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Bachelorprüfung Privatrecht III, HS12 Lehrstuhl Prof. Dr. Ruth Arnet 1 Lösungsskizze Bachelorprüfung Privatrecht III vom 16. Januar 2013 Vorbemerkung zur Bewertung Diese Musterlösung enthält diejenigen Ausführungen, die als korrekt bewertet wurden. Die auf dieser Grundlage maximal mögliche Punktzahl (Punkte) war für die Erreichung der Höchstnote nicht erforderlich (vgl. Notenskala am Ende der Lösungsskizze). A. 1. Wie gross ist der Nachlass von Victor? Wie gross sind die Anteile von A, B und C am Nachlass von Victor (in Franken)? I. Nachlass von Victor 1. Nachlass: Der Nachlass besteht aus dem gesamten Vermögen des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes (ZGB 474 I). 0.5 Zum Nachlass gehören sowohl Aktiven (Forderungen, Eigentum, beschränkte dingliche Rechte und Besitz) als auch Passiven (Schulden, ZGB 474 II, 560 II); die Schulden des Erblassers werden zu persönlichen Schulden der Erben (ZGB 560 II, 603 I; BREITSCHMID PETER/EITEL PAUL/FANKHAUSER ROLAND/RUMO-JUNGO ALEXANDRA, Erbrecht, 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf, 2012, S. 192 ff. [zit.: literaB]). 0.5 1.0 2. Ausgleichung: Da Victor bei Lebzeiten Anna sein Grundstück G2 „als verspätetes Hochzeitsgeschenk“ unentgeltlich zu Eigentum übertragen hat, stellt sich die Frage, ob Anna dieses Grund- stück zur Ausgleichung bringen muss. Die Ausgleichung sorgt für die erbrechtliche Be- rücksichtigung lebzeitiger Zuwendungen des Erblassers. Sie bezweckt in erster Linie eine Gleichbehandlung der Nachkommen und insbesondere der Kinder des Erblassers. 0.5 (literaB, S. 156 f.) 0.5 a. gewillkürte Ausgleichung nach ZGB 626 I: Gemäss ZGB 626 I sind die gesetzlichen Erben gegenseitig verpflichtet, alles zur Aus- gleichung zu bringen, was ihnen der Erblasser bei Lebzeiten auf Anrechnung an ihren Erbanteil zugewendet hat. 0.5 Ausgeglichen werden muss nur, wenn der Erblasser die Ausgleichung tatsächlich angeordnet hat (= gewillkürte Ausgleichung). 0.5 A ist als Nachkomme von V seine gesetzliche Erbin (ZGB 457 I). Eine Zuwendung in An- rechnung auf ihren Erbanteil mit ausdrücklicher Anordnung der Ausgleichung durch V ist nicht erfolgt. Victor hat sich diesbezüglich gar nicht geäussert. Somit findet ZGB 626 I keine Anwendung. 0.5 1.5 b. gesetzliche Ausgleichung nach ZGB 626 II: Gemäss ZGB 626 II steht alles, was der Erblasser seinen Nachkommen als Heiratsgut, Ausstattung oder durch Vermögensabtretung, Schulderlass und dergleichen zugewendet hat, unter der Ausgleichungspflicht, sofern der Erblasser nicht ausdrücklich das Gegenteil verfügt hat (= gesetzliche Ausgleichung). 0.5 I.c. hat Victor Anna das Grundstück G2 „als verspätetes Hochzeitsgeschenk“ unentgeltlich zu Eigentum übertragen und kommt daher ZGB 626 II in Frage. ZGB 626 II ist deshalb genauer zu prüfen. 0.5 1.0

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Bachelorprüfung Privatrecht III, HS12 Lehrstuhl Prof. Dr. Ruth Arnet

1

Lösungsskizze Bachelorprüfung Privatrecht III vom 16. Januar 2013

Vorbemerkung zur Bewertung

Diese Musterlösung enthält diejenigen Ausführungen, die als korrekt bewertet wurden. Die auf dieser Grundlage

maximal mögliche Punktzahl (Punkte) war für die Erreichung der Höchstnote nicht erforderlich (vgl. Notenskala

am Ende der Lösungsskizze).

A.

1. Wie gross ist der Nachlass von Victor? Wie gross sind die Anteile von A, B und C am Nachlass von Victor (in Franken)?

I. Nachlass von Victor

1. Nachlass:

Der Nachlass besteht aus dem gesamten Vermögen des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes (ZGB 474 I). 0.5 Zum Nachlass gehören sowohl Aktiven (Forderungen, Eigentum,

beschränkte dingliche Rechte und Besitz) als auch Passiven (Schulden, ZGB 474 II, 560 II); die Schulden des Erblassers werden zu persönlichen Schulden der Erben (ZGB 560 II, 603 I; BREITSCHMID PETER/EITEL PAUL/FANKHAUSER ROLAND/RUMO-JUNGO ALEXANDRA, Erbrecht, 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf, 2012, S. 192 ff. [zit.: literaB]). 0.5

1.0

2. Ausgleichung:

Da Victor bei Lebzeiten Anna sein Grundstück G2 „als verspätetes Hochzeitsgeschenk“ unentgeltlich zu Eigentum übertragen hat, stellt sich die Frage, ob Anna dieses Grund-stück zur Ausgleichung bringen muss. Die Ausgleichung sorgt für die erbrechtliche Be-

rücksichtigung lebzeitiger Zuwendungen des Erblassers. Sie bezweckt in erster Linie eine Gleichbehandlung der Nachkommen und insbesondere der Kinder des Erblassers. 0.5 (literaB, S. 156 f.)

0.5

a. gewillkürte Ausgleichung nach ZGB 626 I:

Gemäss ZGB 626 I sind die gesetzlichen Erben gegenseitig verpflichtet, alles zur Aus-gleichung zu bringen, was ihnen der Erblasser bei Lebzeiten auf Anrechnung an ihren Erbanteil zugewendet hat. 0.5 Ausgeglichen werden muss nur, wenn der Erblasser die Ausgleichung tatsächlich angeordnet hat (= gewillkürte Ausgleichung). 0.5

A ist als Nachkomme von V seine gesetzliche Erbin (ZGB 457 I). Eine Zuwendung in An-rechnung auf ihren Erbanteil mit ausdrücklicher Anordnung der Ausgleichung durch V ist nicht erfolgt. Victor hat sich diesbezüglich gar nicht geäussert. Somit findet ZGB 626 I keine Anwendung. 0.5

1.5

b. gesetzliche Ausgleichung nach ZGB 626 II:

Gemäss ZGB 626 II steht alles, was der Erblasser seinen Nachkommen als Heiratsgut, Ausstattung oder durch Vermögensabtretung, Schulderlass und dergleichen zugewendet

hat, unter der Ausgleichungspflicht, sofern der Erblasser nicht ausdrücklich das Gegenteil verfügt hat (= gesetzliche Ausgleichung). 0.5

I.c. hat Victor Anna das Grundstück G2 „als verspätetes Hochzeitsgeschenk“ unentgeltlich zu Eigentum übertragen und kommt daher ZGB 626 II in Frage. ZGB 626 II ist deshalb genauer zu prüfen. 0.5

1.0

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2

c. Subjekt der Ausgleichungspflicht:

ZGB 626 II nennt „Nachkommen“ als Subjekt der Ausgleichungspflicht bzw. als Ausglei-chungsschuldner. 0.5

I.c. ist A als Tochter von V Nachkomme und damit Subjekt der Ausgleichungspflicht. 0.5

1.0

d. Objekt der Ausgleichungspflicht:

ZGB 626 II spricht bezüglich der Objekte der Ausgleichung von Heiratsgut, Ausstattung, Vermögensabtretung, Schulderlass und dergleichen. Es muss sich dabei um unentgeltli-che Zuwendungen handeln. 0.5

Heiratsgut meint die sog. „Mitgift“ für die Tochter. Ausstattung i.e.S. sind insbesondere Zuwendungen an den Sohn anlässlich der Verehelichung. 0.5 Ausstattung i.w.S. meint Zuwendungen „von gewissem Ausstattungscharakter“, welche „als gemeinsames Merk-mal den Zweck der Existenzbegründung, -sicherung oder -verbesserung für den Empfän-ger“ haben. 0.5 Es muss sich um Zuwendungen von einer gewissen Bedeutung handeln

(ZGB 632 e contrario: Übliche Gelegenheitsgeschenke sind nicht ausgleichungspflichtig: literaB, S. 166 f.). 0.5

I.c. handelt es sich nicht um ein Gelegenheitsgeschenk, welches nicht der Ausgleichung unterläge (ZGB 632). 0.5 Der Zweck der Existenzverbesserung ist gegeben. V schenkt A das Grundstück, damit sie darauf ihr Haus bauen kann und als „verspätetes Hochzeitsge-

schenk“. Bei der unentgeltlichen Übertragung des Grundstücks handelt es sich somit um eine Ausstattung (i.w.S.). 0.5

3.0

e. Keine Befreiung von der Ausgleichungspflicht:

In ZGB 626 II wird die Ausgleichungspflicht vermutet. Will der Erblasser, dass nicht aus-geglichen wird, muss er dies ausdrücklich verfügen. 0.5

I.c. hat V in keiner Weise verfügt, dass diese unentgeltliche Grundstücksübereignung nicht der Ausgleichung unterliegen sollte. Es gilt damit die gesetzliche Vermutung der

Ausgleichungspflicht. 0.5

Anna muss das Grundstück G2 zur Ausgleichung bringen. 0.5 Dessen Wert wird also für die Berechnung des Erbanspruchs dem reinen Nachlass hinzugerechnet. 0.5

2.0

3. Zusammensetzung und Höhe des Nachlasses von V:

Wie oben schon festgestellt (A.1.I.1), gehören zum Nachlass sowohl alle Aktiven als auch alle Passiven (Schulden).

Der Nachlass setzt sich damit in unserem Fall wie folgt zusammen:

Aktiven: a. Bankguthaben: CHF 200‘000 b. Grundstück G1: CHF 3‘000‘000 c. Grundstück G2: CHF 750‘000 d. Guthaben Darlehensforderung: CHF 50‘000

CHF 4‘000‘000

Passiven (Schulden): Rechnungen: CHF 100‘000 0.5

V hinterlässt seinen Kindern somit Aktiven im Wert von CHF 4.0 Mio. und Passiven im Wert von CHF 100‘000. Der Nettonachlass beträgt damit CHF 3.9 Mio. 0.5

1.0

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3

II. Anteile von A, B und C am Nachlass

1. Gewillkürte Erbfolge:

Der Erblasser kann in den Schranken der Verfügungsfreiheit über sein Vermögen mit letztwilliger Verfügung oder mit Erbvertrag ganz oder teilweise verfügen (ZGB 481 I). Hat er keine Verfügung von Todes wegen errichtet, gelangt die gesetzliche Ordnung zu An-wendung (vgl. ZGB 481 II, gesetzliche Erbfolge; literaB, S. 19). 0.5

Da V kein Testament und auch keine andere Verfügung von Todes wegen verfasst hat, gilt die gesetzliche Erbfolge (literaB, S. 19). 0.5

1.0

2. Gesetzliche Erbfolge:

Die gesetzliche Erbfolge wird nach dem Parentelsystem bestimmt, wobei das schweizeri-sche Erbrecht drei Parentelen kennt. Die erste Parentel umfasst die Nachkommen des Erblassers. Die zweite Parentel ist die elterliche Parentel (ZGB 458) und die dritte ist die grosselterliche Parentel (ZGB 459). 0.5 Gemäss ZGB 457 I sind die nächsten Erben eines Erblassers seine Nachkommen (erste Parentel; literaB, S. 21, 23). 0.5 Nach ZGB 457 II

erben die Nachkommen zu gleichen Teilen. 0.5

In unserem Fall bekommen somit A, B und C als einzige Nachkommen jeweils 1/3 des Nachlasses. Der Anteil von A, B und C am Nachlass beträgt somit jeweils 1/3 von CHF 3.9 Mio., also je CHF 1.3 Mio. 0.5

