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 \ \ CELAN JAHRBUCH 4 1991) Herausgegeben von Hans Michael Speier SONDERDRUCK HEIDELBERG 992 CARL WINTER· UNIVERSITÄTSVERLAG

Celan in Israel

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Paul Celan

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CELAN JAHRBUCH

4 1991)

Herausgegeben

von

Hans Michael Speier

SONDERDRUCK

HEIDELBERG 992

CARL WINTER· UNIVERSITÄTSVERLAG

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AMIRESHEL (HAlFA, HAMBURG) THOMAS

SPARR

(FRANKFURT/M.)

Celan in Israel

Paul Celans letzte größere Reise, sieht man von einer Lesung im März

1970 in Stuttgart ab, führte ihn im Herbst 1969 nach Israel. Celan folgte

einer Einladung des Hebräischen Schriftstellerverbandes in Tel Aviv. Am

Abend des

14.

Oktober sprach er vor den dort versammelten israelischen

Kollegen: Ich bin zu Ihnen nach Israel gekommen, weil ich das gebraucht

habe.

Wie

nur

selten eine Empfindung, beherrscht mich, nach allem Gese

henen

und

Gehörten, das Gefühl, das Richtige getan zu haben - ich hoffe,

nicht nur für mich

allein( ...

). (GW III

203

Celan hat an Übersetzungen aus dem Hebräischen gearbeitet; in den

sechziger Jahren erschienen seine Übertragungen von Gedichten David

Rokeahs, d ieje tzt in den Gesammelten Werken Celans nachzulesen sind.

In der Safah-Ivria-Grundschule von Czemowitz erhielt Celan über

mehrere Jahre Hebräischunterricht, ein stabiler, wenn auch einge

schränkter Wortschatz stand ihm später zur Verfligung. In der Handschrift

des Gedichts

Du

sei wie du, immer' hat Celan die Schlußstrophe Kumi

ori in hebräischen Buchstaben verfaßt Ob man aus all dem Hebräische

Züge in der Sprache Paul Celans folgern darf, wie Klaus Reichert es in

einem Aufsatz getan hat, bleibt fraglich.

1

Celans Werk hat in Israel eine Wirkung entfaltet, die an Intensität

und

Weite

nur

mit der in Frankreich vergleichbar ist.

Im

Hebräischen treten

Übersetzungsprobleme von Celans Lyrik hervor, die über technische

Fragen hinausreichen, die Fragen des Verständnisses

und

der Deutung

von Celans Gedichten überhaupt in einem neuen Licht erscheinen lassen.

'Shoshanat Ha'ain', 'Die Niemandsrose', mit diesem Titel Celans hat

Manfred Winkler

1983

eine Auswahl von dessen Gedichten aufHebräisch

1

Von den weitreichenden Schlußfolgerungen in Klaus Reicherts Aufsatz sei eine zitiert:

im Hebräischen bilden nämlich Wort und Ding, Wort und Sache eine Einheit, es gibt für

sie nur das einzige Wort dab( )ar

(

. . . . Tatsächlich heißt im Hebräischen Wort

mila ; diese Tatsache fügt sich nur nicht in die von Reichert konstruierte Einheit .

(Klaus Reichert: Hebräische Züge n der Sprache Paul Ce/ans. In: Paul Ce/an. Hg. von

Wemer Hamacher und Winfried Menninghaus. Frankfurt

a.

M. 1988, S. 156-169, Zitat:

s. 164 .

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98 AMIR ESHEL THOMAS SPARR

herausgebracht,

und

an der Wortverbindung des Hebräischen zeigt sich,

wie wenig die Entscheidung des Übersetzers eine formale, technische

Frage beantwortet, sondern einen inhaltlichen Akzent setzt: Shoshanat

Ha'ain bedeutet in erster Linie die Nicht-Rose; der possessive Charakter

der Niemandsrose , daß sie niemandem gehört, geht in der hebräischen

Übersetzung weitgehend, aber nicht vollständig verloren.

Manfred Winkler ist ein Zeitgenosse Celans.

922

in Rumänien gebo

ren, kam Winkler Ende der fünfziger Jahre nach Israel,

wo

er sich so sehr

ins Hebräische vertiefte, daß er nicht nur ein ausgezeichneter Übersetzer

für diese Sprache, sondern auch ein bedeutender hebräischer Lyriker

wurde. Er begegnete Celan

969

in Israel; aus dieser Begegnung erwuchs

seine intensive Auseinandersetzung mit dessen Lyrik.

'Shoshanat Ha'ain' nimmt nicht nur Gedichte aus 'Die Niemandsrose'

auf, sondern auch von 'Mohn

und

Gedächtnis', 'Von Schwelle zu

Schwelle' und 'Sprachgitter', aus den späteren Zyklen sind nur zwei

Gedichte vertreten. Manfred Winklers Übersetzungen bleiben dem

Original bis in kleinste Formulierungen hinein treu, verzichten aber häufig

darauf, Klang

und

Rhythmus der Gedichte im Hebräischen nachzu

dichten. Ein großes Problem jeder Übertragung ins Hebräische erwächst

aus dessen Differenzierung der zweiten Person; das weibliche Du (at, aten)

wird vom männlichen (ata, atem) unterschieden. Die hebräische Überset

zung von Celans Satz Zähle die Mandeln muß bestimmen,

was

im

Original unbestimmt und mehrdeutig bleibt. Winklers Entscheidung,

diese Zeile mit meni at ha shekedim , also in weiblicher Form wiederzu

geben, steht die eines anderen Übersetzers gegenüber, die von Ben-Zion

Orgad, der diese Zeile mit meni et ha shekedim , im männlichen Impe

rativ, übersetzt. uf die Möglichkeit des Hebräischen, Possessivpronomen

und Substantiv in ein Wort zu setzen, verzichtet Manfred Winkler fast

ganz - wohl auch, um hier dem Original treu zu bleiben.

