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medico-Rundschreiben 01/2013 - You are the refugees of Europe

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Griechenland / Syrien /Israel - Palästina / Projekte – Projektionen / Pakistan / Guatemala / Interview mit Jean Ziegler / Migration / medico aktiv

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rundschreiben 01|13

ISSN 0949-0876

Titelseite: „You are the refugees of Europe“– Graffiti am griechischen Parlamentsplatz.2012 sind in Griechenland pro Tag mehr als1.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. DieVerschuldung raubt den Menschen ihre Krea-tivität, sie werden erniedrigt und isoliert inSchuld und Elend. Foto: medico

editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Jean Ziegler, der Schweizer Soziologeund langjähriger Sonderberichterstatterder UNO für das Recht auf Nahrung, istnicht nur eine lebende Enzyklopädie desWiderstands gegen weltweite Ungerech-tigkeit, er ist auch ein Anhänger der deut-schen Demokratie. Als ich ihn 2010 zumersten Mal für das Rundschreiben inter-viewte, sagte er: Deutschland sei die le-bendigste Demokratie Europas. Ich hieltes für eine freundliche Geste. Im Inter-view dieses Rundschreibens wiederholter den Satz. Dieses Mal schien es mirnicht nur eine freundliche Geste, sondernauch ein freundlich versteckter Appell anunser Verantwortungsgefühl mit der un-ausgesprochenen Botschaft: Nutzt dieChance, Politik zu beeinflussen und deut-sche Politiker zu einer anderen Politik zuzwingen.

Liest man den Bericht unserer Gesund-heitsreferentin Kirsten Schubert aus Grie-chenland, dann kann man sich dieseAufforderung nur zu Herzen nehmen.Mich beschäftigte beim Lesen ihres Rei-seberichtes die Frage, warum man vonGriechenland niedrigere öffentliche Ge-sundheitsausgaben verlangen kann alsvon Deutschland? Ist die Gesundheit derGriechen weniger wert als die der Deut-schen? Denn die Sparauflagen, die be-kanntlich von Deutschland rigide einge-fordert werden, verlangen von Griechen-land die öffentlichen Gesundheitsausga-ben bei 6 Prozent des Bruttoinlands-produkts zu halten oder gar noch darun-ter zu senken. In Deutschland beträgt derAnteil hingegen 9 Prozent. Das Maß für

Inhalt

Editorial.............................................2

Kommentar.......................................4

Griechenland.....................................7

Syrien..............................................10

Israel / Palästina .............................16

Projekte – Projektionen...................20

Pakistan..........................................22

Guatemala ......................................26

Interview mit Jean Ziegler...............28

Migration.........................................34

medico aktiv....................................38

medico Materialliste........................40

Service/Impressum.........................42

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Menschenwürde muss doch überallgleich sein. Erst Recht in einem gemein-samen Raum wie der EuropäischenUnion. Dass das von Deutschland domi-nierte Europa systematisch und zielge-richtet eine solche Ungleichheit zulässt,ist empörend. Und könnte Auswirkungenauf Deutschland haben. Denn schon drohen Rating-Agenturen, dass man diegute Bewertung Deutschlands senkenwerde, wenn nicht die öffentlichen Ge-sundheitsausgaben gekürzt würden. Wirwerden deshalb mit anderen Gesund-heitsaktivisten in Kürze Aktionsvorschlä-ge entwickeln und öffentlich machen. AufIhre Beteiligung setzen wir dabei.

Welches politische Denken für gerechteGesundheit notwendig wäre, entwickeltThomas Gebauer in seinem Kommentarzum Thema Umverteilen. Er ist eineGrundlage für die medico-Beteiligung ander Kampagne Umfairteilen, die im Som-mer einen großen Kongress in Berlinveranstaltet, um Einfluss auf den Wahl-kampf zu nehmen. Nicht zuletzt mit Blickauf die Auseinandersetzungen rund umden Armuts- und Reichtumsbericht derBundesregierung ist das dringend nötig.Der wurde solange umgeschrieben, bisaus der Aufforderung zur „Prüfung weite-

rer Maßnahmen zur Besteuerung“ derReichen ein zahmes „Werben für ein freiwilliges Engagement Vermögender“wurde.

Sie werden viele Berichte in diesem Heftfinden, die sich ganz nah an der Wirklich-keit unserer Partnerinnen und Partnerbewegen. Die Texte über Syrien, Pakis-tan, Guatemala belegen, wie nah sichunsere Kollegen an den zentralen Kon-flikten und Überlebensfragen bewegen.

Zu Recht vermissen Sie einen Artikelüber Mali und die Debatte um die Inter-vention Frankreichs. Ich nutze diese the-matische Auslassung, um Sie auf unsereWebseite zu verweisen. Dort haben wirein ganzes Mali-Hintergrunddossier an-gelegt. Außerdem veröffentlichen wir re-gelmäßig die Sichtweise unseres mali-schen Kollegen Alessane Dicko, der immedico-Blog die aktuellen Entwicklungenin seinem Land unter die Lupe nimmt.

Mit freundlichen Grüßen

www.medico.de/hoerenX

Die malische Krise trifft auch die subsaharischen Migranten, die Mali als Transitland in den Norden nutzten. Nigerianischer Tagelöhner in Bamako.

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esundheit für alle: das engagierte Ziel von Gesundheitsaktivisten in allerWelt könnte längst verwirklicht sein, denn, und das ist die gute Nachricht:Es mangelt nicht an den Mitteln, die notwendig sind, um allen Menschen

ein Höchstmaß an Gesundheit zu ermöglichen. Die Welt schwimmt im Geld, unddas spiegelt sich auch in den weltweiten Ausgaben für die Gesundheitsversor-gung. 6.500.000.000.000 US-Dollar waren es 2010, so die WHO, 6,5 Billionen.Verteilt auf alle Bewohnerinnen und Bewohner der Erde wären das immerhinknapp 1.000 Dollar pro Kopf und Jahr. Die schlechte Nachricht: in Eritrea stehen denMenschen durchschnittlich nur 12 Dollar zur Verfügung. In Glasgow haben Kinder ausärmeren Siedlungen eine um 27 Jahre geringere Lebenserwartung als Kinder aus wohl-habenden Wohngegenden. In Griechenland müssen heute Krankenhäuser aus Geld-mangel selbst lebensnotwendige Operationen absagen und ein ganzes Gesundheits-system droht zu kollabieren. Und auch in Deutschland stehen Krankenhäuser aus finan-ziellen Gründen vor dem Aus.

Ethische Dimension: Solche Zustände sind unerträglich. Wer sich in all der Krisendy-namik die Fähigkeit bewahrt hat, menschlich zu empfinden, wer nicht dulden will, dassjemand so viele Jahre früher stirbt, nur weil er oder sie das Pech hatte, an einem wenigergünstigen Ort zur Welt gekommen zu sein, wer in solchen Ungleichheiten schreiendesUnrecht sieht, kann gar nicht anders, als sich über Ausgleich Gedanken zu machen. Esist der Respekt vor der Würde der Anderen, aus dem der Impuls erwächst, füreinandersolidarisch einzustehen. Darin liegt die ethische Dimension eines Handelns, das auf Um-verteilen drängt – und das sogleich auf die gesellschaftliche Dimension des Umverteilensverweist.

Gesellschaftliche Dimension: Bekanntlich haben ärmere Menschen häufiger mit ge-sundheitlichen Problemen zu kämpfen als reichere. Dass sie ein dreimal höheres Risikoauch für Herzinfarkte und Bluthochdruck haben, belegt, dass selbst noch der Stress,der oft als Problem der sogenannten Leistungsträger betrachtet wird, in viel höheremMaße mit Armut korreliert. Das Paradox ist hinreichend bekannt: ausgerechnet diejeni-gen, die aufgrund ihrer sozialen Lage den größten Bedarf an gesundheitlicher Versor-gung haben, können sich diese am wenigsten leisten, zumindest nicht aus eigenerTasche. Solange es das Armutsgefälle gibt, ist Gesundheit nur dann für alle zu erreichen,wenn diejenigen, die mehr haben, auch für die Gesundheitsbedürfnisse derjenigen ein-

kommentar

Mehr soziales EigentumWer heute solidarisches Umverteilen fordert, stellt

die Frage nach alternativen Eigentumsmodellen/ Eine

Begründung von Thomas Gebauer

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stehen, die weniger haben. Wenn ungleich verteilte Ressourcen so umverteilt werden,dass alle davon etwas haben. Dieses Prinzip solidarischer Umverteilung gehört zu dengroßen Errungenschaften der Menschheitsgeschichte. Es trägt indigene Gesellschaften,es gehört zum Kern der katholischen Soziallehre, es ist Grundlage der aufgeklärten Ideedes Gesellschaftsvertrages. Es kommt in genossenschaftlich betriebenen Dorfapothekenebenso zum Ausdruck wie in steuerfinanzierten kommunalen Wasserwerken und ge-setzlich geregelten Krankenversicherungen, die von progressiv gestaffelten Beitrags-zahlungen getragen werden. Umverteilen sorgt für soziale Kohäsion, ohne die wederGesellschaftlichkeit noch auf Dauer menschliche Existenz denkbar sind.

Rechtliche Dimension: Und so nimmt es nicht wunder, dass die Notwendigkeit einesAusgleiches von den wenigsten bestritten wird. Selbst hartgesottene Liberale plädierenfür eine Art Umverteilen, wenn sie sich, wie beispielsweise Bill Gates, in philanthropi-schen Stiftungen engagieren. Sie sehen darin aber einen freiwilligen Akt, für den eskeine Verpflichtung geben darf. Das bestehende Steuersystem, so setzt Sloterdijk nocheins drauf, sei von einem bürokratisierten Ritual der Zwangsabgaben in eine Praxis frei-williger Bürgerbeiträge umzuwandeln. In der Idee der Menschenrechte aber steckt mehrals nur die programmatische Vorstellung eines guten Lebens für alle. Sie umfasst auchdie Idee gesellschaftlicher Verpflichtungen. Rechte begründen Rechtsansprüche, dienichts wert wären, wenn sie nicht mit entsprechenden Garantien der Gemeinwesen ein-hergingen. Nur als Mitglieder einer rechtlich verfassten Gemeinschaft sichern sich dieMenschen ihre Rechte. Nur dort, wo ein öffentlich getragenes Gesundheitssystem exis-tiert, kann das Recht auf Gesundheit auch geltend gemacht werden. Bei einem privatenKrankenhausträger, bei philanthropischen Vereinen können Hilfsbedürftige hingegenUnterstützung bestenfalls noch beantragen, nicht aber mehr einklagen. Wer verpflich-tende Umverteilungsmechanismen ablehnt oder abschaffen will, plädiert für eine rück-wärtsgewandte Re-Feudalisierung der Verhältnisse, die Rückkehr in den Naturzustand.

Im darwinistischen Kapitalismus ist das Geld der wahre Geist aller Dinge. Protest von Occupy Wallstreet als „Corporate Zombies”gegen eine Welt, die von allen guten Göttern verlassen ist.

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Politische Dimension: Die Verwirklichung und der Schutz des Rechts auf Gesundheitverlangen eine gesellschaftliche Sphäre, in der privatwirtschaftliche Interessen am bes-ten gar nicht oder nur sehr stark reguliert zum Tragen kommen. Gesundheitsversorgungist ein Gemeingut, dessen Auslieferung an den Markt vielleicht die Rendite von Kapital-anlegern steigern kann, nicht aber die Qualität der Versorgung. Keine Frage: gute Ver-sorgung erfordert ausreichende Budgets. Budgets, die auf der Grundlage bestehenderGesundheitsbedürfnisse öffentlich bereitgestellt und nicht erst durch unsinnige Opera-tionen erwirtschaftet werden müssen, wie das heute leider immer mehr der Fall ist. Mitder Ausrichtung von Gesundheitseinrichtungen an betriebswirtschaftlichen Vorgabenverkümmert Gesundheit zum Business und wird ärztliches Handeln zum Geschäftsmo-dell. Adäquate Gesundheitsversorgung erfordert die Schaffung eines „sozialen Eigen-tums“, auf das im Bedarfsfalle auch diejenigen zurückgreifen können, die über keinprivates Eigentum verfügen. „Soziales Eigentum“ entsteht durch Umverteilen; es erfor-dert keine komplizierten auf Rendite zielenden Anlagefonds, die lediglich erwirtschafteteGewinne ausschütten, sondern Finanzierungsmechanismen, die was sie einnehmen,unmittelbar zur Befriedigung konkreter Bedürfnisse einsetzen. Dabei ist es nicht eigent-lich von Bedeutung, ob Gesundheitseinrichtungen steuerfinanziert sind oder über Pflicht-beiträge seiner Mitglieder getragen werden. Wichtig ist, dass sich alle an der Finan-zierung beteiligen und wirtschaftlich Bessergestellte höhere Beiträge leisten, eben Um-verteilung stattfindet.

Transformierende Dimension: War Umverteilung zu Zeiten eines unbegrenzt schei-nenden Wirtschaftswachstums und hoher Steueraufkommen noch möglich, ohne dieprivaten Gewinne und Vermögen zu schmälern, stellt Umverteilung heute unmittelbarauch die Systemfrage. Die gegenwärtige Krise des Kapitalismus ist keine der üblichenzyklischen Krisen mehr, die das Marktgeschehen schon immer begleitet haben, sonderneine, in der die Grenzen des Wachstums auf doppelte Weise sichtbar werden. Die Öko-nomisierung von Mensch und Gesellschaft ist nahezu abgeschlossen, die ökologischenGrenzen erreicht. Allein der Raubbau an den natürlichen Ressourcen sowie die kulturelleErosion versprechen noch Rendite. Zu letztem zählten die Kapitalisierung von Gesund-heitseinrichtungen, der häuslichen Pflege, genossenschaftlicher Wohnformen, der Was-serversorgung, mithin die Enteignung des durch Umverteilung gebildeten „sozialenEigentums“. Wer heute Umverteilen fordert, verlangt mehr als Fairness. Er fordert zu-gleich ein Eigentumsmodell jenseits von Privateigentum als institutionelle Grundlagedafür, dass Menschen nicht in Armut und Krankheit verrecken müssen.

Universelle Dimension: Umverteilung wird nur dann ihrer ethischen Dimension gerecht,wenn sie mit dem Verbot jeglicher Diskriminierung einhergeht. Öffentlich finanzierte Ge-sundheitswesen werden zur Farce, wenn ihre Leistungen Rentnern, Arbeitslosen oderMigranten nur reduziert oder gar nicht zugute kommen. Letztlich erfordert Umverteilenein universelles Handeln, was mit Blick auf die globalisierten Verhältnisse heute nur nochim internationalen Rahmen und durch Schaffung neuer globaler Institutionen gelingt, dieschließlich auch zwischen den Ländern für einen Ausgleich sorgen.

All das ist aufgerufen, wenn es um Umverteilen geht. Das Projekt einer anderen Weltscheint auf, und die ist bekanntlich möglich.

