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34 0708|2014 LIEBEN UND LEBEN Von drinnen ruſt ihr Freund, er W er die Welt verän- dern möchte, soll- te einiges auf dem Kasten haben. Von Katell Gélébart weiß man vor dem Treffen vor allem, dass sie eine ziemlich wilde Vergangenheit hat. Protest, Parolen, Polizei – so jemand muss eine Rebellin sein. Doch dann, als sie endlich vor einem steht, in der Ein- gangstür eines unscheinbaren Hauses in dem italienischen Küstenort Cattolica nahe Rimini, ist von Wildheit über- haupt keine Spur. Katell Gélébart hält eine bauchige Tasse mit indischem Tee in der Hand, gerade ist sie vom Bauern- markt zurückgekehrt, den Korb voller erntefrischem Obst und Gemüse. Durch ihre langen schwarzen Haare ziehen sich die ersten grauen Linien. Sie hat die Haare rasch zu einem Dutt verknotet, und trotzdem sieht das ungemein ele- gant aus. kann ein starker Antrieb sein. Sie hat auch Katell Gélébart bewegt. Wenn die junge, wilde Katell Gé- lébart ihr älteres, heutiges Ich sehen könnte, vielleicht würde sie dann sagen: „Was machst du denn da? Geh weg von der Nähmaschine, raus auf die Straße, bewege dich.“ Die jetzige Katell Gélébart, 40 Jahre alt, erwidert der Jüngeren: „Es hat keinen Sinn, anderen Leuten Flyer in die Hand zu drücken, sie anzuklagen und überzeugen zu wollen. Mach es wie Mahatma Gandhi, sei selbst die Verän- derung, die du dir wünschst für diese Welt.“ TEDDY WIRD SCHAL Am einfachsten beschreibt man das Handwerk von Katell Gélébart als Müll- design. Die Künstlerin und Begründe- rin des Labels „Art d’Eco“ selbst mag dieses Wort nicht. Den Abfall, den sie verwendet, nennt sie ungewolltes oder nennt sie bei ihrem selbst gewählten Namen für Meditationsstunden, Samu- dra, indisch für „der Ozean“. Wo ist nur die Rebellin hin? Man hört sie nur ein- mal fluchen. Ganz leise, als später beim Nähen an der Maschine eine Naht nicht da sitzt, wo sie sein soll. Die Biografie, die vor einiger Zeit über sie erschien, trägt den Untertitel: „Wie Katell Gélébart die Welt verändert“. Wie das früher ablief, ist klar. Als Stu- dentin rannte sie – die Polizei auf den Fersen – über die Champs Élysées und sprühte Graffiti auf die Bänke aus Tro- penholz „Das ist das Blut von Naturvöl- kern“. Bei einer Demonstration gegen Atomkraſt in Tschechien inszenierte sie eine Heirat mit einem russischen Akti- visten, den sie gerade mal einen halben Tag lang kannte. Nach der offiziellen Hochzeit erwuchs daraus tatsächlich eine Liebe, die ein paar Jahre hielt. Wut Alte neu verpackt Wut, Früher war Katell Gélébart eine lautstarke Umweltaktivistin, heute sind ihre Waffen Design und Nähmaschine. TEXT: Diana Laarz // FOTOS: Sascha Montag

LIEBEN UND LEBEN Wut - zeitenspiegel.de · 34 0708|2014 LIEBEN UND LEBEN W er die Welt verän- Von drinnen ruft ihr Freund, er dern möchte, soll-te einiges auf dem Kasten haben

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L I E B E N U N D L E B E N

Von drinnen ruft ihr Freund, er Wer die Welt verän-dern möchte, soll-te einiges auf dem Kasten haben. Von Katell Gélébart weiß

man vor dem Treffen vor allem, dass sie eine ziemlich wilde Vergangenheit hat. Protest, Parolen, Polizei – so jemand muss eine Rebellin sein. Doch dann, als sie endlich vor einem steht, in der Ein-gangstür eines unscheinbaren Hauses in dem italienischen Küstenort Cattolica nahe Rimini, ist von Wildheit über-haupt keine Spur. Katell Gélébart hält eine bauchige Tasse mit indischem Tee in der Hand, gerade ist sie vom Bauern-markt zurückgekehrt, den Korb voller erntefrischem Obst und Gemüse. Durch ihre langen schwarzen Haare ziehen sich die ersten grauen Linien. Sie hat die Haare rasch zu einem Dutt verknotet, und trotzdem sieht das ungemein ele-gant aus.

kann ein starker Antrieb sein. Sie hat auch Katell Gélébart bewegt.

