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Kunsthistorisches Institut der Universität Zürich Sommersemester 2001 Assistenz: lic. phil. Karin Gimmi Tutorat: Eva Frosch Seminar „Amerikanische Architektur im 20. Jahrhundert: Beispiel Philadelphia“ Prof. Dr. Stanislaus von Moos Louis I. Kahn: Vorschläge für die Stadterneuerung von Philadelphia 3. Juni 2001 von Claudia Hunziker Keller Beckenhofstrasse 70 8006 Zürich Tel./Fax 01/ 364 21 88 E-mail: [email protected]

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Kunsthistorisches Institut der UniversitätZürich

Sommersemester 2001

Assistenz: lic. phil. Karin Gimmi

Tutorat: Eva Frosch

Seminar „Amerikanische Architektur im

20. Jahrhundert: Beispiel Philadelphia“

Prof. Dr. Stanislaus von Moos

Louis I. Kahn: Vorschläge für dieStadterneuerung von Philadelphia

3. Juni 2001von

Claudia Hunziker KellerBeckenhofstrasse 70

8006 ZürichTel./Fax 01/ 364 21 88

E-mail: [email protected]

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Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG .......................................................................................................... 3

2. DAS FUNKTIONALE PHILADELPHIA: FRÜHE STADTPLÄNE VON LOUIS I.KAHN (1939–1948) .................................................................................................... 5

2.1 Die ideale amerikanische Stadt: Rational City Plan (1939) .................................................................... 6

2.2 Funktionale Trennung als Basis für Wiederbelebung: North Triangle Redevelopment (1945–1948) 8

3. DER STADTPLAN VON PHILADELPHIA ALS EXPERIMENTIER-FELD FÜRNEUE IDEEN (1952–1962) ...................................................................................... 10

3.1 Verkehrsstudien als Grundlage für Order of Movement (1952/53) ..................................................... 11

3.2 Stadtdesign basierend auf der Form des Civic Forum (1956/57) ......................................................... 13

3.3 Die Strasse als Gebäude: Viaduct Architecture (1961/62) .................................................................... 16

4. DIE STADT ALS MONUMENTALES GEBÄUDE: ANALOGIEN ZWISCHENSTADTPLANUNG UND ARCHITEKTUR................................................................. 17

4.1 Served and servant spaces........................................................................................................................ 18

4.2 No connectors............................................................................................................................................ 20

5. DIVERGENZEN IN DER STADTPLANUNG VON LOUIS I. KAHN UND EDMUNDN. BACON ................................................................................................................ 21

5.1 Städteplanerische Vorbilder .................................................................................................................... 22

5.2 Umgang mit dem bestehenden Kontext .................................................................................................. 25

5.3 Philosophie versus Pragmatik: Ein Konflikt zwischen Architekt und Landschaftsplaner?............... 27

6. SCHLUSSWORT.................................................................................................. 29

BIBLIOGRAPHIE ..................................................................................................... 33

ANHANG A: ABBILDUNGEN .................................................................................. 36

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1. EinleitungLouis I. Kahn (1901-1974) war einer der bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts.

Anfangs beeinflusst von der Architektur der Moderne, distanzierte er sich allmählich von

deren Dogmen und fand zu einer eigenen architektonischen Ausdrucksweise. Das von Kahn

initiierte Prinzip der Trennung von bedienten und dienenden Räumen, seine Auffassung vom

Gestaltungsprozess sowie der Einsatz von Licht und Schatten in seiner Architektur hatten

grossen Einfluss auf die nachfolgenden Architektengenerationen und leisteten einen wichtigen

Beitrag zur Weiterentwicklung der Architektur.

Weniger Beachtung als seine architektonischen Leistungen fanden bisher Kahns städteplane-

rische Arbeiten. Besonders interessant in diesem Gebiet sind Kahns Vorschläge für eine

Stadterneuerung von Philadelphia. Sie gehören zu seinem Frühwerk und sind spannende

Dokumente seiner Entwicklung hin zu einem eigenen gestalterischen Ausdruck. Kahns inten-

sive Beschäftigung mit der Umgestaltung Philadelphias dauerte über 20 Jahre. Obwohl nie ein

Entwurf realisiert wurde, beeinflussten Kahns Vorschläge zahlreiche Architekten und fanden

so Niederschlag im Stadtbild von Philadelphia. Der Stadtplan von Philadelphia diente Kahn

als Übungsfeld und als eine Art Wegweiser auf der Suche nach sich selbst. Kahn verstand die

Stadt und insbesondere sein Lebens- und Arbeitszentrum Philadelphia als Ort der Selbstfin-

dung: „The city is a place where a little boy walking through its streets can sense what he

someday would like to be.“1

Das Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick über die städteplanerischen Vorschläge von

Louis Kahn für Philadelphia zu vermitteln und deren Bedeutung für sein eigenes Schaffen und

die Planungsgeschichte von Philadelphia aufzuzeigen. Anhand seiner städteplanerischen Vor-

schläge sollen Kahns Ideen für eine zeitgemässe Stadt sowie seine Vorstellungen vom Gestal-

tungsprozess als Ganzes analysiert werden. Weiter soll mittels Vergleichen gezeigt werden,

dass viele Prinzipien, welche die Eigenart von Kahns Architektur ausmachen, von Kahn in

seinen städteplanerischen Entwürfen entwickelt und danach in die Architektur übernommen

worden sind. Eine intensive Beschäftigung mit den Vorschlägen für eine Stadterneuerung von

Philadelphia ermöglicht daher einerseits eine vertiefte Einsicht in die typische Arbeitsweise

von Louis Kahn und seine Vorstellungen vom Designprozess als Ganzes und erleichtert

andererseits das Verständnis von Kahns charakteristischen Gestaltungsprinzipien. Die

1 Kahn, Louis I., "The Samuel S. Fleisher Art Memorial", Bulletin, Philadelphia Museum of Art, LXVIII (Spring 1974), S.

57, zit. nach Reed, Toward form, S. 1.

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Vorschläge für eine Stadterneuerung von Philadelphia erhalten somit eine Art

Schlüsselfunktion für das vertiefte Verständnis von Kahns Werk.

Angesichts der starken Wirkung von Kahns Vorschlägen für eine Stadterneuerung von

Philadelphia erstaunt es, dass kein einziger von Kahns Vorschlägen realisiert wurde. In der

Arbeit wird daher auch der Frage nachgegangen, weshalb keiner von Kahns Entwürfen für

Philadelphia realisiert wurde. Dazu werden die unterschiedlichen städteplanerischen Vorbilder

und Auffassungen von Louis Kahn und Edmund N. Bacon, dem Leiter der Philadelphia City

Planning Commission, miteinander verglichen, um zu klären, ob allenfalls eine

unterschiedliche städteplanerische Einstellung der beiden der Grund dafür gewesen ist, dass

Kahns Entwürfe nie verwirklicht wurden.

Die Vorschläge für die Stadterneuerung von Philadelphia wurden im Vergleich zum architek-

tonischen Werk von Louis Kahn in der Kahn Forschung lange Zeit vernachlässigt.2 Erst

Alexandra Tyng, die Tochter von Louis I. Kahn, weist in ihrem Buch „Beginnings: Louis I.

Kahn’s Philosophy of Architecture“3 auf die Bedeutung der praktischen Arbeit an den Plänen

von Philadelphia für die Entwicklung von Kahns Gestaltungstheorie hin. Auch Reed betont in

seiner Dissertation „Toward Form: Louis I. Kahn's urban designs for Philadelphia,

1939-1962“4 die Bedeutung von Kahns frühen städtebaulichen Vorschlägen bei dessen Suche

nach einer eigenen Form und eigenen Gestaltungsprinzipien. Reed gibt in seiner Arbeit einen

Überblick über die verschiedenen Erneuerungsvorschläge für Philadelphia und zeigt, wie die

Ergebnisse aus der Beschäftigung mit der Stadtplanung von Kahn anschliessend in seine

Architektur übertragen wurden. Mit der Planungsgeschichte von Philadelphia beschäftigt sich

Edmund N. Bacon in seinem Buch „Design of cities“5. Er versucht die Planungsgeschichte

Philadelphias in die Geschichte des Städtebaus einzuordnen sowie Bezüge zu den städtebau-

lichen Vorbildern herzustellen. Seine Ausführungen zeigen jedoch eine sehr einseitige Sicht

der städteplanerischen Aktivitäten in Philadelphia, da er Kahns Vorschläge für die

Stadtplanung von Philadelphia vollständig ausblendet.

Die vorliegende Arbeit basiert auf den publizierten Texten und Plänen zur Stadtplanung von

Louis Kahn für Philadelphia. Die reichen Bestände der Louis I. Kahn Collection (LIKC)

2 Reed, Toward form, S. 2.3 Tyng, Beginnings: Louis I. Kahn's Philosophy of Architecture.4 Reed, Toward form: Louis I. Kahn's urban designs for Philadelphia, 1939–1962.5 Bacon, Design of Cities.

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werden nur insoweit herangezogen, als sie von Reed im Rahmen seiner Dissertation vermittelt

werden.

Die Arbeit ist in vier Teile gegliedert. Im ersten und zweiten Teil der Arbeit werden –

unterteilt in die zwei unterschiedlichen Schaffensperioden – einige Erneuerungsvorschläge

von Louis Kahn für Philadelphia und ihre Eigenheiten kurz vorgestellt. Dabei werden im

zweiten Teil Kahns städteplanerische Ideen und seine typische Arbeitsweise herausgearbeitet.

Im dritten Teil der Arbeit wird anhand von Analogien zwischen der Stadtplanung und der

Architektur der Ideentransfer von der Stadtplanung in die Architektur aufgezeigt. Im letzten

Teil der Arbeit werden schliesslich die städteplanerischen Vorbilder und Auffassungen von

Kahn und Bacon miteinander verglichen und auf ihre Kompatibilität hin geprüft.

2. Das funktionale Philadelphia: Frühe Stadtplänevon Louis I. Kahn (1939–1948)Die frühen Stadtpläne von Louis Kahn sind stark von den Prinzipien des modernen Städtebaus

geprägt. Le Corbusiers Ville contemporaine (1922) und Plan voisin (1925) waren die Haupt-

vorlagen für Kahns frühe Stadtpläne. Zwischen 1932 und 1934 begann Kahn, sich mit der

europäischen Architektur und dem europäischen Wohnungsbau auseinander zu setzen. Er

studierte in dieser Zeit höchst wahrscheinlich die Schriften von Le Corbusier6 und kannte die

Bücher „Vers une architecture“ und „Urbanisme“, welche bereits ins Englische übersetzt

worden waren. Es ist zudem anzunehmen, dass er den ersten Band des „Œuvre complète“

kannte, der 1929 von Oscar Stonorov und Willy Boesiger herausgegeben worden war. Kahn

lernte den Emigranten Stonorov in den frühen 30er Jahren kennen und führte von 1942 bis

1947 mit Stonorov zusammen ein Architekturbüro. Mit den Ideen des modernen Städtebaus

kam Kahn auch im Rahmen seiner Arbeit als technischer Berater bei der United States

Housing Authority (USHA) in Kontakt. Catherine Bauer, die Leiterin der

Informationsabteilung der USHA war eine Pionierin für Wohnungsbau und Stadtentwicklung

und hatte schon 1934 in ihrem Buch „Modern Housing“ auf die Vorteile von Superblock- und

Zeilenbauplanung hingewiesen.7

6 Scully, Louis I. Kahn, S. 15. Reed (Toward form, S. 15) weist darauf hin, dass Tyng behauptet, Kahn habe bis 1947 oder

1950 kein Werk von Le Corbusier gelesen (Tyng, Beginnings, S. 15 und Anm. 14). Tyng führt jedoch für ihre Behauptungkeine Quelle auf. Für Scullys Aussage fand Reed in der Louis I. Kahn Collection (LIKC Box 122, unmarked file) einenHinweis, der beweisen könnte, dass Kahn sich zwischen 1932 und 1934 mit Le Corbusier beschäftig hat: „began to reallystudy Le Corbusier and read from the Library“.

