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Mit dem Hochschulrat in die Autonomie? Kritische Anmerkungen zur Umgestaltung der Governance von Hochschulen Richard Münch Seminar „Alle Macht den Hochschulräten“ des Arbeitskreises Fortbildung im Sprecherkreis der deutschen Universitätskanzler/innen Berlin, 21.02.2008

Mit dem Hochschulrat in die Autonomie? Kritische Anmerkungen zur Umgestaltung der Governance von Hochschulen Richard Münch Seminar Alle Macht den Hochschulräten

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Mit dem Hochschulrat in die Autonomie?

Kritische Anmerkungen zur Umgestaltung der Governance von Hochschulen

Richard Münch

Seminar „Alle Macht den Hochschulräten“ des Arbeitskreises Fortbildung im Sprecherkreis der deutschen Universitätskanzler/innen

Berlin, 21.02.2008

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Übersicht

I. Der Hochschulrat als Teil der Audit-Universität

1. Hochschulrat und New Public Management (NPM)

2. Organisationale Konsequenen von NPM

3. Benchmarking und Ranking als Instrumente von NPM

4. Perverse Effekte von Kennzahlen

II. Der Hochschulrat als Teil der unternehmerischen Universität

1. Die Rolle des Hochschulrats in der unternehmerischen Universität

2. Universitäten als Parasiten der Forschung

3. Akademischer Kapitalismus

4. Schließung des Wettbewerbs und der Wissensevolution

III. Statistische Analysen

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I. DER HOCHSCHULRAT ALS TEIL DER AUDIT-UNIVERSITÄT

1. Hochschulrat und New Public Management (NPM)

(1) Der Hochschulrat ist einerseits Mittler in der engeren Kopplung der Universität zu ihrer Umwelt, andererseits die Repräsentation der neuen externen Kontrolle in der Universität, im Zuge der unaufhaltsamen Ausbreitung von NPM.

(2) Wie alle Aufsichtsräte kann ein Hochschulrat ein reiner Honoratiorenklub sein, an dem mangels Insiderwissen alle relevanten Geschehnisse vorübergehen, so dass er aus allen Wolken fällt, wenn die Dinge schon den Bach hinuntergegangen sind.

(3) Je mehr Hochschulräte ihre Aufgabe ernst nehmen, umso mehr benötigen sie Informationen, die direktes Insiderwissen ersetzen. So landen Universitäten zwangsläufig beim Regime der Kennziffern.

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(4) Die Einrichtung von Hochschulräten ist ein Baustein einer allgemeinen Verdrängung von selbst organisierter Forschung und Lehre nach bestem Wissen und Gewissen durch externe Kontrolle.

(5) An die Stelle des Vertrauens in die professionelle Selbstregulierung und der Autonomie der Forscher, Fachbereiche und Hochschulen tritt das Misstrauen der Prinzipale in ihre Agenten und die externe Kontrolle nach den Prinzipien von Zielvereinbarung, vollständiger Transparenz und Erfolgskontrolle durch Kennziffern.

(6) Die akademische, selbst organisierte Universität, die nur lose an Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gekoppelt ist, wird durch die Audit-Universität ersetzt.

(7) Enge Kopplung tritt an die Stelle von loser Kopplung, und zwar von

Regierung und Hochschule

Gesellschaft und Hochschule

Wirtschaft und Hochschule

Hochschulleitung und Forscher/Lehrer

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2. Organisationale Konsequenzen von NPM

(1) Neue Bürokratisierung:

• Was in den vielversprechenden Begriff des Qualitätsmanagements gepackt wird, stellt sich als eine neue Form der Bürokratisierung dar:

- Zweckprogramme (Zielvereinbarungen, Kennziffernsteuerung) beherrschen Forschung und Lehre

- LOM

(2) Standardisierung:

Um Vergleichbarkeit und formale Gerechtigkeit zu gewährleisten, muss alles über einen Kamm geschert werden: Widerspruch von formaler und materialer Rationalität. Es verschwindet die Vielfalt von Lehr- und Forschungsleistungen zugunsten einheitlicher Standardmaße.

