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TY3003 Sprachwissenschaftlicher D-Aufsatz Björn Kinding Högskolan Dalarna VT11 - 1/87 - TY3003 Sprachwissenschaftlicher D-Aufsatz Björn Kinding Högskolan Dalarna VT11 DIE BIBELÜBERSETZUNG MARTIN LUTHERS: EINE SOZIOLINGUISTISCHE ANALYSE DER ABSICHT, DER METHODE UND DER AUSWIRKUNG

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    DIE BIBELBERSETZUNG

    MARTIN LUTHERS:

    EINE SOZIOLINGUISTISCHE ANALYSE

    DER ABSICHT, DER METHODE UND DER AUSWIRKUNG

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    Abstrakt

    Brundin (2004, S. 63) sagt, dass sich die Reformation um einen Kampf

    handelte, der Auswirkungen auf die ganze gesellschaftliche Struktur hatte. Das

    Ziel dieser Arbeit ist die Absichten hinter, die linguistischen Methoden und die

    sozialen Auswirkungen der Bibelbersetzung Luthers festzustellen, und dadurch

    die Aussage Brundins zu besttigen bzw. widerlegen. Es wurde gefunden, dass

    Martin Luther die Bibelbersetzung und die Reformation in enger

    Zusammenarbeit mit seinen Kollegen an der Leucorea Universitt und unter

    Fhrung des schsischen Kurfrsten, Friedrich III., durchgefhrt hat. Dabei

    haben die verwendeten linguistischen Methoden eine Schlsselrolle gespielt,

    und viele heute bekannten wissenschaftlichen Theorien sind praktisch

    umgesetzt worden. Dazu gehren die Sapir-Whorf-Hypothese, die Defizit- bzw.

    die Differenzhypothese und die Diskurstheorie. Die Reformation hat eine

    gewaltige Machtverschiebung zur Folge, wo der Klerus dem Adel viele Rechte

    abgeben msste, und die neu erzeugte Sprache der Lutherbibel hat zu einer

    deutschen Einheitssprache und die Erstehung eines deutschen Nationalstaates

    gefhrt. Als Schlussergebnis kann die Aussage Brundins klar besttigt werden.

    Inhaltsverzeichnis

    Abstrakt 2

    Einleitung 3 - Fragestellung und Ziel 8

    Methode 9

    Resultat 10 - Die Gesellschaft im 16. Jahrhundert aus soziolinguistischer Sicht 10

    - Gesellschaftliche Machtverschiebungen im 16. Jahrhundert 13

    - Friedrich III. aus Sachsen 16

    - Martin Luther 22

    - Spalatin, Melanchthon und die brige Mitarbeiter 30

    - Texte Luthers 36

    - Gesellschaftliche Vernderungen zur Zeit Luthers 42

    Diskussion 46 - Analyse der Absicht 46

    - Analyse der linguistischen Methode 53

    - Analyse der sozialen Auswirkung 57

    - Zusammenfassung der Ergebnisse 59

    Appendix 60 - I Definition der Fachbegriffe 60

    - II Chronologie der Geschichte 64 - III Illustrationen 74

    Literaturverzeichnis 82

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    Einleitung

    Im anfang war das Wort / Vnd das wort war bey Gott / vnd Gott war das Wort. (Johannes 1:1)

    Dieser Satz leitet das erste Kapitel des Johannesevangeliums der Lutherbibel ein.

    Mit der Aussage, Gott war das Wort, drckt Johannes den hohen Stellenwert des Wortes

    sehr deutlich aus. Das Wort ist die hchste Instanz, die oberste Macht. Das Wort ist Gott.

    Was hat aber Johannes motiviert, dem Wort diese Macht zuzuteilen? Die Antwort ist sehr

    einfach. Nichts! Nichts hat ihm dazu bewegt. Johannes hat es nmlich gar nicht

    geschrieben.

    bersetzer und Interpret

    Das Originalevangelium Johannes ist lngst verloren gegangen und was er

    geschrieben hat, wei niemand genau. Klar steht aber, dass Johannes nicht auf Deutsch

    geschrieben hat. Er schrieb vermutlich auf Griechisch, und in den ltesten erhaltenen

    griechischen Texten steht, (Theos n ho Logos). Das heit, dass Gott

    laut Johannes der Logos ist. Dieses Wort, das griechische Nomen logos, kann zwar mit

    dem deutschen Nomen Wort bersetzt werden, aber es hat auch viele andere

    Bedeutungen. Sinn, Kraft, Tat, Vernunft, Beweis und Lehrsatz sind nur einige der vielen

    bersetzungsmglichkeiten. Eine andere Mglichkeit wre das Wort gar nicht zu

    bersetzen. Der Logos ist nmlich ein deutsches Wort, ein maskulines Nomen, dem

    Wahrig (2009) die folgende Begriffsbestimmung gibt:

    1. urspr.: Wort, Rede, Sprache, Kunde, Lehre 2. Begriff, Sinn, logisches Urteil 3. Vernunft, Weltvernunft, gttliche Vernunft 4. Christentum: Mensch gewordenes Wort Gottes

    Zu przisieren ist, dass die Bedeutungen Wort, Rede und Sprache sich im

    Griechischen vor allem auf den Inhalt der Sprache, also das Argument, beziehen. Dazu

    meint Platon, dass Logos synonym mit Darstellung und Erklrung ist, whrend

    Aristoteles es gleichbedeutend mit Definition findet. In Weiterem kommt das Lexem log

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    in vielen deutschen Wrtern vor. Zu diesen gehren Wrter, die eine grundstzliche

    Bedeutung von Ordnung und Harmonie haben (Logik, analog, Logarithmus, Logbuch),

    und auerdem Begriffe der Schpfungswissenschaften (Biologie, Astrologie, Theologie).

    Im Johannesevangelium der Lutherbibel wird aber der Begriff Logos zu der Bedeutung

    Wort reduziert.

    Dass die bersetzung der Lutherbibel umstritten ist, zeigt dieses Zitat aus Faust,

    wo Goethe die Wortwahl des bersetzers ironisiert.

    Geschrieben steht: Im Anfang war das Wort!

    Hier stock' ich schon! Wer hilft mir weiter fort?

    Ich kann das Wort so hoch unmglich schtzen,

    Ich mu es anders bersetzen,

    Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.

    Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.

    Bedenke wohl die erste Zeile,

    Da deine Feder sich nicht bereile!

    Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?

    Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!

    Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,

    Schon warnt mich was, da ich dabei nicht bleibe.

    Mir hilft der Geist! Auf einmal seh' ich Rat

    Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat! (Goethe, 1808)

    Das Goethe-Zitat zeigt auch, dass eine bersetzung nie dem Originaltext

    wortwrtlich treu sein kann. Der bersetzer wird den Text immer nach seiner

    Interpretation neu gestalten. Schaff (1882) sagt: A good translation must be both true

    and free, faithful and idiomatic, so as to read like an original work. This is the case with

    Luthers version. Beim bersetzen formulierte demnach Luther die Bibel nach seiner

    persnlichen Interpretation um, und von allen bersetzungsmglichkeiten des Nomens

    Logos whlte Martin Luther die Formulierung, Gott war das Wort. Dadurch legte er

    fest, dass Gott und das Wort Synonyme sind.

    Sprache und Macht

    Dass Gott zu gehorchen ist, ist eine Grundlage vieler Religionen, unter denen auch

    des Christentums. Durch Luthers Neuformulierung soll aber nicht nur Gott, sondern auch

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    dem Wort Gottes gehorcht werden. Das Wort Gottes kann bekannterweise nur in der

    Bibel gefunden werden. Die Bibel hat aber nicht Gott, sondern Johannes, Matthus,

    Lukas und Markus geschrieben, und die deutsche Fassung hat Martin Luther nach seiner

    Auffassung umformuliert. Dass die Brger dieser Auffassung wortwrtlich folgen sollen,

    wird ohne Zweifel klar gemacht. Allein im 42. Kapitel Jeremias der Lutherbibel wird die

    Phrase gehorchen der Stimme des HERRN vier Mal wiederholt. Es lsst sich gut

    nachvollziehen, welche Macht dem, der das Gotteswort kontrolliert, zukommt, besonders

    in der Gesellschaft des 16. Jahrhunderts, einer Zeit wo die Kirchen berfllt waren

    (Hamm, 2006, S. 3).

    Die Erstausgabe der Lutherbibel ist 1522 datiert, was mit dem Anfang einer

    gewaltigen Umbruchzeit Europas zusammenfllt. Der deutsche Bauernkrieg, die

    protestantisch-katolische Spaltung des Christentums, und der 30-jhrige Krieg sind nur

    drei Beispiele dieser Umbrche der europischen Gesellschaft des 16. und 17.

    Jahrhunderts. Es kann gut argumentiert werden, dass das bersetzen der Bibel die

    vereinende Kraft dieses sozialen Umbruchs war, und dass Luthers linguistische Arbeit

    nicht nur eine Reformation der Kirche, sondern auch eine Revolution der Gesellschaft

    ausgelst hat. Es lsst sich auch gut argumentieren, dass diese Revolution nicht nur

    gewnscht war, sondern auch geplant und durch die Bibelbersetzung bewusst inszeniert

    war. Dazu sagt Brundin (2004):

    Die Reformation soll nicht ausschlielich als eine religise

    Bewegung angesehen werden. Es ist wichtig einzusehen, dass es

    sich stattdessen um einen Kampf handelte, der Auswirkungen auf

    die ganze gesellschaftliche Struktur hatte. Die Ppste

    beanspruchten fr sich die geistliche Macht in Europa und hatten

    eine internationale Kirche aufgebaut, die sich gegen staatliche

    Einmischung zu schtzen wusste. So verfgte die Kirche

    beispielweise ber das Recht, mter zu besetzen und

    Steuerreformen durchzufhren. Mit dem Hervorwachsen der

    Nationalstaaten in Europa entstanden aber neue gesellschaftliche

    Machtstrukturen, die die weltliche Opposition zur Papstkirche

    immer strker hervortreten lieen. Die Frsten, die die weltliche

    Zentralmacht darstellten, verlangten jetzt auch die Macht ber die

    Kirche (Brundin 2004, S. 63).

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    Es lsst sich jedenfalls klar feststellen, dass nie zuvor in der Geschichte der

    Menschheit ein linguistischer Eingriff eine annhrend groe soziale Vernderung

    verursacht hat. Diese Feststellung macht aus einer soziolinguistischen Perspektive

    Luthers Arbeit besonderes interessant.

    Eine gemeinsame Sprache ist heute eine der zentralen Eigenschaften, die eine

    Nation definieren. Umgekehrt gilt, dass mehrere Sprachen eine Nation zersplittert. Im

    Heiligen Rmischen Reich des 16. Jahrhunderts wurden mehr als ein Duzend Sprachen

    gesprochen. Auch der deutschsprachige Raum machte kein einheitliches Sprachgebiet

    aus. Hunderte von Dialekten und Soziolekten zusammen mit Misch- und

    Minorittssprachen verhinderten die Erstehung eines deutschen Nationalgefhls und

    damit eine starke Zentralmacht. Der Norden war eng mit Dnemark und Schweden

    verbunden. Im Westen gab es keine Sprachgrenze zwischen Deutsch, Flmisch und

    Niederlndisch, und im Osten war die Mischung mit slawischen Sprachen eindeutig. Eine

    gemeinsame Schriftsprache gab es nicht und die offizielle Amtssprache war Latein, was

    bedeutete, dass die Oberklassen in wichtigen Fragen auf Latein kommunizierten,

    whrend der Pbel sich auf ihre regionale Volkssprache unterhielt.

