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dtv Sachbuch 36135 LSD - mein Sorgenkind Die Entdeckung einer »Wunderdroge« von Albert Hofmann 1. Auflage LSD - mein Sorgenkind – Hofmann schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG dtv München 1999 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 423 36135 4

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dtv Sachbuch 36135

LSD - mein Sorgenkind

Die Entdeckung einer »Wunderdroge«

vonAlbert Hofmann

1. Auflage

LSD - mein Sorgenkind – Hofmann

schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

dtv München 1999

Verlag C.H. Beck im Internet:www.beck.de

ISBN 978 3 423 36135 4

dtv

»Alle Anstrengungen meines Willens, den Zerfall der äu-ßeren Welt und die Auflösung meines Ich aufzuhalten,schienen vergeblich. Ein Dämon war in mich eingedrun-gen und hatte von meinem Körper, von meinen Sinnenund von meiner Seele Besitz ergriffen ... Die Substanz,mit der ich hatte experimentieren wollen, hatte mich be-siegt.« Jene Substanz, Lysergsäure-Diäthylamid — kurzLSD —, hatte der Basler Chemiker Albert Hofmann be-reits 1938 synthetisiert und fünf Jahre später in einemSelbstversuch erstmalig getestet. Ursprünglich hatte erdie Absicht gehabt, ein Kreislaufstimulans herzustellen,statt dessen aber entdeckte er ein Psychostimulans, dasGeschichte machen sollte. Rückblickend schreitet AlbertHofmann Stationen seines Lebens ab, das untrennbarverknüpft ist mit seinem »Sorgenkind« LSD. Er erzähltvon seiner Forschungstätigkeit als junger Chemiker inBasel, von dem Weg, der schließlich zur Entdeckung der»Wunderdroge« führte, und von den weitreichenden Fol-gen. Auch schildert er »Ausflüge« in die bizarre Welt derbewußtseinserweiternden Droge. Zugleich warnt er abervor einem leichtsinnigen nicht-medizinischen Gebrauchvon LSD, der den Wissenschaftler zusehends — wie be-sonders in den Sechzigern geschehen — in ethische Pro-bleme verstrickte.

Albert Hofmann, am 11. Januar 1906 in Baden in derSchweiz geboren, studierte Chemie an der UniversitätZürich. Von 1929 bis 1971 war er als Forschungschemi-ker bei der Sandoz AG in Basel tätig, zuletzt als Leiterder Abteilung Naturstoffe. Er ist Verfasser zahlreicherwissenschaftlicher Publikationen und Autor mehrererBücher.

Albert Hofmann

LSD — mein SorgenkindDie Entdeckung einer »Wunderdroge«

Klett-CottaDeutschen Taschenbuch Verlag

Im Text ungekürzte AusgabeMai 1993

13. Auflage August 2007Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG,

Münchenwww.dtv.de

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.Sämtliche, auch auszugsweise Verwertungen bleiben vorbehalten.

1979 J. G. Cotta'sche BuchhandlungNachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

ISBN 3-12-923601-5Umschlagkonzept: Balk & BrumshagenUmschlagfoto: Privatarchiv/Premium

Gesamtherstellung: Druckerei C. H. Beck, NördlingenGedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier

Printed in Germany • ISBN 978-3-423-36135-4

Inhalt

Vorwort ................................ 7Vorwort zur Taschenbuchausgabe von 1993,50 Jahre nach der Entdeckung von LSD ......... 11

1 Wie LSD entstand ...................... 132 LSD im Tierversuch und in der biologischen

Forschung ............................ 353 Die chemischen Abwandlungen von LSD ..... 414 Anwendung von LSD in der Psychiatrie ...... 455 Vom Heilmittel zur Rauschdroge ........... 61

................

