4
B 12 Mehr Kraft als gewöhnlich Top of the Range heißt bei Volvo 9900. Das Flaggschiff mit Theaterbestuhlung wird jetzt von einem 13-Liter-Sechs- zylinder befeuert, der für unge- wöhnliche Dynamik sorgt. Fahrbericht_Volvo 9900 LHD 6x2 Gediegener Auftritt mit klaren Linien – die ansteigende Fensterlinie wird mit einer Chromleiste unterstrichen. Bus-Fahrt 01/2012 - Stünings Medien GmbH, Krefeld - www.busfahrt.com

Mehr Kraft als gewöhnlich - BUS-Fahrt · 2013. 11. 19. · Automatisiertes 12-Ganggetriebe Volvo i-Shift AT 2412C, Übersetzungen von i = 14,9 –1,00, Power- und Economy-Schaltprogramm,

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

  • B 12

    Mehr Kraft als gewöhnlich

    Top of the Range heißt bei Volvo 9900. Das Flaggschiff mit Theaterbestuhlung wird jetzt von einem 13-Liter-Sechs-zylinder befeuert, der für unge-wöhnliche Dynamik sorgt.

    Fahrbericht_Volvo 9900 LHD 6x2

    Gediegener Auftritt mit klaren Linien

    – die ansteigende Fensterlinie wird mit

    einer Chromleiste unterstrichen.

    Bus-Fahrt 01/2012 - Stünings Medien GmbH, Krefeld - www.busfahrt.com

  • B 13

    Der plakative Auftritt ist nicht seine Stärke. Wieder guckt keiner, wenn unser Volvo 9900 in den Münchner Busbahnhof rollt. Auch nicht die Fah-

    rer, die sich sonst gerne die Hälse verdrehen, wenn ein hochpreisiger Hochdecker seine Vorstellung gibt. Aber gut, der aktuelle Volvo gab seinen Einstand bereits vor mehr als fünf Jahren. Und sein Entwurf galt in der Branche eher als zurückhaltend denn mutig. Wobei die Keilform der Fensterlinie nach außen die innen ansteigende Theaterbestuhlung kom-muniziert. Eine neue Chromblende, die den Aufwärtsschwung markiert, macht das neue Baujahr kenntlich. Die Klimaanlage wird seit-lich eingefasst, die Hecklichter bekommen LED-Lichter, und das Markenemblem wird mit Karbon-Optik hinterlegt – man muss es schon wissen, um die neuen Volvos auch als solche zu erkennen.

    Der Volvo trägt eben seinen Pelz nach in-nen – der Fortschritt sitzt unter seinem Blech-kleid. Das immer noch aus rostfreiem Edel-stahl gefertigt wird und nicht rostet. Fip und Fups – wie Comic-Figuren klingen die Kürzel der Sicherheitssysteme, die den Fahrer des schweren Dreiachsers im Kollisionsfall von vorn schützen. Ein solider Frontaufprallschutz (FIP) verteilt die Aufprallkräfte auf die gesam-te Fahrzeugstruktur verteilt. Und versteckt hinter der Reserveradklappe sitzt der Front-unterfahrschutz, der das Überrollen von PKW verhindert. Nur wenige Wettbewerber haben vergleichbare Konstruktionen – Sicherheit ist und bleibt eine Domäne der Schweden. Aber von Leichtbau kann keine Rede sein. Fahrwerk und Motor liefert das Volvo-Chassis B13R, ein 600-Liter-Kraftstofftank sorgt für große Reich-weite. Und der Fahrer kommt im 9900 noch in den Genuss eines eigenen Einstiegs, der noch ein paar Kilo extra draufschlägt.

    Mächtiger SchubDas beste Stück sitzt hinten unter der großen Klappe. Statt eines liegenden 12-Liter-Motors steht jetzt ein Reihensechszylinder im Heck, der Hubraum wuchs auf stattliche 12,8 Liter an. Das Datenblatt weist nach wie vor 460 PS

    aus, wo liegt der Fortschritt? Das Aggregat mit Euro-5-Reinheitszertifikat stemmt deut-lich mehr Drehmoment auf die Kurbelwelle, nicht nur mehr, sondern auch früher. 2.300 Nm gibt’s bei Bedarf von 1.050 bis 1.400 Tou-ren, dann schiebt der Motor den Dreiachser mit der vollen Wucht seiner 460 PS über die Bahn.

