Manfred Clauss: Das alte Israel. Geschichte, Gesellschaft, Kulutr

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    Kompetent, anregend und allgemeinverständlich beschreibtManfred Clauss die Geschichte des alten Israel. Die Darstel-lung setzt ein mit der Überlieferung der Frühzeit, führt weiterüber die ältesten Ansätze der Staaten Juda und Israel und die

    Zeit der Propheten, informiert über die babylonische Gefan-genschaft, den Makkabäeraufstand und Herodes und endetmit der Einnahme Jerusalems durch die Römer und der Zer-störung des Zweiten Tempels. Der Leser lernt die wichtigstenPersönlichkeiten des alten Israel kennen und erhält eine Ein-führung in die Grundstrukturen seiner Politik, Gesellschaft,Wirtschaft und Religion.

    Manfred Clauss, Jahrgang 1945, lehrt als Professor für AlteGeschichte an der Goethe-Universität zu Frankfurt am Main.Im Verlag C.H.Beck sind folgende seiner Werke lieferbar:Sparta (1983), Mithras (1990),  Einführung in die Alte Ge- schichte (1993),  Kleopatra (1995),  Konstantin der Große und seine Zeit (1996), Die römischen Kaiser (1997).

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    Manfred Clauss

    DAS ALTE ISRAEL

    Geschichte, Gesellschaft, Kultur 

    Verlag C.H.Beck 

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    Mit vier Abbildungen und fünf Karten

    Die Karten Nr. 1 bis 3 haben Hubert Hillmann und Karl-Heinz Schatz,Eichstätt, gezeichnet; Frau Gertrud Seidensticker, Berlin,

    zeichnete Karte Nr. 9.

    Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

    Clauss, Manfred:Das aire Israel : Geschichte, Gesellschaft, Kultur / ManfredClauss. – Orig.-Ausg. – München : Beck, 1999(C.H.Beck Wissen in der Beck’schen Reihe ; Band 2073)

    ISBN 3 406 44S73 X

    OriginalausgabeISBN 3 406 44573 X

    Umschlagentwurf von Uwe Göbel, München© C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck), München 1999

    Gesamtherstellung: C.H. Beck’sche Buchdruckerei, NördlingenGedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier 

    (hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff)Printed in Germany

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    Inhalt

    Vorwort............................................................................. 7

    1. Frühgeschichte............................................................. 9

    2. Die Landnahme und die Retter................................... 15

    3. Das Leben in vorstaatlicher Zeit ................................ 24

    4. David und Salomo....................................................... 29

    5. Israel und die Dynastie Omri...................................... 41

    6. Israel im Schatten Assurs ............................................ 51

    7. Juda im Schatten Israels.............................................. 58

    8.Juda als Provinz Assurs............................................... 65

    9. Die Propheten und der Untergang.............................. 75

    10.DasExil....................................................................... 79

    11. Der Neuanfang in Jerusalem ...................................... 85

    12. Die Juden im Hellenismus .......................................... 91

    13.Die Makkabäer ........................................................... 99

    14. Die Römer und die Zerstörung des Tempels ............. 106

    Zeittafel ............................................................................ 115

    Kommentierte Kurzbibliographie..................................... 118

    Verzeichnis der Abbildungen ........................................... 120

    Register............................................................................. 121

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    Vorwort

    Will man eine Geschichte ‚Israels’ vor der Zeitenwende schrei-

     ben, bilden die Bücher des Alten Testaments die Grundlageder Darstellung. Sie schildern das Handeln Gottes in der Weltin der Sprache dieser Welt und sind daher für den HistorikerQuellen – wie alle aus der Vergangenheit überlieferten Texte.

    Das Alte Testament liefert Geschichtsschreibung als religiö-ses Bekenntnis. Dem steht die eigene Erkenntnis gegenüber,aufgrund derer ich die historische Entwicklung anders deute

    als die biblischen Erzähler. Sie unterstellten in allen Belangenein gemeinsames Handeln aller Hebräer und waren folglich bemüht, die ihnen vorliegenden Erzählungen diesem Grund-schema unterzuordnen.

    Ein Beispiel für solche Anpassung bietet die Geschichte des,Retters’ Gideon in der Auseinandersetzung mit den Midiani-tern (S. 20). Insgesamt 32000 Hebräer waren angeblich für

    die Abwehr der Feinde aufgeboten worden; in dieser Größen-ordnung stellte man sich Jahrhunderte nach dem legendenum-rankten Ereignis das Heer vor; eine Zahl von nur 300 Kämp-fern überlieferte dagegen die Anekdote. Wie reduziert mannun 32000 Mann auf 300? Dem biblischen Redaktor, jenemunbekannten Autor, der aus zahlreichen Einzelerzählungen ei-ne kompakte Geschichtsdarstellung komponierte, fiel eine

    ebenso elegante wie amüsante Lösung ein. Jahwe, der Gottder Hebräer, wollte einen spektakulären und Aufsehen erre-genden Erfolg, und dieser war nur dann gegeben, wenn eineHandvoll Kämpfer gegen eine massive Übermacht den Siegdavontrug. Also ließ Gideon zunächst diejenigen umkehren,die zugaben, Angst zu haben. So traten 22000 lieber denHeimweg an, als zu kämpfen, aber 10000 blieben übrig; dies

    war aber Jahwe immer noch zuviel. Er veranlaßte Gideon, dieMänner um eine Wasserstelle zu versammeln (Richter 7, 5):„Jeden, der mit der Zunge von dem Wasser leckt, wie derHund leckt, den stelle beiseite; ebenso jeden, der zum Trinkenniederkniet“ (Richter 7, 5). Die allermeisten der 10000 knie-

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    ten nieder und schöpften das Wasser mit der Hand; nur 300leckten es auf wie die Hunde. Mit ihnen konnte Gideon end-lich seine Rettertat vollbringen. Glücklicherweise bewahrt dasAlte Testament derartige Mosaiksteine älterer Überlieferung -

    wie eben die Zahl der Kämpfer Gideons -, die wir heute zueinem anderen Bild der Geschichte der Hebräer zusammenset-zen können als die Redaktoren des Alten Testaments.

    Die folgende Darstellung behandelt, so der Titel, die Ge-schichte des alten Israel. Die Bezeichnung ,Israel’ hat sich ein-gebürgert, wenngleich sie nicht sehr glücklich ist. Ich dagegenspreche für die Zeitspanne bis zur ersten Zerstörung des Tem-

     pels 587 v. Chr. von den Hebräern, wenn ich die Gruppierun-gen meine, die mit den Kanaanäern zusammen die Bevölke-rung der beiden Königreiche Juda und Israel bildeten; Israelwerde ich allein für das politische Gebilde des Nordreichsverwenden. Nach dem Ende der Monarchien, seit der Exilzeitspreche ich von Judäa als dem Territorium, in dem die Judensiedelten. Der Band endet mit der Zerstörung des zweiten

    Tempels 70 n. Chr. Die sich anschließende Jüdische Geschich-te’ bietet der gleichnamige Überblick von Kurt Schubert in derReihe, C.H.Beck Wissen’.

     Noch eine abschließende Bemerkung zu den Geschichtsda-ten: Da sich der überwiegende Teil der Darstellung mit derZeit vor Christi Geburt befaßt, wird in der Darstellung ledig-lich genauer vermerkt, wenn ein Ereignis nach der Zeiten-

    wende (n. Chr.) stattfand.

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    1. Frühgeschichte

    „Ein umherirrender Aramäer war mein Vater“: Dieses ..ge-

    schichtliche Credo’ betete jeder Hebräer, wenn er zur Zeit derMonarchien im Tempel opferte (Deuteronomium 26, 5). Errief sich damit ständig ins Gedächtnis, daß seine Vorfahrennicht Ureinwohner Kanaans, sondern dorthin eingewandertwaren.

    Um die Mitte des 13. Jahrhunderts hatten drei Großmächtedie Geschicke des syrisch-palästinischen Raumes bestimmt:

    Ägypten, die Hettiter, das Reich von Mitanni. Bereits ein hal- bes Jahrhundert später war von ihnen nur noch Ägypten üb-rig, aber auf die zentralen Gebiete am Nil zurückgeworfen.Zwei unterschiedliche, aber gleichermaßen machtvolle Völ-kerbewegungen waren für diesen Wandel verantwortlich. Von Nordwesten drangen immer neue Wellen von Seevölkergrup- pierungen über das Meer an die Levanteküste vor. Sie zerstör-

    ten teilweise die dort bestehenden Strukturen kanaanäischerStadtstaaten und waren in einigen Fällen mit Ansiedlungen er-folgreich. Seit dem beginnenden 12. Jahrhundert besiedeltendie P(h)ilister die fruchtbaren Küstenebenen des nach ihnen benannten Palästina und drangen im Laufe der Zeit auch indie östlich gelegenen Bergregionen vor. Wie die Hebräer be-wahrten die Philister ihre Traditionen über Wanderungen in

    ihrer fernen Vergangenheit. In der Mitte des 8. Jahrhundertsheißt es dementsprechend bei dem Propheten Arnos (9, 7):„Gewiß habe ich (Jahwe) Israel aus dem Lande Ägypten her-ausgeführt, aber auch die Philister aus Kaphtor.“ Mit Kaphtorwar Kreta gemeint oder die Ägäis im ganzen.

    Die Philister schufen in der Region eine übergreifende po-litische Ordnung, den ,Fünfstädtebund’, der Gaza, Askalon,

    Asdod, Ekron und Gath umfaßte. Bei ihren Eroberungenstützten sich diese Städte auf Söldnertruppen sowie schwer- bewaffnete Einzelkämpfer, wie sie uns das Alte Testamentin der Person des Goliath vor Augen führt (1. Samuel 17,4-7).

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    Der Vordere Orient im 2. Jahrtausend

    Die zweite Einwanderungswelle kam, zeitlich etwas versetzt,aus den östlichen Regionen der arabisch-syrischen Wüste. Eswaren Aramäer, die in kurzer Zeit in Babylon auf friedlichem

    Wege zur Herrschaft gelangten und die Staatengebilde Syriens beherrschten. In Palästina waren es die Hebräer, die sich dortin der Nachbarschaft zu den Kanaanäern niederließen.

    Am Anfang ihrer Geschichte waren die Hebräer Nomaden.Diese Lebens- und Wirtschaftsweise eines umherziehenden Hir-tenvolks prägte wesentliche Entwicklungen der gesellschaftli-chen Ordnung, und sie wirkte bewußtseinsbildend noch zu

    einer Zeit, in der man längst nicht mehr in Zelten, sondern inHütten, Dörfern und Städten lebte. Wie lang und intensiv dietatsächliche nomadische Phase auch gewesen sein mag, in derRückschau wurde sie immer mehr – wie auch die vormonar-chische Sozialordnung – zum Ideal. Und da Vergangenheitvor

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    allem dadurch wirkt, wie sie gesehen wird, und weniger da-durch, wie sie wirklich war, blieb der ,umherirrende Aramäer’selbst den Bewohnern der Königreiche präsent.

     Nomadisierende Lebensweise war immer eng mit derjenigen

    der Bauern verbunden. Mit ihren Kleinviehherden – Schafenund Ziegen – waren die Nomaden auf Wasserstellen angewie-sen, deren gemeinsame Nutzung Absprachen mit den Bauernnotwendig machte. Dies galt ebenso für die Sommerweide derHerden auf den abgeernteten Feldern, da die Wüsten undSteppen nur in der Zeit des Winterregens Weidemöglichkeiten boten; zudem tauschten beide Gruppen die Erzeugnisse ihrer

    Vieh- und Weidewirtschaft beziehungsweise ihres Ackerbausuntereinander aus.