6 Gefahren bei nicht-medizinischenLSD-VersuchenSD-Versuchen ........................ 72

7 Der Fall Dr. Leary ...................... 808 Fahrten in den Weltraum der Seele .......... 879 Die mexikanischen Verwandten von LSD ..... 110

10 Auf der Suche nach der ZauberpflanzeSka Maria Pastora ...................... 135

11 Einstrahlung von Ernst Jünger ............. 15212 Begegnung mit Aldous Huxley ............. 17513 Korrespondenz mit dem Dichter-Arzt

Walter Vogt ........................... 18114 Besucher aus aller Welt ................... 19015 LSD-Erfahrung und Wirklichkeit........... 196Formelschema ............................ 209Register ................................ 211

Vorwort

Es gibt Erlebnisse, über die zu sprechen die meisten Men-schen sich scheuen, weil sie nicht in die Alltagswirklich-keit passen und sich einer verstandesmäßigen Erklärungentziehen. Damit sind nicht besondere Ereignisse in derAußenwelt gemeint, sondern Vorgänge in unserem Inne-ren, die meistens als bloße Einbildung abgewertet undaus der Erinnerung verdrängt werden. Das vertraute Bildder Umgebung erfährt plötzlich eine merkwürdige, be-glückende oder erschreckende Verwandlung, erscheint ineinem anderen Licht, bekommt eine besondere Bedeu-tung. Ein solches Erlebnis kann uns nur wie ein Hauchberühren oder aber sich tief einprägen.

Aus meiner Knabenzeit ist mir eine derartige Verzau -berung ganz besonders lebendig in der Erinnerung ge-blieben. Es war an einem Maimorgen. Das Jahr weiß ichnicht mehr, aber ich kann noch auf den Schritt genauangeben, an welcher Stelle des Waldweges auf demMartinsberg oberhalb von Baden (Schweiz) sie eintrat.Während ich durch den frisch ergrünten, von der Mor-gensonne durchstrahlten, von Vogelgesang erfülltenWald dahinschlenderte, erschien auf einmal alles in einemungewöhnlich klaren Licht. Hatte ich vorher nie rechtgeschaut, und sah ich jetzt plötzlich den Frühlingswald,wie er wirklich war? Er erstrahlte im Glanz einer eigenar-tig zu Herzen gehenden, sprechenden Schönheit, als ober mich einbeziehen wollte in seine Herrlichkeit. Ein un-beschreibliches Glücksgefühl der Zugehörigkeit und seli-gen Geborgenheit durchströmte mich.

Wie lange ich gebannt stehenblieb, weiß ich nicht, aberich erinnere mich der Gedanken, die mich beschäftigten,als der verklärte Zustand langsam dahinschwand und ichweiterwanderte. Warum dauerte die beseligende Schaunicht weiter an, da sie doch eine durch unmittelbares

tiefes Erleben überzeugende Wirklichkeit offenbart hat-te? Und wie konnte ich, wozu mich meine überquellendeFreude drängte, jemandem von meinem Erlebnis berich-ten, da ich doch sogleich spürte, daß ich keine Worte fürdas Geschaute fand? Es schien mir seltsam, daß ich alsKind etwas so Wunderbares gesehen hatte, das die Er-wachsenen offensichtlich nicht bemerkten, denn ich hattesie nie davon reden hören.

In meiner späteren Knabenzeit hatte ich auf meinenStreifzügen durch Wald und Wiesen noch einige solchebeglückende Erlebnisse. Sie waren es, die mein Weltbildin seinen Grundzügen bestimmten, indem sie mir die Ge-wißheit vom Dasein einer dem Alltagsblick verborgenen,unergründlichen, lebensvollen Wirklichkeit gaben.

Oft beschäftigte mich damals die Frage, ob ich viel-leicht später als Erwachsener fähig sein würde, anderendiese Erfahrungen mitzuteilen, ob ich als Dichter oderMaler das Geschaute darzustellen vermöchte. Aber ichfühlte mich weder zu dem einen noch zu dem anderenberufen, und so würde ich wohl diese Erlebnisse, die mirsoviel bedeuteten, für mich behalten müssen.

Auf unerwartete Weise, aber kaum zufällig, ergab sicherst in der Mitte meines Lebens ein Zusammenhang zwi-schen meiner beruflichen Tätigkeit und der visionärenSchau meiner Knabenzeit.

Ich bin Chemiker geworden, weil ich Einblick in denBau und das Wesen der Materie gewinnen wollte. Mit derPflanzenwelt seit früher Kindheit eng verbunden, wählteich als Arbeitsgebiet die Erforschung der Inhaltsstoffevon Arzneipflanzen, wozu sich in den pharmazeutisch-chemischen Laboratorien der Sandoz AG in Basel Gele-genheit bot. Dabei stieß ich auf psychoaktive, Halluzina-tionen erzeugende Substanzen, die unter bestimmten Be-dingungen den geschilderten spontanen Erlebnissen ähn-liche visionäre Zustände hervorzurufen vermögen. Diewichtigste dieser halluzinogenen Substanzen ist unter derBezeichnung »LSD« bekannt geworden. Halluzinogene

fanden als wissenschaftlich interessante Wirkstoffe Ein-gang in die medizinische Forschung, in die Biologie undPsychiatrie und erlangten später auch in der Drogenszeneweite Verbreitung, vor allem LSD.

