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Matthias Remenyi

Auferstehung denken

Matthias Remenyi

Auferstehung denken

Anwege, Grenzen und Modellepersonaleschatologischer Theoriebildung

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2016Alle Rechte vorbehalten

www.herder.deUmschlaggestaltung: Verlag Herder

Satz und PDF-E-Book: Barbara Herrmann, FreiburgISBN (Buch): 978-3-451-33267-8

ISBN (E-Book): 978-3-451-80708-4

Meinen Töchtern Sara und Elisa

Vorwort

Jedes Buch erzählt eine Geschichte, und jedes Buch hat eine Geschichte.Manchmal ist es gut, die Geschichte eines Buches zu kennen, um die Ge-schichte, die es erzählt, ein wenig besser zu verstehen. Mit diesem Buchverhält es sich so. Ursprünglich geplant war nicht dieses nun vorliegendeFormat, sondern eine kompakte, einleitende Schrift. Sie sollte einenknappen Überblick bieten über den Eschatologie-Traktat im Ganzen.Bald war klar, dass sich dieses Vorhaben nicht realisieren lässt. So ent-stand der Plan, die Arbeit auf das Feld der Personaleschatologie zu fokus-sieren und dieses dafür umso gründlicher aufzubereiten. Das ist derGrund, weshalb die für dieses Format eigentlich übliche Präsentationdes Forschungsstandes und die Generierung einer Forschungshypothesefehlen und stattdessen ein eher allgemein gehaltener, breiter Einstieg indie Themafrage gewählt wird. Auf diese Weise erklärt sich auch, weshalbdie Darlegung zunehmend kleinschrittiger und ausdifferenzierter wird.

Das Buch ist das Ergebnis eines langen Weges. So bin ich vielen Men-schen zu Dank verpflichtet. Zu nennen ist Univ.-Prof. Dr. Ulrich Lüke,mein ehemaliger Chef in Aachen am dortigen Institut für KatholischeTheologie. Er hat sich auf das seltene Kunststück verstanden, seinem wis-senschaftlichen Mitarbeiter den Rücken freizuhalten und denselben zu-gleich zu stärken. Ich verdanke ihm viel, menschlich wie fachlich. Zunennen sind weiter die Lehrenden und Lernenden am Seminar für Katho-lische Theologie der Freien Universität Berlin, allen voran natürlich Kol-legin Prof. Dr. Anja Middelbeck-Varwick und Kollege Univ.-Prof. Dr.Rainer Kampling. Danke für das immer gedeihliche Arbeitsklima!

Großen Dank schulde ich meinen beiden Berliner Projektmitarbei-tern, Dr. Ruben Schneider und Dr. Hartmut Westermann. Sie habenmich mit ihrem Rat und ihrer Expertise begleitet. Ohne den beständigenAustausch mit ihnen hätte sich dieses Unterfangen so nicht realisierenlassen. Gleiches gilt für Felix Tesch M.A. und Larissa Kapp, die als stu-dentische Hilfskräfte zu unterschiedlichen Phasen mit dem Projekt be-fasst waren. Larissa Kapp ist es zu verdanken, dass das Buch durch einLiteraturverzeichnis abgeschlossen wird, das seinen Namen verdient. Jo-hannes Schneider M.A. hat in unermüdlichem Fleiß und großer Akribiedas Manuskript in Form gebracht. Ihnen allen danke ich sehr! Dankenmöchte ich aber auch PD Dr. Florian Bruckmann und Dr. Magnus Lerch,

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die große Teile des Manuskripts vorab gelesen und mir wertvolle Rück-meldungen gegeben haben. Dass sich außerdem Univ.-Prof. Dr. MichaelTheobald nicht zu schade war, das bibeltheologische Kapitel durchzuse-hen, hat mich überaus gefreut und geehrt. Dem Herder Verlag in Frei-burg und namentlich Dr. Stephan Weber sei herzlich für die geduldigeund wohlwollende Begleitung der Drucklegung gedankt.

Dieses Buch ist zeitgleich mit seinem Erscheinen Bestandteil eines Ha-bilitationsverfahrens an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni-versität Innsbruck. Ich danke Univ.-Prof. Dr. Roman Siebenrock für dieBetreuung dieses Vorhabens, für seine stets fachkundige Unterstützungund seine freundschaftliche Ermutigung in mancher Stunde des Zweifels.Und ohne dem Ergebnis vorgreifen zu wollen, danke ich selbstverständ-lich der Innsbrucker Habilitationskommission und den externen Gutach-tenden schon jetzt für all die Mühen und all die Arbeit, die solch ein Ver-fahren mit sich bringt.

In tiefer Dankbarkeit weiß ich mich schließlich meiner Frau Eva ver-bunden. Danke für Deine Geduld, für Dein Zutrauen – und für so unend-lich viel mehr! Meinen Töchtern Sara und Elisa danke ich für das Ge-schenk ihrer Gegenwart, das mich jeden Tag aufs Neue staunen lässt.Ihnen, die mein Leben so reich machen, ist diese Schrift gewidmet.

Berlin, am Fest des hl. Nikolaus, dem 2. Advent 2015Matthias Remenyi

8 Vorwort

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

A. Begriff, Gegenstand und Aufgabe der Eschatologie . . . . . . . . . . . . . . 17

1. Begriffsklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

2. Schon und Noch-nicht: präsentische und futurische Es-chatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

3. Eschatologische Verheißungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

4. Zu Anlage und Aufbau dieses Buches . . . . . . . . . . . . . . . . 38a. Anlage und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38b. Aufbau und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

B. Zur Geschichte der eschatologischen Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

1. Alte Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49a. Neutestamentliche Schriften und Apostolische Väter . . . 49b. Die Apologeten: Verteidigung der Auferstehung . . . . . . . 53c. Clemens und Origenes: Hoffnung auf Allversöhnung . . . 57d. Augustinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

2. Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66a. Joachim von Fiore: Eschatologie als Theologie der

Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66b. Die Zeit der Scholastik: Eschatologie als Traktat . . . . . . 68c. Unsterblichkeit der Seele und Auferstehung des Leibes . . 72d. Der Visio-Streit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

3. Reformation und Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80a. Martin Luther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80b. Die Entwicklung bis zum Konzil von Trient . . . . . . . . . . 85c. Pietismus und Aufklärungstheologie . . . . . . . . . . . . . . . 89d. Historismus und Kulturprotestantismus . . . . . . . . . . . . 94

4. 20. Jahrhundert und Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96a. Konsequente Eschatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96b. Karl Barth und die Debatte um die Dialektische Theologie 100c. Wolfhart Pannenberg und Jürgen Moltmann . . . . . . . . . 105d. Katholische Neuaufbrüche: Teilhard, Rahner und

Balthasar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

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e. Die neue Politische Theologie und die Theologie derBefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

C. Nachdenken über den Tod: eine thanatologische Skizze . . . . . . . . . . . 121

1. Der Tod als Grenze des Lebens und des Denkens . . . . . . . . 121a. Der Tod – ein schillernder Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . 121b. Todesverdrängung oder Todesgegenwart? . . . . . . . . . . . 129c. Erkenntnistheorie des Todes: Standortgebundenheit des

Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133d. Der existentielle Umgang mit dem Wissen um unser

Sterbenmüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141e. Der Tod als Grenze des Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

2. Das dreifache Dilemma einer thanatologischen Theorie-bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149a. Das Aktivität-Passivität-Dilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

