34
Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht Ausgewählte Beiträge zu der Fachtagung der GEW Berlin und der Kooperationsstelle Wissenschaft/Arbeitswelt der TU Berlin am 31.11.2002

Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht

Ausgewählte Beiträge zu der Fachtagung der GEW Berlin und der Kooperationsstelle Wissenschaft/Arbeitswelt der TU Berlin am

31.11.2002

Page 2: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

2

Impressum

Herausgeber, Redaktion und Layout:

Technische Universität BerlinZentraleinrichtung KooperationKooperationsstelle Wissenschaft/ Arbeitswelt

Sekr. HH8Steinplatz 110623 Berlin

Dr. Werner Rosenberg 314 - 21182Dr. Jürgen Rubelt 314 - 21181Monika Hartwich 314 - 21580Carsten Noack 314 - 79323Fax 314 - 24276e-mail [email protected] http://www.tu-berlin.de/zek/koop

Berlin, April 2003

Page 3: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

3

Inhaltsverzeichnis

Einleitende Bemerkungen 5

Olaf KosComputereinsatz im Unterricht - Situation, Probleme, Perspektiven

7

Barbara Kochan / Elke Schröter“Begleitetes Rechtschreiben” - ein für multimediales Lernen entwickeltes interaktives Verfahren zum individuellen Rechtschreiblernen

17

Jürgen KirsteinComputerbasierte Kommunikations- und Informationstechnik im mathematisch-natur-wissenschaftlichen Unterricht am Beispiel der multimedialen Dokumentation physikalischer Experimente

23

Page 4: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

4

Page 5: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

5

Einleitende Bemerkungen

Die Situation im Bereich “Schule und Computer” ist einer drastischen Änderung unterworfen. Noch vor wenigen Jahren stand die Versorgung mit einer ausrechenden Ausstattung mit Computern an den Schulen im Vordergrund. Seit Mai 2002 existieren über eine halbe Million Computer an bun-desdeutschen Schulen. Der damit erreichte mittlere Ausstattungsgrad liegt bei etwa 16 Schülern pro Computer. Weiterhin sind alle Schulen zwischenzeitig am Netz angeschlossen, wenngleich nur ein Teil der Computer über eine Verbindung zum Internet verfügt oder technisch dafür geeignet sind. Die Ausrüstungsfrage rückt daher immer mehr in den Hintergrund. Es wird verstärkt die Frage gestellt, wie diese neuen Möglichkeiten - Computer und Internet - auch tatsächlich für den pädagogischen Einsatz sinnvoll genutzt werden können. Ein Problem ist dabei die Computer- und Netzwerkbetreuung, die über betraute Lehrkräfte oder zusätzlich einzusetzende Netzwerkadminis-tratoren erfolgen soll. Bereits in der Vergangenheit gab es darüber viele Gespräche, Ausarbeitun-gen und Tagungen, wie auch die Tagung der GEW Berlin und der Technischen Universität Berlin unter dem Titel “Computer an Berlins Schulen- Netzadministratoren im Spannungsfeld von Technik und Pädagogik” (Dokumentation siehe Internet der Kooperationsstelle an der TU oder Druck-schrift).

Eine weitere Veranstaltung im November 2002 stellte sich dem zweiten aktuellen Problem, um zu klären, was geschehen muss, damit die vorhandenen Computer im Fachunterricht sinnvoll genutzt werden können:Thema: “Mehr Qual oder Qualität? - Computer im Fachunterricht”

Bei dieser Veranstaltung versuchten Wissenschaftler und Praktiker durch Vorträge, Gespräche in Arbeitsgruppen und einer Podiumsdiskussion herauszuarbeiten, welche nebenwissenschaftlichen Erkenntnisse sowie Erfahrungen und Ergebnisse der Praxis bereits vorliegen, welche speziellen Konsequenzen für den Unterrichtsablauf und welche Folgerungen aus gewerkschaftlicher Sicht gezogen werden müssen.In vorliegender Dokumentation sind die wissenschaftlichen Beiträge in textlicher Form festge-halten.

Der erste Beitrag ist eine ergänzte Wiedergabe des von Herrn PD Dr. Olaf Koos, Humboldt-Univer-sität Berlin, gehaltenen Einführungsvortrages.Die Arbeitsgruppe “Computereinsatz im Grundschulunterricht” stand unter der Leitung von Frau Prof. Barbara Kochen und Frau Dipl.-päd. Elke Schröter. Den Schwerpunkt bildete ein weltweit neu-es softwaredidaktisches Verfahren zum Erlernen der Rechtschreibung und des Lesen. Es erkennt in Fehlern den Denkansatz des Schreibers und bietet darauf abgestimmte Denkhilfen an. Erfolgreich wurde es in der Software „LolliPop Multimedia“ Deutsch für Grundschulkinder erprobt (Computer-LernWerkstatt TU Berlin). Es ist auch adaptierbar für andere Sprachen und Altersstufen. Vorgestellt wurde dies mit Hilfe multimedialer Techniken, die sich für eine gedruckte Wiedegabe nur schlecht eignen. Deshalb mußte auf eine vorliegende Ausarbeitung zurückgegriffen werden bzw. es wird auf die umfangreiche, online beziehbare Literatur verwiesen. Der inhaltliche Schwerpunkt der Arbeitsgruppe “Computereinsatz im mathematisch-naturwissen-schaftlichen Unterricht” wird durch den Beitrag von Dr. Jürgen Kirstein beschrieben.An dieser Stelle möchten wir uns bei den Autoren recht herzlich bedanken.

Der Herausgeber

Page 6: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

6

Page 7: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

7

Priv.-Doz. Dr. Olaf KosHumboldt Universität Berlin Abteilung Pädagogik und Informatik

Computereinsatz im Unterricht - Situation, Probleme, Perspektiven

Experten warnen, Deutschland läuft Gefahr, ein Entwicklungsland für Bildung zu werden. So oder ähnlich lauten die aktuellen Schlagzeilen der Medien nach dem schlechten Abschneiden deutscher Schüler im internationalen Leistungsvergleich.Es ist nicht meine Absicht, angesichts der Befundlage der empirischen Bildungsstudien TIMMS und PISA in den Chor derjenigen einzustimmen, die eine Bildungsmisere des allgemeinbildenden Schul-wesens in Deutschland konstatieren, um daraus einen generellen Bildungsnotstand abzuleiten. Dennoch gibt es nicht nur in diesem Bereich des Bildungswesens ernstzunehmende Anzeichen dafür, dass es um die Position deutscher Bildungseinrichtungen im internationalen Wettbewerb nicht zum besten steht.Sucht man nach Ursachen und Lösungsansätzen der Probleme, so sind Ratschläge schnell bei der Hand; die jedoch wegen der oft einseitigen und undifferenzierten Betrachtungsweise völlig unangemessen sind.Und wieder einmal sind auch die Medien, diesmal die neuen Medien, die als Informations- und Kommunikationstechnologien sowohl als Begründungsmuster für die Defizite und Gefahren als auch als Chance für deren Überwindung herangezogen werden:„Zuallererst: Die Informationstechnik wird eine Revolution in den Klassenzimmern auslösen. Wir müssen die Pädagogik für das Informationszeitalter aber erst noch erfinden. Ich weiß, dass über neue Formen des Unterrichtens schon so lange gestritten wird, wie es Schulen gibt. Heute aber stehen wir, durch die revolutionäre Entwicklung der Informationstechnik, vor einer grundlegend neuen Situation. Der Computer wird für eine wirkliche Neugestaltung unserer Lerninhalte und Unterrichtsformen ein zentraler Kristallisationskern sein. Er muß dann aber auch integraler Be-standteil von didaktischen Konzepten für alle Fächer werden.“(aus: Rede von Roman Herzog auf dem Deutschen Bildungskongress am 13.4.99 in Bonn) Computer und Internet, so die These, schaffen nicht nur ein Mehr an neuartigen globalen For-men der Informationsgewinnung, -verarbeitung, -repräsentation und -evaluation, - (in denen der Lernende mitunter zu ertrinken droht), sondern sie dienen gleichzeitig als Werkzeug und Medium, um Lernangebote didaktisch zu verbessern sowie Lernprozesse zu erleichtern, zu optimieren und zu effektivieren.Mehr noch: Nach Angaben der Financial Times Deutschland (23. /24./25. 2. 2001) sehen Bildungsexperten in den elektronischen Medien ein Instrument, „das beinahe jedem Wunsch nach Qualifizierung gerecht wird [...] 15 Minuten E-Learning ersetzen eine dreiviertel Stunde Präsenzunterricht.“ Angesichts derart vollmundiger Versprechungen wundert es nicht, wenn in zahlreichen Untersuc-hungen zur Nutzung von Computern die beteiligten Institutionen ihr großes Engagement in diesem Bereich betonen. Dabei zeigt sich: Informations- und Kommunikationstechnologien dienen in der öffentlichen Bildungsdiskussion per se als Imageträger für die Innovationsbereitschaft von schulischen Bildungseinrichtungen.Die skizzierte Situation ist nicht neu. Blick man zurück auf die Entwicklung der letzten 40 Jahre, so gab es zunächst immer eine schier unbegrenzte Hoffnung, mittels neuer Technologien viele didak-tische und methodische Probleme von Lehr- und Lernprozessen lösen zu können. (Kos, 1998)Dazu zählen Probleme der

- Lernmotivation,

- Lernaktivität,

Page 8: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

8

- Differenzierung der Lerninhalte und Lerntempi,

- Individualisierte Lernerfolgskontrolle,

- Methodenvielfalt,

- Praxisnähe,

- Interaktivität

Die anfängliche Euphorie ist dann meist schnell einer Ernüchterung über die tatsächlichen Wirkungen der neuen Medien auf die Lehr- und Lernprozesse gewichen. Dabei ist die didaktische Engführung der zumeist behavioristisch orientierten Drill and Practice Programme einer der Gründe für das Scheitern früher mediengestützter Lehr- und Lernkonzepte.(Issing, 1976) Seit dieser Zeit sind für viele, vor allem ältere Kollegen, die elektronischen Medien der „pädago-gische Antichrist“.(Gutzer & Müller, 1999) Blickt man auf die Resultate hypermedialerer Lehr – und Lernangebote aus den 80iger Jahren, so zeigt sich auch hier, dass interaktive multimediale Programme nicht automatisch das Lernen unter-stützen. So konnte noch Ende der 80iger Jahre in einer vergleichenden Studie zur Computernut-zung in 22 Staaten nahgewiesen werden, dass einem zunehmend höheren Standard an Hard- und Software vergleichsweise einfache, lineare und zumeist lehrerzentrierte und zielfixierte Einsat-zlösungen gegenüberstehen.(Plomp & Pelgrum, 1991; Schulmeister, 1997)Auch das Internet und die damit verbundenen Möglichkeiten netzgestützten multimedialen Lern-ens seit Anfang der 90iger Jahre verdeutlichen eher den ambivalenten Charakter neuer IKT:

So ist der vereinfachte Zugriff auf Informationen häufig mit dem Verlust an Orientierung bei der Infor-mationsgewinnung verbunden. Die unübersichtliche Quellenlage erfordert zudem eine höhere Wertungs- und Selektionskompetenz auf Seiten der Nutzer.

