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Medikamentenmissbrauch und Doping Nur ein Problem im Leistungssport? Prof. Dr. Gerhard Treutlein Nürnberg, 25.5.2014

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Medikamentenmissbrauch und Doping

Nur ein Problem im Leistungssport?

Prof. Dr. Gerhard Treutlein

Nürnberg, 25.5.2014

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Versuchungssituationen

• Junge: Waschbrettbauch – Schwimmbadsaison -> Anabolika• Mädchen/Frau – Brustgröße -> ästhetische Chirurgie• Orchestermusiker – Nervosität vor Aufführungen ->

Betablocker• Manager usw. – Ausarbeitung von Vorlagen unter Zeitdruck ->

Ritalin, Captagon (morgens Stimulanzien, abends Sedativa)• Medizinstudenten in Examenszeiten –> Stimulanzien

(Captagon in den 60ern)• Spitzensportler im Hinblick auf einen wichtigen

Wettkampf – mein Körper gehört mir …• Rad- und andere Profis - Angst vor ausbleibender

Vertragsverlängerung -> ???• Endlauf/Endkampf bei Olympischen Spielen -> ???

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Gemeinsamkeiten – UnterschiedeLeistungssport – Breitensport - Alltag

• Gemeinsamkeiten: Es existieren Regeln und Gesetze

• Unterschied: Die Dopingregeln gelten nur im Leistungssport

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Grauzone

Zwischen dem,

was verboten ist (Dopingregeln)

und dem,

was gesund, erlaubt (Gesetze) und sinnvoll ist,

gibt es eine Grauzone,

in der „Dopingmentalität“ wirksam ist.

Die Grauzone liegt vor dem eigentlichen Doping: Ausnutzen (noch) nicht verbotener Mitteln (Vitamine, Nahrungsergänzungsmittel, Eiweißkonzentrate, Sportlergetränke, Schmerzmittel).

Vermeintliche Wirkungen sind bekannt, unerwünschte Nebenwirkungen selten.

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Angaben bei einer Dopingkontrolle

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Spitzenreiterinnen

• Birgit Dressel (gestorben 10.5.1987):

• Konsumierte im Verlauf des Jahres vor ihrem Tod über 100 verschiedene Mittel, auch Anabolika

• Ilka Wyluda (Olympiasiegerin 1996 im Diskuswerfen):

• Gab bei den Europameister-schaften 1998 für die 48 Stunden vor dem Wettkampf 63 Mittel an.

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Wirkungen und Nebenwirkungen von Vitaminen/NEM

Wirkungen Potentielle Nebenwirkungen

Vitamin C Stärkt das Immunsystem Herzschädigung, Nierensteine

Eisen Gegen Müdigkeit und Erschöpfung

Leber- und Herzschäden

Zink Stärkt das Immunsystem begünstigt Bakterien und Pilze im Körper

Kreatin Steigert Maximal- und Schnellkraft, Schnelligkeitsausdauer

Muskelverletzungen

Vitamin E, Selen Prostatakrebsrisiko, aggressive Formen von Tumoren

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Grenzziehung zwischen Missbrauch und Doping

Medikamenten- und NEM-Missbrauch können genau so negative Folgen nach sich ziehen wie Doping.

Die Grenzziehung ist schwer möglich, für Prävention auch nicht nötig sondern eher schädlich:

Doping, Medikamentenmissbrauch, Vitaminkonsum, NEM-Konsum – alle können schwerwiegende Nebenwirkungen nach sich

ziehen!