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(3) Horizontale und vertikale Differenzierung:

Zwischen den Forschern, Fachbereichen und Hochschulen breitet sich ein Konformitätswettbewerb um die Erfüllung von Kennziffern aus, der zur Spezialisierung zwingt und vorher Unvergleichliches in eine Rangordnung bringt.

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3. Benchmarking und Ranking als Instrumente von NPM

Kennziffernsteuerung verlangt nach Ranking. Rankings erzeugen

selbst die Realität, die sie zu messen vorgeben, nicht nur zugunsten

besserer Leistungen: Reaktivität.

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(1) Self-fulfilling Prophecies

• Effekte auf externe Rezipienten

- Rankings erzeugen Ungleichheiten zwischen Institutionen die kaum zu unterscheiden sind.

- Selbst kleine Differenzen beeinflussen die Nachfrage nach Studienplätzen (Zahl und Qualität der Bewerber).

- Frühere Rankings determinieren das Urteil in aktuellen Rankings.

• Rankings entscheiden über die Verteilung von Ressourcen und bestimmen dadurch die Wettbewerbsfähigkeit von Institutionen.

• Institutionen richten ihre Rekrutierungspraxis und ihre Angebote nach dem Kriterienkatalog von Rankings, weil sich ihre „Kunden“ daran orientieren.

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(2) Metrisierung akademischer Leistungen

•Simplifizierung von Information durch einfache Kennzahlen

•Metrisierung übergeht die Vielfalt von Leistungen

•Hierarchisierung vielfältiger Differenzen zwischen Universitäten bzw. Fachbereichen

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(3) Realitätskonstruktion durch Rankings

•Re-Allokation von Ressourcen zwecks Positionierung im Ranking

-Erlass von Studiengebühren für Studenten mit Bestnoten, Erhöhung der Gebühren für den Rest der Studenten

-Steigerung der Ausgaben für Marketing

•Redefinition von Arbeit und Programmen: Karriere Service

•Gaming the System

-Manipulation von Zahlen, z.B. Lehrer/Schüler-Verhältnis

-Trennung des Lehrpersonals vom Forschungspersonal

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4. Perverse Effekte von Kennzahlen

(1)Drittmittel: Hochschulleitungen drängen Forscher, ihre Forschung drittmittelkonform zu gestalten

• Großprogramme wie SFBs werden zum Selbstzweck, weil sie auf einen Schlag viel Geld einbringen: die besten Forscher verschleißen sich dann im Management von Forschungsverbünden, während viele Forscher als Mitläufer dabei sind, die sonst keine Drittmittel bekämen.

• Große Forschungsverbünde sind für weite Teile der Forschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften eher ein Hemmnis als eine förderliche Einrichtung.

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(2) Begutachtete Fachzeitschriftenaufsätze:

•Forscher werden darauf konditioniert, Datensätze mehrfach zu verwerten und in kleinen Teilen zu publizieren, um aus ein und derselben Forschungsarbeit möglichst viel Kapital zu schlagen: Salamitaktik der kleinstmöglichen publizierbaren Einheit.

•Fachzeitschriftenaufsätze sind meist Ergebnisse der Normalwissenschaft.

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(3) Bibliometrische Rankings: vernachlässigen bzw. ignorieren sogar ganz

-Monographien-Forschungsberichte als Transfer in die Praxis-Veröffentlichungen für ein breiteres Publikum

In der Soziologie wird prämiert:

•Professionelle Soziologie für Soziologen

Es werden verdrängt:

•Policy-orientierte Soziologie•Öffentliche Soziologie•Kritische Soziologie

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II. HOCHSCHULRAT UND UNTERNEHMERISCHE UNIVERSITÄTEN

1. Die Rolle des Hochschulrats in der unternehmerischen

Universität

(1) Hochschulräte sind Teil der Transformation von Universitäten in

Unternehmen und können deshalb nicht für sich allein betrachtet

werden, sondern nur in ihrer unterstützenden Rolle in diesem

Prozess.