Beim Studium der mit diesen Arbeiten in Zusammen-hang stehenden Literatur lernte ich die große, allgemeineBedeutung der visionären Schau kennen. Sie nimmt einenwichtigen Platz ein, nicht nur in der Geschichte der Reli-gionen und in der Mystik, sondern auch im schöpferi-schen Prozeß, in Kunst, Literatur und Wissenschaft.Neuere Untersuchungen haben ergeben, daß viele Men-schen auch im täglichen Leben visionäre Erlebnisse ha-ben, aber ihren Sinn und Wert meistens nicht erkennen.Mystische Erfahrungen, wie ich sie in meiner Kindheithatte, scheinen gar nicht so selten zu sein.

Visionäres Erkennen einer tieferen, umfassenderenWirklichkeit als der, welche unserem rationalen Alltags-bewußtsein entspricht, wird heute auf verschiedenen We-gen angestrebt, und zwar nicht nur von Anhängern östli-cher religiöser Strömungen, sondern auch von Vertreternder Schulpsychiatrie, die ein solches Ganzheitserlebnisals heilendes Grundelement in ihre Therapie einbauen.

Ich teile den Glauben vieler Zeitgenossen, daß die gei-stige Krise in allen Lebensbereichen unserer westlichenIndustriegesellschaft nur überwunden werden kann,wenn wir das materialistische Weltbild, in dem Menschund Umwelt getrennt sind, durch das Bewußtsein eineralles bergenden Wirklichkeit ersetzen, die auch das sieerfahrende Ich einschließt und in der sich der Menscheins weiß mit der lebendigen Natur und der ganzenSchöpfung.

Alle Mittel und Wege, die zu einer solchen grundlegen-den Veränderung des Wirklichkeitserlebens beitragenkönnen, verdienen daher ernsthafte Beachtung. Dazu ge-hören in erster Linie die verschiedenen Methoden derMeditation in religiösem oder weltlichem Rahmen, derenZiel es ist, ein mystisches Ganzheitserlebnis herbeizufüh-

ren und dadurch ein solches vertieftes Wirklichkeitsbe-wußtsein zu erzeugen. Ein anderer wichtiger, aber nochumstrittener Weg zum gleichen Ziel ist die Nutzbarma-chung der bewußtseinsverändernden halluzinogenenPsychopharmaka. So kann LSD in der Psychoanalyseund Psychotherapie als Hilfsmittel dienen, um dem Pa-tienten seine Probleme in ihrer wirklichen Bedeutung be-wußtzumachen.

Die geplante Hervorrufung mystischer Ganzheitserleb-nisse, besonders durch LSD und verwandte Halluzinoge-ne, ist im Unterschied zu spontanem visionären Erlebenmit nicht zu unterschätzenden Gefahren verbunden:eben dann, wenn dem spezifischen Wirkungscharakterdieser Substanzen, ihrem Vermögen, den innersten We-senskern des Menschen, das Bewußtsein, zu beeinflussen,nicht Rechnung getragen wird. Die bisherige Geschichtevon LSD zeigt zur Genüge, was für katastrophale Folgenes haben kann, wenn seine Tiefenwirkung verkannt wirdund wenn man diesen Wirkstoff mit einem Genußmittelverwechselt. Besondere innere und äußere Vorbereitun-gen sind notwendig, damit ein LSD-Versuch ein sinnvol-les Erlebnis werden kann. Falsche und mißbräuchlicheAnwendung haben LSD für mich zu einem rechten Sor-genkind werden lassen.

In diesem Buch möchte ich ein umfassendes Bild vonLSD, von seiner Entstehung, seinen Wirkungen und An-wendungsmöglichkeiten geben und vor den Gefahrenwarnen, die mit einem Gebrauch verbunden sind, derdem außergewöhnlichen Wirkungscharakter dieser Sub-stanz nicht Rechnung trägt. Wenn man lernen würde, dieFähigkeit von LSD, unter geeigneten Bedingungen visio-näres Erleben hervorzurufen, in der medizinischen Praxisund in Verbindung mit Meditation besser zu nutzen,dann könnte dieses neuartige Psychopharmakon, glaubeich, von einem Sorgenkind zum Wunderkind werden.