7 Reed, Toward form, S. 13–35.

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Die frühen Stadtpläne Louis Kahns entstanden als Auftragsarbeiten. Kahn hielt sich darin eng

an die Richtlinien des CIAM bezüglich der funktionalen Stadt, in welchen eine Trennung von

Wohn-, Arbeits- und Erholungsbereichen gefordert worden war.8 Trotzdem können die frühen

Stadtpläne auch als Ausdruck von Kahns eigenen Vorstellungen über Stadtplanung interpre-

tiert werden, einerseits weil ihm die Auftraggeber bei seiner Arbeit weitgehend freie Hand

liessen9 und andererseits weil er sich im zusammen mit Stonorov verfassten Buch „You and

Your Neighborhood“ ebenfalls für eine funktionale Trennung der Stadt aussprach10, wie eine

Illustration des Buches deutlich vor Augen führt11.

Wichtige Merkmale der frühen Stadtpläne von Kahn sind der Kampf gegen die Verslumung

und der Kampf gegen Verkehrsprobleme. Diese beiden Hauptprobleme der modernen Stadt

versuchte Kahn durch funktionale Trennung und effiziente Verkehrsorganisation zu lösen.

2.1 Die ideale amerikanische Stadt: Rational City Plan (1939)Die erste Beschäftigung Kahns mit dem Stadtplan von Philadelphia war der Rational City

Plan12 von 1939. Kahn erhielt von der USHA den Auftrag, einen Plan für eine ideale amerika-

nische Stadt auszuarbeiten. Der Anlass für diesen Auftrag war die von der USHA geplante

Ausstellung Houses and Housing im Museum of Modern Art in New York (MoMA). Die

Ausstellung wurde insbesondere von Frederick A. Gutheim, dem Assistenten von Catherine

Bauer, ins Leben gerufen. Gutheim hatte sich kurz zuvor aus dem Planungsstab der New York

World’s Fair 1939 zurückgezogen, weil er nicht damit einverstanden war, dass dort im

Ausstellungsbereich Town of Tomorrow hauptsächlich Einfamilienhäuser im Kolonialstil

gezeigt werden sollten. Eine solche Ausrichtung der Ausstellung ignorierte die Situation, in

welcher sich die USA in den 30er Jahren befanden. Was das von der Weltwirtschaftskrise

gebeutelte Land nach Ansicht von Gutheim brauchte, waren nicht Einfamilienhäuser sondern

Wohnungen für das Existenzminimum und eine funktionale Stadtplanung, wie sie vom CIAM

in den Jahren zuvor entwickelt worden waren. Die Ausstellung Houses and Housing im

MoMA sollte nun aufzeigen, wie die bestehenden Missstände mit Hilfe modernistischer

Planung behoben werden konnten und somit eine Art Gegenausstellung zu Town of Tomorrow

8 Mumford, The CIAM Discourse on Urbanism, S. 87.9 Reed, Toward form, S. 21f.10 Reed, Toward form, S. 39f.11 Vgl. Anhang, Abb. 1 und Reed, Toward form, S. 317.12 Vgl. Anhang, Abb. 2 und Ronner, Louis I. Kahn, S. 19.

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darstellen. Gutheim erhielt für sein Vorhaben die Unterstützung von Catherine Bauer und

Lewis Mumford, beides Mitglieder des Architekturausschusses des MoMA und eifrige

Verfechter der Ideen des CIAM.13

Kahn erhielt von Gutheim die Aufgabe, eine Zukunftsvision der idealen amerikanischen Stadt

zu entwerfen, welche dazu beitragen sollte, dass die Leute die Ausstellung mit einem Gefühl

der Zuversicht verliessen. Kahn wählte als Grundlage für die Beschäftigung mit der idealen

Stadt für zwei Millionen Einwohner den Stadtplan von Philadelphia und begann diesen nach

den Vorstellung des modernen Städtebaus zu verändern.14

Das Resultat seiner Bemühungen war der Rational City Plan, ein Vorschlag für die Neuge-

staltung Philadelphias. Kahn nahm eine Luftaufnahme von Philadelphia und legte darüber

eine Glasplatte mit den eingezeichneten Erneuerungsvorschlägen. Die Erneuerungsvorschläge

hatten mit der ursprünglichen Gestalt von Philadelphia nichts mehr zu tun. Ein riesenhaftes

Strassenkreuz durchbohrte die einstige Innenstadt, die von Superblocks bestimmt werden

sollte, in nordsüdlicher und ostwestlicher Richtung. Weitere Anhäufungen von Superblocks

bildeten neue funktional getrennte Zentren, die durch Schnellstrassen miteinander verbunden

waren. Kahn fügte neben dem Geschäftszentrum in der ehemaligen Innenstadt verschiedene

dezentrale Industrie-, Wohn- und Erholungszentren sowie Bahnstationen und Flughäfen in das

Stadtgebilde ein. Über die Innenstadt wurde ein grobes Rastersystem von Strassen gelegt, das

im Gegensatz zum bestehenden feineren Strassensystem zu einer Verflüssigung des Verkehrs

beitragen sollte. Kahns Vorgehen im Hinblick auf die bestehende geographische, historische

und strukturelle Situation kann als Tabula rasa bezeichnet werden. Wenn man den Rational

City Plan mit einem Stadtplan von Philadelphia aus dem Jahre 192015 vergleicht, erkennt

man, dass Kahn weder die historischen Monumente City Hall und Independence Hall noch

die für Philadelphia typischen Plätze Logan, Rittenhouse, Washington und Franklin Square

oder den Benjamin Franklin Parkway, die diagonale Verbindung zwischen Philadelphia

Museum of Art und City Hall, unangetastet liess.

Die Vehemenz, mit welcher Kahn bei seinem Vorschlag für eine ideale amerikanische Stadt

vorging, wird besonders deutlich, wenn man den Rational City Plan mit Le Corbusiers Plan

Voisin16 von 1925 für Paris vergleicht. Im Gegensatz zu Le Corbusier, der gewisse bedeutende

13 Reed, Toward form, S. 16ff.14 Reed, Toward form, S. 19f.15 Vgl. Anhang, Abb. 3 und Ronner, Louis I. Kahn, S. 18.16 Vgl. Anhang, Abb. 4 und Reed, Toward form, S. 305.

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Monumente der Stadt bestehen liess und sie in seinen Plan integrierte, nahm Kahn keine

Rücksicht auf Bestehendes. Abgesehen von diesem Unterschied sind sich die Pläne in vielen

Punkte sehr ähnlich. Kahn übernahm von Le Corbusier neben den ins Unendliche führenden

Express-Strassen auch die Superblocks und die funktionale Trennung in Wohn-, Arbeits- und

Erholungsgebiete. Kahn betrachtete Le Corbusier als seinen Lehrmeister: „He [Le Corbusier]

was and still is my teacher though he has never been aware of it.“17 Die Bedeutung von Le

Corbusiers Ideen für Kahns Werk ist in den frühen Stadtplänen noch sehr deutlich ablesbar.

Später fand Kahn zu einem freieren Umgang mit Le Corbusiers Ideen und der Bezug zu Le

Corbusier war eher ideell als formal.

2.2 Funktionale Trennung als Basis für Wiederbelebung: NorthTriangle Redevelopment (1945–1948)Die zweite Beschäftigung von Louis Kahn mit der Stadtplanung von Philadelphia war

ebenfalls eine Auftragsarbeit. Im Oktober 1946 erteilte die Philadelphia City Planning

Commission (PCPC) den Associated City Planners (ACP) den Auftrag, eine Studie zur

Wiederbelebung des sogenannten North Triangle zu erstellen. Das Resultat der Studie sollte

aus einem Plan für die Sanierung des Gebietes sowie illustrierenden Perspektiven dazu

bestehen. Mit North Triangle wurde das Gebiet zwischen Schuylkill River, Market Street

West, City Hall und Benjamin Franklin Parkway bezeichnet. Das Problem des Gebietes war

die totale Abgeschlossenheit gegenüber der übrigen Stadt. Die Gründe dafür waren einerseits

der Schuylkill River, die sogenannte Chinese Wall, ein erhöhter Eisenbahnviadukt entlang der

Market Street, und der Benjamin Franklin Parkway, eine breite, stark befahrene Strasse. Die

natürliche Grenze des Flusses sowie die von den Menschen geschaffenen Grenzen in Form

einer Strasse bzw. eines Eisenbahnviadukts verunmöglichten den Zugang zum Gebiet nahezu.

Bedingt durch diese Abgeschlossenheit hatte sich der North Triangle zu einem

heruntergekommenen Quartier entwickelt. Ziel der North Triangle Redevelopment war es, das

Gebiet durch gezielte Massnahmen wieder zu beleben. Die ACP übertrugen die Ausarbeitung

eines Plans mit illustrierenden Perspektiven einer Gruppe von 5 Personen bestehend aus den

Architekten Louis I. Kahn und Oscar Stonorov, den Landschaftsarchitekten Robert

Wheelwright and Markley Stevenson und dem Immobilienmakler C. Harry Johnson.18

17 Kahn to James Fitch, October 17, 1960, LIKC Box 9 „Master Files“, zit. nach Reed, Toward form, S. 13.18 Reed, Toward form, S. 38 und 41ff.

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Kahn und Stonorov setzten auf eine Wiederbelebung des Gebiets durch funktionale Trennung.

Ihr Vorschlag kann als praktische Umsetzung des in ihrem Buch „You and Your Neighbor-

hood“19 aus dem Jahre 1944 propagierten Grundsatzes: „the plan of a city is like the plan of a

house“20 interpretiert werden. Nach dem Vorbild des funktionalen Wohnungsbaus versuchten

sie die Probleme des North Triangle dadurch zu lösen, dass sie eine konsequente Trennung

des Raumes nach unterschiedlichen Funktionen vornahmen. Im Unterschied zum Rational

City Plan erfolgte hier die funktionale Trennung nicht durch dezentrale Ausgliederung von

einzelnen funktionalen Zentren sondern durch Schaffung von einzelnen Zentren innerhalb des

bestehenden Gebiets.21

Der vorgeschlagene Plan22 und vor allem eine isometrische Skizze des North Triangle23 von

Louis Kahn zeigen die geplante Aufteilung in folgende funktionell geschiedene Centers:

• Recreation Center: Der Fairmountpark im Norden sollte in südlicher Richtung bis zur

Vine Street erweitert werden und so mehr Gelegenheit für Erholung bieten.

