Ziel gesetzt, für Bachelor-Studierende und -Absolventen An-gebote des BDP zu entwickeln, sieüber Ausbildungs- und Berufsper-spektiven zu informieren und ihnenim BDP eine Heimat zu geben. Be-handelt wurden folgende Aspekte:n Situation von Studierenden undAbsolventen im Studium und beimBerufseinstiegn Einrichtung eines Forums im In-ternet, in dem Informationen ver-mittelt und Erfahrungen ausge-tauscht werden können n Öffentlichkeitsarbeit in Form vonVorträgen und Tagungen zum BSc

Zur Situation im Studium Umfragen und Gespräche ergeben,dass Studierende in Bachelor-Studi-engängen mit dem Hauptfach Psy-chologie (BScPsych) im Prinzip diegleichen Probleme benennen, die ausdem Diplom-Studiengang bekanntsind: Studieninhalte bzw. -schwer-punkte, Studienbedingungen undMaßstäbe der Bewertung von Studi-enleistungen unterscheiden sich vonStudienort zu Studienort. GenauereInformationen darüber sind schwerzu bekommen und wären überdieswegen fehlender Freiheitsgrade beider Studienortswahl (n.c.) kaum ver-wertbar.Für den BScPsych potenzieren sichdiese Probleme: Die Konkurrenz umeine insgesamt zu geringe Zahl vonStudienplätzen entsteht nicht nurbeim ersten Einstieg in einen Psy-chologie-Studiengang, sondernauch für die Weiterqualifizierungzum Master of Science (MSc), ggf.ein drittes Mal für die Aufnahme ineinen WeiterbildungsstudiengangPsychotherapie. Die Angebote an

Studienplätzen für MScPsych unddie Aufnahmekriterien dafür sindnoch unübersichtlicher als fürBScPsych; für den Zugang zu einerPsychotherapieausbildung gilt Ähn-liches.Erschwerend kommt hinzu, dass esaußer der von der DGPs empfohle-nen Zeitstruktur (sechs SemesterBSc plus vier Semester MSc) an ei-nigen Unis (insbesondere in Baden-Württemberg) das Modell acht Se-mester BSc plus zwei Semester MScgibt. Zusätzlichen Konkurrenzdruckverursacht die Fern-Uni Hagen, dieeine große Zahl von BScPsych aus-bildet, aber kein Studienangebot fürMScPsych bereitstellt. Im Vergleich mit den Studierendenin Diplom-Studiengängen zeigensich BscPsych-Studierende deshalbin stärkerem Maße verunsichert, obsie ihr gewünschtes Studienziel er-reichen können, und berichten übereine Verschlechterung des Studien-klimas (Konkurrenz statt Koopera-tion). Hinzu kommt die in allen Fä-chern beklagte Erhöhung des Zeit-und Leistungsdrucks bei gleichzeiti-gem Verlust von Freiheitsgraden beider Studiengestaltung (z.B. Aus-landssemester, Praktika).

Zu den BerufsaussichtenDer BSc wird vom Gesetzgeber zwarals berufsqualifizierend definiert,konkrete Berufsbilder fehlen jedochnoch weitgehend. Der BDP hat Vor-schläge erarbeitet, bei Arbeitgebernsind BScPsych – soweit sie über-haupt bekannt sind – aber nochnicht in Stellenplänen verankert.Versuche, berufstätige BScPsychausfindig zu machen und zumWorkshop einzuladen, führten nichtzum Erfolg. Die wenigen, die ge-funden wurden, berichteten vonsehr unterschiedlichen Vorausset-zungen und Bedingungen ihrer Tä-tigkeit.Alles deutet darauf hin, dass einsehr hoher Anteil an BScPsych eineWeiterqualifizierung zum MSc an-

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Wer, wenn nicht wir? BDP-Workshop in Frankfurt/Main verständigt sich über Projekte zur Verbesserung

der Situation von Psychologiestudierenden

Auch dieses Jahr besteht die Möglichkeit, Stifterbriefe zu erwerbenund damit die Förderung besonders talentierter Studierender imHauptfach Psychologie zu unterstützen. Den »Silbernen Stifterbrief«erhalten Spender und Spenderinnen, die an die Stiftung EUR 250,-überweisen, den »Goldenen Stifterbrief« erhält, wer EUR 500,-überweist. Diese Spenden dienen ausschließlich der Erhöhung desStiftungskapitals, die Zinsen werden nur für Stipendien verwendet.Selbstverständlich sind auch Einzelspenden in beliebiger Höhemöglich. Die Studienstiftung ist für jede finanzielle Unterstützungdankbar. Seit 1994 vergibt die Studienstiftung Deutscher Psycho-logen e.V. Stipendien an Studierende im Hauptfach Psychologie. DieStudienstiftung ist als gemeinnützige Einrichtung anerkannt.Spenden sind steuerlich absetzbar.

