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Meister der Echsen

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Nr. 130

Meister der Echsen

Eine unheimliche Armee marschiert -Saurier gehorchen Funkbefehlen

von Clark Darlton

Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man das Jahr 10.497 v. A. – eine Zeit, die dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht, eine Zeit also, da die Erdbewohner in Bar­barei und Primitivität verharren und nichts mehr von den Sternen oder dem großen Erbe des untergegangenen Lemuria wissen.

Arkon hingegen – obzwar im Krieg gegen die Maahks befindlich – steht in voller Blüte. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III, ein brutaler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII töten ließ, um selbst die Herrschaft übernehmen zu kön­nen.

Auch wenn Orbanaschol seine Herrschaft gefestigt hat – einen Mann hat der Impe­rator von Arkon zu fürchten: Atlan, Sohn Gonozals, den rechtmäßigen Thronerben und Kristallprinzen des Reiches, der inzwischen zum Mann herangereift ist.

Nach der Aktivierung seines Extrahirns hat Atlan den Kampf gegen die Macht Or­banaschols aufgenommen und strebt den Sturz des Usurpators an.

Doch Atlans Möglichkeiten und Mittel sind noch begrenzt. Er muß sich vorerst mit einer Art Guerillatätigkeit zufriedengeben – dies zeigt auch sein Einsatz auf der Frei­handelswelt Jacinther IV.

Atlan und seine Gefährten beginnen, bei den politischen Intrigen der Gouverneure dieses Planeten, kräftig mitzumischen. Fartuloon, der väterliche Freund des Kristall­prinzen, erweist sich dabei als MEISTER DER ECHSEN …

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Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Kristallprinz beschreitet den Pfad der Rache. Fartuloon - Atlans alter Lehrmeister wird zum »Meister der Echsen«. Eiskralle - Der Chretkor verteilt tödliche Händedrücke. Morvoner Sprangk - Ein Raumkommandant bekommt es mit der Polizei zu tun. Coraschol und Harakas - Atlans unfreiwillige Helfer. Mavillan Ruuver - Gouverneur von Kortasch-Auromt.

1.

Beim ersten Anblick des Hafenbeckens von Kortasch-Auromt fühlte ich mich in die Pionierzeiten des Imperiums zurückversetzt. Überall auf den Molen standen Fahrzeuge, die keinen eigenen Antrieb besaßen. Im Wasser schaukelten altertümliche Fracht­schiffe, darunter auch mehrmastige Segler.

Obwohl reges Leben und Treiben herrsch­te, konnte ich niemanden bemerken, der sich sonderlich beeilt hätte.

Die kleinen Häuser der Stadt gruppierten sich in einem Halbkreis um die natürliche Bucht der großen Insel, die als einer der vier Kontinente des Handelsplaneten Jacinther IV galt. In den engen Gassen war es noch dunkel, obwohl die Sonne längst aufgegan­gen war. Sie verbarg sich hinter einer un­heilverkündenden Wolkenbank im Osten.

Die abenteuerlichsten Gestalten drückten sich an den Hauswänden entlang. Einige schoben Karren mit Lasten vor sich her, an­dere wiederum trugen Körbe oder Säcke auf ihren Schultern.

Mein Blick wanderte mehr in südliche Richtung, wo ich am fernen Horizont des noch relativ flachen Hinterlandes einen dunklen Streifen entdeckte: das Hochland.

Dort also lag unser Ziel. Im Augenblick allerdings sah es ganz so

aus, als wolle man sich auch in dieser Hin­sicht Zeit lassen, denn niemand kümmerte sich um uns, obwohl wir als wichtige Gefan­gene galten.

Der stählerne Gitterkäfig war vom Schiff auf einen Wagen gebracht worden, der an der Mole stand. Nur wenige der Passanten warfen uns neugierige Blicke zu, die ande­

ren gingen unbeeindruckt weiter, als seien wir irgendeine unwichtige Handelsware.

Fartuloon nahm das Schicksal, das uns getroffen hatte, mit ziemlicher Gelassenheit hin. Er hockte in seiner Ecke des Käfigs, den breiten Rücken gegen die Gitterstäbe ge­lehnt, und studierte die Umgebung. Manch­mal fing ich seinen Blick auf, und dann ver­meinte ich, in seinen Augen so etwas wie unterdrückte Heiterkeit zu erkennen.

Auch der Chretkor Eiskralle machte sich nicht viel aus der Gefangenschaft, in die wir mehr oder weniger freiwillig geraten waren. Wie wir alle, war er davon überzeugt, daß der Augenblick der Flucht noch nicht ge­kommen war. Sobald dieser Augenblick kam, würde er zu einer unerbittlichen Kampfmaschine werden, indem er seine Gegner durch einen Händedruck in Eis ver­wandelte.

Nicht ganz so zufrieden war der vierte im Bunde: der alte Arkonidenkommandant Morvoner Sprangk. Ständig murmelte er Flüche vor sich hin und drohte den Vorbei­gehenden. Ich konnte ihm ansehen, daß er am liebsten bereits jetzt ausgebrochen wäre und die Passanten verprügelt hätte.

»Halt den Mund, Morvoner!« knurrte Far­tuloon. »Da kann ja kein Mensch schlafen, wenn du dauernd Selbstgespräche führst.«

»Ach, schlafen willst du? Am hellichten Tag willst du schlafen und dich von diesen heruntergekommenen Individuen begaffen lassen? Sieh sie dir doch an, Bauchauf­schneider! Diese verlausten Kreaturen wären in der Flotte Arkons nicht einmal als Latri­nenpersonal eingestellt worden.«

»Ihr sollt euch nicht immer streiten!« mel­dete sich nun auch der sensible Chretkor zu Wort. »Laßt doch die Leute hier aussehen,

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wie sie wollen. Was geht das uns an? Die Hauptsache ist doch, sie bringen uns bald zu ihrem Auftraggeber, damit wir endlich er­fahren, was er von uns will.«

Es schien mir an der Zeit, auch etwas zu sagen.

»Es dürfte klar sein, was er von uns will, Freunde, trotzdem soll er es uns selbst sa­gen. Er wird genauso scharf wie Prillgram Galbass auf den Posten des angeblich tod­kranken Fertomash Agmon sein, der als offi­zieller Imperiumsbeauftragter diesen Plane­ten beherrscht. Alle vier Gouverneure möch­ten seinen Posten, und wenn Agmon wirk­lich bereits tot ist, wie Gerüchte wissen wol­len, wird hier bald ein Machtkampf entbren­nen, in den wir auf keinen Fall hineingeraten dürfen.«

»Ich habe immer noch mein Skarg«, mur­melte Fartuloon und legte die Hand auf den Griff seines legendären Schwertes, dessen geheimnisvolle Kräfte selbst ich nicht kann­te. »Die werden ihr blaues Wunder erle­ben!«

Ich vergewisserte mich, daß kein Lau­scher in der Nähe war.

»Es geht nicht ums Kämpfen, Fartuloon, das weißt du ganz genau. Unsere Aufgabe ist es, die Ankunft des arkonidischen Öko­nomen Freemusch abzuwarten und ihn in unsere Gewalt zu bringen. Damit allein ver­setzen wir Orbanaschol einen schweren Schlag. Er wird sich kaum von dem letzten erholt haben.«

»Ich bin gespannt«, meinte Eiskralle fast träumerisch, »wann wir wieder dem ver­dammten Blinden Sofgart begegnen. Ich möchte ihm nur zu gern die Hand kräftig drücken …«

Das Gespräch schlief wieder ein, als eini­ge Karren in unmittelbarer Nähe zum Ab­transport bereitgestellt wurden. Noch wäh­rend ich überlegte, wer sie ziehen sollte, sah ich etwas sehr Merkwürdiges. Auch meine drei Freunde wurden aufmerksam, als sie die seltsame Prozession erblickten.

Voran gingen etwa zehn verwegen ausse­hende Männer, unterschiedlich gekleidet

und offensichtlich trotzdem einer ganz be­stimmten Kaste angehörend. Alle trugen sie auf der Brust einen kleinen, schwarzen Ka­sten, der mit Riemen am Körper befestigt war. Die wippende Antenne verriet, daß es sich um Sender oder Empfänger handelte.

Hinter ihnen kamen – Saurier! Mir fiel im Augenblick keine bessere Be­

zeichnung ein, aber ich erfuhr sehr bald, daß sie genau stimmte. Es mochten etwa zwei­hundert von ihnen sein, und sie marschierten in Reih und Glied hinter den zehn vorange­henden Arkoniden her. Seitlich wurden sie von weiteren Wärtern flankiert, von denen keiner ohne den schwarzen Kasten war.

Die Saurier waren nicht sehr groß, sahen aber in ihrer Gedrungenheit ungemein kräf­tig aus. Sie wirkten friedlich, was unter den gegebenen Umständen um so befremdender sein mußte.

Nicht weit von uns entfernt hielt der Zug an.

»Ob die eine Zirkusvorstellung geben wollen?« brummte Morvoner Sprangk voller Skepsis. »Doch wohl nicht uns zu Ehren …?«

Niemand antwortete ihm, denn jeder von uns beobachtete fasziniert, was weiter ge­schah.

Die Tiere verteilten sich im Hafengelände und begannen – mit der Arbeit. Einige trot­teten, stets von einem der Wärter begleitet und mit Hilfe des Senders dirigiert, zu den am Kai liegenden Schiffen und begannen, die dort bereitgelegten Lasten ans Land zu tragen, wo sie gestapelt wurden. Andere ver­luden die Ballen, Kisten und Körbe auf die Fahrzeuge, bis eine ganze Kolonne der meist vierrädrigen Karren zur Abfahrt bereitstand.

Schließlich wurden bisher untätig geblie­bene Saurier davorgespannt, und der ganze Zug setzte sich nach Süden zu in Bewegung. Er ging an der Stadt vorbei ins Landesinne­re, und mir wurde klar, daß dies die landes­übliche Methode war, die von zwielichtigen Händlern und Piraten nach Jacinther ge­brachten Waren zum Handelsstützpunkt im Hochland zu bringen, wo zugleich der Sitz

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des Gouverneurs sein mußte. »Die spinnen, die Händler von Jacinther!«

stellte Fartuloon lakonisch fest. »Warum so umständlich, wenn es auch einfacher geht?«

»Das ist vielleicht der einfachste Weg, wer weiß das?« Eiskralle hatte in der Zwi­schenzeit die Gespräche einiger Passanten belauscht, die achtlos an unserem Käfig vor­beigegangen waren. »Diese lustigen Viecher heißen Moojas. Sie müssen ziemlich emp­findliche Gehirne haben, sonst würden sie nicht auf Funkimpulse reagieren. Wenn die aber mal richtig Wut kriegen, möchte ich nicht dabeisein.«

Noch ahnte ich nicht, welche Überra­schung uns hinsichtlich der Moojas bevor­stand. Im Augenblick hielten wir alle sie für abgerichtete Arbeitstiere, die mit Hilfe von elektronischen Impulsen gesteuert wurden.

Einer der Wärter näherte sich uns. Er blieb vor dem Karren mit unserem Käfig stehen, und betrachtete uns mit Blicken, in denen Neugier zu lesen war. Wir kamen uns vor wie seltene Tiere in einem Zoo, die von den Besuchern angestarrt wurden.

»Jetzt geht es auf die Reise«, sagte der Wärter schließlich, und seine Stimme war nicht gerade unfreundlich.

»Wohin bringen Sie uns?« fragte ich höf­lich, um seiner Eitelkeit zu schmeicheln.

»Zum Gouverneur, wohin sonst? Er hat oben im Hochland seinen Regierungssitz.«

»Wissen Sie, was er von uns will?« »Woher soll ich das denn wissen? Ich ha­

be den Auftrag erhalten, euch hinzubringen, das ist alles. Und versucht nicht, euch aus dem Staub zu machen. Die Moojas rennen wie der Sturmwind und holen jeden ein. Ich will euch lieber nicht erst erzählen, was sie dann mit einem machen.«

Fartuloon drehte sich ein wenig um, damit er den Wärter sehen konnte. Er deutete auf dessen Sendegerät.

»Und deshalb gehorchen die Tierchen?« Stolz nickte der Wärter. »Damit habe ich Gewalt über alle. Gäbe

es die Moojas nicht, müßten wir die Fahr­zeuge selbst ziehen und die Lasten allein tra­

gen. Paßt auf, ich werde jetzt zwei herbeiru­fen, um sie vor den Wagen zu spannen.«

Er betätigte einen winzigen Hebel an dem schwarzen Kasten und drückte auf einige Knöpfe. Sofort trennten sich zwei der Sauri­er von ihren Artgenossen und trotteten in ei­nem merkwürdig schaukelnden Gang herbei. Sie erinnerten an Echsen, wenn sie auch einen kürzeren Schwanz hatten. Ihre Haut bestand aus einem feinen Schuppenpanzer, der sie fast unverwundbar machte.

Gehorsam stellten sie sich vor den Wa­gen. Der Wärter spannte sie ein und betrach­tete dann sein Werk, als habe er das heute zum erstenmal getan. Dann trat er zurück und winkte zwei andere Arkoniden herbei. Er deutete auf uns.

»Du weißt Bescheid, sie werden zu Ma­villan Ruuver gebracht. Der Gouverneur hat ausdrücklichen Befehl gegeben, sie scho­nend zu behandeln, da er sie verhören möch­te. Ich komme selbst mit euch. Drei Mann werden genug sein.«

Die Moojas zogen an. Rumpelnd setzte sich das Gefährt in Be­

wegung.

*

Wir hatten hin und her überlegt, welches die beste Methode sei, dem mächtigen Gou­verneur der Handelsinsel unter die Augen zu treten. Wenn er dem Gouverneur des Süd­kontinents, Prillgram Galbass, charakterlich ähnelte und die gleichen Ziele verfolgte, was wir stark vermuteten, durfte unsere Aus­gangsposition nicht zu schwach sein. Trotz­dem ließen wir uns gefangennehmen, um mehr über die Art seines Regierens zu erfah­ren. Außerdem ersparte uns der Gefangenen­transport die Mühe, selbst den Weg ins Hochland zu suchen.

Wir hatten jedoch nicht vor, den Gouver­neur als Gefangene aufzusuchen, sondern als freie Männer mit einigen Trümpfen in der Hand. Wir wollten uns vorher befreien und dann Mavillan Ruuver freiwillig aufsuchen. So etwas imponierte Männern seines Schla­

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ges. Wir wußten nicht, wann der richtige Zeit­

punkt zur Flucht kam. Sie mußte unter eini­germaßen dramatischen Begleitumständen erfolgen, damit unserem Erscheinen im Gouverneurspalast einige haarsträubende Berichte vorangingen. Das würde Ruuver entsprechend beeindrucken.

Der Hafen und die Stadt blieben zurück. Die Straße war voller Löcher und unge­

pflegt. Rechts und links erstreckten sich wildwuchernde Felder mit Obstbäumen und Gemüsegärten. Vor uns stieg das Gelände nur wenig an, aber das Hochplateau in der Ferne vor uns war deutlich zu erkennen. Ich schätzte die Entfernung auf knapp vierzig Kilometer, aber das konnte täuschen.

Noch immer war die Sonne nicht sichtbar, denn die Wolkenbank, die aus dem Osten kam, war schneller als sie. Fast der ganze Himmel war nun bedeckt. Auch schien es mir, als sei der Wind kräftiger geworden.

Die drei Wärter saßen vorn auf der Kutschbank. Sie waren viel zu faul, um sich zu unterhalten. Einer von ihnen war einge­schlafen und schnarchte wie drei Sägewerke. Die beiden Moojas trotteten gehorsam dahin und schienen die schwere Last überhaupt nicht zu spüren.

Fartuloon sagte: »Lange hält mein Hinterteil das nicht

mehr aus.« Eiskralle befühlte sein eigenes, das we­

sentlich weniger Gewicht besaß. »Was soll denn ich erst sagen?« erkundig­

te er sich. »Du bist doch genug gepolstert und solltest nichts spüren.«

»Jeden Ruck und Stoß spüre ich, ich bin eben empfindlicher als du.«

Ich ließ sie reden und hing meinen eige­nen Gedanken nach.

Dieser Ökonom Freemusch, dessen An­kunft auf Jacinther angekündigt worden war, bekleidete einen Posten, der mit dem eines Handelsministers zu vergleichen war. Im­merhin kam er im Auftrag des Imperators, um Jacinther zu inspizieren. Wenn wir ihn in unsere Gewalt bekamen, würde Orbana­

schol, Brudermörder und zugleich mein On­kel, abermals sehr eindrucksvoll auf mich aufmerksam gemacht werden. Er sollte wis­sen, daß ich meinen Vater rächen und An­spruch auf den Thron des Großen Imperiums erheben würde.

Orbanaschol sollte Tag und Nacht keine Ruhe mehr finden. Ständig sollte er befürch­ten müssen, die Rächer kämen zu ihm, um das Urteil zu vollstrecken, das er selbst über sich gefällt hatte, als er meinen Vater ermor­den ließ.

Freemusch war der nächste Schritt auf dem Pfad meiner Rache.

»Ich drehe den verdammten Kerlen das Genick um, wenn sie nicht vorsichtiger kut­schieren können!« fluchte Morvoner Sprangk, als die Räder des Karrens über einen Stein holperten.

»Das wirst du nicht tun!« riet ihm Fartu­loon. »Wir werden ihnen etwas zeigen, das sie noch nie in ihrem Leben gesehen haben, und dann müssen sie Ruuver die Umstände unserer Flucht schildern. Das können sie aber nicht mit umgedrehtem Hals tun. Ich warte jetzt nur noch auf ein richtig schönes Gewitter.«

»Gewitter? Wozu denn ein Gewitter?« Fartuloon grinste. »Laß dich doch mal überraschen, Morvo­

ner.« Ich wußte zwar auch nicht, wozu wir ein

Gewitter brauchten, aber ich stellte keine Fragen. Es hätte auch wenig Sinn gehabt, denn wenn Fartuloon einmal entschlossen war, eine seiner Vorstellungen zu geben, war es sinnlos, vorher Erkundigungen ein­ziehen zu wollen.

Eigentlich hatte es mich von Anfang an gewundert, daß man uns nicht alle Waffen abgenommen hatte. Natürlich besaßen wir keine energetischen Handstrahler, aber zu­mindest Fartuloons Schwert war nicht zu übersehen gewesen.

Ich nutzte die Gelegenheit, mich noch einmal umzudrehen. Stadt und Hafen lagen bereits einige Kilometer hinter uns und wa­ren gut zu erkennen. Gerade lief ein neues

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Schiff in die Bucht ein, ein Raddampfer ur­alter Bauart.

Wie mochte es Farnathia jetzt gehen? Ich hatte sie auf dem Asteroiden der Pira­

ten unter der Obhut ihres Anführers Hanwi­gurt Sheeron zurückgelassen, wenn ich ihm auch nicht recht über den Weg traute. Aber er wußte von meiner wahren Identität und würde sich hüten, nicht gut auf das Mädchen aufzupassen. Sollte ich jemals mein Ziel er­reichen und Imperator von Arkon werden, wäre er seines Lebens nicht mehr sicher, wenn Farnathia etwas passieren sollte.

Genau das wußte der Anführer der Pira­ten, die mich und meine drei Freunde nach Jacinther gebracht hatten.

Dieses Wissen war meine Lebensversi­cherung für Farnathia.

Ich drehte mich wieder um. Das Vibrator­messer unter meiner Jacke erinnerte mich daran, daß wir jederzeit unser Gefängnis verlassen konnten, wenn wir das wollten. Es würde die Gitterstäbe mühelos zerschneiden. Aber wahrscheinlich schien Fartuloon diese Methode zu wenig eindrucksvoll, denn er hatte meinen entsprechenden Vorschlag rundweg abgelehnt.

Die Straße wich einer flachen Anhöhe aus, und als wir sie hinter uns gebracht hat­ten, waren Stadt und Hafen unseren Blicken entschwunden. Vor uns lag die steinige und nur wenig bewachsene Ebene, und im Hin­tergrund türmte sich das eigentliche Hoch­plateau wie eine gewaltige Mauer auf.

Die Wolken über uns zogen niedriger und schneller dahin. Unsere Wärter warfen im­mer wieder besorgte Blicke nach oben. Nur die niedrige Wandung des Wagens hielt den Wind ab, der durch die Gitterstäbe pfiff.

Fartuloon blickte nach oben. Er studierte den Zug der Wolken und richtete sein Au­genmerk besonders auf eine fast schwarze Bank, die sich immer näher an uns heran­schob. Ich konnte beobachten, daß die Wär­ter immer öfter ihre Sender betätigten, um die Moojas zu beruhigen. Die Tiere glichen lebenden Robotern, die durch positronische Impulse gesteuert wurden.

»Bald ist es soweit«, murmelte der ehe­malige Leibarzt meines ermordeten Vaters. »Haltet euch bereit, wenn ich die Show ab­ziehe.«

»Was hast du vor? Es ist besser, wenn wir es wissen.«

»Unsinn!« Er klopfte abermals auf den Griff seines Schwertes. »Ihr sollt mal sehen, was mein Skarg alles kann. Schon mal was von einem Energiespeicher gehört, von Auf­laden und willkürlicher Entladung? Das Ge­witter kommt mir gerade recht. Und wenn es dazu noch schön regnet, wir die ganze Ge­schichte hundertmal effektvoller. Dieser Ru­uver wird glauben, wir seien Zauberer, wenn er sie hört – und ich hoffe, er wird uns ent­sprechend empfangen.«

»Da kannst du recht haben«, knurrte Mor­voner.

»Ich kenne Leute, die bringen Zauberer auf der Stelle um.«

»Uns nicht, dazu dürfte er viel zu neugie­rig sein. Er weiß, daß uns sein Konkurrent Galbass mit einem bestimmten Auftrag nach Sebentool schickte, und er wird unter allen Umständen wissen wollen, wie dieser Auf­trag lautet. Schließlich wollen alle vier Gou­verneure Agmons Nachfolger werden. Das ist ja auch der Grund, warum er uns entfüh­ren ließ.«

»Na, fein!« stellte Eiskralle gelassen fest. »Dann sind ja sämtliche Beteiligten neugie­rig und lassen uns vorerst am Leben.« Er sah hinauf zum Himmel. »Es geht in ein paar Minuten los, Fartuloon. Wetz dein Schwert …«

»Spaßvogel!« gab Fartuloon zurück. »Du mit deinen Polarklauen hast gut reden. Aber jetzt kannst du nichts mit ihnen anfangen, und das ärgert dich wohl.«

Bekanntlich verwandelte sich jeder Geg­ner in Eis, den Eiskralle mit der entspre­chenden Absicht berührte. Er brauchte ihm nur die Hand zu reichen, das genügte. Auf der anderen Seite lebte der Chretkor in der ständigen Angst, durch extremen Tempera­turwechsel selbst zu Eis zu erstarren oder zu zerschmelzen.

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Die ersten Regentropfen fielen auf uns herab, und da wir in einem Gitterkäfig hock­ten, gab es keinen Schutz gegen sie. Ich zog den Rock höher, um nicht gleich durchnäßt zu werden. Eiskralle nahm eine der Plastik-matten vom Boden und deckte sich damit zu.

Morvoner und Fartuloon ignorierten den beginnenden Regen.

Die drei Arkoniden auf der Kutschbank gaben ihren beiden Moojas neue Impulsbe­fehle. Die Tiere wurden schneller. Der Wa­gen rumpelte von einer Seite zur anderen und drohte, jeden Augenblick umgeworfen zu werden.

Dann zuckten im Osten Blitze auf. Es hatte schon länger Wetterleuchten am

Horizont gegeben, aber nun kam das Gewit­ter schnell näher und holte uns ein. Der rol­lende Donner erschreckte die Moojas, aber die Befehlsimpulse waren stärker als jede natürliche Furcht. Gehorsam blieben sie auf der Straße und zogen unseren Wagen.

»Gleich fällt der Käfig über Bord«, mein­te Morvoner. »Dann brechen wir uns bei dem Tempo sämtliche Knochen. Tu endlich etwas, Fartuloon! Wie lange willst du denn noch warten?«

»Nicht mehr lange, Morvoner. Übe dich in Geduld, um so schöner wird das alles …«

Ich begann seine Absicht zu ahnen, denn nicht ohne Grund wartete er darauf, daß das Gewitter noch näher kam. Inzwischen hatte der Regen voll eingesetzt. Die Sicht betrug nur noch wenige hundert Meter, aber die Wärter schienen den Weg genau zu kennen. Die Moojas auch.

Fartuloon wartete, bis die Blitzeinschläge gefährlich nahe waren. Die schwarze Wol­kendecke war nun direkt über uns. Blitz auf Blitz fuhr aus ihr heraus und krachte mit oh­renbetäubendem Getöse in Felsen und ein­zelstehende Bäume, die sofort in Flammen aufgingen. Es konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis unser Wagen einen Voll­treffer erhielt.

Daran schien auch Fartuloon zu denken. Er verlor nun keine Zeit mehr.

Vorsichtig holte er das Skarg unter sei­nem Gewand hervor. Fast liebevoll zog er es aus der Scheide, die wieder unter dem Rock verschwand. Nun hielt er das blanke Schwert mit dem schimmernden Griff und der blitzenden Schneide in den Händen. Er saß so, daß die Wärter nicht beobachten konnten, was er tat.

»Haltet euch für alle Fälle fest. Ich muß erst einen feinen Blitz abwarten, um Energie zu speichern. Und hört auf meine Anweisun­gen, wenn ich welche gebe.«

»Dann mußt du aber schon brüllen, damit wir sie hören«, meinte Morvoner.

»Worauf du dich verlassen kannst!« Far­tuloon sah hinauf in den Himmel. »Die Blit­ze sind nun nahe genug. Nun paßt mal auf, was passiert …«

Mit seiner Stentorstimme rief er die Wär­ter an:

»He, ihr Viehtreiber, dreht euch mal um, aber fahrt nicht gegen einen Felsen! Viel­leicht ist es besser, ihr haltet kurz an!«

Der Anführer betätigte sofort seinen Be­fehlssender, als er Fartuloon im Käfig stehen sah, das blanke Schwert in den Händen. Die Moojas wurden langsamer, und dann stand der Wagen. Halb im Unterbewußtsein be­merkte ich, daß der Weg hier ziemlich eben war und es keine Bäume in unmittelbarer Nähe gab.

»Was ist los? Stecken Sie Ihr Schwert weg!«

Fartuloon deutete mit der Spitze des Skarg hinauf in den dunklen Himmel, aus dem immer wieder Blitze zur Erde herabfuh­ren.

»Wartet, ich werde euch gleich zeigen, wie gut ich mit euren Göttern befreundet bin. Ich habe sie gebeten, uns zu befreien und euer Leben zu schonen, wenn ihr dem Gouverneur wahrheitsgemäß berichtet, was ihr gleich sehen werdet.«

Ich ahnte Fartuloons Absicht und war ge­spannt, wie er es bewerkstelligen wollte. Auf der anderen Seite konnte ich mir nicht vorstellen, wie er derartige Energien bändi­gen wollte. Außerdem war er auf den Zufall

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angewiesen, denn Blitze lassen sich nicht befehlen, an welcher Stelle sie Kontakt mit der Oberfläche finden.