Der hohen Quantität der Informations- und Kommunikationsangebote im Internet steht oft eine ver-gleichsweise geringe Zahl qualitativ hochwertiger Lehr- und Lernmaterialien gegenüber. (Drabe, 2001; Encarcao, 2001)

Diese Ambivalenz neuer Technologien lässt Raum für viele Spekulationen - Und mündet zumeist in der Frage:

Computer im Unterricht: Mehr Qual oder mehr Qualität?

Obwohl sich die Ambivalenz sicher nicht auflösen lässt, möchte ich mich einer möglichen Antwort auf die Frage in 3 Schritten nähern:

1. Was ist neu an den neuen Medien und wie lässt sich daraus ein didaktischer Mehrwert ableiten?

2. Wie ist der gegenwärtige Stand der Realisierung und welche Probleme und Gefahren beim Compu-tereinsatz zeigen sich?

3. Welche Lösungsmöglichkeiten bieten sich für eine erfolgversprechende Computernutzung an?

Ich komme zur Beantwortung der erste Frage. Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen:Ich wähle dabei zuerst einen technisch orientierten Begründungszusammenhang:

Page 9: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

9

Abb.1: Merkmalscharakteristik der neuen IKT

Digitalisierung, Vernetzung und Multimedialität ermöglichen die bekannte hohe Effizienz bei der Bearbeitung, Integration, Darstellung/Codierung und Speicherung von Daten respektive Informa-tionen. Aus dieser technisch bedingten Merkmalscharakteristik ergeben sich auf einer zweiten Ebene eine Reihe von pädagogisch-psychologisch interessanten Funktionalitäten wie

Hyperstrukturiertheit

Interaktivität/Kommunikativität

Multifunktionalität

die dann auf einer dritten Ebene eine Reihe didaktischer Potenziale konstituieren:

- Modularität, Exemplarizität, Aktualität- Selbstgesteuertes Lernen (bidirektionaler Rückkanal), Dialo-gische Kommunikation (variable Sender-Empfänger-Konstellation), Kognitiv multiple Perspektiven, Soziale Kooperation- Varianz der Sinneswahrnehmung, Affektive Aufladung, Anschaulichkeit, Authentizität

Vergleicht man die vielversprechenden Möglichkeiten mit den gegenwärtigen praktischen Realis-ierungen, so erkennt man sehr schnell, wie weit Anspruch und Wirklichkeit wieder einmal ausein-ander klaffen:Einige Ergebnisse aus der begleitenden Evaluationsstudie der Initiative „Schulen ans Netz“ sollen das verdeutlichen (Drabe, 2001; Schulz-Zander, 2001)Evaluationsstudie des Instituts für Schulentwicklungsforschung der Uni Dortmund (Schulz-Zander, 2001):

Page 10: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

10

Abb.2: Computerausstattung in der Schule

Wie Abbildung 3 verdeutlicht, ist es um die materiell-technischen Rahmenbedingungen deutscher Schulen bei der Ausstattung mit neuen IKT im internationalen Maßstab immer noch schlecht be-stellt. Extensive Ausstattungskonzepte dominieren gegenüber flexiblen, mobilen Einsatzmodellen.

Abb.3: Zugang zu Computer und Internet

Entsprechend gering sind dann auch die Zugangsmöglichkeiten für SchülerInnen innerhalb und außerhalb des Unterrichts.Ein wichtiger Faktor für den erfolgreichen Einsatz neuer IKT sind die Einstellungen und Erwartungen sowie die Erfahrungen Kompetenzen der LehrerInnen hinsichtlich der Potenziale neuer IKT für das Lernen:

Page 11: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

11

Abb.4: Eignung von IKT zur Veränderung der Lernkultur (für eine qualitativ bessere Abbildung siehe S. 16)

Insgesamt kann man erkennen, dass die Nutzer die Potenziale neuer IKT deutlich höher bew-erten als die Nichtnutzer - bei einer fast durchgängig positiven Bewertung. Vorbehalte gibt es in beiden Gruppen im Hinblick auf die sozial-kooperativen Einsatzmöglichkeiten sowie die Förderung lernschwächerer Schüler. Auch die Chancengleichheit von Jungen und Mädchen wird eher kritisch beurteilt.

Vergleicht man die theoretischen Begründungsmuster mit praktischen Realisierungen so gibt es, wie in früheren Entwicklungsphasen, bezüglich Inhalt, Art und Umfang von Computer- und Inter-netnutzung eine erhebliche Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Abb.5: Computer- und Interneteinsatz im Unterricht

Page 12: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

12

Abb. 6: Formen und Inhalte der Internetnutzung

Die Gründe für die offenkundige Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit sind vielfältig. Auf der Grundlage unsere Untersuchungen im Rahmen des Hochschulnetzwerks „Lehrerbildung und neue Medien“ lassen sich u.a. folgende Problembereiche für die defizitäre Situation aus-machen: (Hopkins, 1996; Kos, 2001)

Kosten

Zeit und Aufwand

Datenübertragungsraten

Die Entwicklung anspruchsvoller „E-Learning“ Produkte ist teuer und mit hohem technischen, per-sonellen und zeitlichen Aufwand verbunden. Quick and Dirty -Lösungen sind häufig die Folge.

Begrenzte Medienkompetenz der Dozenten

Didaktischer und methodischer Traditionalismus bei den Lehr-/Lernkonzepten

Digital Divide“

Hinzu kommen eine begrenzte mediendidaktische und informatische Kompetenz bei den Le-hrenden. Bei der Entwicklung und dem Einsatz von Webangeboten ist deshalb ein didaktischer und methodischer Traditionalismus vorherrschend. Vorbehalte werden auch dadurch genährt, dass repräsentative Befunde über die erwarteten Vorteile von WBL/CUL fehlen. Im Gegenteil, in zahlre-ichen Untersuchungen hat sich gezeigt, dass nicht alle Lernenden in gleichem Maße von der Ver-wendung hypermedialer Lernumgebungen profitieren. Vorbehalte werden auch dadurch genährt, dass repräsentative Befunde über die erwarteten Vorteile von Computer- und Internetnutzung fehlen. Im Gegenteil, mit Rückgriff auf Jacobson&Spiro zeigt sich, dass nicht alle Lernenden in gleichem Maße von der Verwendung hypermedialer Lernumgebungen profitieren. So z.B. ver-glichen Jacobson&Spiro das Lernen in einer Hypertext-Lernumgebung, in der fallbasiert Wissen vermittelt wurde, mit dem Lernen in einer eher traditionellen, dekontextualisierten Form der Wis-sensdarbietung. Es zeigte sich, dass lediglich bei Lernenden mit besseren generellen Lernvoraus-setzungen die Arbeit in einer Hypertext-Lernumgebung zu größerem Lernerfolg führte. (Jacobson & Spiro, 1994)Mit Blick auf die Geschlechterdifferenzierung konnte im Projekt „Schulen ans Netz“ festgestellt

Page 13: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

13

werden: (Schulz-Zander, 2001)

In den Projektteams sind doppelt soviel Lehrer wie Lehrerinnen vertreten. Hard- und Software-Betreu-ung nur 4 % Schülerinnen (21 % Schüler) Computernutzung im Unterricht nur bei der Hälfte der Lehre-rinnen (Lehrer 2/3). Das Internet nutzen doppelt soviel Lehrer im Unterricht (43 %).

Mädchen (52 %) haben deutlich weniger Vorerfahrungen als Jungen (71 %) bezüglich Computer und Internet und nutzen den Computer auch seltener. Wie wird die skizzierte Problemlage von den LehrerIn-nen wahrgenommen?

Die Einstellung und Nutzung von IKT sind abhängig von den Vorerfahrungen. Generell werden Probleme, wie hoher Zeitaufwand, unzureichende Ausstattung, hohe Kosten und technische Schwierigkeiten signi-fikant höher bewertet als pädagogisch-didaktische Fragen, wie z.B.:

nicht genug Zeit im Lehrplan 39 %

nicht ausreichend Schülerarbeitsplätze 33 %

problematische Internetinhalte 25 %

Ich weiß nicht genug über das Internet, um es im Unterricht sinnvoll einsetzen zu können.” (25 %)

Ich komme zur letzten Frage:Welche Lösungsmöglichkeiten bieten sich für eine erfolgversprechende Computernutzung an?Interessante Ergebnisse liefert eine aktuelle internationale Benchmarking-Studie der Bertelsmann Stiftung „IT in Schulregionen“:Ziel der Untersuchung unter Beteiligung von 3300 SchülerInnen, 600 LehrerInnen, 70 IT Koordina-torInnen war es, Erfolgsfaktoren zur Integration neuer Medien in Schule und Unterricht zum Erw-erb von Medienkompetenz bei Schülern zu ermitteln.

Abb. 7: Erfolgsfaktoren für die Integration neuer Medien

Entscheidend ist die Balance zwischen intensiver Ausstattung, vielfältiger Lehrerfortbildung und der Nutzung flexibler digitaler Unterrichtsmaterialien. „Kommt bei den drei Säulen ein Element zu kurz, hängt das Dach schief“, so der Projektleiter Oliver Vorndran. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Dennoch bedeutet Sie ein Umdenken. Nur im Rahmen eines übergreifenden Schulentwicklung-skonzepts mit einem Bündel von Maßnahmen in den unterschiedlichen Aktionsfeldern ist ein erfol-

Page 14: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

14

greiches IT Management möglich.