• InTown Living Center: Im Westen des Triangle war entlang des Schuylkill Rivers die

Schaffung eines neuen InTown Living Centers mit y-förmigen Hochhäusern geplant.

• Civic Center: Im Osten sollte rund um den Logan Square ein Zentrum mit Schulen und

staatlichen Einrichtungen entstehen.

• Amusement Center: An der Market Street sollte ein Vergnügungszentrum mit Kinos,

Theater, Sportstadien und Vergnügungsparks entstehen.

• Business Center: Im Spickel zwischen Market Street und Benjamin Franklin Parkway war

ein Geschäftszentrum mit Büros, Warenhäusern sowie U-Bahn-, Bahn- und Bus-Stationen

geplant.

Kahn fertigte zur Verdeutlichung des Plans zahlreiche isometrische Skizzen an, die den Plan

zum Leben erwecken sollten. Sie zeigen, wie sich Kahn das Leben im North Triangle nach

dessen Wiederbelebung vorstellte. Das Bild das Kahn vorschwebte, war eine Stadt der

Zukunft bestehend aus Wolkenkratzern, die von einer stark befahrenen Schnellstrasse

19 Stonorov, You and Your Neighborhood.20 Stonorov, You and Your Neighborhood, n. p.21 Reed, Toward form, S. 39f.22 Vgl. Anhang, Abb. 5 und Ronner, Louis I. Kahn, S. 20.23 Vgl. Anhang, Abb. 6 und Ronner, Louis I. Kahn, S. 23.

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durchbohrt wird.24 Verglichen mit den heutigen Vorstellungen von einer lebenswerten Stadt

wirken diese Bilder trostlos und beklemmend. Kahns Skizzen sind wiederum stark von Le

Corbusiers Vorstellungen geprägt, der in seinen Illustrationen zur Ville Contemporaine von

1922 ähnliche Visionen einer modernen Stadt mit Hochhäusern und Schnellstrassen bis ins

Zentrum propagierte.25 Einige Illustrationen von Kahn zeigen, dass trotz der mehrheitlichen

Dominanz von Hochhäusern und Verkehr in speziell dafür ausgewiesenen Gebieten auch

Lebensraum für die Menschen bleibt, die hier, vom Verkehr ungestört, flanieren oder spielen

können.26

3. Der Stadtplan von Philadelphia als Experimentier-feld für neue Ideen (1952–1962)In den späten 40er Jahren begann Louis Kahn, sich Gedanken über den Vorgang des Gestal-

tungsprozesses zu machen. Das Ergebnis dieser Beschäftigung war die sogenannte Form,

Order & Design-Theorie, in welcher Kahn darlegte, wie er von einer ursprünglichen Vorstel-

lung zu einem realen Entwurf gelangt. Am Anfang des Designprozesses steht bei Kahn die

Suche nach der Form (form). Unter Form verstand Kahn das Wesen eines Baus oder einer

Planungsaufgabe an sich, unabhängig von einer konkreten Gestalt, im Sinne einer abstrakten

Urform. Kahns Vorstellung von Form deckt sich in etwa mit dem Begriff des Archetyps bei

Carl Gustav Jung. Wie der Archetyp bei Jung ist auch die Form bei Kahn in einer Art kollekti-

vem Unbewussten bereits vorhanden. Nach Kahns Theorie verbinden alle Menschen unabhän-

gig vom kulturellen Kontext und von der persönlichen Lebenserfahrung ähnliche Gefühle,

Gedanken und Vorstellungen mit gewissen Begriffen wie z.B. Übermutter, Held etc. Im

Bereich der Gestaltung kann dies z. B. die Vorstellung von „Stuhl“ sein. Diese allen

Menschen gemeinsame Vorstellung nennt Kahn im Bereich der Gestaltung Form. Gleichzeitig

ist mit der Form "Stuhl" auch eine bestimmte Vorstellung von Ordnung (order) verbunden.

Beim Stuhl ist dies eine festgelegte Anordnung sowie ein bestimmtes Grössenverhältnis der

einzelnen Bestandteile Sitzfläche, Lehne und Beine zueinander. Sind die Beine z.B. zu kurz

und die Sitzfläche und Lehne zu breit, entspricht das Ganze nicht mehr unserer Vorstellung

von Stuhl sondern unserer Vorstellung von Sofa. Sowohl die Form wie auch die ihr

innewohnende Ordnung sind präexistent und naturgegeben. Um von der abstrakten Form zu

24 Vgl. Anhang, Abb. 7 und Ronner, Louis I. Kahn, S. 25.25 Vgl. Anhang, Abb. 8 aus Le Corbusier, Städtebau, nach Hilpert, Funktionelle Stadt, S. 129.26 Vgl. Anhang, Abb. 9 und Ronner, Louis I. Kahn, S. 21.

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einer greifbaren Umsetzung, d.h. einem Plan oder einem realen Gegenstand (z.B. einem

Stuhl), zu kommen, muss man die Form mit Hilfe der Ordnungsprinzipien an die realen

Gegebenheiten und Bedürfnisse anpassen. Die greifbare Umsetzung nennt Kahn design.27

Die gleichzeitige Arbeit an der Form, Order & Design-Theorie und an den Vorschlägen für

eine Stadtplanung von Philadelphia führte zu einer gegenseitigen Beeinflussung. Einerseits

half Kahn die unabhängige, nicht an Auflagen von Auftraggeber gebundene praktische Arbeit

bei der Analyse seiner gestalterischen Vorgehensweise und andererseits benutzte er die

Stadtpläne dazu, um sein theoretisches System in der Praxis auszuprobieren. Die gegenseitige

Beeinflussung von Theorie und Praxis führte dazu, dass die Stadtpläne von Philadelphia auch

als Visualisierung der theoretischen Ideen von Louis Kahn gelesen werden können. Sie bieten

aufgrund des exemplarischen Vorgehens einen einfachen Einstieg in die komplexe Gedanken-

welt von Louis Kahn und können daher als Schlüssel zur Gestaltungstheorie von Kahn

betrachtet werden.

Auf seiner Suche nach einer zeitgemässen Form von Stadt kam Kahn zur Überzeugung, dass

Philadelphia auf einer veralteten Form von Stadt beruhe. Die Probleme von Philadelphia in

den 40er und 50er Jahren des 20. Jahrhunderts – Verkehrsstaus und Verslumung – führte

Kahn darauf zurück, dass das Design von Philadelphia nicht mit einer zeitgemässen

Vorstellung von Stadt übereinstimme. Nach Kahn waren notwendige Bestandteile einer

modernen Stadt ein funktionierendes Verkehrssystem sowie ein Ort mit Identifikation

stiftendem Charakter, was in Philadelphia beides fehlte.

3.1 Verkehrsstudien als Grundlage für Order of Movement (1952/53)Fehlende Parkplätze und ständige Verkehrsstaus bestärkten Kahn in seiner Ansicht, dass die

Beschäftigung mit der Strasse eines der Hauptgewichte einer modernen Stadtplanung darstel-

len müsse.28

Um Lösungen für die bestehenden Verkehrsproblemen erarbeiten zu können, begann Kahn

mit einer Analyse der bestehenden Verkehrssituation29, den sogenannten traffic studies. Er

untersuchte die Strassen der Innenstadt nach der Art von Verkehr, welchen diese aufwiesen.

Seine Ergebnisse notierte er anschliessend mit Hilfe einer eigens dafür entwickelten Notation

27 Tyng, Beginnings, S. 27–31.28 Reed, Toward form, S. 37.29 Vgl. Anhang, Abb. 10 und Ronner, Louis I. Kahn, S. 26.

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im Stadtplan von Philadelphia. Schnelle sogenannte GO Strassen bezeichnete er mit Pfeilen

(→), langsame sogenannte STACCATO Strassen mit Punkten (• • • ), Kreuzungen mit

Kreuzen (+), Garagen mit Grösser-als- bzw Kleiner-als-Zeichen (> <) und Garagen mit

geschwungenen Pfeilen (!"). Kahn fand aufgrund seiner Analyse der bestehenden

Verkehrsordnung von Philadelphia heraus, dass auf beinahe allen Strassen sowohl GO- als

auch STACCATO-Verkehr zu finden war und dass es zu viele Kreuzungen sowie zu wenige

Parkplätze und Garagen gab.

Die von Kahn vorgeschlagene neue Verkehrsordnung für Philadelphia lehnte sich an das

Kanalssystem von Venedig an, dass er bei seinem Venedigbesuch im Jahre 1951 kennen

gelernt hatte.30

Expressways are like RIVERS. These RIVERS frame the area to be served. RIVERShave HARBORS. HARBORS are the municipal parking towers. From the HARBORSbranch a system of CANALS that serve the interior. The CANALS are the go streets.From the CANALS branch cul-de-sac DOCKS. The DOCKS serve as entrance halls tothe buildings.31

In Analogie zu den Wasserstrassen Venedigs wollte Kahn das Zentrum Philadelphias von

Flüssen in der Form von Expressstrassen umfliessen lassen. An diesen Flüssen sollten

städtische Parktürme wie Häfen einen Teil des Fernverkehrs aufnehmen. Diese Parktürme sah

Kahn als Erweiterung der Strasse, die sich im Innern der Türme spiralförmig in die Höhe

winden sollte. Reed bezeichnet die Harbours unter Zuhilfenahme der naturwissenschaftlichen

Terminologie als eine Art Helix der Entropie.32 Ausgehend von den Parktürme sollten

Schnellstrassen das innere der Stadt wie ein System von Kanälen durchziehen und so die Stadt

bedienen. Von den Schnellstrassen sollten wiederum Sackgassen abzweigen, die als eine Art

Docks und Eingangshallen in die Gebäude konzipiert waren.

In einem bereinigten Stadtplan33 zeigte Kahn, mit welchen Mitteln sich die bestehende

Verkehrssituation verbessern liesse. Die Einführung von Parktürmen sollte helfen, das

Verkehrsaufkommen im Zentrum zu reduzieren. Die Staus in der Innenstadt wollte Kahn mit

Hilfe einer Unterteilung in Strassen mit schnellem bzw. langsamen Verkehr sowie einer

Reduktion der Anzahl Schnellstrassen in Nord/Süd- und Ost/West-Richtung und somit einer

Reduktion der Kreuzungen bekämpfen. Eine Erhöhung der Parkkapazität erreichte Kahn

30 Reed, Toward form, S. 114f.31 Kahn, Toward a plan for midtown Philadelphia, S. 11.32 Reed, Toward form, S. 117.33 Vgl. Anhang, Abb. 11 und Ronner, Louis I. Kahn, S. 26.

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durch die Einführung der Docks sowie durch zusätzliche Parkplätze und Garagen in der

Innenstadt.