(2) Wenn Hochschulräte ihrer Rolle in diesem Transformationsprozess

gerecht werden wollen, dann können sie nicht anders handeln, als

die Umgestaltung der Universitäten in Unternehmen zu forcieren.

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(3) Am besten werden sie das tun, wenn in ihnen Managementdenken

und dessen natürliche Neigung, Managementmoden zu folgen,

vorherrschen.

(4) Die Zusammensetzung eines Legitimität verschaffenden

Hochschulrates sollte dementsprechend von einflussreichen

Managern, ergänzt um einzelne hoch reputierte Wissenschaftler,

geprägt sein. Damit sind die personellen und denkerischen

Voraussetzungen dafür gegeben, dass die Universität effektiv und

direkt mit den mächtigsten und einflussreichsten Kräften ihrer

gesellschaftlichen Umwelt verkoppelt ist, das heißt mit der Wirtschaft.

Das fördert den regen Austausch von Ressourcen, Wissen und

Personal zum beiderseitigen Nutzen.

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(5) Die Zusammensetzung des Hochschulrates entscheidet

maßgeblich darüber, in welcher Liga und in welchen Rangplätzen

eine unternehmerische Universität spielt.

(6) Mit dem Hochschulrat in die „Autonomie“ entlassen zu werden,

bedeutet: von der staatlichen Kontrolle durch das

Wissenschaftsministerium befreit zu sein. Die Bindung der

Universität an das politisch repräsentierte und vom

Wissenschaftsministerium administrativ umgesetzte Gemeinwohl

wird jetzt durch die direkte Bindung an die Gesellschaft - verkörpert

im Hochschulrat – ersetzt.

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(7) Die Universität kann sich nur dadurch in der neuen Freiheit behaupten,

dass sie erfolgreich Forschungsgelder einwirbt. Der Hochschulrat hat

deshalb in allererster Linie die Aufgabe, das erfolgreiche Agieren der

unternehmerischen Universität im Kampf um Forschungsgelder zu

ermöglichen.

(8) Mit der Durchsetzung der unternehmerischen Universität verändern sich

die Koordinaten der Wissensproduktion grundlegend. Um das zu

begreifen, müssen wir uns anschauen, nach welchen Regeln der

Wettbewerb von Forschern um Reputation abläuft und nach welchen

Regeln sich der zunehmend den Forscherwettbewerb überlagernde

Wettbewerb zwischen unternehmerischen Universitäten um

Kapitalakkumulation richtet.

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2. Universitäten als Parasiten der Forschung

(1) Wettbewerb zwischen Forschern und Forschergruppen um

Reputation durch Rezeption von Publikationen

a) Prioritätswettbewerb durch Innovation, d.h. Abweichung

von herrschendem Wissen und herrschenden Methoden, d.h.

von der Norm

b) Qualitätswettbewerb durch Bestätigung des herrschenden

Wissens mittels herrschender Methoden, d.h. Konformität zu

Normen

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(2) Wettbewerb zwischen Universitäten um Forscher

a) unter Bedingungen der Chancengleichheit in der Ausstattung und in

der Vergütung von Forschungsleistungen

offener Wettbewerb mit der Konsequenz, dass sich Forscher

frei entscheiden können, wo, mit wem und worüber sie forschen wollen

begrenzte Spreizung zwischen Spitzengehältern sowie

Ausstattung und Grundgehältern sowie Ausstattung mit der

Konsequenz der breiten Förderung einer größeren Zahl von gut

situierten Forschern mit dem notwendigen akademischen Freiraum für

riskante, in ihrem Erfolg nicht planbare Forschung

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b) unter Bedingungen der Ungleichheit in der Ausstattung

und in der Vergütung von Forschungsleistungen

wachsende Spreizung in exorbitant hohe Spitzengehältern

und üppige Ausstattung für Stars (siehe Manager) und niedrige Gehälter

sowie ärmliche Ausstattung für die breite Masse der Forscher mit der

Konsequenz der Überausstattung über das effizient und effektiv nutzbare

Maß hinaus in der Spitze und der Unterausstattung unterhalb der kritischen

Masse in der Breite, in welcher der notwendige akademische Freiraum für

riskante Forschung fehlt. Es schrumpft das Innovationspotential, das immer

aus der Peripherie und nie aus dem Zentrum kommt, weil dort das schon

etablierte und zur Norm gewordene Wissen sitzt.