    Soziolinguistik1 des 16. Jahrhunderts

    Obwohl Bernstein und Labov erst 450 Jahre nach Luthers Bibelbersetzung ihre

    Defizithypothese bzw. Differenzhypothese aufstellten, so waren die beiden Konzepte

    damals schon bekannt. Der Ansicht, dass die Volkssprachen dem Latein unterlegen

    waren (= die Defizithypothese), war weit verbreitet. Laut Jungen und Lohnstein (2007)

    hatte aber in Ferdinands und Isabellas Spanien der Rhetorikprofessor, Elio Antonio de

    Nebrijas, schon (1492) in seinem Werk, Gramtica Castellana, die Grammatik der

    kastilischen Sprache dokumentiert und dadurch das Streben aller anderen Volkssprachen,

    sich gegenber dem Latein aufzuwerten, lanciert. Diese Idee, dass die Volkssprachen ein

    anderes, dem Latein gleichwertiges, Kommunikationsmittel waren (= die

    Differenzhypothese), hatte auch im deutschen Sprachraum Fu gefasst. Luther war

    keineswegs der erste, der die Bibel ins Deutsche bersetzte. Laut Schaff (1882) ist die

    1 Fr eine Definition der Fachbegriffe, siehe Appendix I

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    ganze Bibel in vierzehn Ausgaben auf mitteldeutsche und drei Ausgaben auf

    niederdeutsche Dialekte vor der Lutherbibel publiziert worden.

    Die Konzepte der heutigen Variettenlinguistik waren den damaligen Herren schon

    bekannt. Die vielfltigen Formen und Variationen innerhalb der Volkssprachen waren

    viel distinkter als heutzutage. Die Leute erlebten diese Vielfalt tglich und sie erlebten

    auch, wie einigen Dialekten wenig Stellenwert zugeschrieben wurden, whrend andere

    sich fast als eine Amtssprache (auch auerhalb ihres Sprachgebietes) etablieren konnten.

    Damals, wie heute, galt, wer die richtige Sprache spricht, hat das Sagen. In unmittelbarer

    Nhe des Kurfrstentums Sachsen (Luthers Heimat) wurden viele Sprachen gesprochen.

    Es war zwar die Aufgabe des Kaisers den Slowaken, den Tschechen, den Polen, den

    Wenden, und den Ruthenen ihre Rechte Gewhr zu leisten, aber das, was Hamel (2010)

    Sprachimperialismus nennt, war schon damals eine Realitt. Imperialistische Gruppen

    setzen ihre Sprachen durch und unterdrckten dadurch andere Sprachgruppen. Whrend

    Luthers schsische Sprache sich als Hochdeutsch etablierte und Erfurt das geografische

    Zentrum der deutschen Nation wurde, dauerte es bis 1918 ehe Polen, 1993 die Slowakei

    und 1993 Tschechien selbststndige Nationen bilden drften, eine Anerkennung, die den

    Wenden und Ruthenen bis heute verweigert worden ist.

    Luthers Beschtzer, der mchtige Kurfrst Friedrich III., hatte seine ganze Macht

    auerhalb des Schlachtfeldes erworben, war nie in einem Krieg verwickelt, und wurde

    deshalb Friedrich der Weise genannt. Es darf angenommen werden, dass er wusste,

    dass eine Aufwertung der Dialekte und Soziolekte des Sprachgebiets seines Frstentums

    zu deutscher Amtssprache, Nationalsprache, und sogar heiliger Sprache seine

    Machtposition strken wrde. Durch die Lutherbibel, die Hans Lufft in Wittenberg bis

    zum Jahr 1574 hunderttausend Kopien druckte und verkaufte (Schaff, 1882), ist diese

    Aufwertung zur Tatsache geworden. Die Bibel ist nmlich auf eine oberschsisch-

    thringische Volkssprache geschrieben. Luther erklrte:

    Man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen,

    wie man soll Deutsch reden, wie diese Esel tun, sondern man muss

    die Mutter im Haus, die Kinder auf den Gassen, den gemeinen

    Mann auf dem Markt darum fragen und den selbigen auf das Maul

    sehen, wie sie reden, und danach dolmetschen, so verstehen sie es

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    denn und merken, dass man Deutsch mit ihnen redet. (Luther,

    1530)

    Das Deutsch, das Luther mit den Leuten redete, war laut Niermann (1999) eine

    Mischung zwischen seiner natrlichen Mundart und der damaligen schsischen

    Kanzleisprache. Sein Heimatort, Eisleben (im heutigen Bundesland Sachsen-Anhalt,

    unweit von Weimar entfernt) liegt im mitteldeutschen Dialektraum, genau auf der Grenze

    zwischen den thringischen und den oberschsischen Mundarten. Aus diesem

    Dialektraum hat sich, laut Sprachforscher Theodor Frings, das Neuhochdeutsch

    entwickelt. Er zeigt, dass von allen deutschen Dialekten die thringisch-oberschsische

    Mundart diejenige ist, die die grten hnlichkeiten mit dem heutigen Deutsch aufzeigt

    (Niermann, 1999). Den Grund dafr erklrt der Schriftsteller, Thomas Mann. Vierhundert

    Jahre nach der Erstausgabe der Lutherbibel sagt er, dass Luther durch seine gewaltige

    Bibelbersetzung die deutsche Sprache erst recht geschaffen [hat], die Goethe und

    Nietzsche dann zur Vollendung fhrten (Schwarz, 2003).

    Genau wie Luther, sind Goethe (Frankfurt am Main, Hessisch) und Nietzsche

    (Ltzen, Thringisch-oberschsisch) im mitteldeutschen Dialektraum aufgewachsen und

    auerdem haben beide in Weimar gewirkt. Diese Tatsachen unterstreichen die Bedeutung

    der Lutherbibel fr die Erhhung der thringisch-oberschsischen Mundart zur Norm der

    deutschen Nationalsprache, und sie gibt eine mgliche Erklrung zum Umstand, dass

    auch die anderen, von Xlibris (2011) aufgelisteten Autoren der klassischen deutschen

    Kanon (Grimmelshausen, Lessing, Jean Paul, von Kleist, Schiller, Bchner und Kafka),

    innerhalb eines 250-km-Radius von Weimar aufgewachsen sind.

    Fragestellung und Ziel

    Fishman (1965) meint, dass in einer soziolinguistischen Analyse des

    Makrobereichs es wichtig festzustellen ist, a) wer b) welche Sprache, c) wie und d) wann

    e) mit wem f) unter welchen sozialen Umstnden und g) mit welchen Absichten und h)

    Konsequenzen spricht. Eine solche Analyse der Lutherbibel knnte sehr interessante

    Ausknfte geben, und gem dem oben erwhnten ist es nicht Gott, der mit den

    Glubigen spricht, sondern es ist a) der Verfasser und Interpret, der b) Deutsch c) in einer

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    befehlenden Art und Weise spricht. Weil jetzt die Bibel in jedem Haushalt zu finden ist,

    spricht er d) immer und berall, und er spricht e) mit allen Brgern, f) unter allen sozialen

    Umstnden. Die Absichten und die Konsequenzen lassen sich nicht gleich einfach

    feststellen, aber die Schnellanalyse oben zeigt, dass wer die Bibel schreibt, sich eine

    groe Macht und Kontrolle ber die Brger anschafft. Unter den gegebenen Umstnden,

    dass einem bersetzer einen gewissen Raum fr Interpretierungen und

    Neuformulierungen gegeben werden muss, ist es nicht zu verwundern, wenn die

    Machthaber und die, die die Macht anstrebten, beim bersetzen mitwirken, mitreden und

    mitbestimmen wollten. Festzustellen, inwieweit dies geschah, ist ein zentrales Thema

    dieser Arbeit, deren Ziel ist, die folgende Fragestellung zu beantworten:

    Welche Absicht hatte Luther mit seiner Bibelbersetzung,

    welche linguistische Methode benutze er,

    und welche sozialen Auswirkungen hatte seine bersetzung?

    Kann die Aussage Brundins (unten) besttigt werden?

    Die Reformation soll nicht ausschlielich als eine religise Bewegung angesehen

    werden. Es ist wichtig einzusehen, dass es sich stattdessen um einen Kampf handelte,

    der Auswirkungen auf die ganze gesellschaftliche Struktur hatte. (2004, S. 63)

    Methode

    Diese Arbeit beabsichtigt die deutschsprachige Gesellschaft des 16. Jahrhunderts zu

    beschreiben, wobei sie an die sprachliche Konzeption, die Machtstruktur und die

    Vernderungen fokussiert. Vor allem Vernderungen, die als Folge der Bibelbersetzung

    Luthers gesehen werden knnen, werden nher prsentiert. Um diese Vernderungen

    erklren zu knnen, werden die bei der Bibelbersetzung mitwerkenden Akteure genau

    vorgestellt und ihre Absichten analysiert. Groer Wert wird auf die verwendeten

    linguistischen Methoden gelegt und wie sie die gesellschaftlichen Umbrche bewirken

    konnten. Insgesamt werden die Daten eine Schlussfolge erlauben, die die Fhrenden der

    Bibelbersetzung identifiziert, ihre mglichen Absichten zeigt und die Frage, ob die

    Reformation eine religise Bewegung oder ein gesellschaftlicher Machtkampf war,

    beantwortet.

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    Resultat

    Die Gesellschaft im 16. Jahrhundert aus soziolinguistischer Sicht

    Die Gesellschaft des deutschsprachigen Raums war im 16. Jahrhundert fest in

    Klassen unterteilt. Zwar hatte laut Hamm (2006, S. 5) im Sptmittelalter (also ca. 1250

    bis 1500) eine Auflockerung des feudalen Systems angefangen, aber der Klerus, Adel,

    Brger und Bauern lebten noch voneinander isoliert. Interkulturelle Kommunikation kam

    selten vor und persnliche Relationen existierten fast ausschlielich innerhalb der

    einzelnen Klassen, was die Gesellschaft nicht nur hierarchisch und finanziell in soziale

    Klassen, sondern auch sprachlich in Soziolekte aufteilte.

    Bauerndeutsch. Die Soziolekte entwickelten sich je nach Verwendungsgebiet der

    verschiedenen Gruppen. Fr die Bauern und die Landarbeitenden kreiste das Leben um

    Heim und Hof und Dorfbesuche waren seltene Ausflge. Ihre Sprache musste nur der

    lokalen Kommunikation dienen und ihr Soziolekt kann deshalb auch als ein Hofdialekt

    bezeichnet werden. Im Diskurs der Bernstein-Hypothese verwendet ein solcher Dialekt

    einen restringierten Sprachcode, dass heit, dass sich das Vokabular und die Grammatik

    wenig fr akademische Ausbildung eignen.

    Stadtbrgerdeutsch. Die Stadtbrger waren weniger vom Land abhngig. Sie

    befassten sich unter anderem mit dem regionalen Handel und Service. Diese Klasse war

    schon zur Zeit Luthers beim Anwachsen und Leute aus verschiedenen Hfen und Drfern

    schlugen sich in den Stdten nieder. Die verschiedenen Dorfdialekte vermischten sich

    und regionale Mundarten entstanden. Gleichzeitig spezialisierten sich die Leute und

    bildeten verschiedene Berufsgruppen. Innerhalb der Gruppen war eine klare und

    deutliche Kommunikation ntig, was zu neuen gruppenspezifischen Soziolekten fhrte.

    Einige Berufsgruppen entwickelten deshalb ihre eigenen Fachsprachen, Jargons und

    sogar Geheimsprachen, um Berufsgeheimnisse zu schtzen. Herrig (1863, S. 202) sagt:

    es ist eine eigentmliche tatsache, dasz sich noch bis auf den heutigen tag in den

    verschiedensten gegenden derlei jargons erhalten haben. Die Vielfalt dieser Sprachen

    wird deutlich, als Herring (1863) die verschiedenen Namen dieser Gaunersprachen oder

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    Krmersprachen nennt, u. a. Rotwelsch, Jenisch, Bargoens, Bourgoensch,

    Kraemerslatijn, Cmans-latijn und die Spitzbubensprache Bhmens Kamaka-re.