Vorwort zur Taschenbuchausgabe von 1993,50 Jahre nach der Entdeckung von LSD

Am Schluß des vor achtzehn Jahren verfaßten Vorwortswurde der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß aus demSorgenkind LSD ein Wunderkind werden könnte, wennman lernen würde, seine außergewöhnlichen psychischenWirkungen besser zu nutzen.

Doch LSD ist ein Sorgenkind geblieben.Nachdem LSD fast ausschließlich in der Medizin und

in der biologischen Forschung angewandt worden war,geriet es in den sechziger Jahren in die Drogenszene undwar eine Zeitlang, vor allem in den USA, die DrogeNummer 1, was Massenkonsum und die damit zusam-menhängenden Probleme betrifft. Die Gesundheitsbe-hörden erließen daraufhin ein drakonisches Verbot, dasdie Verwendung von LSD und verwandten Substanzenauch in der medizinischen Praxis, in der Psychiatrie undPsychologie untersagte — dieses Verbot gilt heute noch.So kam die medizinische Anwendung zum Stillstand,aber der Gebrauch in privaten Kreisen geht weiter, mitallen Gefahren und negativen Begleitumständen eines indie Illegalität verdrängten Konsums.

Bemühungen von seiten der Psychiatrie bei den Ge-sundheitsbehörden, LSD für die medizinische Anwen-dung wieder freizugeben, sind bis jetzt erfolglos geblie-ben. Das ist schwer verständlich, denn die vorliegendenErfahrungen zeigen, daß der Gebrauch im medizinischenRahmen gefahrlos ist und daß LSD in der Psychiatrie alsmedikamentöses Hilfsmittel nutzbringend eingesetztwerden kann.

Das Verbot erscheint auch in einem anderen Licht frag-würdig, nachdem in gewissen mexikanischen Zauberdro-gen, die seit Jahrtausenden medizinisch angewendet wer-den, LSD-ähnliche Wirkstoffe aufgefunden wurden. Hier

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liegt ein Erfahrungsschatz mit diesen Substanzen vor, denes zu berücksichtigen gilt.

Es ist kein Zufall, daß es LSD war, das diese Drogen fürdie chemische Untersuchung in mein Laboratorium ge-leitet hat. Es war die Ähnlichkeit in der psychischen Wir-kung dieser Zauberpflanzen und von LSD, was die Eth-nologen und Botaniker, die ihren Gebrauch bei den In-dianern in den gebirgigen Regionen Südmexikos er-forscht hatten, veranlaßte, die chemische Analyse demLaboratorium, in dem LSD entdeckt worden war, zuübertragen. Die Analyse ergab das überraschende Resul-tat, daß die chemische Struktur der aus diesen Pflanzenisolierten Wirkstoffe der Struktur des LSD nah verwandtist.

Daraus ergab sich der bedeutsame Befund, daß LSDchemisch und nach der Art seiner psychischen Wirkun-gen zur Gruppe der mexikanischen Zauberdrogen ge-hört.

So fand das Abenteuer der Entdeckung von LSD fünf-zehn Jahre später eine überraschende Fortsetzung in derspannenden Erforschung alter Zauberdrogen, derenSchilderung einen großen Teil des vorliegenden Buchesausmacht.

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1 Wie LSD entstand

Dans les champs de 1'observationle hasard ne favorise que les esprits préparés.Louis Pasteur

Immer wieder wird gesagt und geschrieben, LSD sei eineZufallsentdeckung. Das ist nur teilweise richtig, denn eswurde im Rahmen einer planmäßigen Forschung herge-stellt, und erst später kam der Zufall ins Spiel: Als LSDschon fünf Jahre alt war, erfuhr ich seine unerwartetenWirkungen am eigenen Leib — richtiger gesagt, am eige-nen Geist.