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Beispiel für Stellungnahmen/Resolutionen

Wissenschaftlich-medizinischer Beirat des DSB (14.10.2005) zu Nahrungsergänzungsmitteln:

„Der Beirat gibt zu bedenken, dass seitens der Sportmedizin seit Jahren ein vernünftiger Umgang ein vernünftiger Umgang mit Nahrungsergänzungsmitteln angemahnt wird, weil solche nur in bestimmten Situationen und bei gezielter Indikation erforderlich sind. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass die regelmäßige Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln den Glauben an die Machbarkeit von sportlichen Leistungen durch Präparate jedweder Art und damit zu einer Zunahme der Dopingmentalität beitragen kann. Schließlich ist ein mögliches Risiko kontaminierter Produkte, falls nicht jede Charge kontrolliert wird, nicht auszuschließen.“

Weitere Hinweise zu NEM: www.koelnerliste.com

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Ausnahmefälle

• Wenn bei einem Menschen bestimmte Defizite durch eine medizinische Untersuchung nahgewiesen sind,

• Wenn jemand krank ist,• Eventuell: Wenn ein mehrstündiger Wettkampf

absolviert wird.

Sind etwa Alltag, Training oder Wettkämpfe von kurzer Dauer Ausnahmefälle? Besonders

gesundheitsbewusste Menschen tappen in die Falle, alle Belastungen als Ausnahmefälle

anzusehen.

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Fazit

Wer ist ein Doper? Nur der positiv Kontrollierte?• Der Mensch ist schon immer auf der Suche nach

Verbesserung und Erleichterung.• Drogen waren früher nur knapp verfügbar,

Verwendung meist innerhalb von Ritualen• Heute: Viele Möglichkeiten, großer

Leistungsdruck, Spitzensport oft Vorreiter• 80er Jahre: „Ein bisschen Testo geht noch“

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Folgen von Industrialisierung/Moderne

• Das Thema Ermüdung: Rückt Ende des 19. Jahrhunderts in den Blickpunkt der Arbeitsmedizin und des Interesses der Verbesserung menschlicher Arbeitsleistung.

• Zum Menschenbild der durch Industrialisierung geprägten Moderne gehört das Bild des Körpers als Maschine (Rabinbach 1998).

• Der Leistungsdiskurs: Entwickelt sich parallel zum Prozess der Industrialisierung (Leistungsgesellschaft).

• Entwicklung des Leistungssports: Verläuft parallel.

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Alltagsdoping: Trend zu psychoaktiven Substanzen

• Trend zu Lifestyle- und Fitnessdrogen• Psychoaktive Drogen zur Bewältigung der Arbeit und

zum Ertragen des Lebens• Zigaretten, um klarer denken zu können. • Alkohol, um Schwellen überwinden zu können. • Medikamente zur Stressbewältigung in der Schule. • Kopfschmerztabletten, weil wir uns gerade ein wenig

unwohl fühlen. • Stimulanzien, um den Hunger zu unterdrücken und so

abzunehmen. • Nahrungsergänzungsmittel, um vermeintliche

Ernährungsmängel auszugleichen

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Vorbild-/Vorreiterrolle des Spitzensports

• Anabolika: Von der Spitze in die Breite• Beispiel Ben Johnson 1988• Typisch für den Leistungssport: Verdrängen von

Schmerz/ Krankheiten -> Schmerzmittel, zu früher Wiedereinstieg = Fixierung auf kurzfristige Ziele = Risikosteigerung

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Definitionen• Doping: Verstöße gegen auf der WADA-Verbotsliste

gelistete Mittel und Methoden. Dopingprävention: Maßnahmen zur Vorbeugung und Vermeidung von Regelverstößen

• Medikamentenmissbrauch: Verwendung von Medikamenten ohne ärztliche Anordnung

• Substitution: Ersetzen von durch den Körper verbrauchte Substanzen

• Dopingmentalität: Entwickeln von Pillengläubigkeit von klein auf („ohne Pille keine Leistung“), Einsatz zur Leistungssteigerung. Dopingprävention: Komplexe, kontinuierliche Maßnahmen zur Vorbeugung von Regelverstößen und der Entwicklung von Dopingmentalität.

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Doping und Dopingmentalität

Doping im engeren

Sinn:

gelistete Mittel und Methoden

Doping im weiteren

Sinn:

Mittel, die gezielt zur

Leistungssteigerung

eingenommen werden:

Dopingmentalität

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Prävention

• Die Beschäftigung mit der Entwicklung von Dopingmentalität („gezielte Einnahme von erlaubten und /oder verbotenen Mitteln zur Leistungssteigerung“) ist wichtiger als Verbote.