Abb. 8: IT Management an Schulen

Abschließend möchte ich an drei Beispiele illustrieren, welche Elemente ein solches Schulentwick-lungskonzept enthalten könnte:

1. Informatische Bildung für Pädagogen (http://www.educat.hu-berlin.de/mv/baustein.html)

Angesichts der immer noch großen Defizite von Pädagogen beim Umgang mit neuen IKT ist es das zentrale Anliegen eines in meiner Abteilung erarbeiteten Kursprogramms „Internet für Pädagogen“, zur Verbesserung der informatischen Grundbildung von LehrerInnen in der Aus- und Weiterbildung beizutra-gen. Den Kern des im Rahmen eines Modellversuchs entwickelten Curriculums bildet ein Lehrmaterial mit über 600 Internetseiten, die neben instrumentell-technischen Grundfertigkeiten auch Methoden- und Sozialkompetenz beim Umgang mit neuen IKT vermitteln soll.

2. Bildungsportale und Lernplattformen- Werkzeuge für Wissensmanagement: Internetpor-tal „Deutscher Bildungsserver“ (http://www.bildungsserver.de/) und „Schulweb.de (http://www.schulweb.de)

Wie gezeigt ist die Informations- und Handlungskompetenz auf dem Gebiet der Internetnutzung defiz-itär. Es dominiert die E-Mail-Nutzung und freie Suche mittels Suchmaschinen, die oft zu unspezifischen, unübersichtlichen und nicht verwertbaren Ergebnissen führt. Besucher im Web gehen den Weg des geringsten kognitiven Aufwands, so das Fazit von Schulz. (Schulz, 2001)

Wenn man bedenkt, dass IT-gestütztes Wissensmanagement maßgeblich über Erfolg im Schule, Studium und Beruf entscheidet, so stellen Bildungsportale, wie der „Deutsche Bildungsserver“ und das „Schul-web“, eine erfolgversprechende inhaltliche und methodische Lernplattform dar, um den funktionalen und prozessorientierten Umgang mit Wissen zu erlernen.

3. Internetportal „lehrer-online.de (http://www.lehrer-online.de)

Die Entwicklung didaktisch anspruchsvoller elektronischer Lernumgebungen ist teuer, fachlich komplex und interdisziplinär. Deshalb sind Kostenreduktion durch Mehrfachnutzung sowie fachübergreifende Kooperation bei der Systementwicklung eine notwendige Voraussetzung für erfolgversprechende netz- und computergestützte Lernprozesse. National wie international sind Verbundmodelle zur Realisierung

Page 15: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

15

entsprechender Lernformen gegenwärtig vorherrschend. “Lehrer-Online“ ist ein solches Portal, das neben curricularen Konzepten, innovativen methodisch-didaktischen Lernformen vor allem eine Vielzahl von praktischen Einsatzbeispielen anbietet, um so die neuen pädagogischen Möglichkeiten der neuen IKT in der pädagogischen Praxis dauerhaft und wirkungsvoll zu etablieren.

Literatur

Drabe, M. (2001). Schulen ans Netz-Evaluation und Empfehlungen. Berlin: Log IN Verlag.

Encarcao, J. (2001). Virtuelle Bildung und neuer Bildungsmarkt. In I. Hamm (Ed.), Medienkompe-tenz (pp. 112-145). Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung.

Gutzer, H., & Müller, J. (1999). Editorial-Moderne Medienwelten. LOGIN, 19(6), 3.

Hopkins, J. D. (1996). Information Technology and the Information Society in Europe: Expectations and Barriers to the Implementation of New Media in the Higher Education and Research Sector. In D. Project (Ed.), Deploy Project Summary Report.

Issing, L. J. (1976). Evaluierung von Unterrichtsmedien. In L. Issing & H. Knigge-Illner (Eds.), Un-terrichtstechnologie und Mediendidaktik. Weinheim: Beltz.

Jacobson, M. J., & Spiro, R. J. (1994). Hypertext learning environments and epistemic beliefs: A preliminary investigation. In E. Vosniadou & E. De Corte & H. Mandl (Eds.), Technology-based learning environments. Psychological and educational foundations (pp. 290-295). Berlin: Springer.

Kos, O. (1998). Situation, Probleme und Perspektiven des Einsatzes hypermedialer Lehr- und Lern-systems im allgemeinbildenden Schulwesen. Pädagogische Rundschau, 52(6), 711-725.

Kos, O. (2001). Netzwerk in Aktion. In U. Bentlage & I. Hamm (Eds.), Lehrerausbildung und neue Medien: Erfahrungen und Ergebnisse eines Hochschulnetzwerkes (pp. 45-51). Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung.

Plomp, T., & Pelgrum, W. J. (1991). Introduction of computers in education: State of the art in eight countries. Computers Educational Journal, 17(3), 249-258.

Schulmeister, R. (1997). Grundlagen hypermedialer Lernsysteme ( 2. Auflage ed.). München: Old-enbourg.

Schulz, U. (2001). Search Engine Usability - über die Nutzungsqualität von Suchmaschinen, In-formation Research & Content Management: Orientierung, Ordnung und Organisation im Wissen-markt; 53 Jahrestagung der Deutschen Geselllschaft für Informationswissenschaft und Informa-tionspraxis e.V. (pp. S. 74-83). Frankfurt am Main: Ralph Schmidt.

Schulz-Zander, R. (2001). Lernen mit neuen Medien in der Schule. Zeitschrift für Pädagogik,, 43. Beiheft, 181-195.

Page 16: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

16

Page 17: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

17

“Begleitetes Rechtschreiben” - ein für multimediales Lernen entwickeltesinteraktives Verfahren zum individuellen RechtschreiblernenErstmals realisiert in der Software “LolliPop Multimedia” Deutsch Klasse 1 bis 4 Beitrag zur LEARNTEC 2001 9. Europäischer Kongress und Fachmesse für Bildungs- und Information-stechnologieKarlsruhe 30. Januar - 2. Februar 2001 Prof. Barbara Kochan und Dipl.-Päd. Elke Schröter

“Begleitetes Rechtschreiben” - ein für multimediales Lernen entwickeltes interaktives Verfahren zum individuellen Rechtschreiblernen

Theoretische Grundlagen

Die Entwicklung von Rechtschreibkompetenz ist ein wichtiges Ziel der Schule. Der Grad derBeherrschung der Normschreibung gilt in unserer Gesellschaft häufig auch als Gradmesserfür die Einschätzung der allgemeinen Fähigkeiten eines Menschen. Rechtschreibkönnen entschei-det häufig als Zünglein an der Waage über Entwicklungsmöglichkeiten des Einzelnen.Gerade deshalb sind die immer wieder konstatierten schwachen Rechtschreibleistungen vielerSchulabgänger als besonders tragisch und nicht hinnehmbar zu bewerten, zumal nur in Ausnah-mefällen subjektives Unvermögen die ausschließliche Ursache rechtschreiblichen Leistungsversa-gens ist.Experten sind sich inzwischen darüber einig, dass bereits im schriftsprachlichen AnfangsunterrichtUrsachen für häufiges Rechtschreibversagen liegen, weil Lernen dort noch zu häufigausschließlich als Folge des Lehrens gestaltet wird.Sprache wird noch immer “beigebracht”, statt den Kindern umfassend Gelegenheit zu geben,mit ihr durch selbsttätiges Untersuchen und Erforschen Erfahrungen machen zu können, sodass das Kind eigenständig nachhaltige Einsichten in Struktur und Gesetzmäßigkeiten unsererSprache gewinnen kann.Noch immer geht herkömmliche Didaktik davon aus, dass Kinder rechtschreiben lernen, indemsie sich die korrekte Schreibweise durch Nachschreiben einprägen. Das stützt den Trugschluss,dass Kinder mit schlechten Rechtschreibleistungen lediglich Probleme mit dem Einprägenhaben. Als Konsequenz daraus wird dann häufig intensiveres Üben des Einprägensvon Wörtern abgeleitet, um das Gedächtnis zu trainieren.Nur so lässt sich erklären, warum im Unterricht der Grundschule noch immer das Rechtschrei-blernen durch Einprägen als vorherrschende Methode praktiziert wird.Inzwischen haben Kognitionspsychologie und Schriftspracherwerbsforschung herausgefunden,dass Rechtschreiblernen vor allem ein kognitiver Problemlösungsprozess, also Denkarbeit ist und “dass Kinder auch bei Falschschreibungen regelgeleitet verfahren” (vgl. DEHN 1994, S.26).Kinder machen Fehler mehrheitlich nicht, weil ihr Gedächtnis sie im Stich lässt, sondern zuallererstdeshalb, weil sie sich etwas dabei denken, das durch ihre noch unvollkommenen Spracherfahrun-gen gestützt wird. Auf den Punkt gebracht heißt das: Auch in falsch geschriebenen Wörtern steckt wertvolle Denkleistung!Wenn man diese nicht als solche anerkennt, sondern ihr Ergebnis lapidar als “falsch” bezeichnet,wird das Kind über kurz oder lang entmutigt, weiter selbstständig denkend in die Prinzipienunserer Schriftsprache einzudringen, wird vielleicht sogar an seinen Erkenntnisfähigkeitengenerell zu zweifeln beginnen, womit zumeist ein deutlicher Verlust an Selbstvertraueneinher geht.Rechtschreiblernen erfordert aber gerade, dass das Kind die Prinzipien unserer Orthographiehypothesenbildend erkundet, um theoriegeleitete Entscheidungen über Schreibweisen treffen,

Page 18: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

18

ausprobieren und revidieren zu können. Welche lernförderlichen Potentiale dafür der Computerals Schreibwerkzeug (mittels Textverarbeitungssoftware) bietet, haben wir lange beobachtetund unter verschiedenen Aspekten publiziert (KOCHAN 1998a, 1998b; SCHRÖTER 1997,1999b; SCHRÖTER/ KOCHAN 1997).Natürlich kann nicht jedes orthografische Phänomen vom Kind selbstständig entdeckend angeeig-net werden. Deshalb ist ein Verhältnis von Lehren und Lernen zu finden (vgl. DEHN1990, S. 40), das die Lernprozesse des Kindes so begleitet, dass das Kind dann, wenn es dieswill, - dem “Prinzip der minimalen Hilfe folgend” (AEBLI, 1990, S. 299 f.) - immer nur so vielgeistige Anregung erhält, dass es den nächsten Denkschritt auf dem Weg zur Lösung desProblems wieder allein schaffen kann.Die bisher dargelegten Erkenntnisse werden in den “Schreibbüros” der Lernsoftware “Lolli-PopMultimedia” in Form der bisher einzigartigen Methode “Begleitetes Rechtschreiben”erstmals konsequent lernträchtig umgesetzt.

“Begleitetes Rechtschreiben” - was ist das?

