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Menschheit im Zwielicht

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Nr. 400Menschheit im ZwielichtProjekt Laurin vor der Bewährungsprobe - Wird der Sprung in die Zukunft gelingen...?von K. H. Scheer

ALARM FÜR DIE GALAXIS, der vorangegangene Roman, schloß in den Oktobertagen des Jahres 2437.Seit dieser Zeit, die einen bitteren, teuer erkauften Sieg der Menschheit Aber ihren bisher mächtigsten Gegnerbrachte, sind fast bis auf den Tag genau 993 Jahre allgemeiner Zeit vergangen. Man schreibt jetzt auf Terraund den Welten des Solaren Imperiums den Monat Oktober, des Jahres 3430, und durch die galaktischeExpansion der Menschheit Ist eine kritische Situation entstanden, die Perry Rhodan - immer wieder indemokratischer Wahl im Amt des Großadministrators bestätigt - und seine Fachwissenschaftler schonfünfhundert oder sechshundert Jahre zuvor mit großer Sorge betrachteten, als sie sich abzuzeichnen, begann.Terra, die Mutterwelt, hat keine Möglichkeit mehr, die 5813 Sonnensysteme, die bis zum gegenwärtigenZeitpunkt besiedelt wurden, zu kontrollieren oder politisch zum Besten der galaktischen Menschheit zu lenken.Neue Machtkonstellationen entstehen, neue galaktische Großmächte, die das Solare Imperium bekämpfen, vondem die Mehrzahl ihrer Bewohner stammt.Schließlich verbünden sich drei neue Sternenmächte, um dem Solaren Imperium den Todesstoß zu versetzen.Doch Lordadmiral Atlans USO-Agenten sind wachsam. Sie schlagen Alarm, und die solaren Wissenschaftlerleiten das „Projekt Laurin“ ein. Projekt Laurin soll verhindern, daß Menschen gegen Menschen kämpfenmüssen...

Die Hautpersonen des Romans:Perry Rhodan - Der Großadministrator braucht 6,76 Milliarden Stimmen zu seiner Wiederwahl.Galbraith Deighton - Der neue Chef der Solaren Abwehr.Lord Zwiebus - Ein Neandertaler erwacht zu neuer Existenz.Geoffry Abel Waringer - Erster Wissenschaftssenator des Solaren Imperiums und Initiator des Projekts LAURIN.Julian Tifflor - Der Solarmarschall ist notfalls zur Meuterei bereit.Imperator Dabrifa - Ein gefährlicher Gegner Perry Rhodans.Szark Kalutsin und Barna Olphener - Zwei USO-Spezialisten von Siga.

1.

Wenn du hörst, daß sich ein Berg bewegt habe, soglaube es; hörst du jedoch, daß jemand seinenCharakter geändert habe, so glaube es nicht.

Mohammedanische Philosophie, Alt-Terra.Im Jahre 3430 nach Christi,

neunhundertdreiundneunzig Jahre nach derÜberwindung der Gefahr, die durch dieErstkonditionierten und Schwingungswächter drohte,erhob sich die außersolare Menschheit gegen dieMutterwelt Terra.

Die terranischen Altkolonisten, in den Jahrenzwischen 2000 und 2300 ausgewandert, bildetenautarke Staatenbünde und Interessengemeinschaften,deren Autarkiebestrebungen allein durch den Vorhaltder Vernunft nicht mehr zu verhindern waren.

Perry Rhodan, Großadministrator undRegierungschef des Solaren Imperiums, sah sich vordie Wahl gestellt, die Freiheitsbestrebungen derneuen Menschheitsvölker entweder mitWaffengewalt zu unterdrücken, oder dem Gesetz derEinsicht und Toleranz zu folgen.

Das Solare Parlament, an seiner Spitze derdemokratisch gewählte und von der Regierung

bevollmächtigte Großadministrator, faßte denEntschluß, den Autarkiewünschen zuzustimmen undden neuen Völkern die politische, wirtschaftliche undmilitärische Selbständigkeit zu gewähren. Eingalaktischer Krieg wurde somit verhindert. Bereits zudieser Zeit, fünfhundert Jahre nach den Erlebnissenin den Magellanschen Wolken, zeichneten sichjedoch jene Ereignisse ab, die für das Krisenjahr3430 bestimmend wurden.

Drei große Sternenreiche, vonKolonistennachkommen gegründet, aufgebaut und zuunübersehbaren Machtfaktoren erhoben, wendetensich gegen Terra. Die nach wie vor bestehendeÜberlegenheit der Mutterwelt aller Menschen wurdezum Anlaß eines tief greifenden Zerwürfnisses, undschließlich sah sich die Solare Menschheitgezwungen, für den Fall einer ernsthaftenAuseinandersetzung Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.

Ende Oktober des Jahres 3430 sah sich PerryRhodan erneut mit der Gewissensfrage konfrontiert,entweder die geballte Macht der Solaren Flotte aufangreifende Neuvölker menschlicher Abstammungzu richten, oder ein zweites Mal den Rückzuganzutreten. Der Großadministrator verzichtete aufeinen Waffengang.

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So geschah es, daß achtzigtausendGroßraumschiffe der Antiterranischen Koalition insLeere stießen. Der Mann, dem die neue Menschheitihre ursprüngliche Einigung und bevorzugtegalaktische Stellung verdankte, hatte mit gewohnterGenialität einen anderen Weg gefunden. Sein Namewar Perry Rhodan.

Die Machthaber des Carsualschen Bundes, desImperiums Dabrifa und der ZentralgalaktischenUnion hatten den größten Terraner derMenschheitsgeschichte ebenso unterschätzt, wielange vor ihnen die Kommandeure nichtirdischerVölker.

