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Deutsche Zeitschrift f. Nervenheilkunde, Bd. 172, S. 81--101 (1954). Aus dem Max-Planck-Institut ffir Hirnforsehung Abteilung fiir allgemeine Neurologie, K61n-Lindenthal, Lindenburg (Leiter: Prof. Dr. K. J. ZiiLcn). Mangeldurchblutung an der Grenzzone zweier GefiiBgebiete als Ursache bisher ungekl~irter Riickenmarkssch[idigungen% Von K. J. Zl~LCn**. Mit 11 Textabbildungen. (Eingegangen am 22. Mdrz 1954.) Es gibt eine grol~e Zahl von Rfiekenmarkssch~digungen bei verschie- denen allgemeinen und 5rtlichen Durchblutungsst6rungen, oder nach Ge- walt einwirkung bzw. nach vSllig unbekannter Ursache, bei denen wir den Sitz, die Form und die Entstehung der GewebszerstSrung noch nicht einmal in den Grundzfigen verstehen. Zahlreiche Sch~den bilden sich z. B. weitab yon der 6rtlichen Gewalteinwirkung aus (sog. ,,Fernsch/~den"). Die bei allgemeinen oder 5rtlichen St6rungen des Kreislaufs entstehenden Querschnittsbilder passen nicht zu unseren bisherigen Vorstellungen fiber eine segmental garantierte Durchblutung des Rfickenmarks und schlieg- lich sind uns ZerstSrungsformen, wie die Myelopathia (Myelitis) necroti- cans in ihrer Entstehung noch vSllig unklar, werden aber yon den meisten Verff. in den letzten Jahren ffir vasal bedingt angesehen, ohne dag sie aber ffir diese Auffassung eine einleuchtende Erkl~rung geben k6nnen. Den Schlfissel zu dem ,,bisher ungekl/irten" Mechanismus vieler Rficken- markszerstSrungen kann man abet vielleicht in den folgenden eigenen Beobachtungenfinden, da ihnen allen -- so verschieden auch die Ursache sein mag und so wenig inneren Zusammenhang sie/~tiologisch zeigen -- die gleiche [ormale St6rung in der Durchblutung zugrunde liegt. Es han- delt sich um St6rungen in der Blutversorgung an der du[3ersten Peripherie (Randzone) eines Ge/dfl-Versorgungsgebiete~, die bei Verringerung der DurchstrSmung entstehen. Sie wurden yon dem Physiologen MAx SCHNEIDER und seinen Mit- arbeitern im Experiment gefunden und kSnnen nun auch in der mensch- lichen Pathologie als wirksame Faktoren nachgewiesen werden. MAx * Nach einem Vortrag auf dem Treffen der Deutschen Neurochirurgen in KS[n am 29. 1. 1953. ** Herrn Professor O. HAHN, Priisident der Max-Planck-Gesellschaft zur FSrde- rung der Wissenschaften, zu seinem 75. Geburtstag ergebenst gewidmet. Dtsch. Z. Nervenheilk.. Bd. 172. 6

Mangeldurchblutung an der Grenzzone zweier Gefäßgebiete als Ursache bisher ungeklärter Rückenmarksschädigungen

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Page 1: Mangeldurchblutung an der Grenzzone zweier Gefäßgebiete als Ursache bisher ungeklärter Rückenmarksschädigungen

Deutsche Zeitschrift f. Nervenheilkunde, Bd. 172, S. 81--101 (1954).

Aus dem Max-Planck-Institut ffir Hirnforsehung Abteilung fiir allgemeine Neurologie, K61n-Lindenthal, Lindenburg

(Leiter: Prof. Dr. K. J. ZiiLcn).

Mangeldurchblutung an der Grenzzone zweier GefiiBgebiete als Ursache bisher ungekl~irter Riickenmarkssch[idigungen%

Von

K. J. Zl~LCn**.

Mit 11 Textabbildungen.

(Eingegangen am 22. Mdrz 1954.)

Es gibt eine grol~e Zahl von Rfiekenmarkssch~digungen bei verschie- denen allgemeinen und 5rtlichen Durchblutungsst6rungen, oder nach Ge- walt einwirkung bzw. nach vSllig unbekannter Ursache, bei denen wir den Sitz, die Form und die Entstehung der GewebszerstSrung noch nicht einmal in den Grundzfigen verstehen. Zahlreiche Sch~den bilden sich z. B. weitab yon der 6rtlichen Gewalteinwirkung aus (sog. ,,Fernsch/~den"). Die bei allgemeinen oder 5rtlichen St6rungen des Kreislaufs entstehenden Querschnittsbilder passen nicht zu unseren bisherigen Vorstellungen fiber eine segmental garantierte Durchblutung des Rfickenmarks und schlieg- lich sind uns ZerstSrungsformen, wie die Myelopathia (Myelitis) necroti- cans in ihrer Entstehung noch vSllig unklar, werden aber yon den meisten Verff. in den letzten Jahren ffir vasal bedingt angesehen, ohne dag sie aber ffir diese Auffassung eine einleuchtende Erkl~rung geben k6nnen. Den Schlfissel zu dem ,,bisher ungekl/irten" Mechanismus vieler Rficken- markszerstSrungen kann man abet vielleicht in den folgenden eigenen Beobachtungenfinden, da ihnen allen - - so verschieden auch die Ursache sein mag und so wenig inneren Zusammenhang sie/~tiologisch zeigen - - die gleiche [ormale St6rung in der Durchblutung zugrunde liegt. Es han- delt sich um St6rungen in der Blutversorgung an der du[3ersten Peripherie (Randzone) eines Ge/dfl-Versorgungsgebiete~, die bei Verringerung der DurchstrSmung entstehen.

Sie wurden yon dem Physiologen MAx SCHNEIDER und seinen Mit- arbeitern im Experiment gefunden und kSnnen nun auch in der mensch- lichen Pathologie als wirksame Faktoren nachgewiesen werden. MAx

* Nach einem Vortrag auf dem Treffen der Deutschen Neurochirurgen in KS[n am 29. 1. 1953.

** Herrn Professor O. HAHN, Priisident der Max-Planck-Gesellschaft zur FSrde- rung der Wissenschaften, zu seinem 75. Geburtstag ergebenst gewidmet.

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SCHNEIDER hat den Ta tbes t and durch einen etwas drast isehen Vergleieh

aus der Wasserwir tschaf t charakter is ier t und gesagt, dag ,,bei Bewiisse-

rungswiesen dann, wenn der Kana l zu wenig Wasser ffihrt, die letzten

Wiesen schlechter gestell t sind als die e rs ten" . Dieses Modell kann nun

bei den folgenden Fi~llen zur Erkli~rung der St6rung herangezogen werden.

A. Zur Entstehung der Querschnittssch~idigungen im Segment D 3/4

und der zentralen Erweichungssti~te im Riickenmark.

Fall 1. Bei einer 71ji~hrigen Frau bestand eine Gallenblasen-Carcinom-Meta- stase in HShe des Wirbels D 3 und zwar mit vollstandigem Stop der Liquorbahn, klinisch mit einem entsprechenden Quersehnittssyndrom. Es wurde in dieser HShe operativ entlastet, die Frau starb am 5. Tage danach unter Kreislaufversagen.

Bei der Sektion fand sich im Segment D9 D2 D 4 eine diffuse hi~morrhagisehe Quer-

sehnittserweiehung, von dort aufw~rts bis D 1 und abwi~rts bis herab zum Segment D l l aber eine zentrale stift- f6rmige Erweiehung yon 2---3 mm Dicke. Die Erweichungszone betraf in Stricknadeldicke insgesamt 10 Seg- mente und lag ziemlich genau um den Zentralkanal (Abb. 1 und 3 a).

/) 10 D ~ Bei der K6rpersektion land sich ein taubeneigroBes Carcinom der Gallen- blase mit Metastasen in allen Ab- schnitten der Wirbels/mle, geringe Arteriosklerose der Aorta und der Herz- kranzschlagadern, geringe arteriolo- sklerotische Sehrumpfung der Nieren.