“Begleitetes Rechtschreiben” ist ein Verfahren, das die multimedialen Möglichkeiten modernerComputertechnik didaktisch innovativ für systematisches Rechtschreiblernen erschließt.In den “Schreibbüros” erhalten die Kinder die Aufgabe, einen Lückentext mit Wörtern zuschließen, deren Schreibung ihnen in den meisten Fällen unbekannt ist. Mit Hilfe einer Vorlese-funktion können sie sich das fehlende Wort vorlesen lassen.Dann beginnt das eigenständige buchstabenweise “Erarbeiten” der korrekten Schreibung. Das“Erarbeiten” ist für Dehn “eine naheliegende Alternative zum Entdecken” Sie spricht die Überle-gungen der Autorinnen aus, wenn sie ausführt: “Wenn das Kind die Lösung nicht eigenständigfinden kann, dann soll es sie sich wenigstens erarbeiten” (DEHN, 1994, S.40), wobei es alle ihm zur Verfügung stehenden Sprachkenntnisse und Strategien nutzen kann. Dazu zählt u.a. auch das Ausprobieren aller Buchstabentasten auf der Tastatur auf der Erkenntnisebene des Versuch- Ir-rtum-Lernens. “Wichtig ist die ’Klarheit der Problemstellung’ (DUNCKER) und die Möglichkeit dass die Elemente des Problems benannt und entfaltet werden können”(ebenda). Das trifft in LolliPop im vollen Umfang zu. Fehleingaben des Kindes werden vom Programm mit roter Farbe geken-nzeichnet, richtig ausgewählte Buchstaben erscheinen in schwarzer Farbe. Erst, wenn an einer entsprechenden Stelle der orthografisch richtige Buchstabe eingegeben wurde, rückt der Cursor an die nächste Stelle des Wortes und das Kind muss das nächste Teilproblem lösen.Die Identifikationsfigur Lolli begleitet das Kind beim Schreiben. Sie erkennt in allen potentiellenFehleingaben den jeweiligen subjektiven Denkansatz des Schreibers.Jahrelange Beobachtungen kindlicher Schreibprozesse im Forschungsprojekt “Schreibwerkstattfür Kinder” (heute: ComputerLernWerkstat) an der Technischen Universität Berlin, habenden Autorinnen tiefe Einblicke in die Denkweisen der Kinder beim Schreiben vermittelt, auf deren Kenntnis u.a. erst die individuellen Reaktionsmöglichkeiten der Lolli möglich wurden.Wenn das Kind nach einer Fehlermeldung nicht weiß, warum seine Eingabe falsch ist, kannes Lolli herbeirufen. Lolli gibt dem Kind dann per Sprachausgabe eine individuell lernförderlicheDenkhilfe. Sie stellt im Sinne AEBLIS eine “Lehrperson” dar, deren Aufgabe “das Führen zum Finden” ist (AEBLI, 1990, S. 299 f.).

Page 19: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

19

Abb. 1: In abwechslungsreichen Übungen erforschen die Kidner durch den Gebrauch von Werkzeugen den Aufbau der Schrift. Auf diese Weise werden Lese- und Rechtschreibfertigkeiten systematisch aufgebaut und erprobt.

Wie begleitet Lolli die Kinder beim orthografisch richtigen Schreiben?

Am Beispiel möglicher Fehlschreibungen im Inlaut und Auslaut des Wortes “Burg” soll dasnachfolgend verdeutlicht werden.Wenn ein Kind z.B. “Bo” geschrieben hat, sagt Lolli: “Ja, so ähnlich klingt der Laut.Aber er wird anders geschrieben. Suche den richtigen Buchstaben aus der Schreiblerntabelleheraus!”Wenn ein Kind z.B. “Buh” geschrieben hat, sagt Lolli: “Hier schreibt man kein ‘h‘.Den Laut davor spricht man nämlich kurz. Hör dir das Wort noch mal an! Benutze dieSchreiblerntabelle!”Wenn das Kind z.B. “Bua” geschrieben hat, sagt Lolli: “In diesem Wort kommt ein ‘r‘ vor. Es gehört an diese Stelle. Wenn du es dort deutlicher sprichst, machst du diesen Fehler bald nicht mehr. Schau mal in der Schreiblerntabelle nach!”Wenn ein Kind z.B. “BuR” geschrieben hat, sagt Lolli: “Nur den ersten Buchstaben schreibt man in manchen Wörtern groß, nämlich in Namenwörtern oder wenn man einen neuen Satz anfängt. Viel-leicht hast du die Großschreibtaste aus Versehen gedrückt?Wenn das Kind z.B. “Burr” geschrieben hat, sagt Lolli: “Gut beobachtet! Oft sieht man zwei gleiche Laute hintereinander. Wann das so ist, wirst du noch heraus finden.”Wenn das Kind z.B. “Burk” geschrieben hat, sagt Lolli: “Moment mal, hier kannst du dir selber helfen. Du kannst den richtigen Buchstaben hören, wenn du das Wort Burg zu Burgen verlängerst. Schau mal in der Schreiblerntabelle nach!”

Die “Schreiblerntabelle”

ist ein weiterer Bestandteil der Lernsoftware “LolliPop Multimedia”. Innerhalb einer kindgerechtenTextverarbeitung ermöglicht sie dem Kind, bereits ohne Buchstabenkenntnis Texte zu verfassen. Wenn Lolli auf die Schreiblerntabelle verweist, erscheint am unteren Screen-Rand zu jedem Buch-

Page 20: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

20

staben des zu schreibenden Wortes die entsprechende Bildkarte aus der “Schreiblerntabelle”. Das Kind kann sich die Wörter ansagen und die Buchstaben lautieren lassen. So erhält es die Mögli-chkeit, Laut - Buchstaben - Beziehungen explorierend zu überprüfen.

Mehr über “LolliPop Multimedia”

Die “Schreibbüros”, in denen das Rechtschreiblernen durch Lolli begleitet wird, gehören zuden systematischen Aufgaben der umfänglichen Lernsoftware, die sich ansonsten durch einenhohen Grad an Freiräumen zum Lernen auszeichnet. Die “Schreibbüros” hängen als Lernzettelüberall im “Felbidorf”, dem einen Teil der schriftkulturellen Lernwelt Lolopolis”.In diesem virtuellen Dorf wird das Kind u.a. frühzeitig mit den veränderten Anforderungenheutiger Schriftkultur in Form von e-Mail und Internet bekannt gemacht. Dabei kann es dieEDV-basierten Medien für die Befriedigung seiner speziellen Schreib- und Lesebedürfnisse ingrenzüberschreitenden kommunikativen Gebrauch nehmen und dadurch seine Sprachkompetenzenden veränderten Anforderungen der Schriftkultur entsprechend entfalten (vgl. SCHRÖTER 1999a).Die “Lernzettel” dienen dem Erwerb lehrplanbezogener Fähigkeiten. Mittels verschiedenerWerkzeuge können Kinder auf ihrem individuellen Lernniveau Erkenntnisse über Schriftsprachesammeln.In einer sinnvollen Verknüpfung von Lernen und schriftsprachlichem Handeln in der virtuellenWelt “Lolopolis” bearbeiten die Kinder die Lernzettel im Wettbewerb mit den Dorfbewohnern,den “Felbis”.Mit ihnen können sie per Headset in mündlichen Dialog treten. Die dazu erforderliche Auswahlder schriftlich dargebotenen Redeteile motiviert zum Lesenlernen.Die im Felbidorf erworbenen Fähigkeiten werden auf dem anderen Teil der schriftkulturellenLernwelt Lolopolis - der Adventure-Insel “Dinoland” - angewendet.Für die schriftsprachliche Kommunikation mit der realen Welt können die Kinder in einemkindgerechten Schreibtool Texte verfassen, ausdrucken oder als E-Mail versenden. Überden ersten kindgerechten Browser können sie an betreuten Projekten im Internet teilnehmenund für Kinder geeignete Websites aufsuchen.

Abb. 2: Über einen kindgerechten Browser können die Kinder ausgewählte Webseiten besuchen. Sie können E-Mails schreiben und ihre Texte im Internet veröffentlichen. Die Eltern verfügen jederzeit über die Kontrolle der Internetnutzung.

Page 21: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

21

Die Software “LolliPop Multimedia” wurde im Auftrag des Cornelsen Verlages von derMünchner Firma Scheimann & Team produziert. Sie ergänzt die gleichnamigen Printmediendes Cornelsen Verlages. Dennoch sind die Medien voneinander völlig unabhängig einsetzbar.Weitere differenzierte Informationen über die Lernsoftware “LolliPop” Klasse 1 und 2 (indiesem Jahr (2001, Anm. der Red.) erscheinen noch Klasse 3 und 4) können interessierte Leser in unseren Veröffentlichungen im Grundschul-Journal “Was? Wie? Warum?” des Cornelsen Verlag nachlesen.

Literatur

AEBLI, Hans: Zwölf Grundformen des Lernens. Stuttgart 1990 (5. Auflage)

DEHN, Mechthild: Schlüsselszenen zum Schriftspracherwerb. Weinheim / Basel: Beltz 1994

DUNCKER, Karl: Zur Psychologie des produktiven Den-kens. Berlin 1966 (1935)

KOCHAN, Barbara: Mit Buchstaben kann man Gedanken aus dem Kopf holen. Wie Erstklässler beim Schreiben mit dem Computer lernen können. In: BALHORN, H. u.a. (Hg.): Schatzkiste Sprache 1: Von den Wegen der Kinder in die Schrift. (Beiträge zur Reform der Grundschule. Bd. 104) Frankfurt / M.: Arbeitskreis Grundschule - Der Grundschulverband - e.V. in Verbindung mit der Deutschen Gesellschaft für Lesen und Schreiben (DGLS) 1998a, S. 224-237.

KOCHAN, Barbara: Schriftspracherwerb: Computermerkmale und Unterrichtskonzept. In: Grunds-chule 30 (1998b) H. 6, S. 25-31.

KOCHAN, Barbara / SCHRÖTER, Elke: Der Computer als Schiefertafel. In: Die Zeit. Nr. 28 v. 4.7.97, S. 36. Nachdruck in: Medien und Erziehung 41 (1997) 5, S. 279-281.

SCHRÖTER, Elke: Der Beitrag des Schreibwerkzeugs Computer zur Herausbildung von Schreib- und Lesekompetenz jüngerer Kinder. Erfahrungen aus der “Schreibwerkstatt für Kinder” an der Technischen Universität Berlin. In OBST (Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie), 1997, H. 55, S. 70-89.