(1) Der Tod als Möglichkeit des Daseins: Martin Heidegger149 (2) Kritik: Tod als Unmöglichkeit aller Möglichkeiten 151(3) Rahners Todesdialektik 153 (4) Eigene Positionierung 156

b. Das Kontinuität-Diskontinuität-Dilemma . . . . . . . . . . . 159(1) Anima separata versus Ganztod-Hypothese 159(2) Rehabilitation des Seelenbegriffs 162 (3) Eigene Positio-nierung 165

c. Das Freund-Feind-Dilemma – philosophisch . . . . . . . . . 167(1) Die These vom natürlichen Tod 167 (2) Kritik derThanatodizee 169

d. Das Freund-Feind-Dilemma – theologisch . . . . . . . . . . . 172(1) Die alttestamentliche Sicht auf den Tod 172 (2) Der Tod alsSold der Sünde 176 (3) Eigene Positionierung 179

D. Biblische Hoffnungsbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

1. Alttestamentliche Entwicklungslinien . . . . . . . . . . . . . . . . 183a. Die vorexilische Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183b. Zwischenphase: Exil und nachexilische Zeit . . . . . . . . . 187c. Die späte Hoffnung auf Auferstehung . . . . . . . . . . . . . . 194

(1) Psalmen 195 (2) Apokalyptik und Märtyrerhoffnung 197(3) Weisheit 200 (4) Zwischenbilanz 201

10 Inhalt

2. Reich Gottes: Botschaft und Hoffnung des Jesus vonNazaret . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203a. Gehalt und Geschichte des Reich-Gottes-Begriffs . . . . . . 203

(1) Hermeneutische Besonderheiten der neutestamentlichenZeugnisse 203 (2) Geschichte des Reich-Gottes-Begriffs 204

b. Grundlinien der Reich-Gottes-Botschaft Jesu . . . . . . . . . 209c. Gegenwart und Zukunft des Reiches Gottes . . . . . . . . . 213d. Das Selbstverständnis Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

3. Die Auferweckung des Gekreuzigten: das Zeugnis des NeuenTestaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229a. Die Krise des Kreuzes und der österliche Neuanfang . . . . 229b. Frühe Formelbildungen: der Inhalt des bezeugten

Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235(1) Die theonome Formel: Auferweckung 236 (2) Die chris-tonome Formel: Auferstehung 237 (3) TraditionsgeschichtlicheSynthese und Gehalt 240 (4) Zur Wahl des ParadigmasAuferweckung / Auferstehung in der frühen Kirche 243

c. Die Erscheinungen des Auferstandenen: der Anlass desOsterglaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246(1) 1 Kor 15,3–8: Textbefund und Aussageintention 247(2) 1 Kor 15,3–8: Erscheinung als Begegnung 252 (3) Herme-neutik und Sprachwahl 256

d. Die Erscheinungserzählungen in den Osterevangelien . . . 261 (1) Traditionsgeschichtlicher Befund 261 (2) Zur Frage der Historizität der Erscheinungserzählungen 262 (3) Zweizentrale Marker: Identität und Transformation 264

4. Die Debatte um das leere Grab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270a. Der biblische Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

(1) Mk 16,1–8: Traditionsgeschichtliche Einordnung 270(2) Textanalyse: kerygmatische Orientierung 273

b. Der Streit um die Historizität des leeren Grabes . . . . . . . 276(1) Pro und Contra 276 (2) Das leere Grab als Möglichkeits-bedingung der Osterverkündigung? 280 (3) Ein geöffnetes undleer vorgefundenes Grab Jesu als Möglichkeitsbedingung? 281(4) Vielgestaltigkeit und Variabilität der eschatologischenHoffnungsfiguren 284 (5) Kompatibilität mit apokalyptischemDenken 287

c. Zur modelltheoretischen Relevanz der Grabeserzählung . 289(1) Das leere Grab Jesu und die personaleschatologischeModellbildung 289 (2) Zwei Beispiele 292 (3) Plädoyer füreine offene Debatte 294

11Inhalt

5. Theologische Überhangfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298a. Die Auferweckung Jesu: eine historische Wirklichkeit? . . 298b. Die Auferweckung Jesu: ein Handeln Gottes an einem

Toten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302(1) Verweyens erste Osterthese: kein nachträglicher Offen-barungsakt 303 (2) Verweyens zweite Osterthese: keineRelativierung der Inkarnation 305 (3) Zur Spannung von defacto- und de iure-Evidenz 308 (4) ErkenntnistheoretischeGegenargumente 310 (5) Ontologische Gegenargumente 313

c. Christologische und trinitätstheologische Folgerungen . . 316d. Zum Verhältnis von Tod und Auferstehung Jesu Christi . 320e. Zur Vermittlungsproblematik der Osterevidenz . . . . . . . 323

(1) Verweyens dritte Osterthese: das Problem der Jünger ersterund zweiter Hand 323 (2) Christusbegegnung im Geist: trini-tarische Erschließungshilfe 324

E. Personale Eschatologie in Schrift und Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . 331

1. Christologische Weichenstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331a. Relationale Eschatologie – christologische Mitte . . . . . . 331b. Anthropologische Konvenienzgründe . . . . . . . . . . . . . . 335c. Die Auferstehung Jesu Christi als Wirk- und Exemplar-

ursache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340

2. Paulinische Modellbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344a. 1 Thess 4,13–18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346

(1) Präsentische und futurische Eschatologie 346(2) Christologische Fundierung 348 (3) Heilsuniversalismusbei Paulus? 350

b. 1 Kor 15,1–28 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352(1) Adressatensituation in Korinth 352 (2) Abermals: christo-logische Fundierung 353 (3) Auferweckung im Bild derErstlingsgabe 355

c. 1 Kor 15,35–58 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360(1) Leiblichkeit und Identität 360 (2) Mysterium derVerwandlung 364 (3) Kurze Zwischenbilanz 365

d. 2 Kor 5,1–10 und Phil 1,23–25 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368(1) Die Bekleidungsmetapher in 2 Kor 5,1–10 368 (2) Das Seinbei Christus in Phil 1,23–25 371 (3) ModelltheoretischeAnschlussüberlegungen 372

12 Inhalt

3. Lehramtliche Positionierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374a. Auferstehung des Fleisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374

(1) Von den Symbola der alten Kirche zu mittelalterlichenLehraussagen 375 (2) Hermeneutische Einordnung 377

b. Unsterblichkeit der Seele und Zwischenzustand . . . . . . . 381(1) Auf dem Weg zur Anima-forma-corporis-These 381(2) Anima separata und Zwischenzustand 385 (3) Zum Gehaltdes Seelenbegriffs 389 (4) Spe salvi 391

c. Die Erklärung der Glaubenskongregation von 1979 . . . . 393(1) Genese und Gehalt des Schreibens 393 (2) KontroverseRezeption 397 (3) Weitere inhaltliche Aspekte derErklärung 400

4. Die Denkmöglichkeit einer Auferstehung im Tod . . . . . . . . 402a. Offene Traditionslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402b. Von Thomas zu Durandus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409

(1) Thomas von Aquin 409 (2) Von Thomas zu Durandus 414(3) Der Korrektorienstreit und seine Implikationen für dieEschatologie 419 (4) Kurzes historisches Zwischenfazit 424

c. Exkurs: Joseph Priestley und John Cameron . . . . . . . . . 425(1) Eine ominöse Quelle und ihr fraglicher Autor 425 (2) JohnCameron und seine These von der Auferstehung im Tod 429(3) Die Personaleschatologie von Joseph Priestley 438

d. Zwei alternative Denkformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446(1) Stoffliche oder formelle Identität? 446 (2) Herman Schell450 (3) Daniel Feuling 453 (4) Romano Guardini 455

e. Die Assumptio Mariae und ihre Interpretation durch KarlRahner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457(1) Munificentissimus Deus: Genese und Gehalt 457 (2) KarlRahner und die Assumptio-Arbeit 463 (3) Formelle Identitätals metaphysische Hintergrundannahme 466 (4) Allkosmisch-Werden der Seele 471 (5) Marianisches Privileg oder maria-nisches Prinzip? – Maria als erste Vollerlöste 477 (6) Mt 27,52fund die reale Möglichkeit leiblicher Auferweckungen 485(7) Rahners Impuls: christologische Zentrierung undrelationale Dynamisierung 490 (8) Karl Rahner und dieAuferstehung im Tod 497 (9) Zur hermeneutischen Legitimitätder rahnerschen Interpretation 500

f. Der Stand der Debatte um die Auferstehung im Tod . . . . 503(1) L. Boros und D. Flanagan 503 (2) Gisbert Greshake 507(3) Gerhard Lohfink 511 (4) Ulrich Lüke 516 (5) Die KritikJoseph Ratzingers am Zeit-Ewigkeits-Verhältnis 523 (6) DieAuseinandersetzung zwischen Greshake und Ratzinger um denMateriebegriff 527 (7) Der Diskurs um den Seelenbegriff 531

