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Marlen Haushofer (1920-1970): Die Wand (1963)

Marlen Haushofer (1920-1970): Die Wand (1963). EA: Gütersloh: Mohn Verlag 1963 2. Aufl.: Hamburg/Düsseldorf: Claassen Verlag 1968 (3.200 Ex.) Taschenbuchausgabe:

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Marlen Haushofer (1920-1970):Die Wand (1963)

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EA: Gütersloh: Mohn Verlag 1963

2. Aufl.: Hamburg/Düsseldorf: Claassen Verlag 1968 (3.200 Ex.)

Taschenbuchausgabe: Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1985 (Ullstein-Tb 30169; Die Frau in der Literatur) (26.000 Ex.; bis 1990: 300.000 Ex.)

Übersetzungen: engl., estn., frz., ital., jap., lit., norw., poln., schwed., span., russ., …

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Science-Fiction-Prämisse

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• 1981 USA: Neutronenwaffen

• 1983 BRD: Mittelstreckenraketen „Waldsterben“, „Saurer Regen“ „Die Grünen“ im Bundestag

• 1985 Die Wand (Taschenbuchausgabe)

• 1986 Tschernobyl

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Daniel Defoe: Robinson Crusoe (1719)

Da war zunächst meine Majestät, der Fürst und Gebieter der ganzen Insel. Das Leben aller meiner Untertanen stand unter meiner unumschränkten Gewalt: ich konnte hängen, vierteilen, die Freiheit schenken oder nehmen, und nicht ein einziger Rebell befand sich unter meinen Untertanen. Ich speiste wie ein König: ganz allein, während meine Diener aufwarteten. Nur Poll, meinem Günstling, war das Sprechen erlaubt. Mein Hund [...] saß stets zu meiner Rechten, und zwei Katzen, zu beiden Seiten der Tafel, harrten eines gelegentlichen Bissens aus meiner Hand als Zeichen besonderer Gnade.

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„Die Wand“R: Julian PölslerD: Martina Gedeck(2011?)

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Wären alle Menschen von meiner Art gewesen, hätte es nie eine Wand gegeben, und der alte Mann müßte nicht versteinert vor seinem Brunnen liegen. Aber ich verstehe, warum die anderen immer in der Übermacht waren. Lieben und für ein anderes Wesen sorgen ist ein sehr mühsames Geschäft und viel schwerer, als zu töten und zu zerstören.

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[...] ich sah zu, daß ich aus dem Stall kam. Dort brauchte man mich jetzt nur zum Füttern, Melken und Ausmisten. Sobald ich die Tür hinter mir zugezogen hatte, verwandelte sich der dämmrige Stall in eine kleine Insel des Glücks, durchtränkt von Zärtlichkeit und warmem Tieratem.

Und gab es nicht genug Leute, die auf den ersten Blick den Gedanken wachriefen, [...] sie seien in einem Leib gewachsen, der sich verzweifelt ge-gen sie gewehrt hatte? Sie sah deutlich den mör-derischen Kampf der klei-nen Embryoschmarotzer gegen den feindlichen Mutterleib, der sich damit quälte, sie auszustoßen aus der weichen, dunklen Wärme.

(Eine Handvoll Leben)

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Hans Weigel (1908-1991)

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1952 Das fünfte Jahr1955 Eine Handvoll Leben1957 Die Tapetentür1958 Wir töten Stella1963 Die Wand (2. Aufl. 1968)1966 Himmel, der nirgendwo endet1968 Schreckliche Treue1969 Die Mansarde

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An die Märchen erinnerte ich mich noch sehr genau, aber sonst hatte ich sehr viel vergessen. Da ich ohnedies nicht viel gewußt hatte, blieb nur wenig Wissen übrig. Namen lebten in meinem Kopf und ich wußte nicht mehr, wann ihre Träger gelebt hatten. Ich hatte immer nur für Prüfungen gelernt, und später hatten mir die Lexika im Rücken ein Gefühl der Sicherheit gegeben. Jetzt, ohne diese Hilfen, herrschte in meinem Gedächtnis ein furchtbares Durcheinander. Manchmal fielen mir Gedichtzeilen ein, und ich wußte nicht, von wem sie stammten, dann packte mich das quälende Verlangen, in die nächste Bibliothek zu gehen und Bücher zu holen. Es tröstete mich ein wenig, daß es die Bücher noch geben mußte und ich sie mir eines Tages beschaffen würde. Heute weiß ich, daß es dann zu spät sein wird. Ich könnte selbst in normalen Zeiten nicht lange genug leben, um alle Lücken aufzufüllen. Ich weiß auch nicht, ob mein Kopf sich diese Dinge noch merken könnte. Ich werde, wenn ich je hier herauskommen sollte, alle Bücher, die ich finde, liebevoll und sehnsüchtig streicheln, aber ich werde sie nicht mehr lesen.