Studienstiftung:Konto-Nummer 045 815 099, Kreissparkasse Köln, BLZ 370 502 99

Stifterbriefe helfen bei der

Nachwuchsförderung

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Ruhe im Hirnareal verbessert Gedächtnis(cs) Wer sich ein paar Hundert Bilder ansieht, wird sich später

an manche erinnern können, andere hingegen vergessen

haben. Welche davon betroffen sind, lässt sich bereits an der

Hirnaktivität kurz vor Betrachten eines Bildes erkennen, wie

Forscher herausgefunden haben. Kennt man die

entscheidenden Aktivitätsmuster, lässt sich damit sogar die

Gedächtnisleistung merklich steigern.

Die Forscher um Julie Yoo vom Massachusetts Institute of

Technology in Cambridge (US-Bundesstaat Massachusetts)

baten ihre Probanden, 250 Landschaftsaufnahmen für jeweils

wenige Sekunden anzuschauen und sich möglichst viele der

Fotos zu merken. Dabei untersuchten sie die Hirnaktivität der

Probanden mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomo-

grafie. Es ergab sich ein klarer Zusammenhang: Sank die

Aktivität einer bestimmten Hirnregion vor der Präsentation

des Bilds, erinnerte sich der Proband später mit höherer

Wahrscheinlichkeit an das Bild.

Die Wissenschaftler hatten sich dabei auf eine Hirnregion

konzentriert – den parahippocampalen Kortex –, die

maßgeblich daran beteiligt ist, szenische Informationen

abzuspeichern. Sind die Neurone in diesem Gebiet sehr aktiv,

verhindert dies offenbar ein erfolgreiches Ablegen im

Langzeitgedächtnis.

Im zweiten Teil ihres Experiments präsentierten Yoo und

Kollegen ihren im Scanner liegenden Probanden immer nur

dann ein Bild, wenn sich die Hirnaktivität auf ein günstiges

Niveau eingependelt hatte. Bei anschließenden

Wiedererkennenstests konnten sich diese Testpersonen

signifikant mehr Fotos merken: Sie schnitten im Mittel um 30

Prozent besser ab.

Edition des wissenschaftlichen Briefwechsels von Wundt im Internet(cs) Wissenschaftler des Instituts für Psychologie der

Universität Leipzig haben erstmals eine Edition des

wissenschaftlichen Briefwechsels von Wilhelm Maximilian

Wundt erstellt. Sie ist ab sofort im Internet einsehbar. Wundt,

der 1879 in Leipzig das erste Institut für experimentelle

Psychologie gegründet hat, zählt zu den großen Gelehrten

seiner Epoche. Die erste Edition soll in den kommenden

Jahren noch komplettiert werden. Bisher sind etwas mehr als

1200 Briefe seines wissenschaftlichen Nachlasses digitalisiert,

etwa 300 davon transkribiert, sowie chronologisch

und exemplarisch nach Adressaten und strukturell nach

angesprochenen Themen klassifiziert.