    Adliges Deutsch. Die Landbesitzer gehrten zur Klasse des Adels. Sie waren fr die

    Fhrung der Gesellschaft verantwortlich und mussten untereinander verhandeln,

    vermitteln und Vertrge abschlieen knnen. Die Soziolekte der Adelsklasse waren beim

    Weiten keine Einheitssprache, aber enthielten berregionale Einflsse und dienten auch

    als Schriftsprache. Ihre Sprache hatte einen elaborierten Sprachcode, der sich entwickelt

    hat, um Politik, Administration und Geschfte diskutieren zu knnen. Dies war mit den

    damaligen Dorfdialekten und Gaunersprachen kaum mglich, und es ist deshalb nicht zu

    verwundern, dass die Oberklasse die Soziolekte des Pbels als unterwertig fand. Obwohl

    noch nicht als wissenschaftliche Theorie formuliert, war die Defizithypothese als Faktum

    anerkannt. Sich wrdig, glaubwrdig und schriftlich auszudrcken, war nur der

    Oberklasse mglich. Es ist aus dieser Sicht keine berraschung, dass die Soziolekte des

    Adels sich zur deutschen Literatursprache entwickelten (Gryuer, 2004), und dass viele

    der frhen deutschen Kanonverfasser (Grimmelshausen, Goethe, Kleist) adlige

    Abstammung haben.

    Latein. Noch eine Stufe hher als die Soziolekte der Oberklasse standen die

    Sprachen des Klerus und vor allem die Sprache des romanisch-katholischen Klerus. Sie

    sprachen Latein und Latein galt neben Griechisch und Hebrisch als eine heilige Sprache.

    Das Latein vereinte alle katholischen Bistmer und ermglichte der katholischen Kirche

    ihre weltumfassende Organisation zentral zu fhren. Gryuer (2004) nennt das Latein den

    Soziolekt der geistigen Elite und alle wichtigen Dokumente wurden auf Latein

    geschrieben, das heit, alle wichtigen Dokumente des abendlndischen Kulturraums. Fr

    berregionale Angelegenheiten war somit ein Lateinsprechender Beamte ntig. Diese

    Personen waren vor allem unter dem Klerus zu finden, was dazu fhrte, dass die Kirche

    in jeder gesellschaftlichen Angelegenheit mitspielen und mitbestimmen konnte. Die

    geistige Elite wurde zugleich zur konomischen und politischen Elite. Das Schreiben

    wurde die Sache der Kirche, was erklren knnte, warum die andre groe Gruppe der

    frhen deutschen Kanonverfasser (Nietzsche, Lessing, Jean Paul) Shne eines Priesters

    waren.

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    Andere Sprachen. Schlielich gab es auch Gruppensprachen, die sich nicht nach der

    Sozialklasseneinteilung richteten. Symbolsprachen, wie z. B. religise Symbole und die

    Symbole der Freimaurerei, hatten den Vorteil, dass sie sich unabhngig von

    Nationalsprachen berregional verstndigen lieen. berregionale Sprachen im

    Kaisertum des 16. Jahrhunderts sprachen auch mehrere ethnische Gruppen. Jiddisch und

    Romani sind zwei Beispiele, die gut zeigen, wie die Sprachen auch nach Kultur und

    Religion die Gesellschaft zerteilten.

    Sprache, Wahrnehmung und Macht. In einer Gesellschaft, die so klar durch

    Dialekte, Mundarten, Soziolekte und ethnische Minorittssprachen geteilt war, wird

    infolge der Sapir-Whorf-Hypothese deutlich, dass die verschiedenen Gesellschaftsklassen

    die Welt ganz unterschiedlich wahrnahmen. Die Auffassung von Recht und Unrecht bzw.

    vernnftig und unvernnftig kann nur mit Ausgangspunkt der einzelnen Diskurse

    bestimmt werden. Die Welt zu verstehen, ist nur mit den bekannten Wrtern und

    Begriffen jeder sozialen Schicht mglich. Normgebend ist dadurch der Wortschatz, den

    die jeweilige Klasse gelernt hat, oder im Fall der Unterklasse eher lernen durfte. Das

    Latein des Klerus und die Amtssprachen des Adels dienen beide, um die Gesellschaft zu

    fhren und knnen als Machtsprachen bezeichnet werden. Aus den Diskursen dieser

    Sprachgemeinschaften kann nur eine Steigerung der Macht als Recht und vernnftig

    verstanden werden. Aus dem Diskurs der Unterklasse, die zur Gehorsamkeit und zur

    Gengsamkeit indoktriniert war, kann nur der Verzicht auf die Macht als richtig und

    vernnftig gesehen werden. Fr die Oberklasse und die feudale Gesellschaftsordnung war

    es verstndlicherweise wichtig, das die Unterklasse bei dieser Denkweise blieb, und es ist

    einfach einzusehen, dass die Herrscherklassen den Wortschatz und die Begriffe und

    dadurch die Wahrnehmung, die Denkweise und den Diskurs der Unterklasse

    kontrollieren wollte. Wer die Sprache kontrolliert, kontrolliert auch die Gesellschaft, und

    es ist deshalb auch einfach einzusehen, dass sich zwischen den verschiedenen Gruppen

    der Herrscherklasse, dem Klerus und dem Adel, Machtkmpfe ausspielten. Der Kampf

    im deutschen Sprachraum stand zwischen dem Latein und einem noch nicht etablierten

    Hochdeutsch.

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    Gesellschaftliche Machtverschiebungen im 16. Jahrhundert

    Die Revolution, die der Reformation folgte, war nur dank einer anderen Revolution

    mglich, die Buchdruckerrevolution. Achtzig Jahre vor der Erstausgabe der Lutherbibel

    hat der Mainzer, Johannes Gutenberg, den Buchdruck weitgehend weiterentwickelt.

    Damit wurde ein neuer Weg zur Bildung der Massen erffnet, aber auch ein finanziell

    tragbarer Weg zur Distribution von religisen und politischen Konzepten. Fromme

    Menschen wurden zu lesenden Menschen (Hamm, 2006, S. 8), und zur Zeit Luthers war

    die Lesefhigkeit der Unterklasse auf einem bisherigen Hhepunkt. Die Bildung des

    Pbels erhhte nicht nur den Wissensstand der niedrigsten Gesellschaftsschicht, sondern

    auch die Fhrungsanforderungen der Oberschicht. Gebildete Leute zu fhren stellt eine

    besondere Herausforderung dar, gleichzeitig gibt aber der geweckte Wissensdrang

    besondere Mglichkeiten. Die Machthaber sahen beides an. Die Landbevlkerung konnte

    jetzt lesen, und um die Macht ber sie zu behalten, war es wichtig zu kontrollieren, was

    sie lies. Wer die Literatur kontrolliert, kontrolliert den Diskurs der Massen.

    Das einzige Buch, das die Unterklasse kannte, war die Bibel und die einzige

    Schule, die sie besucht hatte, war die Kirche. Ihr Diskurs in Bezug auf Bildung war

    deshalb zum Christentum begrenzt. Dies gab einen groen Markt fr religise Schriften,

    und viele Gruppen haben diese Situation zu nutzen versucht. Schon vor Luther wurden

    viele deutsche Bibelbersetzungen publiziert. Keine konnte aber die Vulgata, die

    lateinische Ausgabe der katholischen Kirche, ersetzen. Solange die Bibel nur auf Latein

    erhltlich war, und damit unverstndlich fr die groe Masse der Bevlkerung, konnte

    der katholische Klerus das Interpretationsrecht monopolisieren, dass heit, das

    Interpretationsrecht im westlichen Teil Europas.

    Im Osten war die griechisch-orthodoxe Kirche die dominierende religise

    Organisation. Die Ostkirchen hatten auch eine heilige Sprache als gemeinsame

    Amtssprache, Griechisch, und ihr Oberhaupt, der kumenische Patriarch von

    Konstantinopel, hatte eine hnliche Rolle wie der Papst. Die Kirche war aber in

    Sprachgemeinschaften unterteilt (Serbisch, Rumnisch, Bulgarisch, Tschechisch,

    Slowakisch, Polnisch, etc.) und der griechisch-orthodoxe Klerus sprach vor allem die

    Sprache der jeweiligen Ethnizitt, was die Ostkirche weniger zentralisiert und die

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    einzelnen nationalen Kirchen selbststndiger als ihre katholischen Gegenstcke machte.

    Alle diese nationalen, orthodoxen Kirchen machten keine geschlossene Einheit aus. Sie

    bildeten eher eine Vereinigung aus festen (kanonischen) und sympathisierenden

    (nichtkanonischen) Mitgliedern, und im Lauf der Jahrhunderte kam es vor, dass eine

    Kirche sich aus der griechischen Zugehrigkeit lste, um sich der romanisch-

    katholischen Gemeinschaft anzuschlieen. Diese Ostkirchen werden heute noch als

    Unierte Kirchen oder griechisch-katholische Kirchen bezeichnet, als der Streit

    zwischen der griechischen und der lateinischen Dominanz Europas weiter geht. Die

    Gruppe der Unierten Kirchen besteht hauptschlich aus Kirchen, die sich aufgrund des

    Groen Schisma (1054) oder der Reformation aus der romanisch-katholischen Kirche

    lsten, die sich aber wieder entschossen haben, den Papst als Oberhaupt zu erkennen. Zur

    Zeit Luthers ging aber die Unierung in die andere Richtung. Nationale Kirchen lsten

    ihre Loyalitt zu Rom auf und schlossen sich dem Patriarch von Konstantinopel an.

    Das 16. Jahrhundert war laut Hamm (2006, S. 3ff) die kirchenfrmmste Zeit der

    Kirchengeschichte. Hamm erklrt, dass die Kirche im Besitz des Schatzes der Gnaden

    war und dass es fr jede Snde es bestimmte Gnaden als Gegenleistungen gab. Die

    Angst vor der Hlle war sehr gro, deswegen sorgte man bereits zu Lebzeiten ... fr das

    Jenseits durch Leistungen, zum Beispiel durch Stiftungen ... um die Zeit im Fegefeuer zu

    verkrzen oder gleich in den Himmel zu kommen. Der Zustand der Kirche war aber laut

    Schwarz (2003) desolat. Die Ppste galten als korrupt und machtgierig und die Religion

    interessierte sie nur als Instrument, um ihre weltliche Herrschaft zu festigen. Die Kirche

    machte sich als allmchtige Instanz aus und mischte sich stark in die irdischen

    Machtstrukturen ein. Der Papst hatte am Laterankonzil 1516 seine Machtstellung

    erneuert und durch die Bulle Unam sanctam deklariert, dass fr jede Kreatur es

    heilsnotwendig sei, dem Papst Untertan zu sein (Hamm, 2006, S. 5). Hamm erklrt

    weiter, dass die weltlichen Ansprche der hheren Klerus in drei Teile aufgeteilt werden

    knnen: Grundherrschaft, Liebherrschaft und Gerichtsherrschaft. Die zwei letzteren sind

    in der Grundherrschaft einbegriffen, aber der Klerus beanspruchte diese Herrschaften fr

    alle Gebiete, also auch diejenigen, wo die Frsten und die Knige die Landbesitzer waren

    und infolge der Grundherrschaft herrschten.

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    Die Situation war paradox. Die Brger glaubten an Gott waren aber mit der

    unethischen Fhrung der katholischen Kirche unzufrieden. Hamm (2006, S. 7) meint,

    dass die Unzufriedenheit vor allem aus der Kommerzialisierung und der Fiskalisierung

    der Kirche stammte. Dass hohe geistliche mter, Messen, Taufen und Beerdigungen

    verkauft wurden, waren besondere Kritikpunkte. Kritisiert wurden auch die Privilegien

    des Klerus, die Steuerfreiheit und die Gerichtsbarkeit. Der Verkauf von Ablssen war

    demnach nur ein der vielen Grnde der Unzufriedenheit. Gleichzeitig bot die Kirche

    Sicherheit, in dem sie der Bevlkerung vorschrieb, wie sie zu leben hat, was sie zu tun

    und zu lassen hat. Sie regelte das Leben des Menschen von der Geburt bis zum Tod, sie

    schrieb vor wie und wann man zu beichten hat, wann man fasten muss und an welchen

    Heiligen man sich in welchem Fall wenden muss. Jeder Fall war genau geregelt, [was]

    Sicherung durch genaue Vorschriften [gab] (Hamm, 2006, S. 6).