    Aber Papier ist geduldig, erst auf der Stra-ße zeigt sich die ganze Wahrheit. Das Volvo-Flaggschiff legt seine Zurückhaltung ab und beschleunigt sportlich, fulminant, fast unge-stüm, wenn es der Fahrer darauf anlegt. Der Getrieberechner vertraut auf die Reserven des Motors und setzt fürs Anfahren auf den fünf-ten Gang. Dann geht die Post ab, das automa-tisierte Getriebe überspringt gekonnt einige Gänge bis zum Zwölften – der Vorwärtsdrang reißt nicht ab. Die Volvo-Techniker unterstüt-

    Prettenthaler_185x32_12.indd 1 21.12.11 09:41

    Die verglasten Notausstiege bringen zusätzlich Licht ins Innere. Die Zusatz-heizung für den Fahrer macht harte Winter erträglich.

    Praktisches Cockpit ohne Design- Ambitionen: Volvo-Novizen finden sich schnell zurecht. Volvo-Reisebusse werden ausschließlich mit automatisiertem I-Shift-Getriebe bestückt.

    Bus-Fahrt 01/2012 - Stünings Medien GmbH, Krefeld - www.busfahrt.com

  • B 14

    Fahrbericht_Volvo 9900 LHD 6x2

    Technische DatenVolvo 9900 LHD

    MotorWassergekühlter Reihensechszylinder Volvo D13C, stehend im Heck, mit Turboaufladung und Ladeluftkühlung, elektronisch gesteuerte Direkteinspritzung mit Pumpe-Düse-Elemen-ten, vier Ventile pro Zylinder, abgasarm nach Euro 5 mit SCR-Kat.

    Hubraum:Hubraum: 12.800 cm³ Nennleistung: 338 kW/460 PS bei 1.450–1.900 U/min Maximales Drehmoment: 2.300 Nm bei 1.050–1.400 U/min

    Kraftübertragung:Automatisiertes 12-Ganggetriebe Volvo i-Shift AT 2412C, Übersetzungen von i = 14,9 –1,00, Power- und Economy-Schaltprogramm, ein-fach untersetzte Hinterachse i = 2,85

    Fahrwerk:ECS-Luftfederanlage mit elektronisch geregel-ter Fahrwerkregulierung; vorne Volvo-Einzel-radaufhängung mit Doppelquerlenkern und 2

    Luftbälgen, 2 Stoßdämpfern und Stabilisator; hinten starre Hypoidachse an Längslenkern und aufgelöstem Dreiecklenker, 4 Luftbälge, 4 Stoßdämpfer, Stabilisator; starre Nach-laufachse hydraulisch gelenkt, 2 Luftbälge, 2 Stoßdämpfer, Anfahrhilfe durch Entlüften der Luftbälge; Reifen 315/80 R 22,5.

    BremsanlageElektronisch geregelte Zweikreis-Druckluft-bremsanlage (EBS) mit Bremsassistent, an allen Achsen innenbelüftete Scheibenbrem-sen, Dauerbremse Volvo/Voith-Retarder, VEB+-Motorbremse, serienmäßig mit ESP, ABS und abschaltbarem ASR.

    LenkungHydraulische ZF-Lenkung Typ Servocom 8098 mit variabler Übersetzung, Lenksäulenverstel-lung in Höhe und Neigung.

    Maße und GewichteLänge/Breite/Höhe: 13.000/2.550/3.730 mmRadstand: 5.960/1.400 mmVorderer/hinterer Überhang: 2.850/2.780 mmWendekreis: 22.000 mmKofferraumvolumen: 8,9 m³Leergewicht lt. Hersteller: ca. 16.060 kgZul. Gesamtgewicht: 24.750 kgFahrgastkapazität: Sitzplätze (4*) 48 + 1 + 1

    zen die ungewöhnliche Dynamik mit einer kurzen Achse, der Sechszylinder kurbelt bei Tempo 100 im größten Gang mit gut 1.400 Umdrehungen. Auf der Landstraße fährt man im zwölften Gang, ohne von Pendelschaltun-gen geplagt zu werden. Dennoch würden wir zur längeren Übersetzung raten, die der Her-steller optional vorhält. Weil sie der kräftige Motor locker verkraftet und ein paar Zehntel-liter Diesel sparen könnte, weil mit niedrige-ren Drehzahlen auch das Geräuschniveau im

    Innenraum sinkt. Denn die Fahrgäste im Heck werden nicht verwöhnt, wenn der Sechszylin-der von seiner Hochdruck-Einspritzung gefüt-tert wird.

