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«Schweizer Bauer»: Wie sehen Sie die Rolle der Landwirt- schaft in dieser Krise? Marlen und Stephan Koch:* Die Nachfrage nach lo- kalen, nachhaltig produzierten Lebensmitteln ist aktuell sehr gross. Es wird wieder vermehrt wahrgenommen, dass wir für die Bevölkerung tagtäglich Le- bensmittel produzieren. Das gibt ein Gefühl der Sicherheit. Zudem erhält die Landwirt- schaft Naherholungsgebiete, die im Moment so wichtig sind für die Bevölkerung. Glauben Sie, dass die Bevölke- rung in der Schweiz während dieser Zeit ein anderes Bild der Schweizer Landwirtschaft er- halten hat? Die Wichtigkeit einer lokalen Versorgung mit gesunden, nachhaltig produzierten Le- bensmitteln wird aktuell sicher wieder vermehrt erkannt. Die Wertschätzung der Konsumen- tinnen und Konsumenten ge- genüber der Landwirtschaft ist dadurch spürbar gestiegen. Wir erfahren eine grosse Solidarität von Seiten unserer Kundschaft. Gerade der Lockdown hat sichtbar gemacht, dass wir Bau- ern unsere Arbeit nicht nieder- legen, sondern weiterhin tag- täglich für die Sicherstellung der Lebensmittel sorgen. Und das ist eines unserer grössten Anliegen, zu erreichen, dass Le- bensmittel wieder wertge- schätzt werden. INTERVIEW: Marlen und Stephan Koch glauben an eine vielfältige, diversifizierte, ökologische und konsumentennahe Landwirtschaft Marlen und Stephan Koch führen in Root LU einen 6,5-Hektaren-Betrieb. Ver- sorgung mit lokalen, ge- sunden, nachhaltig produ- zierten Lebensmitteln sei während Corona wichtiger geworden. Das bleibe auch nach der Krise, sagen sie. INTERVIEW: JULIA SPAHR Die Corona-Krise ist irgend- wann vorbei. Wird von dieser Wertschätzung etwas übrig- bleiben oder ist schnell alles wieder wie vorher? Man hat gesehen, wie schnell sich alles verändern kann, dass in kurzer Zeit plötzlich alle Grenzen zugemacht werden. Das hat unserer Meinung nach Eindruck hinterlassen und stei- gert die Wertschätzung der in- ländischen Landwirtschaft nachhaltig. Wirken sich die Erfahrungen aus der jetzigen Situation auf die Abstimmungen rund um den Pflanzenschutz aus? Das Erkennen der Wichtigkeit der inländischen Lebensmittel- produktion bewirkt sicher, dass das Thema Pflanzenschutzmit- teleinsatz nun etwas differen- zierter diskutiert werden kann. Die höhere Nachfrage nach nachhaltig produzierten Pro- dukten zeigt aber auch, dass die Konsumenten es ernst meinen mit der Ökologie. Wir sind der Meinung, dass die Schweiz den Weg Richtung schrittweise Pes- tizidreduktion gehen muss. Nur so wird die Entwicklung von Al- ternativen gefördert. Sie führen einen 6,5-Hekta- ren-Betrieb. Das ist ein kleiner Betrieb. Trotzdem können Sie davon leben. Wie machen Sie das? Das schaffen wir, indem wir mittels Produktveredelung, Di- rektvermarktung, Bauernhof- events und Musik den grösst- möglichen Anteil der Wert- schöpfung auf dem Hof halten. Gleichzeitig halten wir die Kos- ten tief durch viel Eigenleistung und den Verzicht auf Kraftfut- ter, Pestizide und Kunstdünger. Zudem sind wir offen für neue Kundenbedürfnisse und haben den Mut, mit Innovationen neue Wege zu gehen. Wir holen den Konsumenten mit an Bord und haben uns dadurch ein Kundensegment aufgebaut, das unsere Produkte