Rolle von Umfeld und Werbung

Beeinflussung der Entwicklung durch Elternhaus, Verein und Landesebene = am wichtigsten.

Das Problembewusstsein zur Bedeutung der Entwicklung von Dopingmentalität ist absolut unterentwickelt.

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Cocktails à la carte

• Militär/Polizei: Anabolika, Modafinil, LSD etc., alles was im Kampf Vorteile verspricht

• künstlerisches Schaffen: Hilfe bei der Suche von bestimmten Sensationen (wird von vielen Künstlern, Autoren als sehr positiv beschrieben …)

• Leistungssport: Basis früher reine Empirie, Mund-zu-Mund-Propaganda, später wissenschaftliche Unterstützung

• usw.

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Gründe für Medikamentenmissbrauch und Doping im Sport

U.a. • Unzufriedenheit mit den natürlichen Grenzen• Niederlagen vermeiden• Erfolgserwartungen von Umfeld und Verband• Vertragsverlängerung (Kaderzugehörigkeit,

Profiteam usw. - Selektionsdruck)• Finanzielle Erwartungen (Gier)• zu große Wettkampfhäufigkeit• zeitlich begrenzte Sportlerkarriere

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Ziele von Doping undNeuro-Enhancement

Versuche von Einzelpersonen, sich überfordernde Sozialstrukturen anzupassen

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Entwicklung von Dopingmentalität

• Ab der frühesten Kindheit (durch die Gabe von Vitaminen, Nahrungsergänzungsmitteln)

• Vorbildwirkung (Eltern, peer-group, ältere Athleten)

• Einflüsterungen („ohne … schaffst Du es nicht“), Werbung

• Falsche verstandene Hilfsbreitschaft von Ärzten etc. (Kreatin, Eisen usw.)

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Entstehung von Dopingmentalität

Psychologische Wirkung von Pillen: 1. Schritt: Wenn Du dich anstrengst, bekommst Du eine

Belohnung (Süßigkeit, Taschengeld, Pille …) 2. Schritt: Wenn Du die Pille nimmst, bist Du

anstrengungs-/konzentrationsfähiger und erfolgreicher. Subjektive Theorie: Immer wenn ich Pillen nehme,

dann klappt es beim Verfolgen angestrebter Ziele.Ziele: Optimierte Kinder und JugendlicheSubjektive Theorie: Wenn ich etwas erreichen oder vermeiden will, muss ich etwas zusätzlich machen, mich anstrengen allein reicht nicht aus.

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Folgen

• Frühe Pilleneinnahme fördert die Entstehung/Entwicklung von Dopingmentalität.

• Sie verleitet den Organismus zu Bequemlichkeit, da bestimm-te Stoffe, die der Körper selbst herstellen könnte, von außen zugeführt werden.

• Sie führt dazu, dass selbst bei optimaler Ernährung bestimmte Bestandteile der Nahrung nicht mehr verwertet werden.

• Das Risiko, dass in späteren Jahren viele Substanzen genommen werden, ist fünfmal so hoch, wenn Mittel schon im Aller von sechs bis 12 Jahren gegeben werden. Laure (2000):

Im optimalen Fall wird dabei nur teurer Urin produziert, im negativen Fall kommt es zu erheblichen Nebenwirkungen.

Vorsicht vor Werbeversprechen und massiver Werbung sowie vor Hörensagen!!!

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Trends• Psychoaktive Drogen zur Bewältigung der Arbeit und

zum Ertragen des Lebens statt Änderung der Bedingungen

• Sicht des Menschen als Mängelwesen → Substanzen ab dem Kleinkindalter

• Frühe Erfahrungen mit Schmerz-, Schlaf-, Aufputschmitteln → steigende Bereitschaft zur Verwendung illegaler Drogen

• Vitamintabletten statt einer gesunden Ernährung• Medikamente gegen Stress statt Entspannung z.B.

durch Bewegung, Spiel und Sport• Vorbeugend Verwendung von Schmerzmitteln statt

Erkennen der Funktion von Schmerz• Trend zu Mitteln für Körpermanipulation

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Die Dopingspirale: Endlose Steigerung durch Manipulation?

