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DIHEI MAGAZIN 2018
BEWEGT!Kinder erleben einen Nachmit-tag mit Tanz und Freerunning
NICOLAS HAUSAMMANNDie bewegte Geschichte des Rollstuhlbasketballers
«LERNEN BRAUCHT BEWEGUNG»Der Schweizer Lernpionier Eduard Buser-Batzli im Gespräch
3 | Magazin 2018 | Editorial
Rein physikalisch betrachtet ist eine Bewegung eine Orts
veränderung mit der Zeit. Dabei befasst sich die Physik auch
mit der Frage, wie sich ein Körper bewegt, also beispiels
weise wie schnell er ist oder wie sehr er beschleunigt wird.
Oder sie geht der Frage auf den Grund, weshalb sich ein
Körper bewegt, woher also der Impuls und die Energie für
eine Bewegung herkommen.
Wenn auch nicht physikalisch betrachtet, so werfen wir mit
diesem Magazin doch dieselbe Frage auf. Wir werfen einen
Blick darauf, weshalb und wie sich Menschen bewegen. Was
bedeutet ihnen Bewegung? Was ist ihr Antrieb und was
erleben sie, wenn sie sich bewegen? Die Frage, die wir stel
len, ist nicht, wo A und B liegen, sondern was Menschen auf
ihrem Weg dazwischen erleben.
Lesen Sie zum Beispiel die Geschichte des Primarlehrers
und Pioniers des bewegten Lernens, Eduard BuserBatzli,
der von vielen zunächst für seinen «Zirkus» verlacht, nur
wenige Jahre später dann aber bereits mit einem Bildungs
preis ausgezeichnet wurde (S. 10). Lesen Sie über die
beeindruckende Geschichte von Nicolas Hausammann, der
trotz eines Schicksalsschlags seinen Bubentraum vom Profi
sportler nicht aufgab (S. 24). Oder lassen Sie sich gerade
im anschliessenden Artikel von einer Fachperson beraten
und lesen Sie die Artikelbeilage in Sachen langanhaltende
Bewegung. Gerne erzählen wir Ihnen, was uns im letzten
Jahr in den Häusern der Stiftung bewegte (ab S. 16) und im
ganzen Magazin finden Sie vielseitige, süsse und zum Den
ken anregende Aussagen darüber, was Bewegung Klein und
Gross bedeutet.
Wir haben Freude an unserer Kinderschar, die sich an einem
Mittwochnachmittag in einer Turnhalle für neue Bewegun
gen begeistern liess (S. 4). Was die Kinder mit Freerunning
und einer Tanzeinlage schafften, schaffen auch Sie: Wann
lernen Sie was Neues? Was nehmen Sie sich vor? Lassen Sie
sich bewegen, bewegen Sie sich!
Andreas Schmidt, Stiftungsleiter
FERTIG, LOS!So bewegen Sie sich in diesem Magazin
03 Editorial
04 KINDERPROJEKT: Bewegt!
06 Bericht des Stiftungsleiters
10 INTERVIEW: Lernpionier Eduard BuserBatzli
13 Befragt: Was bringt dich in Bewegung?
14 Die Stiftung DIHEI im Porträt
16 Haus Rigiblick: Lang, sperrig, hart – und Spass!
17 SOFA Wehntal: Neuland am Horizont
19 Befragt: Was ist deine Lieblingsbewegung?
20 Haus Bodensee: Den Kratzern und Stürzen zum Trotz
21 Haus Furttal: Lernen, herausfordern, bewegen
24 INTERVIEW: Rollstuhlbasketballer Nicolas Hausammann
28 Interview mit dem Physiotherapeuten Aaron Schmidt
30 Befragt: Was bewegt dich?
31 Kontakt: Leitung, Verwaltung und Häuser
VON A NACH B – NUR WIE? Editorial
IMPRESSUMREDAKTION UND LEKTORAT Jonathan Schmidt, Angela Schmidt GRAFIK FONTIJN/ENDERLI GmbH
AUTOREN Mirjam Abry, Thomas Biaggi, Laura Oliverio, Andreas Schmidt, Jonathan Schmidt, Adrian Ziörjen
FOTOGRAFIE Jonas Harlacher, Nicolas Hausammann zvg (S. 2427), Simeon Meder, FONTIJN/ENDERLI GmbH,
Aaron Schmidt zvg (S. 28) HERAUSGEBERIN Stiftung DIHEI, Feldstrasse 8, 8200 Schaffhausen
AUFLAGE 750 Exemplare SCHRIFTEN Margot, Gandhi
PS: Haben Sie schon gemerkt?
Dieses bewegte Magazin ist auch ein Daumenkino.
Inhalt | Magazin 2018 | 2
BEWEGUNG IST...
Was ist eure Lieblingsbewegung?
Ana: Ich liebe die Musik aus dem Radio
und das Tanzen dazu.
Shakira: Mein liebstes Fortbewegungs-
mittel ist das Fahrrad.
Was bewegt euch?
Ana: Dass ich jedes zweite Wochenende
bei Mami und Papi sein darf. Ich bin
so glücklich deswegen.
Shakira: Katzen, weil sie meine
Lieblingstiere sind.
Ana (7) & Shakira (7)
Was bringt euch in Bewegung?
Ana: Wenn ich zu spät dran bin für die Schule.
Dann muss ich rennen.
Shakira: Ein Räuber. Ich habe bisher aber
noch keinen gesehen.
…LAUT, HEKTISCH, FRÖHLICH. IN DER HALLE BEWEGT SICH WAS.
Da springen Kinder nacheinander über ein Trampolin. Dort hieven sich ein paar
geschickt und möglichst flüssig über die Hindernisse. Andere springen Seil. Wieder
andere lassen einen Reif um die Hüften kreisen, jonglieren Bälle, tanzen im
Gleichschritt zum Rhythmus.
BEWEGUNG IST ALLES, SAGEN EINIGE.Bewegung ist wohl das offensichtlichste Zeichen für Leben. Was lebt, bewegt
sich. Umso lebenswichtiger ist, dass wir uns bewegen. Sofern wir denn können.
Und gerade deshalb ist Bewegung so wichtig, solange wir uns bewegen können.
Denn Bewegung ist alles. Bewegung heilt, sagt der Physiotherapeut und hilft uns,
den Körper durch Bewegung wieder optimal belasten zu können. Bewegung ist
ungefährlich, wenn man die Gefahren richtig einschätzt, erzählt der Freerunner,
der erst gerade kürzlich nicht so sanft landete, wie er dachte und sich dabei die
Kniescheibe brach. Bewegung befreit, sagt die Tänzerin, weil man dabei alle Sorgen
vergessen und auf neue Ideen kommen kann. Bewegung hilft, sagt die Forschung,
und hat längst eine Verbindung zwischen Gleichgewicht halten sowie Deutsch
und Mathelernen herstellen können.
DESHALB HABEN WIR DIE KINDER DER STIFTUNG DIHEI AN DIESEM MITTWOCHNACHMITTAG IN EINER TURNHALLE
ZUSAMMENGERUFEN. Sie haben teils neue Formen der Bewegung kennengelernt. Freerunning – die
Kunst, sich so elegant wie möglich über Hindernisse bewegen zu können. Oder
eine Tanzchoreografie – das beglückende Gefühl, mit anderen zusammen zum
selben Zeitpunkt dieselbe Bewegung zu vollführen. Weshalb? Weil Bewegung alles
ist. Weil sie Spass macht. Heilt. Hilft. Verbindet. Gefahr und Chance ist. Bildet.
Motiviert. Befreit. Gesund ist. Weil sie Leben ist. Grund genug also, Kinder so früh
und so oft wie möglich dafür sensibilisieren zu können. Bewegung ist alles.
Den Bewegungsnachmittag mit den Kindern der Stiftung Dihei
gibt’s übrigens auch in bewegten Bildern! Geben Sie dazu
folgenden Link ein: www.stiftungdihei.ch/bewegt
Viel Spass!
KINDERPROJEKT: Bewegt! | Magazin 2018 | 4 5 | Magazin 2018 | Kurzporträts Ana und Shakira
Bericht des Stiftungsleiters | Magazin 2018 | 6 7 | Magazin 2018 | Bericht des Stiftungsleiters
von Andreas Schmidt
IN SCHWUNG ZU KOMMEN IST MIT ANSTRENGUNG VERBUNDEN
«Treiben Sie Sport?», fragte mich der Arzt bei einem Routinebesuch. «Ich gehe regelmässig mit dem Hund spazieren», war meine Antwort. «Ja, aber treiben Sie Sport? Machen Sie etwas, das den Kreislauf auf Touren bringt?»
Mein Blutbild hatte zutage gebracht, dass ich sehr wohl
noch Handlungsbedarf hatte, mich sportlich in Bewe
gung zu setzen. Der Gesundheit zuliebe. Letztlich mir
zuliebe. Nicht, dass ich mich nicht bewegt hätte. Aber bis
an die Grenzen gehen? Das war mir zu anstrengend. Nun,
ich liess mich herausfordern und nahm mir vor, Crawlen
zu lernen. Mittlerweile sind mehrere Jahre vergangen und
ich habe bereits weit über 100 Stunden trainiert. Manch
mal, wenn ich kurz am Bassinrand verschnaufe, um gleich
wieder weiterzuschwimmen, erinnere ich mich, wie viel
Überwindung es mich am Anfang kostete. Mittlerweile
fühlen sich die Bewegungsabläufe und die Kraftaufwen
dungen doch schon ziemlich gut an. Es hat sich auf jeden
Fall gelohnt.
