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Mehrsprachigkeit – Hindernis im Spracherwerb? Ute Mehring-Diedenhofen IloMe – Institut für logopädische Beratung Bonn Fort- und Weiterbildung für pädagogisches Fachpersonal

Mehrsprachigkeit – Hindernis im Spracherwerb? · Zahlen und Fakten •Ca. 6000 – 8000 Sprachen gibt es weltweit. •Ca. eine Milliarde Menschen sprechen Englisch als Mutter- oder

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Mehrsprachigkeit – Hindernis im Spracherwerb?

Ute Mehring-Diedenhofen

IloMe – Institut für logopädische Beratung Bonn

Fort- und Weiterbildung für pädagogisches Fachpersonal

Zahlen und Fakten

• Ca. 6000 – 8000 Sprachen gibt es weltweit.

• Ca. eine Milliarde Menschen sprechen Englisch als Mutter- oder erste Fremdsprache.

• 14.042.789 nicht in Deutschland lebende Menschen haben 2010 Deutsch gelernt.

• Ziad Fazeh spricht 58 Sprachen fließend!!!

• 300 verschiedene Sprachen werden in Londons Schulen von Schülern gesprochen.

• In Den Haag sind es 110 Sprachen.

• Mehrsprachigkeit ist weltweit der Normalfall.

BRD

• In Deutschland leben 15,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund = 19%

• Der Anteil der 3-6 jährigen macht 29 % aus.

In Köln und Hamburg deutlich mehr!

IloMe

Förderung der Mehrsprachigkeit zur Erhaltung kultureller Identität

Wie z.B. in Südtirol (Bozen):

66 % Deutschsprachige

29 % Italienischsprachige

4,4 % Ladinischsprachige (Räteromanisch)

(Riehl 2009)

IloMe

5

10

15

20

25

Ladinisch

Italienisch

Deutsch

Englisch

... oder wie ein Tal in Norditalien Badia

Jahre

Subjektiv empfundene Sprachkompetenz (nach Spitzer 2005)

0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Ladinisch Italienisch Deutsch Englisch

Das Gehirn hat Platz für viele Sprachen

• Die „Badianer“ wurden in einen Scanner geschoben.

• Bei Bildbenennung in drei Kategorien wurden hemisphärische Aktivitäten getestet.

• Bei der „starken“ Sprache (Ladinisch, Italienisch) war rechts mehr Aktivität.

• Bei der „schwächeren“ Sprache (Englisch) war links im Sprachzentrum mehr Aktivität.

• Die unterschiedlichen Orte im Gehirn, wo Sprache lokalisiert wird, verbessern die Sprache insgesamt.

Formen mehrsprachigen Erwerbs

• 0 – 3 Jahre = Simultane Bilingualität

• 3 – 5 Jahre = Frühe- sukzessive Bilingualität

• 5 – 10 Jahre = Kindlicher Zweitspracherwerb (nach Rothweiler & Kroffke)

Erwerbstypen unterscheiden sich in Bezug auf:

Erwerbszeitpunkt „age of onset“ (wann)!

Erwerbsverlauf (wie)!

Erwerbsgeschwindigkeit (wie lange)!

Erwerbsergebnis (wie gut)!

I

Simultaner Erwerb oder doppelter Erstspracherwerb

• Das Kind wird von Beginn des Spracherwerbs mit zwei Sprachen gleichzeitig konfrontiert und erwirbt beide Sprachen parallel.

• Im Idealfall: „One Person – One Language“.

• Metalinguistische Äußerungen, die sich auf die eigene Zweisprachigkeit beziehen, beobachtet man schon bei Zweijährigen.

• Sprachmischungen sind begleitend kommunikativ motiviert = „Bilingual Bootstrapping“, z.B.: „Kannst du move a bit“?

Der sukzessive Erwerb der Zweitsprache

• Ein zeitlich versetzter Erwerbsbeginn.

• Die Grundzüge der Erstsprache sind erworben.

Beim simultanen und sukzessiven Erwerb zweier Sprachen kann es sein, dass sich eine Sprache schwach und eine Sprache stark entwickelt.

IloMe

Mehrsprachigkeit: Vor- / Nachteil für die Sprachentwicklung?