    Der Nomade war also auf das Kulturland angewiesen; hier-in lag der mancherorts zu beobachtende Übergang zur dauer-haften Ansiedlung begründet. Oft waren Teile eines Familien-verbandes bereits seßhaft, während andere Mitglieder nochden Weidewechsel praktizierten. Auf diese Weise begann die

    Landnahme – ein Prozeß, der sich über Generationen hinzie-hen konnte und keineswegs überall gleichzeitig erfolgte. Die-ser Vorgang betraf ohnehin nicht die großen landwirtschaft-lichen Zentren, die fruchtbaren Ebenen, die Siedlungsgebieteder kanaanäischen Stadtstaaten blieben.

    Die unterschiedliche Lebensweise von Nomaden und Seß-haften spiegelt sich in den jeweiligen Anschauungen der

    eigenen wie der fremden Existenz wider. Für die Bauern undStädter war der Nomade der „Barbar“, der kein Haus sein eigennennt, den Boden nicht bebaut, rohes Fleisch ißt, kurz dieUmgangsformen der zivilisierten Welt vermissen läßt. Mit äu-ßerstem Unmut sahen die Städter den für Nomaden charakte-ristischen Beuteerwerb, der sich aus ihren ärmlichen Lebens- bedingungen erklärt. Gegen derartige Menschen mußte man

    sich mit Mauern schützen oder gar mit Waffengewalt vor-gehen.

    Die Nomaden sahen ihre Lebensweise selbstverständlichanders. Sie betonten die Freiheit, das Ungebundensein gegen-über den an einen Ort Gefesselten. Das Geburtsorakel des Is-

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    mael bringt das nomadische Selbstverständnis auf den Punkt(Genesis 16, 12):

    „Er wird ein Mensch sein wie ein wilder Esel –

    seine Hand wider alle, aller Hand wider ihn!All seinen Brüdern lebt er ins Gesicht.“

    Die harte Lebensweise bestimmte den Zusammenhalt der no-madischen Familie, die auf die Solidarität aller Mitglieder an-gewiesen war. Daher prägten strenge Regeln das Leben deseinzelnen wie das der Gemeinschaft. Den Schutz des Lebens beispielsweise garantierte die Institution der Blutrache. Sie

    stellte einem Mörder seinerseits den Tod durch die Verwand-ten des Opfers in Aussicht. Um dem damit sich zwangsläufigeinstellenden Kreislauf der Gewalt zu entkommen, drohteman damit, einen Mord mit einer Vielzahl von Morden zurächen, was sich – zumindest in den Erzählungen – bis zu jener Prahlerei des Lamech steigern konnte, der sich vorseinen Frauen brüstete, er werde siebenundsiebzigmal gerächt

    (Genesis 4, 24).Der nomadischen Lebensweise entsprachen die Gottesvor-

    stellungen. Familiengötter beschützten die einzelnen Gruppen;während Anzahl und Namen der Götter so zahlreich warenwie die Familienverbände, ähnelten sich die entsprechenden jeweiligen Gottesvorstellungen. Die Götter, von denen wireinige namentlich kennen – wie den ,Gott Abrahams’,

    den,Schrecken Isaaks’ oder den ,Starken Jakobs’ -, schütztendiejenigen, die sie verehrten, und dienten als Schwurgötter.Beispielhaft für die Funktion derartiger Götter ist die Ge-schichte eines Streits zwischen Laban und Jakob. Als sie sichschließlich doch friedlich einigen, ruft jeder seinen eigenenSippengott als Garanten des soeben geschlossenen Vertrages

    an (Genesis 31,53): „Der Gott Abrahams und der Gott Nahorssollen zwischen uns Richter sein.“

    Durch die Bindung der Götter an die Person des ehemaligenFamilienoberhauptes und die späteren Mitglieder der Sippewar diesem Religionstyp ein Hang zum Historischen eigen, dersich in der Geschichte der Hebräer immer wieder manifestierte.

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    Darüber hinaus war es später möglich, die unterschiedlichenErzählungen von im Prinzip ähnlichen Göttern auf die Personeines einzigen Gottes hin umzuschreiben, als das ganze Volkeine einzige große ,Familie’ wurde. So wird im Zusammen-

    hang der Mose-Geschichte Jahwe als Gott gleichsam vorge-stellt (Exodus 3, 6): „Ich bin der Gott deines Vaters, der GottAbrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs.“

    „Ein umherirrender Aramäer war mein Vater, der zog hinabnach Ägypten.“ Der Aufenthalt von Wanderhirten in Ägyptenwar vom 15. bis zum 12. Jahrhundert keine Seltenheit. Wenndie Lebensbedingungen der Wüste und Steppe nichts mehr

    hergaben, zog man in das Land am Nil, in dessen Delta es Nahrungsmittel im Überfluß gab. Diese Züge liefen in allerRegel geordnet ab. Wer auf diese Weise die ägyptischen Grenz- posten passierte, wurde registriert und erhielt seinen Aufent-haltsort zugewiesen. In dem Bericht eines Grenzbeamten anden Pharao aus der Zeit um 1200 heißt es (T[extbuch] zurG[eschichte] I[sraels], hrsg. von Kurt Galling, Tübingen 31979

    = TGI 40): „Wir sind damit fertig geworden, die Schasu-Stämme von Edom durch die Festung des (Pharao) Merenptah(1213-1203) in Tkw passieren zu lassen bis zu den Teichenvon Pithom des Merenptah in Tkw, um sie und ihr Vieh aufder großen Besitzung des Pharao, der guten Sonne eines jedenLandes, am Leben zu erhalten.“ Zu solchen Nomaden werdenauch die Gruppen gehört haben, die in die späteren Traditio-

    nen der Hebräer die Geschichte vom Aufenthalt in Ägypteneinbrachten. Nach den biblischen Erzählungen erhielten diese Nomaden Weideland zugewiesen, wofür sie allerdings eineGegenleistung zu entrichten hatten: Die Ägypter zogen dieHirten zu Dienstleistungen bei Bauvorhaben heran. DieseForderung rief bei den an Freiheit gewöhnten Nomaden einenAufruhr hervor, sie ergriffen die Flucht.

    Diese Flucht einiger Hebräer aus Ägypten, die sich zeitlichnicht festlegen läßt, wurde zum Fixpunkt der Geschichte, weilsie entgegen aller sonstigen Erfahrung gelang. Man kannte dieÄgypter und ihre Streitwagen, denen eigentlich niemand ent-fliehen konnte. Als die Hebräer entkamen, war dies wie ein

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    Wunder, ja es war ein Wunder, und das Wunderbare wurdeimmer weiter ausgemalt. Bald war man nicht nur den ägypti-schen Soldaten entkommen, sondern hatte sie besiegt. Ob-gleich es keine Zweifel an der göttlichen Hilfe gab, verlangte

    die Geschichte auch einen menschlichen Sieger: So kam dieGestalt des Mose ins Spiel, um den sich im Laufe der Jahr-hunderte immer mehr Erzählungen rankten.

    Mit der Zeit wurde der Bericht vom Sieg über die Ägypternicht nur immer weiter ausgeschmückt, sondern auch weiterverbreitet. Was gab es denn auch sonst zu erzählen vom Lebender Nomaden und späteren Bauern? Aus dem Banalen und

    Alltäglichen ragte dieser Erfolg als einsamer Gipfel heraus.Immer weitere Gruppen vereinnahmten diese Tradition, bissie schließlich zu Zeiten der Monarchie zu dem Gründungs-mythos aller Hebräer wurde. Der Auszug aus Ägypten, der Exodus, schließlich der militärisch verstandene Sieg über dieÄgypter: Dies war als „historische Erinnerung“ das Identitätstiftende Merkmal der Hebräer. Dieser Mythos wurde nicht

    nur in Erzählungen festgehalten, sondern auch in dem zentra-len Fest, Passah, alljährlich im Kultgeschehen gefeiert.

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    2. Die Landnahme und die Retter

    Als die großräumigen politischen Strukturen im Umkreis des

    späteren Palästina zerbrachen, bot sich in diesem Gebiet dieMöglichkeit, das Machtvakuum, wenngleich in bescheidenemAusmaß, zu füllen. Auf diese Weise errangen die Städte derKanaanäer ihre Selbständigkeit, brachten die Philister die Kü-stenebene unter ihre Kontrolle, und eröffnete sich im Landes-inneren den Hebräern die Chance zur Seßhaftwerdung. DieserVorgang, den man sich  Landnahme zu nennen angewöhnt

    hat, zog sich über Generationen hin. Weil die fruchtbarenEbenen der Küste wie die von Jesreel bereits ,besetzt’ waren, blieben für die Hebräer nur die unattraktiveren Gebiete anden Rändern der Siedlungen. War hier nicht genügend Sied-lungsland vorhanden, konnten die noch bestehenden Wäldergerodet werden, um zusätzliche Ackerflächen zu schaffen: Alssich der Stamm Joseph beschwert, sein Siedlungsgebiet sei zu

    klein, weist Josua darauf hin, daß der Stamm in seinem Berg-land mehr Acker habe, als er glaube; es müsse lediglich derWald gerodet werden (Josua 17, 14-18).

    Die Landnahme verlief durchweg friedlich, zumindest ohnespektakuläre militärische Maßnahmen. Da die Ansiedlungzumeist in nicht oder nur wenig besiedelten Gebieten erfolgte,war kein Widerstand zu erwarten. Und aufgrund der fehlen-

    den eigenen Möglichkeiten war es den Hebräern verwehrt,sich städtischen Territorien zu nähern oder gar Städte anzu-greifen. Die aus der Wüste kommenden Nomaden verfügtennicht über die Waffen, um sich gegen die Truppen der Städte behaupten zu können. Noch bis in die Zeit Sauls hinein (um1000) verbreiteten die Streitwagen der Philister und KanaanäerAngst und Schrecken.

    Mittel und Erfahrung, um gar die befestigten Städte selbstanzugreifen, fehlten völlig. Für die Hirten waren sie mit Mau-ern umgeben, „deren Wälle bis zum Himmel stiegen“ (Deutero-nomium 1, 28). Wen wundert diese Einschätzung, wenn man bedenkt, daß die antiken Mauern Hebrons noch heute neun

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    Meter stark sind? Wen wundert ferner, daß daher in einigenErzählungen die Bewohner dieser Stadt als Riesen vorgestelltwerden (Numeri 13, 34)?

    Da die Landnahme also unter wenig spektakulären Um-

    ständen ablief, sind kaum Berichte über diese Zeit vorhanden. Nicht Krieg und Kampf bestimmten das Leben dieser Gene-rationen, sondern ein Alltag, der durch Rodung und Urbar-machung, Aussaat und Ernte beziehungsweise durch das Hü-ten der Kleinviehherden geprägt war. Die alttestamentlichenErzähler unterscheiden sich nicht von anderen und übergehenderartige Zeiten mit der lapidaren Feststellung (etwa Richter

    3, 11): „Da hatte das Land jahrelang Ruhe.“Als sich die Siedlungen jedoch konsolidiert hatten, als die

    Bevölkerung angewachsen war, da richteten sich immer häufi-ger die begehrlichen Blicke auf die Talregionen mit den besse-ren Weiden und den fruchtbareren Ackerflächen. Die zweitePhase der Seßhaftwerdung begann, der  Landesausbau. DieHebräer wurden mutiger, selbstbewußter, als es nun hin und

    wieder einmal gelang, eine feste Stadt einzunehmen und derenBevölkerung niederzumachen oder zu vertreiben. Die im AltenTestament in diesem Zusammenhang formulierten gleichsam programmatischen Zielsetzungen, daß von den Völkern desLandes niemand am Leben gelassen werden solle (Deutero-nomium 20, 16), haben die historische Phase des Landesaus- baus allerdings nicht geleitet. Sie haben vielmehr in der späte-

    ren Geschichte des Judentums (S. 103) wie dann des Christen-tums in fanatischen Aktionen fatale Nachwirkungen gezeigt.Die Hebräer blieben auch von Niederlagen nicht verschont,die die Bibel gelegentlich erwähnt (Numeri 13-14).