Ganz schön in Schwung gekommen
Was hat das mit dem Geschehen in der Stiftung zu tun?
Zunächst blicken wir dieses Jahr auf viel Bewegung in
unserer Organisation zurück. Durch die Wechsel der
Hauseltern in vier von fünf Familien im vergangenen Jahr,
waren wir in vielerlei Hinsicht gefordert. Vieles war unge
wohnt und mit Anstrengung verbunden. Aber ich denke,
wir sind schon ganz schön in Schwung gekommen. Noch
gilt es, weiter dranzubleiben, weiter zu trainieren und uns
auf Neues einzulassen. Aber wir haben vor allem eines:
Zuversicht gewonnen – und das fühlt sich gut an.
Bodensee – Familienkonstellation auf Achterbahnfahrt
Die Familienkonstellation im Haus Bodensee hielt uns
wohl am meisten von allen in Atem. Ins neue Jahr star
teten wir mit vier Kleinkindern, von denen nicht einmal
eines im Kindergartenalter war. Drei Erwachsene und eine
Praktikantin wechselten sich ab und stellten die Betreu
ung sicher. Bald aber erhielten wir den Bescheid, dass uns
drei von Ihnen – alles Geschwister – wieder verlassen wür
den. Hilfe! Wovon jetzt die Löhne bezahlen, wenn nicht
bald neue Kinder aufgenommen werden können? Wie
lange wir es wohl schaffen würden zu überbrücken? Mit
ten in den Sommerferien dann eine nächste Aufnahme,
wobei nicht klar war für wie lange. Bald darauf, nach den
Herbstferien, folgten wiederum drei Geschwister und zu
guter Letzt stand noch vor Weihnachten in Aussicht, dass
im Februar 2018 nochmals zwei Geschwister kommen
sollten. Innerhalb eines knappen Jahres bewegte sich die
Kinderzahl also von 4 auf 1, wieder auf 2, weiter auf 5 und
nun beleben (und bewegen!) 7 Pflegekinder die Familie.
So etwas denkt man sich nicht im Voraus aus. Man kann
sich nur auf die Bewegung einlassen und so gut wie mög
lich versuchen, sein Bestes zu geben. Es ist ein Geschenk,
dass niemand den Mut verlor.
Ramsen – Stillstand nach Bewegung
Während die Nachfolge in allen anderen Teams seit Län
gerem feststand, mussten wir uns im Haus Ramsen länger
gedulden. Aber dann freuten wir uns sehr, als klar wurde,
wer im September die Betreuung der verbliebenen drei
Kinder übernehmen würde. Gerade noch rechtzeitig trat
ein junges Paar auf den Plan mit klarem Wunsch, sich für
Pflegekinder zu engagieren. Es gelang ein verheissungs
voller Neustart dieser Familieneinheit mit drei Kindern, die
so glücklicherweise bei uns bleiben konnten. Doch leider
lief es nicht nach unseren Vorstellungen. Schon in den ers
ten Wochen reifte bei den beiden die Überzeugung, dass
diese Aufgabe auf Dauer doch nicht ihrem Lebensskript
als Paar entspricht und sie entschieden sich, ihr Mandat
wieder abzugeben. Ende Februar 2018 kam diese Familien
einheit zu einem vorläufigen Stillstand. Aber wir halten
daran fest, dass dieses tolle Haus seiner Bestimmung
gemäss betrieben werden kann.
Rigiblick – eine geglückte Veränderung
Die Stabübergabe von der Familie Studiger zur Familie
Abry in den Sommerferien 2017 ging erfolgreich über die
Bühne. Sicher hat geholfen, dass genügend Zeit vorhanden
war, die nötigen Schritte gut zu planen und durchzufüh
ren. Es war eindrücklich, wie sich die anfängliche Abwehr
gegenüber der Veränderung letzten Endes in ein grosses
Selbstvertrauen für die Zukunft verwandelte. Heute leben
zusammen mit der jungen Familie mit zwei eigenen Klein
kindern sieben Kinder und Jugendliche, die von einem klei
nen Team unterstützt werden. Wir sind allen dankbar, die
diesen Veränderungsprozess mitgestaltet haben. Nebst
dem inneren Umbau der Familieneinheit packten wir
gerade die Gelegenheit, nötige Renovationen und Ergän
zungen am Haus vorzunehmen. So konnte die Wohnung
für die Leiterfamilie renoviert und eine neue Garderobe
und ein neues Zimmer für die Kinder gebaut werden.
Furttal – Konstanz, die bewegt
Bei so vielen Wechseln in den Familieneinheiten ist es
geradezu bewegend, von einem Haus berichten zu kön
nen, das Konstanz erlebt. Lediglich eine junge Erwachsene
zog im Sommer nach 13 ½ Jahren in Dänikon aus, in ihre
erste WG. Sie hatte ihre ganze Schulzeit und die Lehre in
der Stiftung DIHEI verbracht. Das ist es ja gerade, was wir
uns für unsere Familien wünschen. Dass Kinder an einem
Ort aufwachsen können, wo man verbindlich für sie da ist.
Denn wir wissen um die Stärke, die in konstanten Bezie
hungen liegt. Ein besonderer Dank gilt deshalb dem Team
im Haus Furttal.
SOFA Wehntal – neu Fahrt aufgenommen
Die jüngste Familieneinheit in der Stiftung ist die SOFA
Wehntal. Dort starteten wir ganz neu in einer angemiete
ten Wohnung in Dielsdorf mit Saša und Laura Oliverio.
Noch wartet Bewegung auf die Familie, denn wir suchen
nach einer geeigneten Liegenschaft, damit sich die Famili
eneinheit dauerhaft niederlassen kann.
Was haben uns die Vergangenheit und insbesondere dieses
Jahr gelehrt? Ganz plötzlich und unvorhergesehen kann
Bewegung in eine Sache kommen. Wir tun deshalb gut
daran, uns auf solche Ausnahmesituationen vorzuberei
ten, damit wir uns gekonnt darin bewegen können, wenn
sie tatsächlich eintreffen. Am besten hilft da regelmässiges
«Training» an Körper, Seele und Geist.
«Noch gilt es, weiter dranzu-bleiben, weiter zu trainieren und uns auf Neues einzulas-
sen. Aber wir haben vor allem eines: Zuversicht gewonnen – und das fühlt sich gut an.»
«Das ist es ja gerade, was wir uns für unsere Familien wün-schen. Dass Kinder an einem
Ort aufwachsen können, wo man verbindlich für sie da ist. Denn wir wissen um die Stärke, die in konstanten
Beziehungen liegt.»
Name: Laura OliverioAlter: 28 JahreHobby: Tanzen Beruf: Sozialpädagogin FH
Weshalb Tanzen?
Tanzen ist Balsam für die Seele. Es befreit sie und lässt
Kreativität aufflackern. Durch den Tanz werden Ideen
geboren und Lebensgeschichten erzählt.
Wie kamst du zum Tanzen?
Wie jedes Mami suchte auch meines eine Freizeitgestal
tung für mich. So kam es, dass sie mich mit fünf Jah
ren zum Ballett brachte. So begann meine tänzerische
Laufbahn.
Was ist deine Spezialität?
Das musste ich in all diesen Jahren herausfinden. Neben
Ballett habe ich auch zeitgenössische Tänze wie Jazz,
Modern oder Street Dance angefangen zu tanzen. Jeder
Tanz hat seine Eigenheiten, die mir durch die verschie
denen Lebenslagen hindurchhalfen. Heute würde ich
von mir selbst behaupten, dass ich mich im zeitgenössi
schen Tanz – sprich im Contemporary Dance – zu Hause
fühle. Warum? Weil ich mich da immer wieder neu entde
cke und erstaunt bin darüber, was an Kreativität aus mir
heraussprudelt.
Was kannst du nicht so gut?
Meine Hüftstellung lässt nicht zu, dass ich meine Beine
wie eine Primaballerina hochbringe. Das ärgert mich seit
ich denken kann.
Was bedeutet Bewegung für dich?
Mein Lieblingszitat drückt das wohl am besten aus: «Der
Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare.»
Was würdest du gerne einmal anstellen?
Mein Ziel ist es, mein Leben lang zu tanzen, stets zu wach
sen und fortwährend Grenzen und Ängste zu überwin
den. Und wer weiss, vielleicht werde ich den Spagat eines
Tages doch noch hinbekommen.
Aaron (10)
«Unihockey ist mein Hobby. Deshalb
bewege ich mich auch am liebsten mit
meinem Unihockeyschläger in der Hand.
Ich mag einfach alles an dieser Sportart.
Was mich sonst noch so bewegt?
Zu wissen, dass ich nicht alleine bin,
sondern dass Gott immer bei mir ist.»
Kurzporträt Laura Oliverio | Magazin 2018 | 8 9 | Magazin 2018 | Kurzporträt Aaron
Der pensionierte Primarlehrer und Lern-pionier Eduard Buser-Batzli hat in sei-nem Schulzimmer vor Jahrzehnten schon gemacht, was heute die Wissenschaft bestätigt und mittlerweile auch Einzug in die Schweizer Schulen gehalten hat.