2.0

3. Überlebender Ehegatte:

Ausserhalb der Parentelen sind auch der überlebende Ehegatte und der überlebende eingetragene Partner ebenfalls gesetzliche Erben (ZGB 462). 0.5 Geschiedene Ehegatten

haben jedoch zueinander kein gesetzliches Erbrecht (ZGB 120 II; literaB, S. 22, 28). 0.5

In unserem Fall hinterlässt Victor keine Ehefrau als gesetzliche Erbin, er ist laut Sachver-halt geschieden. 0.5

1.5

4. Erwerb der Erbschaft:

Die Erben erwerben die Erbschaft als Ganzes mit dem Tod des Erblassers unmittelbar von Gesetzes wegen (Universalsukzession, ZGB 560 I). 0.5 Von gesetzlichen Ausnah-men abgesehen gehen Forderungen, das Eigentum, die beschränkten dinglichen Rechte und der Besitz der Erblassers ohne weiteres auf sie über (eo-ipso, ZGB 560 II). 0.5 Bis

die Erbschaft geteilt ist, bilden die Erben eine Erbengemeinschaft (Gesamteigentum, ZGB 602; literaB, S. 16, 192 ff.). 0.5

A, B und C sind als einzige Nachkommen die einzigen gesetzlichen Erben. Sie erben mit dem Tod von Victor den gesamten Nachlass alleine (ZGB 457). 0.5

2.0

5. Ausschluss der Herabsetzung:

Da Victor das Grundstück G2 zu seinen Lebzeiten Anna zugewendet hat, stellt sich die Frage, ob eventuell auch ein Herabsetzungsanspruch besteht.

Nach ZGB 475 sind gewisse Zuwendungen unter Lebenden dem Nachlass hinzuzurech-nen und zwar insoweit, als sie der Herabsetzungsklage unterstellt sind. 0.5 Gemäss ZGB 522 können die Erben mittels Herabsetzungsklage dann, wenn der Erblasser seine Ver-fügungsbefugnis überschritten hat und sie ihren Pflichtteil dem Werte nach nicht erhalten haben, die Herabsetzung der Verfügung auf das erlaubte Mass verlangen. Die Herabset-

zung greift also bei der Verletzung von Pflichtteilen (ZGB 522). 0.5 Der verfügbare Teil wird nach ZGB 474 ff. berechnet. 0.5

1.5

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4

a. Herabsetzbare Zuwendungen:

Gemäss ZGB 527 Z1 unterliegen Zuwendungen auf Anrechnung an den Erbteil, als Hei-ratsgut oder Vermögensabtretung der Herabsetzung. 0.5 Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn sie nicht der Ausgleichung unterworfen sind. Die Herabsetzung steht somit zur Ausgleichung in einem Subsidiaritätsverhältnis: was ausgeglichen wird, kann nicht auch

noch der (Hinzurechnung und) Herabsetzung unterliegen. 0.5 (literaB, S 172 ff.)

1.0

b. Verletzung von Pflichtteilen?

Nach ZGB 471 Z 1 beträgt der Pflichtteil der Nachkommen ¾ des gesetzlichen Erban-spruchs. 0.5

In unserem Fall beträgt der gesetzliche Erbteil von A, B und C jeweils 1/3 vom Nachlass; der Pflichtteil von A, B und C beträgt somit jeweils ¾ von 1/3 des Nachlasses (¾ x 1/3 = 3/12 = ¼ ), also ¼ von CHF 3.9 Mio. A, B und C haben daher jeweils einen Pflichtteilsan-spruch von CHF 975‘000. 0.5

Die frei verfügbare Quote beträgt somit (3.9 Mio. – 3 x 975‘000.00) CHF 975‘000. 0.5 Der

Wert des an A übertragenen Grundstücks beträgt CHF 750‘000.-- und liegt damit unter diesem frei verfügbaren Rahmen. 0.5

Eine Herabsetzung ist hier nicht relevant, da A im Hinblick auf das Grundstück G2 eine

Ausgleichspflicht trifft und die Herabsetzung der Ausgleichung nachgeht. Ausserdem

wurden durch die Zuwendung des Grundstücks G2 an A ohnehin keine Pflichtteile der

Erben verletzt.(0.5, sofern nicht schon oben berücksichtigt)

2.0

(2.5)

III. Fazit (Punkte, soweit nicht bereits berücksichtigt)

Der Nachlass von Victor umfasst all seine Aktiven vermindert um die Passiven und be-

trägt konkret CHF 3.9 Mio. (0.5)

A, B und C sind die gesetzlichen Erben von V und erhalten je 1/3 vom Nachlass, also konkret CHF 1.3 Mio.(0.5)

(1.0)

Punktetotal Frage A.1 22.0

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5

2. Kann Anna ihr Grundstück (G2) in Meggen behalten?

I. Durchführung der Ausgleichung Man könnte sich die Frage der Gültigkeit des Eigentumserwerbs durch A stellen. Als

Schenkung gilt jede Zuwendung unter Lebenden, mit der jemand aus seinem Vermögen einen andern ohne entsprechende Gegenleistung bereichert (OR 239 I); für die Schen-kung eines Grundstückes ist die öffentliche Beurkundung erforderlich (OR 243 II). 0.5

Nach dem Sachverhalt hat V das Eigentum am Grundstück G2 zu Lebzeiten unentgeltlich auf A übertragen; insofern lag eine Schenkung vor. Nach dem Sachverhalt hat A gültig

Eigentum erworben, so dass sich eine weitere Prüfung des Zustandekommens des Schenkungsvertrags erübrigt. 0.5

Ob V ihr Grundstück G2 behalten kann, ist eine Frage der Ausgleichung und ihrer Durch-führung (ZGB 626 ff.). Die Ausgleichungspflicht wurde oben (A.1.I.2) bejaht.

1.0

1. Einwerfung oder Anrechnung

ZGB 628 normiert ein Wahlrecht der Erben (gemeint sind damit die Ausgleichungsschuld-ner), die Ausgleichung durch Einwerfung in Natur (Naturalausgleich) oder durch Anrech-

nung dem Werte nach (Wertausgleich) vorzunehmen. Die ausgleichspflichtigen Zuwen-dungen werden dementsprechend entweder tatsächlich oder nur rechnerisch dem reinen Nachlass hinzugerechnet. 0.5 (literaB, S. 159, 169)

A kann somit das Grundstück entweder „einwerfen“ oder es behalten. Nach dem Sach-verhalt möchte A das Grundstück (vorerst) für sich behalten und wird dementsprechend den Wertausgleich wünschen. 0.5

1.0

2. Ausgleichungswert

Der Ausgleichungswert ist nach ZGB 630 I der Wert der Zuwendung im Zeitpunkt des Erbganges. (literaB, S. 169) Laut Sachverhalt beträgt der Wert des Grundstücks G2 im Zeitpunkt des Erbganges CHF 750‘000.--. 0.5

0.5

3. Zusammensetzung des Erbanteils von A

Der gesetzliche Erbanteil von A beträgt CHF 1‘300‘000. Diesem Betrag ist der Wert des

erhaltenen Grundstücks G2 (Ausgleichungswert) von CHF 750‘000 im Rahmen der Aus-gleichung anzurechnen. Damit hat A noch einen Anspruch auf CHF 550‘000. 0.5

0.5

II. Fazit (Punkte, soweit nicht bereits berücksichtigt) A kann, wenn sie bei der Durchführung der Ausgleichung den Wertausgleich wünscht, das Grundstück G2 behalten. 0.5

(0.5)

Punktetotal Frage A.2 3.0

Punkteübersicht Frage A

A.1 22.0

A.2 3.0

Gesamttotal 25.0

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6

B.

1. Stellen Sie die rechtliche Bedeutung der oben zitierten Vertragsbe-stimmungen dar?

I. Grundlagen

1. Grundstückkaufvertrag

Laut Sachverhalt sind die zu beurteilenden Bestimmungen Bestandteil eines formgültigen

Grundstückkaufvertrages zwischen Anna und Kaspar. Der Grundstückkauf ist in OR 216 ff. besonders geregelt. Sofern keine Sonderregeln bestehen, finden auf den Grundstück-kauf die Bestimmungen über den Fahrniskauf entsprechende Anwendung (OR 221). 0.5

Der Kaufvertrag ist ein vollkommen zweiseitiger (synallagmatischer) Vertrag. Beim Grundstückkaufvertrag ist der Kaufpreis als Gegenleistung für die Eigentumsübertragung

an einem Grundstück geschuldet. 0.5

Nach dem Sachverhalt wurde der Grundstückkaufvertrag im Rahmen einer öffentlichen Beurkundung zwischen A und K durch den Austausch übereinstimmender Willenserklä-rungen abgeschlossen, und der Konsens zwischen A und K erstreckte sich auf alle we-sentlichen Vertragspunkte (Entrichtung des Kaufpreises; Eigentumsverschaffung am

Grundstück) sowie auch auf die zitierten Bestimmungen (OR 1). 0.5

Voraussetzung für den gültigen Abschluss ist, dass A und K rechtsfähig (ZGB 11) und handlungs- bzw. geschäftsfähig (ZGB 12 ff.) sind. Aufgrund fehlender gegenteiliger Anga-ben im Sachverhalt können diese Erfordernisse i.c. als gegeben erachtet werden. 0.5

Aus OR 216 und ZGB 657 I ergibt sich das Erfordernis der öffentlichen Beurkundung.

Laut Sachverhalt ist der Grundstückkaufvertrag öffentlich beurkundet und damit formgül-tig. 0.5

Aus dem Sachverhalt sind unter Vorbehalt von Willensmängeln (siehe unten B.2.I.3.e und B.2.III.) auch keine anderen Ungültigkeitsgründe (Inhaltsmängel) ersichtlich (OR 19, 20), weshalb der Kaufvertrag gültig zustande gekommen ist. 0.5

3.0

2. Vertragsauslegung (HUGUENIN CLAIRE, Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl.,

Zürich u.a. 2008, S. 41 ff. [zit.: HUGUENIN, OR AT])

a. Auslegungsarten:

Subjektive Auslegung (Rekonstruktion des Parteiwillens): Der Richter hat zunächst den

tatsächlich übereinstimmenden Willen der Parteien zu ermitteln. Soweit dieser feststellbar ist, bildet er den Vertragsinhalt (OR 18 I). Der wirkliche Wille wird mittels subjektiver (em-pirischer) Auslegung eruiert, mittels Indizien. 0.5

Objektivierte Auslegung (Konstruktion des Parteiwillens): Wenn im Auslegungszeitpunkt

der tatsächlich übereinstimmende Wille nicht mehr festgestellt werden kann, ist mittels der objektivierten (normativen) Auslegung der mutmassliche Parteiwille zu ermitteln. Das Gericht hat in objektivierter Betrachtungsweise darauf abzustellen, was vernünftig und redlich handelnde Parteien nach Treu und Glauben (ZGB 2 I) unter den gegebenen Um-

ständen gewollt und ausgedrückt hätten. Dies ist eine Konstruktion des Parteiwillens nach Massgabe des Vertrauensprinzips. 0.5

1.0

b. Auslegungsmethoden:

Auslegungsmittel (Erkenntnisquelle): Der Wortlaut ist das primäre Willensindiz einer

ausdrücklichen Vertragserklärung v.a. bei der Ermittlung des natürlichen Konsenses.