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m größten Krankenhausvon Athen ist kein Bettmehr unbelegt, selbst

auf den Gängen reiht sich Prit-sche an Pritsche. Medizinischgut versorgt aber wird hierkaum noch jemand. Es man-gelt an Arzneimitteln, selbstVerbandsmaterial ist knapp ge-worden. Ärztinnen und Pflegertun, was sie können, sind aberheillos überlastet. „Therapienach Leitlinien erhält kaumnoch jemand“, erklärt ein jun-ger Mediziner, „und Unversi-cherte schon gar nicht“.

Offiziell sind rund 30 Prozent der Bevölke-rung in Griechenland nicht mehr kranken-versichert, vermutlich aber ist bereits jederZweite aus der Absicherung herausgefal-len. Seit die Troika durchgesetzt hat, dassalle sozialstaatlichen Leistungen, inklusiveKrankenversicherung, zwölf Monate nachVerlust des Arbeitsplatzes einzustellensind, ist die steigende Zahl Arbeitsloserein sicherer Indikator für die zu erwarten-den gesundheitlichen Belastungen derBevölkerung. Schließlich ist jeder vierteGrieche aktuell arbeitslos, bei Jugendli-chen unter 24 Jahren sind es mehr als dieHälfte. Zu der Perspektivlosigkeit ange-sichts eines kollabierenden Wirtschafts-systems gesellt sich die Angst, welcheFolgen eine akute Erkrankung habenkann – ökonomisch und gesundheitlich.Wer nicht krankenversichert ist, muss die

Kosten einer Behandlung vor Ort in barbezahlen oder aber das Geld wird amEnde des Jahres über die Steuer einge-zogen. Betroffene konsultieren also nurnoch einen Arzt, wenn sie über Geldreser-ven verfügen – oder erst dann, wenn esgar nicht mehr anders geht.

Leere Regale in den Apotheken

Ähnlich dramatisch ist auch die Situationbei der Versorgung mit Arzneimitteln.Seit 2012 bekommt man in ApothekenTropfen, Tabletten oder Salben nur nochgegen Barzahlung. Und Hunderte Prä-parate sind überhaupt nicht mehr erhält-lich. Das liegt unter anderem daran, dassPharmafirmen nicht mehr liefern, weildie Refinanzierung aufgrund des Bank-rotts des Nationalen Trägers für Gesund-

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griechenland

Krank gespart30 Prozent der griechischen Bevölkerung sind nicht mehr

versichert und auf solidarische Hilfen angewiesen

Folge der Troika: Diabetes und Bluthochdruck bleiben unbehandelt.

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heitsleistungen(EOPYY) un-gewiss ist. DieEOPYY, in derverschuldeteKrankenkassenzusammenge-führt wordensind, soll Ver-bindlichkeitenvon etwa zweiMilliarden Eurogegenüber Ärz-ten, Apotheken,Krankenhäu-sern und Phar-maherstellernbedienen, er-hält gleichzeitig aber rund 500 MillionenEuro weniger staatliche Zuschüsse. EineFolge sind leere Regale in den Apotheken.

Am heftigsten trifft die von der griech-ischen Regierungskoalition, der „innerenTroika“ aus Nea Demokratia, PASOK undDIMAR, durchgesetzte Sparagenda Men-schen mit chronischen Erkrankungen wieDiabetes, Bluthochdruck oder Krebs. Vomstaatlichen Gesundheitssystem im Stichgelassen, wenden sich viele an die selbst-organisierten solidarischen Kliniken, dieangesichts der Krise überall im Land ent-standen sind. So auch in Thessaloniki.250 Patienten pro Woche werden hier vonehrenamtlich arbeitenden Ärztinnen, Ärz-ten, Physiotherapeutinnen und -therapeu-ten sowie anderen Gesundheitsaktivistenversorgt. Dafür spendet die Bevölkerungu.a. Medikamente und Babynahrung. „ImGegensatz zu den Krankenhäusern sindwir ganz gut versorgt“, berichtet ein lang-jähriger Begleiter von medico und Aktivistim People’s Health Movement, „aber daskann sich natürlich jederzeit ändern, dennauch private Vorräte sind irgendwann er-schöpft“. Als Reaktion auf die Engpässe

hat die griechische Regierung bereits ei-nen Exportstopp für manche Medika-mente verhängt. Die Pharmaunternehmenwiederum begründen ihre Politik mit denim Oktober 2012 verabschiedeten Preis-listen, die sie zu Preissenkungen von 16Prozent für rund 12.500 Medikamente ver-pflichtet haben. Mit dieser Maßnahme wardie Regierung einer Auflage der Troika ge-folgt, die teilweise massiv erhöhten Medi-kamentenpreise zu reduzieren und denAnteil an verschriebenen Generika zusteigern. Mag dieser Ansatz berechtigt ge-wesen sein, so sind es zahlreiche andereAuflagen keineswegs. Die seit mehr alseiner Dekade akkumulierten Strukturpro-bleme des griechischen Gesundheitswe-sens drohen unter dem Sparprogramm zuexplodieren. Massive Kostenreduktionen,Stellenabbau und gekürzte Löhne überfor-dern die öffentlichen Krankenhäuser, wäh-rend sie gleichzeitig von Patienten über-laufen werden, die sich die private Kran-kenversorgung nicht mehr leisten können.

Die von außen erzwungenen „Strukturan-passungen“ haben historische Vorläufer inden Programmen, mit denen IWF und

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Weltbank in den 1980er bis 1990erJahren Lateinamerika und weitereLänder drangsaliert haben. Auch sei-nerzeit wurde im Namen eines wirt-schaftlichen Aufschwungs an dermedizinischen Versorgung der Bevöl-kerung gespart – mit fatalen Folgen.Das neoliberale Experiment verfehltedie volkswirtschaftlichen Ziele undsorgte für eine rapide gesundheitlicheVerschlechterung. Schließlich muss-ten selbst die Befürworter der Struk-turanpassung eingestehen, dass die„menschlichen Kosten“ zu hoch wa-ren. Doch als gäbe es diese Erfahrun-gen nicht, verlangt heute unter an-derem Bundesfinanzminister Wolf-gang Schäuble, dass Griechenland

die Auflagen „schnell, umgehend und oh-ne zu zögern” umsetzen müsse.

Abwerbung von Gesundheits-personal

Tatsächlich spielt Deutschland für diekünftige Gesundheitspolitik in Griechen-land eine zentrale Rolle, ist doch das Bun-desministerium für Gesundheit für die„Unterstützung Griechenlands im Gesund-heitsbereich“ zuständig. Zusammen mitder Gesellschaft für Internationale Zusam-menarbeit (GIZ) wird eine Gesamtstrate-gie erarbeitet. Schon jetzt sind äußerstumstrittene Elemente des deut-schen Gesundheitssystems wiedie Krankenhausabrechnungennach Fallpauschalen nach Grie-chenland exportiert worden. Ob-wohl hier inzwischen die Neben-wirkungen – von der steigendenZahl unnötiger Operationen biszu verfrühten Entlassungen vonPatienten aus Kliniken – bekanntsind sowie die erwarteten Kosten-ersparnisse nicht eintraten, wer-den sie nun dem griechischen

System eingeimpft. Dabei haben die im-mer neuen Sparrunden und Strukturan-passungen bereits zu gesundheitlichenKatastrophen geführt. Viele Zahlen doku-mentieren den Verfall: In Griechenland istdie Suizidrate um 40 Prozent gestiegen,HIV-Infektionen haben um 52 Prozent zu-genommen, 26.000 Gesundheitsarbeiter,inklusive 9.100 Ärzten, haben ihre Arbeitverloren, Gelder für psychosoziale Versor-gung sind um 45 Prozent gekürzt worden.

Mitten in Europa ist die Abwärtsspirale inArmut und Krankheit voll in Gang. VieleMedizinerinnen und Mediziner in Grie-chenland reagieren auf diese Entwicklungmit zivilgesellschaftlichem Engagement,indem sie protestieren, Dienst in solidari-schen Kliniken leisten und Basisinitiativengründen. Nach Lohneinbußen von bis zu65 Prozent und angesichts der drohendenPleite vieler Kliniken wächst gleichzeitigjedoch ihre Bereitschaft auszuwandern. InZeiten des „Fachkräftemangels“ etwa inDeutschland werden längst gezielt grie-chische Ärztinnen und Ärzte abgeworben– und damit die medizinische Versorgungin Griechenland weiter geschwächt. „Ei-gentlich will ich nicht weg“, sagt der jungeMediziner aus Athen. „Aber so geht esnicht mehr weiter. Vielleicht ist Deutsch-land ja eine Alternative.“

Kirsten Schubert

9Griechenland 2013: Unterstützungsleistungen für Körperbehindertewurden gekürzt. Protest vor dem griechischen Parlament.

Projektstichwort

Unsere Referentin für Gesundheit war Ende Feb-ruar für medico auf einer Delegationsreise in Grie-chenland und konnte mit vielen Gesundheitsakti-vistinnen und -aktivisten über die Folgen der Krisesprechen. Globale Gesundheit heißt für medico,das Recht auf Gesundheit für alle Menschen anallen Orten zu verteidigen. Unterstützen Sie unsereÖffentlichkeitsarbeit dabei. Stichwort: Gesundheit.

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ie arabischen Aufstände habendie Trennung

zwischen Peripherie und Zentrum erschüttert.Plötzlich konnte jede Peripherie den Statuseines Zentrums erlan-gen. Die vergesseneMarginalität der armenländlichen Räume undvorstädtischen Elends-viertel, ihre scheinbareZukunfts- und Entwick-lungslosigkeit, bedeute-te auf einmal, dass dieRevolution an den Rän-dern ausbrach. Wieschon in Tunesien imHerbst 2010, war auch in Syrien der Ausgangs-punkt der Rebellion einOrt an der Peripherie.Was als spontaner Bür-gerprotest gegen dieMisshandlung von Schul-kindern am 15. März2011 in der ProvinzstadtDar’a begann, einer vontribalen Familienstrukturen und Landwirt-schaft dominierten armen Region naheder jordanischen Grenze, entwickeltesich durch die exzessive Gegengewaltzu einem unverhofften Aufstand breiter,vorwiegend armer und sozial deklassier-ter Bevölkerungsgruppen, den noch im

Frühjahr 2011 niemand für möglich hieltund der angesichts des syrischen Sich-erheits- und Gewaltapparats auch in Sy-rien selbst für kaum vorstellbar gehaltenwurde. Aber heute, nach zwei Jahren derGewalt, steht das syrische Gemeinwe-sen an einem zivilisatorischen Abgrund.

syrien

Kein Ende in SichtMillionen von Menschen sind auf der Flucht, Hunderttausende ver in Syrien wird immer auswegsloser und bedroht den demokratische

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Zerstörte Lebenswelten in Aleppo. Nach einem Raketenangriff der syrischen Armee suchen Bewohner de

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Allgegenwärtige Flucht

Auslöser der sozialen Rebellion warenunter anderem die Folgen der schweren,auch dem Klimawandel geschuldetenDürren, die allein 2009 dazu führten,dass 800.000 Familien ihre gesamte

bäuerliche Existenz verloren und in dieStädte abwanderten. Der syrische Auf-stand richtet sich zugleich gegen diejahrzehntelange Entmündigung durchdas Baath-Regime der Assad-Familie.Er hat längst den Charakter eines bluti-gen Bürgerkriegs angenommen und wirdvon Seiten des Regimes wie von denunzähligen militärischen Verbänden derAufständischen mit beispielloser Härtegeführt. Der Aufstand hat bislang min-destens 80.000 Menschen das Lebengekostet. Weitere geschätzte 150.000bis 200.000 Personen sind inhaftiert, vonmanchen fehlt seit ihrer Verschleppungjedes Lebenszeichen. Die Zahl der Bin-nenflüchtlinge in Syrien wird auf zweiMillionen geschätzt, hinzukommen wei-tere vier Millionen, die aufgrund der Zer-störung oder Beschädigung ihrer Stadt-viertel und Häuser ebenfalls hilfsbedürf-tig sind. 2,5 Millionen Menschen sind lautUN-Schätzungen auf direkte, regelmä-ßige Nahrungsmittellieferungen angewie-sen. In den Nachbarländern Libanon,Türkei, Irak und Jordanien haben mittler-weile ebenfalls mindestens eine MillionKriegsflüchtlinge Zuflucht gesucht, Ten-denz steigend. Im Februar 2013 verlie-ßen nach Angaben des UNHCR täglichmehr als 8.300 Flüchtlinge das Land.

Das syrische Gemeinwesen steht kurzvor dem Zusammenbruch. Die Ernteer-träge gingen laut einem UN-Bericht um50 Prozent zurück, vielerorts sind Be-wässerungsanlagen und die staatlicheInfrastruktur zerstört. Die Strom- undWasserversorgung ist in vielen Landes-teilen unterbrochen oder besteht nurnoch stundenweise. Die Preise für Ben-zin, Gas zum Kochen und Lebensmittelsind extrem gestiegen. Das früher gutausgebaute Gesundheitssystem ist fak-tisch nicht mehr existent. Ganze Regio-nen des Landes und Stadtviertel, in

haftet. Der Bürgerkrieg

n Impuls des Aufstands.

s Stadtteils Ard Al-Hamra in den Häusertrümmern nach Toten und Verletzten.

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12denen Rebellenverbände aktiv sind, wur-den durch die Straßenkämpfe oder Luft-angriffe derart verheert, dass sie ge-spenstischen Ruinenlandschaften glei-chen. Lokale Aktivisten berichten vonmassiven Menschenrechtsverletzungendurch die syrische Armee, aber auchdurch dschihadistische Milizen, zudemhäufen sich die Vorfälle von systemati-scher Zerstörung religiöser Stätten.

Zerstörtes Gemeinwesen

Trotz der Gewaltexzesse der letzten Monate zeigt das syrische Regime nochimmer keine substanziellen Auflösungs-erscheinungen und kann seinen Krieg offenbar noch länger führen. Alle „Nah-ost-Experten“, die im letzten Jahr denSturz Assads „innerhalb von Monaten“voraussagten, sind offenkundig blamiert.Selbst die irrwitzige Vorstellung, dassPräsident Assad im Jahr 2014 in einemReferendum zu seiner Wiederwahl an-tritt, scheint nicht mehr völlig ausge-schlossen.