Aber ich hatte mich allem Anschein nach geirrt.

Kaum hatte Fartuloon ausgesprochen, da blitzte es senkrecht über uns auf. Ein gewal­tiger Feuerstrahl raste im Zickzack auf uns nieder – und verschwand im Skarg.

Das Schwert begann sofort aufzuglühen und hüllte seinen Träger in eine leuchtende Aura, die an eine Energieblase erinnerte. Fartuloon schien von innen heraus zu glü­hen, und das Schwert in seiner Hand war wie flüssiges Feuer.

So stand er da, reglos und wie im Zwiege­spräch mit den angeblichen Göttern des Pla­neten Jacinther.

Eiskralle, Morvoner und ich verhielten uns abwartend. Es blieb uns auch nichts an­deres übrig. Außerdem wußte keiner von uns, was geschehen würde, wenn wir Fartu­loon angepackt hätten. Ihm jedenfalls schien der gespeicherte Blitz nichts auszumachen. Das Skarg besaß Fähigkeiten, von denen ich bisher nichts geahnt hatte.

Die drei Wärter starrten mit aufgerissenen Augen auf das Schauspiel. Sie waren unfä­hig, sich zu bewegen oder etwas zu unter­nehmen. Die Moojas wurden allmählich un­ruhig.

»Noch nicht genug?« brüllte Fartuloon die Fassungslosen an, daß sie zusammen­zuckten und unwillkürlich zu ihren Waffen griffen. »Nun gut, dann will ich euch noch mehr zeigen, damit die Geschichte für den Gouverneur auch wirklich gut wird. Seht her …«

Langsam senkte er das Flammenschwert dem Gitter an der rechten Seite des Käfigs entgegen. Die ersten Funken sprangen über, und dann floß ein regelrechter Feuerstrom aus der Schwertspitze in die Gitterstäbe. Diese wurden sofort rotglühend, dann weiß.

Sie begannen zu schmelzen. Sekunden später war das Gitter ver­

schwunden. Der Wagenboden schwelte, an einigen Stellen begann er zu brennen, aber

der Regen löschte den Band sofort wieder. Das war zuviel für unsere Wärter. Mit großem Geschrei sprangen sie fast

gleichzeitig von der Kutschbank, landeten im Dreck der aufgeweichten Straße, erhoben sich wieder und ergriffen die Flucht. Keiner von ihnen dachte auch nur einen Augenblick daran, die Waffe gegen den Zauberer zu er­heben.

Fartuloon senkte sein Skarg und lachte hinter ihnen her.

Doch dann, Sekunden später verging ihm das Lachen.

Und uns auch. Wir hatten die Moojas vergessen.

*

Erst wenig später wurde mir klar, was ge­schehen war. Die Moojas hatten sich solan­ge ruhig verhalten, wie sie noch unter dem Einfluß der ständig auf sie einströmenden Befehlsimpulse der drei Sender standen. Die geflohenen Wärter hatten diese Sender je­doch mitgenommen. Entweder besaßen die Geräte nur eine geringe Reichweite, oder sie waren bei der überstürzten Flucht so beschä­digt worden, daß sie nicht mehr einwandfrei arbeiteten.

Jedenfalls waren die Moojas plötzlich sich selbst überlassen.

Mit einem Ruck gingen sie durch. Ich hätte nie gedacht, daß Echsen so

schnell laufen können. Wir waren alle nicht darauf gefaßt.

Fartuloon gelang es noch gerade, sein Schwert in die Scheide zu stecken, dann ver­lor er das Gleichgewicht und krachte auf den Boden des Käfigs.

Eiskralle klammerte sich ah einem ver­bliebenen Gitterstab fest, ohne daran zu den­ken, daß der vielleicht noch heiß war. Er schaukelte hin und her wie eine willenlose Puppe.

Morvoner fiel ebenfalls hin und rollte zur anderen Seite, wo er endlich einen Halt fand. Er fluchte in sämtlichen Tonarten und warf Fartuloon giftige Blicke zu.

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Ich selbst stand an der Hinterwand und hielt mich mit beiden Händen fest. Solange die Tiere den Weg nicht verließen und in das mit Steinbrocken übersäte Gelände hinein­jagten, bestand keine direkte Gefahr. Der Wagen konnte höchstens umkippen und weitergezogen werden. Aber auch das würde genügen, zumindest Eiskralles Knochen in Mitleidenschaft zu ziehen.

Wasser spritzte aus den Pfützen empor und überschüttete uns mit einem wahren Gischtregen. Dafür war die schwarze Wolke wenigstens weitergezogen. Das Gewitter entfernte sich.

»Festhalten!« rief ich, so laut ich konnte. »Die Biester müssen ja mal müde werden.«

Neben mir brüllte Morvoner: »Möchte wissen, wer zuerst müde wird:

die oder wir!« Fartuloon hatte sich wieder aufgerappelt

und eine bequemere Stellung eingenommen. Er hockte mit dem Rücken zur Fahrtrichtung und hielt sich rechts und links am Gitter fest. Sein Blick lag nachdenklich auf dem Loch, das er in den Käfig geschmolzen hatte. Er sagte nichts.

Dafür schimpfte Eiskralle pausenlos, ob­wohl ihn niemand verstehen konnte. Ich ver­mochte mir jedoch vorzustellen, was er Far­tuloon alles an den Kopf warf.

Die Moojas waren eben ein unberechen­barer Faktor im Geschehen, und das sollten wir noch mehr als einmal feststellen müssen.

So wie jetzt. Sie verließen die ohnehin schon schlechte

Straße und bogen genau nach Süden ab. Un­kontrolliert rasten sie in die Steinwüste hin­ein, den Wagen, den schwankenden Gitter­käfig und uns hinter sich herschleifend.

Nun wurde es noch schlimmer als zuvor. Der fette Fartuloon wippte auf und nieder, und jedesmal, wenn er mit voller Wucht auf sein Hinterteil zurückklatschte, verzog sich sein Gesicht zu einer schmerzerfüllten Gri­masse. Vergeblich versuchte er, auf die Bei­ne zu kommen und oben zu bleiben.

Eiskralle hatte die Augen geschlossen, hielt sich aber noch immer krampfhaft fest.

Er schimpfte nun auch nicht mehr. Morvoner hingegen fluchte noch lauter

als vorher. Ich konnte jedes Wort verstehen und eine Menge lernen, wenn ich Wert dar­auf gelegt hätte.

So ging das aber auf keinen Fall weiter, denn nun drohte der Käfig jeden Augenblick umzukippen. Doch nicht nur der Käfig, auch der Wagen machte nicht mehr lange mit. Die Moojas schienen verrückt geworden zu sein. Sie waren nicht zu halten, ganz abgesehen davon, daß wir auch nicht wußten, wie wir das hätten anstellen sollen.

Die Räder der rechten Seite knallten ge­gen einen Stein, und ich dachte schon, sie würden zerbrechen. Aber wie durch ein Wunder hielten sie den gewaltigen Stoß aus. Allerdings geriet der ganze Karren ins Schwanken, und wenn sich Fartuloon nicht mit seinem Gewicht auf die entgegengesetz­te Seite geworfen hätte, wären wir schon jetzt gekippt und unter der Last von Wagen und Käfig begraben worden.

»Ich werde versuchen, die Tiere zu bändi­gen!« brüllte ich in Fartuloons Ohr. »Haltet hier das Gleichgewicht!«

Er nickte zurück, als ich meine Absicht dreimal wiederholt hatte.

Vorsichtig löste ich meine Hände von dem Gleiter und wartete, bis das Blut wieder richtig zirkulierte. Morvoner und Eiskralle sahen neugierig zu und begriffen meinen Plan. Sie machten skeptische Gesichter, pro­testierten aber nicht.

Es war gar nicht so einfach, durch das Loch auf der rechten Seite zu klettern, ohne den Halt zu verlieren.

Unter mir raste das steinige Gelände nach hinten, und mit Schaudern dachte ich an die Folgen, wenn ich hinunterfiel. Die Plattform des Wagens bot nur wenig Platz, da sie fast zur Gänze von dem Gitterkäfig beansprucht wurde.

Endlich hatte ich es geschafft. Ich hielt mich an der Bordwand des Fahrzeugs fest und schob mich langsam und vorsichtig in Richtung Kutschbank weiter. Meine drei Be­gleiter sahen mir mit gemischten Gefühlen

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nach. Als der Wagen mal nicht so sehr

schwankte, ließ ich los und warf mich nach vorn, griff mit beiden Händen zu und packte die Rücklehne der stabilen Bank. Weiter vorn sah ich die schuppigen Rückenpanzer der beiden Echsen. Sie würden mir nur we­nig Halt bieten, und wenn es mir nicht ge­lang, das nur spärliche Zaumzeug zu fassen, zertrampelten mich ihre Klauen, denn ich würde unweigerlich darunter geraten.

Während ich über die Rückenlehne stieg, warfen mich die Stöße des schaukelnden Wagens immer wieder in die Höhe, aber mit aller Kraft hielt ich mich fest. Dann, endlich, war ich auf der anderen Seite. Es gab keine Zügel, mit denen ich die Zugtiere hätte bän­digen können. Und das Geschirr war so weit unten am Wagen befestigt, daß mir nichts anderes übrigblieb, als auf den Rücken eines der Moojas zu steigen und zu versuchen, das Zuggeschirr am Tier selbst zu zerschneiden.

Ich sah zurück, Fartuloon stand nun eben­falls wieder im Käfig und verlagerte ständig sein Gewicht, um das Umkippen des Wa­gens zu verhindern. Eiskralle war gerade da­bei, durch das Loch zu klettern. Ich machte ihm Zeichen, aber er wollte oder konnte sie nicht verstehen. Morvoner half Fartuloon bei der Gewichtsverlagerung.

In einem schnellen Entschluß sprang ich dann mit einem einzigen Satz von dem Kutschbock hinab auf den Rücken des lin­ken Moojas. Das Tier bäumte sich zwar auf, rannte aber weiter, weil es von dem anderen mitgezogen wurde. Ich selbst hielt mich an den glatten Schuppen fest, merkte aber, daß ich das nicht lange aushalten würde. Ich preßte Arme und Beine gegen den Leib des Moojas und rutschte Zentimeter um Zenti­meter nach vorn, dem Kopf und damit dem Zuggeschirr um Hals und Brust näher. Seit­lich konnte ich es noch immer nicht errei­chen.

Meine Überlegung war: Wenn ich eines der Tiere ausspannen konnte und es frei da­vonrannte, würde das andere den Wagen al­lein ziehen müssen. Es würde zweifellos

schneller ermüden und bald stehenbleiben. Es kam nur darauf an, daß ich schnell genug wechselte, denn sonst würde das linke Zug­tier mit mir auf dem Rücken davonrennen.

Inzwischen war ich in die Nähe des Nackens gekommen. Mit der linken Hand ergriff ich das Geschirr und verfügte nun über einen relativ sicheren Halt. Die rechte hielt das Messer, dessen Schneide auf einen Knopfdruck hin mit Tausenden von Schwin­gungen pro Sekunde zu vibrieren begann. Selbst Stahl konnte man damit zerteilen.

Mein Mooja warf den Kopf hoch und stieß einen markerschütternden Schrei aus. Ich hatte keine Zeit, mich darum zu küm­mern, denn ich mußte jene Stelle des Zugge­schirrs finden, die zu durchschneiden war. Mir blieben keine zwei Schnitte, denn wenn das Tier nicht sofort völlig frei wurde, konn­te es zwar ein gewisses Stück ausbrechen, blieb aber an den Wagen gefesselt. Und ich würde dann keine Gelegenheit mehr haben, auch das zweite Mooja abzuschirren.

Genau über dem Nacken war ein Kreuz­punkt der Lederriemen, von einem Eisenring zusammengehalten. Wenn ich ihn zerschnitt, mußte das ganze Geschirr abfallen. Zugleich jedoch mußte ich auf den Rücken des zwei­ten Tieres überwechseln.

Vorsichtig tastete sich meine Hand mit dem Messer vor, aber noch ehe ich die ge­wünschte Stelle erreichen konnte, wandte sich mir der Echsenkopf des rechten Moojas zu.

Sie besaßen einen langen Hals, und ich hatte das Gefühl, daß sie ihn bei Bedarf tele­skopartig ausfahren konnten. Jedenfalls kam das Maul mit den gefährlich blitzenden Raubzähnen bedenklich nahe an meine Hand heran, so daß ich sie blitzschnell zu­rückziehen mußte, wollte ich nicht gebissen werden.

Nun war guter Rat teuer. Ich hätte natürlich versuchen können,

»mein« Mooja mit dem Messer umzubrin­gen, aber das widerstrebte mir. Außerdem konnte der Wagen dabei umkippen.

Es mußte eine andere Möglichkeit geben

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12 Clark Darlton

… Ich versuchte es noch einmal, aber wieder

behinderte mich das rechte Mooja. Es war so, als wollten die Tiere unter gar keinen Umständen den Wagen verlieren. Dabei wurde das Gelände immer unwegsamer. Im Süden war das Hochland näher gerückt. Ir­gendwo mußte auch die Straße wieder nach rechts abbiegen, so daß wir sie kreuzten, wenn wir weiter nach Süden vorstießen.

Hinter mir ahnte ich mehr eine Bewe­gung, als daß ich sie bewußt bemerkte. Ich hatte genug damit zu tun, mich festzuhalten. Außerdem überlegte ich, was ich nun tun sollte.

Eiskralle war es, der mir gefolgt war und nun auf dem rückwärtigen Teil des rechts laufenden Moojas hockte und nach vorn rutschte. Ich wollte ihm zurufen, er solle ge­fälligst wieder verschwinden, aber der Sturmwind übertönte meine Worte. Ich gab Zeichen, aber Eiskralle grinste nur zurück und rutschte weiter.

Der Chretkor schien meine Probleme ge­ahnt zu haben. Und ein Chretkor hatte nicht gerade ein zartfühlendes Gewissen. Für ihn war die Lage eine glatte Notwehrsituation, und vielleicht hatte er sogar recht.

Nun war er mit mir auf gleicher Höhe. Er machte mir einige Zeichen, deren Sinn

ich nicht verstand. Aber das schien Eiskralle gleichgültig zu sein. Er bedeutete mir nur noch, ich solle mich festhalten. Das war un­mißverständlich.

Ich hielt mich also fest und begriff, daß er mir die Initiative aus der Hand genommen hatte. Aber wozu hat man schließlich gute Freunde? Sicherlich auch dazu, einem in ei­ner ausweglosen Lage zu helfen.

Mit einer bedeutsamen Geste hob Eiskral­le die rechte Hand und zeigte sie mir. Nun konnte ich seine Absichten beim besten Wil­len nicht mehr mißverstehen. Mit aller Ge­walt hielt ich mich fest, denn nun wußte ich, was geschehen würde. Ich wollte protestie­ren, aber dazu war es nun zu spät. Wenn der Chretkor sich einmal etwas vorgenommen hatte, war er nicht mehr davon abzubringen.

Mit einer blitzschnellen Bewegung fuhr seine rechte Hand zum Hals des Moojas und krallte sich in den Schuppenpanzer des seit­lichen Nackens.

Im gleichen Augenblick geschah es. Das Tier starb auf der Stelle, aber es blieb

noch für einige Momente zur Gänze erhal­ten. Eiskralle selbst schwang sich mit einem kräftigen Schwung zu mir herüber und hielt sich an mir fest. So laut er konnte, rief er:

»Abspringen! Aber schnell!« Er sprang, aber ich zögerte noch. Wie gebannt beobachtete ich, wie das

rechte Mooja in Stücke zersprang. Die Riemen des Zuggeschirrs hingen

plötzlich frei in der Luft, ehe sie herabfielen und im wahrsten Sinne des Wortes unter die Räder kamen. Da nur noch mein Mooja den Wagen zog, geriet dieser aus dem Gleichge­wicht, was ich ja schon vorher befürchtet hatte.

Eiskralle war längst irgendwo in dem un­übersichtlichen Gelände gelandet und konn­te von Glück sagen, wenn er sich nicht sämt­liche Knochen gebrochen hatte. Um die bei­den anderen Freunde im Käfig konnte ich mich jetzt nicht kümmern, denn es ging um meinen eigenen Hals.

Der Wagen beschrieb eine scharfe Links­kurve und geriet in ein Geröllfeld hinein. Mein Mooja zog weiter, von den Gescheh­nissen erschreckt und völlig außer Kontrolle. Der Wagen schwankte bedenklich von einer Seite zur anderen und wäre sicherlich längst umgekippt, wenn Fartuloon und Morvoner nicht ebenfalls von einer Seite zur anderen gesprungen wären und das Gleichgewicht gehalten hätten.

Mir blieb keine andere Wahl – ich mußte abspringen, wenn ich das Mooja nicht töten wollte. Ich brachte es einfach nicht übers Herz, denn das Tier trug keine Schuld an den Ereignissen. Durch den Sender pro­grammiert, hatte es seine Pflicht getan, und nun war es plötzlich frei und ungebunden – bis auf den Wagen. Hinzu kam die Tatsache, daß sein Gefährte einem unbegreiflichen Unfall zum Opfer gefallen war und die ge­

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13 Meister der Echsen

wohnten Befehlsimpulse ausblieben. Der Wagen fuhr Kreise. Das hatte den

einen Vorteil, daß wir alle vier, auch wenn wir im Augenblick getrennt wurden, nicht sehr weit voneinander entfernt auf der relati­ven Sicherheit des Bodens landeten.

Genau in diesem Augenblick schafften es Fartuloon und Morvoner nicht mehr, das Gleichgewicht zu halten. Der Karren bekam beträchtliche Schlagseite und drohte umzu­stürzen.

Ich sprang ab. Ziemlich hart landete ich zwischen dem

Geröll, rollte mich ab und blieb dann reglos liegen, schon weil ich befürchtete, der Wa­gen könnte zurückkehren und mich überrol­len. Immerhin lag ich in einer Bodenspalte, und wenn ich Glück hatte, berührten mich die Räder nicht einmal.

Ich hörte Fartuloons laute Stimme, ver­stand aber nicht, was er rief. Dann erfolgte ein ohrenbetäubendes Krachen. Holz und Metall zersplitterten. Der Wagen war end­gültig umgekippt.

Es war mir unmöglich, weiter untätig lie­genzubleiben. Vorsichtig kroch ich aus mei­ner Deckung und erhob mich auf die Knie. Ich fand den Wagen sofort. Er war nach rechts gefallen, und der Käfig lag genau auf dem von Fartuloon geschweißten Loch. Nur mit Mühe verkniff ich mir ein Grinsen, wäh­rend ich mich aufraffte und auf die Beine kam. Mein über alles verehrter Bauchauf­schneider saß in seiner eigenen Falle gefan­gen.

Das Mooja hatte sich von seinem Geschirr losgerissen und jagte davon. Einige Meter nur hatte es den umgestürzten Wagen mit­schleifen können, dann war es frei. Ohne die gewohnten Impulsbefehle wußte das Tier nicht, was es tun sollte. Es lief planlos in die Steinwüste hinaus.

Wenig später stand ich vor dem umge­stürzten Wagen. Fartuloon und Morvoner hockten noch immer in ihrem Käfig.

»Nun hebt doch das Ding endlich hoch!« rief ich und setzte mich auf einen Stein, denn plötzlich zitterten mir die Knie.

»Allein schaffe ich es nicht. Seid ihr ver­letzt?«

Fartuloon stemmte sich gegen die noch heile Seite des Käfigs.

»Wir haben Urlaub und erholen uns«, knurrte er sarkastisch.

Morvoner half ihm ohne Kommentar. Ge­meinsam schafften sie es, den schweren Kä­fig so weit anzuheben, daß ich einen Stein zwischen seinen Rand und den Wagenbord schieben konnte. Die beiden krochen heraus.

»Wo steckt Eiskralle?« fragte Fartuloon besorgt.

Seine Besorgnis steckte auch mich an, ob­wohl ich die ganze Zeit über den tapferen Chretkor nicht vergessen hatte. Vielleicht lag er irgendwo in dem unübersichtlichen Gelände und brauchte unsere Hilfe.

»Keine Ahnung, aber wir werden sicher die Stelle finden, an der er abgesprungen ist. Seid ihr in Ordnung?«

Sie standen breitbeinig vor mir. »Sieht man das nicht?« erkundigte sich

Morvoner anzüglich. Ich nickte. »Dann los!« forderte uns Fartuloon auf

und rückte das Skarg zurecht. »Und wenn dieses komische Vieh zurückkommt, werde ich ihm die Flötentöne beibringen.«

»Keine Sorge«, beruhigte ich ihn. »Das Mooja ist froh, wenn es wieder frei herum­laufen kann. Wenigstens nehme ich das an.«

Es war wirklich nicht mehr als eine bloße Annahme. Was wußte ich schon von diesen Tieren, die positronisch kontrolliert wurden? So gut wie gar nichts! Vielleicht veränderten sie ihr Verhalten total, wenn sie echt frei waren. Vielleicht wurden sie zu blutdürsti­gen Bestien, vielleicht auch zu lammfrom­men Lebewesen, die niemandem etwas zu­leide taten.

Die beiden taten so, als habe ihnen der Sturz nichts ausgemacht, aber mir blieb nicht verborgen, daß sie ihre Schmerzen vor mir verheimlichen wollten. Ich selbst spürte jeden Knochen im Leib. Ihnen erging es mit Sicherheit nicht anders. Aber die Sorge um Eiskralle überschattete unsere eigenen Sor­

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gen. Es war schwer, sich in der unübersichtli­

chen Steinwüste zurechtzufinden. Noch schwieriger war es, die Spur des Wagens zu­rückzuverfolgen. Ratlos standen wir auf ei­ner flachen Anhöhe und sahen uns um.

»He, Eiskralle!« rief Fartuloon mit aller Kraft. »Melde dich endlich!«

Keine Antwort. Morvoner versuchte es auf seine drasti­

sche Art: »Chretkor, verfluchter Eisberg, wo steckst

du? Hast du Flügel bekommen, oder willst du uns zum Narren halten?«

Immer noch keine Antwort. Vielleicht hat er das Bewußtsein verloren,

dachte ich besorgt. Dann mußten wir ihn su­chen.

»Los!« sagte ich einfach, und ohne Wi­derspruch folgten mir die beiden Freunde.

Wir verfolgten die schwache Spur der Wagenräder zurück. Immer wieder wurde sie durch den Fels unterbrochen, aber Fartu­loon, unser bester Spurenleser, fand immer wieder neue Anhaltspunkte.

»Wie ich den Kerl kenne, liegt er in einer Bodenfalte und schläft sich aus. Hier, die Wagenspur und die Abdrücke des einen Moojas. Da vorn blitzt etwas in der Sonne …«

Im ersten Augenblick sah es so aus, als wären wir auf ein Diamantenfeld geraten, aber dann begriffen wir, daß wir vor den verstreuten Überresten des Moojas standen.

Fartuloon schien Eiskralle für einen Au­genblick vergessen zu haben. Er bückte sich und durchsuchte die Bruchstücke. Es war mir sofort klar, daß er etwas ganz Bestimm­tes zu finden hoffte.

»Nun komm schon!« forderte Morvoner ihn auf. »Das kannst du später auch noch machen. Was suchst du überhaupt?«

»Dreimal darfst du raten«, knurrte Fartu­loon zurück und richtete sich ein wenig auf. »Geht schon weiter, ich komme dann nach.«

Wir befolgten seinen Rat und fanden Eis-kralle knapp hundert Meter entfernt. Er lag zwischen den Felsblöcken, halb eingekeilt,

aber bei vollem Bewußtsein. Er verzog schmerzhaft das Gesicht, als wir ihn unter­suchten.

»Bin ziemlich hart aufgeschlagen«, gab er dann zu und stöhnte. »Die Knochen sind heilgeblieben, aber ich habe mir die Arme verstaucht.«

»Besser als die Beine«, stellte Morvoner trocken fest. »Wir müssen jetzt nämlich zu Fuß weiter.«

»Das habe, ich mir fast schon gedacht, du Musterbeispiel eines logisch denkenden In­telligenzlers«, gab Eiskralle zurück und rich­tete sich auf. »Aha, da erscheint auch Fartu­loon. Er hat ein Gesicht aufgesetzt, als habe er soeben die größte Entdeckung des Jahr­hunderts gemacht. Was hat er denn da in der Hand?«

Fartuloon kam herbei, warf Eiskralle einen prüfenden Blick zu und schien sofort überzeugt zu sein, daß alles in Ordnung war. Er setzte sich auf einen Stein und hielt uns die Hand hin. In ihr lag ein flaches, schwar­zes Kästchen, nicht größer als ein Feuer­zeug.

»Da haben wir des Rätsels Lösung – ein Impulsempfänger. Sie pflanzen sie in die Körper der Moojas ein und verwandeln sie damit in lebendige Roboter. Ich habe es fast geahnt.«

»Das hilft uns jetzt auch nicht weiter«, murmelte Morvoner. Er schien sich zu är­gern, nicht selbst diese Entdeckung gemacht zu haben. »Ohne den dazugehörenden Sen­der ist das Ding wertlos, abgesehen davon, daß es erst einmal in einem Mooja stecken muß.«

»Du irrst, Morvoner.« Fartuloon nickte mir zu und wog den kleinen Gegenstand in der Hand. »Wir werden ihn mitnehmen, und ich bin überzeugt, wir werden damit noch et­was anfangen können, wenn ich auch nicht so genau weiß, wie und was. Eiskralle, sol­len wir dich tragen? Wir müssen nämlich weiter. Unsere drei verschwundenen Wärter werden inzwischen die Häscher alarmiert haben. So wie die Dinge stehen, ist es bes­ser, wir bleiben frei und nehmen freiwillig

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Verbindung mit diesem Ruuver auf. Eiskral­le kann ihm ja mal die Hand geben, wenn er unartig ist.«

Wir stützten Eiskralle, der schwankend auf die Füße kam.

»Nun, wie sieht es aus« fragte ich ihn. »Nicht übel, nur wird mir der lange Mar­

sch kein besonderes Vergnügen bereiten. Vielleicht können wir unterwegs jemand den Wagen abnehmen, falls einer vorbei­kommt.«

Wir gingen zum Wagen zurück. Der Ka­sten der Sitzbank war durch den Aufschlag zersplittert, und hatte seinen Inhalt freigege­ben – einige verpackte Lebensmittel, Trink­wasser, und einen Handstrahler.

»Na also, da sind wir ja nicht mehr ganz so hilflos«, freute sich Morvoner. »Damit können wir unserer Bitte Nachdruck verlei­hen, wenn wir mitgenommen werden wol­len. Wo mag die Straße sein?«

»Im Süden, denn wir haben sie nach rechts verlassen. Wir gelangen unweigerlich zu ihr, wenn wir hier keine Wurzeln schla­gen.« Ich gab Fartuloon den Strahler. »Es ist besser, wenn du ihn nimmst.«

Er schob ihn in seinen Gürtel. Eiskralle hielt sich tapfer und verbiß seine

Schmerzen. Auch mir ging es nun wieder besser. Ab und zu stützten wir uns gegensei­tig, während uns Morvoner, der als Nachhut einige Meter zurückblieb, in seiner herzerfri­schenden Art immer wieder aufmunterte und dafür sorgte, daß wir »nicht einschliefen«, wie er meinte.