Reed ist der Ansicht, dass es Kahn schon in den traffic studies darum ging, einen zentralisier-

ten, verkehrsberuhigten Kern zu schaffen.34 Ich teile diese Ansicht nicht. Die vielen neuen

Parkmöglichkeiten im Zentrum sprechen gegen eine solche Interpretation. Kahns zentrales

Anliegen war meiner Meinung nach lediglich eine Verflüssigung des Verkehrs. Erst in

späteren Entwürfen35 ging es Kahn um eine Verkehrsberuhigung im Zentrum. In den traffic

studies versuchte Kahn vielmehr, eine Lösung für die ständigen Verkehrsstaus zu finden. Der

Versuch, durch eine Trennung des Verkehrs nach unterschiedlicher Geschwindigkeit Ordnung

in das bestehende Verkehrschaos von Philadelphia zu bringen, zeigt, was Kahn unter order of

movement verstand. Jede Art von Verkehr hatte seiner Ansicht nach entsprechend ihrer Funk-

tion eine eigene Geschwindigkeit und benötigte daher ihren eigenen Raum. Damit das System

als Ganzes funktionieren konnte, war eine funktionelle Entflechtung des Verkehrs notwendig.

Kahn präsentierte seine Vorstellung von einer Entflechtung der Verkehrssystem im Januar

1952 dem Municipal Improvements Committee, welches Kahns Vorschlag trotz dringendem

Handlungsbedarf ablehnte. Die traffic studies wurden daraufhin im Sommer 1953 in der

Architekturzeitschrift Perspecta Yale University erstmals publiziert.36

3.2 Stadtdesign basierend auf der Form des Civic Forum (1956/57)Ein zweites Hauptgewicht der modernen Stadtplanung lag nach Kahns Ansicht in der Schaf-

fung eines Ortes mit Gemeinschaft und Identifikation stiftendem Charakter. Ein Ort, der allein

für das kulturelle und soziale Leben der Menschen reserviert war, fehlte in der modernen

Grossstadt. Ein solcher Ort sollte nach Kahn mehr als nur ein Treffpunkt sein. Er sollte ein

Anziehungspunkt für die Menschen sein, zu welchem sie eine gewisse Verbundenheit ent-

wickeln konnten. „It has to be a place of answer ... a place where boy meets girl ... Also,

others will feel a kind of going there, and the connection is in your loyalty. I think [the city

place] could have the effect of suddenly realizing its real value, its real value, and that people

gravitate towards this because they know it’s a good deal.“37 In Anlehnung an das Forum

Romanum, dem Platz für Versammlungen und öffentliche Diskussionen in Rom, der seinen

34 Reed, Toward form, S. 95f.35 Vgl. 3.2 Stadtdesign basierend auf der Form des Civic Forum (1956/57).36 Ronner, Louis I. Kahn, S. 112ff.37 Kahn, Louis, PCPC tapes, June 7, 1961, zit. nach Reed, Toward form, S. 273.

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Vorstellungen von einem öffentlichen Platz am nächsten kam, nannte Kahn dieses neue städti-

sche Zentrum Civic Forum.38

Kahn wollte zurück zur Urbestimmung der Stadt als soziales, ökonomisches und religiöses

Zentrum. Wenn Kahn sagte, „the Center is the cathedral of the city“39, meinte er dies jedoch

nicht im ursprünglich religiösen Sinn. Reed beschreibt dies so: „For Kahn, the religion was

secular, and the act of worship was human interaction.“40 Kahn ging es nicht um die

Beziehung zu Gott sondern um die zwischenmenschliche Beziehung, die in der modernen

Grossstadt einer Vereinzelung des Individuums gewichen war. Solche Gedanken erinnern

stark an Sigfried Giedion, der in seinem Buch Architektur und Gemeinschaft von 1956

ebenfalls davon spricht, dass die zeitgemässe Stadt einen Kern braucht, wo sich die Leute

begegnen können.41 Eine Humanisierung der Stadt ist nach Giedion nur möglich, wenn der

individuellen eine kollektive Sphäre gegenübergestellt und so ein Gleichgewicht zwischen

Individuum und Gemeinschaft gefunden werden kann.

Kahns Vorstellung von Gemeinschaft war auch eng mit der Idealvorstellung der mittelalter-

lichen Bauhütte verbunden. Kahn ging es dabei weniger um die Verbindung der bildenden

Künste und der Architektur sondern eher um die gemeinschaftliche Erstellung eines grossen

Bauwerkes. Besonders deutlich wird der Gedanke, über die Partizipation der Bevölkerung am

Bau eines öffentlichen Bauwerks ein Gefühl der Gemeinschaft und Zugehörigkeit zu

evozieren, in Kahns Ausführungen zu seinem Entwurf für das Jefferson National Expansion

Memorial in St. Louis von 1947. Sarah Williams Ksiazek beschreibt, wie sich Kahn die

Arbeit an einem der grossen Wandgemälde vorstellte:

A second mural ... was to be sculpted from small stone blocks that would each contributeto a single, large, monumental composition. Kahn rhapsodically described how localresidents would participate in its construction; evoking the structure of medieval guildcollaborations, he wrote how a „master artist“ would oversee „community groups, groupsof school children and students, and prominent individuals“ who „would take part in thelaying of the individual stones.“ The finished art work would, he concluded, „record theseacts of citizen participation.“42

Diese Orientierung hin zu mittelalterlichen Idealen zeigte sich auch in Kahns Suche nach

einer zeitgemässen Vorstellung oder Form (form) von Stadt. Die von ihm vorgeschlagene

38 Reed, Toward form, S. 203.39 Kahn, Louis I., "Order in Architecture", Perspecta 4 (1957), S. 61, zit. nach Reed, Toward form, S. 24.40 Reed, Toward form, S. 223.41 Giedion, Architektur und Gemeinschaft, S. 72–83.

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Form43 eines Kerns, der von einer schützenden Mauer umgeben ist, erinnert stark an die

Anlage von mittelalterlichen Städten wie Carcassonne44 und Siena, die Kahn während seines

Aufenthaltes in Europa in den Jahren 1950/51 kennen gelernt hatte. In Siena übernehmen

anstelle der Mauer die den Campo umgebenden Häuser die Schutzfunktion. Eine Reiseskizze

von Kahn verdeutlicht seine Interpretation der Häuser als geschlossener Schutzwall.45

Der in der Form enthaltene mittelalterliche Schutzwallgedanke erfuhr bei Kahn eine zeitge-

mässe Umdeutung im Hinblick auf die realen Bedürfnisse der modernen Stadt. „The

architecture of stopping is equal in importance to the great walls that surrounded the medieval

cities. Carcassonne was designed from an order of defense. A modern city will renew its order

concept of movement which is a defense against its destruction by the automobile.”46 Die

Parktürme sollten den Kern wie die Türme einer Schutzmauer umschliessen. Sie waren als

Endstation für die Autos gedacht und sollten das Zentrum der Stadt vor seinem modernen

Feind, dem Automobil, schützen. Weiter sollten sie das Zentrum begrenzen und vor Dezentra-

lisierung, einer weiteren Bedrohung der modernen Stadt, schützen.47 Die wichtigen kulturellen

Institutionen siedelte Kahn innerhalb dieses geschützten Zentrums an. Dieses sollte in Zukunft

ein Ort zum Herkommen und nicht zum Durchfahren sein. Es sollte ein Ort sein, an welchem

sich die Menschen vom Verkehr unbehindert, frei bewegen können. Die freie Bewegung des

Menschen, die nach Kahn eine schlendernde Zig-Zag-Bewegung ist, widersprach der linearen

Bewegung des Autos. Sie musste daher von dieser getrennt werden und ihren eigen Raum

erhalten. Wie schon in seinen Verkehrsstudien führte Kahn auch hier durch die räumliche

Trennung von Strasse und Fussgängerzone eine funktionelle Ordnung in das bestehende

System ein mit dem Ziel, die Lebensqualität in der modernen Grossstadt zu verbessern.

Als Ort für die konkrete Planung eines Civic Forum in Philadelphia, für das design, um mit

Kahn zu sprechen, wählte Kahn einen Abschnitt der Market Street East zwischen Broad Street

und 9th Street.48 Dabei fällt auf, dass sowohl die City Hall als auch die Independence Hall, die

42 Ksiazek, Critiques of Liberal Individualism, S. 59.43 Vgl. Anhang, Abb. 12 und Ronner, Louis I. Kahn, S. 35.44 Vgl. Anhang, Abb. 13 und Panouillé, Carcassonne, S. 6f..45 Vgl. Anhang, Abb. 14 und Pennsylvania Academy of the Fine Arts, The travel sketches of Louis I. Kahn, S. 40.46 Kahn, Louis I., "Order in Architecture", Perspecta 4 (1957), S. 61, zit. nach Reed, Toward form, S. 211.47 Reed, Toward form, S. 259.48 Vgl. Anhang, Abb. 15 und Giurgola, Louis I. Kahn, S. 227. sowie Anhang, Abb. 12 und Ronner, Louis I. Kahn, S. 35.

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beiden bedeutendsten historischen Denkmäler der Stadt, ausserhalb dieses schützenswerten

Zentrums liegen.

Anstatt auf die bestehenden historischen Monumente zurückzugreifen, kreierte Kahn neue

städtische Symbole. Das Civic Forum kann, wie weiter oben bereits gezeigt wurde, als

Symbol für Gemeinschaft interpretiert werden. Die Kristallisation dieses Gedankens findet

sich schliesslich im City Tower. Diese futuristische Raumtragwerkstruktur, die von Kahn und

Anne Tyng gemeinsam entwickelt wurde, kann als neues städtisches Symbol verstanden

werden. Inspiriert von der organischen Geometrie in Richard Buckminster Fullers Kuppeln

und Ernst Heinrich Haeckels Studien49 verwendeten Tyng und Kahn für den City Tower eine

Struktur, die sich explizit an den Bau von Kohlenstoffmolekülen, der Grundstruktur aller

lebenden Organismen, anlehnt. Für Tyng waren solche Strukturen der Ausdruck einer

Verbindung zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos.50 Und für Kahn war die Struktur des

City Towers der Ausdruck einer alles durchdringenden Ordnung: „The same order created the

elephant and created man. They are different designs begun from different aspirations shaped

from different circumstances.“51 Kahn fand über die Struktur seines Bauwerks zu einer

übergeordneten Definition von Gemeinschaft, die nicht wie üblich auf die Kriterien

Hautfarbe, Religion oder Geschichte beschränkt bleibt. Der City Tower kann daher als

Symbol für das Verbindende in allen Kreaturen gelesen werden.

3.3 Die Strasse als Gebäude: Viaduct Architecture (1961/62)Anfang der 60er Jahre entwickelte Kahn die sogenannte Viaduct Architecture52. Sie kann als

eine Art Synthese von order of movement und Civic Forum gesehen werden und ist somit die

optimale Lösung für die von Kahn diagnostizierten Probleme der modernen Stadt: Verkehrs-

chaos und Fehlen eines Zentrums für die Gemeinschaft.

Die Anlage dieser „optimalen“ Stadt entspricht im Wesentlichen der Struktur des Civic

Forum. Im Gegensatz zu den Plänen des Civic Forum, in welchen der Lösung der

Verkehrsprobleme keine besondere Beachtung geschenkt wird, legte Kahn hier besonderes

Gewicht auf eine effiziente Verkehrsplanung. Der Name Viaduct Architecture stammt vom

viaduktartigen Strassengebilde, das den Kern der Stadt als eine Art Mauer umgeben und so

49 Ksiazek, Critiques of Liberal Individualism, S.67.50 Ksiazek, Critiques of Liberal Individualism, S. 67.51 Kahn, Order and Form, S. 59.52 Vgl. Anhang, Abb. 16 und Ronner, Louis I. Kahn, S. 37.