    Auch in anderer Hinsicht bleiben die biblischen Erzähler ingewisser Weise historisch korrekt. Kaum ein Erfolg, der nichtaufgrund einer List der eigenen oder eines Verrats der anderen

    Seite möglich geworden wäre. Wie wenig sich die Hebräerselbst die Erstürmung einer Stadt allein aufgrund ihrer militä-rischen ,Stärke’ vorstellen konnten, zeigen die Geschichten derEroberung von Jericho. Sie sind gewiß beide erfunden, aberauch die Phantasie schult sich oft genug an der Realität.

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    So werden in dem einen Fall die Beziehungen der Hebräer zueiner Dirne genutzt, die es ihnen ermöglicht, in die Stadt einzu-dringen. Ihr Haus lag direkt an der Stadtmauer; und sie verab-redete mit ihren ,Kunden’, einen roten Faden an ihr Fenster zu

     binden, um die Stelle zu markieren, an der der Einstieg möglichwar (Josua 2,1-21). Wem dieses Runder’ etwas zu anrüchigwar, dem bot man die Erzählung, der Schall der Posaunen habedie Mauern Jerichos zum Einsturz gebracht (Josua 6,1-20).

    Wie schwierig es in Wirklichkeit war, etwas gegen diemächtigen Stadtstaaten auszurichten, zeigt der Bericht übereine angebliche Meinungsverschiedenheit Josuas mit dem

    Stamm Joseph. Dieser war mit seinem Territorium, dem Ge- birge Ephraim, unzufrieden, mußte aber gleichzeitig feststel-len (Josua 17, 16): „Das Bergland reicht für uns nicht aus. DieKanaanäer aber, die in der Ebene wohnen, besitzen eiserne(Streit-)Wagen. Das gilt für die in Beth-Sean und seiner Um-gebung und die in der Ebene Jesreel wohnen.“

    Diesen Zustand bestätigt das sogenannte ,negative Besitz-

    verzeichnis’ des ersten Kapitels des Richterbuches, eine Auf-zählung von Kanaanäerstädten, die selbständig blieben. DiesesVerzeichnis ist eines jener Zeugnisse, die näher an der histo-rischen Wirklichkeit liegen als die generalisierenden Erzäh-lungen, mit denen ein angebliches gemeinsames Handelnsämtlicher Hebräer suggeriert wird. Es listet zwei Städteriegelauf, die wir auch aus ägyptischen Texten kennen. Im Süden

    sind dies die Orte, die sich von Geser über Ajalon bis zumGebiet von Jerusalem erstrecken. Im Norden bildeten dieStädte Dor, Megiddo, Thaanach, Jibleam und Beth-Sean eineweitere Kette, die die Jesreel-Ebene kontrollierte. Diese Quer-riegel entsprachen einer natürlichen Gliederung der Land-schaft, die von den Kanaanäern strategisch und machtpoli-tisch genutzt wurden. Später operierten auch die Philister von

    der Basis dieser Städte aus gegen Saul und David. Erst letzte-rem sollte es um das Jahr 1000 mit den Machtmitteln derMonarchie gelingen, die Riegel aufzubrechen.

    Die geographische Beschaffenheit Palästinas förderte die Zer-splitterung der Bewohner in zahlreiche voneinander getrennte

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    Die geographische Beschaffenheit Palästinas

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    Siedlungseinheiten. Heterogen wie das Land war folglich auchdie Bevölkerung, die es besiedelte. Die Gegebenheiten derLandschaft und die teilweise unterschiedlichen Bedingungenvon Landnahme und Landesausbau führten dazu, daß die so-

    genannten Stämme in ihren jeweiligen Territorien mehr oderweniger nebeneinander existierten. Diese aus der Frühzeit re-sultierende Unabhängigkeit der einzelnen Gruppierungen hatauch die spätere Entstehung der beiden Staatsverbände Judaund Israel nie beseitigen können.

    Die Aufgabe, die Phase zwischen der Landnahme und derKönigszeit darzustellen, obliegt im Alten Testament dem  Rich-

    terbuch. Es verdankt seinen Namen den sogenannten Richtern,von denen sich eigentlich in der Königszeit lediglich eine Listeerhalten hatte (Richter 10, 1-5; 12, 7-15). Ansonsten enthältdas Werk Geschichten von Rettungstaten einzelner Personen,die aus alten Überlieferungskernen nach einem einheitlichenSchema komponiert worden sind. Dessen Reinform bietet derangebliche Sieg Othniels über einen unbekannten Herrscher.

    Da offensichtlich nur noch der Name, aber keine Taten Oth-niels mehr überliefert waren, bastelte man dessen Heldentataus lauter Versatzstücken, wie sie sonst die übrigen Erzählun-gen verklammern: Das Volk tat, was dem Herrn mißfiel. Daentbrannte der Zorn des Herrn wider das Volk, und der ver-kaufte es in die Hand der ... Da schrie das Volk zu seinemGott, und dieser schickte ihm einen Retter (einen Heiland,

    übersetzte Luther). Dieser Retter schlug den Feind und befreitedas Volk. Da hatte das Land ... Jahre lang Ruhe (Richter 3,7-11).

    Da die einzelnen Retterepisoden voneinander isoliert be-trachtet werden müssen, auch wenn der biblische Redaktor mitseinem Geschichtswerk dem Leser suggeriert, ein Retter seidem anderen gefolgt und habe jeweils alle Hebräer vor einer

    Bedrohung bewahrt, genügt es, einige wenige zu schildern.Eine der merkwürdigsten ist die Rettertat des Ehud. Ihre hi-

    storische Voraussetzung lag darin, daß das Volk der Moabiternicht nur den Jericho gegenüberliegenden Teil des Jordangra- bens kontrollierte, sondern versuchte, sich auch der Westseite

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    des Jordans, also der Gegend um Jericho selbst, zu bemächti-gen. Als es dort Tribut verlangte, rief dies den Retter Ehud aufden Plan (Richter 3, 12-30). Als dieser sich entschloß, denMoabiterkönig zu töten, fehlte es allerdings zunächst an der

    notwendigen Waffe. Er mußte für sein Unternehmen eigenseinen Dolch anfertigen lassen, da aus Metall gearbeitete Waf-fen bei den Hebräern offenbar noch Seltenheitswert besaßen;entsprechend groß sollte später das Bedauern sein, als Ehudnach der Tat die Waffe nicht zurückbringen konnte.

    Ehud trifft den König in dessen ,Palast’; dessen Beschrei- bung als einfache Behausung spricht gegen eine fest etablierte

    Herrschaft der Moabiter im westlichen Jordangebiet. Es ge-lingt Ehud, mit dem König unter vier Augen zu sprechen; da- bei stößt er ihm das Messer in den Leib. Aufgrund der außer-gewöhnlichen Körperfülle des Moabiters bleibt der Dolchstecken. Ehud kann entfliehen, da die Diener des Herrschers,der sich lange Zeit nicht rührt, nachdem Ehud gegangen ist,davon ausgehen, der König verrichte seine Notdurft. Nach

    dem Tod des Moabiterkönigs können die Hebräer die Gegnerüber den Jordan zurückdrängen und den ursprünglichen Zu-stand wiederherstellen. Damit war die Aufgabe des Retters er-füllt.

    Eine ganz andere Bedrohung erlebten jene Hebräer, dieGideon ,befreite’. Es waren Midianiter, Kamelreiter, die auf-grund der Schnelligkeit ihrer Tiere, die bei den Hebräern noch

    unbekannt waren, äußerst mobil operierten und Angst undSchrecken verbreiteten. Neben der Schnelligkeit, mit der dieseRäuber auftauchten, dürfte die Größe der Tiere und der aufihnen sitzenden Reiter ihr Übriges getan haben. Vor ihnensuchte die Bevölkerung Schutz in den für Kamele unzugängli-chen Bergen, bis die Gefahr vorüber war.

    Die Midianiter tauchten alljährlich zur Erntezeit auf, um

    Schafe, Rinder, Esel und vor allem Lebensmittel fortzuschlep- pen. Man war auf Seiten der Hebräer bereits so an diese Be-drohung gewöhnt, daß man das Getreide nicht mehr auf derTenne im Dorf drosch, wo es dem Zugriff der Plünderer offen-lag, sondern an einem unzugänglichen Ort (Richter 6, 11). Da

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    dies mühsam war, entschloß sich Gideon zum Handeln, zumal bei einer der Auseinandersetzungen um ihr Eigentum seineBrüder umgekommen waren. Gideon übte also mit denmännlichen Mitgliedern seiner Sippe Blutrache; es ist von ins-

    gesamt 300 Personen die Rede, die sich an die Ausführung derTat machten.

    Über Jahre hinweg waren die Midianiter so regelmäßig wiedie Erntezeit gekommen, und man hatte sie sicherlich auch beobachten können, wenn sie mit ihrer Beute abzogen. Siewaren in dieser Situation nicht nur unbeweglicher als bei ih-ren Überfällen, sondern auch sorgloser: Sie feierten erst ein-

    mal ihren Erfolg und verzehrten die ersten Teile der Beutegleich an Ort und Stelle. Darauf basierte Gideons Plan. Erkürzte bei der Verfolgung den Weg ab und erreichte das Lagerder Midianiter, als diese ihren Erfolg im Wortsinn verdauten.

    Gideon hatte seine Leute zusammengeholt und sie mit einemhohlen Widderhorn und einem Krug, in dem sich eine bren-nende Pechfackel befand, ausgestattet (Richter 7,16-21). Dann

    umzingelte die Truppe das Lager der rastenden oder schlafen-den Feinde. Auf ein Zeichen hin zerschlugen die Hebräer dieKrüge, ließen dadurch die Fackeln aufflammen, bliesen ausLeibeskräften in die Hörner, griffen aber nicht an. Aus Schlafund Rausch aufgeschreckt, wurden die Midianiter von Panikergriffen, einige erschlagen, die übrigen konnten fliehen. Gi-deon hatte die Hebräer gerettet, ohne eine Schlacht zu schla-

    gen; schon der Begriff Feldzug dürfte für sein Unterfangen zuhoch greifen. Das Ereignis hatte lediglich lokale Bedeutung,denn es ist gut vorstellbar, daß die Midianiter in Zukunft dieGegend mieden, um stattdessen andere heimzusuchen.

    Einer der seltenen militärischen Erfolge vor der Monarchie-gründung gelang Barak gegen die Philister, wenngleich es auchhierbei nicht ohne ,wunderbare’ Aspekte abging. Die Kontrol-

    le der Jesreel-Ebene durch die Philister hatte einige der an sieangrenzenden Stämme veranlaßt, sich zu gemeinsamen Aktio-nen zusammenzuschließen, als sie selbst immer wieder denVersuch unternahmen, in die fruchtbare Niederung vorzu-dringen. Nördlich des Karmel, im Gebiet des Baches Kison,

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    trafen die Hebräer unter Barak auf die so gefürchteten Streit-wagen der Philister. Offenbar kam den Hebräern wie bei jenererfolgreichen Flucht aus Ägypten ein Zufall zu Hilfe: DieWasser des Kison waren nach einem Unwetter über die Ufer

    getreten und hatten ein versumpftes Gelände geschaffen, indem die Kriegswagen steckenblieben.

    Wichtiger als der kaum ins Gewicht fallende Zufallserfolg,der wohl ins ausgehende 11. Jahrhundert gehört, war die Tat-sache, daß an dieser Rettertat erstmals Hebräer mehrererStämme beteiligt waren. Das Debora-Lied nennt insgesamtsechs: Benjamin, Ephraim, Machir (Manasse), Sebulon, Issa-

    char und Naphtali (Richter 5). Es waren jene Stämme, die umdie Jesreel-Ebene siedelten und mehr als andere von den Phili-stern bedroht waren; daß andere Stämme, beispielsweise dieGruppierungen Judas, sich nicht an der Aktion beteiligten, istaufgrund ihrer räumlichen Entfernung von der Gefahrenquelleverständlich. Wichtig ist aber, daß in der Erzählung auchgerade davon die Rede ist, welche Stämme nicht mitgemacht

    hatten, nämlich Ruben, Gilead, Dan und Asser. Angesichtsder Erkenntnis, auf wie schwachen Füßen der Erfolg stand,dachte man über die Möglichkeiten nach, alle verfügbarenKräfte zusammenzufassen. Die militärische Bedrohung durchdie Philister, die ihre Macht durch einen Sieg über die Hebräer bei Aphek am Ende des 11. Jahrhunderts demonstriert hatten,regte zu gemeinsamem Handeln an.