www.uni-leipzig.de/~wundtbriefe

strebt. Das gilt vor allem für dieje-nigen, die das Studium direkt nachdem Abitur aufgenommen haben.Etwas anders könnte sich die Situa-tion für BScPsych darstellen, die be-reits eine Berufsausbildung oder ei-nen Studienabschluss in einem an-deren Fach haben.Für die im Bachelor/Master-Modellangelegte Möglichkeit, ein Master-Studium erst nach einigen JahrenBerufserfahrung und/oder berufs-begleitend zu absolvieren, fehlt esbisher an Angeboten und Vorbil-dern.Weiter kompliziert wird die Situa-tion auf dem Arbeitsmarkt durcheine zunehmende Zahl von Kombi-nationsstudiengängen mit unter-schiedlich hohem Psychologie-An-teil sowie durch nicht konsekutiveinterdisziplinäre Master-Programme.Zur Verunsicherung trägt auch derEU-Qualifikationsrahmen bei. DiePosition des BDP, eine fünfjährigeAusbildung mit einem Mindestan-teil an Psychologie im Curriculumzur Voraussetzung für eine Aner-kennung als Psychologe zu machen,ist als Maßnahme zur Qualitätssi-cherung und zum Schutz vorschlechter ausgebildeter Konkur-renz aus anderen Ländern generellakzeptiert. Im Einzelfall sehenBScPsych ihre Einstufung als (noch)Nichtpsychologen aber als Härteoder sogar Diskriminierung an.

Projekte zur Verbesserung der LageEs besteht Übereinstimmung, dassder BDP zu einer Verbesserung derobjektiven Situation von BScPsychnur langfristig und in Kooperationmit anderen Verbänden (insbeson-dere DGPs) und Institutionen bei-tragen kann. Dies betrifft das Stu-dium (hinreichendes Platzangebot,die Angleichung von Studienbedin-gungen, die Erleichterung von Orts-und Programmwechseln, aber auchgezielte Angebote zur Weiterquali-fikation/Brückenkurse) und den Ar-beitsmarkt.Kurzfristig sollen zunächst Ange-bote erarbeitet werden, die zu einerbesseren Information und Vernet-zung von BScPsych beitragen unddamit zur Verbesserung ihrer Kom-petenzen zur Bewältigung der Si-tuation. Dazu sind vorgesehen:

n Projekt »Informationen bündeln,Diskussionsforum schaffen«Die bisher an verschiedenen Stellenvom BDP bereitgestellten Informa-tionen sollen zu einem Reader ge-bündelt werden, und FAQs zusam-mengestellt und fortlaufend aktua-lisiert werden. Geprüft wird dieMöglichkeit der Einrichtung einesChatrooms.Federführend ist der Referent fürFachpolitik, Fredi Lang; unterstütztwird er von Dr. Gislinde Bovet(AFW), Elisabeth Götzinger (ABP)und der BV Studierende.n Projekt »Berufserfahrungen vonBScPsych sammeln und auswerten«Mit den bisher ausfindig gemachtenberufstätigen BScPsych sollen struk-turierte Interviews geführt werden(berufliche Biografie, soziales Um-feld, Motivation für den Berufsein-tritt). Zusätzlich sollen fortgeschritteneBScPsych-Studierende zu ihren Per-spektiven befragt werden. GislindeBovet, Stefan Dutke und GerhardtBachmann (AFW) arbeiten daran.n Projekt »Organisation von Vorträ-gen/ Tagungen«Aufgaben: Erstellen einer Präsenta-tion, Gewinnung von Referenten,Organisation von Vorträgen. Dabeisollen Gesamtverband, Sektionenund Studierende eng zusammenar-beiten, die Veranstaltungen evalu-ieren und die Unterlagen regelmä-ßig fortschreiben. Federführend istUlrike Hess (DK-Vorstand); die BVStudierende und die Bundesge-schäftsstelle wirken mit.Die Teilnehmer des Workshops hof-fen auf eine Beteiligung möglichstvieler BDP-Mitglieder an diesenVorhaben. Die Teilnehmer desWorkshops appellieren an die Mit-glieder, Bachelor-Studierenden und-Absolventen, den Weg in eine er-folgreiche berufliche Zukunft alsPsychologen zu ebnen und damitauch die Zukunft des BDP zu si-chern. Die genannten Ansprech-partner freuen sich auf Vorschlägeund Angebote zur Kooperation.Inge Lindner, Sektion AFW

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Große Teile dieses Textes entstanden vor mehr alszwölf Jahren. Ich musste ihn nicht stark umschreiben,

lediglich an einigen Stellen die Gegenwarts- mit der Vergan-genheitsform tauschen und Tschernobyl durch Fukushima er-setzen. Das Wesentliche hat sich nicht geändert.