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neben den Harbours einen zusätzlichen Schutzwall bilden sollte. Wie beim Civic Forum nahm

Kahn auch hier bei der Wahl des Namens Bezug auf das römische Vorbild . Wie der

Aquädukt, der das lebensnotwendige Wasser nach Rom brachte, sollten nun die Viadukte die

Menschen und mit ihnen das Leben in die Stadt bringen.

Die Strasse selbst wurde von Kahn nicht mehr als Zwischenraum zwischen den Gebäuden

betrachtet sondern als eigenständiges, dreidimensionales Gebäude, als street-as-a-building.53

You will not have to dig it up every time a pipe goes bad. You will have a place for thesethings. ... and it will occur to you what this building is which is called a street, and then youwill realize that you are actually walking on or riding on the roof of this building. That is avery important thing to realize about a street in the middle of a town, because it is really acontour, it is really a level, and it really is a building.54

Das Gebäude sollte neben den Strassen, die nach unterschiedlicher Art des Verkehrs unterteilt

waren, Platz für Gas- und Wasserleitungen bieten. Der Vorteil dieser Lösung liegt vor allem

darin, dass bei Unterhaltsarbeiten am Leitungssystem, die Strasse nicht aufgerissen werden

muss. Der Verkehr wird somit bei Unterhaltsarbeiten nicht beeinträchtigt und unnötige Staus

können verhindert werden. Kahn war nicht der erste der eine dreidimensionale

Strassenstruktur vorschlug. Ein ähnliches System von übereinander angeordneten Strassen

stellte Le Corbusier schon 1925 in seinem Buch "Urbanisme" vor.55

4. Die Stadt als monumentales Gebäude: Analogienzwischen Stadtplanung und ArchitekturStadtplanung und Architektur beruhten für Kahn auf den selben Prinzipien. Folgender

Ausspruch von Kahn aus dem Jahre 1972 zeigt dies deutlich: „an architect can build a house

and build a city in the same breath...“56. Aber nicht erst am Ende seines Lebens propagierte

Kahn die selben Gestaltungsprinzipien für Stadtplanung und Architektur. Wie oben erwähnt57,

empfahlen Kahn und Stonorov bereits 1944 in ihrem Buch „You and Your Neighborhood“ die

funktionale Trennung aus dem Wohnungsbau auf die Stadtplanung zu übertragen. Während

53 Vgl. Anhang, Abb. 17 und Ronner, Louis I. Kahn, S. 36.54 Kahn, Louis I., "Talk at the Conclusion of the Otterlo Congress" in Oscar Newman, ed., New Frontiers in Architecture,

New York, 1961, S. 206, zit. nach Reed, Toward form, S. 241.55 Reed, Toward form, S. 237f. und 241f.56 Kahn, Louis I., "The Invisible City", June 19, 1972, transcribed in Wurman, Richard Saul, What will be has always been:

The words of Louis I. Kahn, New York, 1986, S. 151, zit. nach Reed, Toward form, S. 3.57 Vgl. 2. Das funktionale Philadelphia: Frühe Stadtpläne von Louis I. Kahn (1939–1948).

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Kahn 1944 noch bewährte Planungsprinzipien vom Kleinen auf das Grosse übertragen wollte.

Ging er später bei der Entwicklung seiner eigenen Gestaltungsprinzipien auch den

umgekehrten Weg. Die unabhängig von Auftraggebern entstandenen Vorschläge für die

Stadterneuerung Philadelphias waren Kahns Experimentierfeld für neue Ideen und boten ihm

die Möglichkeit diese praktisch auszutesten. Im Folgenden werden zwei verschiedene, für

Kahns Arbeit charakteristische Prinzipien vorgestellt, welche Kahn während seiner Arbeit am

Stadtplan von Philadelphia entdeckt oder ausgetestet und gleichzeitig oder später in die

Architektur übernommen hat.

4.1 Served and servant spacesDas Prinzip der bedienten und bedienenden Räume wurde von Kahn Anfang der 50er Jahre

im Zusammenhang mit den Verkehrsstudien für Philadelphia entwickelt58 und prägte von da

an das gesamte Schaffen von Louis Kahn. In seiner Analogie zu einem Kanalsystem, das

Kahn als Grundlage für die neue Verkehrsordnung von Philadelphia benutzte, verweist Kahn

zweimal auf den dienenden Charakter der Strasse. Einerseits bedienen die schnellen GO-

Strassen das Innere der Stadt und andererseits dienen die cul-de-sac-docks als Eingangshallen

in die Häuser.59 Besonders im zweiten Vergleich kommt zum Ausdruck, wie Kahn die

Unterteilung zwischen dienenden und bedienten Räumen verstand. Unter dienenden Räumen

verstand er vor allem Erschliessungs- oder Lagerräume und unter bedienten Räumen die

Wohn- und Aufenthaltsräume der Menschen. Kahn behandelte die Erschliessungs- und

Lagerräume als eigenständige Räume. Er betonte, dass sie in die Gesamtplanung eines Baus

oder einer Stadt miteinbezogen werden müssen. In der Form der hollow column, einer hohlen

Säule, fand Kahn eine geeignete gestalterische Lösung für die Integration des dienenden

Raumes in unterschiedlichen Planungsaufgaben. Die hollow column wurde bei Kahn zu einer

Art Symbol für die Eigenständigkeit des dienenden Raumes. Seine Kritiker warfen ihm daher

vor, er habe eine ausgesprochene Faszination für Röhren. Gegen diesen Vorwurf setzte sich

Kahn jedoch energisch zur Wehr: „I do not like ducts; I do not like pipes. I hate them really

thoroughly, but because I hate them so thoroughly, I feel they have to be given their place. If I

just hated them and took no care, I think they would invade the building and completely

destroy it. I want to correct any notion you may have that I am in love with that kind of

58 Reed, Toward form, S. 96.59 Reed, Toward form, S. 117–120.

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thing.“60 Das Zitat zeigt, dass die intensive Beschäftigung mit dem dienenden Raum nicht auf

einer Vorliebe für Röhren basierte, sondern auf Kahns Überzeugung, dass eine

Vernachlässigung der Auseinandersetzung mit dem dienenden Raum zwangsläufig zu einer

Zerstörung des ganzen Gebäudes führen würde. Diese Zerstörung kann nach Kahn nur durch

eine klare Trennung von bedienten und dienenden Räumen verhindert werden.

Ein Beispiel für eine hollow column aus den Vorschlägen für die Stadtplanung von

Philadelphia sind die Harbours61. Im Innern dieser Parktürme befinden sich Parkebenen, die

über ein spiralförmiges Verbindungssystem mit einander verbunden sind. Dieser

Erschliessungstrakt im Innern des Gebäudes wird von Büros und Wohnungen umgeben, in

welchen sich die Menschen aufhalten. In der Stadtplanung tauchen vertikale

Erschliessungssystem in der Form einer Röhre erstmals bei den Entwürfen zum City Tower

und in den traffic studies (Harbours) auf. Zur gleichen Zeit verwendete Kahn das System der

vertikalen hollow column auch in seinen Entwurf für die Yale Art Gallery (1951–1953)62 in

New Haven. Das Erschliessungssystem, hier das Treppenhaus, befindet sich ebenfalls in einer

hohlen Säule und verbindet die einzelnen Stockwerke in vertikaler Richtung.

Als eine Art umgekehrte hollow column könnte man das Civic Forum bezeichnen. Der Stadt-

kern als bedienter Raum und Aufenthaltsort der Menschen wird vom dienenden Raum, den

Parktürmen und Strassen umgeben. Ein architektonisches Beispiel einer umgekehrten hollow

column ist das Richards Medical Research Building (1957–1964)63 in Philadelphia . Der Kern

des Hauses mit den Laboratorien, d. h. den Arbeitsplätzen der Menschen wird hier von

grossen und kleinen dienenden Türmen umgeben. Die grossen Türme beherbergen Aufzüge,

Treppen, Toiletten und Räume für die Versuchstiere und die kleinen Nottreppen, Abluftkanäle

und Leitungen.

Eine weitere Ausprägung der hollow column ist deren liegende oder horizontale Variante. Ein

typisches Beispiel hierfür in der Stadtplanung ist die Viaduct Architecture. Der Viadukt

nimmt die unterschiedlichen horizontalen Röhren für Strassen und Leitungen auf. Ein solches

60 Wurman, Richard Saul (Hg.), The Notebooks and Drawings of Louis I. Kahn, Philadelphia, 1962, zit. nach Tyng,

Beginnings, S. 26.61 Vgl. Anhang, Abb. 18 und Giurgola, Louis I. Kahn, S. 232.62 Vgl. Anhang, Abb. 19 und Kahn, Order and Form, S. 49.63 Vgl. Anhang, Abb. 20 und Gast, Louis I. Kahn, S. 51.

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horizontales Röhrensystem64 findet sich bereits in den Entwürfen zur Yale Art Gallery. Hier

verlaufen die Leitungen horizontal in den Hohlräumen der Raumtragestruktur.

4.2 No connectorsEin weiteres Gestaltungsprinzip, das Kahn bei seiner Auseinandersetzung mit der

Stadtplanung von Philadelphia entdeckte und in die Architektur übertrug, ist das Prinzip der

no connectors. Kahn entdeckte die Ästhetik des Verzichts auf Verbindungen bei seiner Arbeit

zusammen mit Tyng am City Tower von 1952–1957.

The project [City Tower] led me finally after many speculations, to a single realization that,characteristic of geometric completions, the three squares meeting at the corners avoidedconnectors. I have since that time pursued the aesthetics of no connectors, relying on theessence of triangular geometry by demanding connection by building coming to building.65

Durch das Aneinanderschieben von drei gleichartigen Sechsecken erreichte Kahn beim City

Tower eine Verschmelzung von drei unabhängigen Raumteilen zu einem einheitlichen

Ganzen.66 Die Entdeckung des Prinzips der no connectors war für Kahn besonders wichtig,

weil es ihm eine Möglichkeit bot, Räume auch ohne die ihm verhassten Passagen (Verbin-

dungswege) miteinander zu verbinden.

Kahn begann unverzüglich damit, das eben entdeckte Prinzip in seinen architektonischen

Entwürfen anzuwenden. Ein erstes Beispiel ist das Trenton Bath House (1955–1957)67. In den

unterschiedlichen Plänen rückten die anfänglich unabhängig positionierten, quadratischen

Gebäudeteile allmählich zusammen. In seinem letzten Plan umgab Kahn die Quadrate an den

Ecken mit rechteckigen Hohlräumen. Durch das Aneinanderrücken überlagern sich die Hohl-

räume der einzelnen Quadrate und verbinden so die Quadrate zu einem einheitlichen Ganzen.

Eines der deutlichsten Beispiele in Kahns Architektur für das Vermeiden von Verbindungen

durch Übereinanderlegen von geometrischen Formen sind die Erdman Hall Dormitories

(1960–1964)68 des Bryn Mawr College. Kahn verzichtete hier darauf die Quadrate mit

kubischen Hohlräumen zu umgeben. Er drehte die drei Quadrate um 90° und schob sie an

ihren Ecken so übereinander, dass sie zu einem architektonischen Ganzen verschmelzen.