    Innerhalb des Heiligen Rmischen Reiches gab es aber viele griechisch-orthodoxe

    Kirchen. Diese litten nicht unter dem gleichen Misstrauen wie die katholische Kirche und

    ihr Ansehen und ihre Popularitt wuchsen an. Diese Kirchen waren vor allem von

    nichtdeutschen Sprachminoritten dominiert. Besonderes stark war die Serbisch-

    Orthodoxe Kirche, die Vernetzungen in groen Teilen Osteuropas hatte. Auch im

    Frstentum Mhren und im Knigreich Bhmen das eine lange gemeinsame Grenze mit

    dem Kurfrstentum Sachsen, Luthers Heimat, hatte wuchs die Mitgliedanzahl der

    Serbisch-Orthodoxen Kirche stndig an. Eine aus Serbien gefhrte religise Bruderschaft

    der Sprachminoritten des Kaiserreiches wurde eine Machtverschiebung bedeuten. Die

    Frsten sahen die androhende Situation ein, und frchteten, dass eine starke

    Zusammengehrigkeit der Mitglieder der einzelnen Sprachgruppen zu

    Unabhngigkeitsanforderungen, Aufstnden und dem Zerfall des ganzen Imperiums

    fhren knnte. Heute wissen wir, dass dieses Frchten wohl begrndet war. Die serbische

    Separatistbewegung hat letztendlich den Fall des Kaiserreiches verursacht und

    gleichzeitig den Ersten Weltkrieg ausgelst, whrend der Zweite Weltkrieg mit der

    Besetzung von Bhmen und Mhren begonnen hat. Zur Zeit Luthers war aber die

    Situation noch brisanter. Serbien und das ganze Balkan waren von der Osmanischen

    Armee okkupiert, die Residenzstadt des Patriarchen von Konstantinopel war seit 1453

    unter osmanischer Herrschaft, und viele Europer streiten schon auf der Seite des Sultans.

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    Das Feudalsystem lste sich langsam auf, die Stadtbrger bernahmen das

    Geschftswesen, die Machtansprche der katholischen Kirchen wuchsen, die griechisch-

    orthodoxe Kirche wurde populrer, die Sprachminoritten erhoben sich und das trkische

    Heer stand auerhalb Wien. Die traditionellen Machthaber der Gesellschaft, die Frsten,

    hatten schrittweise die Macht verloren. Sie sahen, wie ihre Stellung wackelte und suchte

    nach Lsungen, um die Kirche und das Volk wieder zu kontrollieren und die Gesellschaft

    zu refeudalisieren (Schwarz, 2003). In dieser Situation, publizierte Desiderius Erasmus

    sein Buch, eine neu geschriebene, kritische, griechische Auflage der Bibel. Eine Bibel,

    die sich mit der Unmoral der katholischen Kirche direkt konfrontierte. Wenn der Pbel

    dieser neuen Glaubenslehre folgen wrde und sich zur Griechisch-Orthodoxie

    konvertieren lsst, dann wrde die ganze Machtbasis des Feudalismus zerfallen. Die

    Frsten mussten agieren.

    Friedrich III. aus Sachsen

    Das Kurfrstentum, Sachsen. Kurfrst Friedrich III. wurde am 17. Januar 1463, auf

    Schloss Hartenfels, in Torgau (im heutigen Bundesland Sachsen) geboren. Das

    Kurfrstentum Sachsen des 16. Jahrhunderts sah ganz anders aus als das heutige

    Bundesland. Seit 1485 war das Land in zwei Teile geteilt. Vielleicht um einen erneuten

    Bruderkrieg zu vermeiden, haben sich die beiden Frstenprinzen, Ernst und Albrecht,

    vereinbart, die Landgebiete (ihres seit 20 Jahren verstorbenen Vaters, Kurfrsten

    Friedrich II. von Sachsen) zu teilen. Ernst ist kurz danach gestorben und ab Albrechts

    Tod im Jahr 1500 regierten ihre beiden Shne, die Cousins, Kurfrst Friedrich III. im

    ernestinischen Teil und Herzog Georg der Brtige im albertinischen Teil. Der

    Machtkampf war aber nicht tot und auf beiden Seiten der zersplitterten Grenze wurden

    Plne geschmiedet und Allianzen verknpft, um die Herrschaft des ganzen

    Kurfrstentums zu gewinnen. Zum ernestinischen Sachsen gehrte die Kurfrstenwrde

    und dadurch auch der Name Kurfrstentum. Es bestand aus dem westlichen Teil

    Sachsens und Teilen der heutigen Bundeslnder Thringen und Sachsen-Anhalt,

    inklusive Weimar und Gotha. Dem Frstentum, das eigentlich ein Privatbesitz des

    Frsten war, gehrten auch groe Landbesitze in Schlesien heute ein Teil Polens und

    Mhlhausen, Nordhausen und Ehrfurt standen schon seit lngerer Zeit unter dem Schutz

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    der schsischen Frsten (Ludolphy 2006, S. 66). Das Gebiet des Kurfrstentums machte

    21780 km2 aus, und war trotz der Teilung einer der umfnglichsten damaligen

    Territorialstaaten (Ludolphy 2006, S. 67).

    Das Haus, Wettin. Das Frstenhaus der Wettiner gehrt zu den ltesten und

    bedeutendsten deutschen Frstengeschlechtern. Die Dynastie regierte whrend ber 800

    Jahre, vom 11. Bis zum 20. Jahrhundert, groe Teile des zentralen Deutschlands und

    Teile des heutigen Polens und Litauens. Friedrich war demnach schon als Neugeborener

    eine groe Kariere vorgesehen. Sein Vater, Kurfrst Ernst, und seine Mutter, Margarethe

    von sterreich, gehrten beide einer kaiserlichen Stammlinie. Auf mtterlicher Seite kam

    Friedrich zurck auf Ludwig IV. und vterlicherseits auf Kaiser Friedrich II. Auerdem

    war Friedrichs Familie durch Heirat sowohl mit dem Kurfrsten von Brandenburg als

    auch mit dem Haus Habsburg verwandt. Eine interessante Trivialitt, aus schwedischer

    Sicht, ist, dass der dnische Knig, Christian II., Friedrichs Neffe war. Christian II., der

    in Dnemark als Christian der Gute und in Schweden als Christian Tyrann bekannt ist,

    hat am 9. November 1520 den Stockholmer Blutbad durchgefhrt. Dies hat den Vasa-

    Aufstand ausgelst und Knig Gustav Vasa dazu bewogen, die lutherische Kirche als

    schwedische Staatsreligion zu verordnen (eine Entscheidung, die erst 450 Jahre spter

    aufgehoben worden ist). Zum dnischen Reich gehrten, neben Schleswig-Holstein, auch

    Finnland, Schweden, Norwegen, Island und Grnland, was nach Landesflche Dnemark

    zum grten Reich in Europa und eine der mchtigen Seefahrtnationen der Welt machte.

    Das Haus Wettin hat ihren Einfluss stets ausgebaut, und zu Luthers Zeit waren die

    Wettiner nicht nur die Machthaber in Sachsen, sondern sie waren ein groer Machtfaktor

    des Kaiserreichs. Nrdlich von Bayern geschah nichts ohne die Billigung des Kurfrsten

    von Sachsen.

    Der Kurfrst, Friedrich III. Der Kurfrst von Sachsen war wohl etabliert in den

    obersten Machtstrukturen Europas und den hchsten Gesellschaftskreisen des

    Kaisertums. Es verwundert deshalb nicht, dass er zweimal fast zum Kaiser gewhlt

    worden ist. 1508 ist ihm aber sein 3 Jahre lterer Vetter, Maximilian I, vorgekommen,

    und 1519 hat er aus Alters- und Gesundheitsgrnden die Wahl nicht angenommen. Dass

    diese Tatsache zu pointieren, fr ihn wichtig war, kann auf mehreren seiner

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    Gedchtnisbilder gelesen werden. Dort hat er einem Gedicht Luthers mit den Zeilen,

    Zum Keisar ward erkorn ich / Des mein alter beschweret sich / Dafur ich Keisar Carl

    erwelt / Von dem mich nicht wand gonst noch gelt", ergnzt (Ludolphy 2006, S. 19).

    Das Leben Friedrichs. Sehr viel ist ber diesen mchtigen Mann noch heute

    bekannt. Friedrich III. wusste nmlich sein Image zu pflegen und zu dokumentieren. Er

    lie sich von den besten Malern portrtieren und von den besten Schriftknstlern

    Widmungen zuschreiben. Fleiige Verfasser dieser Widmungen waren Georg Spalatin

    (seit 1508), Martin Luther (seit 1512) und Philipp Melanchthon (seit 1518), und als

    Portrtmaler war der Hofmaler, Lucas Cranach d. ., (seit 1505) zustndig, die alle vier

    lebenslang beim Kurfrsten angestellt und entlohnt waren. Ludolphy (2006) berichtet von

    Werkstattarbeiten in Form von Portrts, die aus der Werkstatt des Hofmalers kamen.

    Diese Bilder von dem stattlichen Kurfrsten in imposanten Positionen und Situationen

    wurden vom berhmten Maler massenproduziert. Einer der berhmtesten deutschen

    Knstler zu dieser Zeit war Albrecht Drer. Von ihm hat sich der Kurfrst auch

    portrtieren lassen. Neben dem Malen verziert Drer sogar das Portrt des Kurfrsten mit

    der Widmung, wrdig geehrt zu werden in aller Zukunft (Ludolphy 2006, S. 21). Das

    schsische Hof lie auch Spezialmontagen rekonstruieren, wie z. B. ein Riesengemlde

    von 1529, wo Friedrich zusammen mit seinem Bruder und Nachfolger, Johann der

    Bestndige, und Kaiser Maximilian I. auf Hirschjagd sind. Das Gemlde ist zweifelsohne

    eine Montage. Kurfrst Friedrich III. ist schon fnf Jahre vor der Erstellung des

    Gemldes gestorben. Hier handelt es sich offenbar um ein Propagandabild, mit dem man

    das gute Verhltnis zum Kaiserhaus dokumentieren wollte, das in der kirchenpolitisch

    und politisch kritischen Situation dieses Jahres [die osmanische Heer belagerte Wien]

    besonders gefhrdet war (Ludolphy 2006, S. 21). Bilder, Widmungen, Versen,

    Medaillen, Mnzten und Psalmen trugen seinen Name. Sogar seine Grabplatte trgt die,

    von Melanchthon verfasste, Inschrift: ILLE EGO FRIDFRICVS DVCE / QVO SAXONIA

    FOE LIX / ARDVA SACRATVM TOLLIT / AD ASTRA CAPVT Friedrich bin ich

    genannt, der als Herzog des glcklichen Sachsens, heiliges Haupt empor hoch zu den

    Sternen erhob (Ludolphy 2006, S. 63).

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    Er war ein gebildeter Mann. Er beherrschte Latein und Franzsisch aber nicht

    Italienisch (Ludolphy 2006, S. 46). Trotz der aufgeregten und verwirrten Zeit, whrend

    seiner fast vierzig-jhrigen Regentenzeit, gelang es ihm sein Land im Frieden zu halten.

    Er baute seine Macht auerhalb des Schlachtfeldes durch Argumente, Diplomatie und

    eine taktisch kluge Politik auf. Deshalb bekam er den Zusatznamen, der Weise. Luther

    rhmte von ihm, er habe nichts berstrzt. Er wartete Stunde, Ort, Zeit und Person ab.

    Allerdings war er dadurch gezwungen, manchmal mit seiner Meinung hinter dem Berge

    zu halten. Zur rechten Zeit aber richtete er dann mit einem Worte mehr aus als ein

    anderer mit Gewalt (Ludolphy 2006, S. 28). In einer Widmung aus dem Jahr 1519

    beschreibt Luther den Leitspruch des Kurfrsten, als nichts kann so scharfsinnig geplant

    werden, da es nicht wiederum umgeworfen wird" (Ludolphy 2006, S. 30), und Friedrich

    III. selbst soll sein Motto mit diesem Zitat beschrieben haben: Es ist gut, Vertrge zu

    schlieen, aber wehe dem, der sie hlt.