Die Krise begann am 1. Oktober 3430 nach ChristiGeburt...

Der Mann auf dem Bildschirm wiegte zweifelndden Kopf. Seine Stimme wurde von Geräuschenüberlagert, die nur ein Spezialist auf Anhiebenträtseln konnte.

Sie glichen dem Donnern eines auf Vollschublaufenden Raumschifftriebwerks, vermischten sichjedoch mit einem Heulen und Rauschen, daswiederum nicht zu einem Raumschiff paßte.

Der Anrufer trug eine Kombination, die halbwegseinem Froschmannanzug, andererseits einermodernen Kampfmontur der Solaren Flotte ähnelte.

„Ausgeschlossen ist überhaupt nichts“, schrie er insein Mikrophon. „Unter uns kann alles Möglicheliegen. Ich wollte Ihnen lediglich mitteilen, daß wirin den nächsten zwei Stunden fündig werden. Siesollten sich die Sache ansehen.“

Der Anrufer war Dr.-Ing. Kleym Hasselet, Terrasbester Fachmann für Unterwasser-Tiefenbohrungen.

Galbraith Deighton, Erster Gefühlsmechaniker desImperiums und neuer Chef der Solaren Abwehr,lauschte einen Augenblick auf die fremdartigenGeräusche. Deighton befand sich imwiederaufgebauten Terrania.

„Für einen hundertzwanzigjährigen Mann sind Siemir fast etwas zu munter, Doc“, stellte Deighton miteiner Spur von gutmütigem Spott fest. „Wenn Sie aufeinen Sprengkörper stoßen, wird der Tonga-Grabenin die Luft fliegen.“

„Ins Wasser“, korrigierte Hasselet trocken. „Undnicht nur das! Wir dürften in diesem Fall einenunterseeischen Vulkanausbruch erleben, der die Erdeerschüttern wird. Soll ich nun weiterbohren, oderwollen Sie das Unternehmen abblasen? Das Dingunter uns wird weiterhin ticken, tacken, strahlen oderGott weiß was tun. Vielleicht explodiert es aucheines Tages. Sir, meine Zeit ist kostbar!“

„Ich komme“, entschied der ErsteGefühlsmechaniker. „Wie weit sind Sie unter denMeeresgrund vorgestoßen?“

„Knapp zehntausend Meter. Da die Meeressohleim Tonga-Graben achttausendsiebenhundert Meter

unter der Wasseroberfläche liegt, haben wir unsdemnach schon fast neunzehntausend Meter vomLicht der Sonne entfernt. Die Temperaturen sind vorOrt auf hundertzwanzig Grad Celsius angestiegen.Der Materieaushub und seine Ablagerung wirdschwierig. Bringen Sie sich einen guten Schutzanzugmit. Ich erwarte Sie, Sir. Die letzte Entscheidungmüssen Sie treffen. Ich ... Augenblick bitte, hierkommen neue Meldungen.“

Der Ingenieur drehte der Bildaufnahme denRücken zu. Lautsprecher sprachen an. Die Stimmedes Sprechers war bei dem ständigen Heulen undRauschen nicht zu verstehen.

Hasselet wendete sich wieder der Aufnahme zu.Das Mikrophon hielt er dicht vor die Lippen.

„Da haben wir den wunden Punkt. Fünfzig Metertiefer wird ein riesiger Hohlraum geortet.Anscheinend ein Labyrinth. Die vulkanischeTätigkeit nimmt zu. Ich befürchte, daß wirmagmaführende Schichten oder unter Hochdruckstehende Blasen anschneiden. Ich werde die beiden inReserve gehaltenen Feldzonentürme zusätzlicheinsetzen.“

„Ich weiß zwar nicht, was Sie darunter verstehen,aber ich hege keine Zweifel an der Richtigkeit IhrerMaßnahme. Haben Sie noch andere beglückendeNachrichten vierzehn Tage vor der Wahl des neuenSolaren Parlaments und des Regierungschefs?“

Hasselet lachte. Seine Gesichtshaut bildete tausendRunzeln und Fältchen.

„Nein, ich lasse Sie in Ruhe. Was hört man vomGroßadministrator?“

„Wenig. Wenn aber eine Nachricht ankommt,könnte man weinen. Die Bewohner der freienSystemplaneten scheinen von Rhodans Rundreise desguten Willens nicht viel zu halten. Außerdemdurchkreuzt er mir ständig die ausgeklügeltenSicherheitsmaßnahmen. Würden Sie -vergleichsweise einem Tiefseeungeheuer die Handschütteln? Na also. Ich bin in einer Stunde bei Ihnen,Doc. Ende...“

Der SolAb-Chef schaltete ab. Er trat zu demPanoramafenster seines Arbeitszimmers und schauteüber das neue Terrania hinweg. Weit westlich starteteein Kurierkreuzer der Flotte. Es war die AGANON;ein schnelles Verbindungsschiff für Nachrichten, dieman dem Hyperfunk nicht anvertrauen konnte.

Galbraith Deighton, ein hochgewachsener,dunkelhaariger Mann mit markanten Gesichtszügen,lauschte mit seinen biophysikalisch hochgezüchtetenExtrasinnen auf die emotionellen Schwingungen derMenschenmassen, die weit unter ihm die Hochstraßeder solaren Hauptstadt bevölkerten.

Deighton war als Gefühlsmechaniker in der Lage,die Schwingungsimpulse menschlicher Gehirne zuerfassen und aus ihnen die jeweilige

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Gemütsstimmung herauszulesen. Dennoch war erkein Mutant, sondern nur ein Mensch, der von Geburtan die Veranlagung zur Schulung auf derEmotio-Akademie nachgewiesen hatte.