Auch bei klarem Ergebnis der Wortlautauslegung hat die Vertragsauslegung unter Be-rücksichtigung des Gesamtzusammenhangs zu erfolgen. 0.5

1.0

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7

Auslegungsregeln: Diese geben vor, wie Wortsinn, vertragliche Bestimmungen oder ein

bestimmtes Verhalten zu deuten sind. Generell hat die Vertragsauslegung nach dem

Prinzip von Treu und Glauben zu erfolgen (ZGB 2 I). Daraus ergibt sich der Grundsatz,

dass objektiviert auszulegen ist, wenn der wirkliche Parteiwille nicht feststellbar ist. Weiter

hat die Auslegung ex tunc, auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses bezogen, zu erfol-

gen. Auch das Verhalten der Parteien nach Vertragsschluss ist zu berücksichtigen (Bsp.

Erfüllung). 0.5

II. Analyse von Satz 1: „Die Verkäuferin bestätigt ausdrücklich, dass sich das Kaufsobjekt in geologischer Hinsicht für die Überbauung mit mindestens zwei unterirdischen Geschossen eignet.“

Es stellt sich die Frage, ob eine Zusicherung vorliegt (HUGUENIN CLAIRE, Obligationen-recht, Besonderer Teil, 3. Aufl., Zürich u.a. 2008, S. 41 f. [zit.: HUGUENIN, OR BT]). Ob eine Anpreisung, eine selbständige Garantie oder eine Zusicherung vorliegt, ist durch Ausle-gung zu ermitteln. Massgeblich sind dabei der Inhalt und der Kontext der betreffenden Klausel. (HUGUENIN, OR BT, S. 41) 0.5

0.5

1. Begriff der Zusicherung im Kaufvertragsrecht

Eine Zusicherung i.S.v. OR 197 I liegt vor, wenn die Verkäuferin anlässlich des Vertrags-schlusses eine verbindliche Erklärung über das Vorliegen bestimmter Eigenschaften bzw. das Fehlen bestimmter Mängel abgibt. 0.5 Die Erklärung über die Beschaffenheit der

Ware muss für den Kaufentschluss des Käufers ursächlich sein. 0.5 Die Zusicherung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. 0.5 Indikatoren für Zusicherung: Zusicherung einer bestimmten, bei Prüfung der Sache feststellbaren Eigenschaft; 0.5 Aussagen wäh-rend der Vertragsverhandlungen; fehlende Selbständigkeit der Klausel (bildet Teil des Kaufvertrages; HUGUENIN, OR BT, S. 41). 0.5

In unserem Fall hat A anlässlich des Vertragsabschlusses eine Aussage über eine be-stimmte Eigenschaft, nämlich die Überbaubarkeit des Grundstücks gemacht. Diese Ei-genschaft ist bei Prüfung des Grundstücks feststellbar. Die Aussage ist auch ein Bestand-teil des Kaufvertrags. 0.5 Bei Satz 1 handelt es sich daher um eine ausdrückliche Zusi-cherung. 0.5

3.5

2. Abgrenzung von Anpreisung, Garantievertrag und Zusicherung

Anpreisung: Eine Anpreisung will nur Kauflust wecken, ist aber offenkundig nicht wörtlich

zu nehmen. 0.5 Es sind allgemein formulierte Erklärungen des Verkäufers, denen die Käufer kaum Beachtung schenken, so z.B. rein floskelhafte Garantien, meist in Prospek-ten und Inseraten. 0.5 (HUGUENIN, OR BT, S. 41 f.) A‘s Bestätigung ist wörtlich zu nehmen

und keine allgemein formulierte Erklärung, sondern direkt auf den Vertrag bezogen. 0.5 I.c. liegt keine Anpreisung vor. 0.5

Garantievertrag: Der Garantievertrag ist eine inhaltlich selbständige Abrede, 0.5 das

Einstehen für den Erfolg, die Zusicherung des Fortbestehens von Eigenschaften der Kaufsache, wenn dies weitgehend von ungewissen Ereignissen abhängt, also ausserhalb

des Einflussbereichs der Verkäuferin steht. 0.5 (HUGUENIN, OR BT, S. 42) Die Klausel ist Teil des Vertrags und nicht selbständig, sondern auch eine Eigenschaft des Kaufobjekts bei Vertragsschluss bezogen. 0.5 I.c. liegt kein Garantievertrag vor. 0.5

4.0

3. Rechtliche Wirkung der Zusicherung

Für Sachmängel, welche zugesicherte Eigenschaften betreffen, haftet die Verkäuferin unabhängig davon, ob diese den Wert der Sache oder ihre Tauglichkeit zum vorausge-setzten Gebrauch aufheben oder erheblich mindern (OR 197 I). 0.5 Es besteht hier also kein Erheblichkeitserfordernis. 0.5 (HUGUENIN, OR BT, S. 42)

1.0

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8

III. Analyse von Satz 2: „Jede Rechts- und Sachgewährleistung der Verkäufe-rin bezüglich des Kaufsobjektes wird ausdrücklich wegbedungen.“

Aufgrund der Verweisung in OR 221 gelten auch beim Grundstückkauf (mit der Modifika-tion von OR 219) die Regeln über die Rechts- und Sachgewährleistung (OR 192 ff.,197 ff.; HUGUENIN, OR BT, S. 40). 0.5 (soweit nicht bereits berücksichtigt).

Haftungsausschluss und Grenzen: Die Gewährleistungspflicht des Verkäufers ist dis-

positiv und kann aufgehoben, beschränkt oder erweitert werden. 0.5 Nach OR 199 ist der Gewährleistungsausschluss allerdings ungültig, wenn die Verkäuferin den Mangel arglis-tig verschwiegen hat. Dies setzt voraus, dass die Verkäuferin diesbezüglich eine Aufklä-rungspflicht trifft. 0.5

Aus OR 100 ergibt sich die Nichtigkeit einer zum Voraus getroffenen Verabredung, wo-nach die Haftung für rechtswidrige Absicht oder grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen sei. Nach der Mehrheit der Lehre sind für den Kaufvertrag OR 199 und OR 100 beachtlich; das Bundesgericht lässt die Frage nach dem Verhältnis der beiden Bestimmungen offen (BGE 126 III 67). 0.5

I.c. liegt kein arglistiges Verschweigen des Mangels vor (OR 199), da A selbst nicht wuss-te, dass sich das Grundstück nicht zum Bau in die Tiefe eignet. 0.5 Ebenso besteht sei-tens A mit Bezug auf den Mangel an sich (fehlende geologische Eignung) keine grobe Fahrlässigkeit (OR 100; die Fahrlässigkeit ist unabhängig von der Zusicherung zu beurtei-len; zum Verhältnis Haftungsausschluss – Zusicherung s. unten Ziff. IV.). 0.5

Es handelt sich um eine vertragliche Wegbedingung der Gewährleistung. 0.5 Diese grundsätzlich wirksam. 0.5 (HUGUENIN, OR BT, S.46 ff.)

3.5

(4)

IV. Verhältnis zwischen Zusicherung und Wegbedingung der Gewähr-leistung Eine Zusicherung i.S.v. OR 197 schliesst den vertraglichen Haftungsausschluss aus. Das heisst, wenn eine Eigenschaftsangabe als Zusicherung nach OR 197 vorliegt, ist eine Freizeichnung hinsichtlich der zugesicherten Eigenschaft unwirksam (BGE 109 II 24; HUGUENIN, OR BT, N 317). 0.5

In unserem Fall verdrängt somit die Zusicherung der Überbaubarkeit des Grundstücks im

Satz 1 hinsichtlich dieser Eigenschaft den Haftungsausschluss in Satz 2. Das heisst, A haftet für die Realisierbarkeit der Tiefbaute. 0.5 Im Übrigen ist die vertragliche Wegbedin-gung der Gewährleistung aber wirksam. 0.5

1.5

V. Fazit (Punkte, soweit nicht bereits berücksichtigt) Bei den beiden Vertragsbestimmungen handelt es sich einerseits um eine Zusicherung (Satz 1) 0.5 und andererseits um eine vertragliche Wegbedingung der Gewährleistung (Satz 2). 0.5 Da die Zusicherung den vertraglichen Haftungsausschluss bzgl. der zugesi-

cherten Eigenschaft verdrängt, ist diesbezüglich die Freizeichnung unwirksam. 0.5

(1.5)

Punktetotal Frage B.1 19.0

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9

2. Welche vertragsrechtlichen Ansprüche stehen Kaspar zur Verfü-gung, um sein Ziel zu erreichen? (Prüfen Sie alle Voraussetzungen dieser Ansprüche, auch wenn Sie einzelne Voraussetzungen ver-neinen.)

I. Sachmängelhaftung (HUGUENIN, OR BT, S. 39 ff.) Aufgrund des Sachverhalts ist hier zunächst zu prüfen, ob Kaspar Ansprüche aus Sach-

gewährleistung hat, mit denen er sein Ziel, das Grundstück wieder los zu werden, errei-chen kann. 0.5

0.5

1. Regeln für den Grundstückkaufvertrag

OR 219 enthält eine besondere Regelung der Gewährleistung beim Grundstückkauf. Im Übrigen gelten beim Grundstückkauf kraft Verweisung in OR 221 die allgemeinen Regeln über die Sachgewährleistung (vgl. B.1.I.1.). 0.5 (soweit nicht bereits berücksichtigt))

(0.5)

2. Ansprüche aus Sachgewährleistung

Sachgewährleistung ist das grundsätzlich verschuldensunabhängige Einstehen der

Verkäuferin für das Vorhandensein der allgemein vorauszusetzenden und insbesondere zugesicherten Eigenschaften bzw. für die Abwesenheit von Mängeln der Sache, welche

ihren Wert oder ihre Tauglichkeit zum vorausgesetzten Gebrauche aufheben oder erheb-lich mindern (OR 197 I; HUGUENIN, OR BT, S. 39). 0.5

Ansprüche: OR 205 eröffnet dem Käufer bei einem Sachgewährleistungsfall die Wahl,

mit der Wandelungsklage den Kauf rückgängig zu machen oder mit der Minderungsklage Ersatz des Minderwertes der Sache zu fordern. 0.5

Ausnahme nach OR 205 II: Auch wenn der Käufer Wandelung wählt, hat der Richter die

Kompetenz, bloss auf Ersatz des Minderwerts zu entscheiden, sofern die Umstände es nicht rechtfertigen, den Kauf rückgängig zu machen (OR 205 II). Es sind die Nachteile, welche der Verkäuferin aus Aufhebung des Vertrags erwachsen, abzuwägen gegen die daraus für den Käufer resultierenden Vorteile. 0.5 (HUGUENIN, OR BT, S. 49)

In unserem Fall ist das Ziel von K, den Kaufvertrag rückgängig zu machen. Dafür kommt die Wandelung in Frage (Minderung bringt ihn nicht zum Ziel). Es ist somit zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Sachmängelhaftung vorliegen. 0.5

2.0

3. Voraussetzungen der Sachmängelhaftung

a. Vorliegen eines Sachmangels:

Ein Sachmangel liegt vor, wenn die (gelieferte) Sache die zugesicherten Eigenschaften

nicht aufweist, oder wenn (bei fehlender Zusicherung) die Sache nicht die Eigenschaften hat, die der Käufer nach Treu und Glauben voraussetzen darf. Es handelt sich um eine

Abweichung der Ist- von der Sollbeschaffenheit. 0.5 Bei einer Zusicherung ist jede Abwei-chung relevant. Bei den übrigen Fällen von Mängeln muss die Abweichung erheblich sein. 0.5 Die Beweislast für das Vorliegen eines Sachmangels trägt der Käufer (ZGB 8). 0.5

Zur Zusicherung (OR 197 I) siehe B.1.II.1.

