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Lost in Transition? Strukturelle Rahmenbedingungen für frühen Schulabgang in europäischen Staaten Winfried Moser Korinna Lindinger

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Page 1: Lost in Transition? Strukturelle Rahmenbedingungen für frühen Schulabgang in europäischen Staaten Winfried Moser Korinna Lindinger

Lost in Transition?Strukturelle Rahmenbedingungen für frühen

Schulabgang in europäischen Staaten

Winfried Moser Korinna Lindinger

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Einleitung

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ESL: zunehmend im wiss. und pol. FokusBisherige Studien:• Fokus: persönliche Lebensumstände• Identifikation von Zielgruppen („Benachteiligte“)• Ziel: Entwicklung von Maßnahmen• Praxisorientiert ABER Gefahr der Defizitorientierung!Diese Studie:• System statt Individuum• Bildungssysteme erzeugen typische Problemlagen• ESL = Leistungsmerkmal des Bildungssystems• Methode: internationaler Vergleich• Ziel: Ansatzpunkte für Diskurs über allgemeine

strukturelle Reformen

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ESL-Raten in Europa

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2004-2011, 18- bis 24-Jährige (Median)

4%

40%scheinbar niedrige AT-Lage,im Fokus zwei Erklärungsansätze ...

(a) Transitionssystem (Übergang zum Beruf)(b) Schulsteuerung (Pflichtschule)

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Transition: Übergang von Schule in Beruf

Kopplung von Bildungsstrukturen und Arbeitsmarktstrukturen

Teil 1: Transitionssysteme

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Dimension 1: Arbeitsmarktstrukturen

In Bezug auf Arbeitsmarktorganisation und „prototypische“ Besetzung von Erwerbspositionen unterscheidet die Transitionstheorie:

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Occupational Labour Markets (OLM)

Internal Labour Markets(ILM)

• Arbeitsmärkte nach Professionen segmentiert

• Arbeitsmärkte nach Organisationen/Unter-nehmen segmentiert

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LegendeLK 2011 ● 2004

Berufsspezifität: Anteil Anteil 15- bis 24-Jähriger in Berufsbildung (ISCED 3) 2004 und 2011

Eurostat, LFS 2004 und 2011; IKEB 6

Dimension 2: Kopplung BS & AM

ILM

OLM

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Dimension 3: Verschränkung BS & WR

• Auch große Unterschiede in der Verfasstheit der nationalen Berufsbildungssysteme/Lehrsysteme

• Position der Betriebe/Professionen

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Österreich Norwegen• Durchgängig duales Prinzip• Direkter Einstieg in den Betrieb• Zugang durch Personalabteilung

der Betriebe

• Schulische Grundausbildung• Betriebliche Fachausbildung• Offener Zugang zu Lehre (Recht)

Collective Skill Formation• Staat, Sozialpartner und Betriebe

haben aktive Rolle

Statist Skill Formation• Staat/Schule stärkere Rolle

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Dimension 3: Verschränkung BS & WR

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Signalwirkung von Bildungszertifikaten: Durchschnittliche Transitionsdauer in Monaten

Eurostat, LFS adhoc 2009; IKEB

high linkag

e

low linkage

Durc

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onat

en

LegendeLK

durchschnittliche Transitionsdauer Gesamt

Differenz durchschnittliche Transitionsdauer

SEK II und ESL

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Transitionstypologie

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Internal Labour Markets

• Arbeitsplatzpassung findet im Arbeitsmarkt statt

→ Allgemeinbildung

→ niedrige Signalwirkung v. Bildungszertifikaten

Occupational Labour Markets

• Arbeitsplatzpassung findet im Bildungssystem statt

→ Berufsbildung

high linkage OLM• Collective Skill Formation

Regimes→ hohe Signalwirkung v.

Bildungszertifikaten

low linkage OLM• Static Skill Formation

Regimes→ niedrigere Signalwirkung v.

Bildungszertifikaten

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1010

ESL-Raten 2004-2011, 18- bis 24-Jährige (Median)

OLMHohe

Signalwirkung von Bildungs-abschlüssen

→ hohe Folgekosten

von ESL

ILMNiedrige

Signalwirkung von

Bildungs-abschlüssen→ niedrigere Folgekosten

von ESL

Eurostat, LFS 2004-2011; IKEB

Fazit

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Teil 2: Schulsteuerung• Teil 2: Von der Sek II zur Pflichtschule ...• Welche strukturellen Merkmale wirken auf ESL?

– Schulpfl., Tracking, MH, Klassengr.: wenig bis kein Einfluss– Schulsteuerung: wichtiger Faktor!