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Celan in Israel

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Psalm n der Übersetzung von Manfred Wink/er

99

In der Übersetzung von

'Es

war Erde in ihnen', vor allem von 'Psalm'

eröffnet Manfred Winkler dem Hebräischen durch seine Übertragung

neue Ausdrucksformen. Die Unterscheidung von Nichts und Nie

mand , die 'Psalm' strukturiert, tritt im Hebräischen deutlicher hervor und

gewinnt eine ftir die israelische Lyrik neue poetische Ausdrucksqualität

Ein Nachwort von Celans Biographen Israel Chalfen beschließt die Aus

wahl von Manfred Winkler.

Dawar majehie , Es wird etwas sein , mit dieser Gedichtzeile Celans

hat

der Komponist Ben-Zion Orgad eine Auswahl von Gedichten Celans

herausgegeben. Dem Buch ist eine Kassette beigefügt, die Celans Lesung

in Jerusalem von 1969 wiedergibt.

Der zweite Teil der Auswahl

nimmt

einige Gedichte aus den frühen

Zyklen auf, setzt aber den Schwerpunkt

auf

Celans spätere Gedichte, vor

allem aus dem postum herausgegebenen Band 'Zeitgehöft' (1976), in dem

Texte Celans von seiner Israelreise abgedruckt sind.

Ben-Zion Orgads Übertragungen heben in der Wahl ihres Vokabulars

die jüdische Tradition in Celans Gedichten hervor: es ist Abend aus

'Matiere de Bretagne' übersetzt Orgad mit arwit , das sowohl dasjüdische

Abendgebe t als auch die Zeit dieses Gebetes meint. Zähl mich dazu aus

'Zähle die Mandeln' wird zu zaref gam oti laminjan , wobei minjan die

Zählung und die Mindestzahl von zehn erwachsenen

Männern

zum

Gottesdienst in der Synagoge bezeichnet. Die religiösen Konnotationen

werden in der Übertragung verstärkt.

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AMIR ESHEL THOMAS SP RR

Orgad schreibt, er wolle den Klang von Celans Lyrik wiedergeben,

jenen Klang von Celans Stimme, den er bei dessen Rezitation von

'Engführung' in e r u s ~ e m hörte und der ihn die Gedichte wie eine musi

kalische Komposition lesen ließ. Aber Orgad vernimmt auch einen

hebräischen Klang in Celans Gedichten. Orgads Übersetzung stieß in

Israel aufKritik, vor allem sein Vesuch, lexikalische Neuschöpfungen, für

die Celan das im Deutschen nahezu unbegrenzte Mittel des Kompositums

in Anspruch nahm, im Hebräischen wiederzugeben. Fragwürdig scheinen

zudem Traditionslinien, die Orgad n seinem Nachwort von Celans Lyrik

. zu Ibn Gabirol, zu Martin Heidegger

und

Karl Jaspers zieht.

Neben diesen beiden Bänden, durch die Celan in Israel vertreten ist,

stehen einzelne Gedichte in Anthologien. Bekannte israelische Lyriker

wie David Rokeah, Nathan Zach oder Jehuda Amichai haben Gedichte

von Celan ins Hebräische übertragen; die Zeitschrift des israelischen

Schriftstellerverbandes 'Mosnajim' veröffentlichte 1983 vier verschiedene

Übersetzungen von Celans Gedicht 'Die Krüge', 'Hakadim', in einer

Synopse, mit der sich die Probleme, Celans Texte ins Hebräische zu über

setzen, vergegenwärtigen lassen.

Zuletzt hat der Jerusalemer Anglist Shimon Sandbank in der Tages

zeitung 'Ha Aretz'

9. 4.

1990) zwei Gedichte aus 'Atemwende' übersetzt,

'Wortaufschüttung' und 'Weggebeizt', in dem Sandbank das hundert-  

züngige Meingedicht, das Genicht als shir'sheker , wörtlich: das

Lügengedicht , das Genicht , das in der Paronomasie das Gedicht gegen

wärtig hält, als shir 'ain , als kein Gedicht übersetzt.

Paul Celan: Shoshanat Ha'ain. Ausgewählte Gedichte. Ins Hebräische übertragen von

Manfred Winkler. Tel Aviv: Sifriat Hapoalim 1983,

94

Seiten.

Paul Celan: Dawar ma jehie. Ausgewählte Gedichte. Ins Hebräische übertragen von Ben-

Zion Orgad. Tel Aviv: Sifriat Hapoalim 1987,

128

Seiten (mit einer Kassette).

Folgende Anthologien drucken einzelne Gedichte Celans in hebräischer Übersetzung:

Benjamin Harshav: Shira Modemit (Modeme Dichtung).

TelAviv

1990.

Dan Omer. Tluim al zlav ha'barsel Aufdem eise rnen Kreuz aufgehängt). Eine Auswahl aus

der modernen deutschen Dichtung. Tel Aviv: Sifriat Prosa o. J.

Shimon Sandbank: Ha'garzen poreach (Das Beil blüht). Eine Auswahl deutscher Dichtung.

Tel Aviv 1986.

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