    Friedrich III. war ein fleiiger Korrespondent. Aus seiner Korrespondenz sind viele

    Briefe bewahrt worden. Einer, mit dem er Meinungsaustausch bte, war der Theologe,

    Philosoph und Autor Desiderius Erasmus von Rotterdam. Erasmus, der 1516 (ein Jahr

    bevor Luther die 95 Thesen verffentlichte) seine neu geschriebene Ausgabe des

    griechischen Neuen Testaments, Novum Instrumentum omne, publiziert hatte, mahnt in

    einem Schreiben, am 14. April 1519, den Kurfrsten auf, Luther in Schutz zu nehmen. Er

    warnt vor den Feinden der neuen Wissenschaft (der Humanismus) und schreibt ... da es

    die Aufgabe Ew. Hoheit ist, die christliche Religion ... zu schtten, ziemt es sich Euerer

    Weisheit, nicht zuzulassen, da irgendein Unschuldiger ... unter dem Vorwand der

    Frmmigkeit den Gottlosen ausgeliefert wird". Der Kurfrst antwortete, dass auch er es

    fr unbillig hielte, da versucht werde, denjenigen, der aller Ehre wert sei, durch eine

    Strafe zu bedrngen (Ludolphy, 2006, S. 415). Dass Luther irgendeiner Unschuldiger

    war, der aller Ehre wert sei, darber waren sich offenbar der Philosoph und der

    Kurfrst einig.

    Die Sprache Friedrichs. Kurfrst Friedrich gehrte zur obersten Machtelite

    Europas. Sein Soziolekt war die schsische Amtssprache und seine Schriftsprache war

    Latein. Aus synchronischer Sicht, waren sie zwei der bedeutungsvollsten Machtsprachen

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    und die Macht zu erweitern war im Diskurs dieser Sprachen die Norm. Der elaborierte

    Sprachcode des Kurfrsten war aber nicht immer fr die Untertanen verstndlich, und

    umgekehrt brauchte er einen Interpreten, um die Welt aus dem Diskurs der niedrigen

    Gesellschaftsklassen zu verstehen. Zwischen dem Fhrer und den Gefhrten gab es

    zweifelsohne eine Sprachbarriere.

    Die Familie des Kurfrsten. Friedrich der Weise war nicht verheiratet. Zwei Mal

    hat er aber einen Heiratsantrag an Margarethe von sterreich (1480-1530), die Tochter

    des rmischen Kaisers Maximilian I., gestellt und zweimal wurde er abgelehnt. Als sie

    dann 1501 zum zweiten Mal vermhlt wurde und Herzogin von Savoyen wurde, hat

    Friedrich III. seine Heiratsplne endgltig begraben (Hofsommer, 2008). Mit der

    unstandesgemen Anna Weller bestand aber etwas, wie eine nicht ffentliche Ehe, und

    sie wurde Mutter mehrerer Kinder. Diese Kinder hat Friedrich offen anerkannt. Racke

    (2006) schreibt ein ganzes Kapitel ber Friedrich der Weise und seine Gefhrtin, von

    Friedrichs Zeitgenossen aber erwhnt nur Luther diese Frau. Dass Luther, der dafr

    pldierte, dass die Bischfe die im Konkubinat lebenden Priester zwingen mten, die

    Ehe einzugehen (Tacke 2006, S. 106), nicht beglckt ber das Verhltnis seines von

    ihm verehrten Frsten zu dieser Frau war, lt sich denken ... um so erstaunlicher ist das

    Verstndnis, das aus den Worten der ... Tischrede spricht: Lieber Herre Gott, Reges et

    duces sunt miserae personae; sunt obligatae. Cives et rusticus mogen doch freyhen, wer

    ihme gefelet; die durffen nicht vnder sich freyhen" [Lieber Herre Gott, Knige und

    Frsten sind unglckliche Menschen, sie sind gebunden. Brger und ein Bauer mgen

    doch freien, die ihnen gefllt. Sie drfen nicht unter ihrem Stande freien] (Ludolphy

    2006, S. 48).

    Grndung der Leucorea. Es gelang Friedrich III. nicht, seine soziale Stellung durch

    Heirat zu erhhen, es ist ihm aber gelungen, sein Ansehen durch die Grndung der

    Leucorea (der Universitt in Wittenberg, heute Martin-Luther-Universitt Halle-

    Wittenberg genannt) zu hervorheben. Am 18. Oktober 1502 wurden die Tre zur ersten

    Universitt im ernestinischen Teil Sachsen erffnet. Die Leucorea war keine groe

    Universitt. There were hardly more than 300 students in Wittenberg when Luther

    arrived (Weber, 1997), dafr war sie aber sehr elitr. Die besten Professoren arbeiteten

    http://de.wikipedia.org/wiki/Margarete_von_%C3%96sterreich_(1480%E2%80%931530)

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    an der Leucorea und Schler aus mchtigen Knigshusern waren dort gesammelt. Unter

    denen befanden sich der zuknftige Knig Dnemarks, Christian III. und die

    schwedischen Gebrder, Lars und Olof Petterson (bekannter als Laurentius und Olavus

    Petri). Alle drei waren Vertreter des dnischen Knigs, Christian II., der zugleich der

    Neffe des Kurfrsten war, und alle drei wrden entscheidende Rollen spielen in der

    Machtbernahme und der Reformation Skandinaviens.

    Der Kurfrst widmete sich der Entwicklung seiner Universitt und Ludolphy

    (2006) berichtet, dass um den jungen Humanistlehrer, Christoph Scheurl, bei der

    Leucorea zu behalten, hat sich der Kurfrst sogar bemht, ihn durch eine Heirat an

    Wittenberg zu fesseln. Die Aufgabe der Leucorea war tchtige Beamte zur Verwaltung

    des Frstentums auszubilden, und diese Aufgabe zu erfllen gelang dem Kurfrsten am

    besten. Unter den Absolventen waren Georg Spalatin, Martin Luther und Philipp

    Melanchthon, die alle drei nach ihrem Diplomabschluss an der Leucorea angestellt

    wurden. Als also der Kurfrst am 4. Mai 1521 Luther nach Wartenburg entfhren lie,

    arbeitete Spalatin schon seit 13 Jahren am Hof des Kurfrsten und Melanchthon stand

    seit 1518 in seinem Dienst. Neben Erziehung- und Unterrichtsauftrgen, waren beide mit

    den Schreib- und bersetzungsarbeiten des Frsten voll beschftigt. Schaff (1882) nennt

    Spalatin his [Friedrich III.s] chaplain, counsellor and biographer, and mediator

    between him and Luther. Luther, der selbst seit 9 Jahren im Dienst des Kurfrsten war,

    hat praktisch nur Arbeitsort, von der Universitt Leucorea in Wittenberg zum Schloss

    Wartburg bei Eisenach, gewechselt. Von dort aus hat er die zugeteilte Arbeitsaufgabe und

    die gewohnte Zusammenarbeit mit den Leucorea-Kollegen weitergefhrt.

    Die Bibelbersetzung. Die Aufgabe, die ihnen zugeteilt worden war, war die Bibel

    ins Deutsche zu bersetzten. Als Auftraggeber, Gnner und Mzene, wirkte der Kurfrst

    selbst. Dazu meint aber Tischner (2011b): Er [Luther] hat nicht die Bibelbersetzung

    auf Befehl seines Chefs begonnen, sondern es war einfach die Zeit reif dafr. Es gab ja

    schon (holprige) Versuche aus der Zeit vorher. In Wittenberg war die wissenschaftliche

    Mannschaft fr ein solches Werk zusammen und fand in Luther einen sprachgewaltigen

    Mann, der sich als Prediger so ausdrcken konnte, dass man ihn verstand. Ob der

    Kurfrst den Auftrag gegeben hat oder nicht, lsst sich diskutieren. Mit Bestimmtheit gab

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    es jedenfalls Mglichkeiten zur kritischen Stellungnahme und zum direkten Mitwerken

    des Kurfrsten. Ludolphy (2006, S. 393) erklrt, dass Spalatin Dokumente zwischen dem

    Kurfrst und Luther vermittelte. Er sagt, da Luther Friedrich das Septembertestament

    schickte, und zwar Aushngebogen des Matthusevangeliums sowie weitere Teile schon

    im Mai 1522. Die Erstausgabe der Lutherbibel ist im September 1522 gedruckt worden.

    Der Kurfrst hat also vier Monate Zeit gehabt, um Kommentare zu geben und Retuschen

    zu machen.

    Martin Luther

    Aufwachsen und Ausbildung. Am 10. November 1483 wurde Martin Luther in

    Eisleben, im heutigen Bundesland Sachsen-Anhalt geboren. Lindhorst (2003) berichtet,

    dass Luthers Vater Bauer war und spter zu Bergmann und Httenpchter avancierte.

    Dies erlaubte ihm, seinem Sohn eine gute gymnasiale Ausbildung zu finanzieren. 1497

    studierte Martin Luther u. a. Latein am Gymnasium in Magdeburg, wonach er seiner

    schulischen Ausbildung an der Domschule, St. Georg, in Eisenach fortsetzte. Der junge

    Bauersohn, der vermutlich einen mansfeldischen Landortsdialekt sprach, wurde jetzt mit

    der schsischen Amtssprache bekannt. Hierbei ist wichtig zu erwhnen, dass ... in

    Magdeburg ... das Niederdeutsche die Unterrichtssprache war. In der Domschule St.

    Georg in Eisenach ... wurde ostmitteldeutsch (thringisch) gesprochen. Luther hatte also

    schon in seiner Jugend Kontakt mit den verschiedenen Variationen des Deutschen, was in

    seinem spteren Leben von Vorteil sein sollte (Hinterholzer, 2006). Nach dem

    Gymnasium besuchte Luther die Artistenfakultt in Erfurt und wurde in Grammatik,

    Logik, Rhetorik und Philosophie unterrichtet. Sicherlich ist [er] hier auch ausfhrlich in

    Quintilian eingefhrt worden, [was] Luther in seiner weiteren literarischen Ttigkeit

    prgen sollte (Hinterholzer, 2006). Quintilians Rhetorik aus dem 1. Jahrhundert gilt als

    eine der Grundlagen des Humanismus, und sie baut auf der natrlichen Sprache und

    schtzt den Ntzlichkeitseffekt im Gegensatz zur geknstelten Rhetorik mit ihrer

    abstrakten sthetischen Einordnung. Im Januar 1505 machte Luther das Examen zum

    Magister artium. Seine weitere schulische Laufbahn war auf Jurastudium eingerichtet,

    aber am 2. Juli 1505 geriet er in ein schweres Gewitter. In seiner Angst leistete Luther

    das Gelbde, ins Kloster zu gehen, wenn er lebend aus dem Gewitter herauskme. 15

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    Tage spter setzte er sein Gelbde in die Tat um und trat in das Erfurter Kloster des

    Augustinerordens ein (Lindhorst, 2003, 1.1).

    Seine qulende Frage war, wie bekomme ich einen gndigen Gott? (Hamm,

    2006, S. 8). Er gab sich dem Theologiestudium vllig hin, und nach zwei Jahren (1507),

    erst 24 Jahre alt, wurde Luther zu Priester geweiht. Im Herbst 1508 wechselte er zu

    Wittenberg und der Leucorea (die Universitt des Kurfrsten, Friedrich III.) und nach

    weiteren Theologiestudien und einem lngeren Aufenthalt in Italien, ist er im Oktober

    1512 zum Doktor der Theologie promoviert und als Professor fr Bibel-Exegese an der

    Leucorea engagiert worden (Lindhorst, 2003).

    Beruf und Ttigkeit. 1512 fing Luther seine Stelle an der Leucorea an und seit 1514

    war er nicht nur Theologieprofessor an der Wittenberger Universitt, sondern auch

    Prediger in der Wittenberger Stadtkirche. Er musste jedoch feststellen, dass viele

    Gemeindemitglieder nicht mehr zu ihm in die Beichte kamen, sondern stattdessen in die

    brandenburgischen oder anhaltinischen Stdte wie Jterbog oder Zerbst reisten, um dort

    Ablassbriefe zu kaufen (Bonnke, 2011). Sich Seelenheil durch Ablassbriefe zu erkaufen

    war eine Praxis, die die katholische Kirche seit lngerer Zeit propagierte. Im Jahr 1513

    hat aber Papst Leo X. eine neue Aktion lanciert. Er wollte in der Hauptstadt der

    Christenheit zu Ehren des Apostels Petrus einen neuen Dom bauen lassen, und zugleich

    sich selbst ein Denkmal setzen und fr dieses Projekt brauchte er viel Geld. Deshalb

    produzierte er eine Sonderausgabe von Ablassbriefen und vermarktete sie im ganzen

    Europa. Fr die Vermarktung war der Dominikanermnch Johann Tetzel zustndig, und

    er handelte angeblich nach der Devise: "Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in

    den Himmel springt (Bonnke, 2011).