• Das „Quantitätsgesetz des Dopings“: Für immer geringere Leistungsverbesserungen sind immer stärkere Dosiserhöhungen nötig.

• „Jährliche Anstiege von Gesamtdosierung (um 10 bis 20 %) und Trainingsbelastung sind die Voraussetzung für bessere Wettkampfleistung“ (Riedel 1986, zit. nach Berendonk 1992, S. 179).

• Und: Wenn etwas Neues gefunden wird, wird es auch eingesetzt.

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Strategien zur Leistungssteigerung

Konditionierung durch Lernen und Training

Beeinflussung durch Nahrungsbestandteile

Beeinflussung durch pharmakologische Substanzen

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Häufigkeit des Dopings bei deutschen Kader-athleten (Zahlen gerundet, Pitsch et al. 2005)

Deutsche Kaderathleten Intervallgrenzen der dopenden

Kaderathleten

Kaderathleten insgesamt 25 – 48 %

Kaderathleten aus cgs-

Sportarten

38 – 63 %

Kaderathleten aus Sportspielen 15 – 44 %

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Wer trägt Verantwortung?

• „Selbstreinigungskräfte des Sports“?• Subsidiarität (Staat entzieht sich der

Verantwortung)?• Eltern?• Verein?• Landesverband?• Fachverband?• DOSB?• Internationaler Verband/IOC/WADA?

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Marathonzeiten schneller als 2:10

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1979 1981 1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999

unter 2:10Kenianer unter 2:10

Risiken der EPO -Anwendung werden medizinisch beherrschbar. Der Ausdauersport nutzt dieses W issen; die Leistungen steigen.

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1961 1965 1969 1973 1977 1981 1985 1989 1993 1997

Schwimmen - 100m Kraul Frauen

Pro

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t

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1954 1958 1962 1966 1970 1974 1978 1982 1986 1990 1994 1998

Leichtathletik - Kugelstoßen Frauen

Proz

ent

BRD DDR

FRA WELT

(SINGLER/TREUTLEIN 2006, S. 37 & S. 115)

mit Trainingskontrollen

international ohne Trainingskontrollen

Unangekündigte Trainingskontrollen bedeuten Leistungsrückgang/-stagnation ( 1989):

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nach SINGLER/TREUTLEIN 2010, S. 59

Wer sehen will kann sehen: Körperliche Veränderungen in kurzer Zeit

vorher nachher

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Problembewusstsein

• Warum sollen sich Verantwortliche für den Breitensport mit Entwicklungen im Spitzensport beschäftigen?

• Von der Spitze in die Breite (Entwicklungen im Spitzensport früher, deutlicher, intensiver)

• Vom Männer- in den Frauenbereich• Vom Erwachsenen- in den Jugendbereich• Vom Sport in die Gesellschaft (Enhancement)

Ohne Forschung und Prävention kein Bremsen von Entwicklungen

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Probleme für die Dopingbekämpfung

Sport ist ein Kameradenland • Kameraden tut man nicht weh oder bringt sie nicht in

Schwierigkeiten, selbst wenn etwas völlig Verkehrtes gemacht wird!?!?

Liebe macht blind!• Liebe zur eigenen Sportart (Nestbeschmutzer…)• Liebe zu einem Sportler (Rettet unsere Idole …)• Behandlung von Dopingfällen als Einzelfälle (aber das

System ist sauber …)

Pflicht zur Regeleinhaltung???

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Abwehrhaltungen

• Warum Beispiele aus meiner Sportart, andere sind doch schlimmer oder genauso schlimm? (Film „Entscheide selbst“, Fälle aus dem Radsport)

• Ich interessiere mich für das Thema, das Problem gibt es aber in meiner Sportart /auf diesem Leistungsniveau nicht.