Das Thema »Jugend und Gewalt« war schon vor Jahren,in den 90ern, mehrfach Aufmacher in den Medien. Es ver-band sich mit Berichten über wachsende Ausländer-feindlichkeit, den Gewalttätigkeiten von Lichtenhagenund anderenorts, den Attentaten von Mölln und Solingen.Die Akteure waren hier fast nur Jugendliche, die in ihremHandeln ein erschreckendes, von vielen ungeahntes Maßan Gewalt zeigten. Eine Untersuchung über Gewalt undihre Ursachen an Hamburger Schulen ergab ganz ähnlicheErklärungsversuche, wie wir sie heute lesen. Elternver-bände forderten ihre Mitglieder auf, nicht mehr weg –,sondern endlich stärker hinzuschauen. Eltern selbst mach-ten inaktive und reaktionslose, quasi durch ihre eigenen68er- Traditionen gelähmte Lehrer verantwortlich für ag-gressive Schüler im Unterricht. Die Polizei schlug vor, zufiltern (das Wort »selektieren« wurde nicht benutzt) undmit Sanktionen wie natürlich auch therapeutischen Maß-nahmen zu helfen. (»Gerade noch die Kurve gekriegt«,hätten damals Jugendliche gesagt.) Kultusminister for-derten mehr Angebote für Schüler am Nachmittag nachdem Motto: »Wer was zu tun hat, kommt nicht so leichtauf dumme Gedanken.« Vielleicht ein kluger Gedanke.Die GEW plädierte für eine neue Kinder- und Jugendpo-litik mit einem System die Familien ergänzender Erziehungund vielfältigen Freizeitmöglichkeiten.Psychologen erkannten (zum wievielten Mal?) den zuhohen Leistungsdruck in dieser unserer Gesellschaft,prangerten Ellenbogenmentalität und Egoismus an undverlangten für die Kids Freiräume zur Selbstauseinan-dersetzung (das Leben eine einzige Selbsterfahrungs-gruppe unter Anleitung erfahrener Therapeuten?). Leh-rer schließlich konstatierten die Gewaltzunahme, be-klagten ihre schlechte pädagogische Ausbildung in die-ser Hinsicht und wünschten sich didaktische Aufrüstung,um dem Problem besser entgegentreten zu können.Jeder Standpunkt war für sich gesehen so falsch nicht.Aber die vereinzelten Diskussionen fanden nicht zumgroßen Zusammenhang, sie kreisten um den heißenBrei. Auch die seriöse Wissenschaft hatte sich des The-mas bemächtigt; zahlreiche Untersuchungen, zum Bei-spiel des Deutschen Jugendinstituts oder aus dem Bie-lefelder universitären Großraum, waren erschienen. Al-len gemeinsam war sorgfältiges Arbeiten, differenziertesBemühen um Klärung nicht zu einfacher Fragestellungenund nicht zuletzt der Anspruch, mit repräsentativenStichproben umzugehen.Auch das war so falsch nicht, im Gegenteil: Eine Füllefundierter Daten stand zur Verfügung, warf weitere Fra-gen auf, vielleicht für weitere Untersuchungen?Die Ereignisse im August in England bringen mich dazu,erneut anzuregen, einen anderen Weg zu gehen, sich der

gewalttätigen Jugend nicht ganz so wissenschaftlich-se-riös oder aus der Sicht partikulärer Standpunkte anzunä-hern. Aufregend wie gefährlich daran ist, dass wir dieserJugend wirklich begegnen müssen, sie gegebenenfallssogar begreifen oder verstehen werden und dass wir al-lesamt dabei mit unserer gewiss nicht geringen Berufs-und Lebenserfahrung arbeiten können. Unausweichlichwird auch sein, Aspekte unserer eigenen Jugend abzu-gleichen mit dem, was Jugend heute heißt.Unstrittig ist wohl, dass bei unseren Jugendlichen keinGewalt erzeugender Gensprung aufgrund erhöhter Son-nenfleckentätigkeit oder wegen Fukushima stattgefun-den hat; exogene Faktoren können wir ausschließen.Diese Abklärung ist ebenso banal wie wichtig. Damitkommen wir geradewegs und ohne Umwege zum Ein-stieg in die Erkenntnis, dass in dem überaus komplexenund komplizierten System des Miteinanderlebens, daswir Gesellschaft nennen, zunehmende Gewalttätigkeitvon Jugendlichen nur endogene Gründe haben kann.Generell lässt sich sagen, dass im erwünschten wie im un-erwünschten Verhalten von Kindern und Jugendlichen im-mer der Zustand einer Gesellschaft abgebildet wird. Ju-gend ist Indikator für Verwerfungen und Brüche in derkollektiven Struktur, reagiert dabei äußerst sensibel undintensiv. Es ist das schon immer ausgeübte Vorrecht jun-ger Menschen, das Regelsystem ihrer Gesellschaft mitseinen Normen, Werten und Zielvorstellungen zu hinter-fragen und damit Bewährtes von Überholtem zu trennen,Vorschläge für Innovationen zu machen und sich letztlichmit diesem Prozess konstruktiv in die Lebensumstände zuintegrieren. Jugendliche kommen, wenn man sie nichtschon früh frustriert, mit hohem moralischen Standard aufdie Erwachsenenwelt zu. Sie messen und bewerten für Er-wachsene oft überzogen den vor ihnen liegenden Le-bensabschnitt aus ihrer Sicht.Was das heißt, sagt besser als tausend Worte ein klei-nes Märchen, nachzulesen in der Sammlung der Ge-brüder Grimm – wenn es auch manchem bekannt seinsollte. Lassen wir es in seiner alten Schreibweise auf unswirken:

Der alte Großvater und der EnkelEs war einmal ein steinalter Mann, dem waren die Au-gen trüb geworden, die Ohren taub, und die Knie zit-terten ihm. Wenn er nun bei Tische saß und den Löffelkaum halten konnte, schüttete er Suppe auf das Tisch-tuch, und es floss ihm auch etwas wieder aus demMund. Sein Sohn und dessen Frau ekelten sich davor,und deswegen musste sich der alte Großvater endlichhinter den Ofen in die Ecke setzen, und sie gaben ihmsein Essen in ein irdenes Schüsselchen. Da sah er betrübtnach dem Tisch, und die Augen wurden ihm nass. Ein-mal auch konnten seine zitterigen Hände das Schüssel-chen nicht festhalten, es fiel zur Erde und zerbrach. Diejunge Frau schalt, er aber sagte nichts und seufzte nur.Da kauften sie ihm ein hölzernes Schüsselchen für einpaar Heller, daraus musste er nun essen. Wie sie da so

Vertragsbruch zwischen den Generationen Hintergründe jugendlicher Gewaltbereitschaft

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sitzen, trägt der kleine Enkel von vier Jahren auf der Erdekleine Brettlein zusammen. »Was machst du da?«, fragteder Vater. »Ich mache ein Tröglein«, antwortete dasKind, »daraus sollen Vater und Mutter essen, wenn ichgroß bin.« Da sahen sich Mann und Frau eine Weile an,fingen endlich an zu weinen, holten den alten Großva-ter an den Tisch und ließen ihn von nun an immer mitessen, sagten auch nichts, wenn er ein wenig verschüt-tete. (Aus: Kinder- und Hausmärchen, gesammelt durchdie Brüder Grimm, Göttingen 1840, 4. Auflage, 1. Band).Horst Petri schreibt in seinem Buch »Umweltzerstörungund die seelische Entwicklung unserer Kinder« (Kreuz,Zürich 1992) unter dem Stichwort »Vergiftung der Kind-heit« unter anderem von »desintegriertem Sozialverhal-ten der jungen Generation und einem beunruhigendenVertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust gegenüber Er-wachsenen und speziell den politisch Verantwortlichen«.Wir wissen aus vielen Befragungen, ich aus meiner all-täglichen Therapie- und Beratungspraxis, dass Kinderkeine naiven Wesen sind, die in einer heilen Pumuckel-Welt leben. Sie sind stattdessen meist recht gut infor-miert über die Schattenseiten, kennen das Böse nicht ausden grimmschen Märchen, sondern aus der »Tages-schau«. Die negativ erlebte und real auch so existente Umweltkann in der Binnenwelt kindlicher Psyche zu Identi-täts- und Entwicklungsstörungen führen, sich zum Bei-spiel in der viel diskutierten »Umwelt- und Zukunfts-angst« von Kindern und Jugendlichen ausdrücken. Kin-der erleben zu Recht die vielfältige Bedrohung und Zer-störung der Umwelt als Angriff auf ihre Zukunft. Zu ih-rem archaischen Verständnis des Generationenvertragsgehört, auch wenn sie es nicht so formulieren, derSchutz ihrer Grundrechte auf Leben, Gesundheit, Ent-wicklung und Zukunft durch die Erwachsenen. Diese Loyalitätsverpflichtung gegenüber ihren Kindernhat die Erwachsenengeneration seit Jahrzehnten sträf-lich vernachlässigt, im direkten Wortsinn. Der Bruch un-geschriebener, gerade deswegen aber moralisch hochwirksamer Verträge zwischen den Generationen kannbei den Betrogenen Rachegefühle und Vergeltungsag-gressionen produzieren. Ein Potenzial an Wut und Ge-walt, das sich fast beliebig gegen sich selbst, Altersge-nossen, die andere Generation oder leicht zu fokussie-rende Randgruppen der Gesellschaft richten kann, ent-steht.»Was soll ich euch achten, wenn ihr mich nicht achtet«,war die Antwort eines Jugendlichen auf die entspre-chende Frage.Die Problematik jugendlicher Gewalt verlangt von unsBeratern und Therapeutinnen nicht nur, nach draußenzu gehen statt überholter »Komm-Struktur«, sondernnoch viel mehr. Wir werden nicht umhinkönnen, unser(doch wohl hoffentlich vorhandenes) gesellschaftspoli-tisches Denken und Handeln auch in unserer Arbeitdeutlich werden zu lassen. Wir haben auch die Aufgabe,neben aller therapeutisch notwendigen Akzeptanz undToleranz für die Palette menschlicher Äußerungsfor-men, auf Defizite kollektiver Entwicklung und die psy-chische Gefährdung einer ganzen Generation hinzu-weisen und Lösungsvorschläge zu machen.