Zehn Minuten später saß der Abwehrchef inseinem Luftgleiter. Ziel war ein Sektor desPazifischen Ozeans. Die Bohrstelle lag aufhundertvierundsiebzig Grad westlicher Länge undzweiundzwanzig Grad südlicher Breite, südsüdöstlichder Tonga-Inselgruppe.

Es war seit fast einem Jahrtausend bekannt, daßdort die ehemalige Westküste des versunkenenErdteils Lemuria gelegen hatte.

Als daher vor Monatsfrist ein Forschungs-U-Bootmit einem neuentwickelten Thermolot in der Tiefseeauffallende Temperaturunterschiede feststellenkonnte, war Deighton hellhörig geworden. Die altenLemurer hatten der neuen Menschheit schon mehr alseinmal Erbstücke präsentiert, die sich bei nähererBegutachtung als äußerst gefährlich erwiesen hatten.

Niemand wußte genau, was sich in den Abgründendes Meeres verbarg. Die Lemurer hatten während derhalutischen Großoffensive vor etwa fünfzigtausendJahren wahrhaft gigantische Untergrundbautenerrichtet Dabei waren sie bis zu zehntausend Meter indie Tiefen ihres Erdteils vorgedrungen.

Man hatte Bunkeranlagen aller Art,Waffenmagazine, unterirdische Fabrikationsanlagenund Materialdepots von enormen Ausmaßenentdeckt.

Nun hatte der Meeresboden, ehemals stabilesFestland, im Tonga-Graben zu strahlen begonnen.Nach der ersten Thermoortung waren geringfügigeEnergieechos aufgefangen worden. Sie waren um solautstärker geworden, je weiter die von Deightonangeordnete Bohrung fortgeschritten war. EndeSeptember 3430 hatte man gewußt, daß etwaneunzehntausend Meter unter dem MeeresspiegelDinge geschahen, die jeder logischen Überlegungwidersprachen.

Mindestens eine atomare Kraftmaschine der altenLemurer hatte nach zirka fünfzigtausend Jahren dieArbeit wieder aufgenommen. Es konnte sich aberauch um andere Dinge handeln, die dort ausunerfindlichen Gründen zum Leben erwacht waren.

Dies war Anlaß genug für den Nachfolger desunvergessenen Solarmarschalls und AbwehrchefsAllan D. Mercant, den Ursachen auf den Grund zugehen.

Auf der Erde lebten fünfzehn MilliardenMenschen. Viele von ihnen hatten den erschlossenenMeeresboden als Wohnstätte gewählt.

Weitere zehn Milliarden Menschen lebten auf denPlaneten und großen Monden des Sonnensystems. Eskonnte sich unter diesen fünfundzwanzig Milliardenniemand erlauben, Dinge zu dulden, oder zu

übersehen, die nach allen Erfahrungen sehr schnellgefahrbringend werden konnten.

Daran dachte Solarmarschall Galbraith Deighton,als er seine schnelle Maschine bestieg. Sie brachteihn in zwanzig Minuten zu dem Seegebiet, unter demsich die ehemalige Westküste Lemurias versteckte.Deighton war entschlossen, die Hochenergiebohrungfortzusetzen; koste es, was es wolle.

Die Amtszeit der Solaren Regierung warabgelaufen. Es mußte nicht nur ein neues Parlamentgewählt werden, sondern auch der amtierendeRegierungschef undGeneralhandlungsbevollmächtigte der Menschheit,Großadministrator genannt.

Seit Jahrhunderten bekleidete Perry Rhodan dieseshohe Amt. Entweder wurde er in direkterPersonenwahl erneut gewählt, oder er würde abtretenmüssen, um einem anderen Manne Platz zu machen.Kandidaturen gab es genug.

Am 14. Oktober würde die Solare Menschheit ihreStimmen abgeben. Nichts wäre ungelegenergekommen, als eine wissenschaftlicheUnterlassungssünde mit katastrophalen Folgen. DasGeheimnis der Tiefsee mußte schnellstens geklärtwerden.

2.

Weit nordwestlich, gerade noch über der Kimmerkennbar, waren die höchsten Erhebungen derTonga-Inseln zu sehen. Sie wurden vom Dunst desfrühen Morgens verschleiert.

Deightons Luftgleiter war auf dem Flugdeck einesU-Boot-Mutterschiffes gelandet. Von hier aus wurdedie Aktion geleitet.

Der Gefühlsmechaniker begutachtete dasdiskusförmige U-Boot mit deutlich erkennbaremMißtrauen. Es lag im gewaltigen Leib desMutterschiffes. Der schlanke Turm auf der Oberseitedes Schalenrumpfes ragte fast bis zur Decke empor.Der Hangarraum war identisch mit einerWasserschleuse.

„Es wird Zeit, Sir“, drängte der Kommandant, einjunger Mann mit schmalen Händen und einemsonnengebräunten Gesicht. Er gehörte zumterranischen Aquanautenkommando. Die Mitgliederseiner Besatzung - sie bestand nur aus drei Mann -befanden sich bereits im Boot.

„Dort unten herrschen fast neunhundertAtmosphären Wasserdruck“, meinte Deightonzögernd. „Sind Sie ganz sicher, daß diese dünneSchale standhalten wird? Das von Ihnen bevorzugteElement ist mir etwas unheimlich.“

Der Kommandant unterdrückte ein Lächeln.Deightons Aversion gegen die Tiefen der Weltmeerewar bekannt. Er gehörte zu den Männern, die sich im

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freien Raum wesentlich wohler fühlten.„Der Philippinen-Graben ist noch tiefer, Sir. Wir

haben uns in elftausend Meter Tiefe rechtwohlgefühlt. Bitte Sir...!“

Deighton bestieg das Boot so vorsichtig, als betreteer eine trügerische Eisdecke.