Zusammen/assung." H~mor-

/) 71 rhagisehe E rw e ichung im Rfieken-

marksegment D 4 bei einer

71j/i, hr igen F r a u als Folge einer

vollsti~ndigen Einengung des Rfik-

kenmarks dureh Wirbe lmetas tase Abb. 1. Verschiedene Segmente des Riieken- marks bei Kompressionsschadigung in D 4. eines Carcinoms. Stif tfSrmige Er- Dieses Segment ist zerstSrt und erweicht, weichung 2 Segmente aufwi~rts, mSglicherweise dureh dm~ Zusammentreffen der 5rtlichen Kompression und der geff~hr- 7 Segmente abwii, rts. deten Durehblutung. Erweichungsstift im Zentrum des Riickenmarks nach aufwftrts und Die zweite Beobaeh tung war

abw~rts (Fall 1). nun noch eigenartiger. Wieder

handel te es sich um eine ausgedehnte Riickenmarksschi~digung fiber

viele Segmente, aber dieses Mal durch ein lokalisiertes Trauma.

Fall 2. Ein 19jg~hriger Mann sttirzte beim unvermuteten Anfahren eines LKW vou diesem herunter und auf den Riicken. Bei der Untersuchung dutch den Arzt kurze Zeit sparer konnte er die Beine nicht mehr bewegen. In der Klinik fanden sich zwei Quersehnittsgrenzen: ein unvollkommenes Querschnittssyndrom mit

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einer Hyp/~sthesie in C 7/8 und entsprechender Parese, und eine vollkommene Quer- schni t tsunterbrechung mi t Anaesthesie und Paralyse von D 4 abwi~rts. Die Atmung war bei der Einlieferung unregelm~13ig und schnappend. In den folgen- den Tagen besserte sie sich trotz Anlegen der Glissonsehlinge nur wenig und war am 3. Tage so schlecht, daft man eine Pneumonie-Prophylaxe mi t Transpulmin und Penicillin begann. Doeh mui3te man schon am gleichen Abend eine Pneumonie in der re. Lunge feststellen. Die Temperatur stieg auf 40,6 °, der Puls auf ]10, das

Abb. 2. l~omplette Luxation zwischen dcm 6. und 7. Halswirbel (Fall 2).

Gesicht wurde cyanotisch. Der Pat. s tarb am folgenden Morgen - - dem 4. Tage nach dem Unfall - - an Herzversagen bei zunehmender Pneumonie. R6ntgenolo- gisch ha t te man inzwischen eine v611ige Luxat ion zwischen dem 6. und 7. Hals- wirbel festgestellt (Abb. 2). Merkwiirdigerweise war die eigenartige Diskrepanz zwischen den Segmenth6hen: dem unvollstgndigen Quersehnit tssyndrom C 7/8, dem vollstiindigen Querschnitt in D 4 und dem r6ntgenologischen Befund an der Wirbels~ule in C 6/7 nieht genfigend gewertet worden.

Anatomisch fand sieh bei der Untersuchung des Rtickenmarks eine vollstiindige h/~morrhagische Erweichung im Segment D 4. Leider war das Rtickenmark oral dieses Segmentes nicht entnommen. Unterha lb desselben bestand noch eine massive stiftf6rmige zentrale Erweichung. Im Segment D 6 wurde dieser Stift schmMer und verjiingte sich welter bis zum Segment D 8/9 (Abb. 3b, c). Im Segment D 10 sah man als letztes einige groi3e Blutungen bzw. erweiterte Gefiil3e, wiihrend das

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darunterliegende Lumbosakralmark vSllig frei war. An der Wirbels~ule war dutch ReiBen der Bandscheibe zwischen dem 6./7. Halswirbel eine vSllige Luxation eingetreten.

Auch wenn der morphologische Befund in den Segmenten oberhalb D 4 nicht bekannt ist, so kann man doch aus dem neurologischen Befund entnehmen, dab es in ttShe der Luxationsstelle nur zu einer TeilscMidigung des Rfickenmarks ge- kommen sein kann.

Zusammen/assung. Traumat ische Wirbe l luxat ion in C 6/7 bei einem 19j/~hrigen Mann, Querschnit tszerstSrung im Segment D 4, zentrale stift-

~i.i i!iii~

A b b . 3 a - - c . a D ie s t i f t f 6 r m i g e A u s b i l d u n g d e r E r w e i c h u n g s z o n e z e i g t s i eh b e s o n d e r s d e u t t i c h , w e n n m a n e t w a s a u f d a s S e g m e n t d r f i e k t (Fa l l 1). b u. e S t i f t f 6 r m i g e E r w e i c h u n g s z o n e in d e n

S e g m e n t e n u n t e r h a l b d e r k o m p l e t t e n Q u e r s c h n i t t s e r w e i c h u n g in D 4 (Fa l l 2).

fSrmige Erweichung ffir 5 Segmente nach abwi~rts, B lu tungen im Seg- m e n t D 10. Wahrseheinl ich Teilsch/idigung des Rfickenmarks in C 7/8, als direkte mechanisehe Folge der Wirbel luxat ion. AuffKllige Beeintr~ch- t igung der A t m u n g und Tod an Pneumonie mi t Kreislaufversagen, trotz ausreichender Pneumonieprophylaxe .

E inen ganz gleichartigen Befund treffen wir in einer Arbei t KOCHERS an. Auch hier kam es zur Wirbe l luxat ion zwischen C 6/7 und zu e inem Querschni t t ssyndrom in D 4 (Mamillarlinie), siehe seine Abb. 31.

Die dri t te Beobachtung zeigt n u n eine etwas weniger grobe Sch~di- gung des gleichen Segmentes D 4 bei kardiovascul~rem Versagen.

Fall 3. Ein 58jahriger Mann soll in der Vorgeschichte angeblich keinerlei be- sondere Erkrankungen gehabt haben und war in seinem Betrieb bis vor etwa 4 Monaten voll ]eistungsf/~hig. Er habe zwar - - so gibt er an --- in der letzten Zeit

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etwas ]angsamer gehen miissen und sei beim Treppensteigen kurzatmig gewesen, habe diese Veri~nderungen aber als Alterserseheinungen betrachtet . Eine Blut- druckerhShung sei ihm nicht bekannt gewesen. Vor 4 Monaten bemerkte er erst- malig nach einer , ,Erkal tung" Sehmerzen zwischen den Schulterbl~ttern, die als , , rheumatisch" angesehen und behandel t wurden. Vor 3 Wochen etwa wurden diese Schmerzen intensiver, er lag 8 Tage im Bet t und merkte beim Aufstehen eine starke Unsicherheit beim Stehen und Gehen und vom Nabel nach abw~,rts zu eine Gefiihllosigkeit. Bei der neurologischen Untersuehung fand man eine Blutdruck- erhShung bis zu 230/130 mm Hg und eine isolierte Ataxie der Beine, jedoch keine sonstigen groben motorischen oder sen- siblen Ph~nomene. Es wurde eine Liquor- C8 l)2 Oberpand untersuchung durchgeffihrt und eine Vermehrung der Zellen (17/3) bei nor- maler Mastixkurve gefunden. In den folgenden Tagen kam es zu einer Blasen- parese und einer Parese des re. Beines mi t Klonusbereitsehaft . In der Folge rasche Zunahme der Paresen und des tauben Geffihls nunmehr auch am D2 /g/He 03 Rumpf zuni~chst bis zur Giirtellinie, dann bis Brustwarzenh6he. Bei der Einliefe- rung in die Neurochirurgische Universi- ti~tsklinik KOln (Prof. T6~NIs) 2 T~ge vor seinem Tode f ielder Pat . durch sein verbrauchtes Aussehen auf. Er wirkte wie ein Seehziger.