    Die letzte, zeitlich konkreter greifbare Rettergestalt vor derKönigszeit war Saul. Das Alte Testament stellt ihn zwar alsden ersten König dar, aber es benutzt die Erzählungen überseine Person lediglich dazu, die Probleme zu diskutieren, dieaus späteren Erfahrungen mit dem Königtum resultierten.Sauls Leistungen sind rasch aufgezählt. Sein Aufstieg verliefmärchenhaft: Der Held zieht aus, um Eselinnen zu suchen,

    und findet dabei eine ,Königskrone’. Die konkreten Erfolgenehmen sich dagegen bescheiden aus. Zunächst war Saul er-folgreich, als es ihm gelang, die von den Ammonitern bedroh-te Stadt Jabes zu entsetzen. Von diesem Saul erhofften sicheinige Stämme nun die Befreiung von den Philistern, deren

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    Druck nach ihrem Sieg bei Aphek noch größer geworden warund die, wie es das Richterbuch konstatiert, eine „Herrschaft“ausübten (Richter 14,4): Sie legten in strategisch wichtigeOrtschaften Besatzungen, unternahmen von dort Streifzüge,

    entwaffneten die Hebräer und erhoben regelmäßige Abgaben.All diese Probleme sollte Saul lösen, eine Aufgabe, mit der

    er völlig überfordert war. Er schuf zwar ein Heer, aber es warzu klein und zu ungeübt, um letztlich gegen die Philister Er-folg zu haben. Sauls Heer litt, abgesehen von der zu geringenZahl an Kämpfern, daran, daß die Hebräer noch nicht übereiserne Waffen verfügten. Außerdem fehlte es an der Ausbil-

    dung, da für die Bauern und Hirten neben ihrer alltäglichenArbeit kaum Zeit blieb, die Handhabung der Waffen zu üben.Zwar versuchte Saul noch, seine zusammengewürfelten Trup- pen durch einen Zug gegen das Volk der Amalekiter zu einerArmee zu formen, doch war bereits dieser Feldzug nicht allzuerfolgreich. Als es dann zum Aufeinandertreffen Sauls mit denPhilistern wiederum bei Aphek kam, endete diese zweite

    Schlacht wie die erste: Das Heer der Hebräer löste sich inwilder Flucht auf, Saul starb, drei seiner Söhne fielen. SaulsLeichnam hängten die Philister als Trophäe und zur Ab-schreckung an die Stadtmauer von Beth-Sean.

    Allmählich erkannten die Hebräer, daß einzelne Retterge-stalten zwar gelegentlich „Wunder vollbringen“ konnten; aberauf Dauer war der Bedrohung durch die Philister nicht zu be-

    gegnen. Nach der Schlacht bei Aphek verlegten diese weitereBesatzungstruppen in das Gebiet der Hebräer. Dadurch wurdeder Druck von außen so stark, daß er schließlich die Kräfteder Hebräer einte, zumindest diejenigen einiger Stämme. Fortanwar es vorbei mit der Devise, unter der man die ,Retterzeit’überstanden hatte (Richter 17, 6; 21, 25): „Jeder tat, was erwollte.“

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    3. Das Leben in vorstaatlicher Zeit

    Zum Verständnis der zu Beginn und während der gesamten

    Königszeit latent vorhandenen Abneigung gegen diese Staats-form, ja gegen jedwede Art von ‚Herrschaft’, ist es wichtig,einige Grundphänomene der gesellschaftlichen Entwicklungkennenzulernen, die teilweise noch auf die nomadischeFrühgeschichte der Hebräer zurückgehen. Dazu gehört vorallem die Bedeutung der Familie und des Familienvaters; aufseine Person war gleichsam die gesamte Institution Familie

    zugeschnitten. Dies wird vor allem an der unbegrenzt schei-nenden Macht des Familienvaters deutlich, eine Macht, diesich auch auf Leben und Tod erstreckte. Als Abraham sichentschließt, seinen Sohn Isaak auf dem Altar zu opfern, wirddies als Zeugnis äußerster Frömmigkeit interpretiert. Die Fra-ge nach der Befindlichkeit des Opfers stellt das Alte Testa-ment nicht. Wenn der Familienvater glaubt, daß es für das

    Wohlergehen der Familie als ganzer notwendig sei, muß unddarf er im äußersten Fall eines der Mitglieder preisgeben. Mitder Maßgabe, daß dies zum Wohl der Gesamtheit zu gesche-hen habe, wird deutlich, daß die Aktionen des Familienober-hauptes, so mächtig es auch im Einzelfall sein mochte, langetradierten, ungeschriebenen Gesetzen unterworfen waren, dieihn zwangen, bei seinem Tun stets das Allgemeinwohl zu be-

    denken.Immer wieder betonen die biblischen Erzähler die Not-

    wendigkeit des Zusammenhalts der Großfamilie, die aus demFamilienoberhaupt, seinen Frauen, seinen Söhnen mit ihrenFrauen und Kindern und seinen unverheirateten Töchtern be-stand. Die Familie garantierte den Schutz, dessen man bedurfte,um nicht belästigt, beraubt, erniedrigt oder getötet zu werden.

     Nachdem Kain seinen Bruder Abel erschlagen hatte, traf ihnein doppelter Fluch: Der Boden sollte ihm seine Kraft nichtgeben und er selbst flüchtig und unstet werden. Der zweiteTeil ließ Kain mehrmals verzweifelt aufschreien (Genesis 4,13-14): „Meine Strafe ist größer, als daß ich sie ertragen

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    könnte ... Unstet und flüchtig muß ich auf Erden sein. Jeder,der mich antrifft, kann mich totschlagen.“

    Um seine Familie zu schützen, konnte das Familienober-haupt neben der Solidarität der Familienmitglieder vor allem

    darauf bauen, daß die Söhne beim Vater blieben, auch wennsie selbst bereits Kinder hatten. Für die jeweiligen Ehefrauender Söhne bedeutete dies, daß sie die eigene Familie verlassenund zu ihren Männern ziehen mußten. In vielen Erzählungenaltorientalischer Literatur klingt an, daß Frauen unter diesenBedingungen häufig Fremde in den neuen Familien blieben.

    Die wichtigste Aufgabe der Frauen war es, Kinder, vor al-

    lem Söhne, zur Welt zu bringen, denn – einmal abgesehenvom Familienoberhaupt – der Schutz der gesamten Großfa-milie lag bei den Söhnen. Nur ein Mann mit vielen Söhnenvermochte sich in einer Umgebung sicher zu fühlen, in derMacht Recht bedeutete und Machtausübung eben von derZahl der Männer in der Familie abhing (Psalm 127, 3-5):

    „Siehe, Söhne sind eine Gabe des Herrn,sein Lohn ist die Frucht des Leibes.Wie Pfeile in der Hand des Helden,so sind Söhne gezeugt in der Jugend Kraft.Wohl dem Manne, der seinen Köcher mit ihnen gefüllt hat.“

    Sterne und Sand, beides Symbole großer Zahlen, kehren daherals Motive der Fruchtbarkeit in den biblischen Erzählungen

    immer wieder. Segen wie der über Rebekka – „oh unsereSchwester, werde du zu ungezählten Tausenden“ (Genesis 24,60) – oder der über Abraham gesprochene – „so will ich dichzu einem großen Volk machen“ (Genesis 12, 2) – werden mit beharrlicher Monotonie wiederholt. Sie entstammen der Über-zeugung, daß reichliche Nachkommenschaft das höchste Zielist. Frauen werden daher im Alten Testament oft mit Brunnen

    oder Wasserquellen verglichen. Es war ihre Aufgabe, denDurst des Mannes nach sexueller Befriedigung und Nach-kommenschaft zu stillen.

    Wie sehr die Institution Ehe auf den Mann und auf Kinder-reichtum zugeschnitten war, zeigt sich schließlich darin, daß

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    ein Mann mehr als eine Frau haben konnte. Es war ein Zei-chen von Reichtum, sich viele Frauen leisten zu können; vieleFrauen konnten sich zudem die Arbeit teilen, die in dem riesi-gen Haushalt anfiel.

    Aufgrund der großen Zahl der Nachkommen, die sich ausder Vielweiberei ergab, war es möglich und üblich, daß Ehenunter nahen Verwandten wie zwischen Onkel und Nichteoder Neffe und Tante und überwiegend zwischen Vettern undCousinen geschlossen wurden. Derartige Heiratspraktikenförderten den Zusammenhalt der Großfamilie, deren Erhaltund Sicherheit im Interesse aller lag. Das Familienoberhaupt

    konnte sich die Loyalität seiner männlichen Verwandten si-chern, indem er ihnen seine Töchter als Ehefrauen gab.

    Was dagegen bei Ehen mit fremden Frauen herauskommenkonnte, machten Erzählungen wie diejenige von Samson deut-lich, für die Zeitgenossen zugleich ein ganz allgemein war-nendes Beispiel für die Abhängigkeit eines Mannes von einerFrau. Als Samson eine Philisterin heiraten wollte, brachten

    seine Eltern ihren Unwillen mit dem Standardargument allerZeiten zum Ausdruck (Richter 14, 3): „Gibt es denn unterden Töchtern deiner Brüder und in unserem ganzen Volk kei-ne Frau?“

    Die Sorge um Nachkommen, um eine große Nachkommen-schaft, führte zu einer ungemein starken Betonung der Sexua-lität als Mittel der Fortpflanzung. Jedes Sexualverhalten, das

    diesem Ziel nicht diente, wurde verurteilt. Die Konzentrationauf Fruchtbarkeit und Vermehrung führte zu einer strengenReglementierung des Geschlechtslebens, um den Segen Gottesfür die Nachkommenschaft nicht zu verscherzen. Man glaubte,daß sexuelle Verfehlungen die Fruchtbarkeit des Volkes odereiner ganzen Stadt gefährdeten. Es war vor allem der Ehe- bruch, der als eine solche Gefährdung angesehen wurde.

    Einen Einblick in die Mentalität dieses Sexualverhaltensvermittelt die Erzählung von Isaak und seiner schönen FrauRebekka während ihrer Anwesenheit in einer fremden Stadt.Aus Angst um sein eigenes Leben – nicht etwa um dasjenigeseiner Frau – gab Isaak Rebekka als seine Schwester aus. Soll-

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    te jemand aus der Stadt, in die sie gerade kamen, Rebekka be-gehren, wäre dies ohne Konsequenzen für Isaak geblieben.Hätte dasselbe Begehren jemanden erfaßt mit dem Wissen,Rebekka sei Isaaks Frau, hätte er zunächst Isaak getötet, um

    Rebekka ohne Konsequenzen vergewaltigen zu können. Alsnämlich herauskam, daß Isaak und Rebekka Mann und Frauwaren, warf der Stadtkönig dem Hebräer vor (Genesis 26,10): „Was hast du uns angetan! Wie leicht hätte einer aus demVolk mit deiner Frau schlafen können, und du hättest dannSchuld über uns gebracht.“ Reisende zu töten, um derenschöne Frauen zu besitzen: Das mußte jeder mit sich selbst

    ausmachen, ob er dies riskieren wollte. Ehebruch jedoch trafdie gesamte Gemeinschaft.

    Die Zeit zwischen der Landnahme und der Begründung derhebräischen Monarchien war also durch ein Gesellschaftssy-stem geprägt, das durch die Sippenordnung bestimmt war. Nach der Seßhaftwerdung siedelten Familien und Sippenver- bände in räumlicher Nähe, so daß der Zusammenhalt beste-

    hen blieb. Aus den Familienoberhäuptern, den Patriarchen,wurden die Ältesten, die Konflikte und Entscheidungen derSippen in gemeinsamen Beratungen lösten. Eine derartige Ge-sellschaftsordnung konnte auch nach der Seßhaftwerdunglange Zeit stabil bleiben.