I.c. hat A ausdrücklich (schriftlich) dem K zugesichert, dass der Boden für tiefes Bauen

geeignet sei (siehe B.1.II.1). Die Istbeschaffenheit weicht von der Sollbeschaffenheit ab; das Grundstück weist nämlich die zugesicherte Eigenschaft der tiefen Überbaubarkeit nicht auf. 0.5 Somit liegt ein Sachmangel vor. 0.5

2.5

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b. Vorliegen des Sachmangels vor dem Zeitpunkt des Gefahrenübergangs:

Der Sachmangel muss im Zeitpunkt des Gefahrübergangs mindestens „im Keim“ bereits vorhanden sein (HUGUENIN, OR BT, S. 43). 0.5 Gemäss OR 185 I gehen Nutzen und Ge-fahr beim Stückkauf grundsätzlich mit Abschluss des Kaufvertrags auf den Erwerber über. 0.5

I.c. trägt Kaspar somit die Gefahr seit dem Vertragsschluss, also seit dem 14. März 2012. 0.5 Das Grundstück eignete sich aber schon vor dem Kauf nicht zum Bauen in die Tiefe. Der Sachmangel bestand also schon vor dem Übergang der Gefahr. 0.5

2.0

c. Der Käufer hatte keine Kenntnis vom Mangel (OR 200):

Die Verkäuferin haftet nicht für Mängel, die der Käufer im Zeitpunkt des Vertragsab-schlusses gekannt hat (OR 200 I). Eine spätere Kenntnisnahme gereicht ihm aber nicht zum Nachteil. 0.5 Weiter ist die Verkäuferin von der Sachgewährleistungspflicht befreit, wenn der Käufer den Mangel bei gewöhnlicher Aufmerksamkeit hätte kennen sollen (OR

200 II). 0.5 Die Verkäuferin haftet aber immer, wenn sie das Nichtvorhandensein des Mangels zugesichert hat oder den Mangel arglistig verschwiegen hat. 0.5 Die Gewährleis-tungspflicht besteht auch, wenn die Verkäuferin den Mangel nicht gekannt hat (OR 197 II). 0.5

I.c. hat A das Nichtvorhandensein des Mangels zugesichert. K hat den Mangel nicht ge-

kannt und hätte ihn auch nicht kennen müssen. Die Haftung entfällt somit nicht nach OR 200. 0.5

2.5

d. Der Käufer hat rechtzeitig Mängelrüge erhoben (OR 201):

Der Käufer hat die Obliegenheit, sobald es nach dem üblichen Geschäftsgang tunlich ist, die Beschaffenheit der Sache zu prüfen und der Verkäuferin allfällige Mängel unverzüg-lich anzuzeigen (OR 201 I). 0.5 Erhebt der Käufer die Mängelrüge nicht oder nicht recht-zeitig, so gilt die Sache als genehmigt und er verliert die Sachmängelgewährleistungsan-

sprüche (OR 201 II). 0.5

Untersuchungsobliegenheit: Den Käufer trifft also die Obliegenheit, die Sache zu unter-

suchen. 0.5 Diese Prüfung hat „übungsgemäss“ (nach Verkehrssitte, Handelsbrauch, Branchenübung, Ortsgebrauch usw.) zu erfolgen. An den geschäftsunerfahrenen Käufer sind geringere Anforderungen zu stellen als an einen geschäftserfahrenen, sachverstän-

digen Käufer. 0.5 Innerhalb welcher Frist diese Untersuchung zu erfolgen hat, richtet sich v.a. nach der Natur des Kaufgegenstandes, der Art des Mangels und den Gepflogenhei-ten der Branche. 0.5 (HUGUENIN, OR BT, S. 44)

I.c. geht aus dem SV nicht hervor, ob und wie eingehend Kaspar die Sache untersucht

hat. Der Mangel wird aber auch erst durch tatsächliches Graben oder durch besondere Untersuchungshandlungen (Bohrungen) sichtbar, mit dem Kaspar gleich einige Wochen nach dem Eigentumsübergang begonnen hat. Zudem ist nicht davon auszugehen, dass er geschäftserfahren ist. 0.5 Die Untersuchungsobliegenheit ist damit nicht verletzt. 0.5

Rügeobliegenheit: Stellt der Käufer fest, dass die Sache mangelhaft ist, hat er dies der

Verkäuferin umgehend anzuzeigen (OR 201 I a.E.). 0.5 Um der Rügeobliegenheit zu ge-nügen, muss der Käufer den Mangel konkret bezeichnen und anzeigen, dass er die man-gelhafte Sache nicht als gehörige Erfüllung betrachtet. Die Mängelrüge ist damit zu sub-stantiieren; Art, Umfang und Gründe der Beanstandung müssen für die Verkäuferin er-kennbar sein. 0.5 Die Anzeigefrist ist kurz bemessen: Der Käufer muss sofort Anzeige

machen, nachdem er den Mangel entdeckt hat. Versteckte Mängel gelten in dem Zeit-punkt als entdeckt, in welchem der Käufer Gewissheit über ihr Vorhandensein erlangt (OR 201 III). 0.5

6.0

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I.c. schreibt K zwar unverzüglich, nachdem er Gewissheit über den Mangel hat, einen Brief, allerdings umschreibt er darin weder den konkreten Mangel noch erklärt er, dass er das mangelhafte Grundstück nicht als gehörige Erfüllung des Grundstückkaufvertrages betrachtet. Die Art, der Umfang und die Gründe der Beanstandung sind für A nicht er-kennbar, womit die Mängelrüge nicht substantiiert ist. 0.5 K kommt der Rügeobliegenheit

also nicht gehörig nach. Er hat somit keine Mängelrüge i.S.v. OR 201 I erhoben. 0.5

e. Es liegt keine absichtliche Täuschung vor (OR 203; HUGUENIN, OR AT, S. 78 ff.):

Fraglich ist nur noch, ob eine absichtliche Täuschung nach OR 28 vorliegt. Dann würde

die Beschränkung der Gewährleistung wegen versäumter Anzeige (Genehmigungsfiktion

nach OR 201 II) nicht stattfinden (OR 203). 0.5

Bei der absichtlichen Täuschung befindet sich der Getäuschte in einem Motivirrtum, der absichtlich und widerrechtlich durch die Vertragspartnerin (oder einen Dritten) ausgelöst oder aufrechterhalten wurde und den Getäuschten zum Vertragsschluss bewegt. 0.5 Fol-gendes ist bei der absichtlichen Täuschung vorausgesetzt:

Täuschendes Verhalten: Das täuschende Verhalten muss sich auf Tatsachen beziehen (äussere Eigenschaften / innere Umstände). Es kann in der Vorspiegelung falscher oder in der Unterdrückung richtiger Tatsachen bestehen. Eine Täuschung liegt auch vor bei Verschweigen vorhandener Tatsachen, sofern die Vertragspartnerin eine Aufklärungs-pflicht trifft. 0.5

Widerrechtlichkeit der Täuschung wird nicht ausdrücklich vom Gesetz verlangt, da der Gesetzgeber jede absichtliche Täuschung für widerrechtlich hält. Eine Täuschung durch aktives Tun ist widerrechtlich, wenn keine Rechtfertigungsgründe vorliegen. Eine Täu-schung durch Verschweigen ist widerrechtlich, wenn eine Aufklärungspflicht besteht. 0.5

Motivirrtum: Die absichtliche Täuschung muss beim Getäuschten einen Motivirrtum verur-

sachen oder aufrechterhalten. Der Irrtum muss weder wesentlich noch entschuldbar zu sein. 0.5

Kausalität: Zwischen dem Motivirrtum und dem Vertragsschluss muss ein Kausalzusam-menhang bestehen. Kausalität fehlt, wenn der Getäuschte die gleiche Willenserklärung auch bei Kenntnis der wahren Sachlage abgegeben hätte. 0.5

Täuschungsabsicht: Die Täuschende muss wissen oder mindestens in Kauf nehmen, beim Vertragsgegner einen Irrtum hervorzurufen bzw. aufrechtzuerhalten. 0.5 Handelt sie ohne Absicht und verursacht den Irrtum höchstens fahrlässig, kommt nur Anfechtung wegen Grundlagenirrtums in Frage. 0.5

I.c. handelt A nicht absichtlich. Sie weiss selber nichts über die fehlende Überbaubarkeit.

Sie handelt mit ihrer Aussage somit nur fahrlässig, weshalb keine absichtliche Täuschung vorliegt (HUGUENIN, OR AT, S. 78 ff.). 0.5 Im Ergebnis wurde die Mängelrüge somit nicht gehörig i.S.v. OR 201 I erhoben. Es tritt daher die sog. Genehmigungsfiktion nach OR 201 II ein. 0.5

5.0

f. Die Sachgewährleistung wurde nicht beschränkt

Die Gewährleistungspflicht ist dispositiv und kann grundsätzlich aufgehoben werden. Der Gewährleistungsausschluss ist aber ungültig, wenn die Verkäuferin den Mangel arglistig verschwiegen hat (OR 199). 0.5 Zudem ist die Freizeichnung bei Zusicherung nicht mög-lich (vgl. oben B.1.IV). 0.5 (Punkte, soweit nicht bereits berücksichtigt)

I.c. wurde die Sachgewährleistung vertraglich beschränkt. Ein arglistiges Verschweigen

des Mangels liegt nicht vor. Die Freizeichnung ist aber durch die Zusicherung bzgl. der Bebaubarkeit unwirksam (OR 119; vgl. oben B.1.IV.). 0.5

0.5

(1.5)

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g. Wahrung der Fristen:

Die Klagen auf Gewährleistung wegen Mängeln der Sache unterstehen einer Verjäh-rungsfrist (OR 210, 219 III; HUGUENIN, OR BT, N 298 ff.: Verjährungs- und Verwirkungs-frist). 0.5 OR 219 wird von einem grossen Teil der Lehre entgegen dem Wortlaut auf sämtliche Mängel eines Grundstückes angewendet, so dass eine fünfjährige Verjährungs-

frist seit der Übertragung des Grundstücks gilt (HUGUENIN, OR BT, N 303). 0.5

Die fünfjährige Frist läuft bis am 16. März 2017; sie ist im heutigen Zeitpunkt noch nicht abgelaufen. 0.5

1.5

h. Ausschluss bei Umgestaltung:

Gemäss OR 207 III ist die Wandelung u.a. ausgeschlossen, wenn der Käufer die Sache umgestaltet hat. 0.5 Der begonnene Aushub, der die geologische Prüfung des Untergrun-des erlaubt, stellt keine Umgestaltung dar. 0.5

1.0

4. Fazit

Es liegt zwar ein Sachmangel vor, für den A grundsätzlich haften würde. K kann diesen aber nicht geltend machen, da er der Rügeobliegenheit nicht gehörig nachgekommen ist.

0.5 Er hat somit keinen Anspruch auf Wandelung. 0.5 [Nach den Modalitäten der Rückab-

wicklung war nicht gefragt].

1.0

II. Abgrenzungen

Pro memoria: Bei den Leistungsstörungen ist zu unterscheiden zwischen Leistungsunmöglichkeit, positiver Vertragsverletzung, Schuldnerverzug und Gläubigerverzug. Hier interessieren folgende Tatbestände: Bei der Leistungsunmöglichkeit erfüllt die Schuldnerin nicht, weil die Leistung nicht möglich ist, bei der positiven Vertragsverletzung erfüllt die Schuldnerin schlecht oder verletzt eine Nebenpflicht, beim Schuldnerverzug erfüllt die Schuldnerin nicht, obwohl die Leistung möglich wäre (Übersicht bei Huguenin, OR AT, N 543).