Wenn die junge, wilde Katell Gé-lébart ihr älteres, heutiges Ich sehen könnte, vielleicht würde sie dann sagen: „Was machst du denn da? Geh weg von der Nähmaschine, raus auf die Straße, bewege dich.“ Die jetzige Katell Gélébart, 40 Jahre alt, erwidert der Jüngeren: „Es hat keinen Sinn, anderen Leuten Flyer in die Hand zu drücken, sie anzuklagen und überzeugen zu wollen. Mach es wie Mahatma Gandhi, sei selbst die Verän-derung, die du dir wünschst für diese Welt.“

TEDDY WIRD SCHALAm einfachsten beschreibt man das Handwerk von Katell Gélébart als Müll-design. Die Künstlerin und Begründe-rin des Labels „Art d’Eco“ selbst mag dieses Wort nicht. Den Abfall, den sie verwendet, nennt sie ungewolltes oder

nennt sie bei ihrem selbst gewählten Namen für Meditationsstunden, Samu-dra, indisch für „der Ozean“. Wo ist nur die Rebellin hin? Man hört sie nur ein-mal fluchen. Ganz leise, als später beim Nähen an der Maschine eine Naht nicht da sitzt, wo sie sein soll.

Die Biografie, die vor einiger Zeit über sie erschien, trägt den Untertitel: „Wie Katell Gélébart die Welt verändert“. Wie das früher ablief, ist klar. Als Stu-dentin rannte sie – die Polizei auf den Fersen – über die Champs Élysées und sprühte Graffiti auf die Bänke aus Tro-penholz „Das ist das Blut von Naturvöl-kern“. Bei einer Demonstration gegen Atomkraft in Tschechien inszenierte sie eine Heirat mit einem russischen Akti-visten, den sie gerade mal einen halben Tag lang kannte. Nach der offiziellen Hochzeit erwuchs daraus tatsächlich eine Liebe, die ein paar Jahre hielt. Wut

Alteneu verpacktWut,

Früher war Katell Gélébart eine lautstarke Umweltaktivistin, heute sind ihre Waffen Design und Nähmaschine.

TEXT: Diana Laarz // FOTOS: Sascha Montag

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ungenutztes Material. Sie schneidert aus Kaffeepackungen Handtaschen, vernäht alte Stoffteddys zu Schals, der Papierkorb in ihrem Arbeitszimmer war einmal ein Zementsack. Für ihre Arbeit wurde Gélébart im vergangenen Jahr mit dem Kairos-Preis ausgezeichnet, einem der höchstdotierten Kulturpreise in Europa. Bei der Verleihung zeigte sie, wie sie aus einer weggeworfenen Jalou-sie einen Lampenschirm bastelt. Ganz klein wirkte die zierliche Gélébart auf der großen Bühne. Aber ihre Botschaft kam an: Wenn die Welt nicht am Müll ersticken soll, müssen wir alle lernen, das ungewollte Material lieb zu haben.

Katell Gélébart hat beschlossen, die Welt zu verändern, indem sie ein gutes Beispiel abgibt. Auch diesen Satz wird sie nicht mögen. Weil er ihr zu oberleh-rerhaft klingt. Es funktioniert trotzdem genau so. Manchmal, erzählt Gélébart, begegne sie nach Jahren alten Bekann-

sie überallhin begleitet: Ökoballerinas. Der Stoff aus alten Kleidungsresten, die Sohle aus Naturkautschuk oder Reifen-gummi.

PRÄZISION ZÄHLTFür ein paar Monate hat sich Katell Gélébart in die Wohnung ihres Freun-des Gianni nach Italien zurückgezogen. Ihr Atelier befindet sich im Dachge-schoß seines Hauses, durch die Dach-luken fällt erstaunlich viel Licht in den Raum. Gélébart hat Stühle mit hellem Stoff überzogen, auf dem Bett liegt eine Orchidee mit rosafarbenen Blüten, auf dem Nachttisch flackert eine Kerze, aus den Radiolautsprechern klimpert Kla-viermusik. Das Atelier ist ein Ort des Rückzugs – maximale Wohlfühlatmo-sphäre.