Kein Beobachter kann heute seriös be-urteilen, wie die wirklichen Mehrheitsver-hältnisse im Land aussehen. Es herrschtKrieg, und der Krieg produziert seine eigene Wahrheit – je nach dem, welchePropaganda bevorzugt wird, kann manden unzähligen verwackelten Youtube-Videos der diversen Einheiten der „Frei-en Syrischen Armee“ glauben, die täglichaufs neue belegen, wie landesweit Ar-meekonvois oder Stützpunkte des Re-gimes angegriffen werden, oder manvertraut den Meldungen der staatlichenNachrichtendienste, die davon berichtenwie ehedem aufständische Stadtviertelerfolgreich „von Terroristen gesäubert“werden. Weil es keine freie und unab-hängige Berichterstattung in Syrien gibt,existieren alle diese „Wirklichkeiten“ als

Fragmente einer zerrissenen und vomKrieg gewaltsam kantonisierten Gesell-schaft, von der niemand sagen kann, wieund ob sie sich nach dem Sturz des Re-gimes neu zusammenfinden kann. Dennselbst die Ablehnung des Assad-Regi-mes ist längst nicht mehr gleichbedeu-tend mit einer Unterstützung oder Teil-nahme am aktuellen Aufstand. Einige derpolitisch wie militärisch zersplitterten Re-bellenverbände haben den ursprünglichüberkonfessionellen Charakter des Auf-stands längst gekidnappt: Radikalreligiö-se islamische Gruppen, diszipliniert, gutbezahlt und militärisch ausgerüstet ausden Golfemiraten, haben an einzelnenOrten wie in Idlib und in Stadtteilen vonAleppo islamisches Recht eingeführt –die laizistische Pseudo-Demokratie derstaatlichen Gerichtsbarkeit wurde durchdie religiöse „Gerechtigkeit“ der Schariaersetzt. Der blutige Krieg hat die demo-kratischen Prinzipien der ursprünglichenRevolution abgenutzt, und die fortgesetz-ten Kampfhandlungen zementieren dieFragmentierung des Landes entlang eth-nisch-konfessioneller Bruchlinien.

Hoffung inmitten der Gewalt

Viele der lokalen unbewaffneten Aktivis-tinnen und Aktivisten der ersten zweiJahre sind tot, verhaftet oder im Exil.Und diejenigen, die noch im Land aus-harren, versuchen in Nachbarschafts-komitees tägliche Nothilfe für Ausge-bombte und Inlandsflüchtlinge zu organi-sieren, und berichten weiterhin mit ihrenVideo-Uploads über das alltäglicheGrauen. Anderswo versuchen Bürger-gruppen in lokaler Selbstorganisierungden Zusammenbruch der öffentlichenStadtverwaltung auszugleichen. Diesezivilen Netzwerke handeln in einem täg-lichen Niemandsland der Gewalt undversuchen den Traum eines demokrati-

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itte November 2012griff der Krieg auch

auf die vorwiegend vonKurden besiedelte Pro-vinz Hasaka im Nordos-ten von Syrien über. Ausder Türkei kommendeschwerbewaffnete Ver-bände der „Freien Syri-schen Armee“ (FSA),unter ihnen eine großeAnzahl dschihadistischerund radikalreligiöserKämpfer aus verschiedenen arabischenLändern, lieferten sich in der syrisch-kur-dischen Grenzstadt Serê Kanîyê (ara-bisch: Ras al Ain) Gefechte mit lokalenkurdischen Milizen, die im Herbst 2012im Zuge einer beginnenden kurdischenSelbstverwaltung die Kontrolle über weiteTeile der etwa 1,4 Millionen Einwohnerzählenden Provinz übernommen hatten.Die Region gilt als ökonomisch unterent-wickelt, und die kurdische Bevölkerungwurde jahrzehntelang systematisch diskri-miniert. Aktuell leben in der Region zu-sätzlich 500.000 intern Vertriebene, dieaus anderen Regionen Syriens kommenund in den noch relativ sicheren kurdi-schen Gebieten Schutz suchen. Erst einWaffenstillstandsabkommen zwischen

Oppositionsgruppen der FSA und denKurden konnte im Februar 2013 vorerstdie Gefahr eines zusätzlichen ethnischenRegionalkriegs abwenden.

In dieser prekären und fragilen Situationder Unsicherheit gründete sich in Serê Ka-nîyê das lokale Bürgerkomitee Hêwî (Kur-disch: „Hoffnung“). Das ehrenamtliche undparteiunabhängige Komitee, deren Mit-glieder bereits zu Beginn der syrischenProteste erste Demonstrationen organi-siert hatten, setzt sich in der 40.000 Ein-wohner zählenden Grenzstadt für seineMitbürger ein. Der Kern dieses Bürger-komitees umfasst ca. 10-15 Aktivisten,unter ihnen Rechtsanwälte, Journalistenund Handwerker. Zu Anfang der Kämpfe

schen Gemeinwesens aufrecht zu hal-ten. Angesichts einer Gewaltspirale, vonder niemand sagen kann, wo sie endenwird, scheint sich in Syrien die bittere Er-kenntnis zu bestätigen, „dass der Krieg

ein Betrug ist und Blut die Geschichtezwar manchmal vorwärts treibt, aber zuoft nur in Richtung auf noch mehr Barba-rei und Elend (Albert Camus)“.

Martin Glasenapp

Zwei neue medico-Projektpartner in Syrien

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I. PROVINZ HASAKA:Das Bürgerkomitee von Serê Kanîyê

Kurdische Flüchtlinge warten auf Hilfe.Foto

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14registrierte und bestattete das Komiteedie Leichen während der Kämpfe getöte-ter FSA-Kämpfer und Mitglieder des staat-lichen Sicherheitsapparates oder der„Shabbiha“-Milizen. Die Komiteemitgliedernotierten die Personaldaten oder fotogra-fierten die Gesichter der Toten damit zueinem späteren Zeitpunkt mögliche Ange-hörige informiert werden können. Siesorgten dafür, dass die vor den Luftangrif-fen des Regimes geflohenen Mitarbeiterdes städtischen Elektrizitätswerks zurück-kehrten und die Stadt wieder an dasStromnetz anschlossen. Später begannHêwî die Schäden an geplünderten undbombardierten Häusern und Gebäuden zudokumentieren, legte eine Datenbanküber die Kriegsschäden an, sicherte dieAkten des Stadtarchivs, um die Familien-und Grundbücher vor einer mutwilligenZerstörung zu retten. Dann begann das

Komitee, über ein Netzwerk in der Stadtanerkannter und respektierter Persönlich-keiten, ausgebombte und obdachlos ge-wordene Familien zu versorgen. Darüberhinaus verhandelten sie mit Bäckereien imUmland, um über möglichst große Abnah-mekontingente einen niedrigen Brotpreisfür die zu verteilenden Nahrungsmittel-körbe zu erzielen. Abdel Halim, Journalistund Mitbegründer des Hêwî-Bürgerkomi-tees, erklärte im Gespräch mit medico:„Gerade haben die Waffen das Sagen,aber es geht nicht nur um das Heute, son-dern auch um unsere Zukunft. Wir brau-chen zivile Strukturen für ein besseresMorgen.“ Seit Beginn des Jahres hat Hêwîin Ras Al Ain ein erstes Koordinierungs-zentrum eingerichtet und unterstützt mitfinanzieller Hilfe von medico 600 regis-trierte Familien mit dem Allernötigsten(Brot, Reis, Babymilch).

II. DAMASKUS:Überlebenshilfe im Camp Yarmouk

ie Lager der ca. 500.000palästinensischen Flücht-

linge in Syrien liegen zumeistin den Agglomerationsgürtelnder größeren Städte Deraa,Hama, Homs und vor allemDamaskus. Es ist jener subur-bane Ballungsraum, in demsich Zehntausende von ehe-maligen Bauern niedergelas-sen haben, die in den letztenJahren von einer schwerenDürre und dem wirtschaftlichen Nieder-gang des Agrarsektors vom Land in dieStädte gezwungen wurden. Unter dieserverarmten und marginalisierten Bevölke-

rung war der Aufstand gegen das Assad-Regime von Anfang an populär. Deshalbbekamen die Vorstädte und ihre Bewoh-ner seine blutige Repression besonders

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Eingang des Yarmouk-Camps. Foto

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zu spüren. Wie die meisten kleineren pa-lästinensischen Wohnviertel innerhalb dersyrischen Städte, ist auch Yamouk im ei-gentlichen Sinne längst kein Flüchtlings-lager mehr. Al-Mukhayyam, das Camp,wie Yarmouk in Damaskus auch genanntwird, ist über 50 Jahre gewachsen undbesteht aus engen Gassen und oft unver-putzten Häusern, denen nachträglichmehrere Geschosse aufgesetzt wurden.Yarmouk ist mit mehr als 150.000 paläs-tinensischen Einwohnern das größte pa-lästinensische Lager in Syrien. Im letztenJahr wurde Yarmouk sogar zum Zufluchts-ort von Syrern, deren Wohnviertel bom-bardiert oder durch blutige Kämpfe inMitleidenschaft gezogen worden waren.Zugleich kam es immer wieder zu Gefech-ten zwischen aufständischen Milizen undregimetreuen palästinensischen Einhei-ten. Am 16. Dezember 2012 bombardiertedie Luftwaffe erstmals das Lager, durchden Beschuss einer Moschee kamenzahlreiche Menschen ums Leben. Seit-dem sind die Ausfallstraßen von Yarmoukdurch mehrere Checkpoints der syrischenArmee und loyaler palästinensischer Mili-zen gesichert.

Die Jafra-Foundation (Jafra) ist einepalästinensische Organisation, dieseit Anfang der 2000er Jahre imYarmouk Camp aktiv ist. Das ei-gentliche Ziel von Jafra, die sich deralten säkularen palästinensischenLinken zurechnet, ist die gemeinde-basierte Bildungsarbeit mit Jugend-lichen und jungen Erwachsenen.Seitdem die Gewalt auch Yarmoukerreicht hat, sind die Jafra-Aktivis-ten mit all ihren Möglichkeiten in derakuten Nothilfe und Unterstützungfür syrische und palästinensisch-syrische Binnenflüchtlinge enga-giert. In ihrem eigenen Zentrum be-herbergen sie allein 700-900 Perso-nen. In ihren täglichen Verteilungen

erreichen sie darüber hinaus Familien, diein anderen öffentlichen Gebäuden leben.Insgesamt verteilt Jafra zur Zeit mit Unter-stützung von medico Lebensmittelkörbean 1.000 besonders bedürftige syrischeFamilien, die in Yarmouk Zuflucht suchten.Neben der reinen Verteilung von Nah-rungsmitteln versucht Jafra durch Clean-Up-Aktionen (Müllentsorgung) auch denöffentlichen Raum des Lagers mit zivilenMitteln wieder zu erobern. HinzukommenTrainingskurse für neue Freiwillige und einNotschulprogramm für Kinder innersyri-scher Flüchtlinge.

Die Arbeit der Jafra-Aktivisten ist alles an-dere als ungefährlich. In den vergangenenMonaten kamen allein sechs Nothelfer pa-lästinensischer Organisationen im Einsatzums Leben. Für Hassan Mustapha, wiealle Aktivisten ehrenamtliches Mitglied beiJafra, ist die nachbarschaftliche Solidaritätalternativlos. Trotzdem stellt er verzweifeltfest: „Die Situation wird immer schlimmer.Wir haben nichts in der Hand, weder imVerhältnis zur „Freien Syrischen Armee“noch zur regulären Armee, um unsereWohnbezirke sicher zu machen.“

Weitere medico-Hilfen

medico ist weiterhin in Kontakt mit syrischen Ärzten,die in provisorischen Notlazaretten verletzte Regime-gegner und die Bewohner zerbombter Stadtviertel behandeln.

Mehr als 400.000 syrische Bürgerkriegsflüchtlingehaben im Nachbarland Libanon Zuflucht gesucht. MitFörderung des Auswärtigen Amtes unterstützt medicodie libanesische Hilfsorganisation AMEL bei der medi-zinischen Nothilfe für syrische Flüchtlinge in der nörd-lichen Beeka-Ebene.

Im Ein-el-Hilweh-Camp, dem größten palästinensi-schen Flüchtlingslager im Libanon, ermöglicht me-dico außerdem der Nashet Association die Betreuungund Versorgung palästinensischer Flüchtlinge aus Syrien. Das Spendenstichwort lautet: Syrien.

www.medico.de/hoerenX

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ls am sündhaft teuren Tel AviverImmobilienstandort Rothschild-Boulevard Tausende im Zelt des

medico-Partners Ärzte für Menschen-rechte (PHM-Israel) vorbeischauten undüber das Recht aller – auch von papierlo-sen Migranten – auf Gesundheit diskutier-ten, als Hunderttausende jene Politik derherrschenden Parteien infrage stellten, dieinnerhalb von drei Dekaden aus einemWohlfahrtsstaat eine Gesellschaft mit ei-ner US-amerikanisch anmutenden Kluftzwischen arm und reich gemacht hat,keimten bei unseren israelischen Partnerngroße Erwartungen. Nicht nur sie, son-dern viele der Demonstrierenden hofften,dass dieser Protest Israels Gesellschaftneu politisiert. Die Abwicklung des solida-rischen Gesundheitssystems könnte viel-leicht rückgängig gemacht werden undder Ruf nach sozialer Gerechtigkeit alleethnisch-religiösen Grenzen auflösen.Vielleicht würde das endlich den Weg be-reiten für eine israelische Politik, die aufeinen gerechten Ausgleich mit den Paläs-tinensern ausgerichtet ist.

Gescheiterte Repolitisierung

Doch spätestens mit dem Ausgang der is-raelischen Wahlen im Februar 2013 er-wies sich das hergebrachte politischeSystem als äußerst überlebensfähig. Dasgelang mit den üblichen Taktiken. Die Po-litelite vereinnahmte den Protest mithilfevorgeheuchelter Sympathiebekundungenfür die Forderungen der Demonstranten.

Zum Schein ging man darauf ein und be-rief zunächst eine Kommission. Die legteMonate später hinhaltende Ergebnissevor, als der Elan des Aufruhrs abgeebbtwar. Sie verschwanden in der einen oderanderen ministerialen Schublade. Darüberhinaus gelang es der Politelite die sozia-len Proteste in eine ressentimentgeladene

israel/palästina

Große Erwartungen20 Jahre nach Oslo. Eine Momentaufnahme von Tsafrir Cohen

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Palästinensisch-israelischer Protest gegen den Siedlungsbau. Das Camp „Ba Wird der palästinensische Hügel „E1“ zum israelischen Siedlungsgebiet, droh

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Aufwiegelung verschiedener Gruppen ge-geneinander umzudeuten und damit dieRepolitisierung zu kippen. Zentrales Wahl-kampfthema war so nicht die Frage, wieein gerechtes soziales und wirtschaftli-ches System aussehen könnte, sondernwarum ultraorthodoxe Juden oder die pa-

lästinensische Minderheit im Land nicht inder Armee dienen. Soziale Gerechtigkeitwurde während des Wahlkampfes umge-münzt in „gerechte Lastenaufteilung“.

Dem auf diese Weise militaristisch undpatriotisch aufgeladenen Diskurs hattenlinke und emanzipatorische Kräfte nichts

entgegenzusetzen. Bis tief ins Lager derArbeitspartei überwog die Angst, sich demVorwurf des Antipatriotismus auszuset-zen. Die großen Gewinner der Wahlenwaren dann auch die NationalreligiösePartei um den Hightech-Multimillionär Naf-tali Bennett, der messianisches, rechts-

radikales Gedankengut mo-dern verpackt, sowie eineneue populistische Partei umden feschen Moderator YairLapid, die sich antiklerikalund establishmentkritisch ge-riert, in Realität aber die Inte-ressen einer „weißen“ undmitunter rassistischen Mittel-schicht attraktiv zu präsentie-ren weiß. Er war der ent-scheidende Protagonist inder Umdeutung der sozialenFrage, und er ist äußerst po-pulär bei den Anhängern derProtestbewegung.