Die unter dem Turm liegende Zentrale war eng.Die Schaltungen waren Deighton so fremd, daß sichsein Unbehagen verstärkte. Tiefen- und Seitenruderwurden von einem lethargisch aussehenden Mannbedient. Er hielt den flugzeugähnlichenSteuerknüppel zwischen zwei Fingern und überprüftenacheinander die verschiedenartigen Steuersysteme.

Zehn Minuten später war die Schleuse bereitsgeflutet. Das kleine Boot wurde nach längstüberholter Art mittels Preßluft ausgestoßen. Dasgefiel dem Abwehrchef ebenfalls nicht.

Auf seinen Vorhalt hin meinte der Kommandant,nicht alle Erfindungen der Alten wären mangelhaft;bestimmt aber nicht hinsichtlich der Unterseefahrt.

Der Diskus schoß steil nach unten. Schon wenigeAugenblicke nach dem Ausschleusungsmanöverwich das Dämmerlicht des Tages der ewigen Nachtder Tiefsee. Allein die Ortungs- und Bildgerätevermittelten noch einen Eindruck der Umgebung.

Das Tiefenmanometer rotierte so rasch, daßDeighton erneut unruhig wurde. Er lauschte aufetwas, was er bei einer Befragung nicht hättedefinieren können. Vielleicht wartete er auf dasoftmals geschilderte Knacken in den Verbänden, oderauf das Tosen einbrechender Wassermassen. DerKommandant beruhigte ihn erneut mit dem Hinweis,noch kein Tiefseefahrer hätte jemals einenDruckkörper-Bruch bewußt vernehmen können, dennin diesen Tiefen geschähe es so schnell, daß einklares Erkennen des bevorstehenden Todes nichtmehr möglich sei.

Galbraith Deightons Sorgen waren unbegründet.Der Terkonitstahlkörper des Bootes hätte densechsfachen Wasserdruck ertragen können.

Aus der Schwärze der Wassermauer schälte sichplötzlich ein gleißendes Pünktchen hervor. Je näherdas Tiefseeboot kam, um so deutlicher wurde dieLichtquelle erkennbar.

Die Technik hatte den gefürchteten Druck längstbesiegt. Vier Feldzonentürme, schwimmende undtauchfähige Hochenergiestationen mit mächtigenFusionsmeilern und Schirmfeldprojektoren, hattenüber der Bohrstelle ein wasserabweisendesEnergiefeld geschaffen.

Es hatte das nasse Element verdrängt und einehalbkugelige Hohlblase mit einer lichten Weite vondreihundert Meter und einer Höhe vonhundertfünfzig Meter entstehen lassen.

Darin standen die Bohrgeräte, die Unterkünfte derTechniker, die Filterstation und was der technischen

Einrichtungen mehr waren. Helles Licht täuschte denEindruck einer in der Tief see aufgegangenen Sonnevor.

Der Rudergänger riß plötzlich den Knüppel nachvorn. Deighton sah eine Unterwasserschlucht auf sichzukommen. Gleichzeitig vernahm er einigeKommandos, die er nicht verstand. Das Boot kam mitaufheulender Maschine und dicht über dem Bodender Schlucht zum Stillstand. Die leuchtendeEnergieblase war nur noch teilweise zu sehen.

„Was gibt es?“ erkundigte er sich verwirrt. Erspürte die Nervenanspannung der anderen Männer.

„Annäherungsverbot, Sir. Doktor Hasselet istanscheinend durchgestoßen. Dabei kann es zuSchwierigkeiten kommen. Ein vernünftiger Manngeht dann sofort in Deckung.“

Der Abwehrchef beherrschte sich. Er schwieg auchnoch, als ein schrilles Pfeifen aufklang, dem gleichdarauf ein donnerndes Geräusch folgte.

„Gut, das ist die Abgasschleuse“, schrie derKommandant. „Hasselet muß eine unter Druckstehende Blase angeschnitten haben. Wahrscheinlichmit dem Sondendesintegrator. Wir haben die letztenzehn Meter bis zu dem georteten Hohlraum mitkleinem Gerät durchstoßen.“

Es dauerte noch zehn Minuten, bis das Bootwieder Fahrt aufnahm. Von da an war Deightonüberzeugt, daß die Aquanauten ihr Handwerkverstanden. In gewisser Hinsicht schien die Tiefseenoch gefährlicher zu sein als der freie Raum.

Vor dem schwimmenden Diskus öffneten sich dieTore einer röhrenförmigen Hochdruckschleuse ausTerkonitstahl. Sie mündete in dem Röhrenfeld. DasBoot glitt hinein, wurde magnetisch verankert undsomit fest mit dem Schleusenboden verbunden.

Deighton lauschte schon wieder. Das Wasserwurde nicht etwa aus der Röhre hinausgepumpt,sondern man ließ es in die Energieblase abfließen.Dort sammelte es sich in einemEntspannungsbehälter, wurde verdampft und durchdie Hochenergiefelder der Aushubschleuse wieder inden Ozean entlassen.

Deighton betrat endlich das Land unter demMeeresspiegel. Weiter vorn, im Mittelpunktzwischen den rumorenden Feldzonentürmen, standder schwere Desintegrator, dessen Strahl denmolekularen Verband jeglicher Materie auflöste.

Eine „Bohrung“ im althergebrachten Sinne war esnicht. Der staubförmige Aushub des Strahlers wurdein der benachbarten Thermoanlage vergast und durchdie Aushubschleuse unter hohem Druck ins Wasserabgeblasen.

