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Erich Hornstein, moonlight prayer • © Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2017 moonlight prayer 6 »Macht! – von Rangstreitigkeiten« Das moonlight prayer hat am Sonntag, 20. September 2015, um 21 Uhr in der Pfarrkirche St. Margaret in München-Sendling stattgefunden. Der Schrifttext ist das um die beiden letzten Verse gekürzte Evange- lium vom 25. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahrs B. Besonderer Kontext: Dieses moonlight prayer hat am ersten Wo- chenende des Münchener Oktoberfestes stattgefunden. Gewisser Aus- nahmezustand in der Münchener Innenstadt. Vor der Pfarrkirche sind der Lärm und die Gerüche der Wies’n zu vernehmen. Der speziellen Atmosphäre entsprechend gehört dieses Mal eine Trompete zum En- semble. Als Intro zum ersten Musikstück wird eine bekannte Bierzelt- melodie als freie Improvisation gespielt. Die Besucher schmunzeln. Die zweite Besonderheit in diesen Tagen sind die vielen Menschen auf der Flucht, die in München ankommen. Die Stühle für die Besucher wurden auf die Fläche vor den Altar- stufen gestellt. Die Besucher saßen »unten« und hatten die vielen Al- tarstufen direkt vor Augen. Dies symbolisierte das ema Macht in eigenwilliger Weise. Die Texte wurden auf der gleichen Ebene wie die der Besucher vorgetragen. Tipp: Zu Beginn des moonlight prayers höflich bitten, dass die Be- sucher erst am Ende des Gottesdienstes den Musikern Beifall spenden. Manche verspüren den Wunsch, nach jedem Musikstück zu klatschen. Dies ist aber dem Charakter des Gottesdienstes nicht zuträglich. Am Ende aber freuen sich alle über Beifall.

»Macht! – von Rangstreitigkeiten« - Verlag Herder · 2017. 1. 12. · Maiden Voyage von Robert Glasper Impulse Impuls 1 Der ursprüngliche Impulstext für den 20. September 2015,

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  • Erich Hornstein, moonlight prayer • © Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2017

    moonlight prayer 6 »Macht! – von Rangstreitigkeiten«

    Das moonlight prayer hat am Sonntag, 20. September 2015, um 21 Uhr in der Pfarrkirche St. Margaret in München-Sendling stattgefunden.

    Der Schrifttext ist das um die beiden letzten Verse gekürzte Evange-lium vom 25. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahrs B.

    Besonderer Kontext: Dieses moonlight prayer hat am ersten Wo-chenende des Münchener Oktoberfestes stattgefunden. Gewisser Aus-nahmezustand in der Münchener Innenstadt. Vor der Pfarrkirche sind der Lärm und die Gerüche der Wies’n zu vernehmen. Der speziellen Atmosphäre entsprechend gehört dieses Mal eine Trompete zum En-semble. Als Intro zum ersten Musikstück wird eine bekannte Bierzelt-melodie als freie Improvisation gespielt. Die Besucher schmunzeln. Die zweite Besonderheit in diesen Tagen sind die vielen Menschen auf der Flucht, die in München ankommen.

    Die Stühle für die Besucher wurden auf die Fläche vor den Altar-stufen gestellt. Die Besucher saßen »unten« und hatten die vielen Al-tarstufen direkt vor Augen. Dies symbolisierte das Thema Macht in eigenwilliger Weise. Die Texte wurden auf der gleichen Ebene wie die der Besucher vorgetragen.

    Tipp: Zu Beginn des moonlight prayers höflich bitten, dass die Be-sucher erst am Ende des Gottesdienstes den Musikern Beifall spenden. Manche verspüren den Wunsch, nach jedem Musikstück zu klatschen. Dies ist aber dem Charakter des Gottesdienstes nicht zuträglich. Am Ende aber freuen sich alle über Beifall.