    Der Existenz eines Nachlebens war von fast allen Europern des 16. Jahrhunderts

    als eine Tatsache angesehen und die Aussicht, dass die Seele nicht direkt in den Himmel

    springen wrde, sondern zuerst durch das Fegefeuer gehen msse oder in der Hlle

    verbannt wrde, war eine schreckerregende Mglichkeit. Die Furcht vor Tod und Hlle

    hat nicht nur den jungen Luther ins Kloster getrieben (Schwarz, 2003), sondern praktisch

    alle Leute machten sich um ihre Seelensorge Sorgen. Die Kirche hatte also einen starken

  • TY3003 Sprachwissenschaftlicher D-Aufsatz

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    Markt fr das Sndentilgen. Jetzt stellte sich aber Luther die Frage, ob die Kirche das

    Recht hat, die Snden gegen Entgeltung zu verzeihen, und er suchte in der Bibel nach der

    Antwort. Im Jahr 1516 erschien eine neue bersetzung der der Bibel. Sie trug den

    Namen, Novum Instrumentum omne, und war eine Neuinterpretation des

    niederlndischen Philosophen und Autors, Desiderius Erasmus von Rotterdam. Erasmus

    war ein Bahnbrecher der neuen Wissenschaft, Humanismus, welche Luthers Interesse

    schon whrend seiner Studienzeit in Erfurt geweckt hatte. Er fing an Erasmus Texte zu

    lesen (Ludolphy, 2006), diskutierte die Angelegenheit mit dem Kollegium der Universitt

    und 1517 formulierte Luther seine 95 Thesen.

    Der Thesenanschlag. Die meist verbreitete Geschichteschreibung sagt, dass Luther

    die Thesen an die Kirchentr in Wittenberg festgenagelt hat. Bonnke (2011) schliet sich

    diese Theorie an und sagt, dass am 31. Oktober 1517 Luther ein Pamphlet mit 95 Thesen

    gegen die Bupraxis der Kirche an der Schlosskirche zu Wittenberg publiziert hat, was zu

    einem Konflikt mit Papst Leo X fhrte. Das in Latein abgefasste Pamphlet des

    Professors der Theologie an der Leucorea, der von dem schsischen Kurfrsten Friedrich

    dem Weisen frisch gegrndeten Wittenberger Universitt, wettert in deftigen Worten

    gegen den vom Heiligen Vater in Rom sanktionierten Brauch, den bufertigen Christen

    im Namen des Herrn Jesus die Snden im Wortsinn abzukaufen (Schwarz, 2003). Im

    Gegensatz zu Bonnke (2011) meint aber Schwarz (2003), dass vielleicht der

    Theologieprofessor Luther sein Pamphlet auch nur an Kollegen in Wittenberg und an

    andere Universitten verschickt hat. An der Schlosskirche htte die lateinischen Thesen

    aus dem gemeinen Volk ohnehin keiner lesen knnen.

    Kollege und Freund. Ein anderer, der die lateinischen Thesen aber gut lesen konnte,

    war der junge Sprachprofessor Philipp Melanchthon (1497-1560). Melanchthon, der 1518

    den von Friedrich III. neu gestifteten Lehrstuhl fr Griechische Sprache angetreten hat,

    studierte auerdem unter Luther Theologie und erlangte 1519 den ersten theologischen

    Grad (baccalaureus biblicus). Gleichzeitig besuchte der inzwischen 35-jhrige Luther

    Melanchthons griechische Vorlesungen. Dazu sagte Luther: Ich danke es meinem guten

    Philipp, da er uns griechisch lehrt. Ich bin lter als er. Allein das hindert mich nicht, von

    ihm zu lernen. Ich sage es frei heraus, er versteht mehr als ich, dessen ich mich auch gar

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    nicht schme. Darum ich auch gar viel von dem jungen Mann halte und werde nichts auf

    ihn kommen lassen (Melanchthon.de, 2011). Eine lebenslange Freundschaft zwischen

    dem Theologen und dem Sprachwissenschaftler wurde hiermit besiegelt.

    Die Bibelbersetzung. Von 1519 und bis zu seinem Lebensende befasste sich

    Melanchthon mit dem Evangelium und der reformatorischen Theologie (Melanchthon.de,

    2011), und als Luther sich von 1521-1522 im Wartburg verborgte, arbeiteten die beiden

    Freunde gemeinsam mit der Bibelbersetzung. Luther und Melanchthon waren aber nicht

    allein. He [Luther] had valuable friends and co-workers such as Dr. Wenzeslaus Link,

    the prior of the convent, and John Lange [Johann Lang], who had a rare knowledge of

    Greek (Schaff 1882). Im weiteren nennt Schaff: Andreas Karlstadt, Nikolaus von

    Amsdorf und Christoph Scheurl der gleiche Scheurl, den der Kurfrst durch eine Heirat

    an Wittenberg zu fesseln versuchte (Ludolphy, 2006) als treue Frsprecher und

    Untersttzer Luthers, und laut Scheible (1997) zhlte auch Matthus Aurogallus zu dieser

    Gruppe. Ohne Ausnahme waren alle diese Mitarbeiter Absolventen von und Professoren

    an der Leucorea.

    Laut Reinhardt (2011) leistete Luther diese ernorme Arbeit [die

    Biebelbersetzung] in ca. zehn Wochen, whrend Schwarz (2003) von elf Wochen

    und Bonnke (2011) von zwlf Wochen sprechen. Klar ist jedenfalls, dass diese kurze

    Periode eine entscheidende Phase der Entwicklung der deutschen Sprache war. Delvaux

    de Fenffe (2009) meint, dass die Lutherbibel fr die deutsche Sprache und Kultur gar

    nicht hoch genug eingeschtzt werden kann. Schwarz (2003) stimmt zu und sagt:

    Verkleidet als Junker Jrg, wohnt Luther zehn Monate auf der

    zugigen und nur schlecht zu heizenden Wartburg, trotz guter Pflege

    durch die Bediensteten des Kurfrsten kein leichtes Leben.

    Tagsber qult ihn nach eigenem Bekunden "furchtbar harter

    Stuhlgang", denn die ungewohnte, gute Kost bekommt ihm nicht.

    "Mein Arss ist bs geworden", jammert der angebliche Adlige. Des

    Nachts sucht ihn in schrecklichen Visionen der Teufel heim, nach

    dem er angeblich einmal sogar ein Tintenfass geworfen haben soll.

    Und doch verbringt der Gebannte auf der Feste droben ber

    Eisenach die produktivste und fr die deutsche Kultur wichtigste

    Phase seines Lebens: Er bersetzt das Neue Testament der Bibel

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    aus dem Griechischen ins Deutsche und wird zum Vater einer

    einheitlichen deutschen Schriftsprache, die sich fortan durchsetzt.

    Martin Luther war sich bewusst, dass die Interpretation der Heiligen Schrift mit

    Macht und Herrschaft verbunden ist, und wer die Interpretation kontrolliert, kontrolliert

    auch die Religion und das Volk. In seiner zentralen Programmschrift An den

    Christlichen Adel deutscher Nation aus dem Jahre 1520 [hat er] dem Papst das

    Auslegungsmonopol der Heiligen Schrift bestritten (Stolze 2011, S 10). Fr ihn war es

    deshalb wichtig, dass jeder Brger seine (d.h. die lutherische) Interpretation versteht,

    und sein Ziel war, dass der gemeine Mann also jeder, und nicht nur die Gelehrten und

    Geistlichen die Bibel lesen und verstehen kann (Frank, 2008, S. 5). Laut Delvaux de

    Fenffe (2009) ist der Text Luthers nicht zum Stilllesen gedacht, sondern zum Vorlesen

    und zum Vortragen. Luther verfasste die Bibel deswegen nicht in einem Schriftdeutsch,

    sondern whlte ein mndliches, gesprochenes Deutsch.

    Luther hat in der Wortwahl viele Anregungen aus dem alltglichen Sprachgebrauch

    geholt. Ein Sprachgebrauch, den er in Gesprchen mit den Mttern in den Husern, den

    Kindern auf den Gassen, den Frauen und Mnnern auf den Mrkten und den Schlachtern

    und Berufsmnnern in ihren Lden und Werksttten lernte (Luther, 1530). He combined

    the official language of the government with that of the common people [and] gave

    shape and form to the modern High German Schaff (1882). Sein Lehrsatz beim

    bersetzen war, dass nicht der Sinn den Worten, sondern die Worte dem Sinn dienen

    und folgen sollen (Luther 1531:11). Dass es trotz klarer Lehrstze nicht so einfach ist,

    eine gute bersetzung zu schreiben, zeigt Gelhaus (1989, S. 184-85, zitiert in Kolby,

    1995). Er sagt:

    "Luther [macht] die Erfahrung, da es nicht immer auf Anhieb

    gelingt, den Inhalt der Vorlage zu erfassen und diesen Gehalt dann

    in der Zielsprache mit adquaten Mitteln wiederzugeben. Der

    bersetzer lernt niemals aus. Aufgrund stndigen Bemhens

    beherrscht er einerseits die Fremdsprache immer besser,

    andererseits gewinnt er auch stets neue Einsichten in seine eigene

    Sprache. Solches Bemhen macht die Last des bersetzers aus. Im

    uersten Fall bedeutet es, wie bei Luther, lebenslange

    Revisionsarbeit".

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    Die Bibel, die Luther bersetzte war die griechische Ausgabe, die Desiderius

    Erasmus von Rotterdam 1516 publizierte. Bluhm (1966, S. 327) erklrt: Luthers

    rendering is, with a very few minor exceptions, based on the Greek original as made

    available by Erasmus in the second decade of the sixteenth century. Aus dem

    Griechischen ins Deutsche zu bersetzten, stellte fr den im Latein ausgebildeten

    Professor ein Problem dar. Dazu sagt Schaff (1882): His knowledge of Greek and

    Hebrew was only moderate, but sufficient to enable him to form an independent

    judgment. What he lacked in scholarship was supplied by his intuitive genius and the help

    of Melanchthon. In the German tongue he had no rival. Reinhardt (2011) berichtet, dass

    im Mai 1522 Luther das fertige Manuskript zur Wittenberger Universitt holte, um dort

    den Text nochmals zu verarbeiten. Unter den Sprach- und Sachkundigen Mitarbeitern

    half ihm wiedermal Philipp Melanchthon, der immer noch den Lehrstuhl fr die

    griechische Sprache besa. Nach vier Monaten Zusammenarbeit wurden die Vorlagen an

    das Haus vom Hofmaler Lucas Cranach d. . geliefert, wo auch die Druckerei von

    Melchior Lotter zu Hause war, und von dort aus wurde die erste Ausgabe der

    Lutherbibel, Das Newe Testament Deutzsch, Vuittemberg auch Das Septembertestament

    genannt, an die Distributoren geliefert. Das Septembertestament wurde auch mit 21

    Holzschnitten zur Apokalypse illustriert. Die Holzschnitte wurden vom Hofmaler Lucas

    Cranach d. . gemacht. Diese illustrative Ergnzung erfolgte aus verlegerischen und

    buchhndlerischen Grnden und ohne Luthers direkte Mitwirkung (Mller, 1993 S.

    220). Nach der bersetzung des Neuen Testaments bentigten Luther und Melanchthon

    ganze zwlf Jahre fr die bersetzung des Alten Testaments, bevor sie im Jahr 1534 ihre

    Arbeit vollenden konnten (Delvaux de Fenffe, 2009).