Deighton fand Dr. Hasselet im gepanzertenSteuerstand des Desintegrators. Der Lärm wurde soheftig, daß er sich die Ohren zuhielt.

Hasselet winkte und deutete auf einen Techniker,

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der mit einem Schutzanzug bereitstand.Der Gefühlsmechaniker legte ihn an, lauschte mit

seinen geschulten Sinnen gewohnheitsmäßig auf dieemotionellen Schwingungen der hier arbeitendenMänner und setzte dann beruhigt den schalldichtschließenden Helm mit der eingebautenFunksprechanlage auf.

Es war alles in Ordnung. Deighton empfinglediglich stärker werdende Impulse, die vonnervlicher Anspannung zeugten.

„Hasselet spricht. Hören Sie mich, Sir? Hier untenkann man sich nur über Funk verständigen.“

„Die Verständigung ist gut, Doc. Bin ich zu spätgekommen?“

„Keineswegs. Wir sind soeben mit demFünf-Meter-Projektorkranz durchgebrochen. DasLabyrinth stand unter Überdruck.“

„Wie - da unten gibt es noch Luft?“Hasselet stieß ein kurzes Lachen aus. Es klang

humorlos.„Und ob! Fast jede lemurische Anlage, die wir

bisher angeschnitten haben, stand unter Druck. Dieseebenfalls. Es handelte sich überwiegend umhermetisch abgeriegelte Bauwerke, die beimUntergang des Erdteils natürlich die in ihneneingeschlossenen atmosphärischen Gasemitgenommen haben.“

„Natürlich!“ wiederholte Deighton etwas hilflos.„Was geschieht nun? Verzeihen Sie, aber ich hattebisher noch keine Zeit, solchen Experimentenbeizuwohnen.“

Hasselet nickte nur. Er deutete auf dieBildschirme.

„Für eine normale Verrohrung des Schachteshaben wir keine Zeit mehr. Ich lasse ihn imSpritzguß-Verbund stabilisieren, in der Hoffnung,daß die Terkalnotral-Masse schneller abbindet, alssich das Gestein bewegt. Meine Leute stellen überallvulkanische Schichten fest. Es ist verteufelt unruhigin dieser Gegend des Planeten Erde. Sehen Sie...!“

Etwa zehntausenddreihundert Meter unter demMeeresboden arbeiteten flugfähige Spezialroboter.Eine grauweiße Masse sprühte aus mächtigen Rohrenhervor. Sie bedeckte die Schachtwände, verband siemiteinander und bildete somit eine fugenloseGußröhre, die hohen Drücken standhalten konnte.

Andere Roboter waren bereits in den Raumvorgedrungen, den man mit demFünf-Meter-Projektorkranz angeschnitten hatte. Tiefunter dem Meeresgrund flammten Scheinwerfer auf.Die farbige Bildübertragung der Robotkameras wareinwandfrei und überdies dreidimensional.

Andere Maschinen gaben Analysen durch. DieLuft war schlecht, völlig überhitzt und ohne dengeringsten Feuchtigkeitsgehalt. Der Druck stimmtemit jenem in der Energieblase überein.

Deighton beugte sich nach vorn. Einer der Roboterhatte eine Maschine gefunden. Er leuchtete sie abund filmte sie mit seiner Kamera.

Die Männer im Kommandostand desHochenergiebohrers waren erfahrene Spezialisten,die fast jedes lemurische Gerät auf Anhiebidentifizieren konnten. Sie starrten gebannt auf dieSchirme. Schließlich meinte einer gedehnt:

„Kann mir jemand sagen, was das ist?“Der Ingenieur drehte sich um. Er blickte in

betretene Gesichter. Nur der ErsteGefühlsmechaniker des Solaren Imperiums ließ sichvon dem allgemeinen Unbehagen nicht mitreißen,denn in diesem Augenblick war eine Sachlageentstanden, die Deighton als sein Fachgebiet ansah.

„Doktor Hasselet, ich steige mit ab. Haben Sie hierunten ein bewaffnetes Einsatzkommando?“

Hasselet riß verwundert die Augen auf.„Bitte? Ein was? Sir, Lemuria ist vor

fünfzigtausend Jahren untergegangen. Wer solltedort...“

„Beispielsweise Leute, die über eine gutfunktionierende Transmitterverbindung verfügen“,wurde er unterbrochen. „Haben Sie ein Kommando?“

Hasselet ahnte, daß die Angelegenheit ernsterwurde, als er es sich vorgestellt hatte. Er alarmiertefünfzig Spezialisten des Aquanautenteams. Bis sieeintreffen konnten, hatte die Spritzgußverkleidungabgebunden.

*

„Die Wetterführung ist miserabel!“ hatte Dr.-Ing.Kleym Hasselet gesagt, als er von derAntigravitationsplattform gesprungen war.

Das Fluggerät war eine Spezialkonstruktion zumliftartigen Absteigen in Bohrschächten.

Deighton war es in diesen Augenblicken völliggleichgültig gewesen, was der Fachmann unter„Wetterführung“ verstand. Er, der Abwehrchef, hattelediglich bemerkt, daß die zundertrockene undüberhitzte Luft nicht atembar war. Also hatte er denKlarsichthelm seines Schutzanzuges geschlossen undauf Kunstbeatmung umgeschaltet.

Allein das Gefühl, eine Art Raumanzug zu tragen,hatte Galbraith Deighton die nötige Sicherheitgegeben. Die fünfzig Spezialisten desAquanautenkommandos hatten überdies nicht vieleFragen gestellt. Sie waren über die Vorkommnisseder Vergangenheit informiert. Sie kannten auch auseigener Anschauung lemurischeTransmitterstationen, die von gesetzeswidrigenElementen für verbrecherische Zwecke benutztworden waren. Ihnen erschien es gar nicht soverwunderlich, daß sie von dem Abwehrchefangefordert worden waren.