Wenn ich in Gedanken Rückschau auf meine beruflicheLaufbahn halte, um all die richtunggebenden Entschei-dungen und Ereignisse zu ermitteln, die schließlich meineTätigkeit in jenes Forschungsgebiet leiteten, in dem ichLSD synthetisierte, dann führt das zurück bis zur Wahldes Arbeitsplatzes nach dem Abschluß meines Chemie-studiums: Hätte ich mich an irgendeiner Stelle andersentschieden, dann wäre jene Wirksubstanz, die unter derBezeichnung »LSD« weltbekannt geworden ist, sehrwahrscheinlich im Unerschaffenen geblieben. Ich mußdaher, wenn ich die Entstehungsgeschichte von LSD er-zählen will, auch meine Laufbahn als Chemiker, mit dersie unlösbar verknüpft ist, kurz schildern.

Ich trat im Frühjahr 1929 nach Abschluß des Chemie-studiums an der Universität Zürich in das pharmazeu-tisch-chemische Forschungslaboratorium der Firma San-doz in Basel ein als Mitarbeiter von Professor Dr. ArthurStoll, dem Gründer und Leiter der pharmazeutischen Ab-teilung. Ich wählte diesen Arbeitsplatz, weil sich mir hierdie Gelegenheit bot, über Naturstoffe zu arbeiten. Stellen-angebote von zwei anderen Unternehmen der Basler che-mischen Industrie lehnte ich ab, weil ich dort auf demGebiet der synthetischen Chemie hätte tätig sein müssen.

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Erste chemische Arbeiten

Meine Vorliebe für die Chemie der Tier- und Pflanzen-welt hatte schon das Thema meiner Doktorarbeit beiProfessor Paul Karrer bestimmt. Mit Hilfe des Magen-darmsaftes der Weinbergschnecke war mir erstmals derenzymatische Abbau des Chitins gelungen, der Gerüst-substanz, aus der die Panzer, Flügel und Scheren der In-sekten, der Krebse und anderer niederer Tiere aufgebautsind. Aus dem beim Abbau erhaltenen Spaltprodukt, ei-nem stickstoffhaltigen Zucker, konnte die chemischeStruktur von Chitin abgeleitet werden, die derjenigen derpflanzlichen Gerüstsubstanz Cellulose analog ist. Dieseswichtige Ergebnis der nur drei Monate dauernden Unter-suchung führte zu einer »mit Auszeichnung« bewertetenDoktorarbeit.

Bei meinem Eintritt in die Firma Sandoz war der Perso-nalbestand der pharmazeutisch-chemischen Abteilungnoch recht bescheiden. In der Forschung arbeiteten vier,in der Produktion drei Chemiker mit Akademikergrad.

Im Stollschen Laboratorium fand ich eine Tätigkeit, diemir als Forschungschemiker sehr zusagte. Professor Stollsetzte sich zum Ziel, mit schonenden Methoden die un-versehrten wirksamen Prinzipien aus bewährten Arznei-pflanzen zu isolieren und in reiner Form darzustellen.Das ist besonders sinnvoll bei Arzneipflanzen, derenWirkstoffe leicht zersetzlich sind und deren Wirkstoffge-halt großen Schwankungen unterworfen ist, was einerexakten Dosierung entgegensteht. Liegt aber der Wirk-stoff in reiner Form vor, dann ist die Voraussetzung fürdie Herstellung eines stabilen, mit der Waage genau do-sierbaren pharmazeutischen Präparates gegeben. Aus sol-chen Überlegungen hatte Stoll altbekannte, wertvollepflanzliche Drogen wie den Fingerhut (Digitalis), dieMeerzwiebel (Scilla maritima) und das Mutterkorn (Seca-je cornutum), die aber wegen ihrer Zersetzlichkeit undunsicheren Dosierung bis dahin nur beschränkte medizi-

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nische Anwendung gefunden hatten, in Bearbeitung ge-nommen.

Die ersten Jahre meiner Tätigkeit im Sandoz-Laborato-rium waren fast ausschließlich Untersuchungen über dieWirkstoffe der Meerzwiebel gewidmet. Dr. Walter Kreis,einer der ersten Mitarbeiter von Professor Stoll, führtemich in das Arbeitsgebiet ein. Die wichtigsten aktivenBestandteile der Meerzwiebel lagen bereits in reinerForm vor. Ihre Isolierung ebenso wie die Reindarstellungder Inhaltsstoffe des wolligen Fingerhutes (Digitalis lana-ta) hatte hauptsächlich Dr. Kreis mit außerordentlichemexperimentellen Geschick durchgeführt.

