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Langenbecks Arch Chir (1990) 375:3-4 Lange_nbecks Archav f. Chirurgie © Springer-Verlag 1990 Limitierte Speiser6hrenchirurgie? J. R. Siewert Chirurgische Klinik und Poliklinik, Technische Universit/it Mfinchen, Klinikum rechts der Isar, Ismaninger Strage 22, D-8000 Miinchen 80 Historisch gesehen war die Oesophagektomie - nicht zuletzt bedingt durch das erste sp/it be- herrschte Risiko der Thoracotomie - die gr6gte chirurgische Herausforderung in der Behandlung des Speiser6hrenkrebses. Dies mag erkl/iren, wa- rum auch heute noch erhebliche Bemfihungen um die technische Verbesserung der Oesophagektomie erfolgen; dies obwohl das Risiko in der chirur- gischen Therapie des Speiser6hrenkrebses fiberwie- gend der Rekonstruktion der Speisepassage und nicht der Oesophagektomie als solcher entstammt. Die Todesursachen-Analyse im eigenen Kran- kengut zeigt, dab nur 12% unserer Patienten an direkten Folgen der Oesophagektomie verstorben sind (eine Nachblutung, eine Tracheall/ision), wei- tere 12% an nur m6glicherweise auf die Oesophag- ektomie zu beziehende respiratorische Komplika- tionen (beide Patienten batten allerdings auch eine prfioperative Chemotherapie); 53% der Patienten dagegen verstarben an chirurgischen Komplikatio- nen, die urs/ichlich auf die Rekonstruktion der Speisepassage zu beziehen waren. Die fibrigen 23 % erlagen Dekompensationen ihrer Zweiterkrankung (Lebercirrhose, coronare Herzkrankheit). Diese Fehlinterpretation, dab die Oesophagek- tomie die eigentliche Gef/ihrdung ffir den Patienten darstellt, hat in den letzten Jahren zur Wiederent- deckung der transmediastinalen Oesophagektomie geffihrt und fiber kurze Zeit die Hoffnung genfihrt, durch derart limitierte Eingriffe unter Vermeidung der Thoracotomie das Risiko der chirurgischen Therapie des Oesophaguscarcinoms senken zu k6n- nen. Inzwischen ist klar geworden, dal3 die trans- mediastinale Oesophagektomie keineswegs die L6- sung des Problems gebracht hat; immerhin ist aber diese ffir bestimmte Indikationen sehr wfinschens- werte Alternative als Folge dieser Fehleinsch/itzung vermehrt ausgeffihrt und damit standardisiert wor- den und so zu einem Routineeingriff der Oesopha- guschirurgie geworden. Vor diesem Hintergrund ist es verstfindlich, dab dieser Weg, fiber die Modifikation der Oesophag- ektomie eine Risikosenkung herbeizuffihren, ira- met welter verfolgt wird. Konsequentester L6- sungsversuch ist in diesem Sinne die in diesem Heft beschriebene endoskopisch-mikrochirurgische Oesophagektomie. Uneingeschr~tnkt Hochachtung hat der Tatsache zu gelten, dab eine Oesophagekto- mie auf diesem Weg technisch durchffihrbar ist; wenngleich die Erfahrungen mit der stumpfen Dis- sektion zur Erklfirung herangezogen werden k6n- hen. Was palpatorisch, zum Tell ohne Sicht risiko- arm m6glich ist, sollte unter endoskopischer Sicht mit speziell entwickeltem, geeignetem Instrumenta- rium erst recht gelingen. Die vorgelegten Untersu- chungsergebnisse deuten sogar darauf hin, dab dies endoskopisch besser und iibersichtlicher gelingt; zumindest scheint die Senkung der Rate an Recur- rensparesen darauf hinzuweisen. Die Methodik ist somit erarbeitet, ihr Einsatz ist zu diskutieren. Die Diskussion um die onkologische Vertret- barkeit derartiger limitierter Oesophagektomien ist im Zusammenhang mit der stumpfen Dissektion in den letzten Jahren intensiv geffihrt worden und soll hier nicht wiederholt werden. Alle Argumente ffir und wider die stumpfe Dissektion gelten auch fiir die endoskopisch-mikrochirurgische Oesophagek- tomie. Welche Indikationen sind f~r ein solches Verfahren denkbar? Offenbar profitieren nach fibereinstimmenden An- gaben in der Literatur die frfihen Oesophaguscarci- home (T~_3 No) am meisten von den sog. radika- len Verfahren (en-bloc Oesophagektomie). Sie

Limitierte Speiseröhrenchirurgie?

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Page 1: Limitierte Speiseröhrenchirurgie?

Langenbecks Arch Chir (1990) 375:3-4 Lange_nbecks Archav f. Chirurgie © Springer-Verlag 1990

Limitierte Speiser6hrenchirurgie?