    Für eine längere Übersetzung sprechen auch die 12 Gänge des automatisierten I-Shift-Getriebes, die dem Dampfhammer im Heck zur Seite stehen. Das Volvo-Getriebe schaltet blitzschnell und komfortabel, verschaltet sich nicht, ist eine Klasse für sich. 2009 empfahl es sich in einem harten Vergleichstest als das beste automatisierte Reisebusgetriebe Euro-pas (siehe Busfahrt 12/2009) – dem ist auch heute nichts hinzuzufügen.

    Konsequent komfortabelUngeteilten Beifall findet auch das Fahrwerk, das sich ganz auf die komfortable Seite schlägt. Ob lange Bodenwellen oder fiese Querschlä-ger, nichts kann das Volvo-Fahrwerk aus der Ruhe bringen. Der 9900 rollt mit dem Habitus einer schweren Limousine, der Hektik einfach fremd ist. Das mag an der Einzelradführung der Vorderachse liegen, an die haben die Vol-vo-Techniker noch Hand angelegt. Auch die beiden Hinterachsen rollen sanft ab. Obwohl der Dreiachser auf 315/80er-Format rollt, dem man nicht gerade den besten Abrollkomfort nachsagt. Die hohe Komfortnote wird nicht mit Nachlässigkeiten in der Straßenlage er-kauft. Der Volvo 9900 spurt sauber geradeaus und folgt präzise, wenn es die leichtgängige Lenkung verlangt. Schnelle Kurven werden untersteuernd mit etwas Seitenneigung ge-nommen, sportliche Fahrer werden so schon früh zur Räson gerufen. Bei Übertreibung oder im Grenzfall greift das serienmäßige ESP-System korrigierend ein. Nur in engen Passkehren oder winkeligen Innenstädten wird klar, dass der 13 Meter lange Volvo nicht zu den wendigsten Fahrzeugen seiner Klasse zählt. Der sonst untadeligen Vorderachse feh-len ein paar Grad Einschlagwinkel, die auch die mitlenkende Nachlaufachse nicht ausglei-chen kann.

    Für den Volvo-Fahrer bleibt vieles wie gehabt. Schön, dass sich die Designer am bisherigen Cockpit nicht verkünsteln. Alle Bedienelemente sind schnell erfasst, die großen, selbsterklärenden Schalter finden auf Anhieb Sympathie. Ganz standesgemäß dreht der 9900-Fahrer an einem belederten Lenkrad, das wenige Funktionstasten besitzt. Knapp bemessen sind nur die Sitzschienen, groß gewachsene Fahrer monieren es gleich. Begründet ist es mit der Fahrertür des 9900 und den wohlmeinenden Konstrukteuren, die dem Fahrer noch einem eigenen Heizkörper

    Gut zugänglicher Kofferraum – 8,9 m³ sind nicht rekordverdächtig.

    Sichere Verhältnisse auch im Bug – FIP und FUPS schützen das Volvo-Fahrper-sonal im Kollisionsfall.

    Bus-Fahrt 01/2012 - Stünings Medien GmbH, Krefeld - www.busfahrt.com

  • B 15

    Mit oder ohne Retarder?Ein Bus ohne Retarder ist heute undenkbar. Meint man jedenfalls, aber mit dem Erstar-ken neuer Motorbremsen werden die Karten neu gemischt. Meist geht es nur um den Preis: 3.000 Euro spart der Kunde, wenn er seinen Volvo ohne Retarder bestellt. Vielleicht auch etwas Kraftstoff, die durch Spülverluste des Retarders verursacht werden. Wer einen Zwei-achser fährt, liebäugelt mit dem Nutzlastge-winn von rund 200 kg, wenn er sich den Retar-der schenkt.Wir machen in einem 9700 die Probe aufs Ex-empel. Wie fährt sich der hochmotorisierte Dreiachser, wenn er ohne Retarder über die Tes-trunde muss? Anstelle des Retarders verzögert

    die VEB+-Motorbremse, die den D13C-Sechszy-linder zu 375 kW Bremsleistung befähigt. Volvo verstärkt das herkömmliche Auspuffklappen-konzept mit einer Dekompressionsbremse. Der Lenkstockhebel für die Dauerbremse hat hier nur vier Stufen, in der dritten arbeiten Auspuff-klappe und Dekompressionsbremse synchron. Die letzte Stufe animiert den Getrieberechner zum Runterschalten, um mit höheren Dreh-zahlen die Bremskraft zu erhöhen. Die Verzö-gerung ist heftig, sie reicht im Alltag gut und gerne. Weil die Motorbremse noch vor dem Getriebe sitzt, bringen wechselweise Schaltun-gen und Bremsungen reichlich Unruhe ins Fahr-zeug. Omnibuslike geht anders, das steht schon nach wenigen Kilometern fest. Für eine sanft einsetzende Bremsung per VEB+ ist der Vir-tuose gefragt. Der frühzeitig bremst und den Dauerbremshebel früh zurückzieht. Und viel