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(3) Universitäten variieren zwischen den beiden Polen von Förderern der

Forschung auf der einen Seite und Parasiten der Forschung auf der

anderen Seite.

a) Als Förderer der Forschung bieten sie Forschern einen Freiraum der

Forschung und überlassen den Forschern deren Erträge in Gestalt

von Reputation zur freien Verwendung, oft jenseits ihrer Grenzen. Als

Folge ergibt sich eine breite und vielfältige Entwicklung des Wissens.

b) Als Parasiten der Forschung treffen Universitäten mit Forschern

Zielvereinbarungen (Drittmitteleinnahmen, Publikationen in

begutachteten Fachzeitschriften) und beanspruchen die Nutzung der

Erträge (monetäres und symbolisches Kapital) für die Institution in

Gestalt von institutionell gebundenen Forschungsverbünden. Das ist

die Handlungsmaxime der neuen unternehmerischen Universität.

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3. Akademischer Kapitalismus

(1) Wirtschaft und Wissenschaft greifen in der unternehmerischen

Universität so ineinander, dass beide Seiten nahezu

ununterscheidbar werden. Während Wirtschaftsunternehmen

Wissen nutzen, um es in monetäres Kapital umzuwandeln,

investieren Universitätsunternehmen monetäres Kapital, um jenes

Wissen zu generieren, das wieder in die Akkumulation von

monetärem Kapital eingespeist werden kann.

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(2) Um sich Wettbewerbsvorteile in der Generierung von monetärem Kapital zu

verschaffen, verlangen unternehmerische Universitäten von ihren Forschern,

dass sie ihre neuen Erkenntnisse und Erfindungen zuerst vor der Nutzung

durch Konkurrenten sichern, bevor es für die breitere wissenschaftliche

Gemeinschaft zugänglich gemacht wird. Dabei muss die unternehmerische

Universität darauf bestehen, dass sie als Institution und nicht der Forscher als

Person das Verfügungsrecht über die Erkenntnisse und Patente erhält, weil

nur so gesichert ist, dass sie in die institutionelle und nicht persönliche

Akkumulation von Kapital investiert werden können.

(3) In der Hand unternehmerischer Universitäten gelangt die Wissensproduktion

direkt vor Ort in einen ökonomischen Verwertungskreislauf. Der klassische

Kreislauf der reinen Wissensproduktion wird von diesem ökonomischen

Verwertungskreislauf im Vorrang verdrängt.

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(4) Für die unternehmerische Universität gelten die

Gesetzmäßigkeiten der Behauptung gegen Konkurrenten, indem

sie sich exklusive Wettbewerbsvorteile verschafft, zu denen die

Konkurrenten keinen Zugang haben. Der größte Vorteil ist

Reichtum an monetärem Kapital, das in Reputationsgewinne

durch die Rekrutierung schon reputierter und besonders

aussichtsreicher Forscher, d.h. in symbolisches Kapital

umgemünzt werden kann. Das symbolische Kapital hilft, Allianzen

zu schmieden, Geldgeber zu finden und die Studiengebühren

nach oben zu treiben.

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(5) Der erreichte akademische Reichtum ist nicht erforderlich, um besser

forschen zu können, sondern um weiteres symbolisches Kapital zu

akkumulieren und um die kapitalkräftigsten Forscher von anderen

Universitäten abzuziehen und bei sich selbst zu halten.

Konsequenterweise wird hartnäckig daran gearbeitet, die

Besoldungsordnung außer Kraft zu setzen.