64 Vgl. Anhang, Abb. 21 und Tyng, Beginnings, S. 34.65 Kahn to Perkins, June 21, 1968, LIKC Box 57 „Perkins, Dean G. Holmes Correspondence“, zit. nach Reed, Toward form,

S. 154.66 Vgl. Anhang, Abb. 22 und The Louis I. Kahn Archive, Louis I. Kahn, S.321.67 Vgl. Anhang, Abb. 23 und Gast, Louis I. Kahn, S.40.68 Vgl. Anhang, Abb. 24 und Tyng, Beginnings, S. 143.

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Eine andere Ausprägung des Prinzips der no connectors ist in den Plänen zum Civic Forum

von 1956/57 erkennbar. Das Civic Forum erhält seinen geschlossenen Charakter allein durch

die gezielte Anordnung der verschiedenen Gebäude und nicht etwa durch lineare Verbin-

dungswege in der Form von Strassen. Auch diese Ausprägung des Prinzips der no connectors

übertrug Kahn in seine architektonischen Entwürfe. Ein Beispiel dafür ist das Kunst- und

Kulturzentrum Fort Wayne (1961–1973)69. Die Entwurfsskizzen70 zum Kunst- und Kulturzen-

trum zeigen deutlich, wie Kahn mit der Anordnung der unterschiedlichen Gebäude gespielt

hatte, bevor er die Anordnung fand, die das Zusammengehören der einzelnen Gebäude des

Kulturzentrums am deutlichsten zum Ausdruck brachte.

5. Divergenzen in der Stadtplanung von Louis I.Kahn und Edmund N. BaconZwischen seiner Arbeit am Triangle Plan von 1948 und seiner Anstellung als

architektonischer Berater für die Market Street East Pläne von 1961 durch die Philadelphia

City Planning Commission (PCPC) wurde Kahn nie offiziell dazu eingeladen, sich mit der

Planung von Philadelphia auseinander zu setzen. Trotzdem prägten seine Ideen stets den

öffentlichen Diskurs über die Stadtplanung von Philadelphia. Als Mitglied verschiedener

Kommissionen meldete sich Kahn immer wieder zu Wort, wenn ihm die Vorschläge der

PCPC für Änderungen am Stadtplan von Philadelphia nicht passend oder von schlechter

Qualität zu sein schienen. Zu von Edmund N. Bacon, seit 1949 ausführender Direktor der

PCPC, unterstützten Plänen für einen Zwillingsbau von Emery Roth & Sons von 1953 soll

Kahn gesagt haben: „an architectural student presenting such a plan could expect to be marked

‚zero‘.“71 Kahn verstand es als seine persönliche Aufgabe sowie als Aufgabe der

Kommissionen, aus eigener Initiative Gegenvorschläge anzufertigen und diese der PCPC

vorzulegen. Bacon hingegen sah die Aufgabe der Kommissionen lediglich darin, die ihnen

von der PCPC vorgelegten Pläne zu prüfen.

Trotz unterschiedlicher Auffassung über die Qualität der Pläne und die Art der Mitarbeit der

Kommissionen schätzte Bacon Kahns Ideen sehr. Zeitlich verzögert wurden zahlreiche dieser

Ideen von der PCPC bzw. ihren Planern aufgenommen und flossen so in die Planung von

69 Vgl. Anhang, Abb. 25 und Tyng, Beginnings, S. 99.70 Vgl. Anhang, Abb. 26 und Tyng, Beginnings, S. 98.71 Kahn, Louis I., "Citizen Advisors Criticize Slab Design for Penn Center", Architectural Forum 99, Oktober 1953, S. 37,

zit. nach Reed, Toward form, S. 182.

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Philadelphia ein. In einigen Fällen ist die Nähe zu Kahns früheren Vorschlägen so gross, dass

beinahe von einem Ideenraub gesprochen werden könnte. Der von der PCPC favorisierte

Vorschlag für eine Umgestaltung des Penn Centers von Willo von Moltke aus dem Jahre

196072 scheint beinahe eine Kopie von Kahns Skizze73 zu sein, die 1948 im Zusammenhang

mit dem Triangle Redevelopment entstanden ist. Obwohl keiner von Kahns eigenen

Vorschlägen realisiert wurde, prägen seine Ideen über Rezeption durch andere Planer das

heutige Stadtbild von Philadelphia.

Es erstaunt daher sehr, das in Bacons Buch „Design of Cities“ aus dem Jahre 1967 keiner von

Kahns Entwürfen abgebildet ist und auch nicht auf die Bedeutung seiner Ideen für die Stadt-

planung von Philadelphia hingewiesen wird. Dies ist wahrscheinlich damit zu begründen, dass

es anlässlich der Zusammenarbeit von Kahn und Bacon im Jahre 1961 zu einem Eklat

zwischen den beiden kam. Kahn war von Bacon als beratender Architekt für die

Neugestaltung der Market Street East engagiert worden. Entsprechend seiner üblichen

Arbeitsweise zeigte Kahn anlässlich eines ersten Treffens keine konkreten Entwürfe sondern

lediglich allgemeine Formdiagramme. Dies erzürnte den Pragmatiker Bacon, der konkrete

Vorschläge erwartet hatte dermassen, dass es zu einem Zerwürfnis zwischen den beiden kam.

In der Folge distanzierte sich Kahn von seiner Arbeit an den Plänen der Market Street East

und beschäftigte sich nur noch mit der Konzipierung seiner Viaduct Architecture.74

5.1 Städteplanerische VorbilderNicht nur bezüglich der Art der Arbeitsweise sondern auch hinsichtlich der Aufgaben der

Stadtplanung unterschieden sich Kahns und Bacons Vorstellungen sehr deutlich. Während

Bacon in seiner Stadtplanung die Bedeutung der Verbindung von Bestehendem betonte,

wollte Kahn jede Art von Verbindung vermeiden und dafür Zentren der Begegnung schaffen.

Bacons Buch „Design of Cities“ liefert eine mögliche Erklärung für diese grundsätzlich

verschiedenen Auffassungen von Stadtplanung. Bacon betont darin seine Vorliebe für die

barocke Stadtgestaltung. In der Umgestaltung Roms durch Sixtus V. aus dem 16. Jahrhundert

fand er das historische Vorbild für die von ihm angestrebte Stadtplanung.75 Wie Sixtus V.

versuchte Bacon aus den bestehenden Monumenten der Stadt eine Art Netzwerk herzustellen,

72 Vgl. Anhang, Abb. 27 und Bacon, Design of Cities, S. 281.73 Vgl. Anhang, Abb. 28 und Ronner, Louis I. Kahn, S. 24.74 Reed, Toward form, S. 253f.75 Vgl. Anhang, Abb. 29 und Bacon, Design of Cities, S. 138.

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in dem er diese mittels Strassen miteinander verband.76 Er sah in dieser Vorgehensweise eine

hervorragende Möglichkeit, Bestehendes und Neues miteinander zu verbinden und die Leute

in der Stadt zu verteilen.

Kahn kritisierte Bacons Vorliebe für die lineare Verbindung auf das Schärfste: „Arrival

doesn’t indicate a line of buildings ... If it’s [the PCPC’s proposal] purely a linear thing, and

I’m afraid it doesn’t have the power of connection, it has only the power, let’s say, of getting

from place to place. It has the power of passage, but not of connection.“77 Bacons Auffassung

von Stadtplanung widersprach Kahns Prinzip der no connectors grundsätzlich. Kahn reagierte

wahrscheinlich so heftig auf Bacons Vorstellungen, weil er in ihnen seine Vorstellung von

connection bedroht sah. Er definierte daraufhin, was er selber unter Verbindung verstand: „I

have been interested recently in the meaning of connections and connections as distinguished

from passages. I don‘t mean like road connections from one thing to another, but rather

connection in spirit.“78 Kahn wollte nicht wie Bacon Menschen von A nach B führen oder

Orte miteinander verbinden. Er verstand unter Verbindung nicht die Verbindung von Orten

sondern das Zusammenführen von Menschen.

Während Bacon die barocke Stadtplanung als Vorbild für seine eigene Stadtplanung wählte,

stützte sich Kahn auf andere historische Vorbilder. Wie schon in seinen Vorschlägen für ein

Civic Forum deutlich wurde, waren es vor allem das römische Vorbild und die mittelalterliche

Stadt, die Kahns Vorstellungen wesentlich prägten. In Anlehnung an das Forum Romanum

oder einen mittelalterlichen Stadtkern schwebte Kahn eine Stadt vor, deren wichtigster Ort ihr

Zentrum war. Das Zentrum sollte zugleich Treffpunkt der Bewohner als auch Shoppingmeile

sein und den gegenseitigen Austausch der Menschen untereinander fördern. Nicht nur ideell

unterscheidet sich Kahns Auffassung von Stadt von derjenigen Bacons. Auch in der baulichen

Struktur sind die unterschiedlichen städtebaulichen Vorbilder deutlich erkennbar.

Bacon beschreibt in seinem Buch die unterschiedlichen Arten des Städtewachstums in den

verschiedenen historischen Epochen. Die barocke von ihm bevorzugte Art der Stadtplanung

überschreibt er mit growth by tension:

76 Vgl. Anhang, Abb. 30 und Bacon, Design of Cities, S. 300.77 PCPC, Tapes, June 7, 1961, zit. nach Reed, Toward form, S. 274.78 PCPC, Tapes, June 7, 1961, zit. nach Reed, Toward form, S. 273.

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At the beginning of the Baroque period the ordering principle in the growth of the city ofRome was the establishment of lines of force which defined the tension between variouslandmarks in the old city. The interrelationship of these lines and their interaction with theold structures set into play a series of design forces which became the domination elementin the architectural work along them. Here the cohesive element is a line of force ratherthan a volumetric form.79

Bacon beschreibt hier die Errichtung eines lineare Beziehungsnetzes zwischen bestehenden

Monumenten, die ihm in seiner eigen Arbeit besonders wichtig war. Sucht man nun in den

von Bacon vorgestellten, unterschiedlichen Arten des Städtebaus Vorbilder für Kahns

Stadtplanung findet man gleich zwei Prinzipien, die in Kahns Arbeiten auftauchen. Zuerst ist

hier die römische Art der Stadtplanung80 zu nennen, die Bacon mit mass as connector

überschreibt:

In the later period of the Roman Empire, notably under Hadrian, a new freedom of designcrept in, a return to large-scale site-planning based on a variety of angular relationships.The Romans developed a far greater variety of architectural forms than did the Greeks.Curved structures such as exedras, rotundas, and cylindrical colonnades offered a widerange of angular sub-axes which could interlock various parts of the composition. Thus, inRoman work, such as Hadrians’s villa, at left, it was curved building mass which boundtogether the various parts of a nay-angled composition.81

Genau dies ist das Thema das Kahn in seiner Stadtplanung und in der Planung von Gebäude-

komplexen immer wieder interessierte: die Anordnung der Baumassen zueinander. Sein Civic

Forum erhält seine Geschlossenheit aus der Art der Anordnung der einzelnen Gebäude zu

einem Ganzen. In den Skizzen zum Kunst- und Kulturzentrum Fort Wayne wird dieser

Prozess, die Suche nach der richtigen Anordnung bzw. dem richtigen Winkel, deutlich. Kahn

probierte die unterschiedlichsten Anordnungen aus, bis er die Gebäude so zueinander positio-

niert hatte, dass auch ohne verbindende Linien aus den verschiedenen Massen und Formen

eine Einheit entstand.