SCHRÖTER, Elke: Computer - eine Herausforderung für Schule. Reflexionen über Veränderungen in unserer Schriftkultur. In: SCHULZ - HAGELEIT, P. (Hg.): Lernen unter veränderten Lebensbedin-gungen. Fachdidaktiken und Lehrerbildung auf dem Weg ins nächste Jahrhundert. Frankfurt/M. usw.: Lang 1999a, S. 177-202.

SCHRÖTER, Elke: Mit dem Computer Lesen und Schreiben lernen (?). In: PZV- Ratgeber Grunds-chule ´99 (mit CD-ROM): Neue Medien. Berlin: Pädagogischer Zeitschriftenverlag 1999b, S. 12-19.

SCHRÖTER, Elke / KOCHAN, Barbara: Schreiben- und Lesenlernen mit LolliPop Multimedia Deutsch Kl. 1. In: Was? Wie? Warum? Das Grundschul-Magazin von Cornelsen. Ausgabe 2/2000; S. 22/23.

SCHRÖTER, Elke / KOCHAN, Barbara: Mit LolliPop Multimedia das Lernen lernen. In: Was? Wie? Warum? Cornelsen Grundschul-Journal. Ausgabe 2/2001.

Page 22: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

22

Auflistung aller online verfügbaren Aufsätze

Alle Aufsätze können im pdf-Format von der Homepage http://www.tu-berlin.de/fb2/lbd/clw/s_literatur_list.htm herunter geladen werden.

Schröter, Elke: Der Beitrag des Schreibwerkzeugs Computer zur Herausbildung von Schreib- und Lesekompetenz jüngerer Kinder. Erfahrungen aus der “Schreibwerkstatt für Kinder” an der Tech-nischen Universität Berlin. In: OBST (Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie), 1997, Heft 55, S. 70 - 89.

Kochan, Barbara: Gedankenwege zum Lernen beim Freien Schreiben. In: Spitta, Gudrun (Hrsg.): Freies Schreiben - eigene Wege gehen. Lengwil: Libelle 1998, S. 218 - 277.

Kochan, Barbara: Schreiben und Publizieren mit dem Computer als Mittel des Wissenserwerbs in allen Lernbereichen - Ein didaktisches Konzept. In: Mitzlaff, Hartmut/ Speck - Hamdan, Angelika (Hrsg.): Grundschule und neue Medien. (Beiträge zur Reform der Grundschule. Bd. 103) Frankfurt am Main: Arbeitskreis Grundschule - Der Grundschulverband - e.V. 1998, S. 35 - 54.

Schröter, Elke: Potenzen des Computers für das Lesen- und Schreibenlernen. In: Berenicki, Fran-ciszej/ Bielawiec, Aleksander (Hrsg.): Pädagogik im Zeitalter des Wandels. (Beiträge, Tagungen) Szczecin: Universytet Szczecinski 1999, S. 64 - 79. [zweisprachig: deutsch und polnisch]

Braun, Inken: Mit Dinosauriern ins Internet - Wie Kinder ihre Schreibangst überwinden. In: das Zeitbild. Ausgabe 06/ 2000. Heftthema: Für den handlungsorientierten Unterricht - Internet macht Schule. Berlin: Zeitbild Verlag GmbH 2000.

Fest, Inken: LolliPop online & interaktiv. In: Was? Wie? Warum? Das Grundschul - Magazin von Cornelsen. Ausgabe 1/ 2001, S. 20.

Schröter, Elke/ Kochan, Barbara: Mit LolliPop Multimedia das Lernen lernen. In: Was? Wie? Warum? Das Grundschul - Magazin von Cornelsen. Ausgabe 2/ 2001.

Schröter, Elke/ Kochan, Barbara: “Begleitetes Rechtschreiben” - ein für multimediales Lernen ent-wickeltes interaktives Verfahren zum individuellen Rechtschreiblernen. Beitrag zur LEARNTEC 2001 - 9. Europäischer Kongress und Fachmesse für Bildungs- und Informationstechnologie, Karlsruhe 30.01.-02.02.2001.

Schröter, Elke: Lernsoftware und Prävention von Analphabetismus. Anforderungen an didaktische Konzeptionen von Lernsoftware zum Lesen- und Schreibenlernen, dargestellt am Beispiel von Lolli-Pop Multimedia Deutsch Klasse 1. In: Fitzner, Thilo/ Starke, Werner (Hrsg.): Medienkompetenz und Alphabetisierung. 2 Bde. Klett: Stuttgart 2002.

Page 23: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

23

Dr. Jürgen KirsteinInstitut für Atomare Physik und FachdidaktikTechnische Universität BerlinHardenbergstr. 3610623 [email protected]

Computerbasierte Kommunikations- und Informationstech-nik im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht am Beispiel der multimedialen Dokumentation physikalischer Experimente

Kommunikations- und Informationstechnologie als didaktische Hilfsmittel

Computer im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht: Bis vor wenigen Jahren bedeutete das den Einsatz des Computers vornehmlich für automatisierte Berechnungen mathematischer Aufgaben – besonders auch für Simulationen im Rahmen mathematischer Modelle von Natur-erscheinungen – und daneben zur Erfassung von Messwerten in Experimenten. Damit deutete sich schon damals die didaktische Potenz computerbasierter Unterrichtshilfen an: Das nunmehr die moderne Kommunikations- und Informationstechnologie (IuK) fast ausnahms-los auf der Computertechnik beruht, war in den 1980er Jahren so kaum vorstellbar. Internet und Multimedia werden sich dabei künftig zum festen Bestand unserer Alltagswelt weiterentwickeln und auf diesem Wege die klassischen Medien (Print und elektronisch) und Kommunikationsmit-tel zunehmend integrieren. Das diese Technologien computerbasiert sind, wird zunehmend in den Hintergrund treten. Nicht die Technik steht im Vordergrund, sonder die Anwendung. So werden die IuK-Technologien eine immer stärkere Rolle in vielen Bereichen des menschlichen Handelns einnehmen. Wir werden nicht nur wie heute schon per mobiler Telefonie ständig erreichbar sein, sondern können selbstverständlich jederzeit und überall multimediale Daten und Programme austauschen und auch veröffentlichen. Wir werden nicht nur den mobilen Zugriff auf fertige Daten haben, also Bilder, Video, Audio, Texte und ihre multimedialen Synthesen orts- und zeitunabhängig nutzen, sondern wir können solche Daten jederzeit und überall selbst produzieren und verteilen, also 1:1 oder 1:n synchron oder asynchron multimedial kommunizieren. Computerbasierte IuK-Technologie könnte aber daneben auch Anwendungen bieten, die uns in unserem Alltag unter-stützen, etwa bei der Orientierung in fremden Räumen (durch wahrnehmungsergänzende visuelle oder aktustische Angebote) oder bei der Durchführung komplexer Aufgaben. Selbstverständlich laufen die verschiedensten berufsfeldbezogenen Forschungsprojekte dazu auf Hochtouren: Effek-tive internetbasierte Kommunikations- und Informationssysteme für die Arbeit von Journalisten, die „Angereicherte Realität“ für Flugzeugbauer und operierende Ärzte und virtuelle Konstruktions-systeme für die Ingenieure deuten nur in schwachen Umrissen an, was künftig zum Berufsalltag gehören wird. Für den Alltag der Lehrer, für das Lernen in der Schule allerdings bilden derartige Projekte, die sich an den Bedürfnissen und Problemen der Lehrenden und Lernenden im Unterricht orientieren würden, derzeit eher eine Ausnahme.Zwar wird in Computertechnologie für die Schulen investiert, aber häufig fehlt es nicht nur an Konzepten für den didaktischen Einsatz der damit verfügbaren IuK-Technologie, sondern auch an den Rahmenbedingungen für einen sinnvollen Einsatz (immobile Technik, unzureichende Periphe-rie, zu kleine Bandbreiten, mangelnde Wartung) im Unterricht. Aber selbst wenn all diese Bedin-gungen optimal erfüllt wären, ist das Wissen über einen wirkungsvollen didaktischen Einsatz von IuK-Technologie noch gering. Die in den letzten Jahren durchgeführten Untersuchungen zum Multi-mediaeinsatz im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht weisen allerdings recht deutlich darauf hin, dass weniger der Einsatz (computer-)technischer Mittel erfolgreiches Lernen ermöglicht

Page 24: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

24

als vielmehr ein wohlüberlegtes und erprobtes didaktisch-methodisches Konzept, dessen Eckpfeiler neben den Schülerinnen und Schülern besonders auch die Person des Lehrers ist. Dass Computer mit den Fähigkeiten eines Lehrers ausgestattet werden könnten, gehört auch heute in den Bereich der didaktischen Phantasie. Die realisierbare Alternative besteht vielmehr darin, einen breiten Han-dlungsspielraum im Unterricht zur Verfügung zu stellen und Anregungen zur Entfaltung individuel-ler Lehr- und Lernstrategien zu geben.IuK-Technologie ist so bestenfalls ein Gestaltungselement der Umgebungen in denen Lehren und Lernen stattfindet. Sie ist eine notwendige jedoch nicht hinreichende Voraussetzung für eine nach-haltige Verbesserung des Unterrichts - sie allein wird nicht die Probleme lösen, die wir heute zu beklagen haben. Aber IuK-Technologie eröffnet völlig neue Chancen zur Entwicklung methodisch-didaktischer Konzepte, bei denen der Einsatz des Computers Hilfsmittel zum Lernen bereitstellt, die den individuellen Bedürfnissen der Lehrenden und Lernenden entsprechen und die das Lernen in Situationen ermöglicht, die weit über das im Unterricht bisher Mögliche hinausgehen. Diese neuen Ansätze weisen auch darauf, dass das Lernen im Rahmen solcher Konzepte künftig auf einer wes-entlich breiteren methodischen Basis stattfinden könnte, die wesentlich weniger Rücksicht auf das momentan Machbare nehmen müsste, sondern eher von den didaktischen Anforderungen im Lehr-Lernprozess her angelegt ist. Im Kontext der für den naturwissenschaftlichen Unterricht zentralen Methode des Experimentierens soll hier unter den oben genannten Gesichtspunkten beispielhaft gezeigt werden, wie IuK-Technologie beitragen kann, neue Konzepte für das Lehren und Lernen von physikalisch-technischen Inhalten zu gewinnen.