1. Könnte das Ziel von K auf der Grundlage der Verzugsregeln (OR 102 ff.) erreicht werden?

Bei verspäteter Erfüllung trotz Leistungsmöglichkeit der Vertragspflichten gelangen die

Art. 102 ff. OR zur Anwendung. Die Regeln zum Schuldnerverzug eröffnen dem Gläubiger in synallagmatischen Verträgen die Möglichkeit, im Rahmen des zweiten Wahlrechts vom Vertrag zurückzutreten und das negative Vertragsinteresse geltend zu machen (OR 107 II, 109). 0.5 Die Voraussetzungen des Schuldnerverzugs sind: (1) Ausbleiben der Erfül-lung trotz Leistungsmöglichkeit, (2) Fälligkeit der Forderung, (3) kein Leistungsverweige-

rungsrecht des Schuldners und (4) Verzug des Schuldners (HUGUENIN, OR AT N 646 ff.). 0.5

A hat ihre vertragliche Leistung erfüllt, indem sie das Eigentum an G2 auf K übertragen hat. Der Sachverhalt enthält keinen Hinweis auf eine nicht erfolgte bzw. verspätete Erfül-lung. In der Mangelhaftigkeit des Grundstückes liegt eine Schlechterfüllung des Vertrages

(Übersicht bei HUGUENIN, OR AT, N 543). OR 107 kommt auf diesem Weg nicht zur An-wendung; K kann auf der Grundlage der Verzugsregeln sein Ziel nicht erreichen. 0.5

1.5

2. Könnte das Ziel von K auf der Grundlage von OR 97 erreicht werden?

Nach OR 97 hat bei Schlechterfüllung der Schuldner für den entstehenden Schaden bei Verschulden Ersatz zu leisten. Die Ansprüche aus Sachmängelgewährleistung und Schlechterfüllung stehen in alternativer Konkurrenz (HUGUENIN, OR BT, N 355; BGE 108 II 102 ff.). 0.5 Die Entstehung des Anspruchs setzt aber voraus, dass die Rügeobliegen-

heit (OR 201, dazu oben B.2.I.3.d), die Frist (OR 210, 219) und die Anforderungen betref-

2.0

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fend Wegbedingung der Gewährleistung (OR 199) eingehalten wurden (HUGUENIN, OR BT, N 356). 0.5

Abgesehen davon, dass K seiner Rügeobliegenheit nicht nachgekommen ist (oben B.2.I.3.d), gilt Folgendes: Der Anspruch aus OR 97 wegen Schlechterfüllung richtet sich zunächst auf die Leistung von Schadenersatz; mit der Geltendmachung eines Schaden-

ersatzanspruches lässt sich das Ziel von K, das Grundstück wieder loszuwerden, nicht erreichen. 0.5 Eine analoge Anwendung von OR 107 II/109 (s. oben Ziff 1.) bei grundle-gender Erschütterung des Vertrauensverhältnisses kommt, da mit OR 205 I eine Möglich-keit der Vertragsaufhebung wegen Schlechterfüllung zur Verfügung steht, nicht in Be-tracht (HUGUENIN, OR AT N 642). Insgesamt kommt K auf der Grundlage von OR 97 nicht

zum Ziel. 0.5

3. Könnte das Ziel von K auf der Grundlage von OR 119 erreicht werden?

Soweit durch Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, seine Leistung

unmöglich geworden ist, gilt die Forderung als erloschen (OR 119 I). Bei synallagmati-schen Verträgen hat der auf diese Weise frei werdende Schuldner die bereits empfange-ne Leistung zurückzuerstatten bzw. verliert die noch nicht erfüllte Gegenforderung. OR 119 setzt voraus, dass die Leistung (subjektiv) unmöglich ist (HUGUENIN, OR BT, N 570 ff.). Bei Unmöglichkeit bleibt die vertragliche Leistung aus (Nichterfüllung; HUGUENIN, OR

AT N 552 f.). 0.5

A hat K die Übertragung eines Grundstückes versprochen, das sich für die Überbauung mit mindestens zwei unterirdischen Geschossen eignet. Sie hat ihre Hauptpflicht aus dem Kaufvertrag, nämlich die Übertragung des Eigentums am Grundstück G2 auf K, erfüllt. Weil ihre Leistung nicht vertragskonform ist (Fehlen der zugesicherten Eignung zur Über-

bauung), hat sie schlecht erfüllt (zur Schlechterfüllung: HUGUENIN, OR AT N 587). 0.5 (soweit nicht unter Ziff. II.1 berücksichtigt) Darin liegt aber keine (subjektive) Leistungs-

unmöglichkeit. OR 119 ist nicht anwendbar. K kann auf der Grundlage von OR 119 OR sein Ziel nicht erreichen. 0.5

1.0

(1.5)

pro memoria: Abgrenzung zur objektiven Unmöglichkeit (OR 20): Ein Vertrag hat einen unmögli-chen Inhalt nach OR 20, wenn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine versprochene Haupt- oder Nebenleistung objektiv nicht erbringbar ist (BGE 96 II 18 ff.) Im vorliegenden Fall könnte die verein-barte Vertragsleistung von einem anderen Schuldner (durch Übertragung eines anderen Grundstü-ckes) ohne weiteres erbracht werden. Es liegt keine objektive Unmöglichkeit vor.

III. Willensmängel

1. Absichtliche Täuschung (OR 28):

Siehe oben (B.2.I.3.e.)

Da die Voraussetzungen nicht erfüllt sind, kann K den Grundstückkaufvertrag nicht wegen

einer absichtlichen Täuschung nach OR 28 anfechten. 0.5

0.5

2. Grundlagenirrtum (OR 24 I Z. 4) (HUGUENIN, OR AT, S. 77 ff.)

Aufgrund des Sachverhalts ist hier noch zu prüfen, ob Kaspar den Grundstückkaufvertrag wegen eines Grundlagenirrtums anfechten kann. 0.5

0.5

a. Allgemeines:

Ein Grundlagenirrtum liegt nach OR 24 I Ziff. 4 vor, wenn sich der Anfechtende über einen bestimmten Sachverhalt irrt, den er als notwendige Grundlage des Vertrags betrachtet und den er nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr auch als solchen betrachten darf. 0.5 Es handelt sich dabei um einen qualifizierten Motivirrtum. 0.5 Eine falsche oder

1.5

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fehlende Vorstellung über den Sachverhalt führt beim Grundlagenirrtum zu einer mangel-haften Willensbildung. 0.5

b. Voraussetzungen des Grundlagenirrtums:

Es müssen zwei Merkmale für die Qualifizierung vorliegen:

Subjektive Wesentlichkeit: Der irrtümlich vorgestellte Sachverhalt muss für den Irrenden

eine notwendige Grundlage des Vertrages sein. Der vorgestellte Sachverhalt muss also conditio sine qua non für den Vertragsschluss sein. Hätte der Irrende den Irrtum erkannt, hätte er den Vertrag nicht oder mit einem anderen Inhalt abgeschlossen. 0.5 Es ist bis

zum Beweis des Gegenteils von der subjektiven Wesentlichkeit auszugehen, wenn die objektive Wesentlichkeit erfüllt ist. 0.5

I.c. hat sich K von A schriftlich zusichern lassen, dass sich das Grundstück für die Über-bauung mit mindestens zwei unterirdischen Geschossen eignet. Daraus kann geschlos-sen werden, dass dies für K eine wesentliche Grundlage des Vertrages war und er den

Vertrag nicht abgeschlossen hätte, wenn er gewusst hätte, dass der Boden nicht für das Bauen in die Tiefe geeignet ist. 0.5

Objektive Wesentlichkeit: Die objektive Wesentlichkeit ist gegeben, wenn der Irrende

nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr, d.h. objektiv betrachtet, den vorgestellten Sachverhalt als eine notwendige Grundlage des Vertrages ansehen darf. 0.5 Massge-

bend ist, ob ein durchschnittlicher Dritter in der Position des Irrenden den Vertrag in Kenntnis der wahren Sachlage ebenfalls nicht oder nur zu anderen Bedingungen abge-schlossen hätte. 0.5

I.c. durfte K die Geeignetheit des Bodens für tiefes Bauen als notwendige Grundlage des Vertrages erachten. Auch ein durchschnittlicher Dritter hätte in der Position von K den

Vertrag nicht abgeschlossen, wenn er um die tatsächliche Beschaffenheit des Bodens gewusst hätte. 0.5

Für die Irrtumsgegnerin braucht die Bedeutung, welche der Irrende dem vorgestellten Sachverhalt beimisst, nicht erkennbar zu sein. 0.5

Die Voraussetzungen für einen Grundlagenirrtum sind also erfüllt. 0.5

4.0

c. Folgen des Grundlagenirrtums:

Beachtliche Willensmängel bewirken die einseitige Unverbindlichkeit des Vertrages (vgl.

OR 23). 0.5 Das bedeutet, dass die gestaltungsberechtigte Partei über die Gültigkeit des Vertrages entscheiden kann. Sie kann den Vertrag anfechten oder genehmigen. 0.5

Bis zur Anfechtung oder Genehmigung befindet sich der Vertrag in einem Schwebezu-stand. 0.5 Über die Rechtslage dieses Schwebezustandes herrscht Uneinigkeit. Haupt-sächlich werden die folgenden Theorien vertreten (HUGUENIN, OR AT, S. 82 ff.):

• Ungültigkeitstheorie: Nach der Ungültigkeitstheorie liegt die Unverbindlichkeit des

Vertrags bereits von Anfang an vor. Der Vertrag ist von Beginn an ungültig, er hat

keinerlei Rechtswirkungen. Macht die geschützte Partei die Unverbindlichkeit nicht (innert Frist) geltend oder genehmigt sie den Vertrag auf andere Weise, wird der Vertrag ex tunc wirksam. Es ist ein aufschiebend bedingter Vertrag. 0.5 Das BGer hat sich für die Ungültigkeitstheorie ausgesprochen, hat aber offen gelassen, ob es sich um eine ein- oder zweiseitige Ungültigkeit handelt (BGE 114 II 131). 0.5

• Anfechtungstheorie: Die Mehrheit der Lehre folgt der Anfechtungstheorie. Danach

ist der Vertrag anfänglich gültig und steht unter der auflösenden Bedingung der An-

fechtung. 0.5

• Theorie der geteilten Ungültigkeit: Nach dieser Theorie ist der Vertrag für die be-

3.5

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troffene/irrende Partei von Anfang an ungültig, für die andere Partei aber bis zur Geltendmachung der Unverbindlichkeit gültig. 0.5

d. Geltendmachung des Grundlagenirrtums:

Da die Voraussetzungen für den Grundlagenirrtum erfüllt sind, kann K den Kaufvertrag

somit anfechten. 0.5

Die Anfechtung ist eine Gestaltungserklärung, die nur die vom Willensmangel betroffene Partei geltend machen kann. 0.5 Die Erklärung kann ausdrücklich oder konkludent erfol-gen und ist (auch bei formbedürftigen Rechtsgeschäften) formlos möglich. 0.5

Die Anfechtungserklärung hat nach OR 31 I innert Jahresfrist zu erfolgen (Verwirkungs-

frist). Die Frist beginnt mit Entdeckung des Willensmangels bzw. ab sicherer Kenntnis davon zu laufen (OR 31 II). 0.5 In unserem Fall beginnt die Anfechtungsfrist also mit dem Zeitpunkt, als sich bei den Aushubarbeiten zuverlässig herausstellt, dass die geplante Tiefgarage wegen der geologischen Verhältnisse nicht realisiert werden kann. K kann innert einem Jahr seit Entdeckung des Mangels den Kaufvertrag anfechten. 0.5