• Wie lässt sich Steuerung beschreiben?• WER (Akteure) steuert WAS (Bereiche)? 1. Klassische Sicht: hierarchisches System (Verordnung)2. Modernere Ansätze (EG): Mehrebenensystem– viele Akteure machen Schule– Große Antagonisten: LehrerInnen-Schulbehörde– „ungleiches, aber zwangsverbundenes Paar“

3. Welche Bereiche müssen geregelt werden?11

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Schulsteuerung: Regelungsbereiche

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organisatorischer Bereich pädagogischer Bereich• Einstellung von LehrerInnen• Kündigung von LehrerInnen• Einstiegsgehälter festlegen• Lohnerhöhungen festlegen• Schulbudget formulieren• Budgetzuweisung in d. Schule

• Disziplinarmaßnahmen • Leistungsbewertung• Aufnahme von SchülerInnen• Lehrbücher• Lehrplan für einzelne Fächer• Fächerangebot

Kombination aus Akteuren und Regelungsbereichen = drei idealtypische Dimensionen für Regelungsstrukturen

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Regelungsstrukturen: 3 Dimensionen

Autonomie S B

Unterricht ●

Organisation ● ●

Zentralismus S B

Unterricht ● ●

Organisation ●

Diskrepanz B S B

Unterricht ● ●

Organisation ● ●

Diskrepanz A S B

Unterricht ●

Organisation ●

Interaktion S B

Unterricht ● ●

Organisation ● ●

BürokratischesModell

Professions-Modell

Dim 1

Dim 2

Dim 3

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Organisatorischer und pädagogischer Bereich durch EINEN AKTEUR dominiert

Organisatorischer und pädagogischer Bereich durch VERSCHIEDENE AKTEURE dominiert

Organisatorischer und pädagogischer Bereiche durch die Akteure GEMEINSAM VERWALTET

AUTONOMIEGRAD

DISKREPANZ-SCHWERPUNKT

MEHREBENEN-KOOPERATION

Zu jeder Dimension:

• Hypothesenbildung: zu erwartender Zusammenh mit ESL

• Empirische Ergebnisse

Dimensionen, nicht Cluster!

Schulsteuerung eines Staates: Mischung aus diesen drei Dimensionen.

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Dimension 1: AutonomiegradWie kann denn Schulautonomie die ESL-Rate beeinflussen?

Hypothese A:Nur LehrerInnen haben alle Informationen, um auf päd. Herausforderungen adäquat reagieren zu können, nicht die Schulverwaltung > Autonomie. ABER: Die Schulverwaltung steht nicht im Klassenzimmer!

Hypothese B:Hohe Autonomie ist ein Hinweis auf Schulsysteme, in denen die Lehrerschaft eine starke Profession bildet. Solche Systeme sind aber nicht durch Autonomie allein gekennzeichnet. Hohe Unterrichtsqualität kommt durch ein ganzes Bündel von Merkmalen zustande.

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Dimension 1: Autonomiegrad

Eigenschaften von Schulsystemen mit stark professionalisiertem Bildungsbereich:• berufliche Standards von LehrerInnen selbst ...– entwickelt: Bildungsforschung & LehrerInnenbildung– geprüft: Evaluation stärker unter berufspraktischen

Gesichtspunkten (Entwicklung statt Kontrolle)• Berufliche Kooperation spielt eine wichtige Rolle– Team-Unterricht, Team-Supervision, gegenseitige Unterrichts-

Beobachtung, Feedbackkultur– wichtiger Aspekt: Selbst-Evaluation der Lehrer

• Zugang zum Beruf durch Profession kontrolliert15

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Dimension 1: Autonomiegrad

Empirische Ergebnisse zum Autonomiegrad• zentralistisch verwaltete Bildungssysteme:– AT, DE, Südeuropa, FR

• Autonome Bildungssysteme:– Skandinavien, UK, Osteuropa (!)

• Autonomere Systeme weisen signifikant niedrigere ESL-Raten auf!

• Osteuropa! Vergleichbares Transitionssystem PLUS hohe Autonomie

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Page 17: Lost in Transition? Strukturelle Rahmenbedingungen für frühen Schulabgang in europäischen Staaten Winfried Moser Korinna Lindinger

Dimension 2: Diskrepanzschwerpunkt

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organisatorischer Bereich pädagogischer Bereich• Einstellung von LehrerInnen• Kündigung von LehrerInnen• Einstiegsgehälter festlegen• Lohnerhöhungen festlegen• Schulbudget formulieren• Budgetzuweisung in d. Schule

• Disziplinarmaßnahmen • Leistungsbewertung• Aufnahme von SchülerInnen• Lehrbücher• Lehrplan für einzelne Fächer• Fächerangebot

Diskrepanz: Bereiche durch unterschiedliche Akteure dominiert.