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Die Strahlwaffen hatten jedoch nicht eingesetztwerden müssen. Deighton war dafür dankbargewesen. Er war ein Vertreter der strategischen undtaktischen Planung. BewaffneteAuseinandersetzungen haßte er.

Die Thermolader der Männer hingen längst wiederüber ihren Schultern. Es gab genug zu sehen undnoch mehr zu bestaunen, um Deightons Gedankenvon einer geheimen Niederlassung feindlicheingestellter Mächte vergessen zu lassen.

Die Messungen waren beendet EinWissenschaftlerteam hatte festgestellt, daß dieüberreichlich vorhandenen Maschinenanlagen,Labors aller Art, Magazine, Verbindungswege undVerkehrsmittel nie und nimmer lemurischenUrsprungs waren!

Für Deighton und die Spezialisten warf sich dieFrage auf, wer auf dem lemurischen Kontinentgebaut und geplant hatte, ehe es die Erste Menschheitüberhaupt gegeben hatte.

Alle Dinge, die man gefunden hatte, warenmindestens zweihunderttausend Jahre alt. Zu dieserZeit hatte auf der Erde noch der Neandertaler gelebt.Neuere Forschungen bewiesen allerdings, daßgleichzeitig zu dem affenähnlichen FrühmenschenKulturen entstanden waren, die unwiderlegbar vonder richtungsweisenden Hand des Jetztzeitmenschen,des Homo sapiens zeugten.

Beide Kultur- und Entwicklungsstufen hatten zurgleichen Zeit existiert. Beide waren sie jedoch nichtin der Lage gewesen, technische Anlagen dieser Artzu errichten.

Wer also hatte vor zweihunderttausend Jahren aufdem wahrscheinlich größten Kontinent der damaligenErde gelebt? Wer hatte dieses unterirdische Labyrinthetwa zehntausend Meter unter der damaligenErdoberfläche entdeckt und es ausgebaut?

Es stand fest, daß die riesigen Höhlen natürlichentstanden waren. Hochbegabte Intelligenzwesenmußten sie erschlossen und für ihre Zwecke benutzthaben.

Warum aber waren sie in die Tiefe der Erdeausgewichen, anstatt auf der Oberfläche zu bauen?Hatte es dort Gegner gegeben? War man gezwungenworden, in der sicheren Anonymität eines in Urzeitenentstandenen Höhlenlabyrinths Labors undProduktionsstätten verschiedenster Art zuinstallieren?

Vor Deighton und den Wissenschaftlern türmtesich ein Berg von Fragen und ungelösten Rätseln auf.

Die Männer der verschiedenen Forschungstruppswaren seit acht Stunden unterwegs. Man hatte eineEnergiestation von überwältigenden Ausmaßengefunden. Die Atomreaktoren arbeiteten auf derBasis der Deuterium-Katalyse. Die kalteKernverschmelzung schien für die Erbauer dieser

Station selbstverständlich gewesen zu sein.Die Reaktoren waren kompakte, Platz sparende

Energiespender und Direktumwandler. DerKohlenstoffzyklus wurde innerhalb der heißenReaktionszone mit fast spielerischer Sicherheitangewendet. Der Kernbrennstoffverbrauch lag in denGrenzgebieten der modernsten terranischenHochenergiemeiler. Er war minimal.

Einer dieser Reaktoren war nach einem Zeitraumvon zweihunderttausend Jahren wiederangesprungen. Ein unbeschädigtes Steuergehirn aufpositronischer Basis hatte ihn hochgefahren und denLeistungswert nach einem offenbar festliegendenProgramm allmählich gesteigert. Zur Zeit erzeugteder Fusionsmeiler dreihunderttausend Megawatt.

Wo war der Verbraucher? Wer verschlang dieseEnergieflut; wozu wurde sie benötigt? All dieseFragen konnten nicht beantwortet werden.

Die vielen Maschinen und Geräte, die man inanderen Felshallen entdeckt hatte, standen still. Siekamen als Stromabnehmer nicht in Betracht. Weroder was verbrauchte aber dann diedreihunderttausend Megawatt?

Erschwerend zu allen Problemen war dievulkanische Tätigkeit des Untersuchungsgebietes.Hier und dort wurden bereits Magmaeinbrüchegemeldet. Das gewaltsame Aufspalten des fünf Meterdurchmessenden Schachtes; die zwangsläufigeZerstörung einer acht Meter dicken Stahlwand, diefrüher offensichtlich als wichtige statischeEinrichtung erschaffen worden war und derimplosionsartige Druckverlust beim Durchbruch derenergetischen Bohrsonde hatten die Unterwelt derErde erwachen lassen.

Spezialroboter mit Hochleistungsreaktoren warendamit beschäftigt, die an vier Stellen geortetenMagmaeinbrüche in das unterseeische Reich so langeaufzuhalten, bis wenigstens die wichtigstenForschungsarbeiten abgeschlossen waren. DasUnternehmen stand von vornherein unter einemungünstigen Vorzeichen. Man hatte nicht genügendZeit, den Dingen auf den Grund zu gehen.

Galbraith Deighton war der Verzweiflung nahe. Erspürte mit seinen Extrasinnen, daß sich hier unten einwichtiges Geheimnis verbarg. Unter Umständenkonnte es für die Existenz der Erde eine wesentlicheRolle spielen.

Dann aber, vierzehn Stunden nach dem erstenEindringen in die Unterwelt, wurden diebiochemischen und biophysikalischen Laborsgefunden. Sie gaben den Ereignissen eine andereWende.