Neurologisch bestand ein unroll- l)~- DS kommene8 Querschnit tssyndrom in H6he der Brustwarzen (D 4): gleiehmi~Bige Steigerung s~mtlicher l~eflexe mit beider- seitigem FuBklonus und Babinski-Phi~- nomen, welter eine erhebliche spastische Paraparese beider Beine und eine un- Abb. 4. Hoehgradige ]Iypcr~mie und be-

ginnende Entmarkung im Segment D 4. vollkommene Sensibilit~tstSrung fiir Dariiber- und darunterliegende Segmente alle Qualit~ten un te rha |b der besehrie- makroskopisch unver~ndert (Fall3). benen Linie. RSntgenologiseh war ein sicherer krankhaf ter Befund nicht zu erheben. Der Pat ient war durch die Blasen- l~hmung und den beginnenden Ileus gefahrdet. Auch sanken die Werte des Blut- drucks schnell ganz erheblich ab und dieser konnte nur schwer auf Werten um 100 mm t tg systolisch gehalten werden. Trotz ausreichender Behandlung mit Kreis- laufmit teln unter weiterem Absinken des Blutdrucks vers tarb der Pat . am 2. Tage nach der Aufnahme. Durch die klinisehen Untersuehungen hat te sieh die Ents tehung des Querschnittssyndroms in D 4 bis zum SehluB nicht kli~ren lassen.

Bei der KSrpersektion wurde eine chronische Infektion der Nierenwege, eine Dilatat ion beider Herzkammern, vereinzelt gelbliche Einlagerungen in der Wand der t terzkranzarter ien (aber keine Schwielen !) bei erhShtem Herzgewicht (485 s ta t t etwa 330 g) gefunden, weiter eine allgemeine Stauung der Organe und ein g/~nseeigroBes t Iypernephrom im Bereich der re. Nebenniere und des oberen Pols der re. Niere. Die genaue Untersuchung ergab bei Bet rachtung yon aul~en keinerlei Einengung des Wirbelkanals. Auch auf dem S~geschnitt durch die WirbelkSrper erschienen keine pathologischen Befunde. Die segmentale Zergliederung des RM hingegen zeigte in dem Segment D 4 eine besonders auff~llige, mi t bloBem Auge sichtbare Gef~Bffillung

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(s. Abb. 4), jedoeh keine weiteren Gewebsver~nderungen. Eine weitere Stauung der grol~en Venen war im Lumbosakralmark sichtbar und zwar etwa dem Segment S 2 entsprechend.

Histologisch land sich bei Untersuehung der einzelnen Segmente in C 8 und D 2 eine Hyper~mie der dorsalen Venen und der Capi]laren im ganzen Querschnitt. Die Arteriolen zeigten eine m/iBige Hyalinose. In D 3 war die Hyper/~mie wesent- lich starker. Es fanden sich Subarachnoidalblutungen und das gesamte Grau des Hinterhorn- und Seitenhorn-Gebietes sowie der Commissur, weniger stark das der

Abb. 5. Periven5se Entmarkung im Segment D 4. Die Markseheiden sind z. T. unffirbbar, z. T. als schaumige aufffequollene Scheiben noch eben sichtbar. Markseheidenfarbung naeh

HEIDENHAIN-WOLCKE. Vergr. 154faeh (Fall 3).

Vorderh6rner war spongi6s aufgelockert (0dem ?). An einer gr6geren Vene eines Hinterhorns hatte sich - - im Nissl-Bild deutlieh rosa gefi~rbt - - ein 0dem ausgebildet, das die Gewebsspalten entlang sickerte. Es bestanden sehwere Schi~den an den groSen Ganglienzellen des Hinterhorns, weniger deutliehe an denen des Vorderhorns.

Im oralen Tell des Segments D 4 - - entsprechend der makroskopisch sichtbaren Hyperi~mie - - fiel die hochgradige Fiillung aller Venen auf. Im Markscheidenbild sah man iiberall eine herdf6rmige Entmarkung, die aber periven6s angeordnet war (Abb. 5). Sie war besonders markant im ventralen Hinterstrangfeld und in einem Pyramidenseitenstrang, weniger abet im Vorderseitenstrang zu erkennen. Mark- scheiden fehlten hier oder waren sehaumig aufgetrieben und kaum als solche erkennbar. Die Masson-Fi~rbung stellte sie aber noch deutlich als grofle platten- f6rmige Quersehnitte dar, deren Durehmesser auf das 5--10faehe des Normalen an- gewachsen war (s. Abb. 6 u. 7). Hier war auch die topische Anordnung zu den Gefi~flen besonders gut erkennbar. - - Das 0dem selbst war nach Masson nicht angefi~rbt, anseheinend weil es nicht sehr eiweiBreich war.

Im Segment D 5 waren die Ver/inderungen demgegeniiber wieder sehr ge- ring; auBer der m~$igen Hyperi~mie sah man nur die allererste Andeutung einer

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M a n g e l d u r c h b l u t u n g als U r s a c h o u n g e k l ~ r t e r R i i c k e n m a r k s s c h ~ d i g u n g e n . 8 7

Abb. 6. Aufquel lung der Markscheiden zu unfSrmigcn Kolbcn im Gebiet des perivenSsen 0dcms . Die erhal tenen Markscheiden geben einen Anha l t fiir das Ausmai3 der Schwelhmg.

Tr ichromf~rbung nach MASSON. Vergr. 269fach (Fall 3).

Abb. 7. Ver~nderung wie in Abb. 6, aber in noch hSherem Ausmafl. Nur einzelne Mark- scheiden sind unve r seh r t geblieben. Zahlreiche Markscheiden sind bereits zerfallen. Das Gef~2bindegewebe ist gequollen und gesch~digt. Tr ichromf~rbung nach MASSON. Vergr.

269fach (Fall 3).

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MarkscheidenqueHung. Auffi~llig war hier allerdings die starke Verbreiterung der Gefal3wande durch ein blaugefarbtes fi~diges Material. Man hatte den Eindruck, dal3 es sich um eine starke Vermehrung des Wandgewebes auf dem Boden eines peri- vascul~ren Odems handelte.

In diesem Falle kam es nicht zur vSlligen Erweichung im Segment D 4 bzw. zur Bildung eines zentraleu Erweichungsstiftcs nach auf- und abw~rts, wie bei den ersterw~hnten akut und massiv einsetzenden Durch- blutungsstSrungen, die auch klinisch ein komplettes Qucrschnittsbild auf- wiesen. Es handelte sich vielmehr um ein morphologisch und klinisch unvollsti~ndiges Sch~digungsbild, das - - wenn man aus morphologischen Befunden soweit Schlfisse ziehen d a r f - den Grad der vSlligen l~ever- sibilit~t gerade erst fiberschritten hatte. Infolge einer Durchblutungs- stSrung war es jedoch im ,,kritischen Segment" (D 3 und besonders Oberrand von D 4) zu einem perivascul~ren subakuten 0dem gekommen, yon dem die Markscheiden schwer geschi~digt waren. Oral und caudal davon waren sie jedoch fast vollkommen erhalten.

Zusammen/assung. Klinisches Querschnittsbild in D 4 bei einem 58j~hrigen Mann mit kardiovascul£rer (Hochdruck-) Sch~digung. Tod nach l~ngerem Kreislaufversagen. Hochgradiges ~)dem mit grober Mark- scheidenqucllung sowie venSse Hyper~mie in D 4. - - Siehe auch den wi~h- rend der Drucklegung beobachteten Fall 4 am Ende der Arbeit.

B. )~hnliche anatomische Befunde am Riickenmark.

Zentrale Erweichungsstifte sind am Rfickenmark seit langem bekannt und wohl zuerst yon LEYDEN beschrieben (s. KALM). MARBURG bildet sie bei der Besprechung der Traumafolgen des Rfickenmarks unter den Abb. 13, 17, 18 ab. GAGEL beschreibt sie als Fernsch~digung des Rficken- marks im Lendengebiet bei einem cervicalen Trauma (Abb. I der Arbeit). Er erwi~hnt sie sparer noch einmal in seinen Arbeiten fiber die Myelo- pathia nccroticans (Abb. 3 der Arbeit). KLAUE beschreibt diese Lokali- sation von ZerstSrungsherden sowohl als akute zentrale Nekrosen, wie spi~ter als Nekrosecysten in seiner groBen Arbeit fiber die Morphologie der Rfickenmarkstraumen (Abb. 5, 18, 20--22). Der gleiche Verf. findet diese zentralen Herde aber auch 1951 bei einer Untersuchung der Myelopathia necroticans (Abb. 6 der Arbeit).