Es klingelt. Ich würde den Schweizer Lernpionier Edu
ard BuserBatzli gerne für ein Interview anfragen. Jahr
zehntelang unterrichtete er als Primarlehrer und entwi
ckelte dabei kontinuierlich den Lernansatz «Lernen in
Bewegung», der später als Grundlage für viele weitere
Initiativen und Programme zu bewegtem Lernen in
Schweizer Schulen diente. Buser tritt ans Telefon. Sofort
sprechen wir übers Lernen. Darüber, dass er 40 Jahre
fast ausschliesslich auf der Mittelstufe (5./6. Klasse)
unterrichtete, bis er sich vor ein paar Jahren frühpensio
nieren liess. «Ich konnte gewisse Dinge im aktuellen
Schulsystem einfach nicht mehr unterstützen», sagt er
gleich am Telefon. Und fast im selben Satz: «Würde es
Ihnen etwas ausmachen, wenn wir ein andermal mitein
ander sprechen? Ich mache gerade Spaghetti Carbonara
für meine Frau und die sollten rechtzeitig auf dem Tisch
sein.»
Lerntüftler bis heute
Selbstverständlich macht es mir nichts aus. Ich freue mich
auf die Weiterführung des Gesprächs. Denn wenn man mit
Eduard BuserBatzli spricht, kommt einem ein wacher Geist
entgegen. Ein besonnener und freundlicher, gleichzeitig
aber auch ein stetig unruhiger. Unruhe, die im Gegenüber
jedoch nicht Nervosität, sondern vielmehr Neugierde aus
löst. Er ist einer, so macht es den Anschein, der ständig
bewirkt, mithilft, verbessert, Erfahrung teilt, tut. Einer die
ser Menschen, die ein Leben lang nicht anders können als
stets Neues zu lernen, herauszufinden, zu forschen. Eben
einer in Bewegung. Er müsste ja eigentlich schon längst
nicht mehr. «Ich weiss eigentlich auch nicht, weshalb ich
das alles tue. Ich kann einfach nicht anders», sagt Buser
selber über sich. Pensionierung heisst für ihn nicht Ruhe.
Im Gegenteil. Nach seiner Zeit im Schulzimmer gründete
er sein eigenes Lernstudio und gibt heute als Lerncoach
mit Eduard BuserBatzli sprach Jonathan Schmidt
DEM LERNEN VERSCHRIEBEN – EIN LEBEN LANG
und freischaffender Pädagoge seine immense Erfahrung
aus der Praxis an Schüler, Lehrpersonen und Interessierte
weiter. Und er forscht selber immer noch unermüdlich:
«Sie müssten unbedingt noch was über Düfte schreiben.
Da bin ich aktuell dran. Es ist ganz interessant, wie Düfte
beispielsweise in ätherischen Ölen unmittelbar auf das
Gehirn wirken und damit sowohl auf physische, als auch
auf psychische Prozesse im Körper eine positive Wirkung
ausüben können.» Ein Lernpionier, dessen Wissbegierde
ansteckt und dessen Erkenntnisse die Wissenschaft mitt
lerweile längstens stützt. Dem war nicht immer so.
Zuerst belächelt, dann geehrt
Als er vor 25 Jahren noch als Primarlehrer mit Lernen
in Bewegung in seinem eigenen Schulzimmer begann,
wurde er gerne belächelt. «Du mit deinem Zirkus in der
Schule», hiess es jeweils. Mittlerweile sieht die Lernland
schaft, insbesondere auch wegen Pionieren wie Eduard
BuserBatzli, anders aus. Im Jahr 2009 wurde der Solo
thurner von der PH Nordwestschweiz mit dem Comeni
usPreis für «besondere Innovation im Bildungsbereich»
ausgezeichnet. Mittlerweile ist also längst zum Allge
meingut geworden, was Buser selbst immer so pointiert
gesagt hat: «Lernen braucht Bewegung, denn wer sich
nicht bewegt, bleibt sitzen.»
Zeit also, dem Vollblutpraktiker in Sachen bewegtes Ler
nen, ein paar Fragen für unser eigenes Lernen und das
unserer Kinder zu stellen:
Woher kam die Idee zu Lernen in Bewegung (LIB)?
Buser: Ich habe die Erfahrungen der alten Pädagogen (u. a.
Pestalozzi, Rousseau) und auch der griechischen Peripate
tiker übernommen und konsequent im Unterricht einge
baut. Was im Kleinen mit Rhythmus, Klatschspielen, Body
percussion oder dem Mundharmonikaspiel begonnen hat,
habe ich während Jahren aus und in alle Fächer eingebaut.
Was war Ihr Anlass?
Buser: Seit Jahren kämpfen Lehrpersonen immer mit den
selben Problemen wie der Abnahme der Konzentrations
fähigkeit, der fehlenden Belastbarkeit und Aufmerksam
keit, Schwierigkeiten beim Memorieren oder fehlender
Motivation begleitet mit einer immer grösser werdenden
Stofffülle. Lernen in Bewegung ist eine Lehr und Lern
praktik, die dem traditionellen Stillsitzen am Pult entge
genwirkt. Meine langjährige Erfahrung hat mir bestätigt,
dass Schülerinnen und Schüler, die mit Bewegung lernen,
deutlich motivierter sind. Dadurch steigert sich die Kon
zentration und Aufnahmefähigkeit. Darüber hinaus gewin
nen die Schülerinnen und Schüler an Selbstwertgefühl und
werden auch kreativer im Lernen. Wenn die Lernbereit
schaft so ganz grundsätzlich gesteigert wird, stellt sich ein
positiver Lernerfolg in der Regel automatisch ein.
Was passiert mit unserem Körper, wenn wir bewegt lernen?
Buser: In der Bewegung in Verbindung mit dem Gleichge
wichtssinn werden verschiedene positive Hormone aus
geschüttet, der Stoffwechsel wird angeregt und der Sau
erstoffgehalt des Blutes wird angereichert. Zudem wird
Adrenalin durch die Bewegung abgebaut. Lernen ist ein
aktiver und kontinuierlicher Prozess für alle Schülerinnen
und Schüler, ob sie jetzt Mühe mit der Motorik bekunden
oder nicht. Die Art und Weise, wie wir in der Schule ler
nen, muss und soll auf Defizite der Einzelnen eingehen.
Aus neurobiologischer Sicht ist Lernen eine Stärkung der
Verbindungen im Gehirn, den so genannten Synapsen.
Der Mensch verfügt über viele Milliarden Nervenzellen
im Gehirn, die aber nur funktionstüchtig sind, wenn sie
miteinander verknüpft werden oder worden sind. Diese
Verbindungen zwischen den Nervenzellen werden kom
plexer, je mehr Reize durch die Sinnesorgane zum Gehirn
gelangen. Das Gehirn geht dabei nach dem einfachen
Prinzip «Use it or loose it» vor. Es baut überschüssige
Kontaktstellen, vor allem aufgrund fehlender Erfahrun
gen, ab. Nur die häufig benutzten Verbindungen bleiben
bestehen. Wenn wir also bis ins hohe Alter lernen und uns
bewegen, verhindern wir dabei ganz einfach den Abbau
von dem, was wir gelernt haben.
11 | Magazin 2018 | Interview mit Eduard BuserBatzliInterview mit Eduard BuserBatzli | Magazin 2018 | 10
– BEFRAGT – Was bringt dich in Bewegung?
Wenn ich putzeund dazu
laute Musik von
Mavis Staple ore,
geht es fast von a
lleine.
Renate, 53,
Co-Leiterin Haus Furt
tal
Ein Pferd. Ich gehe jeden Mittwochnachmittag rei en.Corina, 12
Melodien, Lyric
s
und Beats. S
ie lassen mich
die We für einen
kurzen Auge
nblick
ver essen. Laura,
28,
Leiterin SoF
a Wehntal
Mein Schulweg,die Mei irie e und der Schulsport.Jaira, 12
Springen auf dem Trampolin. Weil es einfach Spass macht. Natasa, 9
Wenn ich ressieren
muss, z.B. für in die Sc u e.
Nathalie, 10
Mit Ball und
Sc ager bin ich
immer voll bei der
Sache,
egal um welche
Spor ar es sich
handelt.Pascal, 29
,
Leiter Haus Rigiblick
Wie haben Sie diese Erkenntnis konkret in Ihr Schulzim-
mer gebracht?
Buser: Nebst sehr geführten und bestimmten Lerninhal
ten mit Frontalunterricht baute ich täglich Übungsse
quenzen ein. Immer nur wenige Minuten und für einzelne
Schülerinnen und Schüler. In definierten Sequenzen liefen
sie beispielsweise auf einem sechs Meter langen Balken.
Sie jonglierten dabei mit Tüchern und Bällen, während sie
gleichzeitig grammatische Verbformen in Deutsch und
Französisch übten und lernten. Auch zu zweit wurden Dia
loge oder nur Texte auf Rollen und Wippen gelesen und
gesprochen oder es wurde auf grossen Kabelrollen ste
hend mit der Mundharmonika musiziert. Die Bewegungs
zeit der einzelnen Gruppen wurde durch eine Eieruhr
bestimmt. Der Rest der Klasse arbeitete ruhig und konzen
triert an ihren Pulten. In der Bewegung wird massgeblich
der Gleichgewichtssinn trainiert und mit der Jonglage die
HandAugenKoordination. Das Stehen auf der Rolle dient
der VorwärtsRetourKorrektur. Die LinksRechtsKorrek
tur wird auf einer Rolle mit quergestelltem Brett geübt.