    Es gab zweifellos Besitzunterschiede zwischen einzelnenFamilien und Sippen, aber die Spannbreite der sozialen Skala

     blieb doch einigermaßen gering. Da der Schutz der Gemein-schaft wie des einzelnen von dem Zusammenhalt aller abhing,konnte kaum ein Mitglied allzu weit über seine Standesgenos-sen hinauswachsen. Es war sicherlich weitaus eher ein Gleich-heitsbewußtsein als tatsächliche Gleichheit, was diese Gesell-schaft prägte. Dieses Bewußtsein blieb lange in der Erinnerung,zumal es durch eine Fülle von Erzählungen aus der ,guten al-

    ten (Früh-)Zeit’ wachgehalten wurde. Gerade Geschichten voneiner gerechten Weltordnung haben eine lange utopische Tra-dition. Bei den Hebräern wurden sie weitergegeben in Erzäh-lungen einer Frühzeit, die ohnehin durch die Verknüpfung mitden Sagengestalten der Patriarchen normgebende Kraft hatten.

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    Zumindest in zwei historisch wichtigen Augenblicken be-stimmte dieses Gleichheitsbewußtsein die Geschichte der He- bräer. Dies war zu Beginn der Monarchien, als es den Wider-stand gegen eine Staatsform prägte, die dem Wesen der Sippen

    fremd war. Und es geschah gegen Ende des Staates Juda, alsdie Propheten die Hoffnung auf eine bessere Welt ohne dasKönigtum aus eben jener Vorkönigszeit schöpften.

    Auf diese Weise entstanden die Erzählungen und die Men-talitäten von freien Männern, die Entscheidungen gemeinsamtrafen, in Ehrfurcht gegenüber einem Gott, aber ohne eineübergeordnete irdische Instanz. Es gab Reiche und Arme, aber

    auch der Reichtum konnte nur auf dem Hintergrund der Soli-dargemeinschaft entstehen, blieb somit in gewisser Weise dochder Kontrolle der Gemeinschaft unterworfen. Für außerordent-liche Situationen, vor allem außerordentliche Bedrohungen, be-nötigte man Rettergestalten, Männer, deren Kraft, Mut oderBegabung außergewöhnlich waren. Dafür erhielten solcheRetter unbedingten Gehorsam für die Zeit des militärischen

    Unternehmens und darüber hinaus außergewöhnliche Ehren:Ihre Taten gingen in das Gedächtnis des Volkes ein. AberMacht über den Tag hinaus, gar institutionalisierte Gewalt,dies wollte man ihnen nur so lange zubilligen, bis die Gefahrvorüber war.

    Doch mit Bravourstücken wie denjenigen eines Ehud oderGideon konnte an der Wende vom 11. zum 10. Jahrhundert

    die Bedrohung, die von den Philistern ausging, nicht mehrgemeistert werden. Als deren Übergriffe in die Welt der He- bräer zu einem Dauerproblem wurden, verlangte dies nach ei-ner dauerhaften Lösung. Man mußte, wollte man unabhängig bleiben, die Philister mit eigenen Waffen schlagen, militärischund institutionell. Die Hebräer benötigten eigene, gut ausge-rüstete Soldaten und eine dauerhafte Heerführung. In dieser

    Situation bildete die Wahl eines Königs den letzten Ausweg.Die Hebräer entschieden sich für eine Herrschaftsform, wiesie in ihrer Umgebung gang und gäbe war.

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    4. David und Salomo

    David

    Keine andere Person der hebräischen Monarchien steht derartim Zentrum zahlloser Erzählungen des Alten Testaments wieDavid. Dennoch wissen wir nur wenig über jenen Mann, derdie hebräischen Königreiche Juda und Israel schuf, sie in sei-ner Person vereinigte und für einen Wimpernschlag der Hi-storie Weltgeschichte machte, als die Großreiche des VorderenOrients aus unterschiedlichen Gründen das Gebiet Palästinas

    sich selbst überließen.David stammte aus Bethlehem; dies scheint historisch ver- bürgt. Ins Zentrum jüdischer und damit auch christlicher Ge-schichte rückte dieses Landstädtchen der Prophet Micha, deres als Geburtsort des kommenden Messias bezeichnete (Micha5, 1-3). David trat in das Heer Sauls ein, wurde dort Führereiner eigenen Gruppe und war erfolgreich. Da derartige

    ,Heere’ sich vor allem aus Leuten rekrutierten, die außerhalbder Gesellschaft standen, lebten sie davon, Beute zu machen.Manches hing dabei von dem Anführer ab, seiner Klugheit,Kaltschnäuzigkeit, Gefühllosigkeit. David scheint ein charis-matischer Führer gewesen zu sein, dem man zutraute, Saulablösen zu können. Was sich zwischen Saul und David abge-spielt hat, können wir den Quellen nicht mehr entnehmen.

    Wichtig war allerdings, daß David an der entscheidendenAuseinandersetzung Sauls gegen die Philister nicht teilnahm,was ihm immerhin das Odium des Verlierers ersparte.

    Die Truppen, die David um sich scharte, allesamt Gesetzlo-se wie er selbst, lebten mit ihren Familien, wie betont wird,von Beute. Um das Auskommen auf Dauer zu sichern undnicht beständig von der Hand in den Mund leben zu müssen,

    verlegte sich David auf ein Verfahren, daß man heute alsSchutzgelderpressung bezeichnen würde. Die Bande schützteBauern vor Überfällen wie beispielsweise denjenigen der Mi-dianiter (S. 20). So weit, so gut; doch wenn es keine Bedro-hung gab? Dann schützte David eben die Bauern davor, daß

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    er sie nicht überfiel. Die Geschichte von David und Abigail,die in vielfältiger Weise programmatischen Charakter hat,macht das Verfahren anschaulich (1. Samuel 25).

    David hatte mit seiner Truppe nach eigenen Angaben den

    Schutz der Herden eines reichen Viehzüchters namens Nabalgarantiert. Zur Zeit der Schafschur verlangte er von ihm einenBeitrag zum Unterhalt ebendieser Truppen. Dabei war die Nötigung in den Worten Davids unüberhörbar. Als Nabal sichnämlich nicht bereit zeigte, die Abgaben freiwillig zu leisten,wollte David sie sich mit Gewalt holen; durch den Schutz, dener geboten hatte, sah er dies als gerechtfertigt an, ob der Be-

    schützte dies nun zugestand oder nicht. David erhielt schließ-lich die von ihm geforderten Lebensmittel, weil Abigail dieBedrohung für das Lebens ihres Mannes Nabal erkannte.

    David schuf sich auf diese Weise eine ihm ergebene und mi-litärisch erfahrene Truppe, für deren Einsatz als Söldner sichauch bald ein ,Kunde’ interessierte. Man trat in die Dienstedes Stadtkönigs von Gath und erhielt den Ort Ziklag zuge-

    wiesen mit der Verpflichtung, bei Bedarf Heeresfolge zu lei-sten. Ein gewisses Mißtrauen gegenüber dem Hebräer bliebaber offenbar bestehen, so daß die Philister David nicht gegenSaul aufboten, als sie dessen Heer bei Aphek aufrieben (S. 23).

    David hatte sich zwischen alle Stühle gesetzt, doch solltesich dies als Glücksfall erweisen. Als in Juda der Wunsch im-mer drängender wurde, eine dauerhafte Beseitigung der Phili-

    stergefahr zu erreichen, war man bereit, auf ein ,Führungs-modell’ zurückzugreifen, wie es bei den benachbarten Kanaa-näern und vor allem eben bei den Philistern längst existierte:Verdankten diese doch ihre Erfolge nicht zuletzt ihren Heerenunter dem Befehl starker Könige. David verfügte über solchein Heer, und so wurde er um das Jahr 1000 von den inHebron agierenden Ältesten zum König von Juda bestimmt.

    Von nun an liest sich Davids Leben zunächst als Erfolgsge-schichte ohnegleichen. Dem König von Juda fiel nach einigenJahren und intensiven diplomatischen Vorarbeiten auch dieHerrschaft über die nördlichen Stämme zu. Dies war der An-fang des Staates Israel, dessen späteres Territorium es aber

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    teilweise noch zu erobern galt. David war König von Judaund König von Israel, einer Doppelmonarchie. Die Einigungunter dem ,fremden’ König war für die Vertreter der nördli-chen Stämme, die David das Amt in Hebron antrugen, der

    letzte und auch verzweifelte Versuch, der Bedrückung durchdie Philister Herr zu werden. Daß man diesen Schritt nichtleichten Herzens tat, ist verständlich, daß man sich dafür so-gar nach Hebron begab, verdeutlicht den Akt der Verzweif-lung.

    Für David bedeutete das Amt einen gewaltigen Zuwachs anMachtmitteln und zugleich eine enorme Herausforderung.

    Zunächst bemühte er sich um eine neue Hauptstadt, die nie-mandem geschuldet, sondern aufgrund eigener Leistungenerworben war: Jerusalem. David griff den Ort an, der als un-einnehmbar galt. Spottend hielt man dem König entgegen(2. Samuel 5, 6): „Hier dringst du nicht ein, sondern die Blin-den und Lahmen werden dich fernhalten!“ David eroberte dieStadt und schuf sich eine Residenz, die für das neue Reich

    weitaus zentraler lag als Hebron. Gleichzeitig konnte er diestrategischen Möglichkeiten dieser Bergfeste nutzen.

    Unmittelbar danach stand die Nagelprobe für die noch jun-ge Monarchie an. Ihr Ziel war, für alle Gebiete die Unabhän-gigkeit von den Philistern zu erreichen. Und auch die Philisterahnten wohl, daß es nun um die Kontrolle der hebräischenTerritorien ging. Zweimal rückten sie auf unterschiedlichen

    Routen gegen Jerusalem vor und wurden geschlagen; dannzogen sie sich auf die eigenen Gebiete zurück. David seiner-seits gab sich mit dieser Entwicklung zufrieden und griff diePhilisterstädte nicht an. Offensichtlich gab es längst wiederägyptische Ansprüche auf die Küstenebene, und die Ägypterkonnte und wollte David gewiß nicht herausfordern.

    Stattdessen orientierte er sich nach Norden und Osten. Als

    die Ammoniter einen Krieg vom Zaun brachen, beendete Da-vid die Selbständigkeit dieses Königreichs und setzte sich inRabbath-Ammon auch dessen Krone auf. Die Moabiter wur-den in einer Feldschlacht besiegt, in deren Verlauf David zweiDrittel des gegnerischen Heeres töten ließ, eine Maßnahme,

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    Die Eroberungen Davids

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    die ihm auf Jahre hin ,Ruhe’ verschaffte (2. Samuel 8, 1-2).Der einheimische Herrscher blieb als Vasall auf dem Thron.Wenig später eroberte David auch Edom, das er durch einenStatthalter verwalten ließ. Eine erhebliche Erweiterung des

    Landes erbrachten Eroberungen gegenüber den Aramäern.Über das unmittelbar um Damaskus gelegene Gebiet setzteDavid einen Statthalter ein, bei anderen Territorien begnügteer sich mit einer losen Kontrolle und Tributzahlungen.

    Damit herrschte David, wie es in der wie immer über-treibenden politischen Terminologie hieß, von der ägyptischenGrenze bis nahe an den Euphrat (1. Könige 5, 1). Den nörd-

    lichsten und südlichsten Punkt des hebräischen Siedlungs-gebietes bezeichnet das Alte Testament mit der Wendung„von Dan bis Beer-Seba“ (2. Samuel 17, 11), Orte, die inder Luftlinie 240 km voneinander entfernt sind. Die Ge-samtfläche des von beiden Monarchien kontrollierten Ge- bietes umfaßte zum Zeitpunkt der größten Ausdehnung26 000 Quadratkilometer – etwas größer als Hessen – mit et-

    wa 500 Dörfern und Städten. Nie wieder sollte ein hebräi-scher König in ähnlichen Dimensionen handeln können. Da-vid blieb das unerreichte Wunschbild der Hebräer nach ihm, bis seine Person schließlich mit messianischen Vorstellungenverschmolz.