Fartuloon hatte die Spitze übernommen. Wie ein Panzer wälzte er sich durch das un­übersichtliche Gelände, das nun fast un­merklich anstieg. Immer wieder wurden wir durch gewaltige Steinbarrieren zu Umwegen gezwungen, aber dann erreichten wir endlich die Anhöhe.

Vorher sah ich mich noch einmal um. Der Wagen war als dunkler Fleck zu erkennen, von dem Mooja konnte ich keine Spur ent­decken.

Fartuloon deutete nach vorn. »Da unten ist die Straße. Weiter rechts

führt sie wieder genau nach Süden, zum Hochplateau. Wir werden ihr einfach folgen. Rechts und links von ihr gibt es genug Ver­stecke.«

Am Horizont war die schwarze Wand des Plateaus. Sie schien die Insel in zwei Teile zu spalten. Wenn der Palast des Gouver­neurs auf dem oberen Teil lag, wie man uns gesagt hatte, besaß er eine fast uneinnehm­bare Bastion.

Fartuloon duckte sich plötzlich und gab uns ein Zeichen. Wir legten uns auf den noch immer feuchten Boden. Es hatte längst aufgehört zu regnen, und auch das Gewitter war weitergezogen.

»Ist was?« fragte Morvoner und kroch bis zum Rand des Hügels vor.

»Wir werden warten müssen, bis es dun­kel geworden ist. Vom Plateau her kommen die ersten Suchtrupps. Sie werden den um­gestürzten Wagen in Kürze finden. Ich bin dafür, daß wir ein paar Stunden schlafen. Hier oben sind wir einigermaßen sicher.«

Wir fanden eine flache Mulde, in der es unter den überhängenden Felsen sogar rela­tiv trocken war.

Morvoner übernahm die erste Wache.

2.

Ich erwachte, als es zu dämmern begann. Fartuloon hatte inzwischen Morvoner abge­löst, der friedlich unter seinem Felsdach vor sich hinschnarchte. Auch Eiskralle schlief noch.

»Nun, wie sieht es aus?« Ich kroch vor zu Fartuloon und blieb neben ihm am Rand der Mulde liegen. »Ziemlich dunkel geworden.«

»Schöner Betrieb da unten auf der Stra­ße«, flüsterte Fartuloon. »Ich habe allein schon vier Suchtrupps gezählt. Besonders schlau stellen sie sich aber nicht an. Sie blei­ben stur auf der Straße. Den Wagen haben sie vielleicht noch gar nicht gefunden.«

»Wollen wir nicht weiter?« »Natürlich, in einer halben Stunde. Dann

ist es dunkel genug. Wir halten uns parallel zur Straße, dann können wir die Richtung

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nicht verfehlen. Die Händlersiedlung muß unmittelbar vor uns sein, genau im Süden. Ich schätze die Entfernung auf zwanzig Ki­lometer Luftlinie.«

Ein guter Nachtmarsch, wenn Eiskralle es durchhielt, dachte ich. Und wenn uns die Pa­trouillen des Gouverneurs nicht immer wie­der in ein Versteck scheuchten. Bis zum Morgengrauen konnten wir es geschafft ha­ben.

Die vierte Gruppe bewegte sich gerade an uns vorbei. Die Entfernung bis zur Straße betrug etwa fünfhundert Meter. Wir konnten hören, was die Männer miteinander spra­chen. Begeistert schienen sie von ihrer Auf­gabe nicht zu sein.

Fünf Moojas schaukelten vor ihnen her, zwei weitere zogen einen Wagen, auf dem die Wärter hockten und nicht im Traum dar­an dachten, auf eventuelle Spuren zu achten. Es konnte nicht schwer sein, einen derarti­gen Trupp zu überraschen und unschädlich zu machen, wenn auch die Gefahr bestand, daß er in ständiger Funkverbindung zu ei­nem Hauptquartier stand. Aber ein neuerli­cher Alarm würde sich kaum vermeiden las­sen.

Morvoner schien meine Gedanken erraten zu haben.

»Mein Plan sieht anders aus, Atlan. Wir marschieren nach Süden und meiden die Suchtrupps. Erst dann, wenn wir einem der Händler begegnen, greifen wir an. Bei denen handelt es sich um Privatpersonen mit mehr oder minder weißer Weste, und vor allen Dingen stehen sie nicht direkt mit den Wär­tern des Gouverneurs oder seinem Geheim­dienst in Verbindung. Ich bin sogar über­zeugt, daß wir bei ihnen einigermaßen sicher aufgehoben sind. Sie haben zwar nichts ge­gen ihren Gouverneur, aber wenn die Ver­hältnisse hier jenen auf anderen Handelspla­neten gleichen, ist ihnen keine Art von Re­gierungsgewalt sympathisch. Besonders nicht auf Jacinther, dem Umschlagplatz von Schmuggelgut.«

»Wie ich hörte, Fartuloon, soll es auf Ja­cinther eine Menge arkonidischer Urlauber

geben. Was ist mit denen?« »Keine Gefahr, hoffe ich. Sie machen Ur­

laub und kümmern sich nicht um die inneren Angelegenheiten einer Händlerwelt. Sie wollen höchstens billig einkaufen. Außer­dem dürften wir unter ihnen kaum auffallen, wenn nicht gerade eine Patrouille hinter uns herläuft.«

Es wurde schnell dunkel. Fartuloon weck­te die anderen, dann aßen wir ein wenig. Un­ten auf der Straße kam kein neuer Suchtrupp mehr vorbei. Ich fragte mich, wo die bisheri­gen geblieben waren. Aller Wahrscheinlich­keit nach hatten sie irgendwo in den Felsen ihr Nachtlager aufgeschlagen und warteten den nächsten Tag ab.

Wir atmeten erleichtert auf, als wir end­lich die Straße erreichten. Im Vergleich zu dem unwegsamen Gelände kam sie uns wie eine betonierte Fahrbahn vor. Obwohl es nun völlig dunkel geworden war, spendeten die wenigen Sterne, die durch Wolkenlücken schienen, genügend Licht, um uns nicht von der Straße abweichen zu lassen.

Eiskralle ging es nun entschieden besser. Er humpelte noch etwas, jammerte aber nicht mehr. Morvoner tröstete ihn wieder mit seinem burschikosen Zuspruch, der mich oft genug zum Lachen reizte.

Ich marschierte neben Fartuloon. Wir sprachen nicht viel, denn immer mußten wir damit rechnen, daß eine Patrouille vor uns auftauchte.

So legten wir etwa fünfzehn Kilometer zurück.

Die Straße führte bergan, und als wir die höchste Stelle erreichten, sahen wir die Siedlung vor uns liegen.

Im ersten Augenblick erinnerte mich ihr Anblick an ein riesiges Schiff, das weit vor uns auf Reede lag und aus dessen Bullaugen in unzähligen Etagen Licht drang. Es war weit nach Mitternacht, und ich wunderte mich darüber, daß so viele Händler noch nicht schliefen.

Wir hatten in Erfahrung gebracht, daß die Siedlung in den steil abfallenden Fels des Hochplateaus hineingebaut worden war. Das

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erklärte auch den Vergleich mit dem Schiff. Es war noch zu dunkel, um Einzelheiten er­kennen zu können. Nur die' in unterschiedli­cher Höhe brennenden Lichter ließen ver­muten, wie die Siedlung bei Tag aussah.

»Noch knapp fünf Kilometer«, brummte Fartuloon und setzte sich in Bewegung. »Wir schaffen es bis zum Morgengrauen.«

»Wo kein Wagen ist, ist auch keiner anzu­halten«, schimpfte Morvoner und schlenker­te seine Beine. »So ein schönes Stück bin ich schon lange nicht mehr marschiert.«

Etwa drei Kilometer vor der Siedlung wurde die Steilwand des Hochplateaus deut­licher sichtbar. Der Wind hatte die letzten Wolken vertrieben. Es war heller geworden. Auch hatte sich die Struktur der Oberfläche entscheidend verändert. Sie war eben, nahe­zu ohne Geröll und nicht bewachsen. Neben der Straße waren beide Gräben mit Wasser gefüllt. Dahinter begann dichter Buschwald, in dem wir notfalls jederzeit Schutz finden würden.

Vor uns aber steilte die ein Kilometer ho­he Wand und löschte alle Sterne aus. Das einzige Licht kam noch von vereinzelten Wohnnestern der Händler, die in den Fels hineingebaut worden sein mußten. Ich war gespannt, inwieweit sich die Berichte der Leute vom Schiff bewahrheiteten, die von einer Art »Schwalbennestern« gesprochen hatten. In ihnen sollten die Händler hausen, durch schwebende Wege und Antigravplat­ten verbunden.

Es war mir ein Rätsel, wie die Waren das obere Plateau erreichen sollten, und vor al­len Dingen fragte ich mich, warum alles so umständlich eingerichtet worden war. Si­cherlich wurden viele Güter gleich in der Siedlung an den Mann gebracht, aber ein Großteil der Waren wurden angeblich mit Raumschiffen zu anderen Welten gebracht. Dazu jedoch mußten sie zuerst auf das Pla­teau geschafft werden, denn dort befand sich der Raumhafen.

Und der Sitz des Gouverneurs Mavillan Ruuver.

Fartuloon blieb plötzlich stehen. Seine

ausgebreiteten Arme hielten uns alle auf. Auf ein Zeichen von ihm lauschten wir nach vorn.

Jetzt hörten auch wir es. Es war ein schleifendes Geräusch, das mir

irgendwie bekannt vorkam. Dann kam die Erkenntnis: Moojas!

Eine unbekannte Anzahl von Moojas nä­herte sich uns.

Fartuloon überquerte den Wassergraben mit einem Satz. Wir folgten ihm sofort und krochen neben ihn in die Büsche, die genü­gend Schutz boten. Wenigstens hofften wir das.

Gespannt warteten wir auf das Erscheinen der Moojas, die natürlich nicht allein kamen. Wir waren davon überzeugt, daß sie von den Wärtern mit ihren Befehlssendern begleitet wurden. Die Erfahrung hatte uns schließlich gezeigt, daß die Echsen ohne die Impulsbe­fehle völlig unkontrolliert handelten und so­mit keine eigentliche Hilfe darstellten.

Wurden die Moojas vielleicht ebenfalls auf die Suche nach uns geschickt? Wir hat­ten keine Ahnung, wie groß die Gefahr war, die sie bedeuteten. Sie waren der große un­bekannte Faktor im Geschehen.

Wie groß, ahnte noch niemand von uns. Im Morgengrauen, das nun einsetzte,

zählte ich etwa zwanzig der Echsen. In dis­ziplinierter Marschordnung bewegten sie sich auf der nicht sehr breiten Straße, und dahinter erkannte ich, wie erwartet, einige Karren, ebenfalls von Echsen gezogen, mit bewaffneten Wärtern, die ausnahmslos die Sendekästen auf der Brust trugen.

»So ein verdammtes Ding brauchen wir«, hauchte Fartuloon neben mir. »Bleibt hier liegen und verhaltet euch ruhig. Greift nur dann ein, wenn sie mich erwischen.«

Ich wollte ihn festhalten, aber ich war nicht schnell genug. Mit einer Behendigkeit, die ich ihm niemals zugetraut hätte, huschte er davon. Er kroch auf dem Boden entlang vor bis zum Wassergraben, dann verlor ich ihn für einige Augenblicke aus den Augen.

»Er ist verrückt geworden!« flüsterte Eis-kralle, der zu mir gekrochen kam. »Halte ihn

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zurück.« Welchen Sinn hätte das wohl gehabt? Ich

schüttelte den Kopf und hoffte, der Chretkor sah es. Morvoner verhielt sich abwartend.

Jetzt sah ich Fartuloon wieder. Er hatte gewartet, bis der Konvoi vorüber­

gezogen war und wagte sich erst auf die Straße, als der letzte Wagen vorbei war. Lautlos rannte er hinterher und schwang sich auf das seitlich angebrachte Trittbrett.

In dem Wagen zählte ich drei arkonidi­sche Wärter, die schwankend die Fahrtbewe­gungen mitmachten und allem Anschein nach schliefen. Das bestärkte meine Vermu­tung, daß die Befehlssender eingestellt wer­den konnten und automatisch die einmal programmierten Impulse weiter sendeten.

Für eine Sekunde waren es vier Gestalten auf dem Wagen, eine davon zweifellos Far­tuloon. Und dann sah ich nur noch zwei – die beiden restlichen Arkoniden.

Der Wagen rumpelte weiter, als sei nichts geschehen.

Fartuloon mußte mit seinem Gefangenen gleich in den Graben gerollt sein, denn ich konnte ihn nirgends entdecken. Erst als der Wagen um eine Wegbiegung verschwand, kam er wieder zum Vorschein. Er trug den Wärter wie ein Paket unter dem Arm und legte ihn zu uns ins Gras. Dann hockte er sich hin, triefnaß und frierend.

»Puh, ist das Wasser kalt!« schnaufte er. »Und so naß!« versicherte Morvoner

ernsthaft und deutete auf den Gefangenen. »Du hast ihn doch wohl nicht umgebracht?«

»Er ist nur betäubt.« »Und was sollen wir mit ihm?« »Den Sender will ich haben, mehr nicht.

Vielleicht kann er uns aber auch einige in­teressante Dinge erzählen. Hier sind wir vor­erst sicher.«

Mir wäre es zwar lieber gewesen, wir wä­ren gleich zur Siedlung aufgebrochen, aber Fartuloon würde schon wissen, was er tat und warum er sich Zeit ließ. Außerdem wur­de es allmählich wieder hell und wir waren todmüde. Auf ein paar Stunden kam es nun wirklich nicht mehr an.

Der Sendekasten war leicht abzunehmen. Fartuloon drehte ihn unschlüssig in den Händen hin und her und versuchte dann, ihn zu öffnen. Als ihm das gelang, warf er nur einen kurzen Blick auf den freigelegten Me­chanismus und verschloß den Kasten wie­der. Er nickte.

»Einfache Geschichte. Nun können auch wir ein Mooja lenken, wenn wir das wün­schen. Der Bursche hier muß mir nur noch einige technische Einzelheiten erklären, falls er dazu in der Lage ist. Er wird bald aufwa­chen, denn allzu hart war der Schlag nicht, den ich ihm versetzte.«

Morvoner hatte sich wortlos den Hand­strahler des Wärters angeeignet, damit besa­ßen wir nun zwei. Eiskralle hatte seine Hand, und ich besaß schließlich noch mein Vibratormesser. So ganz hilflos waren wir also nicht mehr.

Als der Wärter die Augen aufschlug und seine Lage begriff, wollte er aufspringen, aber Fartuloon saß auf seinen Beinen. Er grinste wohlwollend.

»Du könntest genausogut unter einem Felsbrocken liegen, mein Freund. Wenn du das tust, was wir von dir verlangen, wird dir nichts geschehen. Bist du aber unartig, kann ich für nichts garantieren. Ich möchte dir ei­nige Fragen stellen, und ich rate dir, sie auch zu beantworten. Fangen wir an …«

Der Wärter mochte wohl einsehen, daß es nur gut für ihn sein konnte, wenn er den Rat des fetten Mannes auf seinen Beinen befolg­te. Auch wir mochten nach den durchge­machten Tagen und Nächten nicht mehr be­sonders vertrauenerweckend aussehen. Je­denfalls plauderte er wie ein Wasserfall und beantwortete jede Frage.

Es war eine ganze Menge, was wir erfuh­ren.

Als erstes lernte Fartuloon die Arbeits­weise des Senders kennen. Er ließ sich jeden Handgriff und auch die Funktion erklären, und er hatte insofern Glück, als der Wärter ein technisch geschulter Mann war. Nach­dem Fartuloon alles wußte, was er wissen wollte, legte er den Sender beiseite und er­

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kundigte sich nach den Verhältnissen in der Händlersiedlung von Kortasch Auromt. Sie war in der Tat so angelegt worden, wie man es uns berichtet hatte. Es gab sogar auf dem ebenen Boden unter den Wohnnestern ein regelrechtes Erholungszentrum für die zahl­reichen Urlauber, die das meiste Geld nach Jacinther brachten. Sie kauften nicht nur An­denken und seltene Waren in jeder Menge, sondern bezahlten auch Unsummen für ihren Aufenthalt auf dem Handelsplaneten, der ih­nen Zerstreuung in jeder nur denkbaren Form bot.

Die senkrechte Wand des Hochplateaus, so erfuhren wir weiter, war künstlich ge­schaffen worden. Mit riesigen Energiebren­nern waren die Unebenheiten beseitigt und das überflüssige Material auf die Ebene ver­teilt worden. Genau tausend Meter hoch war die Wand geworden, aber gigantische Anti­gravlifte stellten eine permanente Verbin­dung her. Somit wurde das Plateau nicht zu einer unüberwindlichen Grenze, wenigstens nicht von der Siedlung her. Aber sie wurde es im umgekehrten Sinn für die Moojas, von denen es nach Aussagen des Wärters »unzählige« auf dem Plateau selbst geben sollte.

Fartuloon nickte vor sich hin, als er das erfuhr. Er schien sich sein eigenes Urteil über die Moojas zu bilden, ließ aber mit kei­nem Wort durchblicken, was er in dieser Hinsicht dachte.

»Und was ist mit dem Palast des Gouver­neurs?« fragte er. »Wir wollen ihm einen Besuch abstatten. Glaubst du, daß wir das unbemerkt von den Wachen tun können?«

»Unmöglich!« versicherte unser Gefange­ner. »Der Palast wird scharf bewacht, in er­ster Linie von dazu abgerichteten Moojas, die ständig Befehlsimpulse erhalten und so­mit unter Kontrolle stehen. Der Palast selbst ist abgesichert, und das war nicht besonders schwierig, denn es handelt sich um den unte­ren Teil eines ehemaligen Kugelraumers, der noch immer auf seinen Stützen steht. Ein un­befugtes Eindringen ist nicht möglich.«

»Wir müssen in die Siedlung, und zwar

möglichst unauffällig. Kannst du uns füh­ren? Und kennst du jemanden, bei dem wir Unterkunft finden könnten?«

Der Mann zögerte, dann erwiderte er: »Natürlich habe ich Freunde dort, aber sie

würden es nicht wagen, Leute zu verstecken, die Gefangene des Gouverneurs sind, oder es zumindest sein sollten. Man sucht euch, und niemand kann von Jacinther fliehen. Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit.«

»Welche?« »Ihr könnt euch als Urlauber ausgeben

und versuchen, in einem der großen Hotels unterzutauchen.«

»Und du glaubst, da wären wir sicher? Wenn schon, dann wird man uns dort zuerst suchen.«

Der Wärter schüttelte den Kopf. »Nein, das ist ein Irrtum. Wir alle profi­

tieren von den Urlaubern aus allen Teilen des Großen Imperiums, und wenn man sie belästigen würde, kämen in Zukunft weni­ger. Ich glaube nicht, daß man die Hotels durchsucht. Vielleicht wird eine heimliche Kontrolle der Identitätskartei durchgeführt, das weiß ich nicht.«

Fartuloon stellte noch einige weitere Fra­gen, die scheinbar nichts mit dem eigentli­chen Thema zu tun hatten. Ich hatte das Ge­fühl, er wollte die Einstellung des Wärters testen und herausfinden, ob wir ihm vertrau­en konnten.

Schließlich meinte er: »Du wirst einsehen, daß wir dich nicht

einfach laufenlassen können. Es wäre deine Pflicht, uns zu verraten. Es wird also besser sein, du begleitest uns in die Stadt. Führe uns zu einem Freund von dir, einem freien Händler. Dort kannst du dich dann als unser Gast betrachten. Später, wenn wir unser Ziel erreicht haben, lassen wir dich frei, das ver­spreche ich dir. Wie ist dein Name?«

»Coraschol.« »Gut, Coraschol, dann werden wir aufbre­

chen. Niemand wird dir später einen Vor­wurf machen können, denn wir haben dich gezwungen. Aber du kannst überzeugt sein, daß wir unser Wort halten und daß wir nicht

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zum Schaden von Jacinther handeln. Eines Tages wirst du vielleicht die ganze Wahrheit erfahren und stolz sein dürfen, uns geholfen zu haben. Damit mußt du dich zufriedenge­ben. Willst du das?«

Zum erstenmal glitt so etwas wie ein Lä­cheln über das Gesicht des Wärters.

»Muß ich das nicht, wo du immer noch auf meinen Beinen hockst?«

Fartuloon grinste ebenfalls und stand auf. »Ich bin nicht gerade leicht, ich weiß,

aber es war notwendig. Verzeih mir den leichten Schlag auf den Hinterkopf, den ich dir versetzen mußte.«

»Schon vergessen«, erwiderte Coraschol. Fartuloon hatte den Sender in seinem

Vorratsbeutel untergebracht, den er am Gür­tel trug. Es war mir völlig klar, daß wir Co­raschol nur solange trauen konnten, wie er sich in unserer Gewalt befand, aber immer­hin zeigte er sich vernünftig genug, mit uns zu kooperieren, um seine eigene Haut nicht in Gefahr zu bringen.

Eiskralle und Morvoner blieben ebenfalls skeptisch, vermieden es aber, einen Kom­mentar abzugeben. Sie hatten begriffen, was Fartuloon bezweckte und mit welchen Mit­teln er es versuchte. Sie wollten ihm keine Schwierigkeiten machen.

Lediglich Eiskralle erkundigte sich: »Was sollen wir tun, wenn wir auf der

Straße marschieren und einer Patrouille be­gegnen?«

Coraschol sah Fartuloon fragend an. Er schien ebenfalls nicht zu wissen, wie er sich in einem solchen Fall verhalten sollte.

Fartuloon meinte: »Gar nichts, wir marschieren weiter. Ur­

lauber sind immer ein bißchen verrückt, und wir haben einen Ausflug gemacht. Ich glau­be auch nicht, daß es eine detaillierte Be­schreibung von uns gibt. Dazu war die Zeit zu kurz. Der Gouverneur kennt nur unsere Namen.«

Mir erschien die Erklärung Fartuloons mehr als vage und reichlich unsicher. Aber wir mußten es versuchen, oder wir konnten gleich hier in den Büschen sitzenbleiben.

Inzwischen war die Sonne aufgegangen. Der Himmel war fast wolkenlos. Es wurde warm, und selbst der vorher völlig durch­näßte Fartuloon trocknete schnell. Mit ge­mischten Gefühlen verließen wir unser Ver­steck und standen dann auf der Straße. Die Siedlung lag vor uns, die Straße führte ge­nau ins Zentrum, gabelte sich aber vorher in drei Richtungen.

Es gab nur wenig Verkehr. Coraschol er­klärte auf eine unserer diesbezüglichen Fra­gen hin, daß der größte Teil der Handelsgü­ter mit Lastgleitern vom Hafen hierherge­bracht würde und die Straße eigentlich in er­ster Linie für die Urlauber da wäre. Außer­dem noch für unwichtige Transporte – oder für Gefangene.

»Also sind wir unwichtig!« stellte Morvo­ner sarkastisch fest. »Jacinther ist schon ein ziemlich verrückter Planet. Oder nur die vier Gouverneure sind verrückt, wer weiß …?«

Einmal kam uns ein Moojagespann entge­gen. Auf dem Wagen saßen vier vornehm gekleidete Arkoniden, die uns neugierig be­trachteten. Urlauber! Wortlos genossen sie den Luxus ungewohnter Primitivität, kamen sich wahrscheinlich ungemein überlegen vor – und verschwanden hinter einer Kurve.

»Solche Affen!« knurrte Morvoner. »Und für so etwas habe ich einen überflüssigen Krieg geführt!«

»Der Krieg gegen die Maahks ist leider nicht überflüssig«, belehrte ich ihn. »Und er ist noch nicht beendet.«

»Kommt nur daher, weil ich nicht mehr dabei bin«, brummte er mißmutig, ohne es jedoch ernst zu meinen.

Nun konnten wir die Siedlung der Händ­ler deutlicher sehen und ganz überblicken. Als man die Wand des Hochplateaus senk­recht machte, waren gleichzeitig riesige Ni­schen in den Fels geschmolzen worden, die durch Schwebestraßen verbunden wurden. In diesen Nischen klebten die Wohnhäuser, gut geschützt vor Wind und Wetter.

In der Ebene davor standen die Hotels des Erholungszentrums. Sie waren von wild wu­chernden Parks eingeschlossen, auf deren

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Lichtungen man Sportplätze errichtet hatte. Es gab Schwimmbäder und überdachte Spa­zieranlagen. Auf den Betonstraßen bemerkte ich Elektrofahrzeuge modernster Bauart und andere Verkehrsmittel, die die Urlauber je­derzeit zu allen gewünschten Orten bringen konnte.

»Mein Freund wohnt in der rechteckigen Nische, schräg über dem großen Hotel vor uns«, sagte Coraschol. »Die mittlere Straße führt genau hin. Niemand wird uns aufhal­ten. Der Gouverneur vermutet euch nicht in der Siedlung, sondern ist der Überzeugung, ihr seid zurück zum Hafen geflohen, um ein Schiff nach Sebentool zu finden. Das war euer ursprüngliches Ziel, wurde behauptet.«

»Das stimmt sogar«, gab Fartuloon zu. »Eines Tages werden wir auch Sebentool einen Besuch abstatten, aber zuvor möchten wir mit Gouverneur Ruuver verhandeln – und zwar nicht als Gefangene, sondern als Besucher. Deshalb unsere Flucht.«

»Er empfängt nur selten Besucher.« »Uns wird er empfangen«, betonte Fartu­

loon. »Dafür sorgen wir schon. Warst du üb­rigens schon einmal auf dem Plateau oder sogar im Sitz des Gouverneurs?«

»Nein, ich machte stets nur Dienst in der Siedlung. Aber mein Freund Harakas hat schon mehrmals Warentransporte zum Raumhafen begleitet, daher auch meine Kenntnisse. Über die Moojas berichtete er wahre Wunderdinge.«

»Interessant«, sagte Fartuloon mit einem Unterton in seiner Stimme, der mich stutzig machte. »Ich werde ihm einige Fragen stel­len und kann nur hoffen, daß er so vernünf­tig ist wie du. Harakas ist doch der Händler, zu dem du uns bringen willst?«

»Ja.« »Ein freier Händler, wenn ich mich recht

erinnere. Dann schmuggelt er also auch? Er verkauft Waren der Piraten, nicht wahr? Er hat demnach allen Grund, sich im Hinter­grund zu halten, oder ist der Handel mit ge­stohlenem Gut offiziell gestattet?«

»Nicht direkt«, wich Coraschol aus. »Aber es kümmert sich auch niemand dar­

um.« »Richtig, alle wollen leben«, sagte Fartu­

loon ironisch. »Und uns selbst geht das auch nichts an. Harakas hat also nichts zu be­fürchten. Wann sind wir bei ihm?«

Coraschol deutete auf die mittlere Straße. »Wenn wir abkürzen und das Erholungs­

zentrum durchqueren, schaffen wir es zur Mittagszeit. Hier hält uns niemand mehr auf.«

Obwohl mehr Betrieb auf der Straße war, fühlten wir uns sicherer als zuvor. Selbst ei­nige Patrouillen mit Moojas kamen uns ent­gegen, aber keiner der Wärter stellte uns ei­ne Frage.