Verdrängung dauert an

Im Windschatten einer Wahl,bei der die existenzielle Fra-ge nach der Besatzung derpalästinensischen Gebietekaum zur Sprache kam,kann der alte und wohl auchneue Ministerpräsident Ben-jamin Netanjahu mit neoli-beraler Wirtschaftspolitik so-wie der Verdrängungspolitikder Palästinenser fortfahren.

An seiner Regierung prallt der Protest un-seres Partners Adalah, einer Menschen-rechtsorganisation aus Haifa, gegen denPrawer-Plan ab. Dieser sieht die Zwangs-evakuierung von 70.000 Beduinen – alle-samt israelische Staatsbürger – aus ihrenangestammten Dörfern in Israels Südenzugunsten von neu zu gründenden Ge-

b al-Shams“ (Tor der Sonne) zwischen Jerusalem und der Siedlung Maale Adumim. t die endgültige Teilung der Westbank in zwei Enklaven.

Foto

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18meinden, exklusiv für jüdische Israelis,vor. In der besetzten Westbank verhindertIsrael weiterhin den Aufbau ziviler Infra-struktur für palästinensische Gemeinden,etwa von Wind- und Solaranlagen der is-raelischen Comet-ME oder von einfachenTierställen der palästinensischen Union ofAgricultural Work Committees, um die Pa-lästinenser aus großen Teilen der West-bank zu verdrängen. Gleichzeitig wirdkräftig an der Infrastruktur für jüdisch-israelische Siedler weitergebaut. Die letz-te Entwicklung und Perfektionierung imSystem der ethnisch-religiösen Segrega-tion ist die Errichtung getrennter öffentli-cher Bussysteme – eins für israelischeSiedler, das andere für Palästinenser. Bis-lang hatte das System noch Schlupflöcherund Palästinenser mit Sondergenehmi-gung beispielsweise konnten das für dieSiedler gut ausgebaute Bussystem nut-zen. Nun ist es damit vorbei.

Palästina: Frei nur im Gefängnis?

Auf diese Herausforderungen reagiert diepalästinensische Gesellschaft hilflos. ImKampf ums Überleben ist sie selbst in dasSystem verstrickt. Ihre politischen Institu-tionen sind durch den Dauerzwist zwi-schen der im Gaza-Streifen regierendenreaktionären Hamas und der Fatah, dieüber die Palästinensische Autonomiebe-hörde (PA) eine Reihe von geografischmiteinander nicht verbundenen Enklavenin der Westbank verwaltet, gelähmt. Beidesind aufgrund ausbleibender Wahlenkaum noch demokratisch legitimiert.

Die PA wurde im Rahmen der Osloer Frie-densverträge zwischen Israel und der Pa-lästinensischen BefreiungsorganisationPLO als Embryo eines künftigen StaatesPalästina ins Leben gerufen. Sie ist 20Jahre später noch immer von Israel völligabhängig. Israel verlangt von der PA, die

palästinensische Bevölkerung besser zukontrollieren und seine Sicherheit zu ga-rantieren. Man verlangt die Festnahmevon Landsleuten, die verdächtigt werdenmit Gewalt gegen Israel vorzugehen. Tutdie PA das nicht, so verfügt Israel übereine Reihe von Sanktionsmöglichkeiten,etwa die Zurückhaltung der Steuergelder,die Israel erhebt und der PA weiterleitensoll: bei der Mittelknappheit der PA einenormes Druckmittel. Denn die Löhne derPA ernähren etwa eine Million Menschenund sichern den Machterhalt der Fatah.

Angesichts dieser Verstrickung sind diepalästinensischen Häftlinge in den israeli-schen Gefängnissen die einzigen, die mo-mentan genug innere Freiheit besitzen,um auf breiter Front den widrigen Verhält-nissen zu widerstehen. Seit Jahren de-monstrierten zum ersten Mal wieder Zehn-tausende Palästinenserinnen und Palästi-nenser in Solidarität mit den hungerstrei-kenden Häftlingen. Eine Erinnerung da-ran, dass der gegenwärtige Status quo aufDauer nicht zu halten ist.

Paradigmenwechsel auch in Berlin

1993, vor 20 Jahren, wurden die OsloerVerträge auf dem Rasen des WeißenHauses vor der Weltöffentlichkeit ge-schlossen. Seitdem galt für die westlichenMachteliten die Besatzung als beendet.Nach dieser geradezu doktrinär geworde-nen Lesart schien es nur noch eine Frageder Zeit, bis die Detailfragen in bedin-gungslosen Verhandlungen zwischen denbeiden Parteien gelöst würden. Zwei Jahr-zehnte später muss man von einem gro-ßen Scheitern sprechen.

Die asymmetrischen Machtverhältnissehaben dazu geführt, dass Israel die ei-gene politische Vision – dichtgedrängter

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sowie voneinander getrennter palästinen-sischer Enklaven, die von Israel perma-nent militärisch, aber auch wirtschaftlichkontrolliert und abhängig sein werden –durchsetzt. In vielen Lobbygesprächen,die medico gemeinsam mit israelischensowie palästinensischen Partnern im poli-tischen Berlin führte, konnten wir beob-achten, dass der Groschen auch dortlangsam fiel.

Der Zustimmung für die Analyse folgte an-fangs nicht die Zustimmung zu unsererForderung: Es müssten von außen klareParameter für einen gerechten Friedengesetzt werden. Immer wieder trugen wirvor, dass Druck notwendig sei, da dieisraelische Gesellschaft nicht in der La-ge sei, die Besatzung von sich aus zu be-enden. Spätestens mit der Ermordung desMinisterpräsidenten Rabin wurde klar,dass in Israel keiner Wahlen gewinnenkann, der die Kontrolle über die besetz-ten Gebiete aufgibt. Unsere Analyse be-sagte, dass nur Druck von außen denDruck der Siedlerbewegung ausgleichenkann. Empathie für Israel müsse mit einerdeutlichen Ablehnung der Besatzungs-politik verbunden sein.In internen Gesprächenstießen wir vielfach aufZustimmung. Doch offi-ziell wollte in Europa kei-ner einen Konflikt mitIsrael riskieren. Europazog sich in die bequemeRolle des Gehilfen derUSA zurück.

Gegenwärtig können wirbeobachten, dass euro-päische Akteure ange-sichts einer handlungs-unfähigen US-Regierungan einer eigenen und ein-heitlichen europäischen

Politik arbeiten. Konsequent durchge-halten könnte sie Druck auf Israel aus-üben. 22 europäische Organisationen, da-runter medico, haben beispielsweise imHerbst letzten Jahres eine Studie veröf-fentlicht, die den europäischen Handelmit israelischen Siedlungsprodukten kri-tisch beleuchtet und nachweist, dass erzur Erhaltung der widerrechtlichen Sied-lungen beiträgt. Die Studie wurde in dereuropäischen Politik sehr positiv aufge-nommen. Eine Kennzeichnung der israe-lischen Siedlungsprodukte scheint nureine Frage der Zeit zu sein. So deutlichwie selten sprechen sich Politiker ausDeutschland und Europa gegen die Ver-treibung von Palästinensern aus und be-zuschussen Projekte, die versuchen diesezu verhindern.

Ob das mehr ist als ein Hoffnungsschim-mer auf eine eigenständige europäischePolitik bleibt fraglich. Jederzeit muss mandamit rechnen, dass die Akteure, von ih-rem eigenen Mut erschrocken, zurückru-dern. Dann müssen wir unsere Lobby-arbeit für eine differenzierte Politik gegen-über Israel wieder bei Null beginnen.

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Für Bürgerrechte

Der neue medico-Partner Adalah

Mitglieder der arabisch-palästinensischen Minderheit in Is-rael genießen alle Bürgerrechte. Die in Haifa beheimateteAdalah (Arabisch für Gerechtigkeit) tritt dafür ein, dass dieseRechte keine leere Formel bleiben, sondern auch in allen Lebensbereichen realisiert werden. Etwa im Gesundheits-sektor: In arabischen Gemeinden wird weniger investiert,und die Bewohner haben folglich einen schlechteren Zugangzu Gesundheit. Indem Adalah Sammelklagen und öffentlicheKampagnen initiiert, fördert sie staatsbürgerliches Engage-ment und zwingt Israels Gesellschaft dazu, sich Fragen derGerechtigkeit jenseits ethnischer Grenzen zu stellen. Spen-denstichwort: Israel & Palästina.

Page 20: medico-Rundschreiben 01/2013 - You are the refugees of Europe

Fremd im eigenen LandSierra Leone: Abgeschobene kämpfen gegen Vorurteile

fghanistan ist das Kummerland allerBundeswehrdemokraten. Erst wur-

de es erobert und wollte befreit werdenvon der Despotie der radikalreligiösenTaliban. Dann platzte der Traum einerMission für Demokratie und Menschen-rechte. Die Taliban blieben ein tückischerGegner; die alten, auch in das Macht-netzwerk der Regierung Karzai einge-

bundenen, Warlords interessiert kein so-zialer Friede. Keine Aufarbeitung der Alp-träume des Bürgerkriegs, dazu Korrup-tion, Drogen- und Waffenhandel. Nun derAbzug. 2014 ist Schluss. Niederlage.Aus einer neuen Bundeswehrrichtliniesticht ein Satz heraus: „Das Engagementin fragilen Staaten ist mit Risiken verbun-den. Rückschläge und Misserfolge sind

projekte – projektionen

Die Zukunft der AnderenAfghanistan: Lokale Kultur der Versöhnung

ie fanden sich, weil sie sich wieFremde fühlen: verloren im eigenen

Land, aus dem sie aufgebrochen waren,um dem Grauen des Bürgerkriegs zuentkommen und wohin sie zurückkehrenmussten. 40 Sierra Leoner, alles Abge-schobene aus Deutschland, gründetenim Jahr 2011 in Freetown die Selbsthilfe-gruppe NEAS (Network of Ex-AsylumSeekers Sierra Leone). Kaum einerkehrte freiwillig zurück, fast alle verlorenin Deutschland Familien, Freunde undKinder. Im neuen Sierra Leone waren siemit Ablehnung und Missgunst konfron-tiert: Warum sind sie so arm, wenn sieaus dem reichen Europa zurückkom-men? Und überhaupt: warum abgescho-ben? Unwissenheit nährt Vorurteile. Da-gegen hilft Aufklärung. Ende 2012 trafensich auf Initiative des medico-PartnersNEAS zivilgesellschaftliche Gruppen mit

Regierungsvertretern zum ersten „Forumon Migration and Human Rights“. The-ma: Die Komplizenschaft der sierra-leo-nischen Konsulate in Europa bei „Rück-übernahmefällen“. Dazu werden Asylsu-chende in Deutschland einer sierra-leoni-schen Regierungsdelegation vorgeführt,die die Staatsangehörigkeit prüft. DieKosten dieser „Gegenüberstellungen“übernimmt der deutsche Abschiebestaat.Entsprechend willfährig wurde „identifi-ziert“ – Krankheit oder Kinder zähltenwenig. Hauptsache weg. Hierüber wirdnun in Sierra Leone öffentlich geredet.Im Radio und in Zeitungen macht NEASauf das Schicksal der Abgeschobenenaufmerksam und sorgt dafür, dass dieZwangsheimkehrer sich irgendwannauch wieder zu Hause fühlen können.

Spendenstichwort: Sierra Leone

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Page 21: medico-Rundschreiben 01/2013 - You are the refugees of Europe

ach dreimaliger Aufforderung ist derehemalige haitianische Diktator Du-

valier, Baby Doc genannt, wenigstenszur gerichtlichen Anhörung Ende Februar2013 erschienen. Selbstsicher, arrogantund mit ergrautem Babyface fühlt sichder Mann, der vielfache Verbrechen ge-gen die Menschheit begangen hat, unan-greifbar. Ohnehin wird das von ihm wei-tergeführte System des Mordens undFolterns nicht Gegenstand eines Prozes-ses. Die haitianische Justiz ist der Mei-nung, diese Verbrechen seien verjährt.Nicht verjährt seien hingegen Misswirt-schaft und Korruption in seiner Regie-rungszeit. Deshalb wird er nun möglich-erweise angeklagt. Das Nationale Netz-werk für Menschenrechte (RNDDH), dasmedico seit 2011 unterstützt, vertritt die

Angehörigen und Opfer des politischenTerrors unter Duvalier. Mit immer neuenDokumentationen über die Verbrechendes Regimes unter Vater und Sohn Du-valier beharren sie auf den Standards internationalen Rechts und der Nichtver-jährung von Verbrechen gegen dieMenschheit. Aber die Aussichten, dassDuvalier verurteilt wird, sind, so der Di-rektor des Netzwerks, Pierre Esperance,nicht gut. Im Interview mit medico inter-national zog er eine bittere Bilanz: „DieMächtigen stehen über dem Gesetz. Sohat der Ex-Diktator Duvalier einen Dip-lomatenpass von der Regierung erhaltenund kann sich der Strafe entziehen.“ Das gesamte Interview finden Sie unterwww.medico.de/esperance

Spendenstichwort: Haiti

Duvalier vor Gericht Haiti: medico-Partner vertritt Angehörige der Opfer

N

daher von vornherein einzukalkulieren.“Und was machen jene in Afghanistan,die nicht abziehen, weil sie von dort her-kommen? Sie bleiben. Etwa der medico-Partner AHRDO (Afghanistan HumanRights and Democracy Organisation) in Kabul, ein Zeitzeugen- und Versöh-nungsprojekt auf lokaler Ebene. AHRDOorganisiert gezielt Begegnungen in denländlichen Gebieten, fernab der klimati-

sierten Büros der internationa-len Demokratie-agenturen. DieZielgruppe sindKriegstraumati-sierte, Frauenund junge Men-

schen. Die Methode ist eine spezielletherapeutische Form des Theaters: dasErlebte sich selbst im Spiel vergegen-wärtigen, um es bearbeiten und ausspre-chen zu können. Es geht um Gerechtig-keit und Anerkennung sowie um Aussöh-nung und Zukunft. Auch im nächstenJahr, wenn der Rückzug beginnt.

Spendenstichwort: Afghanistan

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AHRDO: Erinnern durch Theater.Foto

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Page 22: medico-Rundschreiben 01/2013 - You are the refugees of Europe

eim Zwischenstopp in Dubai treffenwir Selvan, medico-Partner aus SriLanka. Wir hatten ihn eingeladen,

mit uns zusammen nach Pakistan zu rei-sen, weil sich seine Organisation um ähn-liche Probleme kümmert wie medicosPartner dort. In beiden Ländern herrschenbittere Armut und eine verwilderte Gewalt,die aus der kolonialen Vergangenheit undeiner kaum aufzulösenden Verquickungvon ethnisierter Politik, Religion und ma-fioser Korruption rührt. In beiden Ländernist die Armee Staat im Staat. Wie unserepakistanischen Partner HANDS undSLRC kümmert sich auch Selvans Orga-nisation vor allem um die Rücksiedlungvon Flüchtlingen und Vertriebenen.