Die Wirkstoffe der Meerzwiebel gehören zur Gruppeder herzaktiven Glykoside (zuckerhaltige Substanzen)und dienen wie die des Fingerhutes zur Behandlung vonHerzmuskelschwäche. Die Herzglykoside sind hochakti-ve Substanzen. Ihre therapeutische (heilsame) und ihretoxische (giftige, zu Herzstillstand führende) Dosis liegennahe beieinander, so daß hier eine genaue Dosierung mitHilfe der Reinsubstanzen besonders wichtig ist.

Zu Beginn meiner Untersuchungen hatte Sandoz be-reits ein pharmazeutisches Präparat mit Scilla-Glykosi-den in die Therapie eingeführt, doch war die chemischeStruktur dieser Wirksubstanzen mit Ausnahme des Zuk-kerteiles noch völlig unbekannt.

Mein Hauptbeitrag an der Scilla-Forschung bestand inder Aufklärung des chemischen Aufbaus des Grundkör-pers der Scilla-Glykoside, aus dem einerseits der Unter-schied gegenüber den Digitalis-Glykosiden, andererseitsdie nahe strukturelle Verwandtschaft mit den Giftstoffender Hautdrüsen von Kröten hervorging. Diese Arbeitenfanden 1935 einen vorläufigen Abschluß.

Auf der Suche nach einem neuen Arbeitsgebiet bat ichProfessor Stoll um die Erlaubnis, Untersuchungen überdie Alkaloide des Mutterkorns wieder aufzunehmen, dieer 1917 begonnen hatte und die bereits 1918 zur Isolie-rung von Ergotamin führten. Das von Stoll entdeckte

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Ergotamin war das erste in chemisch reiner Form ausdem Mutterkorn gewonnene Alkaloid. Obwohl Ergota-min schon bald als blutstillendes Mittel in der Geburts-hilfe und als Medikament zur Behandlung von Migräneeinen bedeutenden Platz im Arzneimittelschatz einnahm,war die chemische Mutterkornforschung in den Sandoz-Laboratorien nach der Reindarstellung von Ergotaminund der Ermittlung seiner chemischen Summenformelstehengeblieben. Inzwischen hatte man aber Anfang derdreißiger Jahre in englischen und amerikanischen Labora-torien mit der Ermittlung der chemischen Struktur vonMutterkornalkaloiden begonnen. Nun war dort zudemein neues, wasserlösliches Mutterkornalkaloid entdecktworden, das auch aus den Mutterlaugen der Ergotamin-Fabrikation isoliert werden konnte. Es schien mir daheran der Zeit, die chemische Bearbeitung der Mutterkorn-alkaloide wieder aufzunehmen, wenn Sandoz nicht Ge-fahr laufen wollte, den führenden Platz auf dem damalsschon wichtigen Arzneimittelsektor zu verlieren.

Professor Stoll war mit meinem Anliegen einverstan-den, bemerkte aber: »Ich warne Sie vor den Schwierigkei-ten, denen Sie beim Arbeiten mit Mutterkornalkaloidenbegegnen werden. Es sind äußerst empfindliche, leichtzersetzliche Substanzen, bezüglich Stabilität ganz ver-schieden von den Verbindungen, mit denen Sie auf demHerzglykosid-Gebiet gearbeitet haben. Aber wenn Siewollen, versuchen Sie es halt einmal.«

Damit waren die Weichen gestellt, das Hauptthemameiner beruflichen Laufbahn festgelegt. Ich erinneremich noch deutlich des Gefühls der Erwartung vonSchöpferglück, das ich im Hinblick auf die geplanten Un-tersuchungen auf dem damals noch wenig erschlossenenGebiet der Mutterkornalkaloide empfand.

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Mutterkorn

Hier sind rückblendend einige Angaben über das Mutter-korn am Platz.' Mutterkorn wird durch einen niederenPilz (Claviceps purpurea) erzeugt, der vor allem auf Rog-gen, aber auch auf anderen Getreidearten und auch aufWildgräsern wuchert. Die von diesem Pilz befallenenKörner entwickeln sich zu hellbraunen bis violettbraunengebogenen Zapfen (Sklerotien), die sich anstelle einesnormalen Kornes aus den Spelzen hervordrängen. Bota-nisch stellt Mutterkorn ein Dauermycel, die Überwinte-rungsform des Mutterkornpilzes, dar. Offiziell, das heißtfür Heilzwecke, wird das Mutterkorn des Roggens (Seca-le cornutum) verwendet.