J. R. Siewert

Chirurgische Klinik und Poliklinik, Technische Universit/it Mfinchen, Klinikum rechts der Isar, Ismaninger Strage 22, D-8000 Miinchen 80

Historisch gesehen war die Oesophagektomie - nicht zuletzt bedingt durch das erste sp/it be- herrschte Risiko der Thoracotomie - die gr6gte chirurgische Herausforderung in der Behandlung des Speiser6hrenkrebses. Dies mag erkl/iren, wa- rum auch heute noch erhebliche Bemfihungen um die technische Verbesserung der Oesophagektomie erfolgen; dies obwohl das Risiko in der chirur- gischen Therapie des Speiser6hrenkrebses fiberwie- gend der Rekonstruktion der Speisepassage und nicht der Oesophagektomie als solcher entstammt.

Die Todesursachen-Analyse im eigenen Kran- kengut zeigt, dab nur 12% unserer Patienten an direkten Folgen der Oesophagektomie verstorben sind (eine Nachblutung, eine Tracheall/ision), wei- tere 12% an nur m6glicherweise auf die Oesophag- ektomie zu beziehende respiratorische Komplika- tionen (beide Patienten batten allerdings auch eine prfioperative Chemotherapie); 53% der Patienten dagegen verstarben an chirurgischen Komplikatio- nen, die urs/ichlich auf die Rekonstruktion der Speisepassage zu beziehen waren. Die fibrigen 23 % erlagen Dekompensationen ihrer Zweiterkrankung (Lebercirrhose, coronare Herzkrankheit).

Diese Fehlinterpretation, dab die Oesophagek- tomie die eigentliche Gef/ihrdung ffir den Patienten darstellt, hat in den letzten Jahren zur Wiederent- deckung der transmediastinalen Oesophagektomie geffihrt und fiber kurze Zeit die Hoffnung genfihrt, durch derart limitierte Eingriffe unter Vermeidung der Thoracotomie das Risiko der chirurgischen Therapie des Oesophaguscarcinoms senken zu k6n- nen. Inzwischen ist klar geworden, dal3 die trans- mediastinale Oesophagektomie keineswegs die L6- sung des Problems gebracht hat; immerhin ist aber diese ffir bestimmte Indikationen sehr wfinschens- werte Alternative als Folge dieser Fehleinsch/itzung vermehrt ausgeffihrt und damit standardisiert w o r -

den und so zu einem Routineeingriff der Oesopha- guschirurgie geworden.

Vor diesem Hintergrund ist es verstfindlich, dab dieser Weg, fiber die Modifikation der Oesophag- ektomie eine Risikosenkung herbeizuffihren, ira- met welter verfolgt wird. Konsequentester L6- sungsversuch ist in diesem Sinne die in diesem Heft beschriebene endoskopisch-mikrochirurgische Oesophagektomie. Uneingeschr~tnkt Hochachtung hat der Tatsache zu gelten, dab eine Oesophagekto- mie auf diesem Weg technisch durchffihrbar ist; wenngleich die Erfahrungen mit der stumpfen Dis- sektion zur Erklfirung herangezogen werden k6n- hen. Was palpatorisch, zum Tell ohne Sicht risiko- arm m6glich ist, sollte unter endoskopischer Sicht mit speziell entwickeltem, geeignetem Instrumenta- rium erst recht gelingen. Die vorgelegten Untersu- chungsergebnisse deuten sogar darauf hin, dab dies endoskopisch besser und iibersichtlicher gelingt; zumindest scheint die Senkung der Rate an Recur- rensparesen darauf hinzuweisen. Die Methodik ist somit erarbeitet, ihr Einsatz ist zu diskutieren.

Die Diskussion um die onkologische Vertret- barkeit derartiger limitierter Oesophagektomien ist im Zusammenhang mit der stumpfen Dissektion in den letzten Jahren intensiv geffihrt worden und soll hier nicht wiederholt werden. Alle Argumente ffir und wider die stumpfe Dissektion gelten auch fiir die endoskopisch-mikrochirurgische Oesophagek- tomie.

Welche Indikationen sind f~r ein solches Verfahren denkbar?

Offenbar profitieren nach fibereinstimmenden An- gaben in der Literatur die frfihen Oesophaguscarci- home (T~_3 No) am meisten von den sog. radika- len Verfahren (en-bloc Oesophagektomie). Sie

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stellen somit wohl keine Indikation fiir limitierte Verfahren dar. Fortgeschrittene Tumoren k6nnen wohl technisch nur schwer oder nur mit erh6htem Risiko endoskopisch entfernt werden und stellen somit wohl auch keine Indikation dar. So wird am ehesten auch fiir das endoskopische Vorgehen ebenso wie f/Jr die stumpfe Dissektion die Entfer- nung der ,,gesunden Speiser6hre" beim Kardiacar- cinom bzw. beim Adenocarcinom im distalen En- dobrachyoesophagus eine Indikation abgeben.

Bleibt die Tatsache, dab die Oesophagektomie nur einen Teilaspekt der chirurgischen Therapie des

Oesophaguscarcinoms darstellt. Die risikotr/ichti- gere Rekonstruktion mug auch nach endosko- pisch-mikrochirurgischer Oesophagektomie erfol- gen. Diese Frage wird bislang wohlweislich noch ausgespart. Erst in der Gesamtabrechnung wird sich zeigen, ob die endoskopische Oesophagekto. mie tatsfichlich einen Fortschritt darstellt oder ob sie nur eine Erweiterung des chirurgischen Verfah- rensspektrums der Oesophagektomie um eine neue Spielart darstellt.