Ein weiteres Prinzip, das in Kahns Werk immer wieder auftaucht, bezeichnet Bacon als typi-

sche Vorgehensweise der mittelalterlichen Stadtplanung.82 Er überschreibt diesen Abschnitt

mit interlocking spaces as connectors: „In Todi, Italy, an extraordinary result came about

through the conception of two interlocking prisms whose corners overlapped to create a single

79 Bacon, Design of Cities, S. 83.80 Vgl. Anhang, Abb. 31 und Bacon, Design of Cities, S. 82.81 Bacon, Design of Cities, S. 82.82 Vgl. Anhang, Abb. 32 und Bacon, Design of Cities, S. 83.

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intensive volume of space. This principle is seen in many forms in medieval cities.“83 Kahn

nennt dieses städteplanerische Prinzip wie wir oben gesehen haben als Prinzip der no

connectors.84 Er wendete diese Vorgehensweise, wie bereits erwähnt, sowohl in seinen

städteplanerischen Entwürfen als auch in seinen Plänen zum City Tower oder den Erdman

Hall Dormitories an.

5.2 Umgang mit dem bestehenden KontextWie seine Vorschläge für die Stadtplanung von Philadelphia zeigen, war Bacon die Berück-

sichtigung des bestehenden Kontexts der Stadt sehr wichtig. Nach barockem Vorbild

versuchte er Verbindungen zwischen den wichtigen historischen Monumenten und Bezirken

der Stadt zu schaffen. In einem Plan85 von Philadelphia aus seinem Buch "Design of Cities"

zeichnete er die wichtigen städtebaulichen Orte und Bezirke Philadelphias ein. Dazu gehören

nach Bacon sowohl historische (City Hall, Penn Center, Independence Hall, Penn’s Landing),

landschaftliche (Schuylkill River, Delaware River, Hochland von Westphiladelphia), neue

Bezugspunkte (Independence Mall, Society Hill, Science Center) als auch geplante städtische

Bezugspunkte (Park am Schuylkill River). Diese Orte verkörpern nach Bacon eine Art

Hoheitsgebiet der Architekten, die mit ihrer Planung beauftragt waren. Trotzdem muss es

nach Bacon Ziel jeder Stadtplanung sein, eine einheitliche gestalterische Ordnung zu schaffen.

Neue Gebiete müssen so geplant werden, dass sie zum Bestehenden in Beziehung stehen. Und

bestehenden Monumente sollen mittels Fussgängerzonen, Promenaden und Grünzonen

miteinander verbunden und an das Neue angebunden werden.86

Wie wichtig für Bacon die Berücksichtigung des historischen und landschaftlichen Kontextes

war, zeigt sich auch in seiner Beurteilung von modernen Beispielen der Städteplanung. Bacon

stellt als Gegenbeispiele die Planung von Le Corbusier für Chandigarh der Planung von Lucio

Costa für Brasilia gegenüber. Chandigarh benutzt Bacon als Beispiel für schlechte Stadtpla-

nung. Seiner Ansicht nach schottet Le Corbusier sein Regierungsviertel von der Umgebung

und der übrigen Stadt ab, anstatt eine Verbindung zum Bestehenden zu suchen. Einen weitern

83 Bacon, Design of Cities, S.83.84 Vgl. 4.2 No connectors.85 Vgl. Anhang, Abb. 33 und Bacon, Design of Cities, S. 299.86 Bacon, Design of Cities, S. 240–245 und S. 262–265.

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Kritikpunkt sieht Bacon darin, dass Le Corbusier seiner Ansicht nach auch innerhalb des

Regierungsviertels jeglichen Bezug zwischen den einzelnen Gebäuden vermeidet.87

Le Corbusier’s antipathy to the city of Chandigarh was so great that he created artificialmounds, seen in the photograph above, to screen off an awareness of its existence from hisarchitecture. Despite the amazingly brilliant examples before him of the works of theMoguls, and then of Sir Edwin Lutyens in New Delhi, in which the public architecturestood proudly overlooking the city, illuminating its parts and the life of the people within it,Le Corbusier was blind to the design requirements of relating his buildings to the city, and,indeed, of relating his buildings to one another.88

Dem Vorwurf des mangelnden landschaftlichen Kontextbezugs, den Bacon an Le Corbusier

richtet, stellt er als lobenswertes Beispiel die Stadtplanung von Lucio Costa für Brasilia entge-

gen. Bacon streicht heraus, dass bei Costa die Stadt als Ganzes die Form der sie umgebenden

Hügel aufnimmt und so beinahe organisch den freien Raum zwischen den Hügeln ausfüllt.

Die Hauptachse ist auf einen bereits bestehenden Orientierungspunkt (Fernsehantenne) hin

ausgerichtet. Dieser Bezug zur Landschaft und den bestehenden Merkmalen der Stadt ist es,

den Bacon bei Le Corbusier vermisst und in seiner eigenen Stadtplanung für Philadelphia zu

verwirklichen suchte, weil er darin das Ziel einer modernen und zukunftsgerechten Stadtpla-

nung verwirklicht sah.89

Wie für Le Corbusier stand auch für Kahn der Kontextbezug nicht im Vordergrund. Wichtiger

als der Bezug zum Bestehenden war für Kahn das Beheben von Mängeln. Das Civic Forum

und die Viaduct Architecture entstanden auch in Auseinandersetzung mit dem Bestehenden.

Sie waren jedoch nicht einfach als Ergänzung des Bestehenden gedacht sondern als Lösung

für bestehende Mängel. Kahn hatte erkannt, dass sich die bestehenden Probleme wie das

Verkehrschaos und das Fehlen eines autofreien Zentrums nicht mit sanften Ergänzungen

erreichen liessen sondern nur mit radikalen Änderungen.

Ob für Kahn der Bezug zu den historischen Monumenten bei der Wahl des Standorts für das

Civic Forum wichtig war, ist schwierig zu beantworten. Einerseits wählte er dafür die Market

Street East zwischen City Hall und Independence Hall, also den Ort zwischen den beiden

wichtigsten Monumenten von Philadelphia, andererseits bleiben diese Monumente ausserhalb

seiner „Schutzmauer“ bestehend aus den Parktürmen. Es stellt sich daher die Frage, ob Kahn

87 Bacon, Design of Cities, S. 218f.88 Bacon, Design of Cities, S. 219.89 Bacon, Design of Cities, S. 220f.

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die beiden Monumente nicht für schützenswert hielt oder ob die Situierung des Civic Forum

zwischen den Monumenten den Bezug zu den historischen Monumente noch verstärken sollte.

Ein Indiz für die erste Annahme ist vielleicht die Tatsache, dass Kahn in seinen Plänen für

Philadelphia neue Identifikationsmerkmale und Monumente propagierte. Dazu gehört neben

dem Civic Forum und der Viaduct Architecture vor allem der City Tower als Symbol für das

Gemeinsame aller Lebewesen. Das ihm seine eigenen Symbole wichtiger waren als die City

Hall, die mit ihrer Statue von William Penn an die Gründung der Stadt durch die Quäker erin-

nert, wird in einer perspektivischen Skizze Kahns zum Civic Forum deutlich. Neben den

dominanten Strukturen von Civic Forum und City Tower verliert der Turm der City Hall

massgeblich an Bedeutung.90

5.3 Philosophie versus Pragmatik: Ein Konflikt zwischen Architektund Landschaftsplaner?Der Versuch die städteplanerischen Vorgehensweisen von Louis Kahn und Edmund Bacon zu

charakterisieren, führte zu folgenden Ergebnissen:

Louis Kahn steht für den Typus des philosophischen Architekten mit Einsicht in die struktu-

rellen und sozialen Mängel seiner Zeit. Das Schaffen von ewigen, die Gesellschaft verändern-

den Werten ist ihm wichtiger als die Realisierbarkeit seiner Pläne. Dies führt dazu, dass

seinen Plänen oft etwas Utopisches anhaftet. Sie können als Visionen einer besseren Zeit

gelesen werden. Obwohl als Ganzes kaum umsetzbar, enthalten sie brauchbare

Lösungsvorschläge, die zum Teil von anderen Architekten aufgegriffen werden und

schliesslich in modifizierter Form realisiert werden.

Problematisch an Kahns Vorgehensweise ist das übertragen von Formen aus der Vergangen-

heit auf die Gegenwart. Kahn weist selber auf dieses Problem hin:

„No architect can rebuild a cathedral of another epoch embodying the desires, theaspirations, the love and hate of the people whose heritage it became. Therefore the imageswe have before us of monumental structures of the past cannot live again with the sameintensity and meaning. Their faithful duplication is unreconcilable. But we dare not discardthe lessons these buildings teach for they have the common characteristics of greatnessupon which the buildings of our future must, in one sense or other, rely.“91

90 Vgl. Anhang, Abb. 12 und Ronner, Louis I. Kahn, S. 35.91 Kahn, Louis I., "Monumentality", in New Architecture and City Planning, P. Zucker (Hg.), New York, 1994, S. 577f., zit.

nach Tyng, Beginnings, S. 59.

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Kahn spricht in diesem Zitat von der Unmöglichkeit, monumentale Bauwerke aus der Vergan-

genheit auf die Gegenwart zu übertragen, weil diese auf dem Wesen ihrer eigenen Epoche

basieren. Trotzdem will er aus der Vergangenheit lernen, weil er dort die characteristics of

greatness verwirklicht sieht, an welchen es seiner eigenen Zeit mangelt. Um diesen beiden

Ansprüchen gerecht zu werden, das heisst, aus der Vergangenheit zu lernen ohne dabei ahisto-

rische Übertragungen vorzunehmen, ist eine ausserordentliche Gratwanderung notwendig, die

Louis Kahn nur teilweise gelungen ist. Seine Vorschläge für Philadelphia strahlen zwar die

von ihm angestrebten characteristics of greatness aus, es mangelt ihnen jedoch an Bezug zur

Stadtgeschichte Philadelphias. Kahn ignorierte die Eigenart amerikanischer Städte und stützte

sich auf europäische Vorbilder. Philadelphia ist eine Quäkergründung aus dem 17.

Jahrhundert und aus einem anderen Antrieb heraus entstanden als die mittelalterlichen Städte

Europas oder die römischen Stadtgründungen. Seine Grundform das Schachbrettmuster

entstammt einem Geist der Eroberung und Ausweitung und nicht einem Geist der Abwehr und

Verteidigung wie die Städte des Mittelalters. Das Erbe von Philadelphia ist somit ein anderes

als dasjenige von europäischen Städten. Kahn versuchte Formen der Vergangenheit auf die

Gegenwart zu übertragen und wählte dafür Vorbilder aus einem anderen Kulturkreis. Da Kahn

in seinen Plänen Philadelphias landschaftliche Situation und Vergangenheit ignorierte, haftet

ihnen etwas unnatürliches an und sie scheinen nicht recht zu Philadelphia zu passen.