  • Erich Hornstein, moonlight prayer • © Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2017

    Vorbereitung

    Materialien: � sieben LED-Strahler und Mischpult zur kabellosen Steuerung � Pult mit Bibel, Redepult mit Beleuchtung � drei Notenpulte mit Beleuchtung für Musiker � Sandschale auf Metallständer mit Christuskerze � mindestens 14 dünne lange Kerzen als Fürbittkerzen, Streich-

    hölzer � Programmblatt für Besucher � Tisch mit Spendenbox

    Musikalische Gestaltung: � Trompete, E-Piano und Kontrabass � siehe allgemeine Hinweise zu alternativen musikalischen

    Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort (siehe Hinführung)

    Durchführung

    Musikstück 1Als Intro freie Improvisation auf »Ein Prosit«,dann Übergang zum MusikstückElm von Richie Beirach

    Begrüßung und HinführungHerzlich willkommen heute Abend zum moonlight prayer!Nur ein paar Straßen weiter: die Wies’n.Den vorstehenden Satz weglassen, wenn die räumliche Angabe nicht zutrifft und im Weiteren die zeitbedingten Angaben den neuen Gegebenheiten anpassen.

  • Erich Hornstein, moonlight prayer • © Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2017

    Gestern Mittag wurde das Münchner Oktoberfest 2015 offiziell eröffnet. Samstag 12 Uhr: Die Medien transportieren die angeb-lich entscheidende Frage: Wie viele Schläge braucht der Ober-bürgermeister beim Anstich? Letztes Jahr waren es vier. Gestern sind es nur zwei Schläge gewesen.

    An den Biertischen wird gemauschelt: Wer weniger als drei Schläge braucht, scheint zu Höherem in der Politik bestimmt zu sein. Als ob sich die Kompetenz eines Oberbürgermeisters in einem Ritual erschöpfe, das irgendwie an einen archaischen, männlichen Fruchtbarkeitskult erinnert. Irgendwie ein seltsa-mes Machtritual.

    Ganz im Gegensatz dazu: Der Münchner Oberbürgermeister zeigt auf, wo eines der drängendsten Probleme dieser Tage liegt: Wo finden wir Platz für die vielen Menschen auf der Flucht, die hier ankommen?

    (ggf. hier ein anderes aktuelles drängendes Problem nennen.)Machtvoll legen sich die Wies’nwirte ins Zeug, damit die

    Wies’n 2015 gelingt. Sie sind bestens vorbereitet auf den An-sturm der Wies’nbesucher. Rund eine halbe Million täglich. Dar-über hinaus rangeln die Wirte um Aufmerksamkeit, wer von ih-nen der Größte sei, wer den Ton angibt, die neuesten Trends vor-gibt, bei wem die Promis sitzen. Kurzum: wer die größte Macht hat.

    Hier die Welt der Macht – dort die Welt der Ohnmacht.Ganz nah beieinander. Und wir irgendwie zwischendrin.Angesichts der vielen Menschen auf der Flucht fühle ich mehr

    die Ohnmacht. Zugleich bewundere ich die vielen Helfer, die mit anpacken: damit die ankommenden Flüchtlinge ein Dach über dem Kopf haben.

    Macht und Ohnmacht. Und wir zwischendrin.

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    Musikstück 2Turnaround von Ornette Coleman

    Lesung aus dem Markusevangelium (Mk 9,30–35): Wer der Erste sein will, soll der Diener aller sein.

    Die Bibel vom Pult nehmen, aufschlagen und daraus vortragen.

    Wir hören einen Abschnitt aus dem Evangelium, wie es uns Mar-kus aufgeschrieben hat:

    In jener Zeit zogen Jesus und seine Jünger durch Galiläa.Er wollte seine Jünger belehren und sagte zu ihnen:Der Menschensohn wird den Menschen ausgeliefert,

    und sie werden ihn töten;doch drei Tage nach seinem Tod wird er auferstehen.Die Jünger verstanden den Sinn seiner Worte nicht,

    scheuten sich jedoch, ihn zu fragen.Sie kamen nach Kafarnaum.Als er dann im Haus war, fragte er sie:Worüber habt ihr unterwegs gesprochen?Sie schwiegen,

    denn sie hatten unterwegs miteinander darüber gesprochen,wer von ihnen der Größte sei.

    Da setzte er sich, rief die Zwölfund sagte zu ihnen: Wer der Erste sein will,

    soll der Letzte von allen und der Diener aller sein.

    Frohe Botschaft unseres Herrn Jesus Christus.Alle: Lob sei dir, Christus

    Die Bibel wieder aufs Pult zurückstellen.

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    Musikstück 3Maiden Voyage von Robert Glasper

    Impulse

    Impuls 1Der ursprüngliche Impulstext für den 20. September 2015, der ganz aktuell gestaltet war, wurde nun zeitlich entschärft und erweitert.