Auf dem Kreisel wird eine 360GradBewegung ausba
lanciert. Das Einradfahren fordert dann alle diese Sinne.
Alle diese Tätigkeiten, gekoppelt mit kognitiver Arbeit,
steigern die Mehrfachbelastung des Gehirns. Es wird mit
verschiedenen Sinnen gearbeitet und zusätzliche Gehir
nareale werden aktiviert.
Welche Botschaft sollen Schüler und Pädagogen von Ler-
nen in Bewegung mitnehmen?
Buser: Die Bewegung ist ein Grundrecht gerade für Schü
lerinnen und Schüler. Schon die alte lateinische Weisheit
«mens sana in corpore sana» zeigt, dass das Lernen und
Wissen um die grosse Bedeutung der Bewegung keines
wegs eine moderne Erfindung ist. Die Gehirnentwick
lung braucht Nervenwachstumsfaktoren, deren Bildung
durch Bewegung auffällig erhöht wird. Bewegung ist
ein bewährtes Mittel des Organismus, um seine tägliche
Gehirnentwicklung selbstständig anzuregen. Tanzen,
hüpfen, laufen, toben, klatschen, jonglieren, musizieren
sind keine Zeitverschwendung, sondern für alle von uns
Entwicklungschancen. Insbesondere schulisch schwä
chere Schülerinnen und Schüler können mit neuerworbe
nem Wissen durch Bewegung auftrumpfen und erleben
einen Motivationsschub. Auch gemeinsames Lernen und
Austauschen passiert dann schneller und selbstverständ
licher und macht schliesslich mehr Spass. Kinder sollen
und müssen sich bewegen, um die Welt zu erfahren und
zu erleben!
Eduard Buser-Batzli und das bewegte Lernen
Wie Eduard BuserBatzli in seinem Schulzimmer unter
richtete, wurde 2007 von einem Kamerateam doku
mentiert und steht als DVD zur Verfügung (www.
lerneninbewegung.ch). Daneben existieren heute
ganze Programme zur Gesundheits und Bewegungs
förderung für Schulen wie etwa die nationale Initiative
«schule bewegt» mit Modulen wie Lernen bewegt,
Pausenplatz bewegt, Musik bewegt, Gruppenspiele,
Erholungs und Bewegungspausen, Ernährung sowie
dazugehörige Anleitungskarten für die Umset
zung (www.schulebewegt.ch). Oder etwa das Buch
«Bewegte Schule» von Stephan Zopfi, Dozent an der
Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz in Luzern,
mit Lerntipps für die Schule aber auch für zu Hause (zu
bestellen im Lehrmittelverlag Luzern, www.lmvdmz.
lu.ch). Dabei ist es laut Zopfi nicht einmal so zentral,
ob man sich zuerst bewegt und dann lernt oder beides
zusammen tut, doch «wenn es Schülern Spass macht,
beides gleichzeitig zu tun, ist das natürlich ein nicht zu
unterschätzender Motivator». Probieren Sie bewegtes
Lernen doch selber einmal aus, indem Sie beispiels
weise auf einem Bein stehen oder beim Lesen herum
gehen. Denkaufgaben können zudem in verschiedenen
Positionen erledigt werden wie zum Beispiel auf einem
Sitzkeil sitzend oder an einem Stehpult stehend.
Interview mit Eduard BuserBatzli | Magazin 2018 | 12 13 | Magazin 2018 | Befragt
WERDEN SIE SUPPORTER!Der Betriebsaufwand der Stiftung DIHEI wird grösstenteils durch die öffentliche Hand getragen.
Doch immer wieder bleiben Wünsche offen – seien es die persönlichen eines Kindes oder solche der ganzen
Gemeinschaft. Werden Sie deshalb zum DIHEISupporter:
Spendenkonto: CH93 8147 4000 0085 8387 1
Zugunsten: Stiftung DIHEI
c/o Dr. Thomas Wipf
Seehofstrasse 4
8008 Zürich
Vermerk: Bitte geben Sie die gewünschte Spendenverwendung und die Zuordnung an.
1. WEIL SIE VIELSEITIG HELFEN KÖNNEN
Unterstützen Sie uns mit Sachspenden, Ihren beruflichen Fähigkeiten oder einer Geldspende. Das kann beispielsweise
ein Fahrrad oder ein Spielgerät für den Garten sein, ein Ausflug für eine ganze Gruppe, Ihre Hilfe bei Renovationen –
oder eine projektunabhängige Spende.
PORTRÄT Die Stiftung DIHEI
Wir sind ein Verbund von individuellen Familien und bieten
gesellschaftlich benachteiligten Kindern und Jugendlichen
einen sicheren Ort der Geborgenheit und Verbindlichkeit
und unterstützen sie in ihrer Entwicklung. Das Angebot der
Stiftung DIHEI besteht aus mehreren grösseren und kleine
ren sozialpädagogischen Familieneinheiten (Häuser: 8–10
Plätze, SOFA: 4–5 Plätze).
Wir setzen uns mit Leidenschaft dafür ein, dass junge Men
schen in einem gesunden Umfeld auf der Basis von christ
lichhumanistischen Werten aufwachsen können. Damit mei
nen wir bewährte christliche, aber auch von der Aufklärung
postulierte freiheitliche Werte als Stützen in einer sich wan
delnden Gesellschaft.
Wir fühlen uns den Standards der ausserfamiliären Betreuung
verpflichtet in Übereinstimmung mit Quality4Children.
www.quality4children.ch
STIFTUNG DIHEI in aktuellen Zahlen
Von 31 Kindern in der Stiftung können... und
laufen
schwimmen
29Fahrrad fahren
27
25müsste man gehen, wenn man alle Personen der Stiftung aneinanderlegt 35 km
26Stunden dauert es, um nacheinander zu Fuss jedesStiftungshaus zu besuchen
Autoräder bewegen sich offiziell für die Stiftung
36
81,41m
49‘420kmlegten sie dabei im Jahr 2017 zurück
Und währenddem Sie das gelesen haben, hat sich der Boden unter Ihren Füssen gerade etwa um
um die Erdachse gedreht
besuchen einen Sportverein
6
3. WEIL WIR ANERKANNTE
ARBEIT LEISTEN
Das gemeinnützige Engagement
der Stiftung DIHEI ist professionell
und staatlich anerkannt.
Deshalb können Sie Spenden an uns
auch von den Steuern abziehen.
2. WEIL SIE AUF IHRE INVESTITION EINEN
BESONDEREN ZINS ERHALTEN
Was gibt es Schöneres, als Kindern und
Jugendlichen eine Freude zu bereiten?
Da bleibt eben auch auf der Geberseite
ein besonderer Mehrwert zurück.
Porträt | Magazin 2018 | 14 15 | Magazin 2018 | Porträt
Das Jahr 2017 bewegte uns. Es stand zum einen für
Abbruch einer alten Heimat und zum anderen für Aufbruch
und Umbruch in eine neue. Wir als Hausleiter brachen auf
in eine neue Funktion und Rolle. Bewegung in Richtung
Neuland. Kilometerzahl unbegrenzt. Schritt für Schritt
in ein unbetretenes und unbekanntes Land, spannend
und herausfordernd zugleich. Die Entdeckung Amerikas
sozusagen. Einfach in Dielsdorf ZH.
Für die Kinder bedeutete es den Abbruch eines Lebens mit
vertrauten Beziehungen, Gerüchen und Räumen. Umzug
ins Neuland mit neuen Menschen, einer fremden Umgebung
und einem komplett neuen Alltag. Beziehungen, Räume,
Strukturen, Regeln – fast wie wieder neu laufen zu lernen.
Ja, das Jahr 2017 bewegte uns. Mit Mut, Freude, Neugierde,
Zweifel, Ängsten, Ungewissheiten, Auseinandersetzungen
und Vorwärtsbewegungen, manchmal auch mit Rück
schritten und Pausen. Aber immer mit der Bereitschaft,
den Horizont des Neulandes zu erreichen.
von Mirjam Abry
Haus RigiblickLANG, SPERRIG, HART – UND SPASS!
von Laura Oliverio
SOFA WehntalNEULAND AM HORIZONT
Dürfen wir uns kurz vorstellen? Wir sind lang, weiss, sper
rig und hart. Wir sind eigentlich ja bescheiden, doch dür
fen wir uns aktuell getrost als die Bewegungsmotivatoren
schlechthin im Haus Rigiblick bezeichnen. Wir, das sind
sechs lange gerade und vier kurvige Banden, die zusam
men aufgestellt ein Spielfeld ergeben.
Die sieben Kinder und Jugendlichen aus dem Haus Rigi
blick holten uns eines kalten Tages aus einem dunklen,
verstaubten Loch hervor und stellten uns bei Minustem
peraturen auf die Wiese. Nichtsahnend, was mit uns pas
sieren würde, machten wir mit und liessen uns zu einem
Spielfeld aufstellen. Was dann passierte, war einzigartig.