Vorbei an den Hotels gelangten wir schließlich an den Fuß der riesigen Fels­wand, die sich senkrecht vor uns auftürmte.

Überall führten schwebende Straßen nach oben, zweigten in die einzelnen Nischen ab und bildeten so eine ideale Transportverbin­dung zwischen den einzelnen Wohninseln. Der eigentliche Markt für die Touristen wur­de auf ebener Erde abgehalten. Es wimmelte von Intelligenzwesen aller Art, in der Haupt­sache jedoch waren Arkoniden vertreten. Flache Hallen boten den Kauflustigen Schutz vor plötzlichen Regenfällen. Heute jedoch schien die Sonne und hatte die letz­ten Wolken endgültig vertrieben.

Eine Antigravplatte senkte sich herab und entließ einige der Händler und Touristen. Niemand kümmerte sich um uns. Coraschol ging voran und winkte uns zu.

»Sie bringt uns zu Harakas«, sagte er mit einer Selbstsicherheit, die mich verblüffte.

Unser Gefangener machte sich.

3.

Harakas besaß bei seinesgleichen einen guten Ruf. Er war verläßlich, verschwiegen und unbedingt vertrauenswürdig, wenn es um Geschäfte und insbesondere um krumme Geschäfte ging. Sein Wort hatte in Kreisen der Händler und Piraten absolute Gültigkeit. Außer Touristen hatte er noch niemals je­manden betrogen.

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An diesem Tag war er noch vor Morgen­grauen vom Plateau zurückgekehrt. Im Auf­trag der Händlervereinigung hatte er einen Warentransport zum Raumhafen begleitet und dort abgeliefert. Zwar hatte er von »wichtigen Gefangenen« gehört, die entflo­hen sein sollten, aber solche Dinge interes­sierten ihn herzlich wenig. Das war Angele­genheit des Gouverneurs und seiner Wärter, von denen jeder wußte, daß sie in Wirklich­keit nichts anderes als Soldaten waren.

Sein Wohnhaus stand in einer kleinen Ne­bennische, durch einen Antigravlift direkt mit dem Plateau verbunden. Der Lift eignete sich natürlich nicht für größere Warentrans­porte, aber er selbst konnte so jederzeit auf das Plateau gelangen, falls sich das als not­wendig erweisen sollte.

Müde und abgespannt, aber mit seinem Verdienst durchaus zufrieden, hatte er seiner augenblicklichen Lebensgefährtin den Auf­trag erteilt, ihm ein kräftiges Frühstück zu bereiten. Dann war er eingeschlafen, denn am späten Nachmittag warteten neue Ge­schäfte auf ihn.

Somit war er ziemlich überrascht, als sein Freund Coraschol unvermutet mit vier Fremden auftauchte.

Mir gefiel Harakas auf den ersten Blick, wenn ich auch mit Sicherheit annehmen durfte, einen nicht gerade vorbildlichen Steuerzahler vor mir zu haben. Aber welche Rolle spielte das schon auf einer Welt, die einen mehr als zweifelhaften Ruf besaß? Ha­rakas hätte sich sogar verdächtig gemacht, wäre er auf den verrückten Gedanken ge­kommen, regulär seine Abgaben zu entrich­ten.

Coraschol erklärte ihm die Lage und ver­schwieg auch nicht, daß er von uns gezwun­gen wurde, uns zu helfen. Fartuloon schwächte seinen Bericht geschickt ein we­nig ab und sprach von einer Notlage, in der wir uns befänden, ohne die ganze Wahrheit preiszugeben. Meine Identität blieb sowohl Coraschol wie auch Harakas verborgen.

Der Händler bedachte uns mit forschen­den Blicken.

»Die entflohenen Gefangenen also, von denen ich oben hörte«, sagte er endlich mit unverkennbarer Hochachtung in der Stim­me. »Man sucht euch mit einem Eifer, der direkt unheimlich ist. Sogar die Moojas wur­den mobilisiert. Eine erhebliche Anzahl von ihnen wurde in die Ebene hinabtransportiert. Das kann ja heiter werden.«

»Hier wird man uns nicht vermuten«, wagte ich einzuwerfen. »Das hat Coraschol uns versichert. Werden Sie uns helfen?«

»Was bleibt mir anderes übrig?« Harakas deutete auf seinen Freund. »Schließlich ist er Ihr Gefangener. Was haben Sie vor?«

Fartuloon zog den Sender aus seiner Ta­sche.

»Ich will an diesem Ding einige Verbes­serungen vornehmen, und dann möchte ich, daß Sie mir das Plateau zeigen. Wenn wir mit dem Gouverneur verhandeln, benötigen wir eine starke Ausgangsposition.«

»Das gönne ich ihm«, erwiderte Harakas mit deutlich hörbarer Genugtuung. »Allein deshalb schon würde ich Ihnen helfen. Ich nehme an, einer von Ihnen wird stets bei Co­raschol bleiben.«

»Richtig!« »Gut, das kann ich Ihnen nicht verdenken.

Man wickelt kein Geschäft ohne die notwen­digen Sicherheiten ab. Na schön, ich werde Ihnen das Plateau zeigen. Morgen habe ich einen neuen Warentransport. Sie können mich begleiten, das fällt nicht auf. Aber ich muß heute noch einige Verhandlungen füh­ren. Werden Sie mich daran hindern?«

»Niemand denkt daran.« Fartuloon hatte es sich auf einem Liegebett bequem ge­macht. »Wenn Sie nichts dagegen haben, werden wir uns hier ein wenig ausruhen. Aber wenn es Ihnen möglich ist, könnten Sie mir noch einige positronische Kleinigkeiten besorgen, die ich für den Sender hier benöti­ge. Ist das zuviel verlangt?«

»Keineswegs. Sie werden in meinem Kel­lerlager alles finden, was Sie brauchen. Bringen Sie mir das Zeug nur nicht in Un­ordnung.« Er warf dem schwarzen Kasten einen neugierigen Blick zu. »Was haben Sie

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eigentlich damit vor?« Fartuloon grinste. »Ich werde es Ihnen verraten, wenn ich

damit fertig bin. Jedenfalls ist mir eine gute Idee gekommen, Sie werden begeistert da­von sein.«

»Mag sein.« Ich übernahm die erste Wache, nachdem

Harakas sich von uns verabschiedet hatte und gegangen war. Wir wollten Coraschol nicht einsperren, aber wir durften ihn auch nicht aus den Augen lassen.

Ich bekam während des Gesprächs mit ihm den paradoxen Eindruck, daß seine La­ge ihm Spaß zu machen begann. Sicherlich war er kein treuer Untertan seines Gouver­neurs. Mavillan Ruuver war unbeliebt und schien Absichten zu verfolgen, die von nie­mandem gebilligt wurden.

Ich ahnte, was diese Absichten waren. Genau wie Prillgram Galbass wollte auch Ruuver der Nachfolger von Fertomash Ag­mon werden. Alle vier Gouverneure warte­ten auf den Tod des Imperiumsbeauftragten, um sein Erbe anzutreten. Aber vielleicht vermutete Galbass richtig, wenn er annahm, Agmon sei gestorben.

Zwei Stunden später erschien Fartuloon wieder. Er stellte den Sender auf den Tisch und grinste mir triumphierend zu.

»Eine reguläre Verschwendung ist das«, sagte er verächtlich. »Da bauen sie so ausge­zeichnete Apparate, aber die Reichweite ist beschränkt. Ich habe nur einen Verstärker eingesetzt und damit die Reichweite etwa verzehnfacht.« Er kramte in seiner Tasche und legte einige Gegenstände auf den Tisch. Es waren positronische Einzelteile. »Wenn ich nun noch eine spezielle Umpolung vor­nehme, kann die Wirkung abermals verzehn­facht werden. Mit anderen Worten: Wenn ein Wärter bisher ein Mooja bis zu einer Entfernung von fünfhundert Metern dirigie­ren konnte, so werde ich ihm meine Befehle über fünfzig Kilometer hinweg übermitteln können. Ich habe das Gerät mit Hilfe des Empfängers genau justiert. Wie gut, daß Eis-kralle das Mooja ausschaltete.«

Das also war es, was er bezweckte. Ich hatte es geahnt, wenn ich auch nicht wußte, wie er seine neue »Waffe« einsetzen wollte.

Morvoner wurde geweckt, aber ich hätte jetzt nicht schlafen können.

Gegen Abend kehrte Harakas zurück und bestätigte uns, daß der Transport für morgen zusammengestellt sei. Er hielt es aber für besser, daß nur Fartuloon ihn begleitete. Der dicke Arkonide, meinte er, sähe ohnehin wie ein begüterter Urlauber aus und würde nicht auffallen.

Die Nacht verlief friedlich und ohne Zwi­schenfall. Wir wechselten uns in der Wache ab und ließen Fartuloon schlafen. Am ande­ren Morgen übergab er mir seinen umgebau­ten Sender und bat mich, gut auf ihn aufzu­passen und das Haus möglichst nicht zu ver­lassen. Harakas hatte versichert, man sei bis zum Abend wieder zurück.

Vom Haus aus konnten wir dann später beobachten, wie der Händler und Fartuloon zu einer vollbeladenen Antigravplatte gin­gen, sie bestiegen und dann nach oben schwebten.

Coraschol sorgte dafür, daß uns Harakas' Frau ein reichhaltiges Frühstück zubereitete und auch sonst für unser leibliches Wohl al­les nur Erdenkliche tat. Morvoner und Eis-kralle blieben bei unserem »Gefangenen«, während ich mich ein wenig in dem Haus umsah. Es war äußerst komfortabel einge­richtet, und man wußte sofort, daß der Händler gut verdiente. Meiner Ansicht nach nahm er ohnehin eine Sonderstellung in der Siedlung ein, und wenn er uns nicht hinter­ging, besaßen wir in ihm einen wertvollen Bundesgenossen.

Wohlbehalten kehrte er abends mit Fartu­loon zurück, und wir alle waren auf dessen Bericht gespannt. Harakas entschuldigte sich nach dem gemeinsamen Essen und ver­schwand in der Siedlung. Er hatte Geschäfte.

Fartuloon hingegen genoß unsere neugie­rigen Fragen, ehe er sich endlich bereit er­klärte, von seinem Ausflug zu erzählen.

*

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24 Clark Darlton

Die große Platte glitt an der Steilwand hoch und landete auf dem Rand des Plate­aus. Dort waren einige Wärter mit ihren Moojas damit beschäftigt, Lastengleiter zu beladen. Fartuloon nutzte die Gelegenheit, ihnen bei der Arbeit zuzusehen, und bereits nach zehn Minuten wußte er genau, wie man die Tiere mit dem Sender steuerte.

Ein Gleiter nach dem anderen startete und verschwand in südlicher Richtung. Fern am Horizont waren die hohen Kontrolltürme des Raumhafens und zwei riesige Kugelraumer zu erkennen. Die Entfernung betrug schät­zungsweise fünfundzwanzig Kilometer.

Dazwischen lag das eigentliche Plateau, relativ eben und ohne bemerkenswerte Erhe­bungen oder Senken. Aber das konnte täu­schen.

Harakas kam zu ihm. »Das ist der letzte Gleiter. Mit ihm wer­

den wir fliegen. Da haben Sie eine prächtige Aussicht. Der Pilot ist ein Freund von mir. Ich habe ihm gesagt, Sie wären Urlauber und hätten gut für den Trip bezahlt. Er wird sich also bemühen, Ihnen soviel wie mög­lich von Kortasch-Auromt zu zeigen.«

Fartuloon bedankte sich und begrüßte den Piloten freundlich. Dann ging er zurück zu Harakas, der sich auf einen Warenballen un­mittelbar neben der offenen Ladeluke ge­setzt hatte. Von hier aus hatte man einen ausgezeichneten Blick nach draußen, genau das, worauf Fartuloon Wert legte.

Der Gleiter hob schwerfällig ab und nahm dann Fahrt nach Süden auf. Er flog sehr langsam, wahrscheinlich auf Anweisung des Händlers.

Fartuloon war sich darüber im klaren, daß er kaum bemerkenswerte Dinge zu sehen be­kommen würde, schon gar nicht solche, die auf die Absichten des Gouverneurs schlie­ßen lassen könnten. Aber er wollte das Ge­lände kennenlernen, und vor allen Dingen interessierte ihn der »Palast« und der Raum­hafen. Beides würde in den kommenden Ta­gen eine wichtige Rolle spielen, falls er sei­nen Plan verwirklichen konnte.

Gut zehn Kilometer vom Rand des Plate­

aus entfernt beugte er sich vor, um besser sehen zu können. Harakas nickte.

»Ja, ganz richtig, das sind Moojas. Hat Coraschol Ihnen nicht gesagt, daß es Zehn­tausende von ihnen hier oben gibt, schät­zungsweise sogar eine halbe Million? Sie laufen frei herum – wenigstens kann man das im ersten Augenblick meinen. In Wirk­lichkeit jedoch sind diese Hegebezirke von Befehlssendern regelrecht eingekreist, und kein Mooja kann diese positronische Im­pulsgrenze überschreiten, wenn es dazu nicht die Erlaubnis erhält.«

Fasziniert blickte Fartuloon in die Tiefe, während in seinem Gehirn der vage gefaßte Plan festere Formen annahm. Sein eigener Sender war hundertfach stärker als jene, die von den Wärtern benutzt wurden, und mit aller Wahrscheinlichkeit würde er ihre Fre­quenzen mit der gleichen Intensität überla­gern und somit ausschalten.

»Hier werden sie also gezüchtet«, mur­melte er.

»Nicht nur das, sondern auch für die Ar­beit abgerichtet«, bestätigte Harakas und deutete nach unten. »Dort, sehen Sie – eine ganze Abteilung von ihnen. Wie Soldaten drillt man sie.«

Der Vergleich stimmte haargenau, und er brachte Fartuloon auf einen neuen Gedan­ken, den er uns auch mitteilte. Die Moojas marschierten in Reih und Glied, rechts und links von Wärtern mit Sendern begleitet, vollführten Richtungsänderungen und ande­re militärische Bewegungen mit einer so ex­akten Genauigkeit und Gleißmäßigkeit, daß man unwillkürlich an das Exerzieren einer Eliteeinheit denken mußte.

Soldaten! Die Moojas wurden zu Soldaten ausgebil­

det, daran konnte nun kein Zweifel mehr be­stehen. Gouverneur Mavillan Ruuver beab­sichtigte, die Moojas zu einer schlagkräfti­gen Truppe zu machen, mit der er jeden Konkurrenten und vielleicht sogar Agmon überraschend angreifen und schlagen konn­te.

»Sehr eindrucksvoll«, sagte er zu Hara­

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kas, ohne auch nur durchblicken zu lassen, was er wirklich dachte. »Sollen sie so an die Arbeit gewöhnt werden?«

»Ja, es ist wohl anzunehmen. Als Händler kümmere ich mich nicht darum, für mich ist nur wichtig, daß Moojas als Hilfskräfte beim Verladen meiner Waren zur Verfügung sind. Und wie Sie bemerkt haben dürften, mangelt es nicht an Nachschub.«

»Allerdings nicht«, gab Fartuloon zu. Sie überflogen noch zwei weitere Gehege,

in denen es von den Echsen nur so wimmel­te. Die Tiere kümmerten sich kaum um den tief fliegenden Gleiter, aber Fartuloon konn­te sich vorstellen, was geschehen würde, wenn die Impulssender ausfielen und die Moojas plötzlich frei waren. Er hatte ihre Reaktion nicht vergessen, als die drei Wärter mit den Sendern davonliefen und die Echsen sich selbst überlassen waren. Sie waren erst dann durchgegangen, als sie aus dem Sende­bereich der Impulsgeber gerieten.

Ein Vorfall, der sich leicht rekonstruieren ließ, nur in viel größerem Ausmaß.

Der Raumhafen kam nun endgültig in Sicht.

Harakas aber deutete nach links, wo dich­ter Buschwald bisher jede Sicht versperrt hatte. Er umgab eine flache Senke, in deren Mitte ein fünfhundert Meter durchmessender und halbierter Kugelraumer stand.

Der Palast des Gouverneurs. Der Wald bildete einen doppelten Ring

um die Senke. Dazwischen lag ein freier Streifen mit abgeweideter Vegetation, auf dem sich einige tausende Moojas bewegten. Fartuloon vermutete sofort, daß es sich um besonders abgerichtete Exemplare handelte, denen die Aufgabe von Wächtern zugefallen war. Mit ihren kräftigen Hakenklauen und Raubgebissen würden sie dafür sorgen, daß sich niemand ungestraft der geteilten Halb­kugel nähern konnte.

Fartuloon lächelte heimlich in sich hinein, als er an seinen Spezialsender dachte. Ruu­ver würde mit seiner eigenen Waffe geschla­gen werden.

Der Kugelpalast blieb zurück, als der

Gleiter ein wenig die Richtung änderte und nun den Raumhafen anflog. Harakas stellte zu seiner Zufriedenheit fest, daß die anderen bereits entladen wurden.

Einer der Kugelraumer hatte sämtliche Luken geöffnet. Die Moojas schleppten Bal­len und Kisten in die unersättlichen Lager-räume des Schiffes. Einige Wärter standen mit ihren Sendern dabei, gleichgültig und ein wenig nachlässig. Für sie war das alles nur Routine.

Der Gleiter landete. Bevor Harakas aus­stieg, sagte er noch:

»Sie können ebenfalls den Gleiter verlas­sen, aber entfernen Sie sich nicht zu weit, das könnte Verdacht erregen. Sobald wir entladen haben, starten wir wieder. Gehen Sie nicht zu nah an die Wärter und die Moo­jas heran. Ich kümmere mich inzwischen um die Papiere.«

Es fiel Fartuloon nicht schwer, sich wie ein Tourist zu benehmen, der neugierig die neue und ungewohnte Umgebung bestaunte. Sein Mund stand weit offen, als er die arbei­tenden Moojas betrachtete, und einer der Wärter machte den anderen gegenüber eine entsprechend witzige Bemerkung, denn sie lachten.

Aber das kümmerte Fartuloon nur wenig. Er blieb in der Nähe des Gleiters, doch ließ sich nicht verhindern, daß die Moojas mit ihren Lasten dicht an ihm vorbeizockelten. Sie beachteten ihn nicht, denn unaufhörlich wurden die Befehlsimpulse in ihre Gehirne eingespeist. Und diese Impulse besagten nicht, daß sie sich um ihn kümmern sollten.

Bei den Kontrolltürmen bemerkte Fartu­loon halbversenkte Verteidigungsanlagen und flachgebaute Unterkünfte. Man verzich­tete also nicht ganz auf militärischen Schutz und verließ sich nicht ausschließlich auf die Moojas.

Der Gleiter war schnell entladen. Harakas bekam seine Papiere und Wertkreditscheine. Sein Gesicht wirkte zufrieden, als er auf Far­tuloon zutrat.

»Fertig, wir können starten. Gutes Ge­schäft.«

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»Freut mich für Sie, Harakas. Ich habe auch genug gesehen.«

»Was eigentlich wollten Sie sehen?« »Nun, eigentlich alles. Die Moojas, die

Wärter, den Palast und den Raumhafen. Uns interessiert alles, was uns weiterbringen könnte.«

»Bringen – wohin?« Fartuloon warf ihm einen warnenden

Blick zu, als einer der Wärter sich näherte. »Sie werden es noch erfahren.« Der Wärter nickte Harakas zu und wandte

sich dann an Fartuloon: »Touristen dürfen den Hafen nur mit be­

sonderer Erlaubnis betreten. Gehören Sie zu Harakas?« Ehe Fartuloon antworten konnte, sagte

Harakas: »Ein guter Freund von mir. Er besucht Ja­

cinther regelmäßig und hat uns schon viele Kunden gebracht. Ich wollte ihm nur zeigen, wie vorbildlich hier gearbeitet wird und wie tüchtig unser Personal ist. Das ist doch si­cher kein Verbrechen.«

»Das nicht, aber eine Sondergenehmigung wäre notwendig gewesen.«

»Dazu blieb keine Zeit, außerdem müssen wir schon wieder starten. Vergessen Sie es.«

Der Wärter musterte den dicken Fartu­loon, dann nickte er.

»Na schön, aber das nächste Mal besor­gen Sie sich das Papier, sonst gibt es Schwierigkeiten. Guten Flug.«

Fartuloon atmete erleichtert auf, als sie endlich im Gleiter saßen und der Pilot starte­te. Sie flogen diesmal nicht die direkte Rou­te, sondern machten einen Umweg in östli­cher Richtung. Harakas wollte seinem Gast noch einige andere Moojagehege vorführen. Er schien bemerkt zu haben, daß diese Tiere seine besondere Aufmerksamkeit erregt hat­ten.

Nach einer Zwischenlandung bei einem Vorratslager erreichten sie dann kurz vor Einbruch der Dämmerung den Rand des Pla­teaus.

Der Lift brachte sie direkt ins Haus.

*

Morvoner kratzte sich am Kopf, als Fartu­loon seinen Bericht beendet hatte.

»Na ja, ist ja alles gut und schön, aber was soll das mit den Echsen? Glaubst du vielleicht, die könnten uns helfen?«

»Sie werden uns zumindest dabei helfen, dem Gouverneur einen Schrecken einzuja­gen. Ich benötige allerdings zur Vorsicht noch einen zweiten Sender, mehr einen ein­fachen Impulsgeber, mit dem ich den eigent­lichen Sender auch über größere Entfernung hinweg einschalten kann. Harakas hat genü­gend Ersatzteile, das bedeutet also keine Schwierigkeit.«

»Ich verstehe noch immer nicht …« »Gut, dann will ich es dir erklären: Mit

meinem Sender, den ich irgendwo im Gelän­de verstecke und dann beliebig ein- oder ausschalten kann, überlagere ich die um die Gehege installierten normalen Befehlssender des Gouverneurs. Die Moojas sind dann sich selbst überlassen und werden entsprechend reagieren. Sie werden alles überrennen, was sich ihnen in den Weg stellt, und niemand kann sie mit den normalstarken Sendern auf­halten. Die Wärter haben dann die Gewalt über sie verloren, und nur wir können die Stampede zum Stillstand bringen.«

Coraschol, der natürlich mitgehört hatte, machte ein bedenkliches Gesicht.

»Das also habt ihr vor …? Und ihr glaubt damit den Gouverneur milder zu stimmen? Im Gegenteil: Er wird euch auf der Stelle hinrichten lassen.«

»Er wird sich hüten, denn er weiß ja nicht, wo mein Sender versteckt ist. Und mit mei­nem kleinen Impulsgeber kann niemand et­was anfangen, wenn er die Auslösefrequenz nicht kennt.« Fartuloon schüttelte den Kopf. »Ich bin mir meiner Sache absolut sicher, Coraschol. Und noch etwas: Die Moojas werden wie Soldaten zu einem Angriffskrieg ausgebildet. In aller Heimlichkeit hat sich Ruuver eine Armee geschaffen, die ohne Furcht vor dem eigenen Tod in den Kampf

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gehen wird. Von positronischen Befehlen gesteuert, wird sie jeden Gegner einfach überrollen. Und diese fabelhafte Waffe des Gouverneurs werde ich gegen ihn selbst ein­setzen.«

Ich hatte bisher geschwiegen, denn Fartu­loons Plan begann mich zu faszinieren. Er räumte Bedenken auf Bedenken aus, ohne daß ich Fragen stellen mußte. Das taten schon die anderen für mich, in erster Linie Coraschol, der die Verhältnisse auf der Insel wohl am besten kannte.

»Was geschieht mit mir? Wollt ihr mich mitnehmen oder hier zurücklassen? Der Gouverneur würde mich von den Moojas zerfleischen lassen, wenn er erführe, daß ich euch geholfen habe.«

Das war allerdings eine heikle Frage, und ich war gespannt, wie Fartuloon sich aus der Affäre ziehen würde.

Und er tat es. »Du hast uns schon genug geholfen, ei­

gentlich bereits schon zu viel, als daß der Gouverneur dir jemals verzeihen könnte. Wir können dich also unbesorgt freilassen. Selbst wenn du uns verraten würdest, was ich nicht glaube, bekäme dir das schlecht. Du würdest auf jeden Fall bestraft werden. Wir selbst werden dich mit keinem Wort er­wähnen, solange auch du schweigst. Das gilt auch für deinen Freund Harakas. Im gegen­teiligen Fall aber werden wir dem Gouver­neur die volle Wahrheit mitteilen, und ich bin gewiß, daß er sie unter dem Druck der Ereignisse ohne Vorbehalt glauben wird. Du siehst, mein Freund, wir gehen kein Risiko ein, wenn wir dich freilassen.«

Coraschol begann zu meiner Überra­schung aus vollem Hals zu lachen. Er schlug sich vor Vergnügen auf die Oberschenkel. Fartuloon geriet für einen Augenblick aus der Fassung und blickte ihn erstaunt an.

»Ausgezeichnet, Fartuloon!« lobte Cora­schol. »Deine Überlegungen stimmen, und ich gebe dir recht. Aber du kannst beruhigt sein, ich würde euch niemals verraten, schon deshalb nicht, weil ich den Gouverneur nicht leiden kann. Außerdem bin ich gegen einen

Krieg mit den anderen Kontinenten. Wenn ich euch also auch weiterhin unterstütze, helfe ich nur mir selbst und meinen Freun­den.«

»Dann sind wir uns ja einig«, meinte Far­tuloon. »Noch Fragen zu dem Komplex?«

Sicherlich gab es noch hundert Fragen, aber Eiskralle erkundigte sich nur nüchtern:

»Du bist natürlich fest davon überzeugt, daß dein Sender auch funktioniert, oder irre ich mich da?«

»Er wurde praktisch noch nicht erprobt, aber das hole ich morgen nach. Ihr könnt der Demonstration beiwohnen. In der Nacht noch werde ich den Impulsgeber für die Fernsteuerung zusammenbasteln, um auch den gleich zu testen. Ihr könnt ja schlafen.«

Coraschol erhob sich. »Ich kenne in der Siedlung ein Mädchen.

Kann ich sie besuchen?« Fartuloon zögerte nur für den Bruchteil

einer Sekunde. »Natürlich kannst du das, Coraschol. Wir

alle wünschen dir viel Vergnügen und hof­fen, du bist zum Frühstück zurück.«

»Viel früher, denn sie hat noch einen Freund, und der kann mich nicht leiden. Vielen Dank, ihr werdet es nicht bereuen.«

Als er gegangen war, meinte Eiskralle: »Hoffentlich stimmt das mit dem Mäd­

chen …«

4.

Am nächsten Vormittag fuhren wir mit dem Lift hoch zum Rand des Plateaus. In ei­niger Entfernung wurden wieder Gleiter be­laden, aber das störte Fartuloon nicht. Wir schlenderten noch ein Stück weiter nach Osten, blieben aber in unmittelbarer Nähe des Abbruchs.

Unter uns lag die Siedlung, das Erho­lungszentrum und die Ebene. Weit in der Ferne glaubte ich, das Meer schimmern zu sehen.

Fartuloon legte seinen Sendekasten unter einen ausgehöhlten Stein und winkte uns zu.