Kaum eine andere Droge hat eine so faszinierende Ge-schichte wie das Mutterkorn. In ihrem Verlauf hat sichseine Rolle und Bedeutung umgekehrt: Zuerst als Gift-träger gefürchtet, wandelte es sich im Laufe der Zeit ineine reiche Fundgrube von wertvollen Heilmitteln.

Erstmals tritt das Mutterkorn im frühen Mittelalter alsUrsache epidemieartig auftretender Massenvergiftungenins Blickfeld der Geschichte, denen jeweils Tausende vonMenschen zum Opfer fielen. Die Krankheit, deren Zu-sammenhang mit dem Mutterkorn lange nicht erkanntwurde, trat in zwei charakteristischen Formen auf, alsBrandseuche (Ergotismus gangraenosus) und als Krampf-seuche (Ergotismus convulsivus). Auf die gangränöseForm des Ergotismus bezogen sich Krankheitsbezeich-nungen wie »mal des ardents«, »ignis sacer«, heiliges Feu-er. Der Schutzheilige der Mutterkornkranken war derheilige Antonius, und es war der Orden der Antoniter,der sich vor allem ihrer Pflege annahm. In den meisten

' Der am Mutterkorn näher Interessierte sei auf die Monographie vonG. Barger: Ergot and Ergotism (London: Gurney and Jackson 1931)und von A. Hofmann: Die Mutterkornalkaloide (Stuttgart 1964) hinge-wiesen. Im erstgenannten Buch findet die Geschichte dieser Droge ihreklassische Darstellung, im zweiten steht die Chemie im Vordergrund.

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europäischen Ländern und auch in gewissen GebietenRußlands war bis in die Neuzeit das epidemieartige Auf-treten von Mutterkornvergiftungen zu verzeichnen. Mitder Verbesserung des Ackerbaus und nachdem man im17. Jahrhundert erkannt hatte, daß mutterkornhaltigesBrot die Ursache des Ergotismus war, nahm die Häufig-keit und das Ausmaß von Mutterkornepidemien immermehr ab. Die letzte größere Epidemie suchte in den Jah-ren 1926/27 gewisse Gebiete Südrußlands heim. 2

Die erste Erwähnung einer medizinischen Anwendungvon Mutterkorn, nämlich als Wehenmittel, findet sich imKräuterbuch des Frankfurter Stadtarztes Adam Lonitzer,Lonicerus, aus dem Jahre 1582. Obwohl Mutterkorn, wieaus dieser Stelle hervorgeht, von jeher von Hebammen alsWehenmittel benutzt worden war, hat diese Droge erst1908 aufgrund einer Arbeit des amerikanischen ArztesJohn Stearns, betitelt >Account of the pulvis parturiens, aRemedy for Quickening Child-birth<, Eingang in dieSchulmedizin gefunden. Die Anwendung von Mutter-korn als Wehenmittel bewährte sich jedoch nicht. Diegroße Gefahr für das Kind, die vor allem in der unzuver-lässigen und zu hohen Dosierung lag, was zum Gebär-mutterkrampf führte, wurde schon früh erkannt. Von daan beschränkte sich die Anwendung von Mutterkorn inder Geburtshilfe auf das Stillen der Nachgeburtsblutun-gen.

Nach der Aufnahme des Mutterkorns in verschiedeneArzneibücher in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundertssetzten auch die ersten chemischen Arbeiten zur Isolie-rung der Wirkstoffe dieser Droge ein. Den zahlreichenBearbeitern, die sich in den ersten hundert Jahren der

Z Die Massenvergiftung in der südfranzösischen Stadt Pont-St. Espritim Jahr 1961, die in vielen Veröffentlichungen mutterkornhaltigem Brotzugeschrieben wurde, hatte jedoch mit Ergotismus nichts zu tun. Eshandelte sich vielmehr um eine Vergiftung durch eine organischeQuecksilberverbindung, die zur Desinfektion von Saatgutgetreide ver-wendet wurde.