Das ganze Spielfeld wurde mit einem grossen Plastik
überdeckt und anschliessend über mehrere Tage immer
wieder mit Wasser übergossen. Bis eines Abends sechs
Kinder und vier Erwachsene in Wintermontur und mit Eis
hockeyschläger und Puck bewaffnet das entstandene Eis
feld betraten. Bei genialer Stimmung, Scheinwerferlicht
und Musik wurde der erste Match angepfiffen. Wir freuten
uns am herzhaften Lachen und natürlich – wir geben es
ja zu! – amüsierten wir uns über die vielen akrobatischen
Stürze auf dem glatten Eis, bevor es zum heissen Punsch
überging.
Ein paar Tage später musste das Eisfeld wegen zu warmer
Temperaturen leider schon wieder geräumt werden. Zu
unserem Erstaunen wurden wir aber noch nicht wieder
verstaut, sondern auf den Parkplatz verschoben. Dort
ging es weiter mit viel Action, Lachen, Schwitzen und ab
und zu auch mal mit Ausrufen. Wir durften mithelfen, dass
das Geburtstagsfest von Aaron zu einem richtig coolen
UnihockeyEvent wurde. Und auch wenn sich der Pöstler
und andere Autofahrer darüber beschweren, dass wir so
viel Platz in Anspruch nehmen, lieben wir es halt einfach,
herumtobende Kinder zu beobachten, die sich auf unse
rem Spielfeld vergnügt hin und herbewegen.
Bericht Haus Rigiblick | Magazin 2018 | 16 17 | Magazin 2018 | Bericht SoFa Wehntal
Name: Angi SchmidtAlter: 32Hobby: TanzenBeruf: Psychologin
Weshalb Tanzen?
Es ist die Ausdruckform, mit der ich als eher introvertierte
Person mein Innerstes am verständlichsten nach aussen
tragen kann. Es hat einen hohen therapeutischen Wert
für mich.
Wie kamst du zum Tanzen?
Meine Mama konnte mich als schüchterne 7Jährige zu
einem Schnuppertraining überreden. Ich ging nur wider
willig und ihr zu Liebe hin. Danach gab’s jedoch kein Hal
ten mehr.
Was ist deine Spezialität?
Dank meiner Hypermobilität (überdurchschnittliche
Beweglichkeit) konnte ich mich früher in jede Richtung
biegen und dehnen, wie ich wollte. Mit meinen 32 Jähr
chen ist bereits nicht mehr alles so beweglich, doch das
«Bögli» zum Beispiel klappt immer noch einwandfrei.
Was kannst du nicht so gut?
Das ist die Kehrseite der Hypermobilität: Es fällt mir
schwer, im Alltag eine gesunde Haltung beizubehalten. In
meiner Kindheit wurde ich oft als «Nussgipfel» betitelt,
weil ich beim Stehen und Sitzen automatisch einen krum
men Rücken machte.
Was bedeutet Bewegung für dich?
Lebendigkeit, Energie, Abschalten, Auftanken, Kreativität
ausleben.
Was würdest du gerne einmal anstellen?
Ich wollte immer schon mal die Kombination FlickFlack
und Rückwärtssalto hinkriegen. Dafür bin ich aber
irgendwie schon zu eingerostet. Dann nehme ich mei
nen Körper halt mit auf eine Reise mit der Transsibiri
schen Eisenbahn. Asien bereisen ist nämlich ein Punkt
auf meiner «Bucket List» (Liste von Dingen, die man im
Leben gemacht haben will).
– BEFRAGT – Wie oder womit bewegst du dich am liebsten?
Vor Kurzem habe ich gelernt
Fa rrad zu fahren. Seither tu ich
das am iebs en. Aleksandar, 5
Ich addle am liebsten auf dem Surfbre inmitten
von meterhohen, energie- geladenen We en.Michi, 29, Sozialpadagoge i. A.
Im Winter bin ich am liebsten mit den Skiern und
dem
Snowboard unterwegs.Jael, 20,
Fachperson Betreuung
Wenn ich
mit Bimbelis (Faden, Federn, Stofffetzen) herumrenne. Die bewegen
sich so schon im Wind. Ilai, 9
Ich mag das Kle ern, weil ich darin u bin.
James, 7
Mit meinen blauen
Turnsc u en. Mit ihnen fühle
ich
mich leicht und
bewe ic . Neo, 9
Mit meinem
Tennissca er,
denn er gehort
zu meinem
neuen, liebgew
onnenen
Hobby dazu.
Sasa,
Leiter SoFa W
ehntal
Kurzporträt Angi Schmidt | Magazin 2018 | 18 19 | Magazin 2018 | Befragt
von Thomas Biaggi
Haus Furttal LERNEN, HERAUS- FORDERN, BEWEGEN
Grosse Veränderungen bringen immer auch grosse
Herausforderungen und Möglichkeiten mit sich. Eines
unserer Mädchen konnte das am eigenen Leib erfahren,
als sich unser Haus im letzten Jahr innert kürzester Zeit
mit Kindern zu füllen begann. Einerseits konnte sie
abschauen, nachahmen und Teil einer grossen Gruppe
sein. Andererseits war gerade das eine Herausforderung,
da sie Mühe hatte, sich in der Gruppe zu behaupten und
zu artikulieren.
So sehr sie sich auch bemühte, eine gleichberechtigte
Partnerin unter den Kindern zu sein, stiess sie immer
wieder an kommunikative und soziale Grenzen.
Verständlicherweise war sie frustriert, wenn sie wieder
einmal vom Mitmachen ausgeschlossen war. Gleichzeitig
bemerkte sie, dass sie mit den anderen motorisch
durchaus mithalten kann und entschloss sich kurzerhand,
Fahrradfahren zu lernen.
Also lieh sie sich ein Fahrrad, stieg mit viel Entschlossenheit
und Motivation auf – und fiel erst einmal um. Nachdem
sie zum dritten Mal umgefallen war, erkannte sie, dass sie
etwas an ihrer Lernstrategie ändern musste. So kam sie auf
mich zu und fragte nach Unterstützung. Innert kürzester
Zeit konnte sie mit Hilfe treten, bremsen, lenken und auf
und absteigen.
Der letzte Schritt zum selbstständigen Fahren war dann
nochmals eine grössere Hürde. Entweder konzentrierte
sie sich so sehr darauf zu treten und zu balancieren, dass
sie nicht mehr vorausschaute und im Gebüsch landete.
Oder sie schaute zwar voraus, vergass jedoch im richtigen
Tempo zu treten und fiel um.
Trotz vielen Stürzen und Kratzern gab sie nicht auf und
konnte nach mehreren Tagen intensiven Übens locker
mit den älteren Kindern mithalten. Was für ein Riesen
Erfolgserlebnis! Und welche Motivation zugleich, das
nächste Lernfeld in Angriff zu nehmen.
von Adrian Ziörjen
Haus BodenseeDEN KRATZERN UND STÜRZEN ZUM TROTZ
Ich liebe es, Neues zu entdecken und die Zeit mit unter
schiedlichsten Menschen zu verbringen. Ich übe mich
darin, meinen Gefühlzustand nicht von der momentanen
Tätigkeit, den Menschen und dem Ort um mich herum
abhängig zu machen. Ich möchte immer einen Wert in
einer Situation entdecken. Diese Einstellung, das Schöne
zu sehen und es hochzuhalten, begleitet mich schon mein
ganzes Leben.
Meine beruflichen Tätigkeiten wechselten vom Handwerk
lichen über die Begleitung von Straftätern und Trauerfami
lien zum praktischen Missionar bis hin zur jetzigen Tätig
keit, der Förderung von Kindern. Dabei bewegten mich die
Geschichten der Menschen stets mehr als die technischen
Aufgaben. Durch die vielen Veränderungen begleiteten
mich Menschen, an denen ich mich orientieren konnte.
Im Austausch mit meinem Umfeld erstellte ich mein
unvollständiges «Gemälde des Lebens» und versuchte,
die neuen Puzzleteile ins bestehende Bild einzufügen. Ich
lernte, die Verantwortung für meine Entwicklung selber zu
übernehmen. Es wuchs die Überzeugung, dass Wissen zu
einer verantwortungsvollen Selbstbestimmung führt. Und
selbst wenn lieb gewonnene Menschen Entscheidungen
treffen, die nicht meiner Denkweise entsprechen, versu
che ich, mich in sie hineinzuversetzen und sie herauszu
fordern. So werde ich und werden sie aufgefordert, sich zu
bewegen und sich weiterzuentwickeln.
Und wie sieht Ihr Lebenspuzzle aus?
21 | Magazin 2018 | Bericht Haus FurttalBericht Haus Bodensee | Magazin 2018 | 20
Name: Ron StutzAlter: 24Hobby: FreerunningBeruf: Qualitätsfachmann
Du bist gerade verletzt. Was ist passiert?
Ich habe mir die Kniescheibe bei einem Salto gebrochen. Ich
sprang auf eine defekte Matte, die einen grossen Riss hatte,
und landete direkt auf der Betonkante.
Ist Freerunning gefährlich?