wertschätzt und bereit ist, dafür einen ange- messenen Preis zu bezahlen. Liegt die Zukunft der Schwei- zer Landwirtschaft in kleinen, innovativen Betrieben mit Ni- schenangeboten? Die Zukunft liegt unserer An- sicht nach in vielfältigen, diver- sifizierten, ökologischen und konsumentennahen Betrieben. Dabei braucht es beide, grosse und kleine Betriebe. Die Gesell- schaft ist im Wandel, dadurch kommen neue Herausforderun- gen aber auch neue Chancen auf die Landwirtschaft zu. Nun braucht es Offenheit, Pionier- geist und einen direkten Dialog mit den Konsumenten. Deshalb ist es sehr wichtig, die kleinen Betriebe zu erhalten und zu för- dern, denn kleine Betriebe mit Direktvermarktung und Agro- tourismus holen den Konsu- menten wieder näher an die Landwirtschaft und leisten da- durch einen wichtigen Beitrag für die Kommunikation. Es gibt Leute, die sagen, es brauche gar keine Schweizer Landwirtschaft mehr. Was würden Sie diesen Leuten ant- worten? Gerade die aktuelle Situation macht sichtbar, wie wichtig die Schweizer Landwirtschaft ist. Denn in Krisenzeiten schaut je- des Land zuerst für sich. Im ei- genen Land können wir sicher- stellen, dass die Lebensmittel so produziert werden, wie es der Konsument will. Was ist Ihre Idealvorstellung der Schweizer Landwirt- schaft? Wie sollte in unserem Land gebauert werden? Standortgerecht, ressourcen- schonend, diversifiziert, vor- ausschauend und mit viel Pio- niergeist und Leidenschaft. Denn Bauer ist einer der wich- tigsten und schönsten Berufe der Welt. Wir müssen wieder aufbauen, was in den letzten Jahren verloren gegangen ist, die Wertschätzung der Konsu- menten für die Lebensmittel. Und vor allem wünschen wir uns wieder ein vermehrtes Mit- einander statt Gegeneinander, innerhalb der Bauern genauso wie zwischen Konsument, Ver- arbeiter, Handel und Bauer. Denn wir alle haben doch das- selbe Ziel, wir alle wollen in 20 Jahren noch genügend gesunde Lebensmittel und eine intakte Umwelt haben. Haben Konsumentinnen und Konsumenten eine Verantwor- tung für die Schweizer Land- wirtschaft? Ja, eine sehr grosse sogar. Mit ihrem Griff ins Verkaufsregal entscheiden sie, was wie produ- ziert wird und welche Art Land- wirtschaft morgen entsteht. Diese Verantwortung sollten sie noch viel mehr übernehmen und ihren Einfluss auch gegen- über den Grossverteilern gel- tend machen. Dies müssen wir den Konsumenten noch be- wusster machen. Und das schaf- fen wir, wenn wir die Hoftore öffnen und ihnen einen Ein- blick gewähren in unsere Ar- beit. Zu lange haben wir die Kommunikation an die Gross- verteiler delegiert, die ein ver- klärtes Bild der Landwirtschaft erschaffen haben. Das hat die Konsumenten immer weiter von der Realität entfernt. Nie- mand kann unsere Anliegen au- thentischer und besser vertre- ten als wir Bauern selber. Dabei spielen Social Media eine wich- tige Rolle. Wir dürfen stolz sein auf unsere Arbeit und das dür- fen wir auch zeigen. SEITE 7 *Der Grossteil des Interviews wurde schrift- lich geführt. Marlen und Stephan Koch ha- ben die Fragen gemeinsam beantwortet. 02.05.2020 «Corona hinterlässt nachhaltigen Eindruck» Marlen und Stephan Koch auf ihrem Betrieb in Root LU mit einem Kalb der Rasse Rätisches Grauvieh. (Bild: Marcel Villiger)