Lernen mit Experimenten und Medien im Physikunterricht

Experimente besitzen auf allen Stufen des Physikunterrichts zentrale methodische Funktionen: Sie motivieren und überraschen, verdeutlichen Schwierigkeiten, dienen zur Überprüfung von Hypoth-esen, veranschaulichen technische Anwendungen physikalischer Grundlagen und dienen nicht zuletzt der Wiederholung und Festigung von Lernergebnissen. Obwohl für den Unterricht eine Viel-zahl von experimentellen Anordnungen und Apparaten zur Verfügung stehen, sind diese prinzipiell nicht in allen Lehr- und Lernsituationen verfügbar. Eine derartige Einschränkung betrifft sowohl die Qualität als auch die quantitative Verfügbarkeit von Experimenten, was besonders für schülerzen-trierte und individualisierte Lehr-Lernformen bedeutsam werden kann.Traditionell kommen unter solchen situativen Bedingungen Medien wie der Realfilm, bzw. des-sen elektronische Entsprechung als Fernsehen oder Video, zur Anwendung. Sie ersetzen hierbei Experimente, ergänzen und erweitern sie, beispielsweise zur Veranschaulichung von Vorgängen, die in der Realität schlecht oder nicht sichtbar werden. Allerdings sind solche Präsentationsme-dien generell in ihrer methodischen Eignung eingeschränkt. Das wird bei der Rezeption eines im Film vorgeführten Experiments vor allem in der Passivität der Lernenden begründet. Filme (Vid-eos) erlauben ebenfalls keine Beeinflussung des in ihnen fest eingeprägten Experimentablaufes entsprechend den unterrichtlichen Erfordernissen: Der erfahrende Lehrer kann nicht in den Ablauf eingreifen, etwa um auf Fragen seiner Schüler im Unterricht aktuell einzugehen.Daran ändert sich zunächst nichts, wenn man den Film in digitalisierter Form auf dem Bildschirm eines Multimedia-Computers wiedergibt. Einzig der Komfort des Bildzugriffs (besonders auch auf Einzelbilder) und die Möglichkeiten der Wiedergabesteuerung werden größer. Das nutzen didak-tisch wirksame Anwendungen wie das Interaktive Video etwa zur Analyse von Bewegungsvorgän-gen aus [4], [5].Der Begriff Multimedia-System umfasst jedoch definitionsgemäß neben der Integration von Texten, Bildern (auch bewegten) und Tönen auch Interaktionen des Benutzers mit diesen Medienobjekten, insbesondere Bildschirminhalten. Damit ergibt sich zunächst eine interessante didaktische Aufga-benstellung: Wie lassen sich Repräsentationen (realer) Experimente durch Medien selbststeuerbar gestalten? Unzweifelhaft ließe sich damit die Bandbreite der methodischen Anwendungen ge-genüber dem Realfilm erheblich vergrößern. Vor mehr als vier Jahren wurde am Institut für Fach-didaktik Physik und Lehrerbildung der TU Berlin mit der Arbeit an dieser Fragestellung begonnen. Als erstes Ergebnis wurde 1997 ein neues Konzept für multimediale Repräsentationen physika-

Page 25: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

25

lischer Experimente - das Interaktive Bildschirmexperiment (IBE) – entwickelt [6], prototypisch realisiert und in verschiedenen Praxisanwendungen erprobt [7]. Das ursprüngliche Konzept wurde inzwischen wesentlich erweitert (modularisiert) und bildet nunmehr die Grundlage für vielfältige didaktische Einsatzkonzepte, die im nachfolgend vorgestellt werden.

Mediendidaktisch relevante Merkmale des IBE

Ein IBE bildet ebenso wie der Realfilm (Video) zeitabhängige Vorgänge im Experiment kine-matografisch, bzw. die entsprechend der didaktischen Absicht systematisch variierten stationären Zustände fotografisch ab. Es erfüllt damit zunächst ähnliche didaktische Funktionen im Physikun-terricht wie dieser (s.o.). Das IBE erweitert die Darstellung des Films jedoch um das Merkmal der Interaktivität: Der Lernende steuert das im IBE repräsentierte Experiment selbstständig, stellt dabei Beobachtungen an und erwirbt eigenständig Erkenntnisse. Im Gegensatz zu anderen multi-medialen Repräsentationsformen wie dem parametervariierten DVD-Video (Beispiele wurden vom IWF in Göttingen realisiert) bietet das IBE eine Oberfläche mit direkt manipulierbaren, fotografisch (nicht fotorealistisch) dargestellten Objekten, mit denen der Benutzer experimentell relevante Han-dlungen ausführt: Geräte und experimentelle Anordnungen lassen sich somit – ähnlich wie in der realen Situation – bedienen. Damit werden Parameterwerte über experimentell relevante Handlun-gen verändert und nicht durch virtuelle Bedienelemente oder numerische Eingaben in Datenfelder außerhalb des Bildes.IBE vermeiden somit einen wesentlichen Nachteil fremdgesteuerter und virtuell manipulierter Bildmedien: Die Aufmerksamkeit des Lernenden lässt sich bei diesen nicht so lenken, dass alle rel-evanten Bildinformationen im zeitlichen Ablauf und im Kontext der Manipulationen des Benutzers erfasst werden. So werden zum Beispiel erst bei selbstgesteuertem Tempo Details der visuellen Darbietung aufgenommen, wie empirische Untersuchungen gezeigt haben [8].Im Vergleich zur Simulation basieren IBE auf experimentell erfassten Daten, d.h. sie bilden re-ale Vorgänge aus Natur und Technik ab. Dafür ist prinzipiell die Kenntnis eines mathematischen Modells unnötig. Dies hingegen ist bei einem simulierten Experiment zwingend erforderlich. Zum Beispiel lassen sich so im IBE auch Vorgänge darstellen, die in sehr komplexen, nur aufwändig modellierbaren Systemen ablaufen. Allerdings sind dafür die möglichen Handlungen auf einen vorgegebenen Parameterraum eingeschränkt: Das IBE gibt grundsätzlich nur die fotografisch er-fassten Zustände des bei der Aufnahme durchgeführten realen Experiments wieder und ist damit in seiner didaktischen Funktion eher eine neue Art der zielgerichteten (aktiven) Anreicherung und Fortsetzung originaler Erfahrung, als eine künstliche Microworld, in der sich beliebige Situationen – auch völlig unphysikalische – darstellen lassen [9]. IBE ergänzen somit Simulationen, ähnlich wie der Realfilm grafische Darstellungen im Trickfilm.

Didaktisch-methodisches Potenzial

IBE sind multimediale Repräsentationen realer Experimente. Das legt die Übertragung der bekan-nten Merkmale zur Klassifikation von Unterrichtsexperimenten nahe: Qualitative und quantitative IBE stellen Originalexperimente dar, modellhafte Anordnungen im IBE z.B. die technische Funktion von Geräten. Ergänzend dazu kommen hier auch technische Originalgeräte im IBE zum Einsatz. Beispielsweise wird ein Laserdrucker schrittweise zerlegbar. So lassen sich Experimente mit einzel-nen optisch-mechanischen Komponenten dieses Gerätes zum Verständnis seiner Funktionsprin-zipien durchführen, welche über die praktischen Möglichkeiten des analytischen Unterrichts deut-lich hinausgehen. Lernende werden in die Lage versetzt, komplexe Anordnungen selbstständig zu erkunden, um daran den physikalischen Hintergrund technischer Lösungen zu verstehen.Messwerte, die bei der Durchführung von quantitativen „Mess-IBE“ erfasst werden, sind auf-gezeichnete experimentelle Daten, deren Auswertung zur Formulierung verallgemeinerter Aussa-gen in einem induktiven Unterrichtsgang führen können. Die oben genannte Einschränkung führt allerdings auch dazu, dass eine zur Prüfung von (Schüler-)Hypothesen einzusetzende experimen-telle Anordnung im IBE nicht frei entwickelt werden kann. Sie ist in der bisher realisierten Form

Page 26: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

26

des IBE immer fest vorgegeben. Dafür entfällt jeder experimentelle Vorbereitungsaufwand, was den Einsatz - auch den spontanen - vielfältiger Experimente im Unterricht möglich macht.Ein digitales Medium wie das IBE lässt sich fast beliebig vervielfältigen und verteilen. Bisher nur der Lehrerdemonstration zugängliche Experimente werden damit auch für Lernaufgaben im Rah-men von Schüleraktivitäten zugänglich. Sowohl in Einzel- als auch in Gruppenarbeit können Schüler individuell mit Experimenten arbeitsteilig, arbeitsgleich, getrennt-gemeinschaftlich oder auch an Stationen lernen – eine entsprechende Computerausstattung vorausgesetzt. Hausexperi-mente bleiben nicht mehr länger auf einfache Handexperimente beschränkt (vgl. 5.). Auch der individuelle Nachvollzug oder die Vorbereitung von Experimenten [10] kann in das methodische Repertoir des Unterrichts und neue Lehr-Lernkonzepte einbezogen werden (vgl. 7.)

Selbstlern-Module mit IBE

IBE sollen das Verankern abstrakter physikalischer Sachverhalte an konkreten experimentellen Situationen unterstützen. Um diese Funktion auch in Selbstlernsituationen erfüllen zu können, wird ein IBE um Fragestellungen und Aufgaben, eine Beschreibung des Experiments, die Anleitung zu seiner Durchführung, Selbstkontrollangebote sowie eine kurze Sachdarstellung zum physikalischen Hintergrund ergänzt. Alle Elemente sind unabhängig voneinander benutzbar, d.h. sie stehen nur im Bedarfsfall, über Steuerungsinteraktionen auswählbar, zur Verfügung. Das im IBE dargestellte Experiment lässt sich auch ohne weitere Anleitung und Zusatzinformationen für sich alleine du-rchführen. Damit besteht das Lernangebot nicht mehr primär aus einem vermittelnden, um mul-timediale Elemente angereicherten Lehrtext, sondern rückt den selbstständigen Erwerb von Wis-sen in den Mittelpunkt. Technologie soll hier individuelle Lernprozesse unterstützen – z.B. durch multicodale Darstellungen aus neuen Kombination von Fotos, Grafiken und Texten, die interaktiv verknüpft sind. So werden durch Zeigen auf ein Gerät im IBE (Foto) wechselseitig die korrespondi-erenden Symbole im Schaltbild und Text markiert.

Abb.1: Beispiel einer Modulseite mit der multicodalen Beschreibung des Experiments.