Im Gegensatz zu Kahns Haltung verkörpert Edmund Bacon den pragmatischen Landschaftsar-

chitekten mit Sinn für Kontextbezug und Realisierbarkeit. Er versucht die architektonisch

unterschiedlich geprägten Teile von Philadelphia mit Hilfe einer übergeordneten Struktur zu

vereinen. Seine Pläne gleichen daher eher einem Flickwerk, in welchem versucht wird, das

Bestehenden zu integrieren bzw. das Künftige an das Bestehende anzuknüpfen. Es fehlt ihnen

die nötige Inspiration eines genialen Gesamtentwurfs, und sie bleiben daher unbestimmt. Aus

städteplanerischer Sicht mangelt es Bacons Plänen an Konsequenz, was sie aber aufgrund

ihrer grösseren Konsensfähigkeit politisch um so akzeptabler macht.

Die Auffassungen von Kahn und Bacon bezüglich Städteplanung unterschieden sich sowohl

in ihrer historischen und pragmatischen Ausrichtung als auch in der Art der Vorgehensweise.

Während Bacon, ein Mann der Tat, von Kahn von Beginn weg, realisierbare Vorschläge

erwartete, ging Kahn entsprechend seiner Vorstellung vom Designprozess von allgemeinen

Formdiagrammen aus, die er dann allmählich an die realen Gegebenheiten anpasste. Es

erstaunt also nicht, dass die beiden trotz gegenseitiger Wertschätzung keinen gemeinsame

Sprache gefunden haben. Ihre Ansichten und Vorgehensweisen waren zu unterschiedlich, als

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dass eine gegenseitig befruchtenden Zusammenarbeit möglich gewesen wäre. Ausdruck der

Unvereinbarkeit ihrer beiden Positionen war der Eklat anlässlich ihrer Zusammenarbeit an der

Neugestaltung der Market Street East. Die Analyse eines aufgezeichneten Gesprächs über

Kahns Pläne für die Market Street East von 1961 veranlasste Reed zu einer Einschätzung, die

auch meiner Meinung nach die Beziehung der beiden sehr treffend beschreibt: „In many ways

Kahn and Bacon were like two skew lines that never crossed; their mutual frustration is

evident on the tapes.“92

Die Vermutung liegt daher nahe, dass die unterschiedliche Haltung in bezug auf die Stadtpla-

nung, einer der Gründe dafür gewesen sein könnte, weshalb keiner von Kahns Vorschlägen

für die Stadterneuerung von Philadelphia realisiert wurde. Die Vermutung liegt nahe, dass

Bacons totale Ausblendung von Kahns Erneuerungsvorschlägen für Philadelphia in seinem

Buch „Design of Cities“ wesentlich dafür verantwortlich war, dass die Bedeutung von Kahns

Ideen für die Neugestaltung von Philadelphia lange Zeit verhältnismässig wenig Beachtung

fanden.

Es ist bedauernswert, dass es nicht zu einer kreativen Zusammenarbeit von Kahn und Bacon

gekommen ist. Beide vertreten Positionen, die in einer zukunftsweisenden Stadtplanung unbe-

dingt enthalten sein sollten. Ein innovativer und konsensfähiger Stadtplan kann nur dann

entstehen, wenn die unterschiedlichen Potentiale vorteilhaft genutzt werden und neben

inspirativen Ideen auch der landschaftliche und historische Kontext der Stadt sowie die realen

Bedürfnisse berücksichtigt werden.

6. SchlusswortIn der Arbeit konnte anhand von Louis I. Kahns Entwürfen für die Stadtplanung von Philadel-

phia gezeigt werden, dass Kahn ab 1952 damit begann eigene Vorstellungen über das Wesen

der modernen Stadt zu entwickeln. Bis zu diesem Zeitpunkt waren Kahns Entwürfe noch stark

von den städteplanerischen Entwürfen Le Corbusiers und den Richtlinien des CIAM über die

funktionelle Stadt geprägt. Vergleiche von Kahns Rational City Plan (1939) und seinem Vor-

schlag für die North Triangle Redevelopment (1945–1948) mit dem Plan Voisin (1925) und

Illustrationen zur Ville Contemporaine (1922) von Le Corbusier haben eine deutliche Nähe zu

Le Corbusier gezeigt. Es wäre daher für eine weitere Arbeit sicher lohnenswert, die frühen

Bauten von Louis Kahn mit dem Werk von Le Corbusier zu vergleichen, um herauszufinden,

92 Reed, Toward form, S. 254.

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wie weit sich Kahn auch in der Architektur an die Arbeiten seines Vorbilds Le Corbusier an-

gelehnt hat.

Die Analyse von Kahns seit 1952 entstandenen Entwürfen für Philadelphia ergab, dass Kahn

seine Vorstellung von einer zeitgemässen Stadt anhand der realen Probleme und Mängel von

Philadelphia in den 50er Jahren entwickelt hatte. Als wichtigste Komponenten der modernen

Stadt nannte er daher ein funktionierendes Verkehrssystem und ein Ort mit Gemeinsamkeit

stiftendem Charakter, was in Philadelphia beides fehlte. Kahns in den 1950er und 1960er Jah-

ren entstandenen Vorschläge für die Stadterneuerung Philadelphias können als eine Art

Lösungsvorschläge zur Erreichung einer lebenswerten und zeitgemässen Stadt verstanden

werden. Zur Behebung des herrschenden Verkehrsproblems schlug er in seinen traffic studies

(1952/53) eine Trennung des Verkehrs nach unterschiedlicher Geschwindigkeit vor, um so

eine order of movement zu erzielen und Verkehrsstaus zu verhindern. Das zweite Problem von

Philadelphia, die Vereinsamung der Bevölkerung wollte er durch die Schaffung eines Civic

Forum (1956/57), eines autofreien Treffpunkts im Stadtzentrum, lösen. Zu einer Synthese

dieser beiden Lösungsvorschläge fand Kahn schliesslich in der Viaduct Architecture

(1961/62). In diesem Lösungsvorschlag für die Stadterneuerung Philadelphias führte Kahn die

Strasse in einer Art Viadukt um das Stadtzentrum herum. Sie sollte so das Zentrum

gleichzeitig vor Autoverkehr und Dezentralisierung schützen. Indem Kahn der Strasse eine

dreidimensionale Gestalt (street-as-a-building) gab, machte er sie - ihrer Bedeutung für die

moderne Stadt angemessen - zu einem, den Gebäuden ebenbürtig gegenüberstehenden

Raumbestandteil der Stadtplanung.

Parallel zu seinen Vorschlägen für eine Stadterneuerung von Philadelphia arbeitete Kahn an

der Ausformulierung seiner Form, Order & Design-Theorie. Ein Ziel der Arbeit war es daher,

zu untersuchen, wie stark sich Kahn bei der Ausarbeitung der Vorschläge für die

Stadterneuerung von Philadelphia an die in seiner Gestaltungstheorie propagierte

Vorgehensweise hielt. In den Entwürfen für die Stadterneuerung liessen sich sehr deutlich die

einzelnen Phasen des von Kahn propagierten Gestaltungsprozesses nachvollziehen. Beim

ersten Schritt der Suche nach einer zeitgemässen Form (Vorstellung) von Stadt stiess Kahn

auf das „Bild“ eines von einem Schutzwall umgebenen Zentrums. Die zur Form gehörige

Ordnung (Order) fand Kahn in der order of movement (Unterteilung des Verkehrs nach

unterschiedlicher Geschwindigkeit). Und als letzte Stufe im Gestaltungsprozess, als

Anpassung der Form an die realen Gegebenheiten (Design), können im Rahmen der

Vorschläge für die Stadterneuerung von Philadelphia die Pläne für das Civic Forum und die

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Viaduct Architecture verstanden werden. Die einzelnen Stufen des von Kahn propagierten

Gestaltungsprozesses sind also anhand der Erneuerungsvorschläge für Philadelphia direkt

nachvollziehbar. Sie können als konkrete Anwendungsbeispiele der etwas abstrakt

formulierten Theorie gelesen werden und erleichtern so rückwirkend das Verständnis der

Theorie.

Ein weiteres Untersuchungsgebiet waren die Analogien zwischen Kahns Stadtplanung und

seiner Architektur. Anhand von Vergleichsbeispielen aus Architektur und Stadtplanung

konnte gezeigt werden, dass Kahns in beiden Gebieten auf die selben Grundprinzipien

zurückgriff. Sowohl in der Stadtplanung als auch in der Architektur hielt sich Kahn an das

Prinzip der Trennung des Raumes in servant and served spaces. Eine Missachtung dieses

Prinzips hätte nach Kahn zu einer Zerstörung der gesamten Planung geführt. Ein zweites, von

Kahn in Architektur und Stadtplanung verwendetes Prinzip war das Prinzip der no

connectors. Darunter verstand Kahn das Schaffen einer Einheit aus den einzelnen Teilen der

Planung allein durch gezielte Anordnung und ohne Verwendung von linearen Passagen

(connectors). Die Untersuchung hat gezeigt, dass Kahn die selben Prinzipien immer wieder in

ganz unterschiedlichen Ausformungen verwendete. Es wäre daher im Rahmen einer weiteren

Arbeit interessant, Kahns Werk nach weiteren Ausformungen eines der obenerwähnten

Prinzipien zu durchforsten, um zu klären, ob Kahn am Anfang einer neuen

Gestaltungsaufgabe tatsächlich nach einer individuellen Form des Gebäudes gesucht hat, wie

er dies in seiner Gestaltungstheorie propagierte, oder ob er lediglich bereits bewährte

Prinzipien an die realen Gegebenheiten des jeweiligen Bauvorhabens angepasst hat.

Im letzten Kapitel wurde schliesslich der Frage nachgegangen, weshalb nie ein städtebaulicher

Erneuerungsvorschlag von Kahn realisiert wurde. Dazu wurden die unterschiedlichen städte-

baulichen Auffassungen von Kahn und Edmund Bacon, dem Leiter der Philadelphia City

Planning Commission, untersucht und einander gegenübergestellt. Die Gegenüberstellung hat

gezeigt, dass sich Kahn und Bacon in ihrer Arbeit auf unterschiedliche städtebauliche

Vorbilder stützten und völlig entgegengesetzte Auffassungen über die Bedeutung und den

Einbezug des bestehenden landschaftlichen und historischen Kontexts in die Planung hatten.

Diese Divergenzen könnten die Gründe dafür gewesen sein, weshalb keiner von Kahns

Erneuerungsvorschlägen für Philadelphia realisiert wurde. Es ist aber auch möglich, dass

Kahns Entwürfe nicht zur Ausführung kamen, weil sie ganz einfach zu utopisch waren und

das bestehende Philadelphia zu stark verändert hätten. Ziel einer weiteren Arbeit könnte es

daher sein, in Philadelphias Presse, in den städtischen Archiven und in der Louis I. Kahn

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Collection nach Hinweisen zu suchen, die näheren Aufschluss darüber geben können, ob

lediglich die persönliche Unvereinbarkeit der beiden Hauptpersonen oder auch der fehlende

Pragmatismus von Kahns Plänen dafür verantwortlich war, dass keiner von Kahns

Erneuerungsvorschlägen für Philadelphia realisiert wurde.

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