SchlieBlich erw~hnt GAGEL in seiner tabellarischen Aufstellung fiber die F~lle der Literatur von Myelopathia necroticans bci einer Reihe yon Fi~llen derartige stiftfSrmige Nekrosen und weist auch darauf hin, dal3 sie sich in einer yon KREISSEL in seinem Insti tut angefertigten Bearbei- tung 2 F~lle von Neuromyelitis optica gefunden hi~tten. Auch hier lag der Querschnitt in beiden F~llen sensibel in D 4 (Abb. 8 u. 12 der Arbeit).

Weiter beschrieb YASUDA aus dem Foersterschen Institut die Bildung von stiftf6rmigen HShlen in verschiedenen HShen des Rfickenmarks bei

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schweren vernarbenden Erkrankungen der weichen Hiiute, die zu einer Einengung der grol~en Rfickenmarksgef£t~e gefiihrt haben dfirften.

Auch K~LM hat kfirzhch auf die zentralen Nekrosen in anderem Zu- sammenhang hingewiesen. Ich gehe unten darauf noch n/~her ein. - -

W~hrend also die zentralen Nekrosestifte in der Literatur ausreichend bekannt sind, wurde bisher auf Grund morphologischer Untersuchungen die Pri~dilektion des Segmentes D 4 ffir Durchblutungssch~den und Erweichungen noch nicht betont. Einzig METTLER erwKhnt sie bei Be- sprechung der Riickenmarksdurchblutung.

C. Die normale Durchblutung des Riickenmarks.

Die I)urchblutung des Rfickenmarks als Ganzes bzw. seiner Segmente kennen wir aus den grundlegenden Arbeiten von ADAMKIEWICZ U. KADYI, die yon sp£teren Autoren (SUH u. ALEXANDER, Yoss u. a.) nur best£tigt oder in den Einzelheiten erg/~nzt, bzw. mit der Durchblutung beim Affen verglichen wurde.

I m entwicklungsgeschichtlichen Bauplan treten mit jeder Nerven- wurzel kleine Zweige (die Aa. nervomedullares) segmental gleichm£1~ig an das Rfickenmark heran und speisen die Segmente, die durch gr61~ere L~ngsarterien miteinander verbunden sind. Sp£ter abet bflden sich yon diesen nur 3 4 zu wirklich grSi3eren Versorgungsarterien aus, yon denen also praktisch die Riickenmarksdurchblutung abh/~ngt. Es sind also zwar bei den 44 Spinalnerven gewShnlich 22 Gef£1~st~mme vorhanden, jedoch nur hSchstens 3 sind anatomisch so groin, dal~ sie nennenswert zur Durch- blutung beitragen. Diese folgen nach KADYI und den Nachuntersuchern am h£ufigsten a) den Wurzeln C 6 oder 7 (gelegentlich auch C 5 oder 8), b) den Wurzeln D 10, L 1 oder 2, bzw. auch seltener den Wurzeln D 9 oder L 3. Nach den Ergebnissen KADYIS und der Nachuntersucher scheint es so, daft diese untere thoracolumbale Zufuhr (A. radicularis magna), die offensichtlich die Hauptmenge zur Blutversorgung beitr£gt, auch in 2 Asten ausgebildet sein kann, yon denen etwa der eine grSl~ere in D 10, der andere kleinere aber mit den oberen Lumbalwurzeln (L 2) eintritt. In jedem Falle kSnnen wir bestenfalls damit rechnen, dal~ neben den zwar vorhandenen, aber wenig blutzuffihrenden segmentalen Asten nut 1. die obere cervicale Zufuhr der A. spinalis ant. aus den beiden A. vertebrales, 2. die untere cervicale Zufuhr etwa in C 6/7, dann 3. eine untere thoralcale Zufuhr in D 9/10 und 4. eine obere lumbale Zuleitung etwa in L 2 besteht. Wichtig ist weiter, daft s~mtliche oralen Zufliisse his zum Seg- ment D 3/4 aus dem Versorgungsgebiet der Aa. vertebralis, die unterhalb des Segmentes D 3/4 gelegenen segmentalen und Haupt~ste aus dem Versorgungsgebiet der Aorta s tammen (s. TOLDT-HocHSTETTER u. ~V[ETTLER) (Abb. 9). Uber das Kaliber und insbesondere die funktionelle

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Bedeutung der g r o f l e n Wurzelarterien bedarf es aber noch einer ge- nauen Nachuntersuchung.

W~hrend also die Blutversorgung des ganzen Riickenmarks sehr variabel ist, scheint das einzelne Segment anatomisch recht stereotyp yon zwei Systemen, dem dorsalen und dem ventralen versorgt zu werden. Diese stehen miteinander in einer gewissen ringfSrmigen Verbindung, so dab die yon ihnen ausgehenden perforierenden Zweige nach Art einer Corona radiata als Endarterien yon aul~en nach innen zu in den Riickenmarksquerschnitt vordringen. Diese beiden Systeme nehmen die kleinen segmentalen Wurzelarterien auf und sind nun in der L~ngsrich-

A. sept. intermed. A. spinalis posterior A. spinalis anterior ~ " ~ . - ' " " ~ - ;:- . . . . . . -.

. A. radicularis dorsalls s

A spinalis posterolateraIis i

Hinterwurzelarterge

Ramus dorsola~eralgs

Ramus ventrolateralis

A. sulc~-commissuralis A. spinalis a~tero-lateralis

A. radicularis ventralis A. splnalis anterior A. sulco-commissuralis

Abb. 8. Reproduktion aus 1V][ETTLER: DaB Riickenmark wird dutch eine Corona radiata yon Endarterien versorgt. Die schlechtversorgte Grenzzone liegt um den Zentralkanal.

tung verbunden und anastomosiert durch grSl~ere Gefi~Be: die A. spin. ant. und die beiden A. spinal, post. Hierbei spielt wieder die Hauptrolle die A. spin. ant., w~hrend die beiden an der l~fickseite verlaufenden Aa.spinales post. nur eine geringe Bedeutung haben (Abb. 8).

Danach muB man feststellen, dab es - - wie die pathologischen Be- funde lehren - - am Rfickenmark, ~hnlich wie am Him, zwar anatomisch einen Kollateralkreislauf mit ausgedehnter Verflechtung aller Versor- gungsgebiete und mit zahlreichen Segmentalarterien gibt, dal3 es sich aber/unktionell - - angedeutet schon durch die Stiirke der grol~en zu- fiihrenden G e f ~ B e - ausgesprochen um eine Versorgung durch End- arterien handelt. Die zahlreichen Kollateralen springen also besonders wohl bei ~lteren Menschen und bei akuten DurchblutungsstSrungen nicht ausreichend ein.

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Mangeldurchblutung als Ursaehe ungekl~rter Riickenmarkssch~tdigungen. 91

D. Zur formalen Entstehung der Durehblutungsstiirungen an den Grenzzonen der Getiillversorgungsgebiete im Riiekenmark.

Bei den oben mitgeteilten Rfickenmarksschi~den stellten wir stereotyp zwei Veri~nderungen lest, deren Entstehung es jetzt zu ld~ren gilt.

Querschnittserweichung in HShe 1. Gewebssch~digungen bis zur des Segmentes D 3/4

Ventral

8~

Trun

Dorsal

~: ertebral is

pinalis posterior i

~ A. cervicalis ascendens ~ ' i V J A l,/:Yje°i/;~:noc]f/::/al~ s

(D 3/D 4)

A b b . 9. R e p r o d u k t i o n a u s NETTLER: Da~ R i i c k e n m a r k b e z i e h t se ine t t a u p t g e f f i f l e 1. a u s d e r V e r t e b r a l i s , 2. a u s d e r A o r t a . D ie G r e n z z o n e z w i s c h e n d e n b e i d e n G e b i e t e n s t e l l t d a s

S e g m e n t D 3/4.

2. zentrale Erweichungsstifte in den Rfickenmarkssegmenten ober- halb und unterhalb einer derartigen Segmentsch~digung oder auch als alleinigen Befund.

1. Die Gefahrdung des 3/4 Thoracalsegmentes bei ZirkulationsstSrun- gen wird - - wie oben festgestellt - - nur yon METTLER in seinem normal- anatomischen Atlas bei der Beschreibung der Rfickenmarksdurchblutung erwghnt und damit erkl~rt, dab dort die beiden gro~en Versorgungs- gebiete des Rfickenmarks

a) yon oral fiber die A. vertebralis bzw. b) yon caudal aus der Aorta aneinandergrenzen 1.