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Forschung mit diesem Problem befaßten, gelang es abernicht, die eigentlichen Träger der therapeutischen Wir-kung zu identifizieren. Erst die Engländer G. Barger undF. H. Carr isolierten 1907 ein wirksames, aber wie ichfünfunddreißig Jahre später zeigen konnte, nicht einheit-liches Alkaloidpräparat, das sie »Ergotoxin« nannten,weil es mehr die toxischen als die therapeutischen Wir-kungen des Mutterkorns aufwies. Immerhin entdeckteder Pharmakologe H. H. Dale bereits bei Ergotoxin —neben dem gebärmutterkontrahierenden Effekt — die fürdie therapeutische Anwendung gewisser Mutterkorn-alkaloide wichtige, zu Adrenalin antagonistische Wir-kung auf das vegetative Nervensystem. Erst mit derschon erwähnten Isolierung von Ergotamin durchA. Stoll fand ein Mutterkornalkaloid Eingang in die Heil-kunde und weitverbreitete Anwendung.

Anfang der dreißiger Jahre begann eine neue Phase derMutterkornforschung, da, wie schon erwähnt, englischeund amerikanische Laboratorien anfingen, die chemischeStruktur von Mutterkornalkaloiden zu ermitteln. W. A.Jacobs und L. C. Craig vom Rockefeller Institute in NewYork gelang es durch chemische Spaltung, den allen Mut-terkornalkaloiden gemeinsamen Grundbaustein zu isolie-ren und zu charakterisieren. Sie nannten ihn »Lysergsäu-re« (lysergic acid). Einen wichtigen Fortschritt sowohl inchemischer als auch in medizinischer H^iisicht brachtespäter die Isolierung des spezifisch auf die Gebärmutterwirksamen, blutstillenden Prinzips des Mutterkorns, diegleichzeitig von vier voneinander unabhängigen Institu-ten, darunter vom Sandoz-Laboratorium, publiziert wur-de. Es handelte sich um ein verhältnismäßig einfach ge-bautes Alkaloid, das von A. Stoll und E. Burckhardt dieBezeichnung »Ergobasin« (syn. Ergometrin, Ergonovin)erhielt. Beim chemischen Abbau des Ergobasins erhieltenW. A. Jacobs und L. C. Craig als Spaltprodukte Lyserg-säure und den Aminoalkohol Propanolamin.

Die erste Aufgabe, die ich mir in meinem neuen Ar-

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beitsgebiet stellte, war die synthetische Herstellung die-ses Alkaloids durch chemische Verknüpfung der beidenBausteine von Ergobasin, also Lysergsäure, und Propa-nolamin (vgl. Formelschema S. 209).

Die für diese Versuche benötigte Lysergsäure mußteduch chemische Spaltung irgendeines anderen Mutter-kornalkaloids gewonnen werden. Da als reines Alkaloideinzig Ergotamin zur Verfügung stand, das in der phar-mazeutischen Produktionsabteilung damals bereits in Ki-logramm-Mengen hergestellt wurde, wollte ich es alsAusgangsmittel für meine Versuche verwenden. Als ichaus der Mutterkornproduktion 0,5 g Ergotamin beziehenwollte und der interne Bestellschein Professor Stoll zurGegenzeichnung vorgelegt wurde, erschien er persönlichim Laboratorium. Aufgebracht rügte er mich: »Wenn Siemit Mutterkornalkaloiden arbeiten wollen, dann müssenSie sich mit den Methoden der Mikrochemie vertraut ma-chen. Es geht nicht an, daß Sie eine so große Mengemeines kostbaren Ergotamins für Ihre Versuche verbrau-chen.« (»Mikrochemie« nennt man die chemische Unter-suchung mit sehr kleinen Substanzmengen.)

In der Mutterkorn-Produktionsabteilung wurde nebenMutterkorn schweizerischer Herkunft, aus dem Ergot-amin gewonnen wurde, auch portugiesisches Mutterkornextrahiert, aus dem ein amorphes Alkaloidpräparat anfiel,das dem schon erwähnten, von Barger und Carr erstmalshergestellten Ergotoxin entsprach. Dieses weniger wert-volle Ausgangsmaterial verwendete ich nun für die Ge-winnung von Lysergsäure. Allerdings mußte das aus derFabrikation bezogene Alkaloid noch weiter gereinigtwerden, bevor es sich für die Spaltung in Lysergsäureeignete. Bei diesen Reinigungsprozessen machte ich Be-obachtungen, die darauf hindeuteten, daß Ergotoxin keineinheitliches Alkaloid, sondern ein Gemisch von mehre-ren Alkaloiden sein könnte. Auf die weitreichenden Fol-gen dieser Beobachtungen komme ich später noch zusprechen.

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