2.5

IV. Verhältnis zwischen Sachmängelgewährleistung und Irr-tumsanfechtung Das Verhältnis zwischen Grundlagenirrtum und Sachmängelgewährleistung ist umstritten, wenn sich der Irrtum auf eine Eigenschaft der Kaufsache bezieht. 0.5 Nach bundesge-richtlicher Rechtsprechung stehen die beiden Rechtsbehelfe in alternativer Konkurrenz (BGE 126 III 59 ff.). Zu beachten ist, dass die Alternativität auch nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung nur vor der Wahlausübung besteht. Mit dem Geltendmachen von Sach-

gewährleistungsansprüchen wird der Vertrag genehmigt, die Irrtumsanfechtung ist nicht mehr möglich. 0.5 Ein gewichtiger Teil der Lehre spricht sich aber gegen die Alternativität aus und gibt den Bestimmungen über die Sachmängelgewährleistung den Vortritt. Be-gründet wird dies damit, dass die Fristenregelung in OR 201 und 210 eine rasche Behe-bung von Sachmängeln bezwecke. Diese Regelung könne der Käufer jedoch umgehen,

wenn man ihm die Anfechtung wegen Grundlagenirrtums gestatte. 0.5 Die Befürworter der Anspruchskonkurrenz halten dem entgegen, die Regeln über den Irrtum beträfen das Gebiet der Vertragsgültigkeit, diejenigen der Sachmängelgewährleistung hingegen die Vertragserfüllung 0.5. (HUGUENIN, OR AT, S. 88)

Wird der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gefolgt, ist i.c. die Geltendmachung des

Grundlagenirrtums noch möglich, solange die Sachgewährleistung nicht geltend gemacht wurde. 0.5 Wird dem Teil der Lehre gefolgt, der die Alternativität ausschliessen will, be-steht keine Anfechtungsmöglichkeit. 0.5

3.0

Ein vereinbarter Haftungsausschluss bezieht sich auch auf die allfällig konkurrierende Irrtumsanfechtung wegen Mängeln, bezüglich derer die Haftung ausgeschlossen wurde. 0.5 (HUGUENIN, OR BT, S. 47)

I.c. gilt aber der Haftungsausschluss bzgl. der tiefen Überbaubarkeit des Grundstücks

nicht, da diesbezüglich eine Zusicherung vorliegt. Daher ist die Irrtumsanfechtung auch nicht ausgeschlossen. 0.5

1.0

V. Fazit K hat keinen Anspruch aus Sachgewährleistung, da er die Mängelrüge nicht gehörig er-hoben hat (und auch kein Fall der arglistigen Täuschung vorliegt). 0.5

Die Voraussetzungen des Grundlagenirrtums sind gegeben. 0.5 Der Anspruch aus

Grundlagenirrtum besteht nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung alternativ zur Sach-

gewährleistung. Die Anfechtung des Grundstückkaufvertrages wegen eines Grundla-

1.5

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genirrtums ist noch möglich, solange die Sachgewährleistung nicht geltend gemacht und

damit der Vertrag genehmigt wurde. 0.5

Punktetotal Frage B.2 47.0

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3. Was kann Norbert unternehmen, um dem durch die Motocross-Touren verursachten Lärm ein Ende zu bereiten? (Gehen Sie un-abhängig von Ihren Antworten zu B1. und B2. davon aus, dass Kaspar im Zeitpunkt der Lärmverursachung Eigentümer von G2 ist.)

I. Ansprüche aus Nachbarrecht (ZGB 679, 684) (SCHMID JÖRG/HÜRLIMANN-

KAUP BETTINA, Sachenrecht, 4. Aufl., Zürich u.a. 2012, S. 231 ff. [zit.: SCHMID/HÜRLIMANN-

KAUP]; ERNST WOLFGANG, Sachenrecht in a nutshell, Zürich/St. Gallen 2010, S. 48 ff. [zit.:

ERNST])

1. Klagegrund

ZGB 684 I normiert eine Schranke der Eigentumsausübung, indem er jedermann dazu verpflichtet, sich bei der Ausübung seines Eigentums aller übermässigen Einwirkungen auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten. 0.5 ZGB 684 II enthält eine nicht abschlies-

sende Aufzählung verbotener Immissionen. Darunter fallen grundsätzlich sowohl positive (z.B. Lärm, Geruch, Erschütterung etc.) als auch negative Immissionen (z.B. Entzug von Besonnung oder Tageslicht). Es geht hier um die indirekten Wirkungen der Eigentums-ausübung auf ein Nachbargrundstück (Immissionen). 0.5 Verboten ist nicht jede Einwir-kung, sondern nur eine übermässige. Die Übermässigkeit wird nach Recht und Billigkeit

(Interessensabwägung) beurteilt. Den Massstab bildet das Empfinden eines Durch-schnittsmenschen in der gleichen Situation. 0.5

Den Klagegrund bildet somit eine Störung durch eine Überschreitung des Eigentums-rechts am Nachbargrundstück (genauer durch eine Überschreitung der aus dem Eigen-tumsrecht fliessenden Nutzungsbefugnisse). Die Einwirkung auf das andere Grundstück

muss sich als Folge der Nutzung des Nachbarrundstücks darstellen (adäquater Kausal-zusammenhang). 0.5

I.c. überschreitet K sein Eigentumsrecht, indem er beim Motocrossfahren auf seinem Grundstück erheblichen Lärm und damit eine mittelbare Einwirkung auf das Grundstück von N verursacht. 0.5 Es handelt sich dabei um eine positive Immission. Eine solche Im-

mission ist in der Umgebung von Wohnbauten übermässig. Die Lärmbelastung wäre für jeden durchschnittlichen Menschen in der Situation von N störend. 0.5

3.0

2. Aktiv- und Passivlegitimation

Aktivlegitimiert ist der Nachbar als Eigentümer (auch Miteigentümer) oder Besitzer eines angrenzenden Grundstücks (SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, S. 231 ff., REY HEINZ, Die Grund-lagen des Sachenrechts und das Eigentum, Grundriss des schweizerischen Sachenrechts I, 3. Auflage, Bern 2007, Rz 1105 [zit.: REY]) Der Begriff des Nachbarn ist weit zu fassen und meint nicht nur direkte Nachbarn (räumliche Betroffenheit reicht aus). 0.5

I.c. handelt es sich laut Sachverhalt bei N um den direkten Nachbarn von K. N ist somit unabhängig davon, ob er Eigentümer oder Besitzer des Nachbargrundstücks ist, aktivlegi-timiert. 0.5

Passivlegitimiert ist der Störer. Dabei muss es sich nicht unbedingt um den Eigentümer des Grundstücks, von dem die Störung ausgeht, handeln, sondern es kann auch ein ding-

lich Berechtigter und ev. auch ein schuldrechtlich Berechtigter sein. 0.5

I.c. ist K der Verursacher der Störung. Er ist laut Sachverhalt im Zeitpunkt der Störung auch Eigentümer des Grundstücks, von dem die Immission ausgeht. K ist damit passivle-gitimiert. 0.5

2.0

3. Rechtsbegehren 1.0

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18

ZGB 679 nennt die Rechtsbehelfe, die betroffenen Nachbarn im Fall einer Eigentums-überschreitung nach Art. 684 ZGB zur Verfügung stehen, so die Klage auf Beseitigung der Schädigung, auf Schutz gegen drohenden Schaden oder auf Schadenersatz. Ausser einer Beseitigungs-, Unterlassungs-, Präventiv- und Schadenersatzklage ist nach h.M. auch eine Feststellungsklage zulässig. 0.5

I.c. möchte N sich gegen den Lärm wehren, der durch den Motocross verursacht wird Er

begehrt damit die Unterlassung des Motocrossfahrens. 0.5

II. Abgrenzung der nachbarrechtlichen Ansprüche (ZGB 679) zur Ei-gentumsfreiheitsklage (ZGB 641 II) Die Eigentumsfreiheitsklage nach ZGB 641 II setzt voraus, dass jemand ungerechtfertig-terweise auf die Sache des Eigentümers einwirkt. 0.5 ZGB 641 II kommt in Betracht ge-gen sog. unmittelbare oder direkte Eingriffe in die Substanz, d.h. gegen Eingriffe, die nicht

durch die Nutzung eines anderen Grundstücks vermittelt sind; für die Anwendung von ZGB 679 fehlt es in diesen Fällen an dem dazu unerlässlichen Ausgang der Störung von einem anderen Grundstück. 0.5

Wenn hingegen eine Störung durch einen Nachbarn bei der Ausübung seines Eigentums-rechts an seinem Grundstück (dem Nachbargrundstück) entsteht, gilt die besondere Re-

gelung in ZGB 679, 0.5 die in dieser Konstellation als lex specialis ZGB 641 II vorgeht. 0.5 (SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, S. 164 f., 238; ERNST, S. 53)

I.c. entsteht die Störung bei der Ausübung des Eigentumsrechts am Nachbargrundstück und es wird nicht direkt in die Substanz des Grundstücks von N eingegriffen, weshalb ZGB 641 II hier nicht zur Anwendung kommt. 0.5

2.5

III. Klage aus Besitzesstörung (ZGB 928), (SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, S. 46 ff.,

238)

N könnte eventuell als Nachbar und Besitzer des Grundstücks neben der Klage aus ZGB 679 auch Klage aus Besitzesstörung nach ZGB 928 erheben. 0.5

Der Tatbestand des ZGB 928 setzt eine Störung des fremden Besitzes voraus, d.h. eine Störung, die der anderen Person zwar die tatsächliche Gewalt über die Sache belässt, sie in ihrem Besitz aber dennoch beeinträchtigt (Störung im engeren Sinne). I.c. wird N durch den Lärm von den Motorrädern übermässig in seiner Ruhe gestört. Die Störung beurteilt sich hier nach den Regeln des Nachbarrechts und ist i.c. aufgrund der übermässigen

Lärmimmission i.S.v. ZGB 684 (siehe oben B.3.I.1.) gegeben. 0.5

Zudem muss diese Störung durch verbotene Eigenmacht erfolgen.Der Störer darf sich auf keinen Rechtfertigungsgrund stützen können (wie etwa Notwehr, Notstand oder Einwilli-gung [Vertrag]). I.c. fehlt es an einem Rechtfertigungsgrund; insbesondere hat N die Zu-stimmung zu den Motocrossfahrten nicht erteilt. 0.5

Zu beachten ist hier die zeitliche Grenze in ZGB 929 I, wonach der Besitzer sofort, nach-

dem ihm der Eingriff und der Täter bekannt geworden sind, die Beseitigung der Störung

verlangen muss. Die Klage aus Besitzesstörung ist zudem gemäss ZGB 929 II innert 1

Jahr zu erheben. 0.5 Aus dem Sachverhalt ergibt sich nicht, dass N im Sinne von ZGB

929 I Protest erhoben hätte. Tut er das im Anschluss an eine Störungshandlung, steht

ihm die Klage aus Besitzesstörung zur Verfügung. 0.5

2.5

IV. Fazit

Die Voraussetzungen von ZGB 679 i.V.m ZGB 684 sind erfüllt. N hat damit einen An-

spruch nach ZGB 679 I i.V.m ZGB 684 darauf, dass K das Motocrossfahren unterlässt.

0.5 Es steht ihm bei Einhaltung der zeitlichen Vorgaben (ZGB 929) auch die Klage aus

0.5

(1.0)

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19

Besitzesstörung zur Verfügung. 0.5 ( soweit nicht bereits berücksichtigt)

Punktetotal Frage B.3 11.5

Punkteübersicht Frage B

B.1 19.0

B.2 47.0

B.3 11.5

Gesamttotal 77.5

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20

C.

1. Welche Rechtsverhältnisse bestanden am 13. Juli 2011, am Tag nach dem Tod von Victor, zwischen Fritz und Victors Nachkom-men? Wie sind diese zustande gekommen?