Freerunning an sich ist nicht gefährlich. Der Athlet selbst ist
die Gefahr. Man braucht Geduld und eine gute Selbstein
schätzung. Zudem sollte immer auch die Umgebung kont
rolliert werden. Bieten die Wände genügend Haft? Halten die
Geländer? Oder ist der Boden nass und rutschig?
Weshalb Freerunning?
Freerunning ist der einzige Sport, bei dem mir nicht lang
weilig wird. Ich entdecke immer wieder neue Moves (Bewe
gungen) und erweitere so meine Grenzen. Das Glücksgefühl
nach einem schwierigen Flip, den ich lange geübt habe, ist
überwältigend und motiviert mich weiterzumachen.
Wie kamst du zum Freerunning?
Eigentlich durch Zufall. Im Internet stiess ich auf ein Freerun
Video und war sofort fasziniert davon. Ich wollte es gerade
selbst ausprobieren.
Was ist deine Spezialität?
Double Corks (Doppelschrauben) und Kong Gainers (Abstos
sen von einem Hindernis mit angehängtem Rückwärtssalto).
Aber ich habe auch grosse Freude an Präzisionssprüngen,
denn ich strebe das Perfektionieren der Landung an. Das
bringt mich zu immer weiteren und schwierigeren Jumps.
Was kannst du nicht so gut?
Strikte Regeln einhalten, wie zum Beispiel im Kunstturnen.
Ich muss meinen eigenen Style umsetzen können. Sich nach
Idealen zu bewegen, passt mir nicht.
Was bedeutet Bewegung für dich?
Bewegung ist wie ein Ventil, bei dem ich Stress ablassen und
Sorgen loswerden kann.
Victoria (9)
«Ich bin ja sonst eher die Fussballerin.
Heute habe ich aber Freerunning
kennengelernt, also wie man am besten
und möglichst sicher über Hindernisse
kommt. Ansonsten halten mich übrigens
die Hunde Jester und Pfüdi fit.»
23 | Magazin 2018 | Kurzporträt VictoriaKurzporträt Ron Stutz | Magazin 2018 | 22
mit Nicolas Hausammann sprach Jonathan Schmidt
«EIN BISSCHEN WIE FAHRRAD FAHREN»
Vielleicht wäre Nicolas Hausammann Fussballgoalie geworden. Ein Bubentraum war es auf jeden Fall. Den Willen dazu brachte er ebenfalls mit. Mit zwölf Jahren erlebte er durch eine Rückenverletzung jedoch, wie es ist, wenn man sich plötzlich nicht mehr bewegen kann. Ein erfolgrei-cher Profisportler wurde er dennoch – im Rollstuhl, den er auch heute noch ganz pragmatisch betrachtet wie andere ihr Fahrrad.
Wenn ich mir all deine sportlichen Tätigkeiten und Erfolge
anschaue, habe ich das Gefühl, dass du ein Bewegungsfa-
natiker bist. Täuscht der Eindruck?
Ja, der täuscht tatsächlich. Ich kann auch sehr gut ruhen
und über Mittag mal einen Powernap machen oder an
einem Sommerabend mit Freunden «plegeren» (Schwei
zerdeutscher Ausdruck für entspannen, faulenzen). Fana
tisch bin ich weniger. Ich habe meine Trainingszeiten, in
denen gebe ich Vollgas und bin auch gerne kompetitiv.
Aber Ruhezeiten mag ich ebenso. Ich muss nicht in jeder
Sekunde was tun.
Was bedeutet denn Bewegung für dich?
Wenn du so fragst: Bewegung bedeutet für mich alles! Frei
heit, Abschalten, Glück. Bewegung hat in der Tat eine sehr
grosse Bedeutung.
Wie bewegst du dich am liebsten?
Im «Basketstuhl». Dort sitzen und alleine in einer Halle Würfe
machen... da denkt man nichts, da gibt es keine Probleme,
du kommst in einen FlowZustand. Ich mag insbesondere das
Wurftraining, weil ein Wurf so komplex ist. Man muss sich
konzentrieren, darf aber nicht verkrampft irgendetwas pro
bieren. Man muss sich voll darauf einlassen und es einfach
fliessen lassen können.
Als 12-Jähriger erlittest du eine Rückenmarkverletzung.
Was war passiert?
Ich hatte einen Abszess im Rückenmuskel. Der hat nach innen
auf den Wirbelkanal gedrückt und Teile des Rückenmarks
gequetscht. Wir waren in der Türkei in den Ferien und ich
hatte etwa eine Woche lang Schmerzen im Rücken. In einer
Nacht wollte ich aufstehen, um mir die Hände kalt abzuwa
schen, weil sie eingeschlafen waren. Da sackte ich zusammen.
Ich wurde schliesslich mit dem RegaFlugzeug in die Schweiz
geflogen und hier zunächst am Rücken und dann auch noch
am Hals operiert. Erst nach drei Tagen konnte ich meine
Finger wieder leicht bewegen, zuvor war nicht einmal das
mehr möglich. Ich konnte nur den Kopf bewegen und musste
beatmet werden.
«Wir waren in der Türkei in den Ferien und ich hatte
etwa eine Woche lang Schmerzen im Rücken.
In einer Nacht wollte ich aufstehen, um mir die Hände kalt abzuwaschen, weil sie
eingeschlafen waren. Da sackte ich zusammen.»
Wie erlebtest du das damals als Junge, als deine Bewe-
gungsfreiheit plötzlich weg war?
Das waren schon ein paar schlimme und einsame Nächte
dort auf der Intensivstation, als ich alleine dalag, nicht rich
tig atmen konnte und immer ein wenig warten musste, bis
wieder jemand kam. Gleichzeitig ist aber auch alles ein wenig
verschwommen. Mein Blick ging recht schnell wieder nach
vorne, weil ich wieder anfangen wollte, gewisse Dinge zu
trainieren. Vielleicht liegt das auch ganz grundsätzlich in der
Natur von Kindern. Aber ich war es mir gewohnt, auf das
nächste Ziel hinzuarbeiten, auch mal eine Niederlage ein
stecken zu können, an sich zu arbeiten. Schon relativ früh
kannte ich das vom vielen Sporttreiben.
Wie verlief der Genesungsprozess?
Ich musste in der Reha zunächst wegen der Operation etwa
eineinhalb Monate liegen, was mir recht lange vorkam. Da
wurde ich gegen Ende schon ziemlich ungeduldig. Plötzlich
ging es dann aber schnell vorwärts und ich konnte endlich
Aufbautraining machen.
Und da kam das Rollstuhlbasketball dazu?
Ja, aber natürlich noch nicht so wie heute. Ich konnte wäh
rend der Reha gerade mal den Ball fangen und dribbeln.
Hoch zum Korb kam ich nie. Aber ich machte mit den
anderen mit. Damals schwappte gerade eine Basketball
welle zu uns hinüber. Olympia 92 fand in Barcelona statt
und zum ersten Mal überhaupt war das so genannte «Dre
amteam» aus den USA mit Spielern wie Michael Jordan und
Magic Johnson dabei. Adidas organisierte überall in Europa
StreetballTurniere, um Basketball zu promoten. Plötzlich
war Basketball im Trend. Es hätte also gut sein können,
dass ich auch ohne meine Verletzung mit dem Tennis oder
als Fussballgoalie aufgehört und mit Basketball begonnen
hätte.
Hast du als Junge gedacht, dass du einmal Profisportler
werden würdest?
Natürlich war das so ein Bubentraum, wie ihn viele andere
auch hatten. Als Goalie im Fussball hatte ich die Grösse und
vielleicht auch das Talent. Aber Fussball ist natürlich ganz
was anderes als Rollstuhlbasketball. Da bist du nicht einer
von 400, sondern eher einer von 400'000, der sich irgend
wie durchsetzen muss. Ich kann also nicht sagen, dass ich
es nicht versucht hätte, genauso wenig wie ich sagen kann,
dass es geklappt hätte. Es war einfach ein Bubentraum.
Wie wurde daraus schliesslich Leistungssport?
Ich hatte einfach wahnsinnig Freude am Basketball. Das ist
für mich die Grundvoraussetzung im Leistungssport. Immer
wenn mich Leute fragen, wie ich meine Jungs im Training
motiviere, dann sage ich: Die müssen schon motiviert kom
men! Es gehört soviel dazu, um Leistungssport betreiben zu
können. Fragst du beispielsweise, ob jemand Olympiasieger
werden möchte, dann sagen vielleicht 8 von 10 ja, weil das
noch eine schöne Sache wäre. Wenn du dann aber den Trai
ningsplan aufzeigst, den es braucht, um dorthin zu kommen,
winken wahrscheinlich allesamt wieder ab. Wenn du etwas
nicht vollkommen liebst, dann kannst du dich auch nicht
durch die Anstrengungen hindurchkämpfen, die dafür nötig
sind, um dein Traumziel zu erreichen.
Du bist nicht nur privat, sondern auch sportlich mit einem
Rollstuhl unterwegs. Welche Bedeutung hat er für dich?