• Es gilt inzwischen als gesichert, dass Kinder zwei bis drei Sprachen parallel lernen können.

• Zweisprachigkeit ist keine Überforderung.

• Die Präsens einer zweiten Sprache führt nicht zu einer Erschwernis oder Behinderung des Spracherwerbs (Chilla, Rothweiler 2010).

IloMe

Mehrsprachigkeit und Sprachentwicklungsstörung

• Prozentual gesehen haben genauso viele mehrsprachige wie monolinguale Kinder in Deutschland eine SES (Chilla 2010).

• Mehrsprachige Erziehung wird nicht als Risikofaktor für eine SES angesehen (Suchodoletz

2007).

• Bei spezifischer SES sind dann beide Sprachen betroffen (Tracy 2007).

Was sagen Screenings?

• HASE : Nur ca. 10% der DaZ (Deutsch als Zweitsprache) Kinder haben eine „risikofreie“ Sprachentwicklung). (Brunner & Schöller 2004)

• SSV: Nur 28% aller DaZ Kinder haben keinen Förderbedarf (Grimm et al. 2004).

• BISC: Nur ca. 25% der DaZ Kinder sind gänzlich risikofrei für Legasthenie/ Dyslexie (Jansen et al.

1999).

IloMe

Also doch Förderbedarf!!!

• Der Anteil der Kinder mit diagnostiziertem Förderbedarf variiert je nach Bundesland 2009 zwischen 13% und 56% (Befragung der

Länderministerien durch das DJI).

• Zahlen aus Hamburg identifizieren 21 Schulen, in denen der Förderbedarf bei über 50% liegt.

• In einigen Bildungseinrichtungen sogar 88% (May/Kintze 2008).

IloMe

Alltags- und Schulsprache

• Die Diskrepanz zwischen den Anforderungen der Alltagssprache und denen der Schulsprache dokumentiert sich nach Berechnungen für das Schuljahr 2007 in einem mehr als doppelt so hohen Risiko für Kinder mit Migrationshintergrund, an eine Lernbehindertenschule überwiesen zu werden. (Wenning, 2010)

Die Rolle der Mutter- oder Erstsprache

• Die Erstsprache spielt im Zweitspracherwerb eine wichtige Rolle.

• Kinder wenden strukturelle Muster der Erstsprache auf die Zweitsprache an (z.B. Rhythmus), wenn sie in das System der Zweitsprache passen (Kaltenbacher 1994).

• Die Grammatik der Zweitsprache aber muss neu aufgebaut werden, sie kann nicht auf dem grammatischen „Fundament“ der Erstsprache errichtet werden (Tophinke 2007).

Für einen erfolgreichen Erwerb des Deutschen.....

• ist es weder zwingend notwendig, die Erstsprache zu fördern,

• noch ist es sinnvoll oder gar notwendig, die Erstsprache zurückzudrängen (Chilla 2010)

• sollte die Muttersprache einen bestimmten Schwellenwert erreicht haben, um erfolgreich zweisprachig zu werden (Cummins 2000)

• sollte das mehrsprachige Kind als mehrsprachiges Individuum unterstützt und wertgeschätzt werden (Relevanz f. Pädagogik )

Die externen Bedingungen...

des mehrsprachigen Kindes haben maßgeblichen Einfluss auf den Erwerb beider Sprachen (Chilla, Rothweiler 2010):

Kindergarten

Inputsituation

Häuslicher Sprachgebrauch

IloMe

• Kinder mit nicht- deutscher Herkunftssprache in Kitas mit mehr als 80% Migranten - das ist keine Immersion (in Sprache eintauchen).

• Ein täglicher, ca. vierstündiger Besuch in einer Kita, wo nicht mehr als 60% der Kinder mit derselben Erstsprache des mehrsprachigen Kindes sind, kann für den Erwerb wesentlicher grammatischer Strukturen des Deutschen ausreichen. (Universität Hamburg)

IloMe

Kindergarten: Gute Inputsituation?

Ganztagskindergarten

• Einschulungsuntersuchungen in Berlin 2011: Längerer Kitabesuch erbringt signifikant bessere Sprachkenntnisse, auch und gerade bei DaZ Kindern.

Von 2006 – 2011 hatte Berlin die letzten drei Kita Jahre beitragsfrei angeboten!