1 Eine persSnliche Riickfrage bei METTLER nach dem zugrunde liegenden Beobachtungsmaterial ergab nur, dad Mn~rLER diese Feststel]ung yon Klinikern gehSrt hatte und eine weitere Aufklarung fiber die zugrunde liegende Kasuistik nicht mehr geben konnte.

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92 K.J. ZOLC~:

Es sollte sich also hier um eine Gef~hrdung der Durchblutung an der Grenzfl~che (Nahtstelle) der Versorgungsgebiete zweier groBer Gef~Be handeln (Abb. 9).

Eine ~hnliche Form der DurchstrSmungsstSrung war an dem M. Schneiderschen Institut yon Em~[ u. WIEMERS 1950 bei Permeabilit~ts- Versuchen am Katzengehirn mit Trypanblau bei mittelschwerem Sauer- stoffmangel ebenfalls gefunden worden. Sie lag an der Grenze zwisehen dem Versorgungsgebiet der A. cer. ant. und media. Die Verff. glaubten, dab es sich dort um eine MinderdurchstrSmung zwischen zwei Versor- gungsgebieten handelte und wiesen auf den bereits lange bekannten, topisch ~hnlich gelegenen Befund von SPATZ u. LINDENBERG aus der menschlichen Pathologie hin, die die sichelfSrmige Zone der Granular- atrophie bei der Thrombangitis obliterans ebenfalls als eine GrenzstSrung erkli~rt hatten. Nach SPATZ u. LIND~NBERO sollte aber in der peripheren Grenzzone zweier Gebiete die Ausbildung der thrombangitischen Ver- ~nderungen an den Arteriolen besonders stark sein. EICH u. WIEMERS wagten nicht zu entscheiden, ob die ,,~.hnlichkeit zwischen diesen Befunden und den Spfilergebnissen mehr als eine ~uBere" war.

Unter Berficksichtigung dieser Ergebnisse und der allerdings yon M. SCH~EID]~ nur kurz formulierten These yon der ,,letzten Wiese" - - die anfangs zitiert wurde - - li~Bt sich die uns hier interessierende Form der ])urchblutungsstSrung folgendermaBen skizzieren: an einem Kanal- system, yon dem im weiteren Verlauf durch Abzweigungskan~le jeweils einzelne Territorien versorgt werden, ger~t bei Nachlassen der Durch- strSmung das an der ~uBersten Peripherie liegende Gebiet als erstes in die Gefahr der ,,Austroc]cnung" (s. Abb. 10, Schema Nr. I). Sinngem~B mug sich die gleiehe StSrung an der Grenzfli~che (Nahtstelle) bemerk- bar machen, wenn sich zwei derartige Systeme berfihren (s. Abb. 10, Schema Nr. II).

Wenden wir dieses Modell auf die Durchblutung des Rfiekenmarks an, so haben wir zun~chst wahrscheinlich 3 groBe funktionelle autonome StrSmungsgebiete zu unterscheiden: ein oberes Versorgungsgebiet zwi- schen dem Segment C 1 und C 6. Dieses wird yon kranial fiber die A. spinalis anterior, von caudal fiber die Wurzelarterie yon C 6 oder C 7 versorgt, w~hrend wir fiber den ZufluB der fibrigen segmentalen Wurzel- arterien wenig wissen. Eine ,,kritische" Zone wfirde hier theoretisch ffir das Segment C 3/4 zu berechnen sein. Wir verffigen bisher aber fiber keine Befunde aus der menschlichen Pathologie, die diese Vermutung stfitzen kSnnten (Abb. 10, Schema VI).

Der mittlere Versorgungsbereich des Rfickenmarks wfirde von oben von c4nem Gef~B entlang you C 6 (bzw. den Varianten nach oben oder unten) versorgt und von unten vonde r radikuli~ren ,,Hauptarterie", die gewShnlich entlang D 9 oder D 10 verl~uft. Die kritisehe Grenzfl~che w~re

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Mangeldurchblutung als Ursache ungekl/irter Rfickenmarkssch~digungen. 93

hier ffir das Segment D 3 bzw. 4 zu berechnen. DurchblutungsstSrun- gen an dieser Grenzfl~che sind nun sowohl in den eigenen Beobachtungen wie bei zahlreichen Be/unden der Literatur angegeben, auf die unten noch n~her eingegangen wird. Der untere restliche Versorgungsbereich des Rfickenmarks wfirde entweder ausschlie~lieh yon oben her vom Seg- ment D 9/10 oder aber yon oben und der Mitte her (d. h. Segment L 1/2)

A. ~p;b. anf i D

{ / / ~ ) | l . ~ 2 ~ r A b b . 10. Das S c h e m a s te l l t die E n t s t e h u n g de r D u r e h b l u t u n g s - ~ ~ 4 J ~ s t S m m g a n d e n G r e n z z o n e n ( N a h t s t e l l e n ) f ibers ich t l i ch z u s a m m e n .

~ [ ~ W ~ . v O b e n l inks : Das Schne ide r sehe P r i n z i p de r ]Vlangelversorgung \ ~ de r , , l e t z t en Wiese '" e ines K a n a l s y s t e m s . O b e n r e c h t s : Z w i s c h e n

\ \ ~ zwei d e r a r t i g e n S y s t e m e n e n t s t e h t e ine s c h l e c h t v e r s o r g t e Grenz - ~ f-~ ~ - - - zone. Mi t r e l inks : S c h e m a t i s c h e Erk l f ixung de r D u r c h b l u t u n g s -

s t S r u n g bei de r T h r o m b a n g i t i s ob l i t e rans . ~¢Iitte: S c h e m a t i s c h e D a r s t e U n n g de r R f i c k e n m a r k s d u r c h b l u t u n g u n d de r E n t s t e h u n g

de r s t i f t f S r m i g e n E r w e i e h u n g . U n t e n l inks : S c h e m a t i s e h e D a r s t e l l u n g de r D u r e h b l u t u n g s - s t 5 r u n g e n a m H i m bei D u r e h s t r S m u n g s s e n k u n g de r A. ee reb r i a n t e r i o r u n d m e d i a . U n t e n r e e h t s : S e h e m a t i s e h e ?3bers ieht f iber die V e r s o r g u n g des R f i e k e n m a r k e s m i t den H a u p t t i s t e n

u n d den dabe i e n t s t e h e n d e n g e f ~ h r d e t e n Zonen .

gespeist werden. Das ist nun wohl individuell verschieden. In den F~llen, wo nur eine grol3e Wurzelarterie bei D 9/10 besteht, mfil~te der gefi~hrdete Bereich - - ffir den Fall, dai~ die einzige obere Versorgungsarterie aus- f~llt - - einige Segmente unterhalb dieser, d .h . etwa in L 1 beginnen. Unser Fall 4 spricht ffir diese MSglichkeit. Wir verffigen aber bisher nicht fiber ausreichende Beobachtungen, um die Verh~ltnisse in diesem Gebiet sicher zu kl~ren, zumal hier die Varianten - - d .h . die Anlage yon 2 grS]eren ~sten - - h~ufig zu sein scheinen. An der MSglichkeit einer RfickenmarkszerstSrung yon etwa L 1 abw~rts bei Ausfall der groflen Wurzelarterie von D 9/10 ist abet/estzuhalten, da nur 2--3 weitere Segmente yon der Kollateralversorgung fibernommen werden kSnnen.

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94 K.J . ZiYLCn:

Auch KALM hat vor kurzem auf die grol3e Bedeutung der Rficken- marksdurchblutung ffir die Topik zahlreicher Rfickenmarksschi~den (besonders der Neuromyelitis optica, der H~matomyelie und yon h/~mato- genen Geschwulstmetastasen) hingewiesen. Er nahm an, dal3 die Bevorzu- gung der Hals- und Lendenanschwellung (siehe die interessante Kurven- darstellung !) bei thrombotischen und embolischen Prozessen wesentlich in der grSBeren Gefi£13dichte dieser Gebiete und in der Richtung der BlutstrSmung begrfindet sei.