    Im Oktober 2015 haben sie sich in Rom versammelt, zur Bi-schofssynode. Thema: »Die Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute«. Kurz: Sie versammelten sich zur Familiensynode Teil 2. Ein halbes Jahr später, im März 2016, hat Papst Franziskus die Ergebnisse der Synode veröffentlicht. Sein Rundschreiben lautet: Amoris Laetitia – die Freude der Liebe. Es geht um viel: um die Bedeutung der Familie für die Kirche und für die Lebenswelten in den unterschiedlichen Kulturen.

    Schon während der Zeit der Synode, aber auch jetzt, nachdem das Rundschreiben von Papst Franziskus veröffentlicht wurde: Die unterschiedlichen kirchlichen Lager haben sich mal wieder in Position gebracht. Die einen loben verhalten, die anderen kri-tisieren wortgewaltig und machtvoll das päpstliche Dokument.

    Die Bewahrer mahnen lauthals, dass alles so bleiben soll, wie es ist. Sonst wird die Lehre verwässert und verfälscht. Die Refor-mer, vielleicht etwas zaghafter, machen deutlich, dass sich jetzt

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    etwas bewegen müsse. Damit die Kluft zu den Wirklichkeiten des menschlichen Lebens nicht noch größer wird.

    Die beiden Lager tuscheln hinter vorgehaltener Hand. Sie ver-suchen die einen und anderen für ihre Seite zu gewinnen. Sie las-sen mich an die Jünger denken, die unterwegs sind und denen es um die Frage geht: Wer ist der Größte? Welches Lager wird sich als mächtiger erweisen? Oder ist dieses Abstecken der Positio-nen ein Hinweis auf Ohnmacht?

    Macht oder Ohnmacht? Hoffentlich schält sich aus diesem Gerangel die Botschaft Jesu für die Menschen von heute deut-lich heraus.

    Musikstück 4kurzes Anspiel aus Musikstück 4ruhiges / meditatives Musikstück:Fee-Fi-Fo-Fum von Wayne Shorter

    Impuls 2Der ursprüngliche Impulstext für den 20. September 2015, der ganz aktuell gestaltet war, wurde nun zeitlich entschärft und erweitert.

    Sie haben sich über 50 Jahre darauf vorbereitet. Im Sommer 2016, am orthodoxen Pfingstfest, wurde es auf der Insel Kreta feierlich eröffnet: Ein panorthodoxes Konzil. Sämtliche Vertre-ter der orthodoxen Nationalkirchen sollten sich treffen. So war es geplant. Im Vorfeld war es schon äußerst fraglich geworden, ob alle daran teilnehmen. Nach und nach haben vier National-kirchen ihre Teilnahme abgesagt. Darunter die größte orthodoxe Nationalkirche, die russisch-orthodoxe (vgl. Christ in der Gegen-wart 32 (2015), S. 353).

    Was ein wirklich gemeinsames panorthodoxes Konzil hat scheitern lassen, sind Autoritätsstreitigkeiten. Sie waren sich

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    offensichtlich nicht einmal klar darüber, wer zu diesem Konzil einladen darf: der russisch-orthodoxe Patriarch von Moskau, der mehr als die Hälfte der orthodoxen Christen vertritt, oder der Patriarch von Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, weil es das Patriarchat mit der längeren Tradition ist.

    Wichtigstes Thema ist demnach die Rangordnung der Pat-riarchate. Es ist das Thema der Jünger: Wer von ihnen ist der Größte? Es ist die Frage nach der Macht. Der Religionssoziologe Detlef Pollack untersucht seit Langem die Einstellungen der Menschen zu den Kirchen. Bekenntnisübergreifend stellt er fest: »Die Institution, die nach Macht drängende Kirche – die mag man nicht« (Interview von Matthias Drobinski mit Detlef Pollack, in: SZ vom 07.08.2015).

    Musikstück 4kurzes Anspiel aus Musikstück 4, s. o.

    Impuls 3Der bulgarisch-deutsche Schriftsteller Ilija Trojanow hat im Frühjahr 2015 seinen Roman veröffentlicht. Der Titel »Macht und Widerstand«.

    Es geht um zwei Personen: Metodi ist Offizier und Opportu-nist. Wichtig ist ihm seine Karriere. So hat er es bis in die obers-ten Ränge der Macht geschafft. Im Gegensatz dazu: Konstantin. Schon in der Schulzeit ist er dem bulgarischen Staatssicherheits-dienst aufgefallen. Er prangert an, lehnt sich leidenschaftlich ge-gen das Machtregime auf.