Am Flughafen der 20-Millionen-MetropoleKaratschi begrüßt uns Ghulam Mustafa,bei HANDS für die Rücksiedlungspro-gramme für die Überlebenden der Flutka-tastrophen 2010/2011 verantwortlich. Mit1.500 festen Mitarbeiterinnen und Mitar-beitern ist HANDS medicos größter Part-ner in Pakistan. HANDS arbeitet in 42.000Dörfern der Provinz Sindh und angrenzen-den Gebieten Balutschistans und desPunjab und erreicht dort über 4 MillionenMenschen. Wir machen Selvan und Mus-tafa miteinander bekannt und wollen ersteinmal kurz ins Hotel. Doch Mustafa mussuns absagen: „Wir können nicht in dieStadt. Heute ist ‚Hartal’, Streik, das Lebensteht still.“ Erfunden im Unabhängigkeits-kampf, gilt dieser Streik der ganzen Stadt.

Straßen werden gesperrt, Bazare bleibenzu, auch Schulen, Fabriken, selbst dieGarküchen am Straßenrand. Diente einHartal früher der Selbstermächtigung derLeute, wird er ihnen heute meist von be-waffneten Gruppen aufgezwungen. Dies-mal protestieren religiöse Parteien gegeneinen Bombenanschlag, bei dem wenigeTage zuvor mehr als 80 Menschen ermor-det wurden. Täter und Opfer waren Mus-lime, die einen sunnitischen, die anderenschiitischen Glaubens. Selvan ist das

pakistan

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Flutüberlebende in einem Notlager des Sindh Labour Relief Committee.

Land des stetigen ZusammenbrucUnterwegs mit den medico-Partnern, die sich gegen feudalistisch Lebensperspektive der Menschen engagieren.

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nicht neu: „Den Hartal gibt es auch in SriLanka, wir benutzen das selbe Wort.“

Nachdem wir den Tag umgeplant und un-gewollt in Mustafas allerdings gastlichemHaus am Stadtrand verbracht haben, ma-chen wir uns abends im Zickzack um dieStraßensperren auf den Weg ins Hotel.Endlich, nach langem Flug und ersten hef-tigen Eindrücken, freue ich mich auf eineMöglichkeit des Rückzugs. Nach einstün-diger Fahrt klingelt Mustafas Handy. Ein

kurzer Wortwechsel auf Urdu, dann dieAuskunft: „Wir können nicht weiter. Wie-der ein Bombenanschlag, das Zentrum istgesperrt.“ Nichts mit Hotel. Wir übernach-ten im HANDS-Büro, das zwei Vier-Bett-Schlafräume hat. Der erste Reisetag ist zuEnde, und wir sind schneller als uns liebwar im pakistanischen Alltagsalptraum an-gekommen.

Land unter

Am Morgen brechen wir nach Matiari auf,einem Distrikt des Sindh. Vor einem Jahrstanden HANDS’ Rücksiedlungsprojektedort noch ganz am Anfang. Das Landwar noch immer überschwemmt, die Men-schen hausten in Zelten unweit ihrer weg-gespülten Dörfer. Bis zum Horizont lagendie Felder brach, aus dem Wasser ragtenfaulige Baumwollhalme. Die Leute warenvoller Misstrauen, zogen uns beiseite,klagten, dass nichts geschähe, ihnen zuhelfen. Heute kommen wir in Dörfer mitneuen Häusern, werden durch kleineSchulen geführt und zum Haus der „Marvi-Worker“ gebracht, einer Frau, die im Dorfals Hebamme arbeitet und über eineGrundausstattung lebenswichtiger Medi-kamente verfügt. Überall empfangen unsdie Bewohner, begrüßen uns die gewähl-ten Sprecherinnen und Sprecher der örtli-chen „Community Based Organisation“(CBO), einem Genossenschaftsverein, indem sich die engagierten Bewohnerinnenund Bewohner eines Dorfes sammeln.

Selvan freut sich, als er hört, dass alleHANDS-Projekte auf der Kooperation mitsolchen CBOs beruhen: in Sri Lanka ma-chen sie das genauso. HANDS wird heutevon 3.500 CBOs und 3.500 anderen so-zialen Vereinen unterstützt, die sich stetsin eine Männer- und eine Frauengruppegliedern. In ihnen finden Rück- und Neu-

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hs e Strukturen und für eine

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Page 24: medico-Rundschreiben 01/2013 - You are the refugees of Europe

24siedler zusammen und stimmen sich un-tereinander ab; insgesamt organisierensie über eine Million Freiwillige. HANDSliefert Material und Fachwissen, leitet Ver-handlungen mit Behörden und moderiertdie Diskussionen zum Wiederaufbau. DieCBO wird gebraucht, damit die Leute ihrDorf schließlich selbst in Besitz nehmenkönnen, dann, wenn HANDS nur nochbesuchsweise vorbeikommt.

Ein Distrikt in Frauenhand

In allen 23 Distrikten des Sindh unterhältHANDS ein Koordinationsbüro. Matiaristellt dabei eine Ausnahme dar, weil hieralle Leitungsposten von Frauen besetztsind, anders als in den übrigen Distrikten,deren Leitungen männlich dominiert sind.Beim Rundgang durch die Dörfer und einegroße Hebammenschule hält sich Selvanstets an die selbstbewusste Chefin desDistrikts, Azra Shakeel Shah, die wirschon aus dem letzten Jahr kennen. DieFrauenmacht im HANDS-Büro beein-druckt ihn ebenso wie das offensichtlichfriedliche Zusammenleben von Moslemsund Hindus in einem der von HANDS be-treuten Dörfer. Abends stecken beide dieKöpfe zusammen und besprechen dieEinzelheiten eines Austauschprogramms:von medico unterstützt, werden HANDS-Mitarbeiter nach Sri Lanka reisen, SelvansKolleginnen nach Pakistan.

Bauernbewegung in Sanghar

Am Morgen trennen wir uns, Selvan bleibtin Matiari, wir fahren nach Sanghar. UnserBegleiter ist jetzt Nasir Mansoor vomSindh Labour Relief Committee (SLRC),einem Zusammenschluss von Gewerk-schaftern, Frauenaktivistinnen und linkenStudierenden aus Karatschi. Auch sie leis-teten Nothilfe und begleiten jetzt mit me-dico-Unterstützung den Neubau eines

Dorfes. Auf Initiative des SLRC habenzehn Familien eine Kooperative gegrün-det, wollen ihr Land gemeinsam bebauen,das Vieh gemeinsam aufziehen. Mit derFertigstellung der Häuser, des Gemeinde-zentrums und des Unterstands für dasVieh hat die Kooperative ihre erste Probebestanden, jetzt wird es ernst: im Märzwird das Gras, im Mai der Reis ausgesät,bald kommen zehn Büffel. Ein Kollege desSLRC ist täglich vor Ort, andere kommeneinmal pro Woche, auch zur politischenBildung. Die Kooperative wird Teil desHari Haqdar Tehreek sein, der Bewegungfür die Rechte der Bauern. Deren Mitstrei-ter haben sich viel vorgenommen: DasSindh ist in der Hand feudaler Landlords,die Bauern arbeiten auf ihrem Land, zah-len im Frondienst Kredite zurück, die sieaufnehmen mussten, um Saatgut für ihreeigene kleine oder kleinste Landwirtschaftzu kaufen. Auch die Kooperativenbauernsind verschuldet, diskutieren jetzt, ob siedie Schulden einzeln oder gemeinsam ab-bezahlen. „Diesen Teufelskreis müssendie Bauern auf eigene Faust unterbre-chen“, sagt Nasir. „Mit der Hilfe beim Auf-bau der Kooperative geben wir ihnen die

„Industrial 9/11“: Beerdigung der letzten Opfer des großen Brandes vom 11.

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Luft, die sie brauchen, um nicht mehr nurans Überleben denken zu müssen, son-dern auch an ihre Rechte.“

Eine Beerdigung in Karatschi

SLRC-Koordinator Nasir Mansoor ist zu-gleich Sekretär der National Trade UnionFederation (NTUF). Zurück in Karatschibegleiten wir ihn nach Baldia Town, zu denWeltmarktfabriken der Metropole. Alles istdicht von Staub überzogen, Straßen, Ge-bäude, Häuser, die wenigen Palmen. Hierwird die Baumwolle verarbeitet, die aufden riesigen Feldern der Landlords desSindh wächst.

Heute findet in Baldia eineganz eigenartige Beerdi-gung statt. Bestattet wer-den 17 Leichname, derenNamen niemand kennt.Die Gräber tragen eine po-lizeiliche Kennziffer, siebergen die letzten Totendes Brandes vom 11.09.2012. An diesem Tag star-ben über 300 Menschen,

eingeschlossen hinter den vergittertenFenstern und verriegelten Toren derTextilfabrik Ali Enterprises. Die Men-schen in Karatschi nennen diesenHorrortag den „Industrial 9/11“. SeineOpfer verbrannten auf deutsche Rech-nung: 90% der bei Ali Enterprises fa-brizierten Textilien gingen an denwestfälischen Discounter KiK. Wir er-schrecken zusätzlich, als wir hören,dass die Zahl der Vermissten nocheinmal höher liegt als die der nichtidentifizierten Leichname. Zum Nach-denken aber bleibt keine Zeit, gleichnach der Feier drängt Nasir zum Auf-bruch. Baldia ist eine unsichere Ge-gend, in deren Straßen Talibankom-mandos und Gangs aus Balutschistan

um die Vorherrschaft kämpfen. „Ange-sichts der pakistanischen Verhältnisse“,sagt Nasir, „denken Europäer oft, dassdas unmöglich so weiter gehen kann.Doch der anhaltende Zusammenbruchdieses Landes ist Teil einer in sich stabilenOrdnung, die den Landlords, der Armee,der politischen Kaste und den Auftragge-bern der Weltmarktfabriken freie Handlässt, wenn sie sich mit der Mafia und denTaliban arrangieren. Das alles kann sehrlange dauern“.

Thomas Seibert

Projektstichwort

Nach Abschluss der ersten beiden Programme realisiertHANDS jetzt die Projekte des dritten Rücksiedlungspro-gramms. Das SLRC unterstützt die Bauernbewegung desHari Haqdar Tehreek. Die NTUF begleitet den Prozessgegen die Besitzer der Todesfabrik Ali Enterprises und dieVerhandlungen mit KiK um die Höhe der Entschädigung.Die Forschungs-NGO PILER dokumentiert das Schicksalder Flutopfer, das Versagen des Staates und die Forderun-gen der Überlebenden. Stichwort: Pakistan.

09.2012 in den Textilfabriken.

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www.medico.de/hoerenX

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uatemala könnte in diesen Mona-ten Geschichte schreiben. Dennzum ersten Mal in der interna-

tionalen Justizgeschichte steht mit demehemaligen Diktator Rios Montt einStaatschef wegen Verbrechen gegen dieMenschheit vor einem heimischen Ge-richt. Ende Januar 2013 wurde das Ver-fahren gegen Montt zugelassen. Wasgegen den chilenischen Diktator Pinochettrotz weltweiter Verachtung nicht glückte,gelingt vielleicht in Guatemala dank derbeharrlichen Arbeit von Menschenrechts-organisationen, Anwälten, Überlebenden,Angehörigen der Opfer und Aktivisten.

Die Verbrechen, derer Rios Montt ange-klagt ist, sind unbeschreiblich. In den 17Monaten seiner Herrschaft zwischen 1982und 1983 kamen 20.000 Menschen in 300Massakern, die von der Armee durchge-führt wurden, ums Leben. Zum Prozess-auftakt wurden die Namen von 1.771Menschen verlesen, derer ErmordungRios Montt angeklagt ist. Name für Name.Aus Zahlen wurden Personen. Und dasin aller Öffentlichkeit. Darüber hinaus wirder der systematischen Vernichtung derMaya-Bevölkerungsgruppe der Ixil ange-klagt. Damit sitzt der rassistische Massen-mord exemplarisch auf der Anklagebank.Im 30 Jahre währenden guatemalteki-schen Bürgerkrieg haben Armee und Pa-ramilitärs Verbrechen in einem Ausmaßbegangen, dem der Völkerrechtler Chris-

tian Tomuschat in einer UN-Untersuchung„genozidale Züge“ bescheinigte. Denn ne-ben der schonungslosen Ermordung vonpolitischen Gegnern gehörte die systema-tische Auslöschung ganzer indigenerDörfer und Gemeinschaften zu den cha-rakteristischen Merkmalen dieser Jahre.Die weiße Oberschicht pflegt bis heuteihren rassistischen Dünkel und bestreitetüberwiegend sogar die gesicherten Tat-sachen der Ereignisse. Die systematischeStraflosigkeit bestärkt sie in dieser Wahr-nehmung. Das erlaubt ihr bis heute überdie Rechte insbesondere der indigenenBevölkerung einfach hinwegzugehen,wenn es ihre eigenen wirtschaftlichenInteressen betrifft. Auch deshalb ist derProzess gegen Rios Montt ein histori-sches Ereignis.

Seit fast 20 Jahren kämpfen guatemalte-kische Menschenrechtler darum, dass sol-che Prozesse stattfinden. Viele Jahre wardas ein einsames, scheinbar aussichtslo-ses und immer gefährliches Unterfangen.Aber in den vergangenen acht Jahren hatsich etwas fundamental geändert. Derdeutsche Jurist Michael Mörth, der seitvielen Jahren guatemaltekische Men-schenrechtsaktivisten in dieser Arbeit un-terstützt, sieht den Wendepunkt dieserArbeit in dem zufälligen Auffinden des gu-atemaltekischen Polizeiarchivs. „2005 ha-ben wir das geheime Polizeiarchiv gefun-den. Damit waren 80 Millionen kleine Ord-

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26guatemala

Ein historischer ProzessZum ersten Mal könnte mit Rios Montt ein ehemaliger

Diktator im eigenen Land verurteilt werden.

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ner, Polizeidokumente von 1882 bis 1997,in unabhängiger Hand“, so Mörth. Ein gro-ßer Teil betreffe die Jahre der schlimmstenGewalt von 1975 bis 1985. Die Dokumen-te sind in mühevoller Kleinarbeit digitali-siert worden. Sicherheitskopien lagern au-ßerhalb von Guatemala. Die Wahrheitüber die Zeit kann nicht mehr vertuschtoder gar vernichtet werden. (Ein ausführ-liches Interview mit Michael Mörth findenSie unter: www.medico.de/moerth)

Seit 2010 gibt es eine neue General-staatsanwältin, die seither mit der Unter-stützung des Interamerikanischen Ge-richtshofes im Rücken die Prozesse ge-gen Rios Montt und seine Schergen vo-rantreibt. Sie gelangte auf diesen Posten,da ihrem Vorgänger Conrado Reyes, dervom Parlament in All-Parteien-Koalitionausgekungelt worden war, mithilfe des Po-lizeiarchivs eigene Verwick-lungen in Verbrechen derBürgerkriegszeit nachge-wiesen werden konnten.So endete dessen Amtszeitbereits nach nur wenigenTagen. (siehe dazu auchwww.medico.de/polizeiar-chiv). Aber nichts ist sich-er in Guatemala. Der neugewählte Präsident Gene-ral Perez Molina verkün-dete bei seinem Amtsantritt

2012, er strebe eine Generalamnestie füralle Bürgerkriegsverbrechen an. PerezMolina hat dafür durchaus persönlicheGründe. Auch er war zu Zeiten des Bür-gerkriegs aktiver Militär, und es gibt Hin-weise, dass er tief in die Ermordung vonBischof Gerardi verstrickt ist. Gerardi hattedie erste Untersuchungskommission zuden Verbrechen des Bürgerkrieges gelei-tet und war 1998, zwei Tage nach Veröf-fentlichung des Berichts „Guatemala,Nunca Más“, vor dem Pfarrhaus ermordetworden. Bis heute sind die Hintermännerdieses Verbrechens nicht verurteilt, imZuge seiner Aufklärung kamen erstaunlichviele Menschen, die sich in der Umgebungdes Tatorts aufhielten, auf ungeklärte Wei-se ums Leben. Staatsanwälte und Ermitt-lungsrichter, die sich um die Aufklärungbemühten, wurden abgesetzt und muss-ten ins Exil flüchten.