Marlen und Stephan Koch glauben an eine vielfältige ... · Koch:* Die Nachfrage nach lo-kalen, nachhaltig produzierten Lebensmitteln ist aktuell sehr gross. Es wird wieder vermehrt

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Page 1: Marlen und Stephan Koch glauben an eine vielfältige ... · Koch:* Die Nachfrage nach lo-kalen, nachhaltig produzierten Lebensmitteln ist aktuell sehr gross. Es wird wieder vermehrt

«Schweizer Bauer»: Wie sehenSie die Rolle der Landwirt-schaft in dieser Krise?Marlen und StephanKoch:* Die Nachfrage nach lo-kalen, nachhaltig produziertenLebensmitteln ist aktuell sehrgross. Es wird wieder vermehrtwahrgenommen, dass wir fürdie Bevölkerung tagtäglich Le-bensmittel produzieren. Dasgibt ein Gefühl der Sicherheit.Zudem erhält die Landwirt-schaft Naherholungsgebiete,die im Moment so wichtig sindfür die Bevölkerung.

Glauben Sie, dass die Bevölke-rung in der Schweiz währenddieser Zeit ein anderes Bild derSchweizer Landwirtschaft er-halten hat?Die Wichtigkeit einer lokalenVersorgung mit gesunden,nachhaltig produzierten Le-bensmitteln wird aktuell sicherwieder vermehrt erkannt. DieWertschätzung der Konsumen-tinnen und Konsumenten ge-genüber der Landwirtschaft istdadurch spürbar gestiegen. Wirerfahren eine grosse Solidaritätvon Seiten unserer Kundschaft.Gerade der Lockdown hatsichtbar gemacht, dass wir Bau-ern unsere Arbeit nicht nieder-legen, sondern weiterhin tag-täglich für die Sicherstellungder Lebensmittel sorgen. Unddas ist eines unserer grösstenAnliegen, zu erreichen, dass Le-bensmittel wieder wertge-schätzt werden.

INTERVIEW: Marlen und Stephan Koch glauben an eine vielfältige, diversifizierte, ökologische und konsumentennahe Landwirtschaft

Marlen und Stephan Kochführen in Root LU einen6,5-Hektaren-Betrieb. Ver-sorgung mit lokalen, ge-sunden, nachhaltig produ-zierten Lebensmitteln seiwährend Corona wichtigergeworden. Das bleibe auchnach der Krise, sagen sie.

INTERVIEW: JULIA SPAHR

Die Corona-Krise ist irgend-wann vorbei. Wird von dieserWertschätzung etwas übrig-bleiben oder ist schnell alleswieder wie vorher?Man hat gesehen, wie schnellsich alles verändern kann, dassin kurzer Zeit plötzlich alleGrenzen zugemacht werden.Das hat unserer Meinung nachEindruck hinterlassen und stei-gert die Wertschätzung der in-ländischen Landwirtschaftnachhaltig.

Wirken sich die Erfahrungenaus der jetzigen Situation aufdie Abstimmungen rund umden Pflanzenschutz aus?Das Erkennen der Wichtigkeitder inländischen Lebensmittel-produktion bewirkt sicher, dassdas Thema Pflanzenschutzmit-teleinsatz nun etwas differen-zierter diskutiert werden kann.Die höhere Nachfrage nachnachhaltig produzierten Pro-dukten zeigt aber auch, dass die

Konsumenten es ernst meinenmit der Ökologie. Wir sind derMeinung, dass die Schweiz denWeg Richtung schrittweise Pes-tizidreduktion gehen muss. Nurso wird die Entwicklung von Al-ternativen gefördert.

Sie führen einen 6,5-Hekta-ren-Betrieb. Das ist ein kleinerBetrieb. Trotzdem können Siedavon leben. Wie machen Siedas?Das schaffen wir, indem wirmittels Produktveredelung, Di-rektvermarktung, Bauernhof-events und Musik den grösst-möglichen Anteil der Wert-schöpfung auf dem Hof halten.Gleichzeitig halten wir die Kos-ten tief durch viel Eigenleistungund den Verzicht auf Kraftfut-ter, Pestizide und Kunstdünger.Zudem sind wir offen für neueKundenbedürfnisse und habenden Mut, mit Innovationenneue Wege zu gehen. Wir holenden Konsumenten mit an Bord

und haben uns dadurch einKundensegment aufgebaut, dasunsere Produkte wertschätztund bereit ist, dafür einen ange-messenen Preis zu bezahlen.