»Gehen wir noch ein Stück weiter, ob­

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wohl die Entfernung keine besondere Rolle spielt.« Er hielt einen zweiten kleineren Ka­sten in die Höhe. Er hatte nur einen einzigen Schalter. »Das ist der Impulsgeber. Ich bin überzeugt, er schaltet den Sender auf mehre­re hundert Kilometer Entfernung ein.«

Weit hinter den Hotels waren Wärter und Moojas damit beschäftigt, eine neue Straße zu bauen. Die Echsen schleppten in seitlich angebrachten Körben Steine herbei, planier­ten den steinigen Boden und füllten die ent­stehenden Mulden aus. Die wenigen Wärter beobachteten sie gleichmütig, ihre Sender auf der Brust.

»So, nun paßt mal gut auf«, empfahl uns Fartuloon und nahm den Schalter seines Im­pulsgebers zwischen zwei Finger. »Jetzt!«

Meiner Schätzung nach betrug die weite­ste Entfernung bis zu den Straßenbauern et­wa vier Kilometer. Auch an anderen Stellen konnte ich Moojas bemerken.

Eiskralle blieb noch Zeit zu fragen: »Was ist mit den Moojas, die drüben

Gleiter beladen? Wenn sie wild werden, schädigen wir die Händler, nicht aber Ruu­ver.«

Fartuloon schüttelte fast mitleidig den Kopf.

»Mein lieber Freund, natürlich hat mein Sender eine Richtstrahlvorrichtung. Sie ist in Betrieb, und so werden nur jene Tiere beein­flußt, die von dem schmalen Sektor erfaßt werden. Keine Sorge also: die Moojas wer­den die Gleiter nicht umwerfen.«

Er drückte den Hebel herab. Trotz der großen Entfernung konnten wir jede Einzel­heit des Geschehens in der Ebene beobach­ten. Zuerst blieben die Moojas wie angewur­zelt stehen, als wären sie gegen eine unsicht­bare Mauer gestoßen, dann handelte jedes einzelne Tier nach individueller Veranla­gung. Der ständige Zwang, der auf ihnen la­stete, war von einer Sekunde zur anderen nicht mehr wirksam.

Ein Mooja schüttelte seine beiden Körbe ab; die Steine rollten über die neu planierte Straße und kollerten den Wächtern vor die Füße, die sich nur durch eiligste Flucht ret­

ten konnten. Dabei begannen sie ihre Be­fehlsgeber zu bearbeiten, denn sie vermute­ten wohl einen Defekt. Das Mooja verfolgte sie wütend, als wolle es seine bisherigen Herren bis zum Meer jagen.

Zwei andere Moojas beteiligten sich an der Verfolgung, die übrigen zogen trotz ih­rer Steinlasten wie eine Herde harmloser Vegetarier in das mit Gras und Büschen be­deckte Land hinaus und begannen friedlich zu weiden.

Niemand von uns nahm an, daß ein Mooja einen Wärter tödlich angreifen würde, aber in dieser Hinsicht wurden wir enttäuscht. Auch Fartuloon schien nicht damit gerech­net zu haben, denn hastig zog er den Hebel in seine Ausgangsstellung zurück, als das wildgewordene Tier, das zuerst die Steine abgeworfen hatte, einen der Wärter einholte und mit einem einzigen Prankenhieb zu Bo­den schleuderte. Dann wollte es sich auf ihn stürzen.

Es hielt sofort in seinen Bewegungen in­ne, als die Überlagerungsimpulse erloschen und die ursprünglichen Befehlsimpulse wie­der wirksam wurden. Es stand da wie vom Blitz getroffen und schien nicht zu wissen, was in den Sekunden zuvor geschehen war.

Auch der überraschte Wärter begriff nicht, was geschehen war. Wahrscheinlich nahm er an, sein Sender sei nur zeitweise ausgefallen und funktioniere nun plötzlich wieder, wobei er sich jedoch die Frage stel­len mußte, warum das bei allen Sendern gleichzeitig geschehen war.

Jedenfalls erhob er sich langsam wieder und ging hastig ein Stück zur Seite, wobei er das Mooja nicht aus den Augen ließ. Ich konnte jede Einzelheit durch das mitgenom­mene Glas erkennen.

Das Mooja kehrte gehorsam zu den abge­worfenen Körben zurück und begann, die Steine wieder einzusammeln.

Nun löste sich der Bann auch bei den an­deren Wärtern, ihre Moojas kehrten zurück, um ihre Arbeit wieder aufzunehmen.

Fartuloon sah uns voller Erwartung an. »Nun?« erkundigte er sich.

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Coraschol, der uns auf seinen eigenen Wunsch hin begleitet hatte, sagte tief beein­druckt:

»Das also ist es, was du wolltest? Die Moojas werden ihren Wärtern nicht mehr gehorchen. Ich kenne die Verhältnisse und auch die Abhängigkeit von den unter Zwang stehenden Echsen. Es würde eine Katastro­phe bedeuten, und man wird sie töten müs­sen.«

»Dazu brauchen wir es nicht kommen zu lassen«, versicherte Fartuloon. »Die Moojas sind im Grunde genommen harmlos, wenn man sie in Ruhe läßt. Mir geht es in erster Linie darum, dem Gouverneur zu beweisen, daß er mit uns verhandeln muß, wenn er nicht alles verlieren will, was er sich heim­lich aufbaute: Seine Armee.«

»Ich finde, das alles ist ein verrückter Plan!« stellte Morvoner fest und kratzte sich am Hinterkopf. »Wie nehmen wir Verbin­dung zu Ruuver auf, ohne daß er uns gleich in den Kerker wirft?«

»Das laß nur meine Sorge sein, Morvoner. Ich kenne jetzt das Gelände und denke, wir werden dem Gouverneur bald einen heimli­chen Besuch abstatten. Vielleicht ist es bes­ser, nur einer von euch begleitet mich. Eis-kralle oder Atlan.«

»Und warum nicht ich?« wollte Morvoner wissen.

»Weil wir einen besonders fähigen Kopf im Hinterland brauchen, wenn wir Pech ha­ben. Jemand, auf den Verlaß ist und der uns aus dem Gefängnis holen kann. Jemand wie dich, Morvoner!«

Sprangk wußte nicht so recht, ob er das überschwengliche Lob ernst nehmen sollte oder nicht. Ich nickte ihm unmerklich zu und bat ihn so um sein Einverständnis, Far­tuloons Vorschlag anzunehmen, was er auch ohne weiteren Widerspruch tat.

Wir kehrten an den Platz zurück, an dem wir den Sender versteckt hatten. Fartuloon nahm ihn an sich und verbarg ihn unter sei­nem Gewand. Eine Weile noch blieben wir in der Nähe der Gleiter stehen und sahen zu, wie diese beladen wurden. Harakas tauchte

zwischen den Wärtern auf und winkte uns kurz zu, dann war er wieder verschwunden. Wahrscheinlich hatte er bald wieder einen Transport zum Raumhafen.

Diesmal fuhren wir mit dem Lift direkt hinab in das Haus des Händlers und wurden von dessen Frau mit einer reichlichen Mahl­zeit empfangen.

Fartuloon sagte: »Wir brechen heute abend auf, Atlan.

Wenn wir bis morgen früh nicht zurück sind, soll Eiskralle mit Coraschol nachkommen. Harakas wird euch dabei behilflich sein. Morvoner bleibt hier, sozusagen als Notre­serve. Alles einverstanden?«

Ich nickte und erwiderte schnell: »Es gäbe keinen besseren Plan, also einverstanden.«

Damit erhielt Fartuloon auch die Zustim­mung der anderen.

*

Harakas hatte es nicht gewagt, uns einen Gleiter zur Verfügung zu stellen, besorgte uns jedoch einen kleinen und schnellen Wa­gen, der von einem Mooja gezogen wurde. Da wir nun auch einen offiziellen Befehls­sender besaßen, gehorchte uns das Tier.

Fartuloon hatte die Reichweite auf wenige Dutzend Meter herabgesetzt, um keine Tiere zu beeinflussen, die zufällig in unsere Nähe gerieten. Diese Beschränkung ließ sich mit einem schnellen Handgriff aufheben. Der Sender war gut gesichert am Wagen befe­stigt.

Niemand achtete auf uns, als wir den obe­ren Handelsstützpunkt auf der Straße nach Süden verließen. Das Gelände war nicht so felsig und unfruchtbar wie in der Nähe der Küste unten in der Ebene. Es gab weite Grasflächen und richtige Wälder, Flüsse und kleine Seen. Aber es wurde schnell dunkel, und schließlich sahen wir nur noch die Stra­ße und ihre beiden Ränder.

Harakas hatte uns versichert, daß wir kein Risiko eingingen, solange wir die Straße nicht verließen. Niemand würde uns Fragen stellen oder nach Sondergenehmigungen fra­

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gen. Außerdem hatte er uns für den Notfall den Namen eines Mannes anvertraut, an den wir uns wenden sollten, wenn wir Ärger mit den Behörden bekamen. Er hatte uns jedoch gebeten, den Namen nur dann zu nennen, wenn wir in echte Gefahr gerieten.

Immerhin war das ein gewisser Rückhalt, wenn wir auch keine Ahnung hatten, wer dieser Toronol war.

Die Situation war nicht nur ungewöhn­lich, kam mir zu Bewußtsein, als wir in dem primitiven Wagen durch die beginnende Nacht fuhren, sondern sogar ein wenig ro­mantisch. Vor uns schimmerte der Schup­penpanzer des Moojas im Sternenlicht, es schien den Weg zu kennen und hielt sich ge­nau in der Mitte der Straße. Ich war ge­spannt, ob es ausweichen würde, wenn uns ein anderer Wagen entgegenkam.

Neben mir saß Fartuloon auf der harten Bank und pfiff ein Liedchen vor sich hin. Auf seinem Schoß lag der zweite Sender. Er hielt ihn mit einer Hand fest.

Die Nacht war sehr warm, und im Westen waren Wolken aufgezogen. Sie versprachen Regen, aber es konnte noch lange dauern, ehe er einsetzte. Das kleine Dach über unse­rer Sitzbank würde uns nur wenig schützen können, wenn noch ein Sturm aufkam.

»Wirklich wie auf einer echten Urwelt«, meinte Fartuloon. »Da zieht ein Saurier dei­nen Wagen, und um dich herum ist nichts als Wald und Wiese. Dabei wird auf diesem Planeten mehr an Waren umgesetzt, als man für möglich halten sollte.«

»Mich interessiert nur dieser Freemusch. Wenn wir ihn in die Hand bekommen, ver­setzen wir Orbanaschol abermals einen emp­findlichen Schlag. Er wird unsere bisherigen Drohungen allmählich ernst nehmen müs­sen. Ich wünsche, daß er Tag und Nacht kei­ne Ruhe mehr findet und keinen anderen Gedanken mehr hat, als sich vor unserer Ra­che schützen zu müssen.«

Fartuloon sah mich an. Seine Züge waren aber nicht zu erkennen. Es war dunkler ge­worden.

»Du bist rachsüchtiger, als ich je vermute­

te, mein Sohn.« Es war das erstemal, daß mich mein väter­

licher Freund und Pflegevater wieder seinen »Sohn« nannte. Er tat es nur äußerst selten, seit ich wußte, daß Gonozal, der ermordete Imperator von Arkon, mein wirklicher Vater war.

»Was ist Schlimmes an dieser Rache, Far­tuloon?«

»Rache trübt den klaren Verstand. Unser Vorgehen sollte kühl und sachlich sein – mit dem Zweck, den Mörder deines Vaters vom Thron des Imperiums zu stoßen. So betrach­tet ist es nicht einmal Rache, sondern Ge­rechtigkeit und Strafe für ein Verbrechen. Du solltest diesen scheinbar geringfügigen Unterschied niemals vergessen.«

»Ich will mich bemühen«, versprach ich, wußte aber schon jetzt, daß der Gedanke an Rache mich niemals völlig verlassen konnte. Er war der Motor meines ganzen Handelns und verlieh mir Kraft und Zuversicht, auch in ausweglosen Situationen.

Nein, ich konnte ihn nicht aufgeben. Ein Wagen kam uns entgegen. So wie wir hatte er kein Licht, aber das

schleifende Geräusch der Moojapranken war nicht zu überhören. Außerdem tauchte er jetzt vor uns im schwachen Licht der Sterne auf, knapp hundert Meter entfernt.

Fartuloon lenkte unsere Echse zur rechten Seite, um Platz zu machen. Er pfiff nun auch nicht mehr. Ich selbst legte meine Hand auf den Griff der Strahlwaffe. Ich war fest ent­schlossen, sie auch anzuwenden, wenn es sich als notwendig erweisen sollte.

Wir hatten Glück. Aber bis wir das wußten, standen wir

noch einige Minuten der Ungewißheit durch. Der Wagen wich nämlich keinen Zentimeter aus, sondern blieb mitten auf der Straße. Er kam genau auf uns zu, und wenn Fartuloon noch weiter nach rechts lenkte, würden wir in den Graben kippen.

Wir hielten an. Nun lag auch Fartuloons Hand in der Nähe des Gürtels.

»Laß mich reden!« bat er mich flüsternd. Der andere Wagen kam näher. Ich sah am

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Schatten, daß es ein ähnlicher Wagen wie der unsere war. Auf keinen Fall also handel­te es sich um einen Warentransport oder ei­ne Suchpatrouille mit Soldaten.

Wenige Meter von uns entfernt hielt er an. Eine etwas rauhe Stimme fragte:

»Wie weit noch bis zur Siedlung?« Ich hielt den Mund, wie ich versprochen

hatte. Fartuloon sagte: »Zwei Stunden, mehr nicht. Es wird bald

regnen.« »Bis dahin haben wir es geschafft. Aber

Sie werden es nicht in zwei Stunden bis zum Umschlagplatz schaffen. Warum fahren Sie in der Nacht spazieren? Bei Tag ist es reiz­voller.«

»Es gibt manchmal Geschäfte«, erklärte Fartuloon.

»Ihr denkt hier nur an Geschäfte!« kam es ein wenig verächtlich zurück. »Wir dachten, hier einen geruhsamen Urlaub verbringen zu können, aber die Hektik von Jacinther ist un­glaublich. Möchte wissen, wer sich hier er­holen soll!«

Also Urlauber, keine Gefahr für uns. Mei­ne Hand zog sich vom Griff des Strahlers zurück.

»Alles eine Sache des Standpunkts«, meinte Fartuloon, der sich bemühte, seiner Stimme einen verweisenden Tonfall zu ver­leihen. »Wem Jacinther nicht gefällt, soll zu Hause bleiben. Außerdem möchte ich wis­sen, was an dieser friedvollen Landschaft hektisch sein soll. Die Geschäfte der Händ­ler brauchen Sie nicht zu kümmern.«

»Na, ich weiß nicht … Es sind ja auch nicht die Händler allein, die eine solche Un­ruhe verbreiten. Überall wimmelt es von diesen Echsen und ihren Wärtern. Der Raumhafen ist praktisch von Polizei und Mi­litär umlagert. Es sieht so aus, als warte man auf einen Angreifer und bereite sich auf den Krieg vor. Und da wollen Sie mir erzählen, hier könne man sich erholen? Die Reise hat mich eine Menge Geld gekostet, müssen Sie wissen.«

»Das tut mir aufrichtig leid, denn ich weiß den Wert des Geldes zu schätzen. Übrigens,

seit wann wurde das Militär am Raumhafen verstärkt? Das ist mir neu, und ich lebe schon lange hier.«

»Seit zwei Tagen. So, und nun möchten wir weiterfahren, ehe das Unwetter los­bricht. Ihnen wünsche ich viel Vergnügen.«

Der Wagen rollte zur anderen Seite und passierte uns. Die zweite Gestalt, die ich noch erkennen konnte, mußte einer der Ech­senwärter sein, die von den Urlaubern mit ihren Wagen gemietet wurden.

»Puh!« machte Fartuloon, als der Wagen hinter uns in der Dunkelheit verschwunden war. »Einer von diesen typischen Snobs, de­nen man es niemals recht machen kann. Aber in Urlaub fahren müssen sie, damit sie dann vor ihren Freunden prahlen können, wo sie überall gewesen sind.«

Ich mußte lächeln, als Fartuloon sich so ereiferte. Aber er hatte natürlich recht.

»Wollen wir die ganze Nacht fahren? Es sind doch mindestens noch dreißig Kilome­ter bis zum Raumhafen.«

»Aber nur noch zwanzig bis zum Palast des Gouverneurs. Es gibt da eine Abkür­zung, wie Harakas mir erklärte. Kann sein, daß sie bewacht ist, aber wir können uns ja dumm stellen.«

Ich schwieg. Das Mooja zog wieder an, und bald begann auch Fartuloon wieder fröhlich vor sich hin zu pfeifen. Damit war die Welt für ihn abermals in Ordnung.

Weniger für mich. Ich machte mir ernst­lich Sorgen, wie das Abenteuer für uns aus­gehen würde. Dabei sollte es sich nur um ei­ne Erkundung handeln. Wenn ich jedoch den Zeitfaktor mit in die Kalkulation einbe­zog, sah diese Erkundung nicht sehr vielver­sprechend für uns aus.

Wir würden den Palast erst nach Mitter­nacht erreichen, wenn wir nicht aufgehalten wurden. Bis es uns dann gelungen war, die Bewachung zu testen oder gar einzudringen, wurde es wieder hell. Die Frage blieb dem­nach offen, wie wir wieder herauskamen und unbehelligt die Rückfahrt antreten konnten.

Fartuloon schien sich darüber keine Sor­

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gen zu machen. Wir passierten eins der zahlreichen Moo­

jagehege, das auf der linken Seite lag. Die ringsum installierten Impulssender wirkten nur nach einer Seite, so daß unser Tier von den Befehlen nicht beeinflußt wurde. Ob­wohl es noch dunkler geworden war, war das Gehege nicht zu übersehen – oder bes­ser: Nicht zu überhören.

Fartuloon spielte mit seinem Impulssen­der, aber zum Glück kam er jetzt nicht auf die Idee, ihn noch einmal auszuprobieren. Das Scharren und Rascheln aus der Finster­nis ließ mich vermuten, daß Hunderte von Moojas nur wenige Dutzend Meter von mir entfernt waren.

Zwei Stunden nach unserer Begegnung mit dem Touristen – seit dreißig Minuten befanden wir uns nicht mehr auf der Haupt­straße, sondern auf einer gut erhaltenen Ab­zweigung – hielt Fartuloon das Mooja an. Der Wagen stand mit einem Ruck, und fast hätte ich das Gleichgewicht verloren.

»Wir lassen ihn hier stehen und gehen zu Fuß weiter, Atlan.«

Mit steifen Beinen kletterte ich vom Sitz. Vor mir erkannte ich einen dunklen Wald-streifen.

»Warum?« »Ein Wagen würde auffallen, denn ich

nehme an, es gibt Wachen hier. Hinter dem Waldstreifen liegt das Sperrgebiet, das mit speziell abgerichteten Moojas angefüllt ist. Wir werden den Sender noch im Wald depo­nieren und ihn so einstellen, daß seine Reichweite diese Tiere beeinflussen kann. Ich nehme nur den kleinen Kontakter mit. Dann versuchen wir, bis zum Palast vorzu­dringen.«

»Und wenn man uns erwischt?« Fartuloon winkte ab. »Mir wird schon etwas einfallen.« Davon war ich zwar überzeugt, aber es

beruhigte mich nicht sonderlich. Wenn die Wärter zuerst schossen und dann erst frag­ten, nützte die beste Ausrede nichts mehr.

Im Wald war es noch dunkler. Nach der Beschreibung Fartuloons war auch er ring­

förmig angelegt und schloß das Muldenge­biet ein, in dessen Zentrum der ausgediente Kugelraumer stand, der dem Gouverneur als Wohnsitz diente. Wir folgten dem ausgetre­tenen Pfad ein Stück, bis wir beinahe über einen großen Felsbrocken stolperten, der uns zu einem Umweg zwang. Fartuloon manipu­lierte an seinem Sender herum und schob ihn dann unter eine Aushöhlung des Steins. Vorsichtshalber bedeckte er die Stelle mit einigen Zweigen und Erde.

Obwohl ich vollstes Vertrauen zu ihm und seinen technischen Kenntnissen hatte, war mir doch unbehaglich zumute. Ein Mann, der sich so von der Außenwelt abschirmte wie der Gouverneur Ruuver, würde auch da­für sorgen, daß er unbehelligt blieb. Auf die Moojas allein würde er sich nicht verlassen. Ich machte eine entsprechende Bemerkung, erntete jedoch abermals lediglich ein fast un­williges Abwinken.

Am Waldrand hielten wir an. In regelmä­ßigen Abständen sorgten Scheinwerfer da­für, daß der Sperrring taghell beleuchtet war. Der nur mit Gras bedeckte Streifen war nicht breiter als zweihundert Meter, aber wo immer man auch hinsah, erblickte man Moojas. Die meisten von ihnen lagen lang ausgestreckt auf der Erde und schliefen, aber andere weideten oder spazierten schwerfäl­lig an der Senderzone entlang, die ihnen Einhalt gebot.

»Ich habe den Impulssender auf ›Passives Abwarten‹ geschaltet«, flüsterte mir Fartu­loon zu. »Das bedeutet, daß kein Mooja sich von der Stelle rühren wird, wenn wir ihn ak­tivieren. Ich hielt es für zu gefährlich, sie völlig sich selbst zu überlassen. Notfalls würde auch diese Demonstration genügen, den Gouverneur zu überzeugen.«

Ich war jetzt sicher, daß sich in der Nähe des Sperriegels keine Wärter mehr aufhiel­ten. Wir hatten es also lediglich mit den Echsen zu tun. Es mochte paradox klingen, aber das beruhigte mich.

Fartuloon schaltete den im Wald depo­nierten Sender durch einen Hebeldruck ein. Dann schob er den kleinen Gegenstand in

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die Tasche. Er nickte mir zu. »Gehen wir, und tu ganz so, als wärest du

zur Erholung hier und spaziertest durch einen Park. Die Moojas lassen uns unbehel­ligt, darauf kannst du dich verlassen.«

Er behielt recht, aber es war trotzdem ein unheimliches Gefühl, mitten durch die war­tenden Echsen zu gehen. Sie lagen oder standen herum, sahen uns zwar nach, trafen aber keine Anstalten, uns den Weg zu ver­stellen.

Fartuloon und ich atmeten auf, als wir den zweiten Wald erreichten. Der Gürtel mit den installierten Impulsgebern lag hinter uns. Er hinderte die Moojas daran, ihr Gebiet zu verlassen.

Fartuloon schaltete unseren eigenen Sen­der wieder aus. Sofort bewegten sich die Moojas wieder und gingen ihrer bisherigen Tätigkeit nach. Sie schienen uns völlig ver­gessen zu haben.

Mein Vertrauen zu Fartuloon stieg noch weiter. Seine Theorie schien zu stimmen. Er war damit zum Meister der Echsen gewor­den, die ihm bedingungslos gehorchten. Nun erst war ich davon überzeugt, daß wir unser Ziel erreichen würden, wenn es auch noch einige Schwierigkeiten geben konnte, die wir nicht einberechnet hatten.

Wir durchquerten den nicht sehr dichten Wald und erreichten den Rand der Mulde. Mir stockte der Atem, als wir stehenblieben und in das von spärlichen Lichtern nur schwach beleuchtete Rundtal hinabblickten.

Genau in der Mitte, knapp tausend Meter entfernt, stand der untere Teil eines fünfhun­dert Meter durchmessenden Kugelraumers, von einem flachen Runddach bedeckt. Da­vor und ringsum erstreckte sich ein wildwu­chernder Park mit schimmernden Seen und künstlichen Flußläufen. Ich bemerkte ihn mit Wohlwollen, denn er bot genügend Möglichkeiten, sich verstecken zu können.

Von militärischen Anlagen oder Warnvor­richtungen bemerkte ich nichts, aber ich war sicher, daß sie vorhanden waren. Ein Mavil­lan Ruuver verließ sich nicht allein auf seine Moojas.

Fartuloon flüsterte mir zu: »Der Mann hat Phantasie, nicht wahr?

Wohnt in einem ausgedienten Raumschiff, das größer als jeder Palast ist. Und dort ist er sicher, wenn auch nur einige der technischen Einrichtungen noch funktionieren. Außer­dem besitzt er so seine eigene Energiever­sorgung und ist von Kortasch-Auromt unab­hängig. Ihm kann es völlig egal sein, was die Händler treiben.«

»Warum will er dann unbedingt Imperi­umsbeauftrager werden?« wunderte ich mich. »Hier ist er sein eigener Herr, und nie­mand kann ihm Befehle erteilen. Was will er mehr?«

»Einfluß, Atlan, Einfluß! Er hat seine Komplexe wie jeder andere auch, und er möchte Anerkennung und Macht. Er kann den Gedanken nicht ertragen, daß noch einer über ihm steht – Agmon. Statt hier in Frie­den zu leben und sein Dasein zu genießen, strebt er nach mehr. Er will der Herr dieses Planeten werden, und dazu ist ihm jedes Mittel recht. Ich nehme an, alle vier Gouver­neure von Jacinther denken und fühlen ähn­lich. Vielleicht liegt das an ihren ähnlichen Charaktereigenschaften.«

Seine Theorie hatte einiges für sich und war logisch. Von diesem Gesichtspunkt aus­gehend, konnten wir die Handlungsweise Ruuvers vorausberechnen und uns entspre­chend verhalten. Wenn wir auch nur schein­bar seine geheimen Ziele berücksichtigten, würde er vielleicht sogar das Verlangen ver­spüren, uns als Bundesgenossen zu gewin­nen.

Und die Geschichte mit Fartuloons Sen­der würde diesem Verlangen noch Nach­druck verleihen.

Wir folgten dem deutlich sichtbaren Pfad in die Senke hinab. Der dunkle Streifen des Waldes blieb zurück. Vor uns lagen die Parks, überragt von dem Rundbau des Gou­verneurs. Aus einigen der Luken fiel Licht, also schlief noch nicht alles im Palast. Viel­leicht gab es ständige Wachen innerhalb des Palastes, aber das würden wir ja bald wis­sen, wenn Fartuloon sich nicht damit zufrie­

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dengab, nur die nähere Umgebung zu erfor­schen.

Wenigstens gab es hier keine Moojas, und das war gut so, denn der im Wald deponierte Sender war auf geringe Reichweite einge­stellt. Er würde keine Echse hier unten im Tal beeinflussen können.

Fartuloon blieb plötzlich stehen. »Ein Haus – vor uns«, flüsterte er.

»Wachtposten, nehme ich an.« Das Haus war nicht sehr groß und lag in

völliger Dunkelheit. Aus keinem der Fenster drang Licht nach außen. Vielleicht handelte es sich um das private Wohnhaus eines Wär­ters, der für die Tiere im Sperrgürtel verant­wortlich war. Nach einem Wachtposten sah mir das nicht aus.

Wir schlichen uns näher heran, die Strah­ler in den Händen. Ich glaube, in diesen Au­genblicken war Fartuloon ganz froh, sein Skarg im Haus von Harakas zurückgelassen zu haben. Es wäre ihm nur hinderlich gewe­sen.