Früher wollte ich noch möglichst viel an Krücken gehen, um
die Zirkulation zu unterstützen. Damals betrachtete ich den
Rollstuhl einfach als mein Velo, das ich unten an der Haus
türe mitnehmen konnte. Durch das viele Gehen bekam ich
jedoch Rückenprobleme, weil ich das ganze Gewicht doch
nicht ganz stemmen konnte. Hinzu kommt, dass schon alleine
25 | Magazin 2018 | Interview mit Nicolas HausammannInterview mit Nicolas Hausammann | Magazin 2018 | 24
das Aufstehen Abnützungen wie beispielsweise Osteoporose
(Abnahme der Knochenstabilität, Anm. d. Redaktion) vor
beugen kann. Deshalb bin ich heute praktisch ausschliesslich
mit dem Rollstuhl unterwegs. Ich war eigentlich immer froh
um den Stuhl, weil er mir einen grösseren Bewegungsradius
ermöglichte. Er gab mir Freiheit und Mobilität. Und gerade
heute mit meinen Kids ist der Stuhl eine grosse Erleichterung,
vielmehr als es Krücken wären. Ich kann meine Kids auf den
Knien haben, habe meine Hände frei, bin viel flexibler.
Nimmst du den Stuhl überhaupt noch wahr?
Schwierige Frage. Darüber mache ich mir eigentlich gar
keine Gedanken. Klar nehme ich ihn noch wahr, ich muss
ihn ja schliesslich immer mal wieder tragen. Insofern ist er
heute immer noch wie ein Fahrrad. Einfach, dass ich halt
besser Fahrrad fahren kann als laufen. Im Moment dreht
übrigens gerade das rechte Vorderrad nicht so gut. In sol
chen Situationen ist mir natürlich mehr als sonst bewusst,
dass ich auf einem Gefährt sitze. Bis morgen Abend, wenn
ich meine Werkzeugkiste herausnehmen und das Kugella
ger ersetzen kann. Aber ansonsten denke ich nicht viel an
den Rollstuhl. Er gehört automatisch dazu, ich setz mich
drauf und los geht’s.
Worin liegt die Faszination am Rollstuhlbasketball?
Ich liebe das Multidimensionale. Du musst eine gute Taktik
haben und ein gutes Teamgefüge. Dann spielen zusätz
lich aber noch die ganz persönlichen Fähigkeiten jedes
Einzelnen eine Rolle. Man muss sich und die Fähigkeiten
der anderen Mitspieler gut kennen, um zu wissen, wie
und wohin man spielen kann. Und dann kommt noch der
Gegner dazu. Es ist ein wunderschönes Gefühl, auf einen
Gegenspieler zuzufahren und dann einen Pass zu spielen,
den er nicht erwartet hat. Für mich hat es einfach unauf
hörlich Neues dabei in jedem Training, jedem Match.
Was waren besondere Highlights aus deiner Zeit als Profi?
Sowohl in Deutschland als auch in Italien gab es sport
lich ganz besondere Momente. In Deutschland waren wir
zum Beispiel im Champions Cupfinal. Das ist schon was
ganz Spezielles, wenn du dann in einem solchen Spiel mit
den Besten der Besten auf dem Feld bist. In Italien haben
wir eher als Überraschungsteam fungiert. Wir gewannen
einmal 10 Spiele in Serie und waren plötzlich die Num
mer eins in der Liga und sorgten damit für ordentlich
Gesprächsstoff. Nebst den sportlichen Erfolgen bleiben
bis heute Freundschaften aus dieser Zeit. Ich habe einen
amerikanischen Freund, mit dem ich damals in Deutsch
land spielte, und er kommt jeweils zu Besuch und leitet mit
mir ein Weihnachtscamp. Oder dann hatten wir als Profis
immer mal wieder freie Tage, an denen wir uns erholen
durften. So konnte ich mit meiner damaligen Freundin,
die heute meine Frau ist, mal einen Roadtrip nach Rom
machen. Das sind schon unvergessliche Momente.
Du bist immer noch aktiver Sportler und gibst daneben
Seminare. Was ist dein Credo?
Zum einen sicher dies: Wenn man vorwärtsschaut, kann
man Dinge erreichen, die man nie für möglich gehalten
hätte. Und dann ist mir gerade in Bezug auf die Förde
rung des Rollstuhlsports wichtig, dass man nicht einfach
alles in denselben Topf schmeisst und mit Behinderten
sport überschreibt. Wie es im Radsport ja auch Moun
tainbike, BMX oder Strassenradsport gibt, so existieren
unglaublich viele verschiedene Sportarten im Behinder
tensport, die ihre Besonderheiten haben. Dafür versuche
ich zu sensibilisieren.
Wie sieht eine typische Woche von dir aus?
Ich habe vier bis sechsmal Training in der Woche. Sicher
einmal in der Woche bin ich über Mittag in der Halle für ein
Wurf oder Athletiktraining. Vor grösseren Turnieren, wie
zum Beispiel der EM, gehe ich einmal pro Woche zusätz
lich aufs Rad oder mache Intervalltrainings. Dann haben wir
Nachwuchstraining und Abendtraining mit dem Team. Wäh
rend des Sommers kommen noch die Wochenendtrainings
mit der Nationalmannschaft dazu. Dann können es gelegent
lich auch mal acht Trainings pro Woche sein.
Wie geht das mit Familie?
Da ich viele Trainings auch tagsüber machen kann, bin ich
eigentlich nur an zwei Abenden pro Woche weg. Grund
sätzlich geht das gut mit der Familie. Natürlich merkt man
manchmal auch, wie dünn das Eis ist mit so viel verschiede
nen Engagements, wenn beispielsweise die Kinder mal krank
sind. Es muss schon vieles zusammenspielen, gerade weil
der Sport nicht einfach nur Hobby ist und man nicht einfach
ohne weiteres ein Training absagen kann.
Wann und wie erholst du dich? Woher holst du Energie?
Das Engagement selber gibt mir Energie. Insbesondere auch
für die Familie zu Hause. Wenn man noch Energie aufwenden
müsste, um in die Halle zu gehen, dürfte man es auf keinen
Fall machen. Für mich sind der Sport selber und die Familie
zwei Energiequellen.
Hast du für dich persönlich Träume oder Ziele?
Es ist immer noch ein Traum von mir, dass wir uns mit der
Nationalmannschaft für eine WM oder die Paralympics qua
lifizieren. Das wäre für so ein kleines Land sensationell. Wir
sind eigentlich immer wieder nahe dran, aber es braucht ein
fach noch einen Schritt, damit wir es dann wirklich schaffen.
Mit ganz wenig könnte sich plötzlich ganz viel ändern – ein
neuer zusätzlicher Spieler etwa. Man weiss es nie.
Wir wünschen dir und deinen Teams viel Erfolg und danke
dir herzlich für das Interview!
Zur PersonNicolas Hausammann ist mehrfacher Schweizer Meis
ter mit den Pilatus Dragons und als Spielertrainer der
Schweizer Nationalmannschaft tätig. Er spielte als Profi
zwei Jahre in Deutschland und Italien und wurde 2008
mit dem RSV LahnDill Deutscher Meister. Nebst sei
ner Tätigkeit als Sportler ist er Sportvermarkter für die
Schweizerische Paraplegikervereinigung. Er ist verhei
ratet und Vater von 3 Kindern im Alter von 8 Monaten,
3 und 5 Jahren.
RollstuhlbasketballDas Spiel verläuft nach ähnlichen Regeln wie das «Fuss
gängerbasketball», wie es die Rollstuhlspieler nennen.
Es ist nur begrenzt erlaubt, mit dem Ball in der Hand zu
fahren. «Zweimal das Rollstuhlrad anstossen, dann muss
gedribbelt werden.» Auch das Spielfeld und die Höhe
der Körbe entsprechen dem Fussgängerbasketball. Der
Wurf aus der sitzenden Position erfolgt dementspre
chend über eine längere Distanz und ist schwieriger.
Vor allem aber können beim Werfen aus dem Rollstuhl
die Beine nicht mithelfen. Umso wichtiger sind kräftige
Arme und ein kräftiger Rumpf für die Stabilität.
Je nach Behinderung sind RollstuhlBasketballer in ihrer
Beweglichkeit unterschiedlich eingeschränkt, was in
der «Handicap Punktierung» ausgedrückt wird. Die fünf
Spieler dürfen insgesamt maximal 14 Punkte aufwei
sen, wobei die Einstufung jeweils vor einem Match von
Physiotherapeuten vorgenommen wird (siehe auch:
Interview mit Aaron Schmidt, Physiotherapeut bei der
RollstuhlbasketballNationalmannschaft). Nicolas Hau
sammann ist mit 2,5 Punkten eingestuft. Als «unvoll
ständiger Tetraplegiker» hat er zwar im ganzen Körper
Gespür, aber wenig Kraft in den unteren Extremitäten.
«Der Rollstuhl ist für mich wie ein Fahrrad. Einfach, dass ich
halt besser Fahrrad fahren kann als laufen.»
Interview mit Nicolas Hausammann | Magazin 2018 | 26 27 | Magazin 2018 | Interview mit Nicolas Hausammann
mit Aaron Schmidt sprach Jonathan Schmidt
«SICH BEWEGEN HEISST ALS MENSCH VORWÄRTSKOMMEN»
In seiner Physiotherapiepraxis im Herzen von Bern behandelt Aaron Schmidt alle – vom Hobbyfischer bis zum Spitzeneishockeyaner. Daneben betreut er als Physiotherapeut die Schweizer Nationalmannschaft der Rollstuhl-basketballer. Der Bewegungsprofi spricht dar-über, wie sich Herr und Frau Schweizer besser bewegen könnten.