Projektstichwort

Ein medico-Arbeitsschwerpunkt in Guatemala ist seit vielenJahren die juristische und psychosoziale Unterstützung beider Aufarbeitung der Verbrechen aus den Zeiten des Bür-gerkrieges. So unterstützen wir seit 2011 die Arbeit des An-waltsbüros für Menschenrechte, in dem auch Michael Mörthtätig ist. Es vertritt die Opfer als Nebenkläger in 80 Prozentder anhängigen Verfahren gegen Militärs. Diese Arbeitbraucht dringend Unterstützung, auch weil es jetzt darumgeht, die Chance für Verurteilungen der schlimmsten Ver-brechen zu nutzen. Das Projektstichwort lautet: Guatemala.

Protest und Gedenken an die „Verschwundenen“am Tag der Anhörung von Rios Montt, Januar 2013.

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ters

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Sie sprechen in ihrem jüngsten Buch

„Wir lassen sie verhungern. Die Mas-

senvernichtung in der dritten Welt“

von Hunger als einem organisierten

Verbrechen. Sie benutzen Worte wie

Massaker und Massenvernichtung.

Wer sind die Täter?

Jean Ziegler: Täter sind die, die denWeltmarkt für Nahrungsmittel beherr-schen. Alle 5 Sekunden verhungert einKind. Letztes Jahr sind 57.000 Men-schen täglich an Hunger und Unterer-nährung gestorben. Fast eine Milliardevon sieben Milliarden Menschen sindpermanent unterernährt. Das sind Zah-len aus dem Welternährungsbericht derFAO. In dem selben Bericht heißt es,dass die Weltlandwirtschaft problemlos

12 Milliarden Menschen ernähren könn-te. Es gibt zum ersten Mal in der Ge-schichte der Menschheit objektiv keinenMangel an Nahrungsmitteln. Deshalbsage ich, dass ein Kind, das an Hungerstirbt, ermordet wird. Wir sind nicht dieTäter, aber solange wir nichts unterneh-men und zusehen, sind wir Komplizen.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigs-

ten strukturellen Mechanismen, die

verhindern, dass das Hungerproblem

gelöst wird?

85 Prozent der weltweit gehandeltenNahrungsmittel werden von 10 Lebens-mittelkonzernen kontrolliert. DarunterNestlé, Cargill, Dreyfus. Cargill kontrol-liert 31,8 Prozent allen gehandelten Ge-treides, Dreyfus 32 Prozent allen gehan-delten Reises. Diese Firmen entscheidendurch ihre Marktmacht, wer hungert undstirbt, wer isst und lebt. Eine weitere Ur-sache für den Hunger ist die Börsenspe-kulation auf Grundnahrungsmittel. NachAusbruch der Bankenkrise haben Hed-gefonds und Großbanken sich auf dieRohstoffbörsen und da insbesondere

hunger

Unterlassene HilfeleistungEin Siebtel der Menschheit ist unterernährt und hungert.

Jean Ziegler nennt die Verantwortlichen – ein Interview

Der Schweizer Soziologe, Politikerund Buchautor Jean Ziegler gehörtzu den bekanntesten Kritikern derneoliberalen Globalisierung. Bis2008 war er UN-Sonderberichterstat-ter für das Recht auf Nahrung.

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29auf die Nahrungsmittelbörsen begeben.Das hat dazu geführt, dass Preise fürGrundnahrungsmittel explodiert sind.Und nun kommen noch die Agrartreib-stoffe hinzu. Im vergangenen Jahr habendie Vereinigten Staaten 130 MillionenTonnen Mais und mehrere Hundert Mil-lionen Tonnen Getreide als Agrartreib-stoff verbrannt. Wenn alle 5 Sekundenein Kind an Hungerfolgen stirbt, dann istdas Verbrennen von Nahrungsmitteln einVerbrechen gegen die Menschlichkeit.

Worin sehen Sie politische Hand-

lungsmöglichkeiten, denn juristisch

sind die Täter kaum zu belangen?

Es gibt keine Ohnmacht in der Demokra-tie. Deutschland ist die lebendigste De-mokratie des europäischen Kontinentsund die drittgrößte Wirtschaftsmacht derWelt. Morgen früh könnte der deutscheBundestag die Börsenspekulation aufGrundnahrungsmittel verbieten, wennder Aufstand des Gewissens käme.

Manche wenden ein, dass die Agrar-

spekulation nichts mit dem Hunger

in der Welt zu tun habe, sondern eine

wirtschaftliche Notwendigkeit sei.

Stimmt diese Argumentation?

Der Waren-Termin-Kontrakt hat ein spe-kulatives Element, ist legitim und nötig.Ein Großproduzent von Getreide in Ar-gentinien und eine Großbäckerei in NewYork kommen zusammen durch einenWaren-Termin-Kontrakt. Sie legen auf

ein bestimmtes Datum hin einen Preisfest. Der Preis ist natürlich spekulativ,weil er eine Projektion in die Zukunft ist.Aber er dient einem wirtschaftlich legiti-men Interesse. Bei der Börsenspekula-tion handelt es sich um etwas ganz an-deres. Die Hedgefonds kaufen Waren-Termin-Geschäfte auf, die dann zu auto-nomen Wertpapieren werden. Sie wer-den Hunderte Male wieder verkauft, ver-pfändet etc. So, wie jedes andere Wert-papier an der Börse. Sie produzieren nieeine Ware und sie liefern nie eine. Siehaben keine wirtschaftliche Legitimation.Im Juli 2012 lag der reine Spekulations-gewinn bei Reis, Getreide und Mais bei37 Prozent. Das ist eine Berechnung desChefökonomen der UNCTAD, HeinerFlaßbeck. Er hat für die UNO ein Modellausgearbeitet, das morgen früh zu ver-wirklichen wäre. Es schließt alle Akteurevom Agrarrohstoffmarkt aus, die nichtverbrauchen und die nicht produzieren.

In Ihrem jüngsten Buch ist auch von

Alternativen die Rede. Sie sprechen

nach wie vor von der Notwendigkeit

der Landreform und erwähnen auch

die Weltbank, die marktgestützte

Landreformen fördert. Hat die Welt-

bank aus der Vergangenheit gelernt?

Die Weltbank hat etwas gelernt, weil siebis vor kurzem vor allem Industrieinfra-strukturen gefördert hat. Staudämme,Erdölförderung etc. Die Subsistenzland-wirtschaft vernachlässigte sie komplett,weil diese im kapitalistischen Sinn nicht

Page 30: medico-Rundschreiben 01/2013 - You are the refugees of Europe

30rentabel ist. Mittlerweilevergibt die Weltbank Kre-dite für kleinbäuerlicheLandwirtschaft und länd-liche Kooperativen: fürSaatgut, Bewässerungs-anlagen etc. Darin liegtein Fortschritt. Aber esgibt auch einen großenRückschritt. Denn dieWeltbank fördert mit Kre-diten ebenfalls das welt-weite Landgrabbing. DieArgumentation der Welt-bank ist dabei pervers.Sie verdreht richtige Er-kenntnisse zu falschenSchlussfolgerungen. DieBauern in Niger, Mali undin anderen Ländern hät-ten eine zu niedrige Pro-duktivität. Deshalb müss-ten ausländische Investoren Kapital undKnow-how bringen. Mit dieser Begrün-dung finanzieren die Weltbank, die Euro-päische Investitionsbank und die Afrika-nische Entwicklungsbank diese zwangs-weise Landnahme durch Hedgefonds,multinationale Gesellschaften, usw. Undso geschieht die Vertreibung der ländli-chen Bevölkerung. Damit einher geht dieZerstörung der Menschen, Familien undKulturen. Das Produktivitätsargumentstimmt. Aber der afrikanische Bauer istnicht weniger arbeitsam oder kompetentals der deutsche Bauer. Er verfügt prak-tisch über keine Bewässerung. Südlichder Sahara bis zum Kap der Guten Hoff-nung werden nur drei Prozent der Nutz-fläche künstlich bewässert. Der Rest istRegenlandwirtschaft wie vor eintausendJahren. Weder die Bauern selbst nochdie Regierungen haben die Mittel, Be-wässerungssysteme zu errichten. Es gibtnur 240.000 Zugtiere, 80.000 Traktoren,wenig animalischen und keinen minerali-

schen Dünger im subsaharischen Afrika.Die Staaten haben aufgrund der Aus-landsverschuldung keine Mittel, um dieFamilienlandwirtschaft zu fördern. Unab-hängig davon, wie diese Regierungen regieren, allein deshalb ist objektiv keineInvestition in die Subsistenzlandwirt-schaft möglich. Die Schlussfolgerungmüsste also sein: Entschuldung undmassive Investition in afrikanische sowiesüdasiatische und lateinamerikanischeSubsistenzlandwirtschaft. Dann würdedie einheimische Produktivität rasantsteigen.

Es heißt angesichts der hohen Roh-

stoffpreise, dass das afrikanische

Jahrhundert vor der Tür steht. Sehen

Sie darin eine Chance?

Die hohen Rohstoffpreise lösen nicht dasHungerproblem. In Afrika sind laut FAO35,2 Prozent der Bevölkerung perma-nent unterernährt. Der Run auf Rohstof-

Page 31: medico-Rundschreiben 01/2013 - You are the refugees of Europe

fe, auch ausgelöstdurch die ökonomi-sche Entwicklung derSchwellenländer,schlägt sich statistischim BIP vieler afrikani-scher Staaten alsWachstumszahl nie-der. Das Hungerpro-blem hingegen kannnur mit der Entwick-lung der Familienland-wirtschaft gelöstwerden.

Sie führen in Ihrem

Buch das Beispiel

Niger an.

Laut den UN-Statis-tiken ist Niger daszweitärmste Land der

Welt. Niger hat über 1 Million Quadratki-lometer und 10 Millionen Einwohner. Einwunderbares Land mit uralten Kulturen.Hier siedeln die Haussa, die Djerma, dieTuareg, die Peulh. Niger verfügt über diezweitgrößten Uranreserven der Welt.Diese Uranminen werden ausschließlichvom französischen EnergieunternehmenAreva, das eine staatliche Aktienmehr-heit hat, ausgebeutet. Die Minen sind für Frankreich von strategischer Bedeu-tung, denn 62 Prozent der Energie kom-men aus Atommeilern. Niemand in Nigerkennt die Verträge mit Areva. Green-peace hat versucht, per Prozess Einsichtin die Konzession zu erlangen. Das istbislang nicht geglückt. Das Uran wird zuniedrigsten Preisen abgegeben. Gleich-zeitig wird Niger immer wieder von Hun-gersnöten heimgesucht. Von den Roh-stoffeinnahmen haben die Menschennichts. Niger wurde durch Weltbank undIWF zur totalen Liberalisierung gezwun-gen. Dazu gehört die Auflösung des

staatlichen Veterinäramtes, was bei vie-len Menschen, die von der Viehzucht ab-hängig sind, katastrophale Folgen hatte.Nun geht eine Machbarkeitsstudie derWeltbank davon aus, dass man durchKapilarbewässerung 440.000 HektarLand zusätzlich für Agrarwirtschaft nutz-bar machen könnte. Auf diesen riesigenLandmengen könnten drei Ernten imJahr stattfinden. Bis jetzt werden nur 4Prozent des nationalen Territoriums land-wirtschaftlich genutzt. Wenn man diesezusätzlichen 440.000 Hektar durch Be-wässerungssysteme urbar machen wür-de, wäre die Bevölkerung des Niger,selbst angesichts der Klimakatastropheoder Heuschreckenplagen, gerüstet. Esgäbe nie mehr eine Hungersnot. Daswürde etwa 1,2 Milliarden Dollar kosten.Der zweitgrößte Uranproduzent der Welthat nicht einen Cent, um dieses Projektumzusetzen. In Niger herrscht die Arevawie ein Kolonialherr im 19. Jahrhundert.

Aber doch mit Unterstützung der

nigerischen Politiker?

Was heißt mit Unterstützung? Der jetzigePräsident ist ein ehemaliger Angestelltervon Areva. Vorher gab es einen Militär-diktator. Der empfing den chinesischenBergbauminister. Daraufhin stürzte ihnder französische Geheimdienst. Derfranzösische Geheimdienst übt die totaleKontrolle über die Regierung in Nigeraus. Warum hat Präsident Hollande am11. Januar 2013 die Intervention in Maliangefangen. Die Beseitigung der Djiha-disten, die furchtbar sind, ist nur einGrund. Aber hinzu kommen noch andereInteressen. Areva hat den Zugriff auf dieUranvorkommen in Südmali. Frankreichsah den Zugriff auf das Uran und damitdie eigene Energieversorgung gefährdet,wenn die Djihadisten in Mali die Ober-hand gewonnen hätten. Ich halte die In-

31Dürre im Überfluss. Nigrischer Bauer zeigt vertrockneten Mais.

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Page 32: medico-Rundschreiben 01/2013 - You are the refugees of Europe

tervention in Mali für einen Rohstoffkrieg.Auch wenn er mit der Bekämpfung derIslamisten, die eine Plage der Mensch-heit sind, eine Legitimität hat. Aber jetztmüsste Hollande im zweiten Schritt mitsozialen Maßnahmen beweisen, dass erein Interesse an eigenständiger sozialerund ökonomischer Entwicklung der Re-gion hat. Er müsste dafür Sorge tragen,dass Mali und Niger die Souveränitätüber ihre Rohstoffe zurück erhalten. Umdie sozialen Probleme solcher Länderwie Mali und Niger zu lösen, müsste einezweite Entkolonialisierung stattfinden,die sich an den Zugriffsrechten auf dieRohstoffe entscheidet. Da wird Frank-reich aber wohl kaum von seiner Vor-machtstellung abrücken. Denn da würdeder Strompreis in Frankreich steigen.

Sie halten die Entwicklung der klein-

bäuerlichen Landwirtschaft für den

Schlüssel zur Lösung des Hungerpro-

blems. Die linksliberale Regierung in

Brasilien hat hingegen auf Extraein-

nahmen aus dem Agrarhandel gesetzt

und finanziert sehr erfolgreich Sozial-

programme, die Millionen Menschen

aus der Armut geholt haben.