Es wäre fatal, das menschliche Miteinander der her-kömmlichen Politik zu überlassen. Sie ist, wie man jasieht, damit überfordert, braucht Impulse und persön-liches Engagement aus einer Berufsgruppe, die wiekeine andere kompetent sein sollte, das Zusammenle-ben von Menschen individuell wie kollektiv zu verste-hen, Entwicklungen zu prognostizieren und konstruktivzu gestalten.Es gilt, eine neue Diskussion über Normen und Werteeiner Gesellschaft, über Maßstäbe gemeinsamen Le-bens zu initiieren, zu begleiten, an ihr zu partizipieren. Kinder und Jugendliche werfen mit ihrem gewalttätigenVerhalten Fragen auf, die nur als praktische Umsetzungin die Lebensumstände beantwortet werden können.Der Klient »Familie« (Kinder, Jugendliche, Eltern)braucht gesellschaftlich real existente Beraterinnen undBerater (Jungen vor allem die männliche Form!). In The-senform heißt das:1. Jugendliche heute sind nicht defizitärer, radikaler oderabsonderlicher als Jugendliche früher.2. Die Lebenssituation heute ist defizitärer, bedrohlicherund bedrückender als die mancher Generation zuvor.3. Der archaische Generationenvertrag ist von den Er-wachsenen mehrfach verletzt worden: ökologisch, öko-nomisch und nicht zuletzt im komplexen gesellschaftli-chen Wertesystem.4. Auf die existenzielle Bedrohung ihrer positiven Per-spektiven reagieren Jugendliche aggressiv gegen sichund andere. Diese »Notwehrreaktion« ist oft zugleich il-legal und in einem anderen Verständnis legitim, auf je-den Fall ein Warnsignal für die Elterngeneration.5. Wenn Jugendliche ihre Zukunft durch Verantwor-tungsflucht der älteren Generation beschädigt sehen,dann ist auch die Gegenwart der Verantwortungsträgerbeschädigt und defizitär.6. Beide Unterzeichnerseiten des Generationenvertrageshätten somit ein hohes Motiv, den gesellschaftlichenKonflikt gemeinsam zu lösen.7. Auf jugendliche Aggression müssen die Älteren ant-worten mit einer kritischen Reflexion ihrer eigenen Ver-gangenheit und der daraus folgenden, so folgenschwe-ren Konstruktion ihrer Gegenwart.Ein letzter Satz: Ein Bumerang kann nun mal nicht an-ders, als zurückzukehren. Die Kunst besteht darin, ihnzu fangen, ohne von ihm erschlagen zu werden.Dr. Klaus NeumannBDP-Präsidiumsbeauftragter für Kindeswohl und Kinderrechte

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