(6) Die von den reichsten Universitäten rekrutierten Forscher haben in

aller Regel an weniger reichen Universitäten dieselben Leistungen

erbracht (siehe schon Max-Planck-Institute)

Page 26: Mit dem Hochschulrat in die Autonomie? Kritische Anmerkungen zur Umgestaltung der Governance von Hochschulen Richard Münch Seminar Alle Macht den Hochschulräten

(7) Um den Erkenntnisfortschritt zu fördern, ist offensichtlich die

Konzentration von Reichtum auf wenige Universitäten gar nicht

erforderlich. Erklärt werden kann deshalb dieser

Konzentrationsprozess nicht durch den daraus resultierenden

Nutzen für die Forschung, sondern allein durch die

Anziehungskraft reicher Institutionen, die ihren Reichtum zur

parasitären Nutzung der rekrutierten Forscher für die weitere

Akkumulation von monetärem und symbolischem Kapital

verwenden.

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4. Schließung des Wettbewerbs und der Wissensevolution

(1) Unter dem Regime der unternehmerischen Universität entscheiden

nicht mehr Forscher zwecks Steigerung ihrer eigenen Reputation

über die Investition von Forschungskapital, sondern Universitäten

zwecks zirkulärer Akkumulation von monetärem und symbolischem

Kapital

(2) Die Folge der parasitären Ausbeutung der Forschung durch

Universitäten ist ihre gezielte Lenkung in Forschungszweige, die sich

als gewinnträchtig darstellen: kapitalintensive Verbundforschung als

Selbstzweck, Forschung im sicheren Mainstream, Forschung im

Modetrend, angewandte Forschung.

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(3) Die Konsequenz ist die Überinvestition in aktuell gewinnträchtige Forschung,

die Überforschung von im Trend liegenden Themen und die Unterinvestition in

risikoreiche Forschung außerhalb großer Verbünde, außerhalb des

Mainstreams, gegen Modetrends und abseits der angewandten Forschung.

Damit schrumpft das Innovationspotential der Forschung.

(4) Eine weitere Konsequenz ist die wachsende Ungleichheit zwischen

Universitäten in der Verfügung über Forschungsmittel. Je weniger Gegenkräfte

es gegen diesen Trend gibt, um so mehr führt der Akkumulationsprozess zur

Überinvestition an wenigen reichen Standorten und zur Unterinvestition an

vielen armen Standorten.

(5) In Deutschland verschärft die Konzentration von Forschungsressourcen an

wenigen reichen Standorten das Problem, dass die Mittel in die Vergrößerung

der im internationalen Vergleich so schon zu großen Mitarbeiterstäbe investiert

werden. Forschung wird in oligarchischen Strukturen betrieben.

Page 29: Mit dem Hochschulrat in die Autonomie? Kritische Anmerkungen zur Umgestaltung der Governance von Hochschulen Richard Münch Seminar Alle Macht den Hochschulräten

(6) Mit der Konzentration der Forschung auf wenige reiche Standorte wird

der Wettbewerb von Universitäten um Forscher und der Wettbewerb

zwischen Forschern und Forschergruppen um Reputation

eingeschränkt. Die reichen Universitäten (Forscher und

Forschergruppen) sind in der Lage, Monopolrenten zu erzielen. Die

Forschung wird in ihrer Entwicklung durch Monopol- oder

Oligopolstrukturen gehemmt.

(7) Die reichen Standorte schließen sich zu Allianzen zusammen: die neue

G9. Durch solche Allianzen zirkulieren Ressourcen und Personal in

einem geschlossenen Kreis. Es bildet sich ein Forschungskartell, das

potentielle Konkurrenten von Forschungsressourcen und wichtigen

Positionen (Mitgliedschaften in Akademien, DFG, Wissenschaftsrat)

fernhält. Mangels Wettbewerb schrumpft das Potential für Erneuerung

in der Forschung.