    Soweit Davids Erfolgsbericht. Daß seine Geschichte auchSchattenseiten hatte, fällt dem späteren Betrachter leichter

    festzustellen als den Zeitgenossen. Es sollte eine Rolle spielen,daß Davids Reich allein durch ihn zusammengehalten wurde;somit stand und fiel das Länderkonglomerat mit seinerPerson. Das zunächst beständig wachsende Reich besaß durchBeute und Tribute auch ständig wachsende Einnahmen. Sieermöglichten ein immer größer werdendes Heer, um die Er-oberungen zu halten, und einen stetig wachsenden Beamten-

    apparat, um alles zu organisieren und zu verwalten. Beamtemit Verwaltungserfahrung und Soldaten kamen zunächst ausden kanaanäischen Gebieten der Doppelmonarchie, vor allemaus Israel, wo die Bevölkerungsanteile zwischen Hebräernund Kanaanäern sich die Waage gehalten haben dürften.

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    Solange das Reich expandierte, mögen die Eroberungen dieKosten eingebracht haben, aber bald galt es, die Finanzierungdes Apparates auf eine dauerhaft stabile Grundlage zu stellen.Hier zeigten sich rasch Probleme. Die Monarchie war ge-

    zwungen, auf die Ressourcen des Landes zurückzugreifen unddamit in die Strukturen der Stämme, der Sippen und derFamilien einzugreifen. Hier entzündete sich auch rasch erheb-licher Unwille, wie er sich in Pamphleten dokumentiert, diedas Alte Testament bewahrt hat. Ohne weitere Erklärung ver-steht man die Geschichte von den Bäumen, die sich einenKönig wählen (Richter 9, 7-15): Eines Tages kamen die Bäume

    zusammen, um sich einen König zu wählen. Zunächst trugensie das Amt dem Ölbaum an. Dem Ölbaum als einem beson-ders nützlichen Baum kam in der Antike hohe Bedeutung zu,denn er versorgte die Menschen mit dem bis heute geschätztenÖl zur Speise, aber auch zur Reinigung und zu Beleuchtungs-zwecken. In der Geschichte aber lehnt der Ölbaum das Amtab. Als nächster Kandidat wird der Feigenbaum vorgeschla-

    gen, der den Menschen süße Früchte liefert. Auch er lehnt ab.Dritter Kandidat ist der Weinstock. Wein, mit Wasser ver-mischt, war das wichtigste Getränk der Antike. Aber auchdieser Baum weist das ihm angebotene Amt zurück. So fälltdie Wahl schließlich auf den Dornbusch, und er nimmt dieWahl an. Von dem Dornbusch ist nichts Nützliches für denMenschen zu berichten, und dennoch wird der Dornbusch

    König der Bäume. König wird also ein nutzloser Baum. DerDornbusch ist unbrauchbar, er spendet weder Schatten, nochträgt er Früchte, er taugt nichts. Dieser Dornbusch ist König,das heißt der König ist wie der Dornbusch: Er taugt nichts.

    Ein anderes Dokument stellt dagegen die verheerendenFolgen der Monarchie für die Wirtschafts- und Gesellschafts-ordnung pointiert heraus (1. Samuel 8, 11-17): „Eure Söhne

    nimmt er (der König) weg, ... um sie für sich als Offiziere übertausend und über fünfzig (Mann) einzusetzen, und um seinPflugland zu pflügen und um seine Ernte zu ernten, und umseine Kriegsgeräte und seine Wagengeräte herzustellen. Undeure Töchter nimmt er weg als Salbenmischerinnen und als

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    Köchinnen und als Bäckerinnen. Und eure besten Äcker, Wein- berge und Ölbaumpflanzungen nimmt er weg und gibt sie sei-nen Beamten ... Und eure besten Sklaven und Sklavinnen undJünglinge und eure schönsten Rinder und eure Esel nimmt er

    weg und setzt sie für sein Werk ein. Euer Kleinvieh belegt ermit dem Zehnten, und ihr selbst müßt ihm Sklaven sein.“

    Die Politik Davids brachte offenbar nicht nur die Wohlha- benden, sondern auch weitere Bevölkerungskreise gegen ihnauf. Dies zeigte sich an einem anderen Problem seiner Herr-schaft. Für Hebräer hatte es schon immer als Zeichen für ho-hen sozialen Status gegolten, sich viele Frauen leisten zu kön-

    nen. Auch David hatte die Möglichkeiten genutzt und sich imLaufe der Zeit einen riesigen Harem zugelegt. Viele Frauen bedeuteten eine reiche Nachkommenschaft, doch die Monar-chie – wie fast überall eine Erbmonarchie – erforderte nur ei-nen einzigen Nachfolger. Wer dies sein sollte, mußte David bestimmen, und er ließ sich Zeit – zuviel Zeit jedenfalls in denAugen seines Erstgeborenen Absalom, der eines Tages die

    Gelegenheit zur Herrschaftsübernahme für gekommen hielt.In der Geschichte seines Aufstands vermischen sich ganz

     persönliche Motive mit innenpolitischen und systembedingtenSchwierigkeiten zu einem nicht mehr entwirrbaren Knäuel.Absalom sammelte jene, die mit David unzufrieden waren,und ließ sich in Hebron – unter Berufung auf die guten altenZeiten – zum König ausrufen. David wurde von den Ereignis-

    sen überrascht und verließ fluchtartig Jerusalem. Dort ergriffAbsalom auf klassische’ Weise Besitz von der Hinterlassen-schaft seines Vaters, indem er mit den Frauen, die dieser zu-rückgelassen hatte, öffentlich die Ehe vollzog (2. Samuel 16,22): „Da schlug man dem Absalom das (Hochzeits-)Zelt aufdem Dach auf, und Absalom kam zu den Frauen seines Vatersvor den Augen von ganz Israel.“

    Dies war allerdings Absaloms letzter Erfolg. Davids Söld-ner, die ihm treu geblieben waren, schlugen das BauernheerAbsaloms, er selbst wurde auf der Flucht getötet. In den an-schließenden Verhandlungen mit den Ältesten Judas scheintes zu einer Lösung hinsichtlich der eben beschriebenen wirt-

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    schaftlichen Probleme gekommen zu sein. Offensichtlich legteDavid nun Israel höhere Steuern und Dienstleistungen auf,was dort prompt zum nächsten Aufstand führte.

    Diese neuerliche Revolte gegen David stand unter einer be-

    zeichnenden Parole (1. Samuel 20, 1): „Wir haben keinen Teilan David! ... Ein jeder zu seinem Zelt, Israel!“ Israel kündigteDavid die Gefolgschaft, wollte die Doppelmonarchie beenden. Noch einmal siegten Davids Truppen und beseitigten den An-führer der Bewegung; doch längst war der Keil wieder zwi-schen die beiden Reiche getrieben.

    Davids letzte Lebenszeit war trotz der wärmenden Nähe

    der jungen Abisaig nicht ungetrübt. Noch einmal erschütterteeine militärische Auseinandersetzung zweier Söhne das Reich.Erst als sich Salomo mit Hilfe der Söldner und der Leibwachedurchsetzte, war David endlich bereit, ihn öffentlich als Nach-folger zu proklamieren. Damit war die Doppelmonarchienochmals für eine Generation gesichert.

    Salomo

    „Schauet die Lilien ... Selbst Salomo in all seiner Pracht warnicht besser gekleidet als sie!“ (Lukas 12, 27) Dieser Jesus zu-geschriebene Vergleich zeigt exemplarisch das Bild, das sichdie Nachwelt von Salomo (um 965-932) machte: Sein Nameist mit höfischer Lebensart, Kultur, Weisheit und auch mit ei-

    ner Friedenszeit verbunden. Salomo erntete, was David er-arbeitet hatte. Diese Friedensphase scheint mehr gewesen zusein als militärische Unfähigkeit oder Zufall, sondern einProgramm. Salomo, was soviel wie Friede bedeutet, war derThronname des ursprünglich Jedidja genannten Herrschers.Friede war ein Programm, das sicherlich vor allem nach Innengerichtet war. Salomo versprach dem durch Aufstände und

     Nachfolgekämpfe zerrütteten Land Ruhe und Sicherheit.Bevor das Programm aber überhaupt in die Tat umgesetzt

    wurde, führte Salomo eine Säuberungsaktion durch, die eini-gen seiner eigenen Brüder und manchen alten GefolgsmannDavids das Leben oder zumindest das Hofamt kostete. Nach

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    dieser letzten Mordserie seines Lebens war, wie es das AlteTestament in seinem oft gnadenlosen Realismus formuliert,„das Königtum fest in Salomos Hand“ (1. Könige 2, 46). Wieein Jahrtausend nach ihm dem ,Henker’ Augustus (27 v.-14

    n.Chr.) blieben auch Salomo etliche Jahrzehnte, um die düste-ren Jahre des Anfangs vergessen zu machen; darin war erweitgehend erfolgreich.

    Friede, dieses Programm bedeutete sicherlich auch eine finan-zielle Entlastung durch Reduzierung des militärischen, sprichaußenpolitischen Engagements. Dies machte Mittel für denAusbau des Hofes sowie für Baumaßnahmen frei, hatte aber zur

    Folge, daß rasch einzelne Territorien des davidischen Staats-gebildes verloren gingen. In Edom gelang es oppositionellenKräften, Teile des Landes wieder aus der Abhängigkeit derDoppelmonarchie zu lösen. In Damaskus riß ein gewisser Ra-san mit einer Soldateska, dem einstmaligen Vorgehen Davidsnicht unähnlich, die Herrschaft über die Stadt an sich. Rasch begründete er ein neues aramäisches Königtum und brachte

    das gesamte nördliche Ostjordanland unter seine Kontrolle.Für die Regierung Salomos gelang dennoch vor allem auf di-

     plomatischem Wege die weitgehende Wahrung des Besitzstan-des. Durch Heiraten, dem diplomatischen Mittel jener Tage,kamen Kontakte zustande, welche die politische Struktur stabilhielten und den Harem des Königs füllten. Jene ausländischenFrauen brachten neben einer Vielzahl von Personal meist auch

    die eigenen Götter mit, die das Spektrum kultischer Vielfalt inJerusalem erheblich erweiterten. In welchem Maße Diplomatiedamals auch mit dem Austausch von Gesandtschaften zu tunhatte, bezeugt das Alte Testament durch seine farbenprächtigeSchilderung des Besuchs der Königin von Saba.

    Wie sehr Diplomatie allerdings auch durch die dahinterstehende Machtpolitik diktiert wurde, sollte sich an den Be-

    ziehungen Salomos zur phönikischen Küstenstadt Tyros er-weisen. Hier war unter dem Herrscher Hiram (969-936) dieExpansion zur See bereits in vollem Gange. Die Kolonisations-tätigkeit schuf neue wirtschaftliche Möglichkeiten, die Hiramauch politisch auszunutzen verstand. Salomo trat an Hiram

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    die Küstenlandschaften von Akko bis Sidon ab; wie uns dasAlte Testament glauben machen will, geschah dies als Gegen-leistung für umfangreiche Materiallieferungen aus Tyros nachJerusalem (1. Könige 9, 10-11). Hier deutet sich bereits an,

    mit welch bescheidenen Machtmitteln die hebräischen Herr-scher aufgrund der wirtschaftlichen Möglichkeiten ihres Terri-toriums ausgestattet waren.