13Inhalt

(8) Denkformspezifisches und Weiterführendes 535(9) Randnotiz: lex orandi – lex credendi 538

F. Das Leib-Seele-Problem und die Hoffnung auf leibliche Auferstehung . . . 545

1. Bilanz und Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545a. Physikalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545

(1) Zum Stand der Überlegungen 545 (2) Physikalismus:Konzepte und Kritik 547 (3) Kritik physikalistischerAuferstehungsmodelle 550

b. Substanzendualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554(1) Konzept 554 (2) Kritik des Substanzendualismus 556(3) Kritik substanzdualistischer Auferstehungsmodelle 560

c. Nahtod- und Out-of-body-Erfahrungen . . . . . . . . . . . . 562

2. Aktuelle Reformulierungen hylemorphistischen Denkens . . 566a. Vermittlungskonzepte: Emergenz und Konstitution . . . . 566

(1) Emergenztheorie 566 (2) Lynne Rudder BakersKonstitutionstheorie 569 (3) Konstitutionstheorie:Diskussion und Kritik 572

b. Diachrone personale Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576(1) Erste-Person-Perspektive 576 (2) Disposition stattEreignis 578 (3) Invariantes Organisationsprinzip deslebenden Organismus 581

c. Der aristotelische Seelenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583(1) Seele: Lebensprinzip eines natürlichen Körpers 583(2) Theologische Deutung des Seelenbegriffs 584(3) Der heuristische Mehrwert des aristotelischenHylemorphismus 586

d. Einwände gegen den Hylemorphismus . . . . . . . . . . . . . 590(1) Zur internen Konsistenz des Hylemorphismus 590(2) Zur Legitimität der Substanzmetaphysik 591

3. Auf dem Weg zu einer personaleschatologischen Modell-bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594a. Thomas Schärtl: das Weichenstellungsmodell . . . . . . . . . 594

(1) Konstitutionstheoretische Anleihen 594 (2) Phänome-nologische Anleihen: Leib-Körper-Differenzierung 599(3) Diskussion und Kritik 601

b. Josef Wohlmuth: Identität und Transformation . . . . . . . 604(1) Transformation 604 (2) Eschatologische Transformationals Transsubstantiation? 606 (3) Grenze der Eschato-Logik:Einheit von Materie und Geist 610

c. Gestalt als Hilfsbegriff personaleschatologischer Theorie-bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613

14 Inhalt

(1) Anschlussfähigkeit zum bisher Erarbeiteten 613(2) Blütenlese zum Gestaltbegriff 618 (3) Soma, Gestalt undAuferstehungsleiblichkeit 621 (4) Eingestaltung in Christus:Panentheismus und kosmische Eschatologie 626(5) Fazit: Chancen und Grenze des Gestaltbegriffs 630

G. Zeit und Ewigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635

1. Status quaestionis, Begriffe und Methode . . . . . . . . . . . . . 635a. Begriffliche Vorklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635

(1) Zum Status quaestionis 635 (2) Eternalismus, Tempora-lismus und Sempiternalismus 637 (3) Etymologie: Ewigkeit alsLeben 640

b. Erste Verhältnisbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643(1) Ewigkeit Gottes – Ewigkeit des Geschöpfs 643 (2) Zeit undEwigkeit 645

2. Sempiternalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649a. Karl Barths Kirchliche Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . 649

(1) Barths Ewigkeitsbegriff 649 (2) Anfang, Verlauf, Ende 652(3) Eine erste Zwischenbilanz 656

b. Pannenberg als Sempiternalist? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657(1) Pannenbergs Ewigkeitsbegriff: Anliegen und konzeptuelleVerankerung 657 (2) Gott als Zukunft seiner selbst: Pannen-berg und Plotin 660 (3) Pannenbergs eternalistischer Kern 662

c. Weitere sempiternalistische Stimmen . . . . . . . . . . . . . . . 664(1) Eberhard Jüngel 664 (2) Ingolf Dalferth und ChristianLink 665 (3) Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar 667(4) Thomas Pröpper, Magnus Striet und Karl-HeinzMenke 669

d. Sempiternalismus: Bilanz und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . 673(1) Trinitarische Verlagerungen 673 (2) SempiternalistischerGottesbegriff? 677 (3) Sempiternalismus und Relativitäts-theorie 678 (4) Parallele Argumentationsstrukturen 681(5) Unauflösbare Dialektik 682

3. Eternalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686a. Eternalistischer Theismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686

(1) Ewigkeit bei Thomas von Aquin 686 (2) Das Verhältnisvon Zeit und Ewigkeit bei Thomas von Aquin 688(3) E. Stump und N. Kretzmann: ET-Simultaneität 691

b. Kritik des Eternalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694c. Das Argument der Willensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 698

(1) Rekonstruktion des Arguments 698 (2) Diskussion undKritik 701

15Inhalt

4. Von Boethius zu Kant und weiter … . . . . . . . . . . . . . . . . . 705a. Vermittelnde Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705

(1) Vom Sempiternalismus ausgehend: William LaneCraig 705 (2) Vom Eternalismus ausgehend: Alan G.Padgett 707

b. Bleibende Basis: der Lebensbezug des Boethius . . . . . . . 710(1) Ewigkeit als vollkommener Besitz unbegrenzbarenLebens 710 (2) Eternalistische Lesart: vollkommene Seinsfülle,reiner Akt 712 (3) Sempiternalistische Lesart: überbordendeLiebe, maximale Empathie 713 (4) Notwendigkeit einesEntscheids: Plädoyer für Sempiternalismus 714

c. Ein Seitenblick auf Immanuel Kant . . . . . . . . . . . . . . . . 717(1) Verräumlichung und Verzeitlichung Gottes? 717(2) Immanuel Kant: Zeit als Form der Anschauung 720(3) Konsequenzen für die Debatte um Zeit und Ewigkeit 723

5. Zeit und Freiheit im Eschaton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725a. Geschichte und Geschichtsvollendung . . . . . . . . . . . . . . 725