Ich halte den brasilianischen Wegfür falsch. 90 Millionen HektarLand sind in Brasilien im Besitzvon 2 Prozent der Bevölkerung. An einer Landreform führt keinWeg vorbei. Seit der Unabhängig-keit Brasiliens hat es keine Land-reform gegeben. Mit der Rückkehrder Zuckerrohrplantagen für dieProduktion von Bio-Ethanol (Brasi-lien ist der zweitgrößte Bio-Etha-nolproduzent der Welt) ist dieLandkonzentration sogar noch gestiegen. Das Lula-Modell kannnur funktionieren, wenn der Staat

mit seinen Exportüberschüssen und einem Wachstum des Bruttoinlandspro-dukts von 6 bis 7 Prozent genügend Lebensmittel importieren und subven-tionieren kann. Der Punkt kann dochsehr schnell kommen, dass das BIPnicht mehr so stark wächst oder die Exportüberschüsse sinken, dann brichtdas Modell zusammen. Ohne eine Strukturänderung kann es keine nach-haltige Bekämpfung der Armut geben.Und Strukturänderung heißt hier Land-reform. Lula sprach bei seiner Wahl von Sofortmaßnahmen, um das Elend zu bekämpfen. Aber aus den Sofortmaß-nahmen ist eine strukturelle Politik ge-worden und das kritisiert die Landlo-senbewegung MST zu recht als eine ge-fährliche Politik. Denn nur der Familien-betrieb mit gesichertem Landbesitz kanndie Nahrungsmittelsouveränität Brasi-liens garantieren.

Das Interview führte Katja Maurer

Jean Zieglers jüngstes Buch heißt „Wir lassensie verhungern. Die Massenvernichtung in derdritten Welt“ und ist 2012 bei Bertelsmann er-schienen.

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Projektstichwort

Mit Essen spielt man nicht – so heißt eine Kam-pagne, die medico gemeinsam mit attac, food-watch, Miseor und vielen anderen Organisationenim vergangenen Jahr begonnen hat, um gegenNahrungsmittelspekulation zu protestieren. Tau-sende haben unterschrieben. Die Unterschriftenwerden Finanzminister Schäuble übergeben, be-vor er zur Tagung des Internationalen Währungs-fonds fährt. Sie unterstützen diese Arbeiten vonmedico genauso wie beispielsweise Projekte derbrasilianischen Landlosenbewegung MST, wennSie ungebunden und zweckfrei Spenden. DasStichwort dafür lautet: medico international.

Page 33: medico-Rundschreiben 01/2013 - You are the refugees of Europe

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KongressUmverteilen.Macht.Gerechtigkeit.24.-26. Mai 2013, TU Berlin

medico international engagiert sich in der Kampagne „Umfairteilen“,um auf die globale Dimension ungerechter Verteilung aufmerksam zumachen. Die Kampagne Umfairteilen fordert, Reichtum in Deutschlandund weltweit zu besteuern und die Einnahmen gerecht zu verteilen.

Vom 24. bis 26. Mai veranstaltet die Kampagne einen Kongress unterdem Titel „Umverteilen.Macht.Gerechtigkeit.“. Organisiert wird er voneinem Bündnis aus Gewerkschaften, Stiftungen, NGOs und sozialen Bewegungen. Auch medico ist mit dabei. Wir veranstalten eine eigeneArbeitsgruppe und stellen Redner in den großen Debatten.

Mit dabei sind u.a.: Richard Wilkinson, Mitautor des Buches Gleich-heit ist Glück, Zehra Khan, pakistanische Gewerkschafterin, Thomas Gebauer, Geschäftsführer von medico international, Brian Ashley, Autor und Aktivist aus Südafrika.

Weitere Informationen unter www.medico.de/umfairteilen

SAVE THE DATE!

Page 34: medico-Rundschreiben 01/2013 - You are the refugees of Europe

Früher war das Meer ein Weg der

Hoffnung: Die auf halber Strecke

zwischen Westafrika und dem Magh-

reb am Atlantik gelegene maureta-

nische Hafenstadt Nouadhibou galt –

nachdem Marokko alle Grenzen,

auch die der besetzten Westsahara,

auf Druck Spaniens und der EU ge-

schlossen hatte – für einige Jahre

als günstiger Starthafen all jener

afrikanischen Boat-People, die ihre

Zukunft in der Flucht nach Europa

suchten. Aber die Passage ist ge-

schlossen. Seit 2006 patrouillierten

bis vor Kurzem spanische Abfang-

boote und Spähhelikopter zwischen

den Kanarischen Inseln und Nouad-

hibou. All diejenigen, die eigentlich

nach Hoffnung strebten, versuchen

heute als Billigarbeitskräfte in einem

Land zu überleben, das als eines

der ärmsten der Welt gilt. Allein in

Nouadhibou mit seinen 100.000 Ein-

wohnern leben mindestens 10.000

bis 20.000 Migranten. Stephan

Dünnwald besuchte für medico inter-

national jene Unglückseligen im im-

merwährenden Transit.

ebba lacht: „Wir Afrikaner beten,dass Europa explodiert! Es ist die-ses Europa, das den Afrikanern

alle Probleme beschert.“ Wir sitzen in ei-nem dämmrigen kleinen Zimmer in einemHinterhof der Altstadt von Nouadhibou.Früher standen in diesen Innenhöfen dieWohnzelte der Mauren. Mit der Zunahmeder Einwanderung nach Nouadhibou bau-ten die Besitzer ihre Innenhöfe zu, vermie-

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migration

Die Stadt der BlockiertenZehntausende Migranten warten im mauretanischen Nouadhibou auf

KLeben im erzwungenen Transit: Migrantenviertel in Nouadhibou.

Page 35: medico-Rundschreiben 01/2013 - You are the refugees of Europe

– und auf der Durchreise. Vier Mal hat ervergeblich versucht nach Europa zu ge-langen. Anfangs versteckte er sich in denFrachträumen der Schiffe, seit dem Jahr2000 versuchten die ersten mit Fischer-booten auf die Kanaren zu fahren. „Wirfürchten uns nicht vor dem Meer. Wir wis-sen, dass es gefährlich ist.“ Lange aberhabe es keinen mehr gegeben, der dieKontrollen überwinden konnte. Auch wennEuropa für viele noch Anziehungskraft be-sitzt, so ist es doch in weite Ferne gerückt.Früher, ohne die Europäische Union,meint Kebba, sei es einfacher gewesen.„Aber das ist vorbei. Von Nouadhiboukommt niemand mehr weg.“

Erfolgreiche Menschenjagd

Kebba fasst damit das Ergebnis der spa-nisch-europäischen Grenzpolitik in Mau-retanien präzise zusammen. 2006 warNouadhibou ein Hotspot der Transitmigra-tion auf die Kanarischen Inseln. Hunderteschifften sich Nacht für Nacht auf langenhölzernen Booten ein, mehr als 30.000 er-reichten allein 2006 die Inseln, ungezählteandere ertranken oder verdursteten aufSee. Spanien und die europäische Grenz-schutzagentur FRONTEX brachten vieleBoote auf, aber erst als die spanischeGendarmerie in Nouadhibou zusammenmit mauretanischen Spähern den Hafenund die Küste überwachte, wurden dieBoote endgültig gestoppt, die Gefangenenin einer umgebauten Schule interniert undnach Mali und Senegal abgeschoben. Derinternationale Kampf gegen die soge-nannte „irreguläre Migration“ wurde zu-mindest in Nouadhibou gewonnen. AnLand machte eine schwarz uniformierteSondereinheit der Gendarmerie in dendichtbevölkerten Vierteln der Altstadt unddes Hafens Jagd auf die Transitmigranten.Es wurde verhaftet, geschlagen und in die

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ten die Zimmer teuer an Migranten, underrichteten sich stattliche Anwesen außer-halb des Zentrums. Heute ist Nouadhi-bous Zentrum mehrheitlich von Migrantenbewohnt; sie arbeiten in der Fischerei, fürdie Bergbaugesellschaft oder auf demBau. „Viele wollten nach Europa. Vielewollen es immer noch“, sagt Kebba undblickt mich provozierend an. Kebba ist seit1992 in Nouadhibou, da war er 18 oder 19

eine Überfahrt nach Europa.

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Page 36: medico-Rundschreiben 01/2013 - You are the refugees of Europe

Wüste abgeschoben. Und es traf auch je-ne Zugezogene, die seit langem in Nou-adhibou leben und arbeiten. Heute gibt eskeine nennenswerte irreguläre Transitmi-gration von Mauretanien nach Europamehr. Auch das spanische Rote Kreuz,das mit spanischen Entwicklungshilfegel-dern dem Internierungslager der Migran-ten eine humanitäre Note gab, ist längstwieder abgezogen.

Gefangen zwischen Meer und Wüste

Pierre ist nicht von Haus aus arm. In sei-nem früheren Leben war er in RuandaBürgermeister einer Kleinstadt. Er zeigtmir Fotos, die ihn in Anzug und Schär-pe bei einer Hochzeit und bei einer Par-teiveranstaltung zeigen. Er war sogarschon einmal in Rheinland-Pfalz, in einemOrt, der eine Städtepartnerschaft mit sei-ner Stadt pflegt. Plötzlich jedoch geriet er ins Visier von Kagames Scher-gen, musste fliehen. Seine Familiebrachte er im Nachbarland in Si-cherheit, er floh über Kamerun undNigeria schließlich nach Maure-tanien, immer in Angst vor demlangen Arm des ruandischen Prä-sidenten. In Nouadhibou mussteer feststellen, dass kein Weg mehrweiter führt. Geld hat er auch keinsmehr. Seit ein paar Monatenwohnt er nun in einem kleinenZimmer der Mission von Pater Jé-rôme. Der hat ihm einen kleinen Lastwa-gen zur Verfügung gestellt, um Transporteanzubieten. Pierre ist ihm dankbar fürdiese Chance, doch bisher hat er nur Die-sel verfahren, ohne etwas zu verdienen.

Das Verhältnis zwischen Mauren und sub-saharischen Migranten ist schwierig. Mau-retanien hat seine Geschichte als Skla-venhaltergesellschaft noch nicht über-

wunden. DieMigranten, dieschon seit derfranzösischenKo lon ia lze i tals dringendbenötigte Ar-beitskräfte insLand geholtwurden, wer-den weiterhindiskriminiert.Offene Xeno-phobie ist beiSicherhei ts-kräften und inder Bevölke-rung alltäglich.Pierre ist doppelt gefährdet, als Schwarzerwie als Christ. Ohne die Unterstützung derMission wüsste er nicht, was er tun sollte.Er hat zwar einen Flüchtlingspass desUNHCR, aber der hilft ihm nicht viel. Nur

einmal, bei der letzten großen Razzia imApril 2012, war er nützlich. Pierre wurdezwar mit anderen zusammengetriebenund eingesperrt, doch am Abend wurde erwieder auf freien Fuß gesetzt, sogar ent-schuldigt habe die Polizei sich. Doch wasnützt es frei zu sein, wenn man nicht ein-mal das tägliche Essen bezahlen kann?Pierre will weiter nach Norden, nach Ma-rokko. Doch erst mal sitzt er hier fest.

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Nach EU-Vorgabe: Elektronischer Flüchtlingspass.

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Zivilgesellschaftlicher Beistand

Die einzige mauretanische Organisation,die sich in dieser Situation für die Rechteder Migranten einsetzt, ist die Menschen-rechtsorganisation AMDH. Regelmäßig in-tervenieren die Rechtsanwälte des lang-jährigen medico-Partners bei Konfliktenmit Behörden, oder befreien willkürlichVerhaftete aus dem Gefängnis. MaîtreNiang ist von dem Sinn dieses kosten-losen Rechtsbeistandes tief überzeugt:„Die Vertreter desRechtssystems wun-dern sich jedes Mal,wenn ein Rechtsan-walt auftaucht, dersich für die Rechtevon Migranten inte-ressiert – für Men-schen also, die nichtvon hier sind und inder Regel kein Geldhaben.“ Mit Hilfe derEuropäischen Unionhat Mauretanien eineMigrationspolitik kon-

fektioniert, die in erster Linie auf Kon-trolle und Strafen basiert. Migrantensind besonders von der vorgeschrie-benen Erfassung biometrischer Datenbetroffen, von denen die Erteilung vonAufenthaltspapier und Arbeitserlaub-nis abhängt. Das bestätigt auch Jus-tina, Oberhaupt der nigerianischenCommunity. „Früher klopften sie beiPasskontrollen an, heute treten sie so-fort die Türen ein.“ Wir sitzen auf demHof der katholischen Mission, die derAnkerpunkt ist für die Christen, aberauch für andere Migranten in Nouad-hibou. Früher habe man sich häufigergetroffen, heute haben viele nur nochAngst und meiden die Straßen. DieMission von Père Jérôme bietet allen

Migranten eine medizinische Behandlungan, die sonst für viele nicht bezahlbarwäre. Überlebensnotwendige Hilfen ineiner Stadt, die zur Sackgasse all dererwurde, die gar nicht bleiben wollten.

Der Anthropologe Stephan Dünnwald arbeitetfür medico an der im Laufe des Jahres 2013erscheinenden Gemeinschaftsstudie „Analyseder EU-Migrationspolitik und ihre Auswirkungauf Drittstaaten“ (Hrsg.: Brot für die Welt,Evangelischer Entwicklungsdienst, Pro Asylund medico).

Projektstichwort

Mauretanien hat seine Aufgabe in der Migrationsbekämpfung fürdie EU erfüllt und ist durch die Schließung der See- und Landes-grenzen ein Land der Blockierten geworden. Der lokale medico-Partner, die mauretanische Menschenrechtsorganisation AMDH,steht jenen bei, die völlig rechtlos sind. Ihre Juristen vertreten kos-tenlos gefangene Migranten und erläutern kritischen Journalistenüber die Perfidie des europäisch-mauretanischen „Ausländer-rechts“. Auch die christliche Mission von Père Jérôme ist ein be-währter Projektpartner. medico finanziert die Krankenstation undApotheke der Mission Nouadhibou – das am meisten abgefragteHilfsangebot der Gemeinde. Für beide Partner sind Rechte und Ge-sundheit universelle Werte. Das Stichwort dafür lautet: Migration.

Allgegenwärtige Kontrolle von „Illegalen“.