    Die allmähliche Auflösung des davidischen Besitzstandeswurde lange Zeit von den glanzvollen Errungenschaften derHofhaltung überlagert. Die vor allem außenpolitischen Akti-vitäten Davids hatten keine Zeit für ausgedehnte Baumaßnah-

    men gelassen, was sich nun ändern sollte. Manche Facettender hebräischen Monarchien waren bereits nach ägyptischenVorbildern gestaltet; diese Entwicklung setzte Salomo konti-nuierlich fort. Dies läßt sich beispielsweise an der Weisheitsli-teratur aufzeigen, die nun in Jerusalem Einzug hielt (1. Könige5, 10-13):

    „Die Weisheit Salomos war größer als die Weisheit aller

    Söhne des Ostens und alle Weisheit Ägyptens. Er war weiser alsalle Menschen ... und er war berühmt bei allen Völkern rings-um. Und er dichtete 3 000 Sprüche, und es gab von ihm 1 005Lieder. Er redete über die Bäume, von der Zeder auf dem Liba-non bis zum Ysop, der aus der Mauer wächst. Und er redeteüber die Landtiere, die Vögel, die Kriechtiere und die Fische.“

    Bei der hier beschriebenen Weisheit handelt es sich um un-

    ter anderem aus Ägypten bekannte und von dort übernom-mene Versuche, eine Enzyklopädie allen Wissens zu bieten.Ein entsprechendes Beispiel besitzen wir in dem um 1100 ent-standenen Onomastikon des Amenope, dessen Ziel im Titelausgedrückt ist: „Belehrung ... über alles, was da ist, was (derGott) Ptah geschaffen und (der Gott) Thot aufgezeichnet hat,über den Himmel mit seinem Zubehör, über die Erde und was

    in ihr ist, was die Berge ausspeien und was die Flut bewässert,an allen Dingen, die (der Gott) Ra (die Sonne) bescheint, undallem, was auf der Erde grünt.“ Nach dieser Überschrift folgteine Aufzählung von Erscheinungsformen des Himmels, desWassers und der Erde, der göttlichen und königlichen Per-

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    sonen, von Höflingen und Beamten, Berufen und Gruppen,Ständen und Menschentypen in Ägypten und im Ausland.Ferner werden Angaben über Städte sowie Gebäude und ihreGrundrisse, Ländereien, Getreidearten und die aus ihnen ge-

    wonnenen Produkte, Speisen und Getränke, Körperteile desRindes und Fleischsorten aneinandergereiht. Solche Listennannte man ,Lehre’, weil sie über die Welt sowie das Leben belehrten, indem sie eine Ordnung in die Vielfalt der Erschei-nungsformen brachten.

    Eine derartige Listenweisheit hat auch Salomo an seinemHof angeregt. Die eben angeführten Texte lassen darauf schlie-

    ßen, daß in Jerusalem derartige Enzyklopädien mit 1005 und3 000 Stichwörtern existierten. Für den kurzen Zeitraum dersalomonischen Herrschaft öffnete der König sein Reich denWissenschaften, deren Einfluß sich nach dem Auseinanderfal-len der beiden Monarchien allerdings rasch wieder verlor.

    Die Chronisten des Alten Testaments berauschten sich inihren Erzählungen vor allem an der Bautätigkeit Salomos.

    Sicher ist, daß er Jerusalem nicht nur erstmals das Erschei-nungsbild einer Hauptstadt verliehen hat, sondern darüberhinaus auch wichtige Verteidigungszentren schuf. So sicherteer beispielsweise den Negeb im Süden durch Festungs- undVerwaltungsbauten wie in Kadesch, Beer-Seba und Arad.

    Doch vor allem war es Jerusalem, dessen Gesicht Salomodurch seine Bauten prägte. Er erweiterte die Stadt, die er mit

    hohen Ringmauern sowie Befestigungsanlagen umgab. Vonden meisten Gebäuden sind nur die Namen überliefert, dasich die späteren Beschreibungen auf die Palastanlage konzen-trierten, zu der auch der Tempel gehörte. Dieser Komplex istim Laufe von dreizehn Jahren durch phönikische Baumeistererrichtet worden, deren Spezialkenntnisse in der Region un-übertroffen waren.

    Wie in anderen orientalischen Palästen gruppierten sich diezentralen Gebäude um zwei Höfe. An einem äußeren lag dasZeughaus, das als Schatzhaus und Waffenlager diente. Es trugseinen Namen ,Libanonwald-Haus’ nach den Säulen und Bal-ken, die aus dem von dort stammenden Zedernholz gezim-

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    mert waren. Hier befand sich auch die der Öffentlichkeit zu-gängliche Versammlungshalle. Ferner gab es den Thronsaal,wo Salomo, gleichfalls gelegentlich öffentlich, Gericht hieltund seine sprichwörtlich gewordenen Urteile fällte. Um einen

    inneren Hof schlössen sich die privaten Wohnräume des Kö-nigs, seines Harems und der zahlreichen Bediensteten an.

    Am besten bekannt ist die Tempelanlage, die das Alte Te-stament detailliert beschreibt (1. Könige 6; 7, 13-51). Sie be-stand aus Vorhalle, Halle und Allerheiligstem. War auch derBau verglichen mit anderen großen Heiligtümern des AltenOrients bescheiden, so übertraf er doch für die hebräischen

    Monarchien alles Dagewesene, zumal man sonst nur kleineHöhenheiligtümer kannte. Der Tempel beeindruckte dagegendurch seine erlesene Ausstattung und den prachtvollen Kult.

    Die Leistungen Salomos erregten das Staunen seiner Zeit-genossen – dies ist noch durch die Texte des Alten Testamentshindurch spürbar: die beeindruckende Masse der Streitwagen,der märchenhafte Prunk des Hofes, die erlesenen Luxusgüter,

    die mitunter bizarren diplomatischen Gäste, die Qualität derBaumaterialien, das mit Sammeleifer zusammengetragene en-zyklopädische Wissen. Von all dem erzählte man sich draußenim Lande, doch in das Staunen mischte sich auch das Befrem-den. Was sich dort im fernen Jerusalem entwickelte, wardurch Abgaben und Dienstleistungen der Bauern erkauft, dieoft genug ihren König nie zu Gesicht bekommen hatten.

    Seitdem Salomo den Heerbann nicht mehr nötig und dahernicht mehr einberufen hatte, war die einzige Kontaktmöglich-keit der Bauern und Hirten mit dem Herrscher als letzter Rest persönlicher Fühlungnahme entfallen. In die Erzählungen vomgroßen König in Jerusalem mischten sich auch jene von Ehud,Gideon und anderen, die zwar große Leistungen vollbracht,aber ihre Zeitgenossen nicht ausgebeutet hatten. Bei allen Er-

    zählungen und Gesprächen an den Herdfeuern oder Versamm-lungsstätten stand – vor allem in Israel – ausgesprochen oderunausgesprochen eine alte Parole im Raum: ,Wir haben kei-nen Teil an Salomo!’ (S. 36)

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    ge auf seine Chance warten müssen; er war über vierzig Jahrealt, als er den Thron bestieg. Die Thronfolge im StadtstaatJerusalem und in Juda verlief ohne Zwischenfälle. Mit Israelaber galt es zu verhandeln, da der Tod Salomos die Geschäfts-

    grundlage für die dortige Monarchie beendet hatte. Rehabe-ams Verhandlungen zeigen jene Mischung von Zaudern undübertriebener Härte, die meist Ausdruck der Schwäche ist.Schwäche verriet er bereits dadurch, daß er selbst nach Si-chern, also nach Israel, zog. Die Forderung der Ältesten Israelsfaßt das Alte Testament treffend in einem Satz zusammen(1. Könige 12, 4): „Dein Vater hat uns ein hartes Joch aufer-

    legt; erleichtere du uns nun den harten Dienst deines Vatersund das schwere Joch, das er uns auferlegt hat, so wollen wirdir Untertan sein.“ Die Forderungen an Rehabeam warenklar: Der von Salomo ausgestaltete Verwaltungsbetrieb mitseinen Steuern und Dienstleistungen sollte, wenn nicht abge-schafft, so doch wenigstens eingeschränkt werden.

    Erneut war es eher ein Zeichen von Schwäche, daß Reha-

     beam sich Bedenkzeit ausbat. Was galt es zu bedenken? DieForderungen der Israeliten dürften jedem klar gewesen sein.Rehabeam hätte also ein Konzept haben sollen, als er mit ihnenverhandelte. Stattdessen wurde die Strategie erst in Sichernerarbeitet, und die Diskussion, die nun im Beraterstab des judäischen Königs begann, war Teil jenes menschheitsge-schichtlichen Konfliktes zwischen Jung und Alt. Die älteren

    Beamten, mit den Problemen Israels vertraut, rieten zum Nachgeben. Die jüngeren plädierten für unnachgiebige Härte.Sie waren am Hof in einer Atmosphäre des Gehorsams großgeworden, die Beratungen und Verhandlungen nicht vorsah.Das Ergebnis, das Rehabeam der Gegenseite mitteilte, warebenso klar wie deren Forderungen (1. Könige 12, 14): „Wenneuch mein Vater ein schweres Joch auferlegt hat, will ich es

    euch noch schwerer machen. Wenn euch mein Vater mit Peit-schen gezüchtigt hat, so will ich euch mit Skorpionen züchti-gen.“ Damit waren die Forderungen nach Reduzierung derAbgaben sowie der Dienstleistungen durch die Beispiele Jochund Peitsche beantwortet. Als Reaktion auf dieses ,Regie-

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    rungsprogramm’ erscholl die alte Parole aus der Zeit Davids(1. Könige 12, 16): „Auf Israel, zu deinen Zelten!“ Damit wardie Doppelmonarchie beendet, die Tünche davidisch-salomo-nischer Gemeinsamkeit weggewischt; die alten Ressentiments

    des Nordens gegenüber dem Süden und umgekehrt brachensich erneut Bahn.

    Für Israel stellte sich nun die Frage nach der staatlichenOrganisation. Diese konnte unter den Bedingungen der Zeitkeine andere mehr sein als die einer Monarchie, selbst wennman gegen die entsprechende Staatsform des Südens revoltierthatte. Mit Jerobeam (932-911) fand sich rasch der Mann, die

    Einigung des Nordens und den Kampf gegen Juda aufzuneh-men. Doch auch er mußte erkennen, wie groß die Differenzenselbst der nördlichen Stämme untereinander waren. Wenn-gleich sich Jerobeam, der unter Salomo eine Zeitlang als Mi-nister zuständig für die Frondienste in Israel gewesen war, aufStrukturen der Doppelmonarchie stützen konnte, so galt esdoch, ein Verwaltungs- wie Kultzentrum für den neuen Staat

    zu schaffen.Am Beispiel der Kultzentren lassen sich die Probleme des

    Landes erläutern. Als Ersatz für Jerusalem entstanden in Israelgleich zwei neue Kultorte, an der Süd- und Nordgrenze desReiches gelegen: Bethel und Dan. Jerobeam nahm damitRücksicht auf die alte Zweiteilung Israels durch den Städte-querriegel der Jesreel-Ebene. Bethel lag zudem an der alten

    Pilgerroute nach Jerusalem, so daß die dorthin aufbrechendenHebräer ein Stück weit bekannte Wege zurücklegen konnten.

    Die Wahl der Kultorte verdeutlicht, daß sie vor allem fürdie hebräischen Teile Israels gedacht waren, die etwa die Hälfteder Bevölkerung ausmachten. Wenn sich spätere alttesta-mentliche Autoren über die „Sünde Jerobeams“ echauffierten(1. Könige 16, 19), so war dies nicht nur ein geflügeltes Wort,

    sondern ein Anachronismus aus der Rückschau der Exilszeit.In Bethel und Dan standen goldene Stierbilder in den Aller-heiligsten der jeweiligen Tempel. Man konnte sich einen Gottvorstellen, der unsichtbar auf den Stieren thronte; der kana-anäische Sturmgott Hadad wurde auf einem Stier stehend ab-

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    gebildet. Man konnte aber auch naiv die Stiere selbst als Bil-der der Gottheit, als die Gottheit selbst ansehen.