(1) Vom Ernst irdischer Geschichte: Tod als Ende des Pilger-standes 725 (2) Freiheit und Neubeginn im Eschaton 728(3) Descensus Christi: Soteriologie und Freiheit 731(4) End-Gültigkeit und Vollendung 733 (5) Deus sempermaior 736

b. Freiheit und Sündlosigkeit im Eschaton . . . . . . . . . . . . . 739(1) Vollendung der Freiheit in der Gottesschau 739(2) Theonome Finalität der Freiheit und ontologischeAusrichtung auf Gott 743 (3) Transzendentale Selbstwahl derFreiheit und Sündlosigkeit im Eschaton 746

c. Noch einmal ganz zum Schluss: Gestalt . . . . . . . . . . . . . 749

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 753

Inhalt16

A. Begriff, Gegenstand und Aufgabe der Eschatologie

1. Begriffsklärungen

Obwohl der Sache nach von Anfang an und unlösbar mit dem Christen-tum verknüpft, handelt es sich beim Begriff Eschatologie um ein Kunst-wort, das erst relativ spät entstanden ist. Nachweisbar ist es ab der Mittedes 17. Jahrhunderts, und zwar erstmals in Dogmatiken der lutherischenOrthodoxie: Der Stralsunder Lutheraner Philipp Heinrich Friedlieb ver-wendet den Begriff 1644 in der Überschrift des fünften und abschließen-den Teils seiner Dogmatik, und der zuletzt in Wittenberg lehrende Abra-ham Calov (1612–1686) – einer der bedeutendsten Streittheologen derlutherischen Orthodoxie des 17. Jahrhunderts – betitelt 1677 den zwölf-ten und letzten Band seiner Dogmatik mit Eschatologia Sacra. Beide han-deln unter dieser Überschrift vom Tod und dem, was danach für Menschund Welt zu erwarten steht: der Auferstehung der Toten, dem JüngstenGericht, der Vollendung der Welt, der Hölle und dem ewigen Leben.Und beide erklären den Begriff nicht, noch definieren sie ihn.1

Eigentlich prominent gemacht hat den Begriff Eschatologie mehr alsanderthalb Jahrhunderte später ein anderer protestantischer Theologe:Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Er gebraucht das Kunstwort,um in der zweiten Auflage seiner Glaubenslehre (1830/31) die über-kommene deutsche Formulierung „Lehre von den letzten Dingen“ kriti-sieren und ersetzen zu können, weil die damit verbundenen – offen-sichtlich dinghaften – Konnotationen seinem Verständnis von Religionund Glauben als einem inneren Gefühl der schlechthinnigen Abhängig-keit des Menschen von Gott nicht zu entsprechen vermögen: „Der deut-sche Ausdruck [Lehre von den letzten Dingen, M.R.] […] hat etwas Be-fremdendes, was sich in dem Worte Eschatologie mehr verbirgt, indemder Ausdruck Dinge uns ganz aus dem Gebiet des inneren Lebens, mitdem wir es doch allein zu tun haben, herauszuführen droht“.2 Was alsobedeutet dieser Kunstbegriff, der hier die Rede von den letzten Dingenersetzen soll?

1 Vgl. G. Sauter, Begriff und Aufgabe der Eschatologie, 191; S. Hjelde, Das Eschatonund die Eschata, 37.2 F. Schleiermacher, Der christliche Glaube, § 159, 522.

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Das Wort setzt sich zusammen aus den beiden griechischen Begriffenêscatoj und l{goj. Logos ist einer der komplexesten Begriffe über-haupt, den die Geistesgeschichte hervorgebracht hat und entsprechendvielfältig ist er zu übersetzen. Er leitet sich her vom Verbum l¤gw, dasin seiner Grundbedeutung ‚sammeln‘, dann ‚zählen‘ und ‚aufzählen‘,schließlich ‚erzählen‘, ‚reden‘, ‚sagen‘ und ‚sprechen‘ meint. Entspre-chend bedeutet das Verbalsubstantiv zunächst einmal das Sprechenund das Berechnen, weitet sich dann aber hin zum gesamten Bereichdes menschlichen Denkens und Sprechens: Wort, Rede, Erzählung,Rechnung und Rechenschaft; sodann das, was in Rede steht, also dieSache und der Gegenstand der Unterredung; schließlich dasjenige, wasalles Sprechen und Rechnen allererst ermöglicht, nämlich die ratio desMenschen, das Denkvermögen, die Vernunft, der Geist und der Gedan-ke. Das dreiendige Adjektiv êscatoj formuliert einen Superlativ undbedeutet so viel wie ‚äußerster‘ oder ‚letzter‘ – in örtlicher, zeitlicheroder qualitativ-gradueller Hinsicht. Entsprechend ließe sich also Escha-tologie übersetzen als die Rede oder die Lehre vom Letzten, Äußersten,Endgültigen – so wie z. B. Biologie die Rede vom Lebendigen, Anthro-pologie die Rede vom Menschen oder Theologie die Rede von Gottmeint.

Dabei ist aber durchaus offen, wen oder was dieses Letzte, Äußersteund Endgültige denn genau bezeichnet. Insofern bleibt es trotz grund-sätzlich geklärter Begriffsbedeutung dabei, dass der Terminus Eschatolo-gie „vieldeutig“3 und „interpretationsbedürftig“4 ist, ja sogar ein Parade-beispiel „theologischer Sprachverwirrung“5 darstellt. Denn an dieserStelle brechen zwei Übersetzungsvarianten auf, bei denen sich bereitsdie gesamte Bandbreite des Eschatologiebegriffs anzeigt: Zum einenkann man Eschatologie verstehen als die Lehre von den Eschata (t"êscata), das substantivierte Adjektiv also im Neutrum Plural lesen.Dann handelte die Eschatologie in der Tat ganz traditionell von densog. letzten Dingen – ein durchaus missverständlicher Ausdruck für dasVerständnis der Eschatologie als eines regionalen Traktates der Dogma-tik und seiner spezifischen Sachinhalte. Oder aber man interpretiert dieEschatologie als die Lehre von dem Eschatos (êscatoj), liest das fragli-che Nomen also im Maskulinum Singular. Dann wäre Eschatologie nicht

3 E. Jüngel, Paulus und Jesus, 284.4 G. Klein, Art. Eschatologie IV. Neues Testament, 270.5 G. Wanke, „Eschatologie“, 300.

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ein gesonderter dogmatischer Traktat, sondern eine Dimension, die diegesamte Theologie durchzieht und grundiert. Eschatologie wäre nichtFragment, sondern Ferment der Theologie, weil es eine spezifische Formder Gottesrede beinhaltete: die Lehre von dem, der im wahrsten Sinn desWortes der Letzte ist, weil er Anfang und Ende umfasst und gerade so derVollender von allem sein wird.

Für die erste Lesart beruft man sich im Allgemeinen auf Sir 7,36. DerVers beschließt einen Katalog heiliger Pflichten, die der Gottesfürchtigezu erfüllen hat, und lautet in der deutschen Einheitsübersetzung: „Bei al-lem, was Du tust, denk an das Ende, so wirst du niemals sündigen.“ DieVulgata schreibt an dieser Stelle: „In omnibus operibus tuis memorarenovissima tua et in aeternum non peccabis.“ Und in der griechischen Fas-sung steht für das Ende, das in Wahrheit ein Neuanfang ist – novissimatua – und dessen Beachtung zum Zwecke eines gelingenden Lebens ange-mahnt wird, t" êscata.6 So gesehen liegt es nahe, Eschatologie als jenenletzten Teilabschnitt der christlichen Dogmatik zu bestimmen, der vomTod und dem, was danach aus der Perspektive christlicher Hoffnung fürMensch, Welt und Geschichte zu erwarten steht, handelt. Das sind in derklassischen, traditionellen Schultheologie vier zentrale Punkte: Tod, Auf-erstehung, Gericht und die Vollendung aller Dinge (mors, resurrectio, iu-dicium et consummatio), die dann gegebenenfalls weiter entfaltet undausdifferenziert werden, z. B. um den Gedanken des Fegefeuers als Teil-aspekt des Gerichts oder der Parusie Christi als Möglichkeitsbedingungder universalen Vollendung.