• Wenn ich mich mit dem Thema beschäftige, sieht es so aus, als ob wir in meiner Sportart/auf diesem Leistungsniveau das Problem hätten.

• Ich komme nur, weil einer in meinem Verband benannt werden muss.

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15- 18-jährige Kaderathleten (n = 480)

Ergebnis

Doping 6,8%

Verbotene Drogen 4,5 – 13,1 %

Größenordnung des Problems (Leistungssport)

Doping und Drogenmissbrauch bei jugendlichen Kaderangehörigen (Striegel, Ulrich und Simon 2009)

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Größenordnung des Problems

• Pitsch/Maats/Emrich 2008: Anonyme Befragung von Spitzenathleten -> zwischen 25 und 48% haben im Verlauf ihrer Karriere mindestens einmal gedopt.

• Analyseergebnisse von Dopinglabors: Meist um 1% „positiver“ Fälle, die Zahl von Dopingkontrollen sagt nichts aus.

• Nach Pitsch/Maats/Emrich und einer englischen Studie sind Athleten auf dem Weg zur Spitze stärker in Versuchung, Hauptanreiz: Verletzung

• „Doping“ von Studierenden (Schweiz 2013, repräsentative Untersuchung): Jeder 7. Schweizer Student hat schon einmal versucht, seine Leistung mit verschreibungspflichtigen Medikamenten oder Drogen zu verbessern. Spitzenreiter: Architektur, Journalismus, Chemie. Am wenigsten Mathematik (8,5%), Sport (7,0%)

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Beispiele für betroffene Gruppen

• Mitglieder großer Orchester in den USA: ca. 27% nehmen Beta-Blocker,

19% täglich. Jeder fünfte Musiker hat ein Alkoholproblem,

Medikamentenmissbrauch (Welt Online, 31.12.2007). • Wachstumshormon für Kinder, für ein paar Zentimeter mehr• Studenten: Antidepressiva, Stimulanzien (z.B. Captagon)• Schauspieler, Artisten, Polizei, Militär (Anabolika)

• Bis zu 25% der Studierenden amerikanischer Colleges: gelegentlich

Medikamente zur Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit

• Körpermanipulation (Schönheitschirurgie, Fitnessstudios, Tattoos, Piercing

etc.)

• Bonn-Marathon, Breitensport Triathlon, Swiss Alpine Marathon

Kultur des Manipulierens und Schmerzfrei –MachensDer Spitzensport als Vorreiter?

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Boos- und Striegel-Studie

• Je länger und häufiger trainiert wird, desto wahrscheinlicher sind Medikamentenmissbrauch und Doping.

• Eine besondere Verführung stellt der Aufbau von Muskelmasse dar.• Anabole Steroide sind die am häufigsten verwendeten Mittel, aber

auch Stimulantien, Wachstumshormon, Diuretika.• Männer sind wesentlich häufiger beteiligt als Frauen.• Fitnessstudios bringen zunehmend Verführungssituationen für

Jugendliche.• Ca. 20% der männlichen und ca. 8% der weiblichen

Fitnessstudionutzer konsumieren anabole Steroide.• Anabolikanutzer nehmen 26x häufiger Kokain als Nichtnutzer

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Sportprinzip versus Turnerprinzip

• Sportprinzip

= grenzenlose Steigerungslogik (Leistungsniveau, Trainings-umfänge, - intensität usw.)

Citius, altius, fortius,

(Schneller, Höher, Stärker)

der Zweite ist der erste Verlierer!

• Problem der Gier!

• Turnerprinzip, Arbeitersportbewegung (Bundesjugendspiele!)

= alle auf ein möglichst gutes und gesundes Leistungsniveau bringen

-> Teilnehmen ist wichtig!