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Aber ich weiß auch sonst fast nichts, ich kenne nicht einmal die Namen der Blumen auf der Bachwiese. Ich habe sie im Naturgeschichtsunterricht nach Büchern und Zeichnungen gelernt, und ich habe sie vergessen wie alles, von dem ich mir keine Vorstellung machen konnte. Ich habe jahrelang mit Logarithmen gerechnet und habe keine Ahnung, wozu man sie braucht und was sie bedeuten. Es ist mir leichtge-fallen, fremde Sprachen zu erlernen, aber aus Mangel an Gelegenheit lernte ich sie nie sprechen, und ihre Recht-schreibung und Grammatik habe ich vergessen. Ich weiß nicht, wann Karl VI. lebte, und ich weiß nicht genau, wo die Antillen liegen und wer dort lebt. Dabei war ich immer eine gute Schülerin. Ich weiß nicht; an unserem Schulwesen muß etwas nicht in Ordnung gewesen sein, Menschen einer fremden Welt würden in mir die Geistesschwache meines Zeitalters sehen.

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Die Weiden, die das Ufer säumten, standen heute bis zum

Kopf im trüben Wasser und ihre Blätter waren grau vom

zurückgebliebenen Schlamm. (Eine Handvoll Leben, 1955)

Diese Weide war ganz deutlich bemüht, etwas auszu-

drücken. Sie stand dort als ein Zeichen, das darauf wartete,

enträtselt zu werden. Die Anstrengung, etwas so gar nicht

Pflanzenmäßiges tun zu müssen, war aus dem schief-

gezogenen Stamm und der geballten kleinen Krone deutlich

zu lesen. Es schien mir, als sei sie auf dem Weg, sich in

eine ganz andere Gestalt zu verwandeln, um ihren Auftrag

erfüllen zu können. (Die Tapetentür, 1957)

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Emblematische Gemüts-Vergnügung, Augsburg 1693

Emblem:

picturainscriptiosubscriptio

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Ich löse Kreuzworträtsel. Das geht ganz gut. Ich muß dabei nicht an mich denken. Ich wundere mich darüber, wie sonderbar alle Wörter sind. Die Dinge wissen gar nicht, daß man ihnen Namen gegeben hat und sie festzunageln versucht [...]. Dabei können wir gar nichts bannen, das bilden wir uns in unserem Größenwahn nur ein. Deshalb haben wir auch immerzu Angst, die Dinge könnten ihre unendliche Geduld ablegen, den Bann brechen und in ihrer wahren, schrecklichen Gestalt auf uns einstürzen.

(Die Mansarde, 1969)

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Wenn ich „Winter“ denke, sehe ich immer den weißbereiften Fuchs am verschneiten Bach stehen. Ein einsames, erwachsenes Tier, das seinen vorgezeichneten Weg geht. Es ist mir dann, als bedeute dieses Bild etwas Wichtiges für mich, als stehe es nur als Zeichen für etwas anderes, aber ich kann seinen Sinn nicht erkennen.

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inscriptio:

In dubiis prudens

[Im Zweifelsfall (sei man) vorsichtig]

subscriptio:

Der Fuchs untersucht das Eis …

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Carlo Ginzburg: „Indizien-Paradigma“

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Im Traum bringe ich Kinder zur Welt, und es sind nicht nur

Menschenkinder, es gibt unter ihnen Katzen, Hunde, Kälber,

Bären und ganz fremdartige pelzige Geschöpfe. Aber alle

brechen sie aus mir hervor, und es ist nichts an ihnen, was

mich erschrecken oder abstoßen könnte. Es sieht nur

befremdend aus, wenn ich es niederschreibe, in

Menschenschrift und Menschenworten. Vielleicht müßte ich

diese Träume mit Kieselsteinen auf grünes Moos zeichnen

oder mit einem Stock in den Schnee ritzen. Aber das ist mir

noch nicht möglich. Wahrscheinlich werde ich nicht lange

genug leben, um so weit verwandelt zu sein. Vielleicht

könnte es ein Genie, aber ich bin nur ein einfacher Mensch,

der seine Welt verloren hat und auf dem Weg ist, eine neue

Welt zu finden. Dieser Weg ist schmerzlich und noch lange

nicht zu Ende.

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Lesbarkeit dorthin zu projizieren, wo

es nichts Hinterlassenes, nichts

Aufgegebenes gibt, verrät nichts als

die Wehmut, es dort nicht finden zu

können, und den Versuch, ein

Verhältnis des Als-ob dennoch

herzustellen.

(Hans Blumenberg, 1979)