Unter Zugrundelegung einer scheinbar chronologischen Reihung er-gibt sich so eine Unterteilung in individuelle und universale Eschatologie.Zur individuellen Eschatologie wird der Tod und das individuelle Gerichtgezählt, auf das dann je nach Ausgang desselben das Sein beim Herrn(Himmel), die reale Möglichkeit des definitiven Scheiterns (Hölle) oderdie Läuterung der abgeschiedenen Seele als Vorbereitung auf die ewigeGottesgemeinschaft (Fegefeuer bzw. Purgatorium) folgt. Die universaleoder allgemeine Eschatologie behandelt sodann die Wiederkunft Christiam Ende der Zeit (Parusie), die allgemeine Totenauferstehung, das uni-versale Weltgericht und die Vollendung aller Dinge in einem neuen Him-mel und einer neuen Erde. Diese oder eine ähnliche Aufteilung findet sichnicht nur in den älteren Schuldogmatiken,7 sondern auch noch in aktuel-

6 C. Schütz, Allgemeine Grundlegung der Eschatologie, 560.7 Vgl. L. Ott, Grundriss der Dogmatik, erstmals erschienen 1952.

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len Lehrbüchern. Anton Ziegenaus8 etwa folgt ihr streng, und auch JosefFinkenzeller9 und Franz-Josef Nocke10 lehnen sich an diese Gliederungan, wobei Nocke – hierbei seinerseits Michael Schmaus11 folgend – dieReihenfolge umkehrt und mit der Hoffnung für die Welt beginnt.

Freilich legt diese Anordnung auch ein ganz zentrales hermeneuti-sches Problem eschatologischer Theoriebildung offen: Eschatologie lie-fert gerade keine Chronologie oder Topographie des Jenseits, sie hatkeine Aussagen zu machen über irgendwelche zeitlich oder räumlich ob-jektivierbare jenseitige Zustände, hat also keinen „Fahrplan der letztenStationen des Weltprozesses“ zu erarbeiten – so die treffende Kritik andiesem Denken durch Friedrich-Wilhelm Marquardt.12 Denn das, wasdie Eschatologie zu bedenken gibt, liegt ja nicht nur jenseits unserer em-pirischen Zugriffsmöglichkeiten, sondern auch noch jenseits dessen, waswir uns in unserem räumlich dreidimensional und zeitlich linear struktu-rierten Denkrahmen überhaupt positiv vorstellen können. Eschatologiehat also damit Ernst zu machen, dass sie zunächst und zuerst nicht voneiner Sach-, sondern von einer Beziehungswahrheit handelt: Gott kommtheilend und rettend, richtend und vollendend auf seine Geschöpfe zu.Entsprechend kann sie auch kein verbürgtes Wissen über ein Jenseits desTodes anbieten, geschweige denn ein Urteil aussprechen über den Aus-gang dieses dramatischen Beziehungsgeschehens, sondern ihre Sprachewird tastend und vorsichtig werden, wird eine Sprache der Hoffnungsein, die die Verheißungen der biblischen Überlieferung in unsere Zeit hi-nein lebendig halten und so Rechenschaft über die Hoffnung, die in unsist, ablegen (vgl. 1 Petr 3,15) will – nicht mehr, aber auch nicht weniger.Dass diese Schwerpunktsetzung in der Vergangenheit (und insbesonderein der Zeit der sog. Neuscholastik) nicht immer gelungen ist, zeigt diekritische Diagnose Yves Congars aus dem Jahre 1949, die Eschatologiesei in eine „Physik der letzten Dinge“13 umgeschlagen. Dass an diesemPunkt aber auch in der Gegenwart noch Diskussionsbedarf besteht,etwa was die sich hieraus ergebenden zeittheoretischen Konsequenzen

8 Vgl. A. Ziegenaus, Die Zukunft der Schöpfung in Gott.9 Vgl. J. Finkenzeller, Eschatologie.10 Vgl. F.-J. Nocke, Eschatologie; sowie ders., Eschatologie, in: Handbuch der Dogma-tik, 377–478.11 Vgl. M. Schmaus, Von den letzten Dingen.12 F.-W. Marquardt, Was dürfen wir hoffen, wenn wir hoffen dürften? I, 21.13 Y. Congar, Bulletin de Théologie dogmatique, 463, zit. nach H. U. v. Balthasar, Um-risse der Eschatologie, 281.

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anbelangt, zeigt die anhaltende Debatte um das Theorem der Auferste-hung im Tod.

Auch die zweite Übersetzungsvariante von Eschatologie als derLehre von dem Eschatos kann sich auf biblische Vorlagen berufen.Mehrmals spricht etwa die Offenbarung des Johannes vom auferstande-nen Christus als dem Ersten und dem Letzten (} êscatoj), dem Anfangund dem Ende, dem schlechthin Lebendigen (vgl. Offb 1,17; 2,8;22,13). In dieser Lesart werden keine wie auch immer beschaffenenletzten Dinge oder Ereignisse thematisiert, sondern Gott selbst ist Ge-genstand des Nachdenkens; Gott selbst, der sich in Jesus Christus zumletzten Ziel des Menschen gemacht hat, um so zu unserem Retter wer-den zu können. Eschatologie ist in dieser Betrachtungsweise nicht dieBezeichnung für den Abschlusstraktat der Schuldogmatik, sondern Got-tesrede in formaler Eigenständigkeit und mit spezifischer Frageabsicht,nämlich die Rede von jenem Gott, der nicht nur der Schöpfer und Er-halter, sondern auch der rettende, heilende und zurechtbringende Voll-ender dieser Zeit und ihrer Geschöpfe ist, Rede also von jenem Gott,der – mit den Worten des Apostels Paulus – „die Toten lebendig machtund das, was nicht ist, ins Dasein ruft“ (Röm 4,17). Sehr nachdrücklichformuliert diese Sichtweise Friedrich-Wilhelm Marquardt: „Eschatolo-gie in diesem Sinne nennen wir also weder Lehre von letzten Dingennoch von letzten Ereignissen, sondern Lehre von dem, was wir Men-schen zuletzt – hoffentlich in Anbetung, Lob und Dank – zu sagen ler-nen und was wirklich auch das Letzte ist, weil es der Letzte ist, derEschatos, also: Lehre von Gott.“14

Eschatologie hat hier die engen Grenzen eines dogmatischen Teil-bereiches verlassen und ist zu einer spezifischen Weise theologischenSprechens insgesamt geworden. Darin liegt gewiss eine große Chance:Eschatologie kann so die Theologie insgesamt befruchten, weil diese ei-gene Weise der Gottesrede mit der ihr zugehörigen Beziehungsdynamik(Gott kommt rettend, richtend und vollendend auf seine Geschöpfe zu)natürlich abstrahlt auf alle Felder der Theologie und dazu nötigt, vonhier ausgehend die theologischen Einzelthemen neu durchzubuchstabie-ren. Noch ganz in der Aufbruchsstimmung der 1960er Jahre bringt Jür-gen Moltmann diesen eschatologischen „Generalimpuls“15 aller Gottes-rede wie folgt auf den Punkt: „Das Eschatologische ist nicht etwas am

14 F.-W. Marquardt, Was dürfen wir hoffen, wenn wir hoffen dürften? I, 29.15 C. Ratschow, Art. Eschatologie VIII. Systematisch-theologisch, 349.

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Christentum, sondern es ist schlechterdings das Medium des christlichenGlaubens, der Ton, auf den in ihm alles gestimmt ist, die Farbe der Mor-genröte eines erwarteten neuen Tages, in die hier alles getaucht ist.“16

Und noch einmal mehr als vier Jahrzehnte zuvor formuliert Karl Barth1922 nicht minder programmatisch in der Zweitauflage seines Römer-brief-Kommentars: „Christentum, das nicht ganz und gar und restlosEschatologie ist, hat mit Christus ganz und gar und restlos nichts zutun.“17 Eschatologie als grundierende Dimension und treibendes Fer-ment aller Gottesrede kann die Theologie davor bewahren, zu erlahmenund entweder zu einem starren System von Regel- und Wesenssätzenoder zu einer Überblicksschau über eine im Prinzip schon zu Ende ge-kommene Weltgeschichte zu verflachen, eben weil sie das noch unerle-digte, offene und dramatische in der Gott-Welt-Beziehung zur Sprachebringt und so die Hoffnung auf den Advent Gottes wach hält, der alleindes Menschen Zukunft sein kann. Eschatologie kann so helfen, jeneSehnsucht in die theologische Reflexion einzutragen, die der Lebensnervallen Theologisierens ist und die sich in dem urchristlichen GebetsrufBahn bricht: Maranatha – Du unser Gott, komm!