I. Allgemeines

Die Nachkommen von Victor treten mit dessen Tod gemäss Universalsukzession in sämt-

liche von ihm eingegangenen Rechtsverhältnisse ein (ZGB 560). Es muss also geprüft

werden, welche Rechtsverhältnisse zwischen Victor und Fritz bestanden. Diese gelten

dann gleich für das Verhältnis der Nachkommen A, B und C als Erben und Fritz. 0.5

0.5

II. Schuldrechtliches Verhältnis

Es ist zu prüfen, ob zwischen Victor und Fritz ein vertragliches Rechtsverhältnis zustande

gekommen ist und um welchen Vertragstyp es sich dabei handelt.

1. Übereinstimmende Willenserklärungen (HUGUENIN, OR AT, S. 19 ff.)

Ein Vertrag entsteht dadurch, dass übereinstimmende Willenserklärungen ausgetauscht

werden, welche darauf gerichtet sind, eine diesem übereinstimmend erklärten Willen ent-sprechende Rechtsfolge zu bewirken (Konsens, OR 1 I; GAUCH PETER/SCHLUEP WALTER

R./SCHMID JÖRG/EMMENEGGER SUSAN, SCHWEIZERISCHES OBLIGATIONENRECHT, Allgemei-ner Teil, Band I, 9. Aufl., Zürich u.a. 2008, N 224 [zit.: GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, OR AT I]). 0.5

Laut Sachverhalt ergibt sich aus einem Briefwechsel, dass Victor dem Fritz CHF 50‘000 geliehen hat und dass nun Fritz diesen Geldbetrag Victor schuldet. V und F haben offen-bar vereinbart, dass V dem F einen Betrag von CHF 50‘000 übergibt und dass F dem V das Geld zurückzahlen muss; als Sicherung der Rückleistung haben die beiden verein-bart, dass F dem V eine „Rolex“-Armbanduhr übergibt. Mangels gegenteiliger Angaben ist

davon auszugehen, dass die Willenserklärungen übereinstimmend sind. 0.5

Damit ein Vertrag entstehen kann, müssen die Vertragsparteien rechtsfähig (Art. 11 ZGB)

und handlungsfähig bzw. geschäftsfähig (Art. 12 ff. ZGB) sein (vgl. HUGUENIN, OR AT, N

132). Aufgrund fehlender gegenteiliger Angaben im Sachverhalt können diese Erforder-

nisse i.c. als gegeben erachtet werden. 0.5

1.5

2. Qualifikation des Vertrages: Leihe oder Darlehen (HUGUENIN, OR BT, S. 83)

I.c. handelt es sich um eine Überlassung von Geld, also einen Vertrag auf Gebrauchs-überlassung. Es kommen somit eine Leihe oder ein Darlehen in Frage. 0.5

Durch den Gebrauchsleihevertrag verpflichtet sich der Verleiher, dem Entlehner eine Sa-che zu unentgeltlichem Gebrauch zu überlassen. Der Entlehner verpflichtet sich, dieselbe

Sache nach gemachtem Gebrauch dem Verleiher zurückzugeben (OR 305). 0.5

I.c. handelt es sich nicht um eine Leihe: F hat nicht dieselben Gegenstände zurückzuge-

ben, sondern nur Sachen gleicher Art, nämlich Geld. 0.5 Soweit zwischen V und F von

einer „Leihe“ die Rede war (siehe Sachverhalt), ist dies für die rechtliche Qualifikation

nicht massgeblich; entscheidend ist der tatsächliche übereinstimmende Wille (OR 18). 0.5

Es ist damit zu prüfen, ob ein Darlehen vorliegt.

2.0

3. Darlehen (OR 312) (HUGUENIN, OR BT, S. 85 ff.)

Durch den Darlehensvertrag verpflichtet sich der Darleiher zur Übertragung des Eigen-

tums an einer Summe Geldes oder an anderen vertretbaren Sachen. Der Borger ver-pflichtet sich dagegen zur Rückerstattung von Sachen der nämlichen Art in gleicher Men-

3.5

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21

ge und Güte (OR 312). 0.5

Im Gegensatz zum Verleiher verpflichtet sich der Darlehensgeber, eine bestimmte Menge vertretbarer Sachen zu übereignen. Der Borger muss bei Ablauf des Darlehens nur Sa-chen gleicher Art zurückerstatten (i.d.R. Geld). 0.5 Zudem ist das Darlehen im Gegensatz zur Leihe nicht definitionsgemäss unentgeltlich. Das Darlehen kann verzinslich oder un-

verzinslich sein. Im gewöhnlichen, nichtkaufmännischen Verkehr ist das Darlehen nur bei entsprechender Vereinbarung verzinslich (OR 313 I). Im kaufmännischen Verkehr ist es vermutungsweise verzinslich (OR 313 II). I.c. handelt es sich um einen nichtkaufmänni-schen Verkehr und zwischen V und F wurde keine Zinspflicht vereinbart. 0.5

I.c. hat V dem F das Eigentum an den CHF 50‘000 übergeben. F hat sich im Gegenzug

verpflichtet, CHF 50‘000 dem V zurückzuzahlen (also Sachen gleicher Art und Menge). V und F waren sich einig über die essentialia negotii des Darlehensvertrag. 0.5

Da für den Darlehensvertrag keine besondere Form vorgeschrieben ist, kann er formfrei geschlossen werden (OR 11), sodass nicht zu prüfen ist, ob die Vereinbarung in Briefen das Schrifterfordernis erfüllen würde. Es sind also keine Formvorschriften verletzt. Auch

liegen gemäss Sachverhalt keine anderen Ungültigkeitsgründe (Inhalts- oder Willens-mängel) vor. 0.5 Der Darlehensvertrag (OR 312) ist daher gültig zustande gekommen. 0.5

Der Darlehensvertrag geht durch Universalsukzession auf die Erben über. Sie werden

damit Gläubiger der Darlehensforderung (ZGB 560). 0.5

III. Sachenrechtliches Verhältnis (SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, S. 533 ff.; Ernst, S.

121 ff.)

Neben dem schuldrechtlichen Verhältnis ist weiter zu prüfen, ob sachenrechtliche

Rechtsverhältnisse bestehen. Da laut Sachverhalt Fritz zur Sicherung der Rückleistung

der CHF 50‘000 Victor seine kostbare „Rolex“-Armbanduhr übergeben hat, fragt sich, ob

ein Faustpfandrecht vorliegt.

1. Faustpfand: ZGB 884

Gegenstand des Faustpfandes bildet ein Fahrnisgegenstand (OR 713). Bei der „Rolex“-

Armbanduhr handelt es sich um eine bewegliche körperliche Sache, also um Fahrnis. 0.5

0.5

2. Entstehung

a. Pfandvertrag (OR 1):

Der Pfandvertrag bildet den Erwerbsgrund (das Verpflichtungsgeschäft): Der Verpfänder und der Gläubiger vereinbaren, dass für eine Forderung eine bestimmte Pfandsache als

Sicherheit dienen soll. 0.5 Der Pfandvertrag begründet die obligatorische Verpflichtung des Verpfänders, das Pfandrecht zu errichten. Der Pfandvertrag ist ein Innominatkon-trakt. 0.5 Der Konsens (OR 1) der Parteien muss ausser der Verpflichtung des Verpfän-ders, das Pfandrecht zu bestellen, das Pfandobjekt und die pfandgesicherte Forderung erfassen (objektiv wesentliche Vertragspunkte). 0.5

I.c. sind sich V und F darüber einig, dass F die Armbanduhr (Pfandobjekt) zur Sicherung der Darlehensforderung (pfandgesicherte Forderung) dem V übergeben soll (Bestellung des Pfandrechts). Es liegen somit übereinstimmende Willenserklärungen bezüglich der essentialia negotii vor. 0.5

Aufgrund des Kausalitätsprinzips muss der Pfandvertrag als Rechtsgrund der Pfandbe-

stellung gültig sein, sonst kommt das Pfandrecht nicht zustande. Aus dem Sachverhalt sind keine Ungültigkeitsgründe ersichtlich. 0.5

2.5

b. Besitzübertragung: 2.0

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22

Neben dem Verpflichtungsgeschäft ist weiter ein Verfügungsgeschäft erforderlich. Das dingliche Recht (Faustpfandrecht) entsteht erst mit der Übertragung des Besitzes an der Pfandsache (ZGB 884 I). Es gilt das Faustpfandprinzip. 0.5 In der Besitzübertragung liegt zugleich die Erfüllung des im Pfandvertrag liegenden Verpflichtungsgeschäfts. Der Ver-pfänder muss zur Besitzübertragung berechtigt sein (Verfügungsmacht). 0.5

I.c. hat F dem V die Armbanduhr übergeben. Er war zu dieser Besitzübertragung als Ei-gentümer berechtigt. 0.5 Damit ist das dingliche Recht (Faustpfandrecht, ZGB 884) ent-standen. 0.5

3. Rechtswirkung des Faustpfandes

Die Hauptwirkung des Faustpfandes liegt in der Entstehung eines beschränkten dingli-chen Rechts. 0.5 Dieses richtet sich auf die Verwertung der verpfändeten Fahrnissache und dient der Sicherung der Forderung des Gläubigers. Im Fall der Nichtbefriedigung kann sich der Gläubiger aus dem Erlös des Pfandes bezahlt machen (ZGB 891 I). 0.5 Als

Nebenwirkungen kann der Pfandgläubiger als Besitzer des Faustpfandes die Schutzbe-helfe des Besitzesrechtes (ZGB 926-929) und den Rechtsschutz nach ZGB 932-936 gel-tend machen. 0.5

Das Faustpfandrecht ist kraft Universalsukzession mit der Darlehensforderung auf die Erben von V übergegangen. 0.5

2.0

IV. Fazit (Punkte, soweit nicht bereits berücksichtigt)

Zwischen V und F bestand ein Darlehensvertrag (OR 312), 0.5 welcher durch ein Faust-

pfandrecht (ZGB 884) gesichert war. 0.5 Mit dem Tod von V gehen der Darlehensvertrag

0.5 und das Faustpfandrecht 0.5 kraft Universalsukzession auf die Erben von V, also auf

A, B und C über.

(2.0)

Punktetotal Frage C.1 14.5

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23

2. Welche Auswirkungen hatten die Vorgänge vom 14. Juli 2011 und 14. August 2011 auf die Rechtsverhältnisse gemäss Aufgabe C1.?

I. Auswirkungen bezüglich des Darlehensvertrages (HUGUENIN, OR BT, S.

89)

1. Kündigung des Darlehensvertrages

Der Darlehensvertrag kann sowohl ordentlich wie auch ausserordentlich beendet werden. Aus dem Sachverhalt sind keine ausserordentlichen Kündigungsgründe ersichtlich. I.c. spielt daher nur die ordentliche Beendigung eine Rolle. Der Darlehensvertrag endet durch

Zeitablauf oder Kündigung unter Einhaltung der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist (OR 318). I.c. ist der Vertrag unbefristet, weshalb er durch Kündigung zu beenden ist. 0.5

Wurde vertraglich keine Kündigungsfrist vereinbart, so muss der Borger das Darlehen innert 6 Wochen ab der ersten Aufforderung zurückbezahlen (OR 318). 0.5

Die gemeinsame Erklärung mit der Aufforderung zur Rückzahlung durch A, B und C vom

14. Juli 2011 richtet sich auf die Beendigung des Darlehensvertrags und ist als eine or-dentliche Kündigung zu betrachten. Da keine Kündigungsfrist vereinbart wurde, muss F nun binnen 6 Wochen das Darlehen an A, B und C zurückbezahlen. 0.5

1.5

2. Erfüllung der Rückzahlungspflicht

Da F laut Sachverhalt am 14. August 2011 den gesamten Darlehensbetrag von CHF 50‘000.00 zurückbezahlt, erfüllt er seine Rückerstattungspflicht innerhalb der 6-wöchigen Frist nach OR 318. 0.5

Mit der Erfüllung der Rückerstattungspflicht geht die Darlehensforderung am 14. August

2011 unter. 0.5

1.0

II. Auswirkungen bezüglich des Faustpfandes (SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, S.

528 und 536 f.; ERNST, S. 125)

1. Akzessorietätsprinzip:

Das Fahrnispfandrecht ist vom Bestand der Forderung abhängig, zu deren Sicherung es

errichtet wurde. Das Pfandrecht setzt also grundsätzlich eine gültige Forderung voraus.