2005 hatten 55% der DaZ Kinder gute/sehr gute Deutschkenntnisse ......

2010 waren es 68 %, vor allem in Berliner Brennpunktgebieten.

Input

• Qualität und Quantität des sprachlichen Inputs sind entscheidend (Chilla 2010, Reich 2010).

• Gewährleistung von sprachlichen Vorbildern und kontinuierlichen Dialogen.

• Sprachkontakte müssen: regelmäßig, gleichmäßig, angemessen oder ausreichend sein (Reich 2010).

• Hauptursache asymmetrischer Fehlentwicklungen sind Unterschiede im Input (De Houwer 2009).

„Zone der Sättigung“

• Ist der Input stark genug, also oberhalb der „Zone der Sättigung“, ermöglicht das mit einem Höchstmaß an Wahrscheinlichkeit einen „robusten“ Zweitspracherwerb.

• Bewegt sich der Input in einer Sprache unterhalb dieser Zone, kommt es zum asymmetrischen Erwerb (Reich 2010).

IloMe

Einfluss des elterlichen Inputs

• Eltern sollen mit ihren Kindern in der Muttersprache sprechen.

• Wenn Eltern mit nicht- deutscher Herkunftssprache Deutsch mit ihren Kindern sprechen, hat das keinen förderlichen Einfluss auf deren Sprachentwicklung im Deutschen (Klassert, Gagarina 2010). (Elternberatung)

• Die kindliche Sprachkompetenz hat keinen Zusammenhang mit dem Deutschgebrauch in der Familie - wohl aber mit den Außenkontakten - (Reich 2010).

IloMe

Sprachenwahl der Eltern gegenüber dem Kind

1. one person – one language: Die Eltern haben unterschiedliche Muttersprachen, jedes Elternteil spricht mit dem Kind in seiner Muttersprache.

2. home language – environment language: Die Eltern haben die gleiche Muttersprache und sprechen diese mit dem Kind zuhause, diese Sprache ist nicht die Umgebungssprache.

Sprachenwahl der Eltern gegenüber dem Kind

3. situativer Sprachengebrauch: Die Eltern sprechen beide Sprachen mit dem Kind und unterscheiden z.B. nach innerhäuslich/ außerhäuslich.

4. mixed language: Die Eltern sprechen beide Sprachen mit dem Kind und entscheiden spontan.

IloMe

Konsequenz für die pädagogische Arbeit im Elementarbereich

• Elternberatung in Bezug auf den familiären Sprachengebrauch und die Spracherziehung ihrer Kinder.

• Elternberatung in Bezug auf die Sprachintervention, d.h. ein Wissen darüber, wie sie die Kinder beim Spracherwerb unterstützen können, z.B. durch „scaffolding,“ Modellierungstechniken, das korrigierende Wiederholen einer Äußerung des Kindes.

IloMe

Modellierungstechniken – auch für die Erzieherinnen –

• Erweiterung: K:„Das weg?“ E: „Ja, das kannst du wegwerfen!“

• Umformulierung: K:„Der Papa kocht Suppe!“ E: „Oh, die Suppe kocht der Papa!“

• Korrektive Rückmeldung: K:„Mama Auto weg!“ E:„Ja, die Mama ist mit dem Auto weggefahren!“

• Elterntraining Sprachförderung von Rodrian

IloMe

Sprachförderung im Kindergarten

Elternberatung zu Sprachgebrauch und Modellierungstechniken ( „Rucksack“)

Literacy Erziehung: Buch- Schriftkultur und Dialogisches Lesen

Kognitive Unterstützung: „Keiner ist so schlau wie ich......!“ Marx/ Klauer

Vom Rhythmus zum Satzbau: z.B. D. Tophinke oder kon-lab von Z. Penner

WÜPRO = HLL Vorbereitung auf Schriftspracherwerb (Küspert/ Schneider)

Delfin4 und „Frühe Chancen“

Delfin4 in NRW: Erfassung der sprachförderbedürftigen Kinder 2 Jahre vor der Einschulung (Prof.Fried, Dortmund)

Frühe Chancen: Bundesinitiative „Schwerpunkt- Kitas Sprache & Integration“ (Bundesministerium für Familien)

www.fruehe-chancen.de