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Public Health Forum 21 Heft 81 (2013)http://journals.elsevier.de/pubhef
Markt + Staat = Effizienz im Gesundheitswesen?Einige kritische Anmerkungen
Kai Mosebach
Die hohen okonomischen Effizienzer-
wartungen markt- und wettbewerbs-
basierter Handlungskoordination
beruhen auf dem neoklassischen
Marktmodell des vollstandigen Wett-
bewerbs (Fees-Dorr, 1992; Hajen
et al., 2011). Die Produzenten richten
sich an den Praferenzen der Konsu-
menten aus, die mit ihrer zahlungs-
fahigen Nachfrage das Angebot be-
stimmen. Doch Patienten sind als me-
dizinische Laien in der ambulanten
und stationaren Krankenversorgung
wesentlich auf die professionelle
,,Ubersetzung‘‘ ihrer Befindlichkeiten
in medizinische Befunde und thera-
peutische Prozeduren angewiesen.
Die Leistungserbringer haben somit
einen erheblichen Einfluss auf die
Konkretisierung der unspezifischen
Nachfrage von Patienten. Omnipra-
sentes Marktversagen, hier: die man-
gelnde Konsumentensouveranitat und
die angebotsinduzierte Nachfrage,
entziehen den Effizienzerwartungen
von Markt- und Wettbewerbsbefur-
wortern im Gesundheitswesen ihre
Grundlage (Light, 2000; Rice, 2004;
Hajen et al., 2011). Lassen diese in der
Folge von solchen ordnungspoliti-
schen Forderungen ab? Merkwurdi-
gerweise nicht. Die meisten Gesund-
heitsokonomen sind uberzeugt, dass
sich mittels der politischen Steuerung
von Markt- und Wettbewerbsprozes-
sen die im neoklassischen Modell ver-
sprochenen Effizienzerwartungen ,,si-
mulieren‘‘ ließen (Barr, 2012; Cassel,
2002; Rice, 2004). Doch das ist so
sicher nicht. Denn die Simulation
von Markt- und Wettbewerbsprozes-
sen im Gesundheitswesen hat soziolo-
gische Grenzen und beschwort mitun-
ter dysfunktionale Effekte herauf
(Kuttner, 1999; Leys, 2003; Light,
2000).
Erstens gelingt es nicht, die Ursachen
von Marktversagen im Gesundheits-
wesen zu beseitigen. Untersuchungen
zeigen, dass die Informationsbe-
schrankungen von Patienten durch In-
formationsportale uber Leistungen
und Leistungsqualitat nicht beseitigt
werden (Geraedts, 2008; Mansky,
2011). Sie bleiben medizinische Laien
und den wechselnden Spielregeln der
Medizin-Experten ausgesetzt. Konsu-
mentensouveranitat fur alle lasst sich
auf marktallokativ ineffizienten Ge-
sundheitsmarkten nicht herstellen
(Mosebach, 2006). Auch der Versuch,
die Angebotsmacht der Leistungser-
bringer uber eine Standardisierung
von Leistungen, Leitlinien und pau-
schalierten Vergutungssystemen zu
brechen, ist von Steuerungsproblemen
begleitet. Viele medizinische Thera-
pieverfahren lassen sich nur begrenzt
standardisieren, so dass eine nachtrag-
liche Leistungs- und Kostenkontrolle
fur Kostentrager bzw. andere regula-
tive Instanzen außerordentlich heraus-
fordernd ist. Zudem setzen diejenigen
medizinischen Verfahren, die standar-
disierbar sind (z.B. Endoprothesen),
durch Skaleneffekte okonomischeAn-
reize, die Fallzahlen insgesamt aus-
zuweiten (Mosebach und Rakowitz,
2012).
Zweitens sollen sich Krankenkassen,
Arzte und Krankenhauser im politi-
schen Marktmodell an ihrem okono-
mischen Nutzen orientieren, der ver-
mittels Budgetierung, pauschalierter
Vergutungssysteme und Standardisie-
rungen zu einer kostengunstigen und
qualitativ hochwertigen Krankenver-
sorgung fuhre (Gerlinger und
Mosebach, 2009). Hierdurch wird
das betrieblich-organisatorischeKern-
ziel der Krankenversorgung trager-
ubergreifend die Erzielung eines ope-
rativen Uberschusses. Die Kommer-
zialisierung der Kranken(haus)
versorgung droht (Mosebach, 2010a,
2010b). Wahrend die Einfuhrung des
Gesundheitsfonds die problematische
Risikoselektion durch Krankenkassen
verringert hat, bleiben sowohl kosten-
induzierte Rationierungen als auch
Mengenausweitungen fur Leistungs-
erbringer attraktiv (Kuhn, 2004;
Gerlinger und Mosebach, 2009).