E. Durchblutungsstiirungen bei der Versorgung eines einzelnen Riickenmarksegmentes.

Betrachtet man aber nicht das ganze Rfiekenmark, sondern die Blut- versorgung eines einzelnen Segmentes (z. B. auf der Abb. 8 naeh dem Mettlerschen Atlas), so kann man diese als ein System yon Endarterien auffassen, die yon einer i~ul~eren Corona vasorum ausgehen. Am Ende jedes einzelnen dieser Zweige wfirde das kritische periphere Gebiet /i~r diesen liegen. Ffir alle ~ste zusammen bildet dies gefiihrdete Gebiet eine kreisfSrmige Zone um den Zentralkanal, die deutlieh in das ventrale Hinterstrangsfeld hineinreicht (Abb. 10, Schema V).

Eine kritische DurchblutungsstSrung wiirde zum akuten Untergang dieses zentralen Gebietes ffihren - - und zwar auf mehreren Segmenten - - , was von uns mehrfach im Stadium der frisehen Erweichung beobachtet wurde (s. Abb. 1--3). Naeh KLAUES Erfahrungen beim Riickenmarks- t rauma wandelt sich die zentrale Erweichung sp~ter in eine Nekrose- cyste um. Diese in Wirklichkeit stiftfSrmige, weft plurisegmentale Zone bildet sich iiberall dort, wo die Durehblutung zur Versorgung der Rficken- markssegmente nieht ausreicht. Dabei kann die ffir das Segment im Einzelfall zur Verffigung stehende Blutmenge sowohl yon oben bzw. unten fiber die groBen Li~ngsgef~e des Riickenmarks zugeleitet werden, wie auch zum kleineren Teil aus der segmentalen Wurzelarterie selbst her- s tammen (?). Liegt ein solcher zentraler Erweichungsstift oberhalb oder unterhalb einer ausgedehnten Querschnittserweichung, so zeigt er an, von woher die bisherige Blutversorgung stammte, yon oben, unten oder yon beiden Richtungen. Das ist ffir die Deutung wertvoll. Denn der zentrale Erweichungsstift ist der Indicator fiir die Zone einer Mangel- durchblutung, wo zwar noch Blut herankam, aber nicht zur Versorgung des ganzen Segmentes ausreichte. Deshalb konzentrierte sich der Schaden in der Mitte, dem gef/~hrdeten Endgebiet der zuffihrenden ~ste der Corona radiata.

Ich glaube also nicht, dal3 die Erkl/~rung KALMS ffir die zentralen Rfickenmarksnekrosen zutrifft, dab sich ,,die stiftfSrmige Hinterstrangs- nekrose durch einen VerschluB der in dem medianen Hinterstrangsgebiet

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Mangeldurchblutung als Ursache ungeklarter Rfickenmarkssch~digungen. 95

eintretenden Gef~Bzweige erkl~ren" lasse. ,,Es sei aus dem pathologiseh- anatomisehen und klinischen Beobachten zu schliei~en, dai3 dieser mediane Bezirk im wesentlichen sein Blut aus der cervicalen und lum- balen Region erhalte, denn die Nekrosen reichen oft fiber die Quer- schnittserweichung hinaus."

F. Die zentralen stiRfiirmigen Nekrosen als Grundlage anderer Syndrome (,,Hiimatomyelie", ,,traumatisehe Syringomyelie", Myelopathia neeroti- cans, Riiekenmarkssehiidigungen bei 0steoehondrose, Skoliosen usw.).

Es wurde erw~hnt, dal~ die zentralen •ekrosen in der klassischen Riickenmarkspathologie, besonders des , ,Traumas" seit langem bekannt waren, wenn auch ihre Entstehung noch unklar blieb. Auch GAGEL und KLAU]~ haben mehrfach auf diesen Befund hingewiesen. KLAUE betonte weiter, er k5nne noch nicht sagen, was aus diesen traumatischen Nekrose- cysten im Rfickenmark sp~ter wfirde. Aus einer operativen Beobachtung von R. KAUTZKY an der Petteschen Klinik l ~ t sich einiges dazu sageR: Der operative Befund bei einem Patienten mit einem Querschnitts- syndrom nach einem HalsschuB mit zuni~chst fast v511iger Rfickbildung und Rezidiv 5 Jahre danach in Form einer groBen Syrinx schien zu zeigen, da~ diese kleinen Nekrosen offenbar zu riesigen HShlen heran- wachsen kSnnen (sogenannte ,,traumatische Syringomyelie"). Ich habe t terrn KAUTZKY damals auf den wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen der Pathogenese der grol]en HShle seines Falles und den yon KLAU~ beschriebenen zentralen Nekrosecysten aufmerksam gemacht und auf dem Siidamerikanischen Neurochirurgen-Kongrei~ 1950 dieseBe- ziehungen im einzelnen beschrieben.

Mir scheint die H~ufigkeit der anatomischen Beobachtung derartiger zentraler Nekrosestifte im Rfickenmark besonders nach Trauma daffir zu sprechen, daI~ wir unseren Krankheitsbegriff der ,,Hiimatomyelie" revidieren mfissen, die wit immer dann zu diagnostizieren pflegen, wenn eine Rfickenmarkssch~digung plStzlich einsetzt und sp~ter mit dis- soziierten EmpfmdungsstSrungen und evtl. (nucle~ren) Paresen ver- bunden ist.

Ich habe 1944 bereits unter Hinweis auf die im Gange befindliche Untersuchung KLAUES (unter 130 F~llen yon Rfickenmarkstraumen nur 3 echte H~matomyelien !) die t t~matomyelie als eine ,fiu~erste Selten- heit" bezeichnet und betont, dab die zentralen Erweichungsstifte im Rfickenmark die gleiche Symptomatologie hervorrufen k5nnten. Bei der Bespreehung einer eigenen einschli~gigen Beobachtung habe ieh die Ent- stehung dieser Herde bereits vasculi~r erkli~rt. Ieh betonte damals be- sonders auch die MSglichkeiten einer reflektorischen vasomotorischen Entstehung.

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96 K.J.Z~Lc~:

Aber auch als Folge der cervicalen Osteochondrose werden derartige Befunde vielleicht auftreten kSnnen.

Ich sah kfirzlich bei einem Neurochirurgen die operative Freilegung einer Halsmarkcyste, deren Befund ich auf dem gleichen Boden erkl/~ren m6chte.

Es handelte sich um eine 51j~hrige Frau mit Sensibilit~tsstSrungen, die auf die Wurzeln C 5/6 und 6/7 hinwiesen. RSntgenologisch bestand eine hochgradige Osteochondrose in diesen Segmenten mit entsprechender Einengung der Wurzel- 15cher durch Hyperostosen, die noch durch Pantopaque-Fiillung besonders deutlich gemacht wurde. ])aneben bestand aber beidseits, fast am ganzen Arm und iiber- greifend auf die oberen Halssegmente und die Brust eine dissoziierte Sensibilit~ts- stSrung, was die Deutung sehr erschwerte. Bei der operativen Freilegung zeigte sich dann auch oberhalb der grotesk eingeengten Wurzeln C 6 und 7 eine ,,Syrinx", die bis etwa C 2/3 reichte und mit dem Zentralkanal in Verbindung stand.

Auch hier mSchte ich die ZerstSrung auf eine Durchblutungsst6rung infolge mechanischer Quetschung der Gefi~13~ste entlang yon C 6 erkl~ren. Schliel~lich machte mich W.BART SetI aufdas gelegentliche Vorkommen yon dissoziierten Empfindungsst6rungen an den Armen bei Prel~lufthammer- arbeitern aufmerksam. Diese besserten sich bzw. verschwanden nach Hydergin-Behandlung. I)a unter den PreBluftarbeitern Osteochondrosen der Halswirbels/~ule nicht so selten sind, halte ich es ffir m6glich, dab es sich hier Um passagere DurchblutungsstSrungen handelt, die auf die ,,relative Beengung" des mit C 6 verlaufenden kranialen Hauptgef~Bes der Rfickenmarksversorgung zurfickgehen. Dieses wfirde spastisch kontrahiert, wodurch es dann im Gebiet um den Zentralkanal zur ,,kritischen" Durchblutungsst6rung k/~me (Einzelheiten siehe : Die Medi- zinische, 1954).