• Entspricht nicht der heutigen Leistungsgesellschaft

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Entwicklung von Sportarten

• Erst offenes Suchen nach Möglichkeiten (Beispiel Windsurfen)

• Entwicklung einer Methodik• Durchführung von Wettkämpfen -> Regeln• Später werden Lernende nur noch mit dem

Produkt (Methodik, Regeln, Leistungsziele) konfrontiert

• Bei Wettkämpfen nach dem Sportprinzip zunehmende Versuchung zu Medikamentenmissbrauch und Doping

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Repression - Prävention Repression• Wirkt (spät) nur auf einen

stark begrenzten Personenkreis.

• Kontrollsystem erfordert den gläsernen Athleten.

• Analysen sind teuer• Misstrauen gegenüber

sauberen Sportlern• Hat viele Jahre

unzureichende Ergebnisse gebracht

Kurzfristige Erfolge

Prävention• Setzt (früh) an (Kindheit,

Jugend), hat viele Adressaten.

• Erfordert viel Engagement, vor allem Vorbildwirkung.

• Kann leicht in die Sporterziehung integriert werden.

• Schafft „Wir-Gefühl“ im Team.

• Verbessert die Trainer-Athlet-Beziehung durch Vertrauensbildung

Chance der Nachhaltigkeit

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Definitionen

• Verhaltensprävention: Setzt am Sportler an (informieren, reflektieren, argumentieren, entscheiden, Verantwortung für das Handeln übernehmen)

• Verhältnisprävention: Setzt an den Strukturen an (z.B. Erschweren des Zugangs zu verbotenen Mitteln, eindeutige Antidoping-Haltung von Funktionären und Trainern)

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Kernaussagen zur Prävention von Medikamentenmissbrauch und Doping

Leistungssport und Erfolg - ja,zwanghafte Erfolgs- und Aussehensfixierung - nein

Krankheiten respektieren(Weisheit des Körpers: Er weiß, wann er eine Auszeit braucht)

Siegen und Verlieren können Reflexions- und Entscheidungsfähigkeit fördern Anerkennung, Sicherheit, Gefühl der Zugehörigkeit

nicht nur bei Erfolgen vermitteln!

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Moderne Dopingprävention (Heidelberger Ansatz)

• Information und Aufklärung = ist noch keine Dopingprävention.

• Reflektieren, Argumentieren, Beschäftigung mit Musterfällen (-> Erarbeiten von Handlungsmöglichkeiten)

• Kriterien für verantwortungsvolles Entscheiden• Möglichst interaktive Vorgehensweise• Informationen zur leistungsfördernden Bedeutung von

gesunder Lebensführung, gesunder Ernährung, Schlaf, mentaler Stärke.

Verhaltens- und Verhältnisprävention!

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1. Ebene:Athlet/ Athletin

1. Ebene:Athlet/ Athletin

2. Ebene:Verein/Umfeld

2. Ebene:Verein/Umfeld

3. Ebene:Sportverbände

3. Ebene:Sportverbände

4. Ebene:Staat/Gesellschaft

4. Ebene:Staat/Gesellschaft

5. Ebene:Internationale Gemeinschaft

5. Ebene:Internationale Gemeinschaft

Verhaltensprävention

Verhältnisprävention

Mehrebenenmodell

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Singler 2011

Was kann man aus der Dopinggeschichte für die beginnendeDiskussion um Neuroenhancement/Gehirndoping lernen bzw. ableiten?

• Arzneimittel sind für Kranke da (Abwägen zwischen Wirkungen und Nebenwirkungen), nicht aber für Gesunde

• Neues Mittel -> Behauptung: ist wirksam und unschädlich• Wirkungen werden überschätzt, Nebenwirkungen unterschätzt• Tendenz zur Überdosierung verschärft die Gefahr der

Nebenwirkungen• Nach einiger Zeit: Hinweise auf Schädlichkeit, Suche nach

neuen Mitteln

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Botschaft

• Aucune médaille ne vaut la santé d‘un enfant (J. Personne) – die Gesundheit von Kindern darf nicht

für Medaillen geopfert werden!

• Medikamentenmissbrauch und Doping – ein Problem von Sport und Alltag!

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Ich danke für Ihr Interesse und für Ihre

Aufmerksamkeit!