    Familie und Leben. 1524, nach 19 Jahren, gab der jetzt 41-jhrige Luther seine

    Lebensform als Mnch auf und forderte gleichzeitig die Auflsung aller Klster. Ein Jahr

    zuvor war eine 24-jhrige Nonne zusammen mit elf anderen Schwestern aus dem

    Zisterzienserinnenkloster Marienthron in Nimbschen bei Grimma geflohen (Schwarz,

    2003). Die Nonne war die Adelsdame, Katharina von Bora, und am 27. Juni 1525 nur

    Wochen nach dem Tod des Kurfrsten, Friedrich III. heiratete sie den um 16 Jahre lter

    ehemaligen Mnch, Martin Luther. Ab dieser Zeit lebte Martin Luther ein gemtliches

    Leben. Der neue Kurfrst Johann, Nachfolger seines Anfang Mai verstorbenen Bruders

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    Friedrich des Weisen, zahlt dem Theologieprofessor zu Wittenberg zunchst ein

    Jahresgehalt von 100, spter dann 200 Gulden, wovon der mit seiner Familie gut leben

    kann. Auerdem berlsst Johann dem Brautpaar das Wittenberger Kloster als Domizil

    (Schwarz, 2003). Vielleicht war es Liebe auf den ersten Blick ... Katharina von Bora ...

    braute fr ihn das Bier, pflegte den Garten, kmmerte sich um den Haushalt und brachte

    sechs Kinder zur Welt. (Hasse, 2003)

    Die Sprache Luthers. Luther beherrschte eine klassenberschreitende Palette von

    Sprachen, Dialekte und Soziolekte. In seinem Elternhaus, auf dem Bauernhof, hat er

    einen Soziolekt mit dem fr die Unterklasse sehr typischen restringierten Sprachcode

    gesprochen. Im Gymnasium und der Domschule hat er zwei regionale Mundarten gelernt,

    bevor er schlielich an den Universitten in Erfurt und Wittenberg den Soziolekt der

    geistigen Elite (Gryuer, 2004), das Latein, lernte. Luther konnte sich sowohl auf Latein

    400 Briefe an Spalatin sind Zeugnis dafr (Thigpen, 1992; Schaff, 1882) als auch auf

    Bauerndeutsch "Mein Arss ist bs geworden" (Schwarz, 2003) sehr genau

    ausdrcken. Damit besttigt Luther, 400 Jahre bevor sie von Labov aufgestellt war, die

    Differenzhypothese und zeigt, dass die verschiedenen Sprachgebruche der

    verschiedenen sozialen Schichten in kommunikativer Leistungsfhigkeit quivalent sind.

    Philosophie und Politik. Der Reformator war nicht nur Strahlemann. Er

    begrndete die unheilige Allianz von Thron und Altar (Schwarz, 2003), und Luthers

    Interpretation vom Begriff Freiheit hat einen heute noch fortlufigen philosophischen

    Streit mit den Humanisten verursacht. Damals stand der Streit vor allem zwischen Luther

    und Erasmus, wo Erasmus meinte, dass der Mensch einen freien Willen hat und zwischen

    Gut und Bse whlen kann. Luther konterte und sagte, dass der Willen Gottes die

    Menschen fhrt. Er legte die etwas kryptische Aussage zu: Ein Christenmensch ist ein

    freier Herr ber alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer

    Knecht aller Dinge und jedermann untertan (Luther, 2004, S. 7). Der Streit fhrte 1524

    zu einem endgltigen Bruch zwischen den beiden Philosophen, ein Bruch, der eher

    politisch als philosophisch begrndet war.

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    Erasmus wollte, dass der Mensch immer noch dem Papst unterstellt ist. Luther, der

    aus der Kirche exkommuniziert war, misstraute aber den Ppsten und sah den Mensch

    nur des Gotteswillens unterstellt. Er erkannte sich zum Prinzip sola gratia. Sola gratia

    lsst nur die Gnade Gottes als Instanz zur Vergebung der Snden gelten eine gnzlich

    kontrre Vorstellung zum Ablasshandel im Sptmittelalter ... Diese Individualisierung der

    Gottesbezogenheit fhrte dazu, dass im protestantischen Diskurs das fromme Individuum

    im Mittelpunkt steht und kirchliche Herrschaftsstrukturen und Machtinstrumente nur am

    Rande von Belang sind (Brnada, 2010, S. 61-65). Die Kehrseite der Argumentation

    Luthers war, dass die Frsten durch Gott eingesetzt sind und durch ihn regieren (Aland,

    1990). Anstelle des Papstes bestimmt fortan der Frst, was und wie die Seinen zu

    glauben haben (Schwarz, 2003). Luther begrndete seinen Gedankengang damit, dass da

    nicht alle Menschen Christen sein knnen, sind Herrscher notwendig, die die Christen

    ihres Landes durch Rechtsprechung vor Antichristen schtzen (Aland, 1990). Die

    Untertanen mssen deshalb dem Frsten ihres Landes gehorsam sein. Luther meint, dass

    dieser Standpunkt in der Bibel (Exodus 20.12) durch das Vierte Gebot gesttzt wird. Dort

    steht: "Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem

    Lande, das dir der Herr, dein Gott, geben wird." Als Luther das Gebot interpretiert, legt

    er fest, dass wenn die Autoritt des Vaters endet, bernimmt die Obrigkeit die

    Herrschaft ber die Kinder. Auf diese Weise mu ein Mensch immer Gehorsam leisten

    (Universitt Kiel, 2011). Aland (1990) erklrt Luthers Stellungsnahme und

    Argumentation:

    1. Der Herrscher ist nicht durch weltliche Gesetze eingesetzt, sondern durch Gott.

    2. Regiert ein Frst mit dem Gesetz, das Gott geschaffen hat, so ist der Frst wie Gott.

    3. Deshalb muss man ihn ehren und ihm gehorchen. 4. Der Frst kann nicht immer mit Milde regieren. Mitunter ist es fr

    ihn notwendig, ein halber Teufel zu sein, um sein Land vor

    Antichristen zu schtzen.

    Luthers Lehre von Kirche und Staat begrndet eine Allianz von Thron und Altar

    und fhrt die christliche Kirche in eine Knechtschaft ein (Schwarz, 2003). Kein wunder,

    dass die um die Macht streitenden Frsten Luthers Reformation sttzten. Schwarz (2003)

    geht noch weiter und meint, dass es kein Wunder ist, dass der Protestantismus spter

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    (fast) immer auf Seiten der Herrschenden steht und das bestehende Regime sttzt. Auf

    jeden Fall kann festgestellt werden, dass wenn der Kurfrst die Thesen zunchst

    berhaupt zur Kenntnis genommen hat, dann konnte er ... damals nur feststellen, da sie

    nach seinem Geschmack waren (Ludolphy, 2006, S. 390).

    Luthers Zubilligung, den Frsten in ihren Lndern uneingeschrnkt herrschen zu

    lassen, stellte seine Philosophie menschenrechtlich infrage. Der Frst hatte das Recht die

    Glaubenszugehrigkeit seiner Untertanen zu whlen. Dies machte ethnische und religise

    Minoritten gegen frstlichen Machtmissbrauch rechtslos. Auch die strenge

    Klasseneinteilung der Gesellschaft wurde eher verhrtet als aufgelockert. Luther blieb

    seiner Philosophie treu und gab in Fragen betreffend Juden, Sinti und Roma stets dem

    herrschenden Frsten seine Untersttzung. Fr hexenverdchtige Frauen hat er die

    Todesstrafe verlangt und auch whrend des Deutschen Bauernkriegs (1524-1526) hat sich

    der Bauernsohn, Luther, gegen den aufstndigen Bauern geuert. In der Literatur gibt es

    Hinweise zu vielen Aussagen Luthers in Menschenrechtsfragen, die in diesem Aufsatz

    nicht nher behandelt werden. Im gleichen Sinn gibt es viele Aussagen Luthers, die die

    Herrscher hofieren. Eine dieser Aussagen ist die Widmung die Luther 1519 zu den

    Operationes in psalmos schrieb. Nach den zeittypischen Lobeserhebungen, schreibt

    Luther, da Friedrich mit viel Sorgen, Mhen, Unkosten, ja Gefahren belastet worden sei,

    die aus dem Ablastreit gefolgt sind. Das Lob des Frsten wird zum Teil der religisen

    Schrift, wenn Luther Friedrichs Liebe zur Heiligen Schrift hervorhebt und meint, hier

    she man, wer die wahrhaften Theologen seien (Ludolphy, 2006, S. 391). Dass Luther

    deshalb als Frstenknecht zu betrachten ist, wehrt sich Tischler (2011b), meint aber,

    dass Luther wie jeder moderne Arbeitnehmer den Interessen seines Chefs nicht zuwider

    handeln konnte.

    Spalatin

    Georg Burkhardt wurde zwei Monate nach Luther, am 17. Januar 1884 in Spalt (im

    heutigen Freistaat Bayern ) als Kind einer ledigen Mutter und eines unbekannten Vaters

    geboren. Er hat sich spter, genau wie viele damalige Humanisten, einen Zusatznamen

    nach seinem Geburtsort genommen. Aus Spalt wurde Spalatin. Von seiner Kindheit

    ist nicht viel bekannt, aber er wuchs vermutlich im Umfeld von lederverarbeitenden

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    Handwerkern im Kleinstadtmilieu auf. Er studierte zuerst an der Universitt in Erfurt

    aber wechselte 1502 zu der Leucorea, der von Kurfrst Friedrich III. neu erffnete

    Universitt in Wittenberg, und wurde am 2. Februar 1503 einer der ersten

    Magisterabsolventen. Nach einem zweiten Studienaufenthalt in Erfurt, wo Spalatin Jura

    und Theologie studierte, wurde er 1508 zum Priester geweiht (Thigpen, 1992). Nach

    seiner Priesterweihe wurde er am schsischen Hof angestellt. Dort hat er, als Privatlehrer

    und Erzieher, Kronprinz Johann Friedrich fr das Frstenamt vorbereitet. Infolge

    Ludolphy (2006, S. 19) wirkte Spalatin auch als Geheimsekretr, Hofprediger und

    Beichtiger des Kurfrsten, Positionen, die er auch fr die beiden folgenden Kurfrsten,

    Johann der Bestndige und Johann Friedrich I., beinhaltete.

    Die Sprache Spalatins. Wahrscheinlich hat sich Spalatin durch seine schulische

    Ausbildung daran gewhnt, eine Form schsischer Amtssprache zu sprechen, obwohl

    seine natrliche Mundart Mittelbairisch war. In seiner beruflichen Aufgabe, den

    Kronprinzen Johann Friedrich zu erziehen, war sicher ein elaborierter Sprachcode eine

    Voraussetzung. Als katholischer Priester und Jurastudent, beherrschte er auch das Latein.

    Diesen Tatsachen nach kann angenommen werden, dass Spalatin eine hnliche Sprache

    sprach und die Welt aus einem hnlichen Diskurs, wie der Kurfrst, sah.

    Beruf und Auftrge. Im Auftrag des Kurfrsten widmete sich Spalatin der

    historischen Forschung, sammelte rmische Quellen und 1510 verffentlichte er eine

    Chronik der Sachsen und Thringer. Er schrieb die Biografien des Kurfrsten und

    bersetzte Schriften, u. a. Erasmus Buch Institutio principe Christiani und sein

    Programm fr einen ewigen Frieden Querela pads (Ludolphy 2006, S. 38). Eine groe

    Aufgabe Spalatins war es die Korrespondenz zwischen dem Kurfrsten und Luther zu

    fhren. ber 400 Briefe von der Korrespondenz zwischen Luther und Spalatin sind noch

    erhalten (Thigpen, 1992), und es ist Spalatins Verdienst, dass Erasmus am 17. Oktober

    1518, in einem Brief, fr Luther Partei nahm (Ludolphy, 2006, S. 415). Als Vorstehender

    der Schloss- und Universittsbibliothek in Wittenberg, hatte Spalatin groe Einflsse in

    Lehrplan- und Literaturfragen (Schaff, 1882) und by 1518, the majority of teachers and

    students at the new Wittenberg University had accepted Luther's new theology

    (Luther.de, 2011). Auf Spalatins Rat wurde bei Anstellungsfragen des Lehrkrpers der

    http://alt.wittenberg.de/seiten/leucorea.html

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    Universitt grter Wert gelegt. Luther stand in freundschaftlichstem Verhltnis zu ihm

    und schrieb in Sorge um die weitere Verbesserung an der Universitt, dass er hofft, dass

    Spalatin fr die Einfhrung des Griechischen und Hebrischen Sorge tragen [wird]"

    (Luther.de, 2011), was dazu fhrte, dass der Kurfrst am 25. August 1518 den Lehrstuhl

    fr Griechisch mit dem erst 21-jhrigen Sprachprofessor, Philipp Melanchthon, besetzte.