Ein Kick mit dem Fuß auf das Pedal und die altersschwache Pfaff-Näh-maschine, 20 Kilogramm schwer,

ten, die sagen, sie würden beim Anblick einer leeren Olivenöldose denken: „Was würde Katell wohl damit machen?“ Und dann denken sie sich selbst etwas aus. Gélébart, im Übrigen, hat die Dose längs aufgeschnitten und bewahrt darin Garnrollen auf.

Der Kairos-Preis hat ihr Leben ver-ändert. Katell Gélébart bekommt jetzt Geld für ihre Arbeit, ist bekannt, die Projekte werden größer, sie kann mehr Einfluss nehmen, für mehr Menschen ein Beispiel sein. Gerade hat sie in Kiew zusammen mit Regisseur Volker Schlöndorff an einer Oper für ukraini-sche Waisenkinder gearbeitet, Gélébart entwarf die Kostüme. Wie eine Noma-din zieht sie mit ihrer Mission um die Welt, hält Vorträge, näht, erklärt. Über den Winter fährt sie nach Indien, um dort mit Näherinnen zu arbeiten, da-nach nach Neuseeland. Sie hat ein neu-es Produkt in ihrem Überseekoffer, der

Das Wort Abfall mag Katell Gélébart nicht. Lieber spricht sie von ungewoll­tem Material, aus dem sie Taschen, Jacken und Ballerinas näht.

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übersetzt bedeutet das „Ende der Welt“. Das war es natürlich nicht ganz, nur ziemlich weit weg von allem. Von ihrer Mutter lernte sie Nähen, ihr erstes Werk waren Schuhe für ihre Puppen, die Soh-len aus ausrangierten Neoprenanzügen. Als Katell Gélébart mit 16 Jahren zum ersten Mal nach Paris fuhr, kam es ihr so vor, als würde sie auf Weltreise gehen. Ihre Heimat sieht sie heute nur noch einmal im Jahr. In der Biografie wird Gélébarts Mutter mit den Worten zitiert: „Ihr Leben ist kein langer, ruhiger Fluss. Wenn ich an Katell denke, sehe ich sie auf Eisenbahngleisen gehen, beladen mit Taschen.“

erwacht mit einem Getöse wie von einer Dampflok zum Leben, der Tisch bebt. Das Kabel hält nur noch mit ei-nem Klebestreifen und viel gutem Willen an der Maschine fest. Unbeein-druckt schiebt Gélébart die Stoffbahnen unter der ratternden Nadel hindurch. Sie näht an einem neuen Paar Balle-rinas. Auf jeden Millimeter kommt es an. „Ich kann ja später nicht Größe 37 als 38 verkaufen.“ Als Vorbild auf dem Tisch steht ein Paar, das aus der Bett-decke ihrer Urgroßmutter entstanden ist. „Das ist die präziseste Arbeit, die ich je gemacht habe.“

Als Katell Gélébart später eine Naht immer wieder auftrennen muss, die Nadel immer wieder an der Sohle abrutscht und bricht, wird ihr Mund schmal vor Ärger, sie seufzt laut auf. „Vielleicht eine Pause?“ Jeden Tag diese Fummelarbeit an der Nähmaschine, das wäre nichts für sie. Gélébart entwirft lie-ber mit schwungvollen Linien, verlässt sich beim Schneidern eher auf ihr Ge-fühl als auf Schnittmuster. Aus früheren Jahren hat sie zwei ukrainische Freun-de, die nahe der Stadt Charkow zu Hau-se sind, zwei Meister an der Nähmaschi-ne. Die haben nach ihren Anweisungen in den vergangenen drei Monaten 180 Paar Ballerinas genäht, jede Naht sitzt millimetergenau.

METAMORPHOSENKatell Gélébart war nie eine Perfektio-nistin. Sie wird es wohl auch nie werden, auch wenn sie es noch so sehr möchte. Sie ist gut darin, in einem Gegenstand oder einem Stoff mehr zu entdecken, als auf dem ersten Blick sichtbar ist. Das Regal in ihrem Atelier ist übervoll mit dem, was andere Menschen nicht mehr haben wollten: Postsäcke aus Italien, Reste japanischer Seidenkimonos. Ihre Sicherheitsnadeln bewahrt sie in alten Pillenschachteln auf, aus CDs macht sie Deckel für Notizblöcke, den Zucker löffelt sie mit einem Plastikeislöffel in ihren Tee. Im Atelierregal stehen auch ihre Skizzenbücher. In einem hat sie mit Bleistift notiert: „Liebe dich selbst, dann lieben dich auch die anderen.“

Katell Gélébart stammt aus dem Dorf Le Conquet in der französischen Bretagne, die Gegend heißt Finistère,

weil das in Italien ein Unding ist, aber sie serviert dem französischen Gast den Cappuccino danach mit formvollende-ter Verbeugung.