Doch nachdenklich stimmen sollte schon, dass aus dieser Eschatolo-gisierung der Theologie insgesamt zwei solch gegensätzliche Entwürfewie die Moltmanns und Barths erwachsen können: Da ist einerseits derEntwurf des jungen Karl Barth, der aus der Krisenerfahrung des ErstenWeltkriegs heraus Eschatologie in strenger Zeit-Ewigkeits-Dialektik kon-zipiert und Gott als den ganz, weil transzendental Anderen zur Sprachebringt, dessen ewiges Wort gleichsam von oben und quer zu allen ge-schichtlichen Zeiten den Menschen in seiner jeweiligen Gegenwart trifft.Ganz anders dagegen die Eschatologie Jürgen Moltmanns: Sie beziehtihre Kraft aus einer Zukunft-Gegenwarts-Dynamik heraus und denktGott als den ganz, weil weltgeschichtlich Ändernden,18 der aus derMacht seiner Zukunft heraus – gleichsam von vorne – und in der Kraftder Auferstehung Christi durch die Verheißung seines eschatologischenKommens wirkliche Geschichte allererst in Gang setzt. Der Grund fürdiesen erstaunlichen Befund ist einfach: Wenn Eschatologie zur transzen-dentalen Bestimmung der Theologie insgesamt wird, wenn aus dem Fi-nale der Dogmatik eine formale Maßgabe des Theologisierens wird,

16 J. Moltmann, Theologie der Hoffnung, 12.17 K. Barth, Der Römerbrief, 298.18 Vgl. J. Moltmann, Perspektiven der Theologie, 41: „Gott der ,Ganz-Ändernde‘“.

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dann ist diese eben für verschiedenste inhaltliche Ausprägungen offen.Die Kehrseite einer Eschatologisierung der Theologie liegt in der Schwie-rigkeit, dann noch präzise den Gegenstand eschatologischer Sachfragenangeben zu können.

Deshalb liegt es nahe, im Folgenden beides zu verbinden; Eschatolo-gie also zu betreiben als die Reflexion auf einen inhaltlich umgrenztenBereich der systematischen Theologie, der den Tod und die Hoffnungauf ein Sein des Menschen, seiner Geschichte und des ganzen Kosmosim und nach dem Tod bei Gott zum Gegenstand hat, dies aber zu tununter der formalen Leitvorgabe, dass solches Nachdenken zuerst und zu-letzt immer ein Nachdenken dessen ist, der sich in Christi Tod und Auf-erstehung als der Eschatos für uns geoffenbart hat. Exemplarisch durch-exerziert hat das im Jahre 1957 Hans Urs von Balthasar – wobei diezwangsläufig damit verbundene Personalisierung der material-eschatolo-gischen Einzelinhalte durchaus als Gewinn anzusehen ist: „Gott ist das‚Letzte Ding‘ des Geschöpfs. Er ist als Gewonnener Himmel, als Verlore-ner Hölle, als Prüfender Gericht, als Reinigender Fegefeuer. […] Er ist esaber so, wie er der Welt zugewendet ist, nämlich in seinem Sohn JesusChristus, der die Offenbarkeit Gottes und damit der Inbegriff der ‚Letz-ten Dinge‘ ist. Eschatologie ist darin […] im ganzen Lehre von der Heils-wahrheit.“19 Eschatologie als Lehre von dem Eschatos fungiert als for-male Maßgabe (das Formalobjekt), unter der eine Eschatologie alsLehre von den Eschata (das Materialobjekt) zu entfalten ist. Beides istunaufgebbar, denn beides tariert sich wechselseitig aus: Ohne die formaleAusrichtung auf den, der sich in Christus zum Eschatos der Welt gemachthat, liefe Eschatologie Gefahr, zentraler hermeneutischer Grunddatenverlustig zu gehen und wieder in die überkommene Physik der letztenDinge zu überborden. Und das bleibende Recht material-eschatologi-scher Einzelinhalte – d. h. die sachliche Orientierung am überkommenendogmatischen Kanon – bewahrt die Eschatologie insgesamt davor, in eineinhaltsleere Beliebigkeit abzudriften.

Wichtigste Konsequenz dieser Verbindung ist, dass Eschatologie dannin der Tat zu einer Lehre De novissimis wird, einer Lehre also von demradikal (bis an die Wurzel reichenden) und revolutionär (ganz und garumwälzend) Neuen, das uns und unsere Welt erwartet. Denn auf dieseWeise wird die Christologie zum Konzentrationsprinzip aller Eschatolo-gie. In Christi Tod und Auferstehung hat sich Gott wirklich als der

19 H. U. v. Balthasar, Umrisse der Eschatologie, 282.

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Eschatos erwiesen, indem er einen neuen Anfang gesetzt hat, der allesEnden und Sterben aufzuheben – zu beenden, zu unterfassen und zuverwandeln – vermag. Ja, genauer noch: Mit seiner Auferweckung hatGott den gekreuzigten Christus als den Eschatos für uns und alle Welteingesetzt, dessen Kommen in Herrlichkeit die Gemeinde erwartet, damitdieser ein für allemal den Tod vernichte und alles dem Vater unterordne,auf dass Gott endlich alles in allem sei (vgl. 1 Kor 15,28). „ChristlicheEschatologie ist die erinnerte Hoffnung der Auferweckung des gekreuzig-ten Christus und spricht darum von neuem Anfang in tödlichem Ende.[…] Christliche Eschatologie folgt in allen persönlichen, geschichtlichenund kosmischen Dimensionen diesem christologischen Muster: im Ende –der Anfang.“20 Im Geschehen von Tod und Auferstehung Jesu Christi hatdie christliche Hoffnung nicht nur ihren eigentlichen Grund und Anhaltgefunden, der sie von haltloser Phantasterei unterscheidet, sondern auchihre inhaltliche Ausrichtung, an der sich all die unterschiedlichen escha-tologischen Einzelentwürfe messen lassen müssen. In der klassischenSchulformulierung: Die Auferstehung Jesu Christi ist zugleich Wirk-und Exemplarursache unserer Hoffnung auf eine eschatologische Gebor-genheit allen Seins im und nach dem Tod bei Gott. Wenn aber Gott sichin Jesus Christus zum Eschatos gemacht hat, wenn also Jesus Christus,der Gekreuzigte und Auferstandene, Gottes zugleich ewiges und in derZeit Mensch gewordenes Wort, unser wahrer Eschatos ist, dann hoffenwir, wenn wir sein Kommen erhoffen, nicht auf etwas gänzlich noch Aus-stehendes, das jetzt noch nicht da wäre, sondern dann erhoffen wir die„Zukunft des Gekommenen“.21

2. Schon und Noch-nicht: präsentische und futurische Eschatologie

Das impliziert eine charakteristische Zeitstruktur eschatologischen Spre-chens, eine Spannung im Zeitbegriff, die sich in einem eigentümlichenZugleich von Schon und Noch-nicht niederschlägt: In Jesu Leben, in sei-nem Tun und Sprechen, in seinen Wundern und Zeichenhandlungen,aber auch in seinem Leiden und Sterben ist das Reich Gottes, das er ver-kündet hat und das er in Person selber ist, schon „nahe gekommen“ (Mk1,15), schon „zu euch gekommen“ (Lk 11,20) und bereits „mitten unter