Wo, wie oder womit bewegst du dich am liebsten?
Mit einem Ball. Wie man den Esel mit der Karotte ködert,
kann man mich mit einem Ball ködern. Vorzugsweise mit
einem Volley oder Basketball. Aber auch andere Bälle
oder Spielgeräte sind sehr willkommen.
Was bedeutet dir Bewegung persönlich?
Wenn ich mich bewegen kann, lebe ich. Für mich ist
Bewegung das Hauptlebensgefühl schlechthin. Ich glaube
generell, dass es dem Körper – und dem Geist – am besten
geht, wenn er sich bewegen kann. Sich bewegen heisst
vorwärts zu kommen, nicht nur physisch oder räumlich
gesehen, sondern als Mensch überhaupt.
Bei deiner Arbeit siehst du tagtäglich, welche körper-
lichen Beschwerden Herr und Frau Schweizer haben. Wo
drückt denn der Schuh am meisten?
Das Häufigste, was wohl jede Physiopraxis antrifft, sind
Kunden mit Nacken und Rückenproblemen. Das belegen
auch alle Statistiken. Sie zeigen, dass die Zahlen in den
letzten zehn Jahren trotz Präventionskampagnen wei
ter steigen. Grund dafür ist, dass sich die Leute zu wenig
bewegen. Unser Alltag hat sich so sehr vereinfacht, dass
wir uns nicht bewegen müssen, wenn wir nicht wollen. Ein
Beispiel: Du kannst heute einkaufen gehen und auf dem
Weg dorthin musst du 5 Meter zum Auto laufen und dann
im Laden nochmals 200 Meter. Das war’s. Früher kamst
du mit diesem Aufwand nicht einmal aus deinem Quar
tier raus. Hinzu kommt unser Arbeitsalltag. Wir haben so
wenig Zeit, dass wir über Mittag zum nächsten Restau
rant laufen und uns vielleicht eine halbe Stunde Zeit neh
men, um zu essen. Und dann geht’s wieder zurück an den
Arbeitsplatz, wo man meistens statisch in derselben Posi
tion zubringt. Es gibt praktisch keine Gelegenheit für den
Körper, in eine andere Position zu kommen und den Kreis
lauf in Schwung zu bringen. Der Trend geht dahin, dass
sich die körperlichen Beschwerden nicht erst im Alter zei
gen, sondern schon relativ früh, manchmal auch schon im
Schulalter. Generell gesagt: Durch die fehlenden Belas
tungsspitzen im Alltag verliert der Körper Muskulatur.
Daraus resultieren Probleme mit dem Achsenskelett,
also Rücken und Nacken. Bei den Kindern heisst die
Problematik übrigens in erster Linie Übergewicht als
Folge von Bewegungsmangel. Wer sich genügend
bewegt, verbrennt genug Energie und isst im End
effekt meist sogar weniger als jemand, der sich nicht
bewegt. Denn bei Menschen, die sich wenig bewe
gen, wird Essen sogar oft zur Kompensationshandlung
für fehlende Bewegung. Da beginnt ein Teufelskreis...
Du hilfst Menschen, ihren Bewegungsapparat gemäss
ihren Möglichkeiten wieder optimal einsetzen zu kön-
nen. Wie sieht das aus?
Zuerst finde ich heraus, wo die Ursache für ein Prob
lem liegt. Ist es ein schwacher Muskel? Ein überreiz
tes Gelenk? Dann setze ich bei dieser Massnahme an,
durch die am schnellsten Schmerzen gelindert wer
den können. Danach kann dann möglichst schmerz
frei mittels Übungen die Belastbarkeit des Gewebes
erhöht werden. Wenn also zum Beispiel jemand ein
überreiztes Rückengelenk hat, dann sind die Ursachen
vielleicht eine verkürzte Muskulatur und schwache
Stabilisatoren. In einem solchen Fall behandle ich aber
zuerst den verspannten Muskel, der die Schmerzen
verursacht und erreiche dadurch eine Schmerzlinde
rung. Das erlaubt mir dann, die schwache Muskulatur
aufzutrainieren. Am Schluss ist das Gelenk nicht mehr
gereizt, weil der Muskel genug stark für die Alltags
belastung ist. Das ist nur eines von Hunderten von
verschiedenen Beispielen. Ich finde, man sollte sich
nicht zu sehr auf einzelne Techniken als Wundermit
tel versteifen. Vielmehr geht es darum, dass man sich
nicht nur mit der ersten Phase der Schmerzreduktion
befasst und einzig Symptome bekämpft. Für mich
gehört immer dazu, dass in einer weiteren Phase das
Gewebe wieder belastbarer wird für Kraft und Bewe
gung. Das kann nur über Aktivität erreicht werden.
«chraftruum»
Mit seinen beiden Geschäftspartnern Annemarie Gros
senbacher und Tobias Schranz führt Aaron Schmidt
im Herzen von Bern den «chraftruum». Die drei Phy
siotherapeuten mit zahlreichen Zusatzausbildungen
bieten ein breites Angebot von Bewegungsprävention
über Rehabilitation bis hin zu Training und Coaching
für Athleten. Ihr Hauptziel ist es, die Kunden – vom
Hobby fischer bis zum Spitzensportler – so zu unter
stützen, dass sie sämtliche Alltagsaktivitäten ohne
Einschränkungen ausüben können.
www.chraftruum.ch
Bewegungstipp
vom Profi:
Die WHO empfiehlt 2½ Stunden Bewegung in Form von All-
tagsaktivitäten oder Sport mit mindestens mittlerer Intensität oder
1¼ Stunden mit hoher Intensität, idealerweise auf mehrere Tage über
die Woche verteilt. Das könnte zum Beispiel heissen, dass man sich unter
der Woche 30 Minuten täglich bewegt. Zusätzlich empfehlen Bewegungs-
experten jedoch zweimal pro Woche Krafttraining oder dreimal pro
Woche ein kardiovaskuläres Ausdauertraining, d. h. zum Beispiel
intensives Joggen. In anderen Worten: Es reicht nicht nur, sich täg-
lich 30 Minuten zu bewegen. Man sollte sich zusätzlich zwei-
bis dreimal pro Woche richtig anstrengen, so dass man
ausser Puste kommt. Das dient der Muskula-
tur und dem Herzkreislauf.
29 | Magazin 2018 | Interview mit Aaron SchmidtInterview mit Aaron Schmidt | Magazin 2018 | 28
HAUS RIGIBLICK
LEITUNGPascal & Mirjam Abry
HAUS RAMSEN
LEITUNGoffen
HAUS BODENSEE
LEITUNGAdrian & Sarah Ziörjen
SOFA WEHNTAL
HAUS FURTTAL
LEITUNGThomas & Susanne Biaggi & Renate Häfliger
STIFTUNGSPRÄSIDIUM Mark Eberli
STIFTUNGSRAT Ursula Jucker, Mark Eberli, Ursula Schäublin, Hansjörg Maag
GESAMTLEITUNG Andreas Schmidt, Olivia Schlegel, Christa Räss
LEITUNG UND VERWALTUNG
STIFTUNG DIHEI | Feldstrasse 8 | 8200 Schaffhausen | 052 743 20 78 | [email protected]
HAUS BODENSEE | Besmerstrasse 35 | 8280 Kreuzlingen | 071 688 47 74 | [email protected]
HAUS RAMSEN | Judebömmlistrasse 602 | 8262 Ramsen | 052 740 15 50 | [email protected]
HAUS RIGIBLICK | Im Rigiblick 31 | 8623 Wetzikon | 043 535 65 45 | [email protected]
HAUS FURTTAL | Oberdorfstrasse 52 | 8114 Dänikon | 044 844 44 13 | [email protected]
– BEFRAGT – Was bewegt dich?
Die Natur und das Meer.Laura, 17
Es macht mich
rauri zu lesen, wie viele
Mensc en sich umbringen.
Lauren, 11
Gott, weil er reu zu mir ist.Nathalie, 10
Ich finde es un erec , wenn eines meiner Pflegegeschwister e was darf, was ich auch gerne a e.
Kevin, 8
Mich berührt immer wieder, wenn Mensc en einander ver eben.Anna, 25, Praktikantin
Biographien von
Mensc en,
die trotz widri er
Ums ande
vorbildlich gelebt
haben.
Susan, 41,
Leiterin Haus Furt
tal
Bei kleinen
Babies geht mein Herz auf.
Sarah, 28,
Leiterin Haus
Bodensee
Angesichts der vielen
Konf i e
auf der We , frage ich mich des Ofteren, weshalb gerade
wir das Privi e haben,
in der Sc weiz geboren zu sein.
Pascal, 29, Leiter Haus Rigiblick
LEITUNGSaša & Laura Oliverio
SOZIALPÄDAGOGISCHE FAMILIE WEHNTAL | Gumpenwiesenstrasse 52 | 8157 Dielsdorf | 043 810 36 60 | [email protected] startet das Daumenkino in die andere Richtung.
Befragt | Magazin 2018 | 30
Stiftung DIHEI Sozialpädagogisches Wohnen für Kinder und Jugendliche
«Wenn schwimmen schlank macht, was machen Blauwale falsch?»