Die Gesamtheit aus IBE und aller Metaelemente stellt ein Selbstlern-Modul dar, wie wir es für den Gebrauch an Schulen gemeinsam mit dem Ernst-Klett-Verlag für die CD-ROM-Reihe Klett-Labor entwickelt haben. Bisher sind zwei CD-ROMs mit quantitativen „Mess-IBE“ zur Optik und Elektriz-

Page 27: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

27

itätslehre für den Schwerpunkteinsatz in der Sekundarstufe II erschienen. Weitere CD-ROMs aus dieser Reihe werden weitere klassische Themen der Experimentalphysik abdecken. Daneben ist geplant, mit der Reihe IBE-Phänomene auch qualitative Experimente aus Physik und Technik an-zubieten - besonders solche, die dem unmittelbaren Einsatz im Physikunterricht nicht zugänglich sind.Derartige Module eignen sich zum individuellen Lernen an vorgegeben experimentellen Situatio-nen wie zur Selbstüberprüfung experimentell orientierten Wissens. Inwieweit der aktiv Lernende seine Vorgehensweise beim Experimentieren mit dem IBE artikulieren kann, zum Nachdenken über sein kognitives Vorgehen angeregt wird und es mit den Erkenntnissen anderer vergleichen kann (Reflexion) und welche Lernergebnisse zu erwarten sind, ist Gegenstand von Lernprozessuntersu-chungen, deren Durchführung ab 2001 in mehreren Berliner Schulen geplant ist. Die Ergebnisse werden in die weitere Entwicklung und Verfeinerung der IBE-Module eingehen.

Neue Methoden im Unterricht

Durch eine „digitale Vervielfachung“ des originalen Experiments im IBE lassen sich neue Methoden selbstgesteuerten Lernens gestalten: Das IBE ermöglicht individuelle Schülerversuche (innerhalb verschiedener Sozialformen) zur Ergänzung einer originalen Lehrerdemonstration. Es erlaubt weiter den spontanen Einsatz von Experimenten entsprechend den Erfordernissen der Lernsituation. Also auch dann, wenn etwa im Rahmen einer Gruppenarbeit zurückliegende Inhalte individuell wied-erholt oder im Rahmen binnendifferenzierender Maßnahmen ergänzt werden sollen. Die Nutzung von Experimenten bleibt nicht länger auf den Fachraum begrenzt. Damit lassen sich physikalisch-technische Sachverhalte etwa auch im Mathematik-, Biologie- oder Chemie-Unterricht anschaulich, an Experimenten orientiert, darstellen.Das IBE enthält für quantitative Untersuchungen im Unterricht (oder zum Zwecke von häuslichen Übungen) Originaldaten, die Lehrende und Lernende während der Experimentdurchführung erfas-sen. Sie bekommen damit einen handlungsorientierten Zugriff auf Daten aus Experimenten, die:

a) im Gruppen- oder Einzelunterricht real nicht durchführbar sind,

b) im Gegensatz zur Simulation nicht berechnet, sondern beobachtbare Tatsachen sind und

c) jederzeit und überall zur Verfügung stehen.

IBE stellen in dieser Hinsicht eine Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten realer Experimente im Unterricht dar. Sie ermöglichen deren Ausdehnung auf individuelle Lernformen und damit auch in Bereichen, die über den Präsenzunterricht hinausgehen. Ähnlich den Interaktiven Videos erlauben IBE die Erfassung von realen Daten, die allerdings nicht wie dort auf die Analyse von Bewegungs-vorgängen beschränkt sind.

Multiple Kontexte

IBE erlauben es auch Phänomene und Zusammenhänge erfahrbar zu machen, welche sich im Realexperiment schwer oder gar nicht darstellen lassen. Es kommen Geräte zum Einsatz, die im Schulunterricht nicht zur Verfügung stehen. Das Spektrum der im Unterricht darstellbaren (oder besser selbstständig erfahrbaren) physikalischen Phänomene wie auch der methodischen Grund-formen des Experimentierens wird dadurch deutlich erweitert.Mit der empirisch gesicherten Erkenntnis, dass der Transfer von Wissen um so besser gelingt, je vielfältiger und realitätsnäher die Kontexte und Situationen zu seinem Erwerb gestaltet werden, deutet sich die Vermutung an, dass sich die Vielfalt der durch IBE darstellbaren experimentellen Situationen zur Steigerung der Anwendbarkeit des damit vermittelten Wissens nutzen lässt, letz-tlich also zur Erhöhung der Unterrichtseffizienz führen kann. Ob sich derartige Wirkungen durch eine Erweiterung des experimentellen Horizonts im Physikunterricht auf bisher nicht zugängliche physikalische Phänomene und technische Anwendungen tatsächlich einstellen, soll in weiteren Studien untersucht werden. Wesentlich erscheint dabei, eine hohe Flexibilität der möglichen un-

Page 28: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

28

terrichtlichen Anwendungen zu gewährleisten. Das soll durch Material- und Medien-Datenbanken realisiert werden, wie sie im Intranet einiger Schulen bereits zum Einsatz kommen. Damit stellen Lehrer themenorientiere Mediensammlungen für den Unterricht entsprechend ihrer eigenen di-daktisch-methodischen Konzeption zusammen. Schüler nutzen Datenbanken dieser Art zur selbst-ständigen Recherche im Rahmen von Projektvorhaben. Diese Zusammenstellungen sind beliebig veränderbar und lassen sich ebenso durch selbstgestaltete Elemente ergänzen.

Abb.2: Eine Auswahl von IBE zum Themenkreis Reflexion und Brechung, in denen Grundlagenexperimente sowie Anwendungen aus der modernen Forschung und Technik dargestellt werden.

Die in der Abb. 2 gezeigten IBE stellen im einzelnen folgende Experimente dar:Linker Block: 1. Spiegelbild eines Würfels, 2. Bleistifttest zum Erkennen eines Oberflächenspiegels, 3. Polygonspiegel mit Linsensystem im Laserdrucker, 4. Retroreflektor zur Entfernungsmessung, 5. Retroreflektor in einem Lambda-Meter, 6. Strahlführung bei einem Laserabsorptions-Spektrometer, 7. IR-Reflexion an einer rauen Metalloberfläche, 8. Mikrowellen-Reflexion.Rechter Block: 9. Beobachtung der Reflexion an Glas durch ein Polfilter, 10. Nörrembergscher Po-larisationsapparat (Rekonstruktion nach Achilles [13]), 11. Brechung und Totalreflexion, 12. Bre-chungsgesetz (Hartl-Scheibe), 13. Lichtleiterprinzip, 14. Minimalwinkel, 15. Doppelbrechung, 16. Optischer Schalter mit Flüssigkristallen (TU Berlin, Optisches Institut).Diese willkürliche Auswahl gibt einen ungefähren Eindruck der Vielfalt von möglichen Lernsituatio-nen, die zahlreiche Ansatzpunkte auch für eine horizontale wie vertikale Vernetzung von Unter-richtsinhalten bieten. Sie zeigt daneben auch, wie fruchtbar die Zusammenarbeit von Fachdidaktik, Fachwissenschaft sowie naturwissenschaftlich-technischen Museen zur Verbesserung von Unter-richt und Lehre sein kann. Gerade die moderne Forschung und Technik eröffnen der Fachdidaktik weite Felder zur Erschließung neuer Lehr-Lernkonzepte, auch für die Aus- und Fortbildung von Lehrern.

Tele-Lernen

Interaktive Medien wie Simulationen und IBE ergänzen und öffnen traditionelle Konzepte von Fern-unterricht und -studium, die fertiges Wissen durch Lehrtexte und Videos von Experimenten darbi-eten. IBE im Verbund mit IuK-Systemen unterstützen konstruktive Lernprozesse besonders dann, wenn konkrete experimentelle Situationen vor abstrakten Begriffen und Zusammenhängen den Mittelpunkt des Lernprozesses bilden.

Page 29: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

29

Die Architektur des IBE erlaubt seine Fernsteuerung sowohl in synchronen als auch asynchronen Kommunikationssituationen im Netz. In der synchronen Form ist das IBE eine Repräsentations-form, mit der eine virtuelle Lerngruppe gemeinsam ein Experiment durchführt, also auch interper-sonale Interaktionen den Lernprozess bestimmen. So lassen sich Videokonferenzen durchführen, in denen ein Mitglied der Gruppe die Steuerung des für alle anderen sichtbaren IBE übernimmt. Jede Handlung und Reaktion des Experiments wird unmittelbar beobachtbar, wirkt also auf den Lernprozess der Gruppe insgesamt. Lehrende können moderierend eingreifen wie auch das Lernen der Gruppe anleiten. Die asynchrone Form hingegen erlaubt das Aufzeichnen einer Durchführung des IBE. Es steht damit ein elektronisches Handlungsprotokoll zur Verfügung, das per Datenträger oder Internet (E-Mail) beliebig ausgetauscht werden kann. Mit diesem Protokoll lässt sich nun das IBE an anderer Stelle durch die Datei gesteuert, also ähnlich einer Animation, wiedergeben. Wesentlich ist hierzu die Anmerkung, dass sich mit einem IBE eine Vielzahl von Handlungsabläufen durchführen und aufzeichnen lassen. Im Vergleich zum Film liegt ein solcher also nicht fest, sondern visualisiert das individuelle Handlungswissen des Benutzers.

Abb.3: Bildschirmfoto einer Videokonferenz, in der die Teilnehmer gemeinsam ein IBE durchführen und dabei Beobachtungsergebnisse austauschen.

Just-in-time-teaching

Dieses ICT-Einsatzkonzept sieht vor, dass Studierende zur Vorbereitung einer Vorlesung regelmäßig, mit einem Vorlauf von einer Woche, einführende Aufgaben- und Problemstellungen zum jeweils aktuellen Thema der Lehrveranstaltung individuell bearbeiten. Angebote dazu werden über das WWW bereitgestellt. Dieses Konzept geht auf die Methode des “Learning Cycle” zurück, die von R.A. Millikan bereits in den zwanziger Jahren begründet wurde.Moderne IuK basierte Methoden erlauben nunmehr die Online-Auswertung der Arbeitsergebnisse, womit sich eine Möglichkeit ergibt, die Gestaltung der Vorlesung aktuell (“just-in-time”) vorzune-hmen. So ist der Hochschullehrer beispielsweise in der Lage auf besondere Probleme wie Fehl-

Page 30: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

30

vorstellungen oder auch Wünsche der Studierenden einzugehen.IBE ermöglichen in diesem Konzept die konkrete Verknüpfung und Ergänzung mit Experimenten aus Vorlesung und Praktikum für individuelle Lernaktivitäten, die Präsenzangebote ergänzen. An der TU Berlin soll in der Physikgrundausbildung von Ingenieuren dieses Konzept erprobt werden. Im Rahmen der Lehrveranstaltung “Einführung in die Physik für Ingenieure” (Prof. C. Thomsen) werden IBE seit mehr als drei Jahren im Regelbetrieb mit gutem Erfolg eingesetzt. Neben der angestrebten Vorbereitung sind damit jetzt schon Vorlesungsdemonstrationen für die Studierenden beliebig wiederholbar; für den Kleingruppenunterricht (Tutorien) gibt es ein Angebot von experi-mentell orientierte Übungen. Besonders dieser Aspekt der möglichen Einbeziehung von Experi-menten in Übungen, die physikalische Sachverhalte aus vielen verschiedenen Perspektiven wieder-holt aufgreifen, wurde auch in Akzeptanzuntersuchungen bei Lehrenden als positives Merkmal für den Einsatz von IBE hervorgehoben.