Dies zeigt sich - drittens - besonders
in der dysfunktionalen Konkurrenz
um die beste Wettbewerbsstrategie
zwischen Kostentragern und Leis-
tungserbringern. So wollen viele
Krankenkassen uber die Ausweitung
vonDirektvertragen, wie bereits in der
(kapitalintensiven) Arzneimittelver-
sorgung uber Rabattvertrage realisiert,
Einfluss gewinnen auf die personal-
intensive Leistungserstellung in Arzt-
praxen, Krankenhausern und anderen
Gesundheitseinrichtungen (Gerlinger
und Mosebach, 2009). Auf den Kos-
ten- und Wettbewerbsdruck der Kos-
tentrager sowie die Einfuhrung markt-
kompatibler Vergutungssysteme ant-
worten die Leistungstrager (Arzte,
Krankenhauser) mit einer problemati-
schen Doppelstrategie. Sie reagieren
zum einen mit Personalabbau und Fle-
xibilisierung ihrer Organisationen, die
die Qualitat der Versorgung bedrohen
(Simon, 2008). Zum anderenverfolgen
sie eine Strategie der Mengenauswei-
tung von Leistungen in medizinischen
5.e1
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Grauzonen und von lukrativen Diag-
nostika und Therapien, die auch von
einer zunehmenden Leistungsprivati-
sierung begleitet sind (Gerlinger und
Mosebach, 2009; Mosebach und Ra-
kowitz, 2012).
Schließlich besteht in einer sich zu-
nehmend kommerzialisierenden
Krankenversorgung das Paradox,
dass mit ihrer Ausbreitung die rele-
vanten Daten bzw. Zugriffsrechte
ebenfalls ,,privatisiert‘‘ werden und
damit eine – modellinharent notwen-
dige – nachtragliche Kontrolle von
Marktergebnissen immer schwieriger
wird (Kuhn, 1997). Zahlreiche not-
wendige Daten uber Patientenstrome,
Finanzierungsstrome und Behand-
lungsfalle werden im Marktwettbe-
werb zu unternehmensrelevanten
5.e2
Daten und sind einer unabhangigen
Uberprufung nicht leicht zuganglich.
Damit sind die Effizienzversprechun-
gen des Modells eines politisch ge-
steuerten Marktwettbewerbs im Ge-
sundheitssystem allerdings in Frage
gestellt, weil nicht uberprufbar.Vor
dem Hintergrund dieser Steuerungs-
defizite konnte selbst eine unabhangi-
ge Evaluation der Markt- und Wett-
bewerbseffekte durch staatliche Be-
horden nicht viel ausrichten. Denn
an den nicht-intendierten und dys-
funktionalen Effekten von Markt-
und Wettbewerbsprozessen im Ge-
sundheitswesen andert eine solche
nichts. Was vielmehr Not tut, ist ein
gesundheitspolitischer Kulturwandel:
von der kommerzialisiert-desintegrier-
enden zur kooperativ-integrierenden
Krankenversorgung in einem solidari-
schen Gesundheitssystem (Deppe,
2011; Hengsbach, 2006).
Der korrespondierende Autor erklart, dasskein Interessenkonflikt vorliegt.
Literatur siehe Literatur zum Schwerpunkt-thema.http://journals.elsevier.de/pubhef/literatur
http://dx.doi.org/10.1016/j.phf.2013.09.015
Kai Mosebach, Dipl. Pol.Vertretungsprofessur furGesundheitswissenschaften,Gesundheitspolitik undGesundheitsokonomieHochschule Ludwigshafen am RheinFachbereich Sozial- undGesundheitswesenErnst-Bohe-Straße 467059 Lundwigshafen am [email protected]
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Einleitung
Trotz Marktversagen sind Gesundheitsokonomen davon uberzeugt, die Effizienz des Marktwettbewerbs durch politische
Steuerung simulieren zu konnen. Diese Auffassung wird hier kritisiert, denn weder kann die Konsumentensouveranitat fur
Patienten realisiert werden noch lassen sich dysfunktionale Effekte des Wettbewerbshandelns verhindern. Die zuneh-
mende Kommerzialisierung des Gesundheitswesens hat paradoxerweise eine Desintegration der Versorgung und Ent-
machtung regulatorischer Behorden zur Folge.
Summary
Market failures are endemic in health care. However, health economists are convinced of creating market efficiency by
political regulation. The article questions such suppositions by showing that the model of the homo oeconomicus does not
fit with the reality of interacting patients, health care providers and third-party-payers. It holds that the creeping
commercialisation of health care will paradoxically desintegrate health care provision and weaken the steering power
of regulatory bodies.
Schlusselworter:
Wettbewerb = Competition, Staat = Health care, Kommerzialisierung = Commercialization, Gesundheitswesen =
Efficiency, Effizienz = State
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5.e3