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Page 38: medico-Rundschreiben 01/2013 - You are the refugees of Europe

Trauma und PolitikPsychosoziale Arbeit: Gut besuchte Fachtagung im Haus am Dom

ls der pakistanische Gewerkschaf-ter Nasir Mansoor seinen Beitrag

mit einer Schweigeminute für die pakis-tanischen Näherinnen begann, die beieinem Brand in einer Textilfabrik umsLeben kamen, wurde uns Zuhörerinnenund Zuhörern bewusst, dass wir dieganze Zeit über Menschen, Individuen,Einzelschicksale mit Namen, Adressenund Angehörigen sprechen. Bei dendiesjährigen medico-Panels des alljähr-

lich stattfindenden Kongresses „Armutund Gesundheit“ im März in Berlin wares manchmal einfacher, sich die erschüt-ternden Tatsachen nicht als menschlicheSchicksale vorzustellen. Im Vortrag vonThilo Bode (Foodwatch), der über dieweltweite Hungerkrise sprach, oder vonAnne Jung (medico international), die dieunaussprechbaren Lebens- und Arbeits-bedingungen rund um die Minen in Si-erra Leone und Niger beschrieb, wurden

medico aktiv

Schweigeminute für die NäherinnenKrankheit und Weltmarkt: medico–Panels bei Armut und Gesundheit

ber 100 Teilnehmerinnen und Teil-nehmer verzeichnete die von me-

dico international, dem Zentrum für Trau-mapädagogik (Hanau) und der katholi-schen Rabanus-Akademie veranstalteteFachtagung „Trauma und Politik“ im Ja-nuar 2013. Die Tagung beschäftigte sichweniger mit Methoden von Trauma-Be-wältigung, sondern viel mehr mit den po-litischen Bedingungen, unter denen heu-te Trauma-Arbeit in Deutschland sowieim Rahmen internationaler Hilfen stattfin-det. Im Plenum und in den Arbeitsgrup-pen ging es in Vorträgen und an prak-tischen Beispielen darum, Ziele und Be-dingungen einer Trauma-Arbeit zu defi-nieren, die die Emanzipation belasteterMenschen wieder in den Mittelpunktstellt. Die Grenzen des professionellen

Handelns und die Chance im Handelnder Betroffenen selbst, machte ArianeBrenssell in ihrem Auftaktvortrag deut-lich. Am Ende ließ sie eine Vertreterinder in Berlin demonstrierenden Migran-ten zu Wort kommen, die sich gegen diebürokratisch grausamen Auflagen fürAsylbewerber zur Wehr setzen. Die Kraftund das Selbstbewusstsein, mit der diejunge Frau sprach, machte deutlich: DerAkt des Protests gegen die Entwürdi-gung ist ein Schritt zur Emanzipation undBefreiung von den traumatischen Erfah-rungen, den keine noch so kluge Metho-de ersetzen kann. Die Dokumentationder Tagung mit Beiträgen von Dr. ArianeBrenssell, Wilma Weiß, Usche Merk, Sabine Lübben und anderen finden Sieunter: www.medico.de/trauma

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Page 39: medico-Rundschreiben 01/2013 - You are the refugees of Europe

m Mai letzten Jahres verwandeltenStaat und Polizei die Stadt Frankfurt

in eine demokratiefreie Zone, um die eu-ropaweite Protestwelle gegen das Spar-diktat der Troika aus Europäischer Zen-tralbank, EU-Kommission und dem Inter-nationalen Währungsfonds zu stoppen.Absperrgitter und Checkpoints dominier-ten das Stadtbild. Es war gerade jenerAusnahmezustand, der Protestierendeaus ganz Europa und die Stadtgesell-schaft der Finanzmetropole zusammen-brachte und in einer der größten undvielfältigsten Demos der letzten Jahremündete.

medico international unterstützt auch indiesem Jahr die Blockupy Aktionstagegegen die Sparpolitik und den Privatisie-rungsdruck, die unter dem Motto „Wider-stand im Herzen des europäischen Kri-

senregimes“ am 31. Mai und 1. Juni2013 in Frankfurt stattfinden. Politischund praktisch. Mit Veranstaltungen u.a.zu den dramatischen gesundheitlichenFolgen der Sparpolitik in Griechenlandund Beispielen von Selbstorganisierung.Sowie mit dem Bereitstellen von Dixie-Toiletten für die Protestierenden des Widerstandscamps. In Ausnahmezeitensind die essentiellen Dinge der größteAusdruck von Solidarität.

Für das Recht, nein zu sagen

medico bei Blockupy 2013

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die strukturellen Ursachen von Krankheitdeutlich. Auch darum ging es: Wie mansie nicht nur benennt, sondern auch inihrer Macht einschränkt. Ein Beispiel lie-ferte Sandra Quintela aus Brasilien, dieder lokalen Bevölkerung in den Ausei-nandersetzungen um die Umweltver-schmutzung des Stahlwerkes TKCSA(u.a. ThyssenKrupp) beisteht. Entschädi-gungen für die Anwohner wird es viel-leicht nicht geben, aber billiges Produzie-ren auf Kosten von Umweltstandardsund der Gesundheit der Bewohnerinnen

und Bewohner wird sogar für den deut-schen Großkonzern teuer. Das Werk istökonomisch ein Desaster; Aufsichtsrats-vorsitzender Cromme war zum Rücktrittgezwungen. Lokale und internationaleÖffentlichkeit hat zu dem skandalösenFall hat ihren Beitrag geleistet.

Ausführliche Informationen und Videodo-kumentation von den medico-Panels beiArmut und Gesundheit finden Sie unter:www.medico.de/armutundgesundheit

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Page 40: medico-Rundschreiben 01/2013 - You are the refugees of Europe

Fluchtursache Reichtum

Migration und Rohstoffhandelin Afrika

(44 S.) Gold, Diamanten,Baumwolle und Fischbestände:In einigen Ländern Westafrikaszeigt sich, dass gerade derReichtum an Rohstoffen dieMigrationsbewegungen inner-halb Afrikas und nach Europahervorruft.

Sie finden hier eine Auswahl der Materi-alien, die medico mit viel Sorgfalt erstelltund zu Informations- und Bildungszwe-cken kostenfrei (mit einigen gekenn-zeichneten Ausnahmen) zur Verfügungstellt.

Sie helfen medico und den Projektpart-nern sehr, wenn Sie zur Weiterverbrei-tung dieser Materialien beitragen!Machen Sie Freunde, Bekannte, Arbeits-kollegen auf das rundschreiben, die

medico-Jahresbericht 2011

(36 S.) Projekte, Netzwerke, Aktionen, Kampagnen: derGesamtüberblick mit Grund-sätzen und Finanzbericht.

Mehr Gerechtigkeit

für Millionäre und Milliarden

Menschen!

Flyer von medico und Attac zurKampagne Umfairteilen, diefordert, Reichtum weltweit zubesteuern und die Einnahmenglobal gerecht zu verteilen.

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Liebe Leserinnen und Leser,

materialliste

medico-Stichworte, die Minenzeitungaufmerksam! Die vollständige Liste un-serer Materialien steht im Internet bereit:

Unter www.medico.de/material findenSie die hier abgebildeten und alleweiteren Publikationen zum Bestellenoder Herunterladen.

Für Nachfragen stehen wir Ihnen

gerne unter Tel. (069) 944 38-0 zur

Verfügung.

Stichwort Gesundheit

(40 S. DIN A5) Das Sonderheftzur Weltgesundheit bleibt nichtbei der Beschreibung der Kata-strophe stehen. medico zeigt Pro-jekte der Abhilfe und beschreibtdas Gesundheits-Netzwerk, indem wir uns global und lokal be-wegen.

Page 41: medico-Rundschreiben 01/2013 - You are the refugees of Europe

bestellcoupon

______ medico-Jahresbericht 2011

______ Mehr Gerechtigkeit...: Flyer

______ medico-Stichwort: Gesundheit

______ Broschüre: Fluchtursache Reichtum

______ Broschüre: stiftung medico international

______ Broschüre zu Testament und Erbschaft

______ medico-Plakate Gesundheit DIN A1

______ medico-Stichwort: Pakistan

______ Plakat WHY? DIN A1

______ Auf Rohstoffraub: Flyer (8 Seiten)

______ Broschüre: Migration und Klimawandel

______ medico rundschreiben 03 | 12

______ medico rundschreiben 04 | 12

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medico international Burgstraße 106 D-60389 Frankfurt am Main

oder faxen an:(069) 43 60 02

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Bank: _______________________________________

Bankleitzahl: _________________________________

Datum: ______________________________________

Unterschrift: __________________________________WHY? Jahr für Jahr sterben Flüchtlingean den Außengrenzen Europas

(DIN A1) Das Plakat können Sie kosten-los bei uns bestellen. Damit es unversehrtbei Ihnen ankommt, verschicken wir es in einer Plakatrolle. Weil dadurch die Ver-sandkosten sehr hoch sind (7,40 €), würden wir uns über eine Spende freuen.Spendenstichwort: Migration.

Wissenswertes zu Testament

und Erbschaft

(24 S.) Wenn Sie medico testamen-tarisch berücksichtigen möchten, bietetdie Broschüre Informationen zu recht-lichen und steuerlichen Fragen inkl.weiterführende Adressen.

Stichwort Pakistan

(16 S. DIN A5) Arbeitsalltag und Bei-spiele der medico-Projektarbeit inPakistan, verbunden mit einer Kurz-vorstellung von medico und seinemKonzept kritischer Nothilfe.

Broschüre stiftung

medico international

(16 S.) Übersicht über Ziele, Satzung,Struktur und steuerliche Aspekte derstiftung medico international.

Anzahl:

Gesundheit ist mehr als die

Abwesenheit von Krankheit

(Plakate, DIN A1)

medico-Plakate für Gesundheitszentren,Arztpraxen oder andere öffentliche wieprivate Orte. Damit sie unversehrt beiIhnen ankommen, verschicken wir sie ineiner Plakatrolle. Weil dadurch die Ver-sandkosten sehr hoch sind (7,40 €),

würden wir uns über eine Spende freuen. Spendenstichwort:

Gesundheit.

Page 42: medico-Rundschreiben 01/2013 - You are the refugees of Europe

Adressänderung:

Bitte geben Sie bei Änderungen Ihrer Adresse auchIhre alte Anschrift und/oder die Spendernummer an.So ermöglichen Sie es uns, Sie zu „finden“, und hel-fen zugleich mit, Verwaltungskosten zu sparen.

Einmalige Spende:

Für Spenden ab 50 € schicken wir Ihnen eine Spen-denbescheinigung zu. Für alle Spenden unter die-sem Betrag empfehlen wir Ihnen, Ihrem Finanzamteine Kopie Ihres Kontoauszugs zusammen mit ei-nem Abriss eines medico-Überweisungsformularseinzureichen. Auf der Rückseite des Abrisses befin-den sich Informationen zum Freistellungsbescheid.Selbstverständlich stellen wir Ihnen auch für Spen-den unter 50 € auf Anfrage eine Spendenbescheini-gung aus. Wenn Sie mehr als einmal im Jahr spen-den, schicken wir Ihnen keine Einzelquittung, son-dern gerne zu Beginn des Folgejahres eine Jahres-spendenbescheinigung zu.

Fördermitgliedschaft:

Die Fördermitgliedschaft bei medico sieht keine Pro-jektbindung vor. Vielmehr unterstützen Sie damit un-sere gesamte Projekt- und unsere unabhängigeÖffentlichkeitsarbeit. Die regelmäßigen Beiträge un-serer Fördermitglieder ermöglichen es uns, langfris-tige und verbindliche Projektkooperationen einzuge-hen, aber auch flexibel zu reagieren, wenn akuteHilfe notwendig ist. Der jährliche Förderbeitrag liegt

Spendeninformation

bei mind. 120 €. Das wäre z.B. der relativ kleine Be-trag von 10 € monatlich. Für Leute mit wenig Geld(Auszubildende, Erwerbslose, Studierende) beträgtder jährliche Förderbeitrag 60 €. Für alle regelmäßi-gen Spenden (Fördermitgliedsbeiträge, Einzugser-mächtigungen und Daueraufträge) schicken wir Ih-nen jeweils im Januar des darauffolgenden Jahreseine Sammelbestätigung zu, auf der alle Spendendes Jahres aufgeführt sind.

Spendenquittungstelefon:

Tel. (069) 944 38-0, Fax: (069) 944 38-15 oderE-Mail: [email protected]

Bankverbindung:

medico international, Spendenkonto 1800, Frank-furter Sparkasse, BLZ 500 502 01

Vielen Dank, dass Sie unsere Arbeit mit einer Spen-de unterstützen! medico international ist gemeinnüt-zig und Ihre Spende ist steuerlich absetzbar.

stiftung medico international:

Wenn Sie, statt einer Spende – die unmittelbar in dieProjektförderung fließt – über eine Einlage in die stif-tung medico international – deren Wirkung auf Dauerangelegt ist – nachdenken, dann senden wir Ihnengerne weitere Informationen.

Sie können sich auch direkt an Gudrun Kortas wenden: Tel. (069) 944 38-28 oder per Email: [email protected]

Herausgeber:medico internationalBurgstraße 106D-60389 Frankfurt am Main

Tel. (069) 944 38-0Fax (069) 43 60 02

E-Mail: [email protected]: www.medico.de

Redaktion: Katja Maurer (verantwortl.),Thomas Gebauer, Martin GlasenappKorrektorat: Marek ArltGestaltung: Andrea Schuldt

Spendenkonto: 1800 Frankfurter Sparkasse BLZ 500 502 01

impressum

42service

Hinweis: Das medico-rundschreiben ist auf 100 % Recyclingpapier gedruckt.

Page 43: medico-Rundschreiben 01/2013 - You are the refugees of Europe

HIGHLIGHTS UNSERER HOMEPAGE:

MALI: Blog von Alessane Dicko, Interview mit Projektkoor-dinatorin Sabine Eckart, aktualisiertes Hintergrund-Dossier| MIGRATION: Flucht und Migration, Broschüre als pdf zumDownloaden | ÄGYPTEN: Interview mit medico-Partner SeifAl-Dawla vom El Nadeem-Rehabilitationszentrum für Ge-waltopfer in Kairo | ZENTRALAMERIKA: Videodokumenta-tion zur Situation von Migrantinnen und Migranten |NAHRUNGSMITTELSPEKULATION: Unterschriftenaktion„Mit Essen spielt man nicht“ | HAITI: Interview mit medico-Partner Pierre Esperance | SYRIEN: Debatte zum Aufruf„Freiheit braucht Beistand“ ….

Regelmäßige Informationen über die Aktualisierungen aufder Webseite erfahren Sie über den medico-Newsletter.

Lesen Sie weiter. Informieren Sie sich.

www.medico.de*

EINE ANDERE WELT BRAUCHT EINE ANDERE ÖFFENTLICHKEIT

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medico international

Page 44: medico-Rundschreiben 01/2013 - You are the refugees of Europe

medico international

Die Malosmadulu Atolle, aufgenommen ausdem Weltall. Die untergehenden Malediven:unser Atlantis des 21. Jahrhunderts. Foto:NASA/GSFC/METI/Japan Space Systems

Auch wenn westliche und vorwiegend US-amerikanischeKlimawandelleugner ver-suchen, die Fakten zu relativie-ren, ist es unbezweifelbar,dass Gletscher und Eismassenschneller schmelzen als derWeltklimarat 2007 voraus-gesagt hatte. Die kommende,durch den Klimawandel aus-gelöste Migration könnte sichals historisch bislang einzigar-tiges Phänomen herausstellen– sowohl in ihrer Quantität alsauch ihrer Form.

NEU: Migration und Klimawandel„Auf der Flucht vor dem Klima“ – Vorschläge für eineverantwortungsvolle Debatte / Hrsg: Amnesty Interna-tional, Brot für die Welt, Deutsche Gesellschaft für dieVereinten Nationen, Germanwatch, medico interna-tional, Oxfam Deutschland / 74 Seiten,. DIN A5 (vier-farbig), kostenlos. Bei medico international.