Als sich nichts in dem Haus rührte, gin­gen wir weiter. Es hatte wenig Sinn, es zu untersuchen und die Bewohner vielleicht aufzuwecken. Immer häufiger wurden nun aber die hohen Masten mit den nach unten gerichteten Scheinwerfern, die das unmittel­bar darunter liegende Gelände taghell er­leuchteten. Oft genug mußten wir den Weg verlassen und zwängten uns durch das Ge­büsch, das sicheren Schutz bot.

Dann erreichten wir das Parkende und standen vor dem Palast.

Fartuloon zog mich in die Büsche zurück. »Ich fürchte, viel weiter werden wir nicht

kommen«, flüsterte er mir zu und deutete in Richtung der gewaltigen Halbkugel. »Siehst du die positronisch gesteuerten Kontrollstel­len? Sie sind in regelmäßigen Abständen an­gebracht und hell angestrahlt. Ich bin davon überzeugt, daß jede von ihnen vom Innern des Palastes aus scharf überwacht wird. So­bald jemand die so markierte Grenze über­schreitet, wird Alarm ausgelöst. Wir haben nicht die Mittel, eine solche Anlage auszu­schalten, ohne daß es bemerkt wird. Scha­

de.« Es begann zu regnen. »Immerhin sollten wir versuchen, dem

Gouverneur so etwas wie eine Botschaft zu übermitteln, damit er weiß, daß wir unter ge­wissen Bedingungen bereit sind, mit ihm zu sprechen. Schließlich hat er uns ja zu diesem Zweck entführen lassen.«

»Eine Botschaft …? Und wie?« »Das weiß ich auch noch nicht«, gab ich

zu. »Aber dir wird sicher etwas einfallen, Fartuloon.«

Er knurrte etwas Unverständliches und sah hinauf in den Himmel, an dem die Ster­ne einer nach dem anderen verschwunden waren. Es regnete zum Glück nicht sehr stark, und der befürchtete Sturm war auch ausgeblieben. Es war ziemlich kühl gewor­den.

»Könnten wir uns einen der Wächter schnappen, wäre das kein Problem. Aber wie sollte einer von ihnen auf den Gedanken kommen, bei diesem Wetter allein einen Spaziergang durch den Park zu unterneh­men? Es sei denn«, fügte er nachdenklich hinzu, »wir gäben ihm dazu eine Veranlas­sung.«

»Dann kämen sie alle, oder zumindest wüßten die anderen Bescheid und paßten auf.«

Fartuloon nickte. »Stimmt auch wieder.« Eine Weile schwiegen wir. Immer noch

rührte sich nichts vor dem Palast, aber die Reihe der Kontrollmasten sagte uns nur zu deutlich, daß wir keinen Schritt weiterka­men.

Und dann fiel mir die Lösung ein.

5.

Wenn wir nicht weiter nach vorn gelan­gen konnten, dann eben zurück. Das schla­fende Haus war die Lösung. Wenn sich je­mand darin aufhielt, konnten wir ihn überra­schen, ohne gleich die ganze Palastwache aufzuwecken. Ich erklärte Fartuloon meinen Plan.

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»Hm, das wäre eine Möglichkeit, wenn wir damit auch nicht viel erreichen werden. Schön, der Gouverneur weiß Bescheid, aber wie soll er uns seine Antwort zustellen? Wir müssen vorsichtig sein, damit er uns keine Falle stellt.«

»Vergiß die Moojas nicht!« Wir standen noch einige Minuten in unse­

rem Versteck und beobachteten die verkehrt liegende Halbkugel mit dem flachen Dach, nicht ohne ein gewisses Bedauern, wie ich zugeben muß. Eigentlich hatten wir den gan­zen Weg umsonst gemacht, wenn wir nun auch wußten, daß wir zumindest bis hierher gelangen konnten, ohne Alarm auszulösen.

Wir gingen den gleichen Weg wieder zu­rück, bis wir das dunkle Haus erreichten. Fartuloon manipulierte vorsichtig an der Eingangstür herum, bis diese sich leicht öff­nen ließ. Behutsam und geräuschlos schli­chen wir uns in den unbeleuchteten Vorraum und lauschten.

Stille, absolute Stille, so, als wäre das Haus unbewohnt, was gut der Fall sein konnte. Aber dann entdeckten wir im schwa­chen Schein unserer winzigen Lampe die nassen Schuhe neben der Tür. Daneben hing ein Überwurfmantel, ebenfalls triefnaß. Der Besitzer mußte nach Hause gekommen sein, als wir vor dem Palast Stellung bezogen hat­ten.

Vor zwanzig Minuten etwa. Und er sch­lief bereits.

Fartuloon suchte mit seiner Lampe die Wände ab, bis er den primitiven Lichtschal­ter fand. Ich erschrak, als es hell wurde. Ei­ne Treppe führte nach oben, wo sie in einem schmalen Gang endete, in den mehrere Tü­ren mündeten.

Er bedeutete mir, zu warten. Er selbst setzte sein ganzes Gewicht auf die erste Stu­fe und zog den Fuß hastig wieder zurück, als der morsche Beton knirschte.

»Uralter Kasten!« flüsterte er enttäuscht. »Der stand schon vor vielen Generationen unter Denkmalschutz. Daher auch die primi­tive Anlage, sicher gut genug für einen Wär­ter. Aber wenigstens müssen wir dann nicht

mit einer modernen Alarmanlage rechnen. Geh du hinauf und versuche, den Mann zu finden. Weck ihn auf und bring ihn her.«

»Und wenn er nicht allein hier wohnt?« »Bring sie alle her!« Fartuloon hatte eine ermutigende Art, der­

artige Dinge anzugehen. Sein Optimismus und seine unerschütterliche Zuversicht wirk­ten ansteckend, selbst auf den größten Skep­tiker. Ich war zumindest ein kleiner.

Bei mir knirschte der Beton nicht, was Fartuloon zu einem neidischen Grunzen ver­anlaßte. Ziemlich ohne Geräusch gelangte ich bis auf den oberen Flur und stand ratlos vor den Türen. Welches war die richtige?

Ich lauschte eine nach der anderen ab, bis ich hinter der vierten endlich das typische Schnarchen eines rechtschaffen müden Man­nes hören konnte. Weitere Geräusche ver­nahm ich nicht, also mußte ich annehmen, daß er allein war. Um jedoch sicher zu sein, daß außer ihm keiner mehr im Haus war, öffnete ich vorsichtig zuerst eine der ande­ren Türen, machte Licht und überzeugte mich davon, daß meine Vermutung stimmte. In keinem der anderen Räume hielt sich je­mand auf. Alle Betten waren leer, wenn auch kürzlich noch benutzt.

Mir wurde allmählich klar, daß es sich nicht um ein Privathaus handelte, sondern vielleicht um eine Art »Schläferhütte« der Moojawärter. Hier schliefen sie abwech­selnd, wenn sie Dienst im Sperrgebiet hat­ten. Das bedeutete aber auch, daß jederzeit einer von ihnen erscheinen konnte.

Ich ging in das Zimmer, in dem der Wär­ter schlief, schaltete das Licht ein und richte­te meinen Strahler, der auf schwächste Lei­stung eingestellt war, auf den dürren Arko­niden, der sich schlaftrunken aufrichtete und mich wie ein Gespenst anstarrte.

»Stehen Sie auf!« sagte ich und versuchte, meiner Stimme einen freundlichen und doch nachdrücklichen Tonfall zu verleihen. »Und machen Sie keine Dummheiten. Tun Sie nur das, was ich Ihnen sage. Gibt es von hier aus eine direkte Verbindung zum Palast des Gouverneurs?«

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Er kam langsam mit einem Bein aus dem Bett.

»Wer sind Sie, was wollen Sie?« stotterte er.

»Das erfahren Sie früh genug, und es wird Ihnen auch nichts geschehen, wenn Sie ge­horchen.«

Von unten her dröhnte Fartuloons unge­duldige Stimme:

»Bleibt oben, ich komme, wenn mich die Treppe aushält.«

Unser Wärter erschrak sichtlich, als er Fartuloons mächtiges Organ vernahm, aber er kam auch mit dem zweiten Bein aus sei­nem Bett. Er hatte völlig angezogen geschla­fen.

»Sie können so sitzenbleiben«, sagte ich, als Fartuloon ins Zimmer trat. »Wie ist das mit der Verbindung zum Palast?«

»Es besteht keine.« »Gut«, übernahm Fartuloon das Verhör,

»dann ist Zeit für ein paar Fragen: Sie gehö­ren zu den Wärtern der Moojas?«

»Ja.« »Wo sind die anderen?« »Sie patrouillieren um das Sperrgebiet.« »Wieviel seid ihr?« »Insgesamt fünf.« »Fein. Und wann erscheint Ihre Ablö­

sung?« »Nicht vor drei Stunden.« Er beantwortete mir zu bereitwillig und

schnell alle Fragen, aber das konnte auch seiner Furcht zugeschrieben werden. Jeden­falls ließ ich ihn nicht aus den Augen und achtete auf jede seiner Bewegungen.

Als Fartuloon nicht sofort weitersprach, fragte unser Gefangener:

»Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?« »Von Ihnen nichts, abgesehen davon, daß

Sie dem Gouverneur morgen eine Botschaft von uns übermitteln sollen. Aber erst mor­gen, nicht schon in dieser Stunde. Haben Sie Schreibmaterial im Haus?«

»Ja, unten im Wohnraum. Eine Botschaft …?«

»Eine schriftliche Botschaft, richtig. Kommen Sie mit uns nach unten, das ist si­

cherer. Wir werden bald fertig sein.« Ich nahm seinen Arm und führte ihn aus

dem Zimmer. Fartuloon folgte uns, und abermals mußte ich befürchten, die Treppe stürze in sich zusammen.

Im Wohnzimmer gab es einen Tisch, mehrere Stühle und eine Liege. Von einem Nachrichtengerät war nichts zu sehen. Alles war reichlich einfach und primitiv, wie eben Wachstuben aussehen.

Papier und Schreibstift waren vorhanden. Fartuloon überließ den Gefangenen mir und setzte sich an den Tisch, um die Botschaft an den Gouverneur zu verfassen.

Ich nutzte die Gelegenheit zu ein paar Fragen.

»Die Moojas im Sperrgebiet – was tun sie, wenn man es betritt?«

»Sie fallen über jeden her, auch über uns. Es wird ihnen durch die Befehlsimpulse le­diglich verboten, die Grenze zu überschrei­ten.«

»Also kann niemand die Zone betreten, falls die Sender nicht umgeschaltet werden.«

»Ganz richtig.« »Und Sie sind insgesamt nur fünf Wär­

ter?« »Mehr sind nicht notwendig.« Das sah ich ein. Aber da war noch etwas,

das mich interessierte: »Haben Sie vor einigen Stunden, kurz

nach Mitternacht, keine Veränderung im Verhalten der Moojas festgestellt?«

Er warf mir einen verblüfften Blick zu, dann nickte er.

»Doch, das haben wir. Kurz vor meiner Ablösung bemerkte ich, daß die Echsen sich recht seltsam benahmen. Sie standen oder lagen herum, ohne die sonst übliche Aktivi­tät. Wir haben sofort eine Überprüfung der Impuls-Sendezentrale vorgenommen, aber nichts feststellen können. Wenig später be­nahmen sich die Moojas wieder normal.« Er sah mich noch immer an. »Haben Sie etwas damit zu tun?«

»Allerdings«, sagte ich, mehr nicht. Er würde es ohnehin erfahren, früh genug. »Eine letzte Frage: Wie wird der Palast des

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Gouverneurs bewacht? Ist die positronische Sperre der einzige Schutz?«

»Es sind ständige Wachtposten vorhan­den, wenngleich die Positroniksperre ge­nügt, jeden unangemeldeten Besucher sofort zu registrieren. Planen Sie etwa, in den Pa­last einzudringen? Sie haben mich gut be­handelt, darum gebe ich Ihnen den Rat: Ver­suchen Sie es lieber nicht!«

Ich lächelte vieldeutig und ließ offen, ob wir seinen sicherlich gutgemeinten Rat be­folgten oder nicht.

Fartuloon hatte sein Schreiben beendet und gab es mir, während er sich leise mit dem Gefangenen unterhielt.

Ich las den Brief an Ruuver. Fartuloon teilte ihm darin mit, daß seine

vier entflohenen Gefangenen wohlauf seien und noch immer den Wunsch verspürten, mit ihm in Verhandlungen zu treten, aller­dings als gleichberechtigte Partner. Er schlug vor, daß der Gouverneur zum Zei­chen seines Einverständnisses morgen einen rotgestrichenen Gleiter über der Siedlung der Händler und dem Stützpunkt kreisen las­sen sollte. Weiter warnte er davor, daß der Gouverneur in der Handelssiedlung Nach­forschungen vornehmen ließ, da ein solches Vorgehen katastrophale Folgen haben könn­te. Er betonte, daß wir die technischen Mit­tel besäßen, alle Moojas der Insel der Kon­trolle ihrer Wärter zu entziehen.

Fartuloon übergab den Brief unserem Ge­fangenen und sagte:

»Sie kommen mit uns, damit Sie dem Gouverneur berichten können. Wir werden Ihnen zeigen, welche Gewalt wir über die Moojas haben. Und sagen Sie Ihrem Herrn, daß wir natürlich auch in der Lage sind, alle Moojas von Kortasch-Auromt gegen ihn zu hetzen. So, machen wir uns auf den Weg, und stecken Sie den Brief gut weg, damit er nicht naß wird. Draußen regnet es noch im­mer.«

»Wohin bringen Sie mich?« »Nur bis zum Rand des zweiten Waldes,

dann dürfen Sie zurückkehren.« »Durch den Sperrgürtel?«

»Es ist ungefährlich, solange wir das wol­len. Sie werden sehen.«

Er zog seinen Mantel an und folgte uns widerspruchslos. Wir kamen schnell voran und erreichten bereits nach kurzer Zeit den Sperrgürtel. Abermals betätigte Fartuloon seinen Impulsgeber, und sofort verhielten sich die Moojas wieder absolut passiv und ließen uns auf ihr Gelände. Sie drehten kaum den Kopf nach uns, und unser Wärter war fassungslos. Ungefährdet erreichten wir den Waldrand und hielten an.

»Du kannst jetzt zurückgehen«, sagte Far­tuloon zu dem Gefangenen. »Und vergiß den Brief nicht, er ist wichtig. Wir warten, bis du den inneren Wald erreicht hast und lassen dir dafür fünf Minuten Zeit. Dann al­lerdings mußt du in Sicherheit sein, denn die Moojas werden wieder so sein, wie sie vor­her waren. Also – lebe wohl!«

Ohne noch ein Wort zu verlieren, begann der Wärter zu laufen, wobei ihm seine Dürr­heit sehr zustatten kam. In weniger als einer Minute hatte er die Hälfte der Strecke zu­rückgelegt.

»Weiter!« mahnte Fartuloon. »Wir haben jetzt nicht mehr viel Zeit zu verlieren. Unser Mann wird die anderen Wärter alarmieren.«

Als wir an den Stein gelangten, unter dem der Sender verborgen war, sah Fartuloon auf die Uhr, und als die fünf Minuten vorbei wa­ren, nahm er eine neue Einstellung an sei­nem Gerät vor. Als er sich wieder aufrichte­te, war sein Gesicht ernst.

»Die Reichweite beträgt nun fünfzig Kilo­meter im Umkreis und erfaßt somit die ge­samte Fläche der Insel. Jeder andere Impuls­sender wird überlagert, und jedes Mooja wird bei einer Aktivierung unseres Senders absolut frei und nach Charakter handeln. Ei­nige werden friedlich grasen, aber nicht mehr arbeiten. André werden zu reißenden Fleischfressern, so wie jene in der Sperrzo­ne. Wieder andere werden aus den Reserva­ten ausbrechen und sich wie ein Strom über die Ansiedlungen ergießen und alles nieder­trampeln, was sich ihnen in den Weg stellt. Und für das alles genügt ein winziger Hebel­

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druck – hier auf dem Impulsgeber in meiner Tasche. Er ist so klein, daß ich ihn im Stiefel verstecken kann. Und den Sender selbst wird man niemals hier unter diesem Stein vermuten.«

Wir fanden den Wagen und das Mooja wohlbehalten vor. Das Tier hatte sich kaum von der Stelle gerührt, nur ein wenig am Waldrand geweidet. Es begrüßte uns mit ei­nem freudigen Schnauben.

Im Osten begann es schon zu dämmern, als wir die Hauptstraße erreichten und nun direkt nach Norden fuhren.

Die Rückfahrt verlief ohne Zwischenfall.

*

Wir schliefen bis zum Mittag, dann weck­ten uns Eiskralle und Morvoner, die ihre Un­geduld nicht mehr länger zügeln konnten. Aber auch Coraschol war neugierig. Vor al­len Dingen wunderte er sich darüber, daß wir heil zurückgekehrt waren. Harakas war mit einem Transport zum Raumhafen unter­wegs und hatte keine Fragen gestellt.

Ich übernahm die Berichterstattung, weil Fartuloon noch zu müde war. Als ich geen­det hatte, sagte Coraschol langsam:

»Ich war heute in der Siedlung bei einem Bekannten und bin sicher, eine verstärkte Tätigkeit der Polizei bemerkt zu haben. Es sind mehr Streifen als sonst unterwegs, die alle Passanten kontrollieren. Es war nicht klug von euch, den roten Gleiter über der Siedlung kreisen zu lassen, denn nun weiß der Gouverneur, wo ihr euch aufhaltet.«

»Unsinn!« knurrte Fartuloon mißmutig. »Das weiß er eben nicht! Hier kann nur ein einzelner Mann sitzen und über Funk be­kanntgeben, daß der Rote Gleiter über der Siedlung kreist. Wir selbst könnten uns mit­ten auf dem Plateau in einem Wald aufhal­ten, wo man uns tagelang vergeblich suchen würde. Ich bin nur gespannt, ob der Gleiter überhaupt auftauchten wird. Glaubst du üb­rigens, Coraschol, daß die Polizei auch die Häuser durchsuchen wird?«

»Das wäre möglich, aber da Harakas nicht

anwesend ist, werden sie es hier nicht wa­gen. Es gibt gewisse Rechte, die auch von der Polizei respektiert werden müssen.«

Morvoner hatte noch immer seinen alten Paß, der ihn als hohen Offizier der arkonidi­schen Raumflotte auswies. Er zog ihn aus der Tasche und hieb ihn auf den Tisch.

»Wenn ihr nichts dagegen habt, werde ich einen Spaziergang unternehmen. Ich bin Kommandant der Flotte auf Urlaub. Den Po­lizisten möchte ich erleben, der mir das nicht abnimmt. Ich habe soviel Stempel in mei­nem Paß, daß ihm die Augen tränen wer­den.«

»Sei vorsichtig!« warnte Fartuloon. »Und bleibe ruhig und besonnen. Schlage nicht den nächsten Polizisten nieder, nur weil er dich nach der Zeit fragt.«

»Seid unbesorgt, Freunde, ich bin die Be­sonnenheit in Person. Außerdem hat das Es­sen gut gemundet und ich bin satt. Dann bin ich immer friedlich gestimmt. Gegen Nach­mittag komme ich zurück und erstatte Be­richt.« Er stand auf und salutierte übertrie­ben. »Kommandant Morvoner Sprangk mel­det sich ab zum Sondereinsatz!«

Wir sahen ihm mit gemischten Gefühlen nach, denn wir hatten unsere Erfahrungen mit ihm und seiner impulsiven Handlungs­weise. Trotzdem konnten wir ihm vertrauen. Meistens löffelte er die Suppen selbst aus, die er sich durch seinen gutgemeinten Über­eifer einbrockte.

Ich legte mich wieder hin, während Fartu­loon den Absatz seines Stiefels so präparier­te, daß er den Impulsgeber darin unterbrin­gen konnte. Wenn er eine bestimmte Fuß­stellung einnahm, wurde das Gerät aktiviert – oder ausgeschaltet. Coraschol unternahm ebenfalls einen Spaziergang, um ein wenig auf Morvoner aufzupassen. Eiskralle schlief.

So vergingen zwei geruhsame und doch spannungsgeladene Stunden.

Coraschol kehrte als erster zurück, und als wir sein Gesicht sahen, wußten wir, daß un­sere Sorgen nicht umsonst gewesen waren.

»Euer Freund sitzt in der Klemme!« sagte er und setzte sich. »Ich habe es nicht mehr

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verhindern können, obwohl ich in der Nähe war und das Geschehen beobachten konnte. Über der Stadt fliegt in geringer Höhe ein rotgestrichener Gleiter und zieht seine Krei­se. Niemand weiß, wem er gehört und was das bedeutet. Die Polizei reagiert nicht auf Anfragen der zivilen Händler. Sie weiß an­geblich ebenfalls nicht Bescheid.«

»Was ist mit Morvoner?« unterbrach ihn Fartuloon ungeduldig.

»Eine Polizeistreife hielt ihn an und ver­langte seinen Paß zu sehen. Spätestens in diesem Augenblick muß ihm eingefallen sein, daß vielleicht eine Beschreibung seiner Person existiert, jedenfalls weigerte er sich, den Paß herauszurücken. Das natürlich er­regte den Verdacht der drei Männer. Sie hielten Morvoner fest und nahmen ihm den Paß ab. Ich konnte herausfinden, daß er auf eine Wachstube unten in der Siedlung ge­bracht und dort eingesperrt wurde.«

»Das ist ja ausgezeichnet!« rief Fartuloon sarkastisch aus. »Als ob wir noch nicht ge­nug Ärger hätten! Was machen wir nun? Wir können ihn doch nicht mit Gewalt dort herausholen?«

»Ihm wird nichts geschehen«, vermutete ich. »Vielleicht finden sie wirklich heraus, daß er einer der vier entflohenen Gefange­nen ist, dann wird der Gouverneur ihn spre­chen wollen. Zur gleichen Zeit werden wir wahrscheinlich auch dort sein. Immerhin er­schien der rote Gleiter, damit haben wir eine weitere Runde gewonnen. Wann brechen wir auf?«

Eiskralle meinte: »Ich werde zu der Wachstube gehen und

die Polizisten zu ihrem Erfolg beglückwün­schen. Ein kräftiger Händedruck wird sie sehr glücklich machen …«

»Gar nichts wirst du tun!« donnerte Fartu­loon. »Der Fall löst sich von ganz allein. Wir lassen Morvoner im Gefängnis sitzen und machen uns auf den Weg zum Gouver­neur. Ein Druck mit meinem Hacken im Stiefelabsatz, und schon haben wir auf ganz Kortasch-Auromt das größte Durcheinander. Coraschol, kannst du uns einen Gleiter be­

sorgen?« Der Wärter machte ein bedenkliches Ge­

sicht. »Eigentlich kann das nur Harakas, aber

ich will es versuchen. Ich tue es eben in sei­nem Auftrag. Aber gestattet, daß ich euch nicht begleite, ich möchte nicht noch mehr auffallen.«

»Wir brauchen dich nicht. Bleibe lieber hier und beobachte, was mit Morvoner Sprangk geschieht.«

Er ging und nahm den Lift hinauf zum Plateau.

»Ich habe es ja gewußt!« knurrte Fartu­loon. Er war wütend darüber, daß er Morvo­ner hatte gehen lassen. »Aber vielleicht hätte es jedem von uns passieren können. Nun sitzt er fest, dabei wollte ich ihn als Stroh­mann für den Sender benutzen, damit Ruu­ver nicht auf die Idee kommt, so ein Gerät könnte an unseren Körpern verborgen sein. Wie gut, daß ich den Trick mit dem Absatz kannte.«

»Es gibt kaum einen älteren«, meinte Eis-kralle ironisch.

In diesen zwei Stunden sagten wir uns noch mehr solche Freundlichkeiten, aber dann kam Coraschol endlich zurück. Er schüttelte den Kopf.

»Erst morgen ist ein Gleiter frei. Außer­dem kommt Harakas noch vor Einbruch der Dämmerung zurück. Vielleicht kann er euch helfen. Der rote Gleiter ist übrigens nach Sü­den abgeflogen.«

»Morgen erst? Und was ist mit Morvo­ner? Er darf nicht vor uns beim Gouverneur sein, sonst besteht die Möglichkeit, daß er uns durch eine unbesonnene Bemerkung in Gefahr bringt.«

»Ich habe meinen Vorschlag gemacht«, rief Eiskralle, »und hiermit wiederhole ich ihn: Wir holen Morvoner noch heute her­aus!«

Fartuloon sah mich fragend an. Ich nickte. »Ich stimme Eiskralle zu, denn es hat kei­

nen Zweck, Morvoner sich selbst zu überlas­sen. Wir müssen die Polizei überwältigen, ehe sie Gelegenheit erhält, mit einer anderen

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40 Clark Darlton

Station Verbindung aufzunehmen.« »Also gut«, sagte Fartuloon. »Ich bin ein­

verstanden. Heute nacht?« »Wenn man Morvoner nicht noch heute

abtransportiert.« »Das ist kaum anzunehmen«, beruhigte

Coraschol. »Jeder Gefangene der Polizei hat eine Nacht Gelegenheit, ein Geständnis ab­zulegen, ehe er vor das Gericht des Gouver­neurs gebracht wird.«

Nun lag eine zusätzliche Aufgabe vor uns, und ihre Lösung konnte sehr gut den Tod ei­niger Arkoniden verursachen, denn Eiskralle fackelte nicht lange, wenn er einem Gegner die Hand gab.

6.

Harakas war nicht sehr erfreut, als er er­fuhr, was geschehen war. Natürlich war er sofort bereit, für morgen einen kleinen Glei­ter zu besorgen, der uns ins Innere der Insel bringen sollte. Die geplante Befreiungsakti­on jedoch behagte ihm nicht.

»Das wird Aufsehen erregen, und viel­leicht wissen bereits einige Leute, daß Ihr Freund mein Gast ist und bei mir wohnt. Wenn die Polizei das erfährt, müssen wir mit einer Untersuchung rechnen.«

»Also verlieren wir auch nichts, wenn wir Morvoner aus dem Gefängnis holen«, warf Eiskralle entschlossen ein. »Und wenn die Polizei wirklich noch nicht herausgefunden hat, bei wem Morvoner Unterschlupf fand, können wir noch alles retten. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Harakas, nie­mand wird etwas von Ihrer Rolle erfahren. Im Notfall sagen wir sogar, daß Sie von uns erpreßt wurden – was ja in gewisser Hin­sicht auch stimmt.«

Fartuloon schien die ganze Zeit über et­was nachgedacht zu haben, nun meinte er:

»Ihr werdet allein gehen, Atlan und Eis-kralle. Ich bleibe hier zurück, und zwar aus ganz bestimmten Gründen. Erstens werdet ihr wohl allein mit einer kleinen Polizeistati­on fertig, und zweitens möchte ich unsere wunderbare Geheimwaffe nicht in Gefahr

bringen. Solltet ihr es nicht schaffen und bis Mitternacht nicht zurückgekehrt sein, werde ich für eine halbe Stunde die Moojas loslas­sen und direkten Funkkontakt mit dem Gou­verneur über die Handelsmission aufneh­men. Hat jemand Einwände dagegen?«

Eiskralle und ich schüttelten den Kopf. Fartuloons Vorschlag war logisch und ver­nünftig. Außerdem spielte es auch keine Rolle, ob wir Morvoner mit zwei oder mit drei Mann befreiten. Wichtig war, daß der Sender einsatzbereit blieb und nicht beschä­digt wurde, was bei einem Kampf durchaus möglich war.