Page 30: Mit dem Hochschulrat in die Autonomie? Kritische Anmerkungen zur Umgestaltung der Governance von Hochschulen Richard Münch Seminar Alle Macht den Hochschulräten

(8) Wissen entwickelt sich zwischen den zwei Polen der vollständigen

Offenheit, Chancengleichheit und Heterogenität (Vielfalt) auf der einen

Seite und der vollkommenen Geschlossenheit, Stratifikation und

Homogenität auf der anderen Seite: Paul K. Feyerabend versus Thomas

von Aquin. Driftet es nach der Seite der Offenheit, ergibt sich kein

Erkenntnisfortschritt, weil alles und nichts gilt. Driftet es nach der Seite

der Geschlossenheit, dann ergibt sich kein Erkenntnisfortschritt, weil jede

Neuerung durch die herrschenden Dogmen unterdrückt wird.

(9) Die Forschung steuert zunehmend auf den Pol der fortlaufenden

Konstruktion und Reproduktion einer geschlossenen, Ungleichheit

fortschreibenden und Wissen homogenisierenden Statushierarchie zu.

.

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III. STATISTISCHE ANALYSEN

1. Drei Mechanismen der Konstruktion treiben den Prozess der

Stratifikation und Schließung voran:

(1) der Sichtbarkeits-Effekt

(2) der Komplexitätsreduktions-Effekt

(3) der Konsekrationseffekt

2. Drei Mechanismen der Reproduktion verstetigen den Prozess:

(1) der Matthäus-Effekt

(2) der Potlatsch-Effekt

(3) der Schließungs-Effekt

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3. Produktivität, Kapitalsorten und konstruierte Exzellenz

Produktivität

Quelle: R. Münch. 2007. Die akademische Elite. Zur sozialen Konstruktion wissenschaftlicher Exzellenz. Frankfurt/M.: Edition Suhrkamp

soziales Kapital

ökonomisches Kapital

kulturelles Kapital

• Publikationen pro Wissenschaftler / pro 1 Mio. Euro Forschungsgelder

• Patente pro Publikation / pro 10 Mio. Euro Forschungsgelder

• Zitationen pro Publikation / pro 10 Mio. Euro Forschungsgelder

• Mitarbeiter pro Professor• DFG-Bewilligungen Koordinierte

Programme• AvH-Wissenschaftler• DAAD-Stipendiaten und -Graduierte

• Traditionsuniversität in Westdeutschland und Berlin

• Gesamtsumme der Forschungsgelder• Forschungsgelder pro Wissenschaftler

symbolisches Kapital

• Mitglieder in DFG-Ausschüssen

• DFG-Fachgutachter

zugeschriebene Exzellenz

• Reputation• symbolischer Wert der

Gesamtsumme der Forschungsgelder

• symbolischer Wert der Forschungsgelder pro Wissenschaftler

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4. Makro-, Meso- und Mikroebenenprozesse der Konstruktion von wissenschaftlicher Exzellenz

Macro-level

Meso-level

Micro-level

Unequal and homogeneous vs. pluralistic distribution of social and cultural capital

Cartel-like vs. open and pluralistic allocation of symbolic capital

Construction of excellence through monopolistic vs. open and pluralistic appropiation of research funds

Gap vs. congruence between appropiation of research funds and knowledge productivity in publications

• Social closure• Exclusive academic lifestyle defining and presenting excellence

Election of• Committee members

• referees

• Definition of situation through symbolic capital

• Self-fulfilling prophecy• Potlatch gift exchange

Coping with information asymmetry in peer review through screening and signalling. Symbolic capital as means of reducing uncertainty for referees and applicants

• New public management: centralized vs. decentralized allocation of research funds

• Rhetoric of excellence: clusters vs. scholars

• Decreasing demand for and supply of new knowledge

• Overinvestment of resources

• Oligarchic organization of research

Chairs and institutes vs. departments and flexible research groups

• Decreasing innovation rate of knowledge

• Decreasing marginal utility of investments

• Authoritatively directed and routinized research with limited creativity and innovationrate

Macro-level causal direction, examined by regression analysis

Underlying, unexamined process: macro-meso-meso-macro-micro-micro-macro-meso-meso-macro

Quelle: R. Münch. 2007. Die akademische Elite. Zur sozialen Konstruktion wissenschaftlicher Exzellenz. Frankfurt/M.: Edition Suhrkamp