    Aufmerksamkeit auf das Dauerbremsmanage-ment verwendet, die besser auf das Verkehrs-geschehen gerichtet wäre. Mit dem Retarder fährt sich’s leichter, der hat letztlich auch mehr Power, arbeitet zudem feinstufiger und sanfter. Nach eingehender Testfahrt steht unser Urteil fest: Ein Bus ist kein Truck, selbst die stärkste Motorbremse kann keinen modernen Retarder ersetzen.

    Wir haben die Qualität nicht erfunden, aber wirliefern sie auf Rädern

    Fahrzeugbau · FahrzeugreparaturBremsendienstFranz Mersch GmbH + Co. KGTaubenstraße 51 · 48282 EmsdettenTel. 0 25 72/93 36-0 · Fax 93 36-60Postfach 1336 · 48271 Emsdetten

    Fahrradtransport-Anhängerfür 40 Fahrräder – Bequemes undsicheres Verladen mit unserenrollbaren Patentgestellen.

    Franz

    Fahrzeugbau · FahrzeugreparaturBremsendienstFranz Mersch GmbH + Co. KGTaubenstraße 51 · 48282 EmsdettenTel. 0 25 72/93 36-0 · Fax 93 36-60Postfach 1336 · 48271 Emsdettenwww.mersch-fahrzeugbau.deE-Mail: [email protected]

    (hinter dem Sitz) spendieren. Und weil wir ge-rade dabei sind, beanstanden wir auch weiter-hin das filigrane Retarderhebelchen, das sich wegen des größeren Scheibenwischerhebels knapp darunter nur umständlich bedienen lässt. Die vielen Funktionen und Menüs des Bordrechners sind nur nach längerer Einar-beitung adäquat nutzbar.

    Tadellose GrundtugendenGenug gemeckert. Bei jeder Fahrt im 9900 macht sich sofort das gute Gefühl von Sicher-heit breit. Der Bus bremst gefühlvoll und mit großen Reserven. Dafür tragen auch seine Dauerbremsen Verantwortung. Ein leistungs-fähiger Voith-Retarder plus VEB+-Motorbrem-se, beides sauber abgestimmt, übernehmen im Alltag den Großteil an Verzögerungsarbeit. Geht es mal steil bergab, zieht man den He-bel durch. Der Getrieberechner schaltet dann noch einen Gang (oder zwei) zurück, um die Drehzahl zu erhöhen. Die Bremswirkung ver-blüfft, der durchs Fahrzeug gehende Ruck auch.

    Nach wie vor empfängt den Fahrgast ein eigenwilliger Innenraum. Wer keinen Platz in der ersten Sitzreihe findet, freut sich auch über die zweite, dritte, zehnte. Nur in der letzten Sitzreihe wird es knapp. Aufstehen bitte nur in Demutshaltung, die Gepäckabla-ge drückt auf die Frisur. Die Sitzgarnitur aus hauseigener Fertigung sieht nicht nur gut aus, sie ist straff und bequem gepolstert. Noch im-mer exklusiv ist die individuell veränderbare Neigung des Sitzpolsters, das beim Zurück-stellen der Rückenlehne die Beinauflage un-terstützt. Das Handgepäck wird sicher hinter Klappen verwahrt.

    Der Einstandspreis von 295.000 Euro posi-tioniert den 9900 in der Liga von Travego & Co. Der Kunde erhält dafür einen soliden Hochde-cker in Langzeitqualität und keinen Blender. Die Fahrgäste werden mit Theaterbestuhlung und Langstreckenkomfort verwöhnt. Die Tech-nik verspricht dem Betreiber ein sorgenfreies Leben. Wer das Paket 20.000 Euro billiger ha-ben möchte, sollte sich den einfacheren 9700 näher ansehen. Wolfgang Tschakert

    Ob lange Bodenwellen oder fiese Querschläger – nichts kann das

    Volvo-Fahrwerk aus der Ruhe bringen.

    Bus-Fahrt 01/2012 - Stünings Medien GmbH, Krefeld - www.busfahrt.com