Wir warteten bis zehn Uhr Ortszeit, dann verließen wir Harakas' Haus und hielten uns an Coraschols Beschreibung. Da wir die Siedlung einigermaßen kannten, fiel es uns auch nicht schwer, die kleine Polizeistation in einer der Nebennischen zu finden.

Wir verbargen uns hinter einem Felsvor­sprung und beobachteten das einzeln stehen­de Haus mit dem kleinen Vorplatz, auf dem ein Polizeigleiter stand. Hinter einigen ver­gitterten Fenstern brannte noch Licht. Wir hörten jemand sprechen, eindringlich und warnend. Leider war kein Wort zu verste­hen.

»Wir müssen näher heran«, flüsterte Eis-kralle mir zu.

Wortlos huschten wir weiter vor, jede Deckung ausnutzend und darauf bedacht, nicht in den Lichtschein zu geraten. Wir mußten mit einem Wachtposten rechnen, der in der näheren Umgebung patrouillierte.

Nur ich war bewaffnet und hatte meinen Strahler auf Narkosewirkung eingestellt. Eiskralle hatte auf derartige »Mätzchen«, wie er sich ausdrückte, verzichtet.

Abermals hatten wir Glück. Im Schatten des flachgebauten Hauses,

das sich an die Felsen schmiegte, gelangten wir bis unter eins der beleuchteten Fenster. In dem Raum dahinter mußten sich mehrere Männer befinden, aber nur einer von ihnen redete.

Seitlich und unter uns lag die Siedlung, helle Flecken an der steilen, finsteren Pla­

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teauwand. Der Himmel war bedeckt, und es regnete noch immer. Zum Glück ging kein Wind.

Nun verstanden wir, was in dem Raum gesprochen wurde.

»Zum letztenmal fordere ich Sie auf, die volle Wahrheit zu sagen: Wo stecken die an­deren und wer hält sie versteckt? Wir haben unsere Mittel, Sie zur Wahrheit zu zwingen! Reden Sie endlich!«

»Ihr verdammten Etappenhengste!« hör­ten wir Morvoners brüllendes Soldatenorgan an unsere Ohren dringen. »Ich bringe euch vors Kriegsgericht, und dann sollt ihr mal sehen, was passiert! An die Front werden sie euch schicken, zu einer Strafeinheit, damit ihr endlich kapiert, welche Dummheit ihr damit begeht, einen Offizier der Raumflotte des Imperators in dieser stinkenden Zelle festzuhalten. Ich werde …«

Der Rest ging in dem Geräusch von Peit­schenhieben unter.

Eiskralle wollte davonstürzen, wahr­scheinlich um den Eingang zu suchen. Ich hielt ihn fest und hauchte ihm ins Ohr:

»Langsam, Eiskralle, nur nichts überstür­zen. Von ein paar Hieben wird Morvoner nicht gleich sterben. Wir holen ihn heraus.«

Morvoner schrie vor Wut und Schmerzen und hatte nur noch wenig von einem ehren­vollen Offizier der Raumflotte an sich, aber dann wurde es plötzlich still.

»Nun?« fragte einer der Männer in dem Raum. »Hast du genug?«

»Saubande!« kollerte Morvoner unbeein­druckt! »Bindet mir die Hände los, ihr Feig­linge, dann könnt ihr was erleben …«

»Weitermachen!« befahl die Stimme, und eine Sekunde später hörten wir wieder die Peitschenhiebe.

Ich hatte mich inzwischen ein wenig auf­gerichtet und versuchte, einen Blick in den Raum zu werfen, der zu ebener Erde lag. Ich sah den gefesselten Morvoner mit entblö­ßtem Rücken an der Wand stehen. Er konnte nur den Kopf bewegen. Davor stand ein Ar­konide in der Uniform der hiesigen Polizei und schwang die Peitsche. Zwei andere Poli­

zisten saßen auf Stühlen, beide schwerbe­waffnet und anscheinend fest entschlossen, die Wahrheit aus ihrem Gefangenen heraus­zuprügeln, ehe sie ihn den Wachen des Gou­verneurs übergaben.

Ich duckte mich wieder. »Wir müssen uns beeilen. Selbst Morvo­

ner hält das nicht lange aus. Früher oder spä­ter bricht sein Widerstandswille zusam­men.«

»Wir könnten sie von hier aus erledigen, Atlan. Durchs Fenster.«

»Dann ist auch Morvoner betäubt, und das für ein paar Stunden. Wie sollen wir ihn wegschaffen, ehe Ablösung eintrifft oder die anderen Stationen Verdacht schöpfen? Es muß alles blitzschnell gehen.«

Wir schlichen um das Haus herum, bis wir zum Eingang kamen. Es war taghell hier. Wir konnten uns unmöglich unbemerkt weiterbewegen, falls irgendwo ein Posten stationiert war. Also richteten wir uns auf und betraten das Haus, als sei nichts weiter dabei.

Im Flur hörten wir wieder Morvoners wü­tendes und schmerzerfülltes Gebrüll. Die Türen zu einigen Räumen standen offen, aber es war niemand zu sehen.

Die letzte Tür mußte es sein. Sie war nur angelehnt.

Auch ohne besondere Absprache war es Eiskralle und mir klar, daß wir nur durch einen Überraschungseffekt an unser Ziel ge­langen konnten, wollten wir nicht die ge­samte Polizei der Siedlung auf unsere Spur locken. Morvoner durfte nicht narkotisiert werden, aber die drei Polizisten mußten für längere Zeit außer Gefecht gesetzt werden, damit sie vorerst nichts aussagen konnten.

Die Peitschenhiebe hörten auf. Das Ver­hör wurde fortgesetzt:

»Nun, endlich vernünftig? Du kannst schlafen, wenn du redest. Keine Hiebe mehr, vielleicht etwas zu essen und trinken. Wo sind deine Freunde und welcher Verräter hat sie versteckt? Los!«

Morvoner gab keine Antwort. Wenn er nicht mehr schimpfte, war er in schlechter

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Verfassung. Es wurde höchste Zeit, daß wir eingriffen.

Ich nickte Eiskralle zu. Vorsichtig drückte ich die Tür so weit auf,

daß wir durch den Spalt sehen konnten. Morvoner hing in seinen Fesseln, sein Kopf baumelte kraftlos herab, und sein Rücken war blutig. Der Mann mit der Peitsche machte sich bereit, abermals zuzuschlagen. Die beiden anderen Polizisten lehnten sich bequem in ihre Stühle zurück.

In mir stieg eine unbändige Wut auf. Mor­voner war ein verdienter Soldat, der noch unter meinem Vater in der Flotte gedient hatte. Nun wurde er wie ein Verbrecher be­handelt.

Ich richtete die Waffe auf die Polizisten und trat in den Raum.

»Aufhören und nicht rühren!« warnte ich mit ruhiger Stimme.

Eiskralle war neben mir. Ich bemerkte, daß sich seine gefährlichen Hände zu Fäu­sten ballten und wieder entspannten. Diese Vorbereitung kannte ich.

Morvoner drehte den Kopf, daß er uns se­hen konnte. Trotz seiner Schmerzen grinste er flüchtig, dann krächzte er:

»Schneidet mich los, aber schnell, ehe ich es mir anders überlege und die Kerle am Le­ben lasse …«

Der Mann mit der Peitsche blieb un­schlüssig stehen. Sein Folterwerkzeug zum Schlag erhoben. Er war unbewaffnet.

Die beiden anderen hatten immerhin zwei oder drei Sekunden gebraucht, um ihre Überraschung zu überwinden. Der eine sprang auf und riß dabei seinen Strahler aus dem Gürtel. Ich betäubte ihn mit einem gut­gezielten Schuß und wollte den zweiten an­visieren, aber Eiskralle war mir zuvorge­kommen. Mit einem Riesensatz war er bei dem Mann, der eben seine Waffe hob, schlug sie ihm aus der Hand und ergriff die­se dann mit seinen beiden eigenen.

Was nun geschah, konnte ich nicht mehr verhindern. Der Polizist stand einen Augen­blick wie erstarrt, dann wurde er transparent wie eine Figur aus Kristall und anschließend

zersplitterte er. Seine Überreste würden bald schmelzen.

Der Mann mit der Peitsche stand wie vom Schlag gerührt. Seine Hände sanken herab und ließen das Marterinstrument fallen. Ich ging an ihm vorbei und schnitt Morvoner vorsichtig los. Schwankend blieb er stehen und drehte sich langsam um. Er sah, was ge­schehen war. Sein Blick blieb auf dem von mir niedergestreckten Polizisten haften.

»Tot?« »Nur betäubt. Er bekommt noch eine La­

dung, dann wacht er vor morgen mittag nicht auf.«

Morvoner nickte stumm, und ehe es je­mand von uns verhindern konnte, holte er zu einem fürchterlichen Faustschlag aus, der den Mann, der mit der Peitsche gearbeitet hatte, mitten vor die Brust traf. Ohne einen Laut von sich zu geben, fiel er um und blieb reglos liegen.

»Das war überflüssig, Morvoner«, sagte ich. »Er war wehrlos.«

Morvoner nickte grimmig und deutete auf seinen Rücken.

»Das war ich auch, Atlan! Gehen wir?« Ich bückte mich, um den Niedergeschla­

genen zu untersuchen. Er lebte, war aber be­wußtlos. Wahrscheinlich hatte er ein paar gebrochene Rippenplatten, aber wenn er wieder zu sich kam, würde er berichten kön­ne, wie einer seiner Kollegen sich in Eis ver­wandelt hatte.

Wir verließen das Haus und erreichten un­behelligt unser Versteck, wo wir von Fartu­loon ungeduldig erwartet wurden. Er atmete auf, als er Morvoner sah, erschrak jedoch beim Anblick des geschundenen Rückens.

»Halb so schlimm«, knurrte Morvoner und machte eine abfällige Handbewegung. »Bis morgen früh ist das verheilt. Harakas hat da einige nette Mittelchen. Übrigens vie­len Dank, daß ihr mich herausgeholt habt. Vielleicht hätte ich doch noch geredet.«

»Das hättest du mit Sicherheit«, bestätigte ich ihm. »Ich hätte nie gedacht, daß man hier mit derartig primitiven Foltermethoden arbeitet. Aber sie scheinen immer noch

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wirksam zu sein. Wie konnte das alles über­haupt geschehen, Morvoner? Warum hast du dich schnappen lassen?«

Coraschol war dabei, Morvoners Rücken mit Salbe einzuschmieren.

»Die Kerle waren sehr unhöflich, als sie meinen Paß verlangten. Der eine von ihnen machte eine dumme Bemerkung über ausge­diente Veteranen, die herumfaulenzen und zu nichts mehr zu gebrauchen seien. Da ver­lor ich die Geduld und trat ihn vors Schien­bein. Das ist eigentlich alles. Sie müssen dann später darauf gekommen sein, daß sie einen der vier geflohenen Gefangenen erwi­scht haben und wollten die restlichen drei auch noch haben.«

»Hätte auch schiefgehen können«, knurrte Fartuloon. »Du kannst morgen hierbleiben, wenn wir den Gouverneur aufsuchen, so wie wir abgesprochen haben. In zwei Tagen bist du wieder fit.«

»Ich bin schon morgen …« »Es bleibt dabei!« schloß Fartuloon jede

weitere Diskussion aus. »Und nun wird ge­schlafen, denn morgen benötigen wir alle unsere Kräfte. Den Rest sprechen wir durch, ehe wir aufbrechen.«

Zehn Minuten später war ich trotz des aufregenden Zwischenfalls fest eingeschla­fen.

In dieser Nacht träumte ich von Eiskristal­len.

*

Beim Frühstück sagte Harakas: »Ich habe mich schon in der Siedlung um­

gehört. Die Flucht des Gefangenen wurde bereits entdeckt. Man fand einen schwerver­letzten und einen noch halbbetäubten Polizi­sten vor, der dritte ist verschwunden. Der Verwundete behauptet, sein Vorgesetzter habe sich urplötzlich vor seinen Augen in Eis oder Kristall verwandelt und sei gebor­sten. Er wurde unter dem dringenden Ver­dacht des Mordes verhaftet.«

»Hat er auch verdient!« meinte Morvoner. »Aber da es keinen Mord gibt, wenn keine

Leiche vorhanden ist, wird man ihn früher oder später wieder laufenlassen müssen.«

»Die beiden wissen nicht, wohin der Ge­fangene und seine Befreier geflohen sind. Ich habe ausstreuen lassen, daß sie oben auf dem Plateau gesichtet wurden, man wird al­so dort mit der Suche beginnen.«

»Und der Gouverneur wird vorerst den Mund halten«, vermutete Fartuloon. »Er ist viel zu sehr daran interessiert, mit uns zu re­den.«

»Der Gleiter steht bereit. Ohne Piloten, wie ihr gewünscht habt. Ich kann euch nur Glück wünschen, denn es ist auch das mei­ne.«

Wir verabschiedeten uns anschließend von ihm und Morvoner, der sich brummend in sein Schicksal fügte und versprach, sich absolut passiv zu verhalten.

Coraschol begleitete uns hinauf zum Pla­teau.

Ich sah zum Himmel empor und bemerkte sofort den roten Gleiter, der wieder über der Handelsmission kreiste. Der Gouverneur wurde also bereits ungeduldig. Er hatte aber­mals das vereinbarte Zeichen geschickt, um zu dokumentieren, daß er zu Verhandlungen bereit war.

Eiskralle meinte: »Er stellt es sich zu einfach vor, uns in die

Falle zu locken.« »Und ob!« gab Fartuloon ihm recht.

»Aber er wird eine ziemliche Überraschung erleben, und wenn er nicht seine gesamte Mooja-Armee verlieren will, muß er auf un­sere Bedingungen eingehen.«

»Hoffen wir es«, blieb ich skeptisch. Vor einem kleinen Privatgleiter hielten

wir an. »Könnt ihr mit so einem Ding umgehen?«

erkundigte sich Coraschol. »Sonst zeige ich euch die Kontrollen.«

»Er ist arkonidischer Bauart«, beruhigte ihn Fartuloon. »Damit sind wir schon als Kinder geflogen. Vielen Dank, Coraschol, es ist besser, du gehst jetzt. Und bleibe mög­lichst in der Nähe von Morvoner. Vergiß das Funkgerät nicht. Wir werden Kontakt auf­

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nehmen, sobald wir beim Gouverneur sind. Schließlich soll Morvoner eine wichtige Schlüsselfigur werden.«

Coraschol grinste voller Verständnis und ging davon. Am Rand des Platzes blieb er stehen und sah zu, wie wir in die Kabine des Gleiters kletterten.

Dumpf schloß sich die Luke. Fartuloon zwängte sich hinter die Kon­

trollen. Eiskralle und ich nahmen ebenfalls Platz. Auf dem mattschimmernden Bild­schirm war der rote Gleiter zu erkennen, der einsam seine Kreise zog.

Der Antrieb begann zu summen, und dann erhoben wir uns langsam. In geringer Höhe flogen wir nach Süden. Die ersten Mooja­herden kamen in Sicht.

»Paßt mal auf!« sagte Fartuloon plötzlich und zeigte nach unten, wo die Echsen fried­lich in ihren künstlichen Gehegen grasten oder sich träge von einem Platz zum anderen bewegten. »Kurze Generalprobe!«

Unmerklich bewegte er den rechten Ab­satz.

Mit den Moojas ging sofort eine erstaunli­che Veränderung vor sich. Ein gutes Dut­zend von ihnen durchbrach die lahmgelegte positronische Impulssperre in einem ersten Ansturm und raste in die Landschaft hinaus. Wir wußten nicht, ob zur Sicherheit eine zweite Sendelinie vorhanden war oder Im­pulsgeber überall im Gelände verborgen an­gebracht waren, deren normale Reichweite fünfhundert Meter nicht überstieg. Damit bestand die Möglichkeit, daß die Tiere so lange außer Kontrolle blieben, bis sie zufäl­lig wieder in die entsprechende Nähe eines Senders gerieten – falls Fartuloons Überla­gerungssender inzwischen ausgeschaltet wurde.

»Du könntest keine Katastrophe verhin­dern«, sagte Eiskralle besorgt, »auch dann nicht, wenn du deine Spezialkonstruktion ausschaltest. Das haben wir übersehen.«

»Haben wir nicht, lieber Eiskralle. Über­all dort, wo sich Arkoniden, ob Wärter oder Händler, aufhalten, gibt es auch Impulssen­der. Selbst wenn die wildgewordenen Tiere

die ganze Insel durchqueren, früher oder später kommen sie mit Sicherheit wieder in den Bereich eines Senders. Kein Mensch wird sich auch in friedlichen Zeiten außer­halb eines solchen Sendebereichs begeben. In jedem Wagen ist ein solcher Sender vor­handen.«

Er schaltete sein Gerät wieder ab. Die Tiere innerhalb des Geheges benah­

men sich sofort wieder normal, aber die aus­gebrochenen Moojas rasten unbeirrt weiter. Sie bewegten sich in westlicher Richtung und würden früher oder später, wie Fartu­loon richtig bemerkte, in ein anderes Gehege hineinlaufen und so wieder unter Kontrolle geraten.

Vielleicht aber auch nicht. »Jedenfalls funktionierte das Ding!«

meinte Fartuloon voller Stolz. Ich schaltete das Funkgerät ein. Eine kur­

ze Probesendung bestätigte, daß Morvoner uns empfing. Sein Rücksignal war so kurz, daß ein Anpeilen unmöglich wurde. Dann versuchte ich, Kontakt mit dem Gouverneur zu erhalten, aber noch erfolgte keine Ant­wort. Also ging ich auf Dauerempfang und wählte dazu die im Schaltplan angegebene Normalfrequenz für Nachrichtenübermitt­lung.

Rechts kam der Raumhafen in Sicht. Die Vergrößerung auf dem Bildschirm zeigte uns eine ungewöhnliche Aktivität zwischen den Schiffen und besonders im angrenzen­den Sicherheitsgebiet. Es hatte ganz den Eindruck, als erwarte der Gouverneur unsere Ankunft auf dem Raumhafen und befürchte­te, wir könnten ein Schiff kapern, um damit zu einem seiner Konkurrenten zu entfliehen.

Fartuloon änderte ein wenig die Flugrich­tung, und bald erkannten wir den bewalde­ten Ringwall der Mulde, und in einem Zen­trum, den Palast des Gouverneurs.

Damit näherten wir uns unaufhaltsam der Entscheidung.

»Hoffentlich kommt er nicht auf den Ge­danken, uns einfach abschießen zu lassen«, befürchtete Eiskralle. »Damit wäre das Pro­blem doch für ihn gelöst.«

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»Nur für kurze Zeit«, erwiderte Fartuloon und versuchte, seine Bedenken zu zerstreu­en. »Er weiß, daß wir uns abgesichert haben, ohne nähere Einzelheiten zu kennen. Ein Mann wie Ruuver ist viel zu neugierig, um uns ohne Verhör, töten zu lassen. Und wir werden seine Neugier mit Nachdruck befrie­digen. Er wird sein blaues Wunder erleben.«

Wir gingen nun noch tiefer und näherten uns dem ersten Ringwald.

Aus dem Funkempfänger kam ein erster Kontaktruf. Es dauerte einige Minuten, bis eine neue Frequenz vereinbart war, dann meldete sich eine harte und kompromißlos klingende Stimme:

»Hier Mavillan Ruuver! Sie sind in dem Gleiter, der jetzt die Sperrzone überfliegt?«

»Richtig, Gouverneur«, sagte ich. »Wo können wir landen?«

»Fliegen Sie weiter auf den Palast zu. Die Abwehr hat den Befehl erhalten, passiv zu bleiben. Sie haben Landeerlaubnis für die Plattform an der Nordseite. Ich erwarte Sie. Wieviel Personen?«

»Drei, Gouverneur.« »Nicht vier?« »Nein, drei. Wir erklären Ihnen den

Grund, sobald wir bei Ihnen sind.« »Gut, wir sehen uns bald.« Es knackte im Lautsprecher, dann war

Stille. Fartuloon seufzte. »Das wird eine harte Nuß. Der Stimme

nach zu urteilen, wird er uns Schwierigkei­ten bereiten und erst dann nachgeben, wenn er keinen Ausweg sieht. Er kann niemanden neben sich dulden, der ihm gleichwertig ist – und er hält sich für verflucht wertvoll. Na, warten wir es ab. Achtung, wir nähern uns dem Landeplatz …«

Vor der Halbkugel war die Plattform nicht zu übersehen. Einige Gleiter standen an ih­rem Rand, aber von dem Personal war nichts zu bemerken. Überhaupt wirkte die Umge­bung des Palastes wie ausgestorben. Ledig­lich am Eingang zum Palast selbst, einer ehemaligen Hauptluke des ausgedienten Raumschiffs, standen einige uniformierte

Männer, wahrscheinlich Angehörige der Leibwache oder Militär, vielleicht auch Poli­zei. Das war weiter nicht ungewöhnlich und konnte uns nicht beunruhigen. Wir hatten darauf verzichtet, Waffen mitzunehmen, aber in meinem linken Stiefel steckte das Vibratormesser.

Der Gleiter landete. »Na, dann wollen wir mal!« grunzte Far­

tuloon und kämpfte sich aus seinem Sitz em­por, um sich dann aus der engen Kabine zu quälen. »Die Dinger sind für Zwerge gebaut worden.«

Wir folgten ihm. Drei Uniformierte kamen uns entgegen.

Ihre Mienen verhießen nicht viel Gutes für uns, aber auch das konnte uns nicht stören. Alle Trümpfe waren in unserer Hand, bezie­hungsweise in Fartuloons Absatz.

Die Männer tasteten uns nach Waffen ab und traten dann zurück.

»Der Gouverneur erwartet Sie«, sagte dann einer von ihnen mit ausdrucksloser Stimme und schritt voran.

Die beiden anderen gingen hinter uns. Damit waren wir »Gäste« des Herrschers

über Kortasch-Auromt.

7.

Es war in der Tat so, als kämen wir in ein luxuriöses Haus. Überall lagen dicke Teppi­che, die zweifellos aus den Lagerbeständen von Schmugglern und Piraten stammten. Auch die metallenen Wände und Decken des Kugelraumers waren ähnlich verschönert worden, so daß sich die Illusion, einen Pa­last betreten zu haben, immer mehr verstärk­te.

Die drei Polizisten hatten uns vier Be­waffneten übergeben, die Zivil trugen. Mir wurde immer mulmiger zumute. Wenn der Gouverneur seine Beherrschung verlor, wa­ren wir geliefert.

Die Antigravlifte funktionierten noch ein­wandfrei, und manchmal hatte ich direkt das Gefühl, wir würden jeden Augenblick ins All starten.

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46 Clark Darlton

Vor einer Tür, deren Rahmen aus fun­kelnden Edelsteinen bestand, hielten wir an. Nun ließ man uns den Vortritt. Die Tür öff­nete sich.

Mit dem ersten Blick wurde mir klar, daß Mavillan Ruuver versuchte, Eindruck zu schinden. Immerhin war das ein Beweis da­für, daß er nicht gewillt war, uns zu unter­schätzen. Er saß hinter einem mit Nachrich­tengeräten aller Art überladenen breiten Tisch in einem mit bunten Stoffen überzoge­nen Sessel. Hinter ihm an der Wand schim­merten eingeschaltete Bildschirme in drei Reihen. Einige von ihnen zeigten das Gebiet der Sperrzone, andere wiederum Ausschnitte der Händlersiedlung.

Er selbst wirkte fast unscheinbar und ei­ner näheren Beschreibung nicht würdig, nur in seinen Augen funkelte ein Feuer, das Ehr­geiz verriet. Sein Mund wirkte brutal und selbstbewußt.

Er sah uns voller Erwartung entgegen und schien mit Genugtuung festzustellen, daß Fartuloon noch dicker war als er selbst. Da Eiskralle und ich relativ schlank waren, wür­de er uns sicherlich gleich weniger mögen als unseren Bauchaufschneider.

Die Tür schloß sich hinter uns. Ruuver deutete auf drei Stühle, die in ei­

ner Reihe vor dem Tisch standen. »Nehmen Sie Platz. Ich will mit Ihnen

sprechen, bevor ich Sie meinem Hinrich­tungskommando übergebe. Wenn ich keine Schwierigkeiten mit Ihnen habe, geht es oh­ne Folter ab. Sie werden kurz und schmerz­los sterben.«

Fartuloon streckte die Beine weit von sich, als fühle er sich besonders wohl.

»Sie wollen also alle Ihre geheimen Pläne selbst zunichte machen?« erkundigte er sich sichtlich erstaunt. »Das verwundert mich ehrlich. Ich hätte Sie für klüger gehalten, schon allein nach dem, was uns Prillgram Galbass von Ihnen berichtete.«

Ruuver beugte sich vor. In seinen Augen blitzte es auf.

»Galbass? Was hat er Ihnen von mir er­zählt?«

Fartuloon lächelte verächtlich. »Bestimmt nichts Gutes, Ruuver. Er kennt

Sie durch und durch.« »Einzelheiten, wenn ich bitten darf!« Eiskralle und ich hatten uns ebenfalls ge­

setzt. In stillem Einverständnis beschlossen wir, die Wortführung erst einmal Fartuloon zu überlassen.

»Warum interessiert es Sie, was Galbass über Sie denkt? Wenn er Sie für einen unfai­ren Kollegen im Amt hält, hat er doch recht gehabt, wie Sie zugeben müssen. Er schickte uns mit einem Auftrag nach Sebentool, und Sie nahmen uns gefangen.«

»Was war das für ein Auftrag?« »Das möchten Sie gern wissen, nicht

wahr? Aber ich kann es Ihnen ruhig verra­ten: Wir sollten feststellen, was an den Ge­rüchten wahr ist, die auf allen Kontinenten hartnäckig kursieren. Wir sollten herausfin­den, ob der Imperiumsbeauftragte Ferto­mash Agmon noch lebt, oder ob er inzwi­schen verstarb.«

Ruuver sah Fartuloon forschend an, dann schien er ihm Glauben zu schenken. Er nick­te.

»Das also war es! Fast habe ich es mir ge­dacht. Galbass will es also auch wissen! Wa­rum wohl?«

Fartuloon sagte gelassen: »Aus den gleichen Gründen wie Sie, neh­

me ich an.« Ruuver sprang halb auf, setzte sich aber

dann wieder. In seinen Augen funkelte die Wut des Überraschten.

»Was wissen Sie von meinen Gründen?« fauchte er.

»Sie wollen natürlich nicht nur wissen, ob Agmon noch lebt, Ruuver«, erklärte Fartu­loon mit einer Ruhe, die mich verblüffte. »Sie haben noch andere Absichten. Wenn Agmon wirklich noch am Leben ist, dann suchen Sie jemanden, der dafür sorgt, daß er nicht mehr allzulange lebt. Sie wollen sein Nachfolger werden. Das aber will Galbass auch.«

Nun sah es wirklich so aus, als wollte Ru­uver explodieren. Sein Gesicht wurde feuer­

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rot vor Wut, und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Ich erwartete, daß er die Wachen alarmierte, um uns auf der Stelle exekutieren zu lassen. Aber Fartuloon behielt recht: Der Gouverneur war viel zu neugierig, um so wichtige Informationsträger wie uns einfach umbringen zu lassen. Er wollte alles wissen.