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24. Die Konstruktion wissenschaftlicher Exzellenz zwischen Monopol und Wettbewerb

soziales Kapital

• Hauptberuflich tätiges wiss. Personal

• Laufende Grundmittel• Mitarbeiter pro Professor• DFG-Bewilligungen Koordinierte Programme

• Traditionsuniversität• Akademiemitglieder

ökonomisches Kapital

• Wiss. Personal in Medizin, Bio-, Natur- und Ingenieurwissenschaften

• Absolut• Relativ zum gesamten wiss. Personal

kulturelles Kapital

• Wiss. Personal in Geistes- und Sozialwissenschaften

• Absolut• Relativ zum gesamten wiss. Personal

symbolisches Kapital

Ungleichheit von Gewicht und Verteilung

Ungleichheit von Gewicht und Verteilung

Gleichheit von Gewicht und Verteilung

Gleichheit vonGewicht und Verteilung

MonopolstrategieHierarchie

•Monopolmechanismus•Matthäus-Prinzip•Herdenverhalten

LatentesMachtkartell

MarktMonopolstrategie

•Pluralität•Offenheit•Regulierter Wettbewerb

Offenes Netzwerk

• Mitglieder in DFG-Ausschüssen

• DFG-Fachgutachter

Zugeschriebene Exzellenz

Dispositive der Macht•Drittmittelinput•Kennziffern•Absolute Zahlen•Publikationsmonopole•Koordinierte Programme

• Drittmittel• DFG-Bewilligungen• AvH-Gastwissenschaftler

• DAAD-Stipendiaten und -Graduierte

Dispositive der Gegemacht

•Einzelforschung•Publikationsvielfalt•Relative Zahlen•Methodenvielfalt•Kriterienvielfalt

Forschungsstrukturen• Monopole• Oligarchien• Routine• Schließung der Wissensevolution

• Standardisierung des Wissens

• Diskrepanz von Output, Rationalitätsmythos und wiss. Praxis

Forschungsstrukturen

• Korrespondenz von Input und Output, Rationalitätskon-struktion und wiss. Praxis

• Vielfalt des Wissens• Offene Wissensevolution

• Kreativität• Egalität• Pluralität

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25. Das Machtzentrum des akademischen Feldes

AW = Akademie der Wissenschaft, DFG = Deutsche Forschungsgemeinschaft, WR = WissenschaftsratPolitisches Kapital: als legitim geltende FührungspositionenSoziales Kapital: als legitim geltende soziale Netzwerke; Symbolisches Kapital: als legitim geltende Kompetenz zur Evaluation von Forschung; Wissenschaftliches Kapital: als legitim geltendes wissenschaftliches Wissen

WR

Pol der totalen VermachtungZielsetzungSteuerungsinstanzpolitisches Kapital

AWsoziales KapitalRekrutierungspool für Führungs-, Konsekrations- und ForschungspositionenIntegrationPol der institutionellen Trägheit

DFGsymbolisches KapitalKonsekrationsinstanz für Forschung, Führung und NetzwerkeErhaltung latenter StrukturenPol der idealen Sprechsituation

Kartelle, Monopole und Oligarchien der

Forschung

Pol des institutionellenWandelsAnpassungWissenschaftsmarktwissenschaftliches Kapital

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wissenschaftliches Kapitalwissenschaftliches Wissen

politisches KapitalFührungspositionen

Symbolisches KapitalKonsekration von Netzwerken

Soziales KapitalNetzwerke

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Konsekration von Führung

politisches Kapital

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26. Schlussfolgerungen

1) Exzellenz als soziale Konstruktion

2) Unregulierter akademischer Kapitalismus

3) Schließung der Wissensevolution durch Kartelle, Monopole

und Oligarchien in der Forschung

4) NPM als Rationalitätsmythos

5) Bedarf nach einer Regulierung des Wettbewerbs

Quelle: R. Münch. 2007. Die akademische Elite. Zur sozialen Konstruktion wissenschaftlicher Exzellenz. Frankfurt/M.: Edition Suhrkamp