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Dimension 2: Diskrepanzschwerpunkt

Merkmale unterschiedlicher Diskrepanzschwerpunktea. Schule: päd+, orga-

– AT, DE, weitere Staaten ohne geographisches Muster– Problem (NBB): Unterrichtsentwicklung nicht abzusichern– Autonomie als Farce, als rhetorisches Konzept (Rürup)– höhere ESL-Raten

b. Schule: päd-, orga+– Staat: setzt Standards (Bildungsziele, Schulbücher, Schüleraufnahme)– Schule: stellt päd. Teams zusammen, um Standards zu erreichen– Die meisten Staaten, Skandinavien ohne FI, Osteuropa– niedrigere ESL-Raten

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Page 19: Lost in Transition? Strukturelle Rahmenbedingungen für frühen Schulabgang in europäischen Staaten Winfried Moser Korinna Lindinger

Dimension 3: Mehrebenenkooperation

• Merkmal: päd. u. org. Handlungsfelder von Lehrern UND Schulbeh. GEMEINSAM beeinflusst

• Warum ist MEK für ESL wichtig?• Innovationsforschung: Fehlende Kooperation >

Kommunikationsarmut > keine „change agents“ > Innovationsträgheit, Stillstand

• „Wenn viele Akteure die Regelungsstruktur bevölkern, entsteht (zwangsläufig) Interaktion“

• Schulsteuerung wird aktiver und kooperativer• pädagogische Innovationen > weniger ESL

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Dimension 3: Mehrebenenkooperation

• Empirische Erg. zur Mehrebenenkoop. (MEK)• Niedrig: ganz Südeuropa und FR (bür. Typ),

auch CZ, SE (aut. Typ)• Hoch: tendenziell in Osteuropa und

Skandinavien, aber auch in DE und CH!• AT: Liegt zwischen diesen beiden Gruppen• Staaten mit höherer MEK weisen signifikant

niedrigere ESL-Raten auf20

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Fazit

• Fazit: Der ESL-Anteil in AT ist zwar aufgrund unseres Transitionssystems relativ niedrig

• Kein Verdienst aktueller Reformen!• Basiert auf großkoalitionären Kompromissen

& Weichenstellungen d. Nachkriegsjahrzehnte– Grundlegende Schulreformen sind machbar!

• Beruht nicht auf der strukturellen Verfasstheit unseres Pflichtschulwesens!

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Fazit• Warum wird volles Potenzial (ESL-Rate 3-4%) nicht erreicht?

– geringe Autonomie im organisatorischen Bereich– Scheinautonomie im päd. Ber. (inkonsist. Schulsteuerung)– schwache Professionsbildung– ausbaufähige Mehrebenen-Kooperation

• Stärkung Personalautonomie = möglicher Ansatzpunkt• Ist in Österreich exzeptionell niedrig (Bsp DE, CH)• Kritische Distanz ist dennoch wichtig

– nur Indizien, keine Beweise!– zentrale Zuteilung der LehrerInnen hat auch Vorteile– nicht vergessen, dass für positive Effekte auch Randbedingungen

zutreffen müssen ...

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Fazit

• Wird Autonomie tatsächlich als Impulsgeber für Professionsbildung gesehen?

• Wie können Lehrerinnen Akteure einer realitätsnäheren Bildungsforschung werden und ...

• Formen der Selbstevaluation entwickeln, ...• zB durch kooperative Unterrichtsformen (Vereinzelung

im Klassenzimmer aufbrechen)• MEK: Entwicklung eines vertrauensvollen Dialoges

zwischen Schulen und Bildungsverwaltung• DANN sind positive Auswirkungen zu erwarten

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DANKE FÜR DIE AUFMERKSAMKEIT!

[email protected]@ikeb.atwww.ikeb.at

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Beispiel Personalautonomie

Entwicklungen: 2000 2003 2006 2009 2012DE 18% 22% 39% 55% -CH 52% 77% 73% 85% 88%AT 33% 22% 26% 33% 33%

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Rolle der Schule bei Einstellung von Lehrenden

SCHULE ENTSCHEIDET NICHT MIT

SCHULE ENTSCHEIDET MIT

SCHULE ENTSCHEIDET ALLEIN

Mehr Personalautonomie könnte positive Effekte haben, ABER NUR WENN ...