Mit der Tilgung der Forderung bzw. dem Untergang der Darlehensforderung geht auch

das Faustpfandrecht unter (ZGB 889 I). 0.5

0.5

2. Vertragliche Rückgabepflicht:

ZGB 889 I statuiert eine vertragliche Rückgabepflicht der Pfandsache: Ist das Pfandrecht infolge der Tilgung der Forderung oder aus anderem Grunde untergegangen, so hat der

Gläubiger die Pfandsache an den Berechtigten herauszugeben (ZGB 889 I). Vor der vol-len Befriedigung ist der Gläubiger nicht gehalten, das Pfand herauszugeben (ZGB 889 II). 0.5.

Am 14. Juli 2011 müssen die Erben die Armbanduhr noch nicht herausgeben, da F zu diesem Zeitpunkt die Darlehensforderung noch besteht. 0.5

Am 14. August ist die Darlehensforderung und somit das Pfandrecht durch die Rückzah-lung des gesamten Darlehensbetrages von CHF 50‘000.00 untergegangen. Damit sind die Erben A, B und C verpflichtet, dem F die Armbanduhr herauszugeben (ZGB 889). 0.5

pro memoria: A, B und C könnten bezüglich ihrer vertraglichen Schuld, die Uhr an F zurückzuge-ben, in Verzug kommen; dafür wäre aber, da kein Verfalltagsgeschäft vorliegt, eine Mahnung erfor-derlich (OR 102); eine solche Mahnung wurde von F. aber nicht ausgesprochen.

1.5

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III. Fazit (Punkte, soweit nicht bereits berücksichtigt)

Am 14. Juli 2011 wird der Darlehensvertrag durch A, B und C ordentlich gekündigt. Da keine Kündigungsfrist vereinbart wurde, ist F verpflichtet, binnen 6 Wochen (ab 14. Juli 2011) den Darlehensbetrag an sie zurückzubezahlen (OR 318). 0.5

Am 14. August wird von F unter Einhaltung der 6-wöchigen Frist der gesamte Darlehens-betrag zurückbezahlt. 0.5 Dadurch geht die Schuld auf Rückzahlung des Darlehensbetra-ges unter. 0.5 Zugleich ist mit dieser Rückzahlung auch das Faustpfandrecht untergegan-gen und die Erben A, B und C müssen F die Armbanduhr herausgeben (OR 889). 0.5

(2.0)

Punktetotal Frage C.2 4.5

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25

3. Kann Fritz nach der Übergabe des Barbetrags von CHF 50‘000 im heutigen Zeitpunkt die Armbanduhr herausverlangen? (Bitte prü-fen Sie alle möglichen Anspruchsgrundlagen.)

I. Vindikation, ZGB 641 II (SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, S. 161 ff.; ERNST, S. 59)

1. Gegenstand und Rechtsfolge der Vindikationsklage (Herausgabeklage, rei vindi-catio)

ZGB 641 II setzt voraus, dass die Sache dem Eigentümer vom nicht berechtigten Besitzer

vorenthalten wird. Diese Vorenthaltung muss widerrechtlich sein. 0.5 Der Eigentümer

kann die Sache herausverlangen. Er verfügt über einen dinglichen Herausgabeanspruch.

Wird dieser Anspruch vom Sachbesitzer nicht erfüllt, so kann der Eigentümer auf dem

Klageweg vorgehen. 0.5

1.0

2. Aktiv- und Passivlegitimation

Aktivlegitimiert ist jeder Eigentümer. Durch Übergabe des Faustpfandes wird kein Eigen-

tum übertragen, sondern nur der Besitz. Der Beklagte kann allgemein einwenden, dass

der Kläger nie Eigentümer war, dass der Beklagte Eigentum erworben habe oder dass

der Beklagte einen gültigen Titel zum Besitz der Sache habe. Diese Einwände sind den

Erben A, B und C nicht möglich. F war klar Eigentümer, die Erben haben nur Besitz, aber

nie Eigentum erworben und einen gültigen Titel zum Besitz der Sache haben sie seit dem

Untergang des Faustpfandes nicht mehr F ist Eigentümer der Armbanduhr und daher

aktivlegitimiert. 0.5

Passivlegitimiert ist die Person, welche im Zeitpunkt der Klageerhebung Besitzer der Sa-che ist. Laut Sachverhalt sind die Erben Besitzer der Uhr. Zu prüfen ist, ob die Erben

einwenden könnten, dass die Armbanduhr rechtmässig in ihrem Besitz ist. Da i.c. das Faustpfandrecht mit der Tilgung der Darlehnsforderung untergegangen ist, kann F die Armbanduhr herausverlangen (ZGB 889 I). Die Erben A, B und C haben für den Besitz, nachdem F seine Rückzahlungspflicht aus dem Darlehensvertrag erfüllt hat, keine Be-rechtigung mehr. Sie sind damit passivlegitimiert. 0.5

1.0

3. Beweisthema

Der Kläger muss beweisen, dass er Eigentümer der Sache ist. Wenn er die Sache deriva-

tiv erworben hat, muss er auch nachweisen, dass seine Vorgänger die Sache gültig er-

worben haben. 0.5

0.5

4. Folge der Gutheissung der Vindikationsklage

I.c. sind die Voraussetzungen nach ZGB 641 II also erfüllt. (F ist Eigentümer der Uhr. A, B

und C haben für den Besitz der Armbanduhr keine Berechtigung.) F kann daher die Her-

ausgabe der Uhr verlangen. 0.5 Die Erben A, B und C müssen durch Gutheissung der

Klage nicht nur die Wegnahme der Armbanduhr dulden, sondern sie sind verpflichtet, die

Armbanduhr dem F herauszugeben (Leistungsklage). 0.5

1.0

5. Keine Verjährung

Die Herausgabeklage hat keine Klagefrist, da sie keiner Verjährung unterliegt. Sie kann

damit auch heute (16. Januar 2013) geltend gemacht werden. 0.5

Pro memoria: Klage aus ungerechtfertigter Bereicherung? (OR 62) Gemäss OR 62 hat, wer in un-gerechtfertigter Weise aus dem Vermögen eines anderen bereichert worden ist, die Bereicherung zurückzuerstatten. Der Vindikationsanspruch geht dem Bereicherungsanspruch vor (BGE 110 II 228 ff.; Huguenin, OR AT, N 1073) Entsprechend besteht zugunsten von F kein Anspruch aus OR 62.

Besitzesrechtsklage (Fahrnisklage, ZGB 934 bzw. 936): Wenn der Eigentümer selber die Sache

0.5

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26

dem Beklagten etwa zur Miete, Leihe oder zum Zweck der Hinterlegung übergeben hat, und der Beklagte sie nach Vertragsende nicht zurück gibt, ist nur eine Vindikation möglich. F kann also keine Besitzesrechtsklage erheben. (Schmid/Hürlimann-Kaup, S. 73)

II. Klage aus ZGB 889 (SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, S. 536 f.; ERNST, S. 125)

1. Herausgabeanspruch

ZGB 889 statuiert eine Rückgabepflicht der Pfandsache für den Fall, dass das Pfandrecht

infolge der Tilgung der Forderung oder aus anderem Grunde untergegangen ist (siehe

C.2.II). Für den Berechtigten ergibt sich daraus ein obligatorischer Herausgabeanspruch.

0.5

0.5

2. Aktiv- und Passivlegitimation

Aktivlegitimiert ist der Berechtigte. I.c. ist F als Eigentümer des Pfandgegenstandes (der

Uhr) der Berechtigte und damit aktivlegitimiert. 0.5

Der Anspruch richtet sich gegen den Gläubiger der pfandgesicherten Forderung. I.c. sind die Erben, also A, B und C, Gläubiger und damit passivlegitimiert. 0.5

F hat also aufgrund der fristgerechten Rückzahlung des gesamten Darlehensbetrages von CHF 50‘000 einen obligatorischen Herausgabeanspruch gegenüber A, B und C (ZGB 889). 0.5

1.5

4. Verjährung

Mangels besonderer Bestimmung verjährt der Herausgabeanspruch nach OR 889 ge-

mäss OR 127 mit Ablauf von 10 Jahren. Die Verjährung beginnt gemäss OR 130 I mit der

Fälligkeit der Forderung. In unserem Fall ist der Herausgabeanspruch heute, also am 16.

Januar 2013 noch nicht verjährt und kann damit noch geltend gemacht. 0.5

0.5

III. Klage aus Besitzesentziehung (ZGB 927) Mit der Begründung des Faustpfandes wurde V unmittelbarer, unselbständiger Besitzer, F. wurde mittelbarer, selbständiger Besitzer (gestufter Besitz). Es könnten für F die Rechtsbehelfe aus Besitz zu prüfen sein. 0.5

Der Tatbestand von ZGB 927 setzt eine Entziehung des Besitzes voraus, d.h. eine Stö-

rung, bei der der Besitzer die tatsächliche Gewalt über die Sache verloren hat. Zudem muss diese Entziehung durch verbotene Eigenmacht erfolgen sein (zur Definition der verbotenen Eigenmacht siehe B.3.III). 0.5

Zu beachten ist die zeitliche Schranke in ZGB 929 I, wonach der Besitzer sofort, nachdem ihm der Eingriff und der Täter bekannt geworden sind, die Sache zurückfordern muss. Die

Klage aus Besitzesstörung ist zudem gemäss ZGB 929 II innert 1 Jahr zu erheben. 0.5 I.c. verlangte F nach Rückzahlung der Darlehensforderung die sofortige Herausgabe der Uhr, was ihm aber von A, B und C verweigert wurde. Nach ZGB 929 I hätte er daraufhin sofort Protest erheben müssen. F hat sich jedoch danach ohne weiteres verabschiedet. Ausserdem ist seitdem auch schon mehr als ein Jahr vergangen, womit die Klage verwirkt

ist. Die Klage aus Besitzesentziehung (ZGB 927) ist i.c. daher unzulässig. 0.5

2.0

IV. Fazit (Punkte, soweit nicht bereits berücksichtigt)

Da F Eigentümer des Pfandgegenstandes, also der Armbanduhr ist, kann die Herausgabe

der Armbanduhr mit der rei vindicatio nach ZGB 641 II, (0.5) und aufgrund des obligatori-

schen Herausgabeanspruch nach ZGB 889 verlangen (vgl. SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, S.

536). 0.5

(1.0)

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Bachelorprüfung Privatrecht III, HS12 Lehrstuhl Prof. Dr. Ruth Arnet

27

Punktetotal Frage C.3 8.5

Punkteübersicht Frage C

C.1 14.5

C.2 4.5

C.3 8.5

Gesamttotal 27.5

Gesamttotal Frage A, B und C (25.0 + 77.5 +27.5) 130.0

ab X Punkten Note

0.00 1 sehr schlecht

1.00 1.5 sehr schlecht

5.00 2 schlecht

10.00 2.5 schlecht

15.00 3 ungenügend

20.00 3.5 ungenügend

25.00 4 genügend

30.00 4.5 recht

35.00 5 gut

40.00 5.5 sehr gut

45.00 6 vorzüglich