    Metodi und Konstantin – Macht und Widerstand.Die Spannung zwischen diesen beiden Personen lassen mich

    an Ralf denken. Ralf arbeitet in einem Münchner Kaufhaus, Bä-ckereiabteilung im Erdgeschoss, gleich am Eingang. Ralf steht gerne hinter der Theke. Brezen, Semmeln (oder: Brötchen), Ba-

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    guette: All das verkauft er gerne. Er mag den Kontakt zu den Kunden. Das sieht man ihm an.

    Die Leute kommen gern zu ihm. Das spüren auch seine Chefs. Sie fragen ihn, ob er nicht Filialleiter werden will. Er hätte dann 60, wenn es gut läuft sogar 70 Leute unter sich. Natürlich mit entsprechender Beteiligung an der Verkaufsprovision. Die Chefs rollen ihm den roten Teppich der Macht aus. Doch Ralf stoppt den Teppich, der auf ihn zurollt, mit seinem Fuß: »Lasst mich an der Theke und bei den Leuten. Das ist der Platz, wo mir mein Beruf gefällt.«

    Es ist Ralfs Geschichte von Macht und Widerstand. Er steht zu dem, wo er sich aufgehoben fühlt. Er setzt sich dafür ein, wo er Mensch sein kann. Er ist damit der Botschaft Jesu vom Ersten und vom Letzten vielleicht näher.

    Musikstück 4jetzt gesamtes Musikstück spielen, s. o.

    FürbittenZwei Personen stellen sich zur Sandschale mit der brennenden Christuskerze. Sie nehmen jeweils sieben dünne lange Kerzen, zün-den diese abwechselnd nach jeder Fürbitte an und stecken sie in die Sandschale. Dieses meditative Element ist einem orthodoxen Ker-zenritual nachempfunden.

    Macht und Ohnmacht prägt unser Leben.Macht und Ohnmacht. Durch viele Bilder in den Nachrichten und Medien sichtbar, auch spürbar, manchmal schmerzhaft. Menschen sind Macht und Ohnmacht ausgesetzt. Im Gebet stellen wir diesen Menschen das Licht der Botschaft Jesu zur Seite.

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    1. Wir beten für alle Menschen, die auf der Flucht sind.2. Wir beten für jene, die vor Bomben und Krieg flüchten.3. Wir beten für alle, die vor sich selbst auf der Flucht sind.4. Wir beten für alle Menschen, die Macht haben.5. Wir beten für alle, die verantwortlich mit ihrer Machtposi-

    tion umgehen.6. Wir beten für diejenigen, die ihre Macht missbrauchen, die

    andere Menschen unterdrücken und ihnen Gewalt antun.7. Wir beten für alle Menschen, die sich ohnmächtig fühlen

    angesichts so vieler Menschen auf unserer Erde, die auf der Flucht sind.

    8. Wir beten für alle, die an einer schweren Krankheit leiden.9. Wir beten für jene, die um einen lieben Menschen trauern.10. Wir beten für alle Menschen, die den Mutlosen Mut machen.11. Wir beten für andere, die den Freudlosen Freude bringen.12. Wir beten für jene, die die Hasserfüllten besänftigen.13. Wir beten für all die Menschen, an die Sie gerade denken.14. Wir beten für jene, die vielleicht auf unser Gebet hoffen.

    VaterunserDie Besucher mit Worten oder einem Zeichen bitten, zum Gebet aufzustehen.

    Beten wir gemeinsam: Vater unser …

    SegensgebetGuter Gott,du gibst uns Macht,

    damit wir sie verantwortlich und zum Wohl anderer einsetzen,und nicht dazu, damit wir uns anderen in den Weg stellenund sagen: »Ich bin der Größte.«

    Du bist der Gott, der uns in unserer Ohnmacht nahe ist,

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    du kennst unsere Schwächenund du weißt, woran wir leiden.

    Du bist der Gott, der uns Freude schenkt,der uns Mut machtund der uns antreibt, unseren Weg zu gehen.

    Manchmal spüren wir das, meistens eigentlich nicht.Und doch vertrauen wir darauf.So segne uns der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen.

    Den Besuchern ein Zeichen geben, dass sie sich wieder setzen können.

    Musikstück 5Goodbye Pork Pie Hat von Charles Mingus