Nochmals eine Stunde später - dieMagmaeinbrüche konnten kaum noch durch dieEnergiefelder der Roboter abgeriegelt werden -wurde eine Spezialkammer gefunden, die von den

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Fachwissenschaftlern als Energiekonserveklassifiziert wurde.

*

Deighton hatte die Stahlkammer mit einemImpulsbrenner aufschneiden lassen. Es handelte sichum ein Material, das noch widerstandsfähiger war alsTerkonit.

In der großen, lang gestreckten Kammer gab eseine kleine Energiestation. Sie wurde durch eineQuerwand von den anderen Räumen getrennt.

Einer von Hasselets Ingenieuren hatte den Reaktorstillgelegt. Die Schaltungen waren fremdartig, dochim Prinzip verständlich.

Anschließend war auch die Querwandaufgeschnitten worden. Und nun stand der ErsteGefühlsmechaniker vor einem breiten, gutgepolsterten Liegebett, das auf allen Seiten vonProjektormündungen umrahmt wurde. Sie glühtennoch nach. Also hatten sie bis zum Auslaufen desMeilers gearbeitet.

An der Decke kreiste ein kugelförmiges Gerät. Esstrahlte intensiv. Der auf dem Tisch liegende Körperwurde von einer grünblauen Strahlungsflutüberschüttet.

Zwei eigentümlich geformte Roboter, die wederauf die eindringenden Menschen reagierten, nochsich um die schußbereiten Waffen kümmerten,gingen einer vorprogrammierten Tätigkeit nach.Frische Atemluft zischte aus Deckendüsen. EineKlimaanlage war ebenfalls eingeschaltet. Dennochherrschte in der Kammer eine nahezu unerträglicheHitze.

„Das ... das ist...!“Dr. Hasselet unterbrach sich. Seine Stimme hatte

unartikuliert geklungen. Deighton starrte unbewegtund um seine Beherrschung kämpfend auf denKörper. Die Roboter verabreichten ihm irgendwelcheInjektionen. Die strahlende Kugel kreiste unablässig.

Zwei Ärzte des Bohrteams kamen durch dieWandöffnung. Deighton erhob die Hand.

„Bitte nicht eingreifen, meine Herren. Wenn diesesWesen in einem biophysikalischen Tiefschlafgelegen hat, dann sollte man besser die Robotergewähren lassen. Oder wissen Sie, wie man einenNeandertaler nach zweihunderttausendjährigerKonservierung wiedererwecken kann? Das ist dochein Neandertaler, oder?“

„Reife Gattung, Endstufenentwicklung“,behauptete einer der Mediziner.

„Die Schädelform zeigt noch starkeKnochenwülste über den Augen und eine fliehendeStirn, aber absolut affenähnlich ist er nicht mehr. DasGroßhirn dürfte schon beachtlich entwickelt sein;allerdings nicht vergleichbar mit dem des Homo

sapiens. Ich bin fassungslos.“Die elektronischen Kameras surrten. Jede

Einzelheit wurde gefilmt. Deighton wagte sich zweiSchritte näher. Die emsig hantierenden Roboterreagierten wiederum nicht auf den Eindringling.

„Die strahlende Kugel und die Roboter sindEigen-Energieversorger“, kam eine Meldung überSprechfunk durch. „Der große Reaktor in derMaschinenhalle läuft immer noch. Wir haben dieSchaltstation gefunden. Soll er stillgelegt werden?“

„Wenn er uns dabei nicht um die Ohren fliegt, ja.“„Wir werden es merken, Sir. Ende...!“Deighton atmete heftig. Die Sichtscheibe seines

Helms beschlug. Es dauerte einige Zeit, bis dasGebläse den Feuchtigkeitsbelag entfernt hatte.

Einer der Ärzte trat an Deightons Seite.„Die Kugelstrahlung ist biophysikalischer Natur,

Sir. Wenn die unbekannten Baumeister dieser Stationvon der Konservierung so viel verstanden haben, wieich vermute, dürfte der Neandertaler bald aufwachen.Dann wird er die heiße, staubtrockene Luft einatmenmüssen. Welche Möglichkeiten bestehen, ihn vorVerbrennungen der Atmungswege zu bewahren?“

Hasselet fand einen Weg. Es gab Bergungsrobotermit ausfahrbaren Energiefeldern, in denen Verletztegegen die Außenwelt abgeschirmt und mit guter Luftversorgt werden konnten.

Eine dieser Maschinen kam wenig später vor derKonservierungskammer an. Die beidenDurchbruchsöffnungen mußten erweitert werden.

Das Sicherungskommando meldete zwei weitereMagmaeinbrüche. Im Südsektor der Höhlenweltwichen die Abschirmeinheiten bereits zurück.

Als der Bergungsroboter endlich in den Raum glittund mit summenden Antigrav-Gleitfeldern nebenDeighton zum Stillstand kam, wurde eine Meldungdurchgegeben, die Hasselets schlimmste Ahnungenbestätigte.

Im Westsektor erfolgte ein Wassereinbruch vonsolcher Stärke, daß er von den relativ schwachenAbwehrfeldern der Sicherungsroboter nichteingedämmt werden konnte.