Zusammenfassung und Perspektiven

Interaktive Bildschirmexperimente (IBE) sind die multimediale Repräsentation realer Experimente. Als eine Weiterentwicklung des Realfilms (Arbeitsstreifen) besitzen sie folgende didaktisch wirk-same Eigenschaften:

a) Fotografische Abbildung stationärer Experimentzustände in mehrdimensionalen Parameterräumen.

b) Integration von zeitabhängigen Vorgängen.

c) Erwartungskonforme Gestaltung von Benutzer-Bild-Interaktionen durch die direkte Manipulation von Bildobjekten.

d) Realitätsgetreue visuelle und bei Bedarf auch akustische Rückkopplung.

Die teilweise geäußerte Befürchtung, mit IBE würden Experimente nur noch aus zweiter Hand erfahrbar, weist auf ein Problem, das mit jeder Nutzung von Medien verbunden ist: Tafel, Arbeit-stransparente oder Schulbuch können - genauso wenig wie der Multimedia-Bildschirm - niemals die originale Begegnung mit der Naturbeobachtung im Experiment ersetzen.Sicher ist es nicht sinnvoll, reale Experimente durch IBE zu ersetzen. Aber neue Medien dieser Art können die methodische Vielfalt im Unterricht darüber hinaus erweitern, sie können Experimente ergänzen und sie in den Bereich des individuellen Lernens stärker einbeziehen als das bisher, etwa über das Medium Schulbuch, der Fall ist. Experimente sind im Unterricht auch spontan einsetzbar, sei es zur Ergänzung einer Lehrerdemonstration oder in der Projektarbeit einer Schülergruppe. Das ist von besonderer Relevanz in all jenen Unterrichtssituationen, in denen Physikunterricht nicht im Fachraum stattfinden kann. Das ist zum Beispiel im sogenannten Wochenplanunterricht der Fall, wo Schülergruppen nach Plan selbstständig Übungen zum Unterricht verschiedener Fächer bearbeiten. Auch fachübergreifende Unterrichtsthemen sind in diesem Rahmen durch Experimente ergänzbar (Beispiel: Mathematikunterricht). Durch den Einsatz digitaler Medientechnologie könnt-en abstrakte Inhalte in konkrete Zusammenhänge viel effektiver eingebunden werden, als bislang möglich. In der aktiven Medienarbeit dienen IBE auch zur Dokumentation von Experimenten durch die Schüler selbst – besonders auch solcher, die sich in der Schule nicht durchführen lassen.Zusammenfassend lassen sich folgende didaktische Ziele, die als sinnvoller Einsatz von IBE charak-terisiert werden, nennen:

a) Wirklichkeitsnahe Ergänzung (zum Vorbereiten, Wiederholen und Üben) und Erweiterung von realen Unterrichtsexperimenten.

b) Erweiterung der Veranschaulichungsfunktion von Experimenten.

c) Selbststeuerung des Experimentablaufs durch den Nutzer entsprechend den individuellen Bedürfnis-sen der Lehr-/Lernsituation.

d) Unterstützung einer aktiven und handlungsorientierten Verarbeitung von Bildinhalten statt passiver

Page 31: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

31

Medienrezeption.

Die Anwendung von Multimediatechnologie im Unterricht und der Hochschullehre allein wird die vielfältigen Probleme des Unterrichts nicht lösen. Sie bietet aber die Chance, neue zielgerichtete und didaktisch fundierte Lehr-Lernkonzepte zu entwickeln, die dazu einen wichtigen Beitrag liefern können. Die Nutzung des Internet wird ebenfalls für das lebensbegleitende Lernen eine immer größere Rolle spielen, besonders auch für Zwecke der Fortbildung. IBE sind hierbei eine wichtige Ergänzung bisheriger Online-Lernangebote, die über eine individuelle Nutzung hinaus auch neue Perspektiven für das Lernen in Gruppen geben können. Wesentlich für den Lernerfolg bleibt aber letztlich das Unterrichtskonzept und der Lehrende, der Medien kompetent einzusetzen weiß.

Weitere Informationen und Beispiele

Weitere Informationen zu den vorgestellten Projekten sowie einige Beispiele für IBE finden sich auf der Homepage des Instituts. Die zur Benutzung von IBE benötigten Quicktime- oder Shockwave-Plugins können bei Bedarf kostenlos bezogen werden.

Literatur

Achilles, M. (1989): Historische Versuche der Physik. Frankfurt a.M. (Ed. Wötzel).

Bleichroth, W. et al. (1999): Fachdiaktik Physik. Köln (Aulis).

Heuer, D. (1972). Der Lernerfolg durch physikalische Experimente im Unterricht. In: Die Deutsche Schule, 398 ff.

Hilscher, H. (2000): Videoeinsatz in der Lehre. In: Physik in der Schule 38 (3), 193-200

Issing, L.J. (1985): Veranschaulichen mit dem Bildschirm. In: Friedrich Jahresheft III, 16-19

Issing, L.J. (1998). Lernen mit Multimedia aus psychologisch-didaktischer Perspektive. In: Dörr, G.; Jüngst, K.L.: Lernen mit Medien. Weinheim u.a. (Juventa). S. 159-178.

Jodl, H.; Ringeisen, W.; Seiler, F.-J. (1984): Experimentierfilme für den Physikunterricht. In: Schar-mann, A.; Schramm, H. (Hg.): Physik: Theorie - Experiment - Geschichte - Didaktik. Köln (Auilis).

Kirstein, J. (1999): Interaktive Bildschirmexperimente. Technik und Didaktik eines neuartigen Ver-fahrens zur multimedialen Abbildung physikalischer Experimente. Dissertation TU Berlin.

Mandl, H.; Gräsel, C. (1997): Multimediales und problemorientiertes Lernen. THYROIDEA-ein Lern-programm für das Medizinstudium. In: Müller-Böling, D. (Hg.): Hochschulentwicklung durch neue Medien. Gütersloh (Bertelsmann Stiftung). 173-183

Schaumburg, H.; Issing, L.: Neues Lernen mit neuen Medien: Gestaltung und Organisation von multimedial gestützten Lehr- und Lernprozessen in der Schule. In: Hendricks, W. (Hg.): Neue Me-dien in der Sekundarstufe I und II. Berlin (Cornelsen Scriptor) 2000, 104 – 120

Strzebkowski, R. (1995). Realisierung von Interaktivität und multimedialen Präsentationstechniken. In: Issing, L.J.; Klimsa, P. (Hg.): Information und Lernen mit Multimedia. Weinheim.

Zastrow, M., Willer, J., Kirstein J. (2000): Interaktive Experimentieranleitungen - ein neues Konzept zur Vorbereitung auf das Experimentieren mit Messgeräten im Physikalischen Praktikum. In: Zur Didaktik der Physik und Chemie: Probleme und Perspektiven, Hrsg. von der GDCP, Kiel, Alsbach/Bergstraße: Leuchtturm-Verlag

Zollman, D. A.; Fuller, R.G. (1994): Teaching and Learning Physics with Interactive Video. In: Phys-ics Today 47 (4), 41-47

Page 32: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

32

Page 33: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

33

Veranstaltungsort:GEW-Haus, Ahornstraße 5 in 10787 Berlin, Fon: (0 30) 21 99 93-0

Eine Veranstaltung der Medien-AG der GEW-Berlin und der Zentraleinrichtung Kooperation /Kooperationsstelle Wissenschaft/Arbeitswelt der TU Berlin

Was muss geschehen, damit die vorhandenen Computerim Fachunterricht sinnvollgenutzt werden können?

�������������������������������������� ��� ��������������

10.00 Uhr - 10.45 Uhr Einführungsreferat�Computereinsatz im Unterricht - Situation, Ergebnisse, Perspektiven�Dr. päd. Olaf Kos, Humboldt-Universität zu Berlin

10.45 Uhr - 11.00 Uhr Kaffeepause

11.00 Uhr - 13.00 Uhr Workshops mit ExpertenA) Computereinsatz im Grundschulunterricht

Einführung und Moderation:Frau Prof. Barbara Kochan, TU BerlinFrau Dipl.-päd. Elke Schroeter, TU Berlin

B) Computereinsatz im Fremdsprachenunterrichtn.n., LISUM (Landesinstitut für Schule und Medien)

C) Computereinsatz im Erdkunde- und Geschichtsunterrichtn.n., LISUM

D) Computereinsatz im mathematisch-naturwissenschaftlichen UnterrichtEinführung und Moderation:Dr. Jürgen Kirstein, TU Berlin

13.00 Uhr - 13.30 Uhr Mittagspause

13.30 Uhr - 15.00 Uhr Podiumsdiskussionmit Experten und Expertinnen aus Universität, Schuleund FortbildungsbereichModeration: Thomas Issensee, GEW-Berlin

Auch an den großen Berliner Universitäten beschäftigen sich Pädagogen und Didakti-ker seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten mit dem sinnvollen Einsatz von Compu-tern im Untericht. Hier tun sich vielfältige Möglichkeiten der Kooperation auf, welchedie Wissenschaftler näher an die Schulpraxis holen und den Schulen neue Wege aufzei-gen könnten. Soll das sinnvolle Nutzen von Computern im Unterricht unserer Schulenzu einer Selbstverständlichkeit werden, dann ist das ein langer Prozess.Diese Veranstaltung möchte alle an diesem Prozess beteiligten Akteure zusammenbrin-gen, um gemeinsam Lösungsansätze zum Erreichen dieses Zieles zu erarbeiten.

30.11.2002

Anmeldungbei derGEW-Berlin

Page 34: Mehr Qual oder mehr Qualität? Computer im Fachunterricht€¦ · Wie lässt sich ein didaktischer Mehrwert der neuen Medien theoretisch begründen: Ich wähle dabei zuerst einen

34