Die Myelopathia necroticans schlielllich ist eine Riickenmarksnekrose, deren Entstehung noch ungekl~rt ist, von zahlreiehen Autoren aber mit vasalen Faktoren in Verbindung gebracht wird. Sicher ist die Atiologie, wahrscheinlieh auch die formale Pathogenese, nicht immer einheitlich. Doch dfirfte sehr h~ufig das Prinzip der gleichen DurchblutungsstSrungen eine l~olle spielen, das wir bisher schon als Grundmodell so verschiedener Rfickenmarkssch~digungen wirksam gesehen haben. Wahrscheinlich kSn- nen extradurale H~matome, Tumoren, Angiome, Traumen, Metastasen, Entzfindungen usw. die Hauptblutzufuhr fiber eines der grollen Gefiil~e sperren und damit akut, subakut oder chronisch die Nekrose herbei- ffihren. (Zum Beispiel im Fall von HENNEBERG, wo es nach Gewaltein- wirkung auf das Segment D 8 zur Nekrose im Conus und Epiconus kam.) Hier kSnnte man annehmen, dab es zur Arterienthrombose und damit zum Ausfall der (hier singul~iren) A. radicul, magna kam und zur Zer- stSrung im Gebiet der peripheren Ausbreitung dieses Gefitl~es. Sieht man unter diesem Gesichtspunkt die Literatur durch, so wird man ffireine

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Mangeldurchblutung als Ursache ungekl~rter Riickenmarkssch~digungen. 97

groBe Zahl der F~lle von Mye lopa th ia necrot icans eine plausible Erk l~rung ffir diesen sonst so myster iSsen Zerst5rungsprozeI~ finden.

Es is t schlieBlich noch au f die ,,internistischen" Durchb lu tungss tSrun- gen als Ursache einer spinalen StSrung hinzuweisen. I ch habe hier neben dem Fa l l 3 den folgenden einschl~gigen Befund gesehen:

Es handelte sich um einen Patienten mit einem groBen Lungencarcinom, das sich bei der Freilegung als inoperabel erwies, well es iiberall in die Adventitia der groBen Gef~Be vorgedrungen wax. Es wurde daher nach der Biopsie nur die Wunde geschlossen. Am Abend der Operation wurde ein spinales Quersehnittssyndrom festgestellt, dessen obere sensible Begrenzung schlieBlich eben an der Mamillarlinie lag. Der Kranke starb an der ,,Anoxie durch bilaterale pulmon~re Kongestion und Atelektase". Der konsultierende Neurologe dachte an eine spinale capilli~re Metastase als Ursaehe des Querschnittsbildes. Die Sektion des Riiekenmarkes ergab eine vSllige Erweiehung in KShe von D 7, mit riesiger zentraler Einschmelzung und einen dfinneren Erweiehungsstift bis in D 5 aufw~rts und ins untere Dorsalmark herab. Hier ergab die genaue Aufnahme der Vorgeschiehte erst naehtri~glieh, dab der Patient bereits seit langerer Zeit in klinischer Behandlung gewesen war wegen einer ,,axteriosklerotischen Herzkrankheit". Er war deshalb auch langere Zeit digitalisiert worden. AuBerdem stellte sich heraus, dab er erst vor 4 Jahren einen eigenaxtigen Zwischenfall gehabt hatte, wo er plStzlich eine Art akutes Querschnitts- s)mdrom bekam und nicht imstande war, die Beine zu bewegen. Man hatte wegen der eigenaxtigen intermittierenden St5rungen auch an eine funikuliire Spinalerkran- kung gedaeht.

BODECHTEL ha t hier vor kurzem fiber 2 Skol iot iker ber ichte t , die j edesmal w~hrend ihrer kard iovascul~ren Dekompensa t ion ein Quer- schn i t t sb i ld in D 4 bekamen, das bei in te rn is t i scher Behand lung zu- rfickging.

G. Die Ursache (kausale Genese) der Durchblutungsst~rungen.

So sehr sich j e t z t das Dunke l fiber die formale E n t s t e h u n g dieser vielf~l t igen Durchb lu tungss tS rungen mi t s t e r eo type r morphologischer Zers tSrung zu l ichten beg inn t - - wo wir also einen e inhei t l ichen Nenner zu e rkennen vermSgen - - , so wenig lassen sich die Ursachen dieser vaso- motor i schen StSrung bere i ts un t e r e inem einhei t l ichen Ges ich t spunk t ordnen. Sicher is t der entscheidende Faktor die Verringerung der Durch- strSmung.

Folgende MSglichkei ten s ind als Ursache vors te l lbar , ihre Bedeu tung mu• abe t noch genauer un te r such t werden :

a) es en t s t eh t ein ana tomische r Ausfal l e iner t t aup tve r so rgungsa r t e r i e , abe r zent ra le und per iphere Vasomotor ik (einschlie~lich Blu td ruck) sowie K o l l a t e r a l e n ble iben normal ;

b) das 5rtl iehe Gef~Bsystem b le ib t ana tomisch und funkt ionel l unver- ~nder t , abe r die Durchs t rSmung wird he rabgese tz t ;

c) das 5rt l iche GefaBsystem ist e ingeengt (Arteriosklerose), zus~tzl ich abe r die I )u r chs t r6mung (Absinken des Blu tdruckes) ver r inger t ;

Dtsch. Z. Nervenheilk.. Bd. 172. 7

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98 K.J. ZVLcK:

d) das 5rtliche Gef~l~system ist durch nervalen Einflug verKndert (kontrahiert oder erschlafft), die Gesamtdurchblutung aber intakt.

Welche MSglichkeit im Einzelfall vorliegt, mu$ jeweils untersucht werden. Sie kann im Abscheren der. beiden Aa. vertebrales (Luxation der Halswirbel in C 6, der Eintrittsstelle dieser Arterien), in der Beengung einer der zuffihrenden Hauptarterien durch raumbeengenden Prozeg an Wirbel oder Dura (s. a. Osteochondrose) oder Unterbindung bei der Operation liegen.

Hier war es im Falle eines Gutachtens (T6N~IS) naeh einem sehr blutigen Ein- griff am Querfortsatz des 7. Halswirbels mit Vertebralisverletzung (?) zum Quer- sehnittsbild in HShe yon D 4 gekommen.

Wahrseheinlich vermag auch das Trauma fiber eine Arterienthrombose die Versorgung abzuschneiden (Fall HENNEBERG). Schlieglich kann wahrscheinlich auch ein zentrales Kreislaufversagen besonders bei arterio- sklerotisch eingeengten Gef~Ben zur kritischen DurehblutungsstSrung im Grenzgebiet (Nahtgebiet) zweier Gefi~Bversorgungen bzw. im Zentrum des Segmentes ffihren (Fall 3 u. 4).

Diese Vorstellungen bedfirfen abet weiterer Uberprfifung. Insbeson- dere mug auch untersueht werden, wieweit rein mechanische, wieweit allgemeine strSmungsdynamische Faktoren eine Rolle spielen, wieweit aber auch reflektorische und sonstige nervale Einflfisse eine Bedeutung gewinnen kSnnen, wie LENz-WINKELBAUER, SORGO und auch ich in einer frfiheren Arbeit erwogen haben.

H. Die Bedeutung des Segmentes D 4 fiir die segmentale Versorgung der Lunge.

Wir mfissen zum Schlug noch einen Blick auf die besondere Bedeutung des Riickenmarksegmentes D 4 werfen, weft es sich hier um eines der ffir die Steuerung der vegetativen Funktion der Lungen wichtigen Segmente handelt.

In den fiblichen Schemata werden die Segmente D 3 und D 4 als HShe der autonomen Versorgung der Bronchien und der Lungengef~l~e an- gegeben.