    Waren damit wenigstens zwei anerkannte zentrale Kultortegeschaffen, so sollte es noch fast ein halbes Jahrhundert wäh-

    ren, bis Israel auch eine dauernde Hauptstadt erhielt. Stattdessen erlebte das Land nach dem Tod Jerobeams seinen er-sten Bürgerkrieg. Der Sohn des Ephraimiten Jerobeam, derKönig Nadab (911-910), wurde von dem Issachariten Baesaerschlagen, während der Herrscher die philistäische StadtGibbethon belagerte. Anschließend fegte Baesa das ganzeHaus Jerobeams weg, „wie man den Kot wegfegt“ (1. Könige

    14, 10), und bestieg selbst den Thron. Aus der langen Regie-rungszeit Baesas (910-887) ist außer den obligatorischenKriegen gegen Juda nichts bekannt. Der Versuch seines Nach-kommen, eine Dynastie zu gründen, scheiterte rasch. Bereitsein Jahr nach seiner Thronbesteigung wurde Baesas Sohn Ela(887-886) von Simri, einem Obersten der Streitwagen, er-schlagen. Simri (886) wandte das übliche Mittel an, um seine

    neue Stellung zu festigen: Er ließ Verwandte und Freunde destoten Königs umbringen.

    Seine ,Herrschaft’ währte allerdings nur eine Woche. Eswar ihm zwar gelungen, den Palast unter seine Kontrolle zu bringen, aber das Heer befand sich zum Zeitpunkt seines Put-sches in der Nähe von Gibbethon, das die Israeliten zum wie-derholten Mal belagerten. Es erkannte die ,Wahl’ des Palastes

    nicht an, sondern erhob den Feldhauptmann Omri zum neuenKönig. Bei der Belagerung durch Omris Heer fand Simri denTod. Es sollte allerdings noch vier Jahre dauern, ehe Omrisich endgültig durchsetzen konnte, wenngleich er die Jahreseiner Regierung ab 886 zählte. Mit Omri (886-875) und sei-nen Nachfolgern erhielt Israel die erste wirkliche Dynastieund eine Hauptstadt: Eine neue Epoche brach an.

    Omri

    Die Leistungen Omris für den Aufbau des israelitischen Staa-tes sind unumstritten. Selbst das Alte Testament, das Kübel

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    von Unflat über die Herrscher des Nordreiches ausschüttetund Omri keineswegs ausnimmt, gibt doch immerhin in ei-nem Nebensatz zu, „was sonst noch von Omri zu sagen ist,von allem, was er getan hat, und von seiner kriegerischen

    Tüchtigkeit“, sei in der – uns nicht mehr erhaltenen – Chro-nik der Könige von Israel nachzulesen (1. Könige 16,27).Welchen Eindruck das Auftreten dieses Herrschers in der Weltdes Alten Orients hinterlassen hat, davon zeugen Bezeichnun-gen wie das ,Haus Omri’ oder das ,Land Omris’ als Synony-me für Israel. Selbst als die Dynastie Omri ausgerottet war, jader Staat Israel nach 721 nicht mehr existierte, findet sich die

    Erwähnung vom ,Omriland’ in einer Inschrift des Assyrerkö-nigs Sargon II. aus dem Jahre 713 (T[exte] aus der U[mwelt]des A[lten] Testaments], hrsg. von Otto Kaiser, Gütersloh1983 ff. = TUAT1,4, 386).

    Omri verdankte seine Popularität bei Zeitgenossen und Nachwelt vor allem seinen militärischen Erfolgen, selbst wenndie Palette seiner Leistungen erheblich größer war. Im Zen-

    trum der kriegerischen Aktivitäten stand das Zurückdrängendes Aramäerstaates Damaskus. Bei diesem Unternehmen ver- band sich Omri unter anderem mit dem König Ittobaal vonTyros. Die diplomatischen und militärischen Absprachenwurden durch die üblichen Heiraten der jeweiligen Kinder be-festigt, wobei vor allem die Ehe des Omrisohnes Ahab mitIsebel von Tyros erwähnenswert ist. Weil das Alte Testament

    außer den oben erwähnten allgemeinen Bemerkungen keineAufschlüsse über Details der historischen Entwicklung bietet,muß man vor allem auf ein inschriftliches Zeugnis zurückgrei-fen, daß die Auseinandersetzungen Israels mit Moab be-schreibt. Es handelt sich um die Stele des MoabiterkönigsMesa. Omri war es gelungen, alten Ansprüchen aus der davi-dischen Zeit auf das wegen seiner Fruchtbarkeit berühmte

    Gebiet zwischen den Flüssen Jabbok und Arnon Geltung zuverschaffen. Moab führte an die Omriden Tribute ab, die vorallem aus Wolle bestanden. In der Sprache der Zeit charakte-risierte man die Beherrschung durch Omri als Bestrafung desVolkes durch den moabitischen Gott Kamasch (TGI 52):

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    „Omri war König über Israel und hatte Moab lange Zeit ge-demütigt, denn Kamasch war erzürnt über sein Land. Undsein Sohn (Ahab) folgte ihm, und auch er sprach: ,Ich werdeMoab demütigen.’ Noch in meinen Tagen sprach er so, aber

    ich (Mesa) sah meine Lust an ihm und seinem Hause.“ Erstlange nach dem Tod Ahabs konnte sich Moab um 840 vomDruck Israels befreien.

    Seit Omris Zeiten, als der König einen Ort für seinen Re-gierungssitz kaufte, besaß Israel eine Hauptstadt. In Anleh-nung an den Namen des Vorbesitzers Schemer nannte er dieneue Stadt Schomeron; der gebräuchliche Name Samaria geht

    auf eine von den Assyrern gebrauchte Namensform zurück.Die neue Hauptstadt lag im Vergleich zu allen bisherigen Re-sidenzen zentral und besaß gute Verkehrsbedingungen. Auchin strategischer Hinsicht erwies sich die Wahl als glücklich;der Stadtberg ließ sich gut verteidigen. Die Umgebung warfruchtbar und reich an Wasser – Samaria „eine prächtigeKrone über einem fetten Tal“ (Jesaja 28, 1).

    Archäologische Untersuchungen haben ergeben, daß Omriseine Residenz auf unbesiedeltem Boden errichtet hat. Sie wardamit im Wortsinn traditionslos und hätte sich für Omris Ver-such, einen Ausgleich zwischen Hebräern und Kanaanäernherbeizuführen, gut eignen können. Über die diesbezüglichenBemühungen berichtet das Alte Testament ausführlich, da inelementarer Hinsicht religiöse Belange berührt wurden.

    Die Bevölkerung Israels war von Anfang an gemischt ge-wesen. Einen Ansatzpunkt Omris, Hebräer und Kanaanäerzu einem Staatsvolk zu einen, bildete der Kult der Isebel vonTyros. Die Gemahlin Ahabs hatte den Staatsgott von Tyros,Melkart, mitsamt dem Kultpersonal, den sogenannten Baal-Propheten, nach Samaria gebracht. Dieser Baal-Kult konnteeingesetzt werden, um die lokalen kanaanäischen Baalgötter

    mit dem in der Hauptstadt verehrten Gott zu verbinden. DieVerehrung der Baalgötter blickte bei den Kanaanäern Israelsauf eine Jahrhunderte alte Tradition zurück. Im Zentrum desGemeinschaftskultes in Samaria stand ein goldenes Stierbild,wie Jerobeam es als Kultbild für die Hebräer eingerichtet hat-

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    te (S. 43). Es ist angesichts der Einseitigkeit der alttestament-lichen Schriften schwer zu entscheiden, ob und gegebenenfallswie erfolgreich Omri mit seiner Kultpolitik war. JahwistischeAbsolutheitsansprüche kamen wohl erst in einer Zeit auf, in

    der man keinerlei politische Rücksichten mehr zu nehmenhatte. Es ist denkbar, daß die Verkündigung der alle anderenGötter ausschließenden oder zumindest überragenden Exi-stenz Jahwes eine spätere Kompensation für politische Ohn-macht war (S. 81). Omri versuchte immerhin einen religions- politischen Balanceakt zwischen hebräischen und kanaanäi-schen Gottesvorstellungen auszuführen, was in der Sprache

    des Alten Testaments bedeutete, daß die Mehrheit der Bevöl-kerung in der Frage ,Baal oder Jahwe’ „auf beiden Seitenhinkte“ (1. Könige 18, 21).

    Mochte es der Person Omris als ,Gründergestalt’ noch ge-lungen sein, die angesprochene Balance zu halten, so scheintsich der Konflikt unter seinem Nachfolger Ahab (875-853)verschärft zu haben. Wie üblich in der antiken Historiogra-

     phie wird einer Frau die Verantwortung zugeschoben. Isebel,die Gemahlin Ahabs, habe die Dominanz des Baal-Kultes an-gestrebt. Sie habe Anhänger des Jahwe-Kultes ausrotten las-sen, heißt es. Einer der höchsten Staatsbeamten habe dagegenJahwe-Propheten in Höhlen versteckt und versorgen lassen.Mit welcher Brutalität die Auseinandersetzung schließlichausgetragen wurde, zeigt die Geschichte des Propheten Elia,

    die wohl in diesen Zusammenhang gehört: Er soll am Fußedes Berges Karmel eigenhändig Baal-Priester abgeschlachtethaben. Das Zusammenleben der beiden Bevölkerungsteile ge-staltete sich immer schwieriger, da keine Seite mehr gewilltwar, der anderen Pardon zu gewähren.

    Wieviel Konfliktpotential dieses sich immer mehr zum Ge-geneinander entwickelnde Leben der beiden Gruppen barg,

     bezeugt das Ende der Dynastie Omri. Ahab starb nach einund-zwanzigjähriger Regierungszeit eines natürlichen Todes. Ihmfolgten seine beiden Söhne. Dem ersten, Ahasja (853-852),war wenig Glück beschieden; nach wenigen Monaten stürzteer durch ein Balkongitter und erholte sich nicht mehr von den

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    Folgen dieses Unfalls. Seinem Bruder Joram (852-842) hinge-gen blies wieder der außenpolitische Wind heftiger ins Gesichtals seinem Amtsvorgänger. Moab verweigerte unter dem Kö-nig Mesa die Tributleistungen, und die Streifzüge der Assyrer

    kündeten von dem im Osten spürbar werdenden neuen Macht- potential. All das zog Kriege nach sich, die weder Erfolg nochBeute brachten, und dies heizte die Stimmung in der Bevölke-rung an. Da Mißerfolge in diesen stark religiös geprägten Ge-sellschaften mit falschem kultischen Handeln in eins gesetztwurden, war die Kehrtwendung durchaus folgerichtig.

    Die Gegner der Omriden schlugen los, als Joram 842 das

    mittlerweile in den Besitz der Aramäer übergegangene Ra-math in Gilead belagerte und sich dabei eine Verwundung zu-zog. Während er sich auf dem Landgut der Familie in Jesreelerholte, ließ sich der Kommandant der vor Ramath liegendenTruppen, Jehu, zum König proklamieren. Daß dies gelang,verdeutlicht bereits, wie sehr die Omriden abgewirtschaftethatten. Jehu jagte mit einer kleinen Schar nach Jesreel, wo er

    Joram töten ließ, ehe dieser etwas von dem Aufstand erfahrenhatte. Auch der judäische König Ahasja, der Schwager Jo-rams, der zufällig anwesend war, wurde ermordet.

    Mit schrecklichen Farben und voll erschreckender Genug-tuung schildert das Alte Testament das Ende der Königinmut-ter Isebel. Als sie wußte, was sie zu erwarten hatte, trat sie ih-ren Mördern geschminkt in königlicher Robe entgegen. Man

    stürzte sie aus ebenjenem „Erscheinungsfenster“ des Palasteszu Tode, aus dem heraus sie sonst Geschenke unter die Bevöl-kerung zu verteilen pflegte. Anschließend wurde in Samariader Befehl Jehus ausgeführt, alle Mitglieder der alten Königs-familie zu beseitigen. Die Höflinge sandten die abgeschlage-nen Köpfe der Ermordeten, ordentlich in Körbe verpackt,nach Jesreel, wo sie Jehu, altorientalischer Tradition gemäß,

    vor einem Stadttor aufschichten lie