20 J. Moltmann, Das Kommen Gottes, 12.21 Vgl. W. Kreck, Die Zukunft des Gekommenen.

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euch“ (Lk 17,21). Der christliche Glaube trägt konstitutiv einen perfek-tischen Zug in sich. Das ist der Grund, weshalb allabendlich unzähligeChristen auf der ganzen Welt beim Beten der Komplet in das Zeugnisdes greisen Simeon mit einstimmen, der angesichts des Kindes im Tem-pel, in dem er den zur Welt gekommenen Messias erkennt, in lauten Jubelausbricht: „Meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völ-kern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet und Herrlichkeitfür dein Volk Israel“ (Lk 2,30f). Andererseits jedoch lässt Lukas – offen-sichtlich aller präsentischen Heilserfahrung zum Trotz – denselben Si-meon im unmittelbaren Anschluss daran ankündigen, dass diesem Jesuswidersprochen werden und Maria ein Schwert durch die Seele fahrenwird. Er balanciert also die Heilsverkündigung sofort durch einen Ver-weis auf das Kreuz aus. Auch Jesus selbst lehrt seine Jünger im Gebetdes Herrn, den Vater um das Kommen seines Reiches allererst zu bitten(vgl. Mt 6,2; Lk 11,2), preist in den Seligpreisungen jene selig, die heuteum seinetwillen arm, hungrig, traurig, angefochten und verfolgt sind,weil sie dereinst im Reich Gottes ihren Lohn erhalten werden (vgl. Lk6,20–23; Mt 5,3–12) und spricht im eschatologischen Ausblick (vgl.Mk 14,25) ebenfalls vom Reich Gottes als einer noch zukünftigen Größe.Und auch wir Christen erfahren alltäglich im zwischenmenschlich Klei-nen wie im weltpolitisch Großen, dass ganz augenscheinlich zwar allerleiMächte und Gewalten, aber noch nicht das Reich Gottes in unserer Weltzum Durchbruch kommen.

Das Reich Gottes: Schon angebrochen, aber noch nicht ganz da?Christliches Zeitbewusstsein: Das Heil schon erfahren haben, aber nochnicht ganz darin geborgen sein? In der eschatologischen Theoriebildunghat sich für diese eigentümliche Differenzstruktur der Begriff des escha-tologischen Vorbehaltes eingebürgert. Vor einem gravierenden Missver-ständnis sollte man sich beim Übertrag der Spannung von Schon undNoch-nicht auf die Reich-Gottes-Botschaft jedoch hüten: Es handeltsich nicht um eine quantitative Differenz, die sich etwa in Prozentpunk-ten ausdrücken oder in Anteilen der Gottesherrschaft an der Gesamt-wirklichkeit messen ließe, sondern es sind zwei unterschiedliche Total-aussagen über die eine und selbe Wirklichkeit. Es geht also weniger umeine geschichtsphilosophische These, die einen sich zeitlich nach vornehin optimierenden Geschichtsprozess beschreibt, sondern es geht um diegegenwärtige Wahrnehmung einer paradox scheinenden, weil doppeltenWirklichkeitsansage: Dieser Jesus – so verkünden es die Zeuginnen undZeugen – ist wirklich auferstanden, er lebt. Und das bedeutet, die Macht

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des Todes ist wirklich und definitiv gebrochen. Trotzdem erfahren wirTag für Tag, dass weiterhin gelitten und gestorben wird. Und das bedeu-tet, dass das Offenbarwerden dieses Sieges über den Tod noch aussteht.Beides gilt hier und heute, und beides bezieht sich auf unsere ganze Wirk-lichkeit. Thomas Pröpper beschreibt die Differenz von Schon und Noch-nicht deshalb treffend als die Spannung zwischen der Endgültigkeit undder Vollendung der Erlösung.22 Oder wieder in der klassischen Schulfor-mulierung: Totus, sed non totaliter. Mit Jesus Christus ist das Reich Got-tes ganz, d. h. ein für allemal und endgültig in unsere Welt getreten (to-tus), doch seine Vollendung im Eschaton steht noch aus (non totaliter).Der theologischen Spannung zwischen dem Schon der Endgültigkeitund dem Noch-nicht der Vollendung des Reiches Gottes korrespondiertauf der Erfahrungsebene der Christen ein existentielles „jetzt“ und „auchjetzt“.23 ‚Jetzt‘ nämlich ist die Zeit des Heils und der Gegenwart Gottes,präsent in Taufe und Geisterfahrung, aber auch in jedem Augenblick glü-ckenden und sinnerfüllten Lebens, und ‚jetzt‘ ist zugleich die Zeit desScheiterns, Leidens und Sterbens, präsent in all den unterschiedlichstenTodeserfahrungen und den vielfältigen Abbrüchen unseres Lebens.Hierin liegt jenseits aller Problematik im Einzelnen das bleibende Rechtapokalyptischer Wirklichkeitswahrnehmung, wie nochmals GerhardMartin Marcel verdeutlicht: „Der Kampf zwischen alter und neuer Weltist tatsächlich entschieden, und der Kampf geht unausweichlich weiter,und wir sind in ihn verwickelt.“24

Niemand vermag diese Dialektik besser auf den Punkt zu bringen alsder Apokalyptiker Paulus, der das ihm vorgegebene apokalyptische Welt-bild nutzt, um das Neue des Christusereignisses auszusagen und der sodas apokalyptische Denken ganz entscheidend christologisch transfor-miert: „Denn wir sind gerettet, doch in der Hoffnung. Hoffnung aber,die man schon erfüllt sieht, ist keine Hoffnung“ (Röm 8,24). In JesusChristus hat sich das Reich Gottes, hat sich Gottes Heil für uns und fürdie ganze Schöpfung ereignet, so dass Paulus auch mit Blick auf unsereRettung die perfektische Formulierung wählen kann, um die Faktizitätder universalen Heilsbedeutsamkeit des Christusereignisses zu betonen.In Christi Sterben für uns ist unsere Rechtfertigung geschehen, ist Ver-söhnung mit Gott Wirklichkeit geworden (vgl. Röm 5,1–11). Aber zu ei-

22 Vgl. T. Pröpper, Freiheit als philosophisches Prinzip theologischer Hermeneutik, 21.23 G. M. Marcel, Weltuntergang, 139.24 Ebd.

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nem überspannten Gegenwartsenthusiasmus besteht dennoch gar keinAnlass, denn diese Rettung ist uns nicht als ein gegenwärtiger Besitz ge-schenkt, über den wir verfügen könnten, sondern – wie es wörtlich zuübersetzen ist – „auf Hoffnung hin“; und das heißt: nicht in unverhüllterKlarheit, sondern in Verborgenheit, in Anfechtung und Kreuz und in So-lidarität mit den Leiden unserer Mitmenschen und Mitgeschöpfe. Es istgewiss kein Zufall, dass dieser Vers den Abschluss jener bewegenden Pas-sage in Röm 8,18ff bildet, in der Paulus vom Seufzen der ganzen Schöp-fung spricht, die in Geburtswehen liegt und die Erlösung und das Offen-barwerden der Kinder Gottes sehnend erwartet.