Ieh daft zun~ehst auf die eigene Beobaehtung bei einem 47jahrigen Patienten hinweisen - - die ich kurz auf dem Deutschen Psychiater- und Neurologen-Kongrel3, Stuttgart 1950, w~hrend der Diskussion erw/~hnt habe --, der wegen eines Me- ningeoms in dieser H5he operiert wurde. Er kam allerdings schon unter dem Bilde eines kompletten Querschnittssyndroms und mit ,,rasselnden Imngen" in die Klinik und starb kurz nach der Operation unter dem Bflde einer Bronehopneumonie. Bei der Sektion sah ich fiber beiden Lungen das k]assische Bild einer ,,segmentalen Pneumonie" (KALBFLEISCH, I~EINHARD, STURM) auch oberfl~chlich' schon angezeigt durch seharf abgeschnittene, die ,,Segmentgrenzen" anzeigende subpleurale Blu- tungen (s. aueh 1NTIEDNER).

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Mangeldurchblutung als Ursache ungekl/irter Rfickenmarkssch~digungen. 99

Aber auch im Falle 2 dieser Arbeit war klinisch von Beginn an eine auff/illige Ersehwerung und rasehe Verschlechterung der Atmung festzustellen, die bei Lgsionen des unteren ttalsmarkes und oberen Dorsalmarks sonst nicht im Vorder- grund zu stehen pflegt.

Das geht auch aus FO~RSTERS Beobaehtungen bei andersartigen kompletten Trans- versalsyndromen in C 7 hervor. FOERSTER erw/~hnt 1936 (s. S. 105), dab die Atmung beim Transversalsyndrom C 6 weniger beeintr/~chtigt ist, als beim Transversal- syndrom C 5, da die auxili/~ren Atemmuskeln hierbei recht gut mitwirken. Er gibt auch an - - was den allgemeinen Erfahrungen entspricht -- , dab mehrere Patienten mit v611igem Querschnittssyndrom in dieser I-[6he viele Monate iiberlebt h/itten. In unserem Falle bestand aber nur eine TeilschdAigung in C 7/8; das vollst/~ndige Querschnittsbild hingegen begann erst in D 4.

Man wird sich also vors te l len kSnnen - - und dieser Zusammenhang

mtiBte in Zukunf t beachte t werden - - , dab Pa t i cn ten mit Querschnitts- bildern in D 3/4 besonders leicht durch Atemst6rungen und eine folgende

Pneumonie gef/~hrdet sind, die dann nach Art der yon uns beobachte ten

Segmenta lpneumonie ablaufen diirfte. Vielleicht wird man hier zu der

i iblichen Pneumoniebehand lung Hyderg in oder Pendiomid oder iihnliche

Mit te l geben miissen, um die pathologischen (vegetat iven) Reflexe aus- zuschalten.

I. Durehblutungsst~rungen an den Grenzzonen zweier Versorgungsgebiete im Hirn.

Ich habe in e inem Vor t rag vor den Pa tho logen von Nordrhe in-West -

falen 1953 schon die Beispiele der gleichen Durchblu tungss tSrung auch

am Hi rn erw~hnt (s. Schema I I I u. V, Abb. 10).

Auf das Bestehen einer ringf6rmigen Zone mit den Ver~nderungen der granu- laren Atrophie bei der Thrombangitis obliterans (SPATZ U. LINDENBERG) wurde schon yon Em~ u. WIENERS bei der Schilderung yon DurchstrSmungsstSrungen aufmerksam gemacht. Ich glaube aber, dab die yon Se.xTZ u. LINDENBERG gegebene Erklarung die Verhaltnisse noch nicht vollstiindig trifft. Denn diese Verff. hatten angenommen, dab sich an diesen Grenzzonen die Thrombangitis (der Endaste) besonders stark ausbildete. Nach unserer Erklarung aber handelt es sich um eine Mangelversorgung an diesen Grenzzonen, die auf die aUgemeine Einenqung der Hauptstdmme dieser beiden Versorgungsgebiete der Anterior und Media und Posterior zuriickgeht. Die Einengung liegt also naher kardialwarts.

Ein zweites sehr interessantes Beispiel einer derartigen Durchblutungsst6rung im Hirn ergab eine eigene Beobachtung, wo es bei einem Hypertoniker nach Sturz ins kalte Wasser zu einer umschriebenen Erweichung im Centrum semiovale und oberen Schweifkernkopf gekommen war, was sich bei der Autopsie einige Jahre spater zeigte. Gleiche Herde sieht man auf einem Bild COURVILLES, in einer Arbeit ORT~NERS und bei einem Kind mit Tetralogia FaUot (blue baby).

Das dritte Beispiel liegt an den Stammganglienartcrien, wo der letzte Ast (A. striolenticularis, Arterie der Stammganglien-Apoplexie) die ,,gefahrdete auBere Peripherie" darstellt. Auf diesem Boden lieBen sich die selektiven Putamen-Nekrosen (zahlreiche Beispiele) leicht erklaren.

Dieser 6rtliche Vulnerabilitgtsfaktor spielt wahrscheinlich auch bei der Ent- stehung der groBen Massenblutungen eine P~lle, fiir deren Ausbildung 5 GrSl3en

Dtsch. Z. Nervenheilk., Bd. 172. 7*

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100 K . J . Zi~LCH:

zusammenwirken, 1. die ubiquitiire Erkrankung der Arteriolen (Hyalinose), 2. die besondere 6rtliche Ausbildung derartiger Erkrankungen an den Umbiegungsstellen yon Arterien, die wie die A. tenticulostriata im rechten Winkel abbiegen, 3. die st~ndige, vermehrt auf diesem Knie lastende Querschnittsbelastung durch den erhShten Blutdruck, 4. der Verlauf der Arterie durch ein kreislau]mdflig leicht ge/iihrdetes Gebiet (s. o.), versti~rkt durch 5. den besonderen Sauerstoffbedarf des Putamens.

Weitere Grenzzonen liegen mitten in der inneren Kapsel {oral) sowie im Ver- sorgungsgebiet der A. cer. post., woes bei Einengung des Gef~Bquerschnittes (z. B. bei einem Prolaps in die C. ambiens) zu h~morrhagischen Erweichungen in einem ganz bestimmten Territorium kommt (s. RIESSNER U. Zi2LCH).

Abb . l l .

Danach dfirfte dieses Modell der Durchb lu tungss t6 rung ,,der le tz ten

Wiese" uns noch fiir zahlreiche andere F o r m e n auch der Hirngewebs-

zerst6rung Aufschlu~ geben k6nnen, fiber die in Ktirze ausffihrlich be-

r ichte t wird.

Fall 4. Wi~hrend der Drucklegung wurde der folgende Fall beobachtet, der die Entstehung zweier - - diesmal leicht h~morrhagischer Erweichungen im Cervico- Dorsalmark und Lumbalmark unabh~ngig voneinander und durch gesundes Gewebe getrennt zeigte. Es handelte sich um ein 7 Monate altes Kind mit einem Tumor der unteren Medulla oblongata bzw. des oberen Halsmarkes. Teiloperation des Tumors, der sich als v511ig inoperabel erwies. Am Abend des Operationstages 40 o Temperatur. An den folgenden Tagen starke Labilit/~t yon Kreislauf und Atmung, die medi- kamentSs nicht zu regulieren waren. In den n~chsten 6 Tagen schwankte die Temperatur zwischen 38,5 und 41 °, der Puls zwischen 100 und 130, die Atmung stieg bis auf 140/min. Unter Temperaturanstieg auf 41,80 bei einer Atmung yon 140 und einem Puls yon 182 verstarb das Kind.

Page 21: Mangeldurchblutung an der Grenzzone zweier Gefäßgebiete als Ursache bisher ungeklärter Rückenmarksschädigungen

Mangeldurehblutung als Ursache ungekl~rter Rfiekenmarkssch~digungen. 101

Autoptisch war das Halsmark bis in die HShe von C 7 weitgehend erweicht. Von C 8 bis D 2 war es besser erhalten, dann n a h m eine h~morrhagische rein zen- trale Erweichung wieder zu, die in D 4 ihren HShepunkt erreichte, um dann wieder geringer zu werden. Von D 7 bis L 1 waren die Segmente wieder normal. Von L 2 ab erschien dann wieder eine zentrale (h~morrhagische) Erweichung, die sieh bis in den Conus fortsetzt~ (s. Abb. 11).

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Prof. Dr. K. J. ZiiLCH, KSln-Lindenthal , Max-Planck-Inst i tu t ffir Hirnforschung, Lindenburg.