An vielen Bemerkungen wird deut-lich, dass Katell Gélébart in Cattolica nicht zu Hause ist. Im Sommer hält sie sich fern von den übervollen Stränden von Rimini. Sie verabscheut die Disco-Beats, die dann über das Meer schallen. Das Haus ihres Freundes findet sie zu dunkel. Ein Heim hat Katell Gélébart nicht. Die Sehnsucht danach ist in den vergangenen Jahren gewachsen. Sie hat die halbe Welt bereist, weiß aber nicht, wo sie sich niederlassen soll. „Ich habe zu viel Auswahl, das ist das Problem.“

NEUE GEDULD Ein Gespräch mit Katell Gélébart ist eher eine Plauderei. Sie wird nicht laut, sie ist direkt, aber nie unangenehm. Sie sagt, dass die Menschheit auf eine öko-logische Katastrophe zusteuere, aber sie sagt es mit demselben Gleichmut, mit dem sie auch über hochnäsige Design-StudentInnen spricht. Da ist kaum noch Wut übrig. Wo sie geblieben ist, darüber kann man nur spekulieren. Ein guter Teil davon ist sicher in einem indischen Aschram verraucht, in dem sie sieben Jahre lang lebte, viele kleine Teile ste-cken in jedem Werk, das Katell Gélébart schneidert. Sie glaubt jetzt, dass ihr Weg vorherbestimmt ist, und sie möchte die-sen Weg ruhig und überlegt beschreiten.

Wie ist das jetzt mit dem großen Ziel, die Welt zu verändern? „Ja. Ich ver-ändere etwas“, sagt Katell Gélébart mit einer Stimme, die keinen Widerspruch zulässt. Manchmal dauert es Jahre, bis eine Veränderung sichtbar wird. Katell Gélébart hat inzwischen die Geduld ge-funden, darauf zu warten.

„Mach es wie Mahatma Gandhi,

sei selbst die Veränderung, die du dir wünschstfür diese Welt.“

Katell Gélébart

Es ist Mittag in Cattolica, ein grauer Tag, den auch das Meer nicht aufzuhellen vermag. Katell Gélébart hat einige Klei-dungsstücke in eine Boutique gebracht. T-Shirts, die FreundInnen nicht mehr tragen wollten, Kleider, die zu klein ge-worden waren. Gélébart hat neue Stof-fe aufgenäht, Kragen angeknöpft, den Schnitt verändert und verkauft die Kre-ationen nun weiter.

Jetzt sitzt sie im Café von Claudia. „Die einzige weltoffene und innovative Person in dieser Stadt“, sagt Gélébart. Wenn sie eine Freundin in Cattolica hat, dann ist es Claudia. Die Cafébetrei-berin sammelt leere Kaffeepackungen, damit Gélébart daraus Taschen nähen kann. Beinahe jeden Tag zur Mittags-zeit kehrt die Designerin bei Claudia ein. Und wenn Gélébart zum Essen ei-nen Cappuccino bestellt, dann schlägt Claudia zwar in gespielter Verzweiflung die Hände vor dem Gesicht zusammen,

Christ ine Eichel: Die Müll­designerin. Wie Katel l Gélébart die Welt verändert.Scorpio Verlag, 19,60 Euro

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1 2 Cafébetreiberin Claudia sammelt leere Kaffeepackun­gen, damit Katell Gélébart daraus Taschen nähen kann.

3 Für einige Monate lebt Katell Gélébart im italieni­schen Badeort Cattolica. Im Haus ihres Freundes hat sie ihr Atelier im Dachgeschoss eingerichtet.

4 Von ihrer Mutter lernte Katell Gélébart das Nähen. Ihr erstes Werk waren Puppenschuhe mit Sohlen aus alten Neoprenanzügen. Heute sind es Ballerias, die sie entwirft.

5 Leere Nudelpackungen sind das Ausgangsmaterial für die chice Jacke, designed by Katell Gélébart.

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