Für die eschatologische Theoriebildung folgen daraus zwei Optionen,die sich bereits in den neutestamentlichen Schriften nachweisen lassenund die seither die gesamte Kirchengeschichte durchziehen. Sie klangengerade schon in den beiden unterschiedlichen eschatologischen Konzep-ten des jungen Karl Barth und Jürgen Moltmanns an: Die Rede ist vonder Wahl zwischen einer stärker präsentisch oder alternativ futurischausgerichteten Eschatologie. Dabei ist bereits das Adjektiv futurisch ei-gentlich irreführend, geht es doch nicht so sehr um ein noch ausstehendesFutur unserer Geschichte, sondern vielmehr um die uns bevorstehende,alles vollendende, unverborgene und unverhüllte Ankunft – adventus,parousËa – der heilenden und zurechtbringenden Liebe Gottes in JesusChristus. Vielleicht sagte man also statt futurische besser adventlicheEschatologie, wenn man auf das Moment des noch Ausstehenden undErsehnten im Eschatologiebegriff hinweisen möchte. Vertreter der prä-sentischen Eschatologie berufen sich dabei gerne auf Schriftbelege wieJoh 3,36 oder Joh 5,24 und betonen entsprechend, im Christusereignissei eigentlich alles schon geschehen, die Zukunft brächte nichts essentiellNeues mehr, sondern nur das Aufsprengen und Offenbarwerden des jetztnoch Verhüllten: „Es geht […] um den Gegensatz zwischen dem Heil inseiner Verborgenheit und demselben Heil in unvermittelter und unver-hüllter Klarheit.“25 Sie müssen sich allerdings von Verfechtern einer ad-ventlich-futurischen Eschatologie nicht selten vorwerfen lassen, hierwerde das dynamisch-zukunftsträchtige Moment der biblischen Hoff-nung in ein starres Zeit-Ewigkeits-Schema gepresst, das die Eschatologieauf Ethik und urchristliche Naherwartung auf eine blasse Stetserwartungbzw. Stets-Bereitschaft reduziere. Umgekehrt laufen stärker adventlichbzw. futurisch ausgerichtete Konzepte – die ja an biblischen Belegstellen

25 C. Ratschow, Art. Eschatologie VIII. Systematisch-theologisch, 351.

Schon und Noch-nicht: präsentische und futurische Eschatologie 27

nicht nur die Offenbarung des Johannes sowie die apokalyptisch grun-dierten Endzeitaussagen der synoptischen Evangelien und der paulini-schen Briefe, sondern auch die jesuanischen Gleichnisse etwa vom Wach-sen der Saat (vgl. Mk 4,26–29) oder vom Senfkorn (vgl. Mk 4,30–32)für sich ins Felde führen können – Gefahr, die heilsgeschichtliche Endgül-tigkeit und Faktizität des Christusereignisses unterzubelichten und einapokalyptisch-lineares Zeitkonzept unkritisch in die eschatologischeTheoriebildung zu implementieren. Analog zur Unterscheidung „präsen-tisch – futurisch“ sind in der Literatur auch die Kategorien „axiologisch –teleologisch“,26 „vertikal – horizontal“27 oder auch „existential – kos-mologisch“ bzw. „transzendental – geschichtlich/heilsgeschichtlich“28

zu finden.29

Dass es bei diesen Alternativen nicht um ein striktes Entweder-oder,sondern nur um unterschiedliche Schwerpunktsetzungen gehen kann,zeigen bereits die genannten biblischen Referenzstellen: So finden sichetwa auch im johanneischen Textkorpus futurisch ausgerichtete Passa-gen, und auf der anderen Seite hat für den Verfasser der Johannes-offenbarung Christus selbstverständlich die Weltherrschaft bereits gegen-wärtig angetreten. Trotz differierender Ausrichtung gilt folglich:„Bestimmend für alle ntl. Entwürfe von Eschatologie ist das Ineinandervon bereits erfüllter eschatologischer Hoffnung und noch ausstehender,Heil oder Gericht bringender Zukunft.“30 Dass statt exklusiver Aus-schließlichkeit von Zukunftshoffnung und gegenwärtiger Heilsgewissheitvielmehr ein wechselseitiges Austarieren angezeigt ist, dürfte aber auchmit dem Verweis auf die christologischen Grundlagen eschatologischerTheoriebildung bereits klar geworden sein: Gewiss ist das Christusereig-nis ein „Zeit und Geschichte qualifizierendes Finalgeschehen“,31 aber esist doch wohl auch christologisch nicht so, dass die „Zukunft […] nurnoch enthüllen [kann], was Gott schon getan hat und was er schon stän-dig tut“,32 eben weil auch der auferstandene Christus noch nicht ‚fertig‘ist, sondern in Solidarität mit den Seinen unterwegs hin zur Überwin-

26 So die ersten drei Auflagen von P. Althaus, Die letzten Dinge, 16ff, ab der viertenAuflage geändert in „Sätze des Bleibens – Sätze des Kommens“.27 G. Sauter, Zukunft und Verheißung, 97.28 J. Moltmann, Theologie der Hoffnung, 33f.38f.41.43.60 u. ö.29 Vgl. H. Geißer, Grundtendenzen der Eschatologie im 20. Jahrhundert, 21–23.30 A. Lindemann, Art. Eschatologie III. Neues Testament, 1560.31 G. Klein, Art. Eschatologie IV. Neues Testament, 270.32 N. Lohfink, Zur Möglichkeit christlicher Naherwartung, 80.

Begriff, Gegenstand und Aufgabe der Eschatologie28

dung aller gottfeindlichen Mächte und der endlichen Vernichtung des To-des, auf dass Gott alles in allem sei (vgl. 1 Kor 15,28).

Sprechendes Zeichen dieses unauflösbaren Ineinanders von präsenti-schen und futurisch-adventlichen Anteilen christlicher Hoffnung sind dieSakramente: Als performative Sprechakte und Zeichenhandlungen reali-sieren sie nicht nur erinnernd und vergegenwärtigend Christi Heils-handeln an uns (signa rememorativa et demonstrativa), sondern weisenzugleich voraus auf die erwartete und erhoffte Vollendung (signa prog-nostica). Das eschatologische Sakrament schlechthin ist dabei nichtetwa die Krankensalbung, sondern die Taufe: Auf Christi Tod sind wirgetauft, und in der Taufe erhalten wir Anteil an seiner Auferstehung.

An dieser Stelle sei eine kleine Nebenbemerkung gestattet. An einerKontroverse zwischen den Philosophen Dieter Henrich und MichaelTheunissen lässt sich sehr schön ablesen, wie diese Alternative einer stär-ker präsentisch und einer eher futurisch ausgerichteten Erwartung auchin (religions-)philosophische Konzepte hinein abstrahlt. Henrich nämlichfavorisiert einen Begriff des Absoluten, der stark vom Gedanken der All-einheit geprägt ist. Das Absolute ist kein personaler Gegenüberstand,sondern der all-eine und alles durchdringende Grund alles Seienden, dasschlechthinnige Ganze, das auch unser endliches Bewusstsein konstitu-iert und trägt. Weil aber Alleinheit unter zeitlicher Perspektive für Hen-rich in eins zu setzen ist mit Allpräsenz, d. h. mit der Idee einer erfülltenGegenwart, droht entsprechend eine Unterbelichtung des noch Aus-stehenden, Unabgegoltenen, Futurischen des Eschatons. Das diesem prä-sentischen Begriff des Absoluten korrespondierende Verhalten manifes-tiert sich in der Dankbarkeit und der bejahenden Einstimmung desendlichen Subjektes in seine Existenz.33 Aus diesen Prämissen folgt fürHenrich nicht nur negativ die Absage an das, was er als „Chronotheolo-gie“34 bezeichnet, also an die Anbindung des Vollendungsgedankens anein futurisch noch ausstehendes Eschaton jenseits der Todesgrenze. Son-dern positiv resultiert daraus auch der Gedanke einer möglichen präsen-tischen Vollendbarkeit menschlicher Existenz, der die „Erfahrung wirk-licher Erfüllung“ bereits in der „Gegenwart des Lebens“35 aufzugreifenvermag, wie kontingent dies im Einzelnen dann auch immer bleiben mag.

33 Vgl. die kritische Würdigung Henrichs durch M. Theunissen, Der Gang des Lebensund das Absolute, 343–362.34 D. Henrich, Zeit und Gott, 23ff.35 Ebd., 39.

Schon und Noch-nicht: präsentische und futurische Eschatologie 29