Liegt die Zukunft der Schwei-zer Landwirtschaft in kleinen,innovativen Betrieben mit Ni-schenangeboten?Die Zukunft liegt unserer An-sicht nach in vielfältigen, diver-sifizierten, ökologischen undkonsumentennahen Betrieben.Dabei braucht es beide, grosseund kleine Betriebe. Die Gesell-schaft ist im Wandel, dadurchkommen neue Herausforderun-gen aber auch neue Chancenauf die Landwirtschaft zu. Nunbraucht es Offenheit, Pionier-geist und einen direkten Dialogmit den Konsumenten. Deshalbist es sehr wichtig, die kleinenBetriebe zu erhalten und zu för-dern, denn kleine Betriebe mitDirektvermarktung und Agro-tourismus holen den Konsu-

menten wieder näher an dieLandwirtschaft und leisten da-durch einen wichtigen Beitragfür die Kommunikation.

Es gibt Leute, die sagen, esbrauche gar keine SchweizerLandwirtschaft mehr. Waswürden Sie diesen Leuten ant-worten?Gerade die aktuelle Situationmacht sichtbar, wie wichtig dieSchweizer Landwirtschaft ist.Denn in Krisenzeiten schaut je-des Land zuerst für sich. Im ei-genen Land können wir sicher-stellen, dass die Lebensmittel soproduziert werden, wie es derKonsument will.

Was ist Ihre Idealvorstellungder Schweizer Landwirt-schaft? Wie sollte in unseremLand gebauert werden?Standortgerecht, ressourcen-schonend, diversifiziert, vor-ausschauend und mit viel Pio-niergeist und Leidenschaft.

Denn Bauer ist einer der wich-tigsten und schönsten Berufeder Welt. Wir müssen wiederaufbauen, was in den letztenJahren verloren gegangen ist,die Wertschätzung der Konsu-menten für die Lebensmittel.Und vor allem wünschen wiruns wieder ein vermehrtes Mit-einander statt Gegeneinander,innerhalb der Bauern genausowie zwischen Konsument, Ver-arbeiter, Handel und Bauer.Denn wir alle haben doch das-selbe Ziel, wir alle wollen in 20Jahren noch genügend gesundeLebensmittel und eine intakteUmwelt haben.

Haben Konsumentinnen undKonsumenten eine Verantwor-tung für die Schweizer Land-wirtschaft?Ja, eine sehr grosse sogar. Mitihrem Griff ins Verkaufsregalentscheiden sie, was wie produ-ziert wird und welche Art Land-wirtschaft morgen entsteht.Diese Verantwortung sollten sienoch viel mehr übernehmenund ihren Einfluss auch gegen-über den Grossverteilern gel-tend machen. Dies müssen wirden Konsumenten noch be-wusster machen. Und das schaf-fen wir, wenn wir die Hoftoreöffnen und ihnen einen Ein-blick gewähren in unsere Ar-beit. Zu lange haben wir dieKommunikation an die Gross-verteiler delegiert, die ein ver-klärtes Bild der Landwirtschafterschaffen haben. Das hat dieKonsumenten immer weitervon der Realität entfernt. Nie-mand kann unsere Anliegen au-thentischer und besser vertre-ten als wir Bauern selber. Dabeispielen Social Media eine wich-tige Rolle. Wir dürfen stolz seinauf unsere Arbeit und das dür-fen wir auch zeigen. SEITE 7

*Der Grossteil des Interviews wurde schrift-lich geführt. Marlen und Stephan Koch ha-ben die Fragen gemeinsam beantwortet.

02.05.2020

«Corona hinterlässt nachhaltigen Eindruck»

Marlen und Stephan Koch auf ihrem Betrieb in Root LU mit einem Kalb der Rasse Rätisches Grauvieh. (Bild: Marcel Villiger)