    (Ludolphy 2006, S. 329).

    Melanchthon

    Philipp Schwartzerdt (spter Melanchthon genannt) wurde am 16. Februar 1497, in

    Bretten (im heutigen Bundesland Baden-Wrttemberg), geboren. Scheible (1997, S. 12f)

    berichtet, dass Bretten damals ein Zentrum des Welthandels der Literatur war, ein Ort,

    den Kaiser Karl V. sogar dreimal besucht hat. Philipps Grovater, Johann Reuter, war der

    kurfrstliche Schulthei und ein erfolgreicher Kaufmann, und seine Gromutter,

    Elisabeth Reuchlin, entstammte aus einer wohlhabenden Brettener Familie. Die

    Herrschaft Reuchlin-Reuter bekam eine Tochter, Barbara, und 1493 heiratete sie den

    achtzehn Jahre lteren kurfrstlichen Rstmeister, Georg Schwartzerdt. Barbara und

    Georg bekamen zwei Shne, Georg, der spter das Amt seines Grovaters als

    kurfrstlicher Schulthei bernahm, und Philipp, der unter dem Name Melanchthon in

    der Geschichte bekannt worden ist. Die Familie Schwartzerdt wohnte in einem stattlichen

    Haus, in bester Lage am Rathausplatz des Stdtleins.

    Ausbildung. Melanchthons Gromutter hatte einen Bruder, obersten Richter

    Johannes Reuchlin. Reuchlin entdeckte frh das Sprachtalent des jungen Verwandten und

    wurde sein groer Frderer. Im Jahr 1509 sorgte Reuchlin dafr, dass der erst 12-jhrige

    Junge an der Heidelberger Universitt mit dem Studium anfangen konnte. Gleichzeitig

    nahm er sich Philipp, als Privatschler in griechischer Sprache, an. Eine griechische

    Lehre wurde nur sehr selten und nur besonders begabten Schlern vermittelt. Um diese

    auergewhnliche Studienrichtung des jungen Studenten zu demonstrieren, nderte

    Reuchlin den Namen seines Protegs. Die deutschen Lexeme Schwartz und erdt

    wurden durch ihre griechischen quivalente plus (melanch, thon)

    ersetzt. Es gab noch keine griechischen Lehrsthle an den deutschen Universitten. Daher

    gab es kaum Literatur zu dieser Thematik. Reuchlin schenkte Melanchthon deshalb ein

    http://de.wikipedia.org/wiki/Bretten

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    Exemplar einer griechischen Grammatik und dank dieses Buches konnte Melanchthon

    sein Sprachtalent entwickeln. Sechs Jahre spter, 1515, richtete Reuchlin bei der

    Universitt Leipzig die erste Professur des Griechischstudiums in Deutschland ein

    (Ludolphy 2006).

    Melanchthon erfllt problemlos die Erwartungen seines Frderers und am 10. Juni

    1511 erwarb der erst 14-jhrige Junge den ersten akademischen Grad, das Baccalaureus

    Artium. Es folgten sieben Jahre an der Universitt in Tbingen, wo Melanchthon am

    25. Januar 1514 sein Studium an der Philosophischen Fakultt mit dem Magistertitel

    abschloss, wonach er als Lehrer angestellt wurde. In Tbingen hat er auch seine ersten

    Publikationen geschrieben, u. a. die 1518 publizierte griechische Grammatik,

    Institutiones Graecae grammaticae.

    Im gleichen Jahr stiftete Kurfrst Friedrich der Weise an seiner Universitt in

    Wittenberg einen Lehrstuhl fr Griechische Sprache ein. Sein Ziel war, den damals

    bekanntesten Sprachwissenschaftler der griechischen Sprache, Johannes Reuchlin, zu

    engagieren. Reuchlin sagte aber ab, befrwortete dafr seinen Schtzling, Philipp

    Melanchthon, und der Kurfrst folgte Reuchlins Rat. An der Leucorea hat Melanchthon

    nicht sofort ressiert, aber mit seiner Antrittsrede ber die Studienreform, de corrigendis

    adulenscentiae studiis, am 28. August 1518, in der Schlosskirche von Wittenberg,

    prsentierte sich der neue Professor als Vorkmpfer der Renaissance und traf damit

    vllig mit dem, was man in Wittenberg wollte (Scheible, 1997, S. 31), und fortlaufend

    haben mehr und mehr Studenten seine griechischen, hebrischen und humanistischen

    Vorlesungen verfolgt. Gleichzeitig hat Melanchthon Theologie unter Martin Luther

    studiert. Da ein Magister der Artistenfakultt an einer der oberen Fakultten

    weiterstudierte, war blich. Am 19. September 1519 erhielt Melanchthon den Grad des

    Baccalaureus biblicus zuerkannt ... Damit gehrte er zur theologischen Fakultt

    (Scheible, 1997, S. 33). Von damals an befasste er sich bis zu seinem Lebensende mit

    dem Evangelium und der reformatorischen Theologie. Auch sein theologischer

    Lehrmeister, Luther, musste dem jungen Sprachprofessor eingestehen: Dieser kleine

    Grieche bertrifft mich auch in der Theologie" (Melanchthon.de, 2011).

    http://de.wikipedia.org/wiki/Universit%C3%A4t_Leipzighttp://de.wikipedia.org/wiki/Magisterhttp://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_III._(Sachsen)http://de.wikipedia.org/wiki/Leucoreahttp://de.wikipedia.org/wiki/Leucoreahttp://de.wikipedia.org/wiki/Gr%C3%A4zistikhttp://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Reuchlin

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    Der neue Grad verpflichtete zu biblischen Vorlesungen nach der Vulgata, und da

    Luther infolge seiner Reise nach Worms und des anschlieenden Aufenthalts auf der

    Wartburg ein Jahr lang als Lehrkraft fehlte, setzte Melanchthon die biblischen

    Vorlesungen fort (Scheible, 1997, S. 34). Eine seiner Vorlesungen ber den Rmerbrief

    hat ihm 1521 als Vorlage fr ein Buch gedient. Dabei hat er die erste systematische

    Darstellung der reformatorischen Theologie und zugleich eine neue wissenschaftliche

    Literaturgattung geschaffen (Scheible, 1997, S. 34). Zur Krnung dieser Gattung muss

    Luthers Bibelbersetzung gezhlt werden. Die Anregung, auf der Wartburg mit der

    Bibelbersetzung zu beginnen, empfing Luther von Melanchthon, als er Anfang

    Dezember 1521 incognito nach Wittenberg kam. Er sagt es selbst in einer Tischrede: ...

    Melanchthon ntigte mich. Das Neue Testament zu bersetzen ... [nach] zehn Wochen

    ... war er am Ende seiner Mglichkeiten in der Einsamkeit. Er brauchte weitere

    Hilfsmittel und das Gesprch mit seinen Kollegen, vornehmlich mit Melanchthon, dem

    fhigsten Grzisten in Wittenburg. Mit ihm arbeitete er das Manuskript Wort fr Wort

    durch (Scheible, 1997, S. 145). Schaff (1882, 62) meint auch, dass Melanchthon bei

    der Bibelbersetzung gro mitgewirkt hat. Er sagt, dass Luther thoroughly revised it [die

    bersetzung] on his return to Wittenberg, with the effectual help of Melanchthon, who

    was a much better Greek scholar. Olsson (2011) geht noch weiter und sagt, dass

    Melanchthon mit seiner Theologie und seiner Sprache die Texte gefrbt hat. Die

    Schwierigkeiten beim Dolmetschen beschreibt Luther (laut Scheible, 1997, S. 146) mit

    den Worten: Im Hiob arbeiteten wir also, Magister Philips, Aurogallus und ich, da wir

    in vier Tagen zuweilen kaum drei Zeilen kunnten fertigen.

    Die Sprache Melanchthons. Dass Melanchthon einen Soziolekt der Oberklasse und

    eine schwbische Mundart sprach, kann nicht bezweifelt werden. Er kam aus einer

    vornehmen Familie und hatte auerdem eine erstklassige Sprachausbildung. Melanchthon

    hatte aber auch einen Sprachfehler, was ihn dazu bewogen hat, sich eher schriftlich als

    mndlich auszudrcken. Predigt hat er aus diesen Grnden nie gemacht, obwohl er zum

    Priest geweiht war. In der Synchronie der Zeit existierte kaum eine deutsche

    Schriftsprache, die fr den restringierte Sprachcode der Unterklasse geeignet war, und es

    ist deshalb wahrscheinlich, dass sich Melanchthon mit dem Groteil der Bevlkerung

    kaum verstndlichen konnte. Auch wenn er sowohl Griechisch, als auch Hebrisch und

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    Latein beherrschte, konnte er sich nicht auf verschiedene deutsche Dialekte und

    Mundarten ausdrcken. Als folge daraus, sah er alles aus dem Diskurs der

    Machtsprachen, m.a.W. aus dem Diskurs der Herrscherklasse. Die Variett der deutschen

    Sprache, die er fr seine Bcher und bersetzungen benutzte, eignete sich wohl fr diese

    Klasse am besten, war aber fr den Durchschnittbrger unverstndlich. Er erlebte das

    Paradox, die Umkehrung der Bernstein-Hypothese, dass obwohl er einen elaborierten

    Sprachcode benutzte, der fr genaue Beschreibungen komplizierter Verhltnisse

    zugeschnitten war, konnte er nicht die einfachsten Begriffe simplifiziert darstellen. Seine

    erhobene sprachliche Fhigkeit wurde zur defizitren Tatsache.

    brige Mitarbeiter

    Matthus Aurogallus (auch als Matthus Goldhahn) wurde am 10. November 1490

    in Komotau im Knigreich Bhmen geboren, und sprach wahrscheinlich eine

    nordbhmische Mundart. Er studierte ab 1512 an der Universitt in Leipzig, wo er nach

    seinem Baccalaureus-Artium-Examen angestellt worde. Ab 1519 studierte er Griechisch

    unter Melanchthon und 1521 wurde er als Professor fr Hebrisch an der Leucorea

    angestellt. Er hat vor allem bei der bersetzung des Alten Testaments mitgeholfen.

    Wenzeslaus Linck wurde am 8. Januar 1483 In Nrnberg geboren, wo er eine

    ostfrnkische Mundart sprach. 1506 hat er an der Wittenberger Universitt den

    artistischen Grad, Magister artium, erworben, wo er 1511 zum Doktor der Theologie

    promoviert wurde und arbeitete danach als Dekan an der theologischen Fakultt. Seine

    Hauptaufgabe war aber das Amt als Prior und Ordensvikar des Wittenberger

    Augustinerordens, wo Luther sein Stellvertreter war.

    Johann Lang wurde 1487 in Erfurt geboren, wo Thringisch gesprochen wird. 1512

    hat er den Magister artium an der Wittenberger Universitt erworben und dort die Stelle

    als Lektor der Moralphilosophie bekommen. 1519 erhielt er den theologischen

    Doktorgrad.

    Andreas Karlstadt (Andreas Rudolff Bodenstein) wurde 1482 in Karlstadt geboren,

    was gleich sein bername wurde. Seine natrliche Mundart war Sdrheinfrankisch. 1505

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    kam er als Studierender an die Wittenberger Universitt, wo er 1510 promovierte und

    Professor der Theologie wurde.

    Nikolaus von Amsdorf wurde am 3. Dezember 1483 in Torgau geboren. In seiner

    Heimat wird eine lausitzisch-schlesische Mundart gesprochen. Ab 1502 studierte er an

    der Wittenberger Universitt und wurde 1511 Lizentiat der Theologie. Bereits 1510 hat er

    eine Stelle an der Philosophisch