»Sie haben Mut«, erkannte er schließlich an. »Im Angesicht des Todes fordern Sie mich zu noch höherer Bestrafung heraus. Was eigentlich bezwecken Sie damit?«

»Eigentlich nichts, Ruuver. Ich demon­striere Ihnen nur, daß Sie vor uns keine Ge­heimnisse zu haben brauchen. Wir werden Ihnen alles verraten, was wir wissen, aber dafür verlangten wir von Ihnen ebenfalls ei­ne Information.«

»Sie verlangen eine Information?« In sei­ner Stimme war mehr als nur bloßes Erstau­nen. »Welche?«

»Wir möchten wissen, wann der Ökonom Freemusch eintrifft.«

Ruuver beugte sich vor. »Was wissen denn Sie davon? Sein Be­

such wird geheimgehalten, und außer den Gouverneuren weiß niemand davon.«

»Sie sehen, daß Sie abermals einem Irr­tum zum Opfer gefallen sind. Es wissen mehrere davon, nicht nur die Gouverneure. Also? Können Sie uns helfen?«

Nun begann Ruuver zu lachen, laut und voller Hohn.

»Was hilft es Ihnen, wenn ich es Ihnen sa­ge? Sie haben nur noch Stunden zu leben, und Sie können von Glück reden, wenn ich Sie für Ihre Frechheiten nicht noch zusätz­lich bestrafe. Sie waren meine Gefangenen und sind entflohen – allein das ist ein todes­würdiges Verbrechen. Daß Sie jetzt noch le­ben, verdanken Sie nur meiner Großzügig­keit.«

Fartuloon wollte antworten, als eines der Nachrichtengeräte zu summen begann. Ruu­ver war sichtlich ungehalten, aber er schalte­te es ein und erkundigte sich barsch, wer ihn zu stören wage. Eine verschüchterte Stimme berichtete, daß aus unbegreiflichen Gründen eine kleinere Herde von Moojas aus einem

Gehege ausgebrochen sei und das Land ver­wüste. Die Tiere hätten einen Streifenwagen der Polizei überrannt, ehe der Versuch un­ternommen werden konnte, sie mit den vor­handenen Impulssendern zu bändigen. In­zwischen habe man die Herde in einem an­deren Gehege eingefangen, aber der Vorfall sei bisher nicht geklärt worden.

Ruuver schaltete ab. Sein Gesicht war fin­ster. In sein Schweigen hinein sagte Fartu­loon:

»Nun stellen Sie sich einmal vor, Ruuver, nicht nur eine kleine Herde, sondern sämtli­che Moojas auf Kortasch-Auromt würden Ihren Impulsbefehlssendern nicht mehr ge­horchen und sich selbständig machen! Er­stens verlieren Sie damit Ihre Armee gegen Sebentool, und zweitens würde von Ihrem Reich nichts als ein Trümmerhaufen übrig­bleiben. Ist das nicht eine grauenhafte Visi­on? Sie sollten darüber nachdenken, Ruuver, und zwar schnell, ehe es zu spät ist.«

Der Gouverneur saß hinter seinem Tisch, von dem aus er einen ganzen Kontinent re­gierte. Forschend glitt sein Blick über unsere Gesichter, die ihm nichts verrieten. Fartulo­ons Andeutung schien ihn bis ins Innerste getroffen zu haben.

»So etwas wäre unmöglich«, erwiderte er schließlich und ging damit zu meinem Er­staunen auf das Thema ein. »Aber wenn es wirklich passieren sollte, hätten Sie recht. Was soll Ihre Bemerkung?«

»Es war nicht nur eine Bemerkung, Ruu­ver, sondern eine Warnung. Soll ich Ihnen beweisen, daß ich es ernst meine?«

»Das wird unnötig sein, denn ich gebe mich nicht mit Phantastereien ab. Ich bin nüchtern und denke logisch. Die Moojas sind fest in unserer Gewalt. Das Ausbrechen der kleinen Herde hat überhaupt nichts zu besagen.«

»Es hat sogar eine Menge zu besagen«, widersprach Fartuloon mit kalter Überlegen­heit. »Den Ausbruch der Herde haben Sie uns zu verdanken, und wenn ich innerhalb kürzester Zeit keine Funkverbindung zu un­serem vierten Mann aufnehme, wird noch

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Schlimmeres geschehen. Dann nämlich wer­den sämtliche Moojas von Kortasch-Auromt außer Kontrolle geraten und rebellieren. Keiner Ihrer Befehlssender kann sie davon abhalten. Haben Sie das richtig verstanden, Ruuver, oder ist Ihr degeneriertes Gehirn da­zu nicht mehr in der Lage?«

Der Gouverneur starrte ihn an, als glaube er, sein Gefangener habe den Verstand ver­loren. Er konnte es einfach nicht fassen, daß ihm jemand widersprach und sogar drohte. Zumal jemand, der bereits zum Tode verur­teilt war.

Immerhin mußte ich seine Ruhe bewun­dern. Er sprang nicht auf, er tobte nicht, nein. Er blieb eiskalt und ruhig, als er sagte:

»Sie behaupten also, Gewalt über meine Moojas zu besitzen? Das ist interessant. Na schön, dann beweisen Sie es mir. Angeblich löst also Ihr vierter Mann, der meiner Polizei entkam, die Rebellion der Echsen aus, wenn Sie nicht widerrufen. Gut, ich werde Ihnen keine Gelegenheit geben, mit ihm Verbin­dung aufzunehmen. Wir werden sehen, ob sich Ihre Drohung bewahrheitet. Solange dürfen Sie noch am Leben bleiben. Wann ist es soweit?«

Fartuloon nickte mir zu. Ich sah auf die Uhr und sagte: »In genau zehn Minuten, Gouverneur. Sie

können es sich noch überlegen.« »Sie hätten sich einiges früher überlegen

sollen!« schrie er mich an, und zum ersten­mal hatte ich das Gefühl, daß er nervös zu werden drohte.

Fartuloon saß neben mir und wippte mit dem Absatz, vielleicht um bereits den Kon­takt auszulösen. Er lächelte siegessicher in sich hinein. Sein Plan schien aufzugehen.

Ruuver saß hinter seinem Tisch und stell­te keine Fragen mehr. Zweimal beantwortete er Anfragen unwichtiger Natur, die über das Nachrichtennetz eintrafen. Der gesuchte vierte Mann, also Morvoner, war nicht wie­der aufgespürt worden. Er blieb spurlos ver­schwunden.

Langsam vergingen zehn Minuten. Ruuver lehnte sich vor und musterte uns.

»Die Frist ist verstrichen, und damit seid ihr dem Tod um zehn Minuten näher. Was ist mit eurer Prophezeiung?«

»Abwarten!« riet Fartuloon gelassen. »Kommt noch!«

Und es kam! Die Meldungen überstürzten sich, und sie

kamen aus allen Teilen der Insel. Eine riesi­ge Herde von Moojas, ehemalige Zug- und Arbeitstiere, hatten sich in der Ebene zusam­mengerottet und rasten auf die Hafenstadt zu. Sie rannten alles über den Haufen, was sich ihnen entgegenstellte. Die Impulssender versagten und waren wertlos geworden.

Viel schlimmer noch war es auf dem Pla­teau, auf dem sich schätzungsweise eine hal­be Million Moojas aufhielten. Alle waren aus den Gehegen ausgebrochen und stampf­ten jeden nieder, der nicht rechtzeitig ent­fliehen konnte. Eine riesige Herde – viel­leicht zehntausend Tiere – marschierte in der eingedrillten Ordnung auf den Raumhafen zu. Es gab nichts, das sie aufhalten konnte.

Einen Augenblick wunderte ich mich dar­über, daß alles so schnell geschah, aber dann begriff ich, daß Fartuloon seinen Impulsge­ber schon vor mehr als zehn Minuten betä­tigt hatte. Morvoner hatte ja absolut nichts mit der Sache zu tun.

So hatten wir Zeit gewonnen. Ruuver schien uns vergessen zu haben,

aber wir blieben ruhig und abwartend auf den Stühlen sitzen. Es war eine wahre Freu­de, den Gouverneur in Panikstimmung zu beobachten. Mehrmals kamen Wärter und höhere Beamte in den Raum, um direkten Bericht zu erstatten, aber jeder Bericht war schlimmer als der vorherige.

Die Abwehr am Raumhafen eröffnete laut letzten Informationen das Feuer auf die an­greifenden Moojas. Nicht aus Tierliebe, son­dern aus praktischen Erwägungen heraus wandte sich Ruuver an Fartuloon:

»Und Sie behaupten, daran schuld zu sein?«

»Sagte ich es nicht exakt voraus?« »Und wie?« »Das kann ich Ihnen noch nicht verraten.«

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49 Meister der Echsen

Ruuver sah ihn fast hilfesuchend an. »Der Raumhafen ist gefährdet, und wir

müssen die Moojas vernichten. Halten Sie die Tiere zurück und beweisen Sie mir, daß Sie wirklich Macht über sie haben. Es wäre für mich der letzte Beweis, daß Sie nicht lü­gen, sondern die Wahrheit gesprochen ha­ben.«

»Und was haben wir davon? Einen schmerzlosen Tod?«

»Darüber reden wir später.« »Nicht sehr viel später, Ruuver. Geben

Sie mir ein Funkgerät, aber schnell, sonst ist es zu spät.«

Der Trick mit dem vierten Mann klappte ausgezeichnet. Niemals wäre Ruuver jetzt noch auf den Gedanken gekommen, daß wir den alles überlagernden Sender unmittelbar bei uns trugen, zumindest seine Fernkontrol­le. Fartuloon erhob sich auf einen Wink des Gouverneurs und nahm vor den Geräten Platz. Mit einem Blick orientierte er sich, wählte eine Frequenz aus und wartete, bis Morvoner das vereinbarte kurze Erken­nungssignal schickte. Dann sagte er:

»Gut, mein Freund, es hat geklappt. Der Gouverneur ist überzeugt. Du kannst den Hyperdirigalimpulser in Kürze ausschalten. Wir werden uns jede Stunde melden. Wenn das nicht geschieht, schalte ihn wieder ein. Ende.«

Ruuver starrte ihn an. »Hyperdirigal … was?« »Hyperdirigalimpulser, Ruuver! Damit

schalten wir sämtliche Impulssender aus, die Sie jemals installierten. Die Moojas werden frei und unabhängig und tun genau das, was sie tun möchten. Damit bricht Ihre Herr­schaft zusammen. Haben Sie das nun end­lich begriffen, Ruuver?«

Er schien es in der Tat begriffen zu haben. Natürlich hatte er ebensowenig wie Eiskralle und ich verstanden, was ein Hyperdirigalim­pulser war, aber wahrscheinlich wußte Far­tuloon, der den Begriff verwendet hatte, es selbst auch nicht. Es spielte auch keine Rol­le, denn wichtig war nur der Effekt.

In der nächsten Viertelstunde wurde kaum

gesprochen. Ruuver hatte nun sämtliche Bildschirme eingeschaltet, die in seinem Raum vorhanden waren. Sie zeigten Aus­schnitte aus allen Teilen seines Inselreichs, insbesondere von den besiedelten Gegenden.

Das Chaos war vollständig. Die Händler und Urlauber waren von der

Alarmnachricht überrascht worden und wuß­ten in ihrer Panik nicht, wohin sie sich wen­den sollten. In der Händlersiedlung am Steil­hang schien es ihnen sicher genug zu sein, und bald waren die Wohnnischen in den Fel­sen derart überfüllt, daß niemand mehr Platz fand.

Ich warf Fartuloon einen Blick zu. Auch ihm taten die Unschuldigen leid, aber es blieb uns keine andere Wahl, wenn wir den Gouverneur von unserer Überlegenheit über­zeugen wollten.

Anders waren die Bilder vom Raumhafen. Dort griffen die Echsen endgültig an und

überrannten die ersten Abwehrnester, die man in aller Eile eingerichtet hatte. Zwi­schen ihnen und dem Militär entbrannten heftige und blutige Kämpfe.

Ich sah schnell auf einen anderen Bild­schirm – und erschrak.

Der Bildschirm zeigte die Sperrzone um den Palast und dessen Umgebung. Die be­sonders geschulten Echsen, auf Mord ge­drillt, verwüsteten den Park, schlugen Wär­ter und Soldaten nieder, zertrampelten sie und stürmten weiter.

In Richtung des Palastes. Ich sagte: »Gouverneur, sehen Sie dort, auf dem

Bildschirm! Die Moojas haben in wenigen Minuten den Palast erreicht, und vielleicht gelingt es ihnen sogar, einen Weg hinein zu finden. Sollten wir nicht Schluß machen mit der Demonstration?«

Sein Blick verriet abgrundtiefen Haß, aber auch Furcht und Unsicherheit.

Fartuloon unterstützte mich: »Ein Wort von Ihnen, Ruuver, und sämtli­

che Moojas werden wieder gehorchen, falls sie sich in Reichweite eines Ihrer Sender be­finden. Soll ich unserem Mann den Befehl

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geben, den Hyperdirigalimpulser sofort zu desaktivieren?«

Er war stark genug, sich zu überwinden. Er war gefährlich.

»Es ist also kein Zufall? Sie haben die Mittel, einen Aufstand der Moojas zu verur­sachen? Dann beenden Sie ihn, und ich wer­de Sie nicht hinrichten lassen. Wir können dann reden.«

»Sehr großzügig von Ihnen«, stellte Fartu­loon spöttisch fest. »Aber wir wollen nicht nur mit Ihnen reden, sondern Ihnen auch ei­nige Bedingungen stellen. Wir könnten uns gegenseitig helfen, zu Ihrem und zu unserem Vorteil. Mit Galbass war es ein schlechtes Verhandeln, vielleicht erweisen Sie sich als klüger. Einverstanden?«

Ruuvers Blick schien Fartuloon durch­dringen zu wollen.

»Einverstanden! Geben Sie mir die Moo­jas zurück!«

Fartuloon nahm Funkverbindung mit Morvoner auf, nachdem er, wie ich bemerkt hatte, längst seinen Stiefelabsatz entspre­chend bewegt hatte. Damit nahmen die ur­sprünglichen Impulssender und Befehlsge­ber wieder ihre Tätigkeit auf. Alle Echsen, die sich im Umkreis von fünfhundert Metern eines solchen Senders aufhielten, gerieten damit automatisch unter ihren Einfluß.

Morvoner meldete sich mit einem kurzen Piepser.

Fartuloon sagte: »Sir, Sie können abschalten, die Mission

ist beendet. Wir melden uns in einer Stunde wieder. Ende.«

Ruuver beugte sich vor und sah Fartuloon zweifelnd an.

»Vor kurzer Zeit sprachen Sie aber anders mit Ihrem Freund.«

»Vielleicht sind wir nicht vier, sondern fünf«, entgegnete Fartuloon gelassen und er­höhte damit die Unsicherheit des Gouver­neurs. »Achten Sie auf die Bildschirme, dann haben Sie den Beweis.«

In der näheren Umgebung waren zur Si­cherheit besonders viele Impulssender in­stalliert worden und ständig in Betrieb. Die

aus dem Sperrgebiet ausgebrochenen Moo­jas gerieten sofort in ihren Einfluß. Ihr Be­nehmen veränderte sich schlagartig. Sie hiel­ten an, standen unschlüssig herum, machten schließlich kehrt und traten den Rückzug an. Gehorsam wanderten sie zurück in die Sperrzone.

Auf den anderen Bildschirmen waren ähnliche Szenen zu beobachten, soweit Im­pulssender in unmittelbarer Nähe waren. Das galt insbesondere für den Raumhafen. Dort hatte die Abwehrschlacht gegen die Moojas gerade ihren Höhepunkt erreicht, als die Impulssender wieder in ihrer Wirkung einsetzten. Einige der Geschütze feuerten weiter, mitten hinein in die plötzlich wieder friedfertigen Herden.

Ruuver stieß einen Wutschrei aus, schal­tete seine Geräte ein und gab in schneller Folge einige Befehle. Sekunden später wur­de das Feuer eingestellt.

Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder uns zu. Zwar wirkte er noch immer finster und voller Drohung, aber in seinen Augen schimmerte auch ein wenig widerstrebende Anerkennung.

»Ich habe den Beweis gesehen. Demnach sind Sie tatsächlich in der Lage,

die Moojas meiner Kontrolle zu entziehen, und damit haben Sie mich in der Gewalt – solange wenigstens, bis ich Ihre beiden an­deren Leute gefunden habe. Was also wollen Sie von mir?«

Er war also auf den Bluff hereingefallen und nahm an, daß wir noch zwei weitere Verbündete besaßen, die jederzeit zuschla­gen konnten.

»Ich sagte es Ihnen schon: Wir wollen wissen, wann Freemusch eintrifft und wo wir ihn finden können.«

»Was wollen Sie von ihm?« »Das ist unsere Angelegenheit, aber ich

kann Ihnen versichern, daß sie nichts mit Ih­nen und Ihren Plänen zu tun hat. Darüber werden wir Stillschweigen bewahren.«

»Wir schließen also ein Abkommen?« »Ja.« »Und Sie wollen nichts anderes als die

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Auskunft, wann der Ökonom eintrifft?« ver­gewisserte sich Ruuver, und diesmal klang seine Stimme ein wenig hinterhältig.

»Wir benötigen einen Gleiter für zwei bis drei Personen, der uns nach Sebentool bringt.«

»Sie sind doch mindestens fünf?« wun­derte sich Ruuver.

»Zwei werden in einem Versteck auf der Insel zurückbleiben, mit dem Hyperdiriga­limpulser, damit Sie nicht auf dumme Ge­danken kommen.«

»Sie sind sehr mißtrauisch. Ich kenne nicht einmal Ihre Namen, trotzdem gehe ich auf Ihre Bedingungen ein. Und Sie …?«

»Namen sind nicht wichtig. Sie sind auf der Insel unumschränkter Herrscher, wir hingegen sind die Meister Ihrer Moojas – das gegenseitige Kräfteverhältnis ist daher ausgeglichen und wir müssen uns gegensei­tig vertrauen. Wir haben beide keine andere Wahl. Sehen Sie das wenigstens ein, dann profitieren beide Seiten.«

Ruuver bedachte uns mit einem finsteren Blick, aber er begegnete nur unserem ent­schlossenen Lächeln, kalt und ruhig.

Er nickte. »Also gut, das Abkommen gilt. Der Öko­

nom Freemusch trifft in zwei Wochen ein. Treffpunkt wird zuerst Sebentool sein, so­weit ich informiert wurde. Dann wird er die vier Gouverneure besuchen. Meine Frage, warum Sie den Termin erfahren möchten, wird sicherlich nicht von Ihnen beantwortet werden …?«

»Natürlich nicht«, versicherte Fartuloon trocken.

Ruuver nickte abermals. »Dachte ich es mir. Und was geschieht,

wenn ich Agmon von Ihren leicht zu durch­schauenden Absichten unterrichte?«

»Eine überflüssige Frage«, sagte ich an Fartuloons Stelle, weil mir der sinnlose Dia­log allmählich zum Halse heraushing. »Dann lassen wir die Moojas auf Sie los. Sie werden gezwungen sein, den gesamten Be­stand der Echsen auszurotten, soweit sie den einoperierten Sender tragen. Ob das in Ih­

rem Sinne ist, wagen wir zu bezweifeln.« Eiskralle neben mir grinste derart unver­

schämt, daß ich befürchtete, er müsse jeden Augenblick vor innerer Freude zerplatzen. Fartuloon wippte belustigt mit seinem ver­hängnisvollen Absatz und warf mir einen fröhlichen Blick zu.

Mavillan Ruuver gab endgültig auf. »Gut, Sie sind frei und erhalten den Glei­

ter. Aber ich verlasse mich darauf, daß Sie Ihr Wort ebenso halten wie ich. Ich bin si­cher, wir werden gute Partner sein. Und wenn mein Plan gelingt, den Sie eingangs erwähnten, soll es nicht Ihr Schade sein.« Er schaltete ein Nachrichtengerät ein. »Wache! Zu mir!«

Die Tür sprang sofort auf, die vier Zivili­sten, die uns hierhergebracht hatten, kamen mit schußbereiten Waffen in den Raum ge­stürzt. Ruuver winkte lässig ab.

»Diese drei Männer werden von Ihnen si­cher zum Raumhafen begleitet, wo ein Glei­ter auf sie wartet. Es wird ein Regierungs­gleiter mit den Kennzeichen von Kortasch-Auromt sein. Die Männer stehen unter mei­nem besonderen Schutz. Ist das klar?«

Die Männer bestätigten konsterniert, daß natürlich alles völlig klar sei. Sie begriffen überhaupt nichts mehr. Sie akzeptierten auch die Tatsache, daß die ehemaligen Gefange­nen keinen Piloten benötigten.

»Leben sie wohl«, sagte Fartuloon, als wir den Raum verließen. »Wir werden unser Wort halten. Tun Sie dasselbe!«

Einer der vier Männer begleitete uns mit dem Gleiter, der uns zum Palast gebracht hatte, zum Raumhafen, wo uns der offizielle Regierungsgleiter erwartete.

Als sich dessen Luke schloß, meinte Far­tuloon erleichtert:

»Ich denke, wir haben es wieder einmal geschafft.«

Eiskralle erwiderte: »Bis jetzt wenigstens.« Ich schwieg, dachte aber ähnlich wie Eis-

kralle. Der schwierigste Teil des Unternehmens

lag noch vor uns.

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52 Clark Darlton

*

Morvoner hörte sich unseren Bericht an, dann wurde er endlich die Frage los, die ihm am Herzen lag:

»Ich soll also zurückbleiben? Wieder ein­mal!«

»Du und Eiskralle!« entschied Fartuloon. »Das ist leider notwendig, denn wenn Ruu­ver erfährt, daß wir alle nach Sebentool ge­flogen sind, kommt er vielleicht auf den Ge­danken, unser Hyperdirigalimpulser sei mit uns geflogen. Das wäre verhängnisvoll. Er muß im Gegenteil ständig in der Angst le­ben, die Moojas könnten erneut ausbrechen. Ich lasse euch übrigens meine fabelhaften Stiefel hier, damit ihr den Gouverneur jeder­zeit an unsere Abmachung erinnern könnt.«

»Und wo bleiben wir? Hier in Harakas' Haus?«

»Nein, Coraschol wird uns eine Höhle zeigen, in der ihr sicher seid. Ihr könnt euch dort in allem Überfluß erholen, bis wir zu­rückkommen.«

»Überfluß?« wunderte sich Morvoner. »Wie meinst du das?«

»Harakas wird Lebensmittel und Getränke in jeder beliebigen Menge zur Verfügung stellen. Coraschol wird sich um euch küm­mern. Was wollt ihr noch mehr? Ihr könnt faulenzen, schlafen, die Landschaft bewun­dern – was immer ihr auch wollt. Und wir? Wir müssen arbeiten!«

Ich hatte einige meiner Bedenken noch nicht ganz überwunden.

»Ruuver wird uns beobachten lassen, Far­tuloon. Ich bin davon überzeugt, daß er be­reits jetzt schon darüber informiert ist, wo wir uns versteckt halten. Wenn er jetzt zu­schlägt, hat er uns.«

»Du irrst, Atlan. Er hat uns dann noch lange nicht, weil in der gleichen Sekunde die Moojas wieder marschieren. Nein, keine Sorge, er hat viel zuviel Angst davor und wird sich hüten, so unvorsichtig zu sein. Oben auf dem Plateau wartet unser Gleiter, und noch in dieser Nacht wird Coraschol

Eiskralle und Morvoner zur Höhle bringen. Sie liegt oben auf dem Plateau in einer wil­den, unberührten Landschaft. Morgen seid ihr einfach verschwunden, das ist alles. Selbst der beste Geheimdienst könnte euch dort nicht finden.«

»Und wie sollen wir wissen, wann und ob wir den Sender betätigen sollen?« fragte Morvoner.

»Wir bleiben in Funkkontakt. Außerdem gibt Harakas euch einen Empfänger mit, der auf der Regierungsfrequenz arbeitet. Ihr werdet also stets darüber unterrichtet sein, was sich auf Kortasch-Auromt tut, und könnt entsprechend reagieren.«

Morvoner nickte und stellte keine weite­ren Fragen mehr.

Eiskralle schien ohnehin mit der Rolle zu­frieden zu sein, die wir ihm übertrugen. Ein paar Tage Ruhe würden ihm sicherlich gut­tun.

Später kam Harakas und drückte uns seine Bewunderung für die Art aus, mit der wir den Gouverneur behandelt hatten. Ich war überzeugt, daß wir einen wertvollen Bundes­genossen gefunden hatten. Ebenso erging es uns mit Coraschol, dem die Sache Spaß zu machen begann. Er würde gut für Morvoner und Eiskralle sorgen. Wir konnten die Insel beruhigt verlassen.

Als die Stunde des Abschieds kam, ver­spürte niemand von uns Bedauern oder Un­sicherheit. In einigen Tagen würden wir uns wiedersehen.

Coraschol, der noch einmal auf dem Pla­teau gewesen war, um nach unserem Gleiter zu sehen, berichtete, daß zwei Männer des Geheimdienstes auf Befehl von Ruuver das Regierungssymbol entfernt hätten. Statt des­sen prangte nun das Erkennungszeichen ei­nes bekannten Händlers am Rumpf der Ma­schine. Die Männer hatten erklärt, das sei unauffälliger und verhindere diplomatische Verwicklungen.

Dann verließen Coraschol, Morvoner und Eiskralle das Haus Harakas', der wieder ein­mal in Geschäften unterwegs war.

»Was hältst du davon?« fragte ich Fartu­

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loon, als wir uns auf die Nacht vorbereiten. »Ohne Hoheitszeichen …«

»Ich glaube, Ruuver hat recht, und uns kann es egal sein, die Hauptsache ist doch, wir gelangen nach Sebentool, und niemand erkennt uns dort. Händler, so stelle ich mir vor, machen ihre Geschäfte auf allen Konti­nenten Jacinthers.«

»Das meine ich eigentlich weniger. Aber das Auswechseln der Kennzeichen beweist doch einwandfrei, daß Ruuver unseren Auf­enthaltsort genau kennt. Wenn er Coraschol beschatten läßt, wird er auch die Höhle fin­den.«

»Das wäre kein Unglück, denn Morvoner paßt mein Stiefel ausgezeichnet. Und dann vergiß nicht unseren imaginären fünften Mann, den ich mit ›Sir‹ angeredet habe. Den wird Ruuver niemals finden, auch wenn er

Morvoner und Eiskralle schnappen sollte. Mach dir keine Sorgen, Atlan, der Plan ist absolut idiotensicher. Ruuver weiß selbst am besten, was seine Mooja-Armee wert ist und wird sie deshalb nicht gefährden. Und nun bin ich müde.«

Damit verschwand er in seinem Schlaf­raum.

Wenn wir heil und gesund zurückkehrten, würde Mavillan Ruuver auch endlich erfah­ren, ob Fertomash Agmon noch lebte oder nicht.

Und wir würden Orbanaschol einen neuen Schlag versetzt haben.

ENDE

E N D E