„Feierabend, Sir“, erklärte der Chefingenieur miterstaunlicher Gelassenheit. „Es muß zu einemtektonischen Aufriß in der Untersee-Bodenkrustegekommen sein. Unter Umständen sind auch dieehemaligen natürlichen Zugänge zu dem Labyrinthaufgebrochen. Das Wasser wird bald auf dasglühende Magma treffen. Die Dampfentwicklung istnicht berechenbar. Es ist aber sicher, daß diesesHöhlensystem sehr schnell einemHochdruckdampfkessel ohne Sicherheitsventilgleichen wird. Wir müssen 'raus, Sir!“

„Ich möchte den Neandertaler mitnehmend.Lebend!“

„Die Dampfexplosion wird verheerend sein. Neue

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Grundrisse entstehen. Das Magma dringt nach. EineStunde später erleben wir einen unterseeischenVulkanausbruch von enormen Ausmaßen.“

„Ich kann es nicht ändern. Vielleicht steigt derErdteil wieder aus den Fluten empor. Das soll es jageben. Ich kenne eine Insel im Nordatlantik, die...!“

„Das ist allgemein bekannt“, unterbrach Hasseletgereizt. Er wurde sichtlich nervöser.

Weit entfernt vernahm man ein Grollen. DerBoden des Stahlbehälters vibrierte.

„Das sind die ersten explosionsartigenDampfentspannungen, Sir.“

„Ich will den Frühmenschen lebend! Ich wartehier, bis er von der dafür spezialisierten Maschinerieerweckt worden ist. Ich werde mich in dasBergungsfeld des Roboters einschließen undzusammen mit dem Neandertaler nach obenkommen. Lassen Sie eine Flugplattform unter demBohrschacht stehen, und ziehen Sie sofort Ihre Leutezurück. Nur die Abschirmroboter sollen bleiben. DenVerlust können wir finanziell verschmerzen.“

„Aber Sir, ich...!“„Ich berufe mich nicht gern auf meine

Befehlsgewalt, Doktor. Bitte, befolgen Sie meineAnweisungen. Bringen Sie Ihre Männer in Sicherheit.Nehmen Sie an fremden Geräten mit, was Sietransportieren können.“

*

Die Dampfexplosionen häuften sich. HasseletsTechniker hatten die Unterwelt verlassen. Nur dieRoboter kämpften noch mit allen Mitteln. Sie wurdenreihenweise von weißglühender Lava verschlungen,oder durch neue Wassereinbrüche funktionsunfähiggemacht.

Hasselet wartete oben auf dem Meeresgrund. NurDeighton und der Bergungsroboter standen noch inder Konservierungskammer.

Der Erste Gefühlsmechaniker hatte sich an denAnblick des Urmenschen gewöhnt. Er betrachtete ihnbereits mit einer gewissen Zuneigung. Würde sichdurch ihn das Rätsel der Menschheitswerdung lösenlassen? Wenn es gelang, den Neandertaler lebend zubergen, so konnte man den Erinnerungssektor seinesGehirns schmerzlos und ohne Schädigungen aufparamechanischer Ebene anzapfen und in der Formeines Erinnerungsfilmes klarstellen, was dieser Mannerlebt hatte. Es war ein Mann, auch wenn erungewöhnlich aussah.

Er lag noch immer reglos auf dem Tisch. Diegesamte Körperoberfläche wurde von einerschwarzbraunen Behaarung bedeckt. Dennochhandelte es sich nicht mehr um ein Fell im Sinne desWortes. An manchen Stellen war der Haarwuchswesentlich schwächer, als es bei einem typischen

Affenmenschen der Fall gewesen wäre.Er war zwar zwei Meter zwanzig groß und in den

Schultern ein Meter fünfzig breit. Die Beine warenkurz, jedoch, enorm stämmig. Die typischsteAnnäherung an den prähistorischen Affenmenschenwaren die überlangen Arme mit ihren mächtigenMuskelwülsten.

Schädelform und Gesicht wirkten noch äffisch,aber Kinn, Mundpartie, Nase und die fliehende Stirnwaren nicht mehr hundertprozentig mit einemPrimaten der Menschaffengattung identisch.

Vor Deighton lag gewissermaßen einÜbergangsexemplar vom Affenmenschen zumNeumenschen.

Der Erste Gefühlsmechaniker lauschte auf dieerwachenden Gehirnimpulse seines Schützlings. Dieersten Anzeichen des wiedererwachenden Lebenshatte er vor fünf Minuten vernommen.

Nochmals zehn Minuten später war es soweit. DerNeandertaler kam allmählich zu sich. Deightonbeobachtete die ersten Reflexbewegungen desKörpers. Die weit und tonnenartig nach vorngewölbte Brust bewegte sich plötzlich.

Die zweite Reflexhandlung des Urmenschenbestand im instinktiven Griff nach seiner Waffe. Eswar eine meterlange, schwere Holzkeule vonplumper Form. Sie lag neben seiner rechten Hand aufdem Tisch.

Die Greifzehen bewegten sich ebenfalls. Der großeZeh war noch wie ein Daumen ausgebildet. DiesesLebewesen war fraglos ein vorzüglicher Kletterer.

Deighton gab einige Befehle. Der Bergungsroboterglitt auf seinem Energiekissen näher.

Als der Neandertaler mit dem gesamten Körper zuzucken begann, errichtete der Robot seinAbschirmfeld. Deighton befand sich innerhalb desSchirms. Zusammen mit der Maschine ging er aufden Erwachenden zu.

Die fremden Medo-Robots - denn nur um solchekonnte es sich handeln - zogen sich zurück. Das warfür Deighton das Alarmzeichen. Die strahlendeKugel erlosch. Sie bewegte sich auch nicht mehr aufihrer vorgezeichneten Kreisbahn.

Dann öffnete der Neandertaler den nochrachenartig ausgeprägten Mund. Fingerlange,gelblich schimmernde Augenzähne erschienen. DasGebiß war makellos und kräftig wie bei Raubtieren.

„Umschließen, schnell!“ ordnete derGefühlsmechaniker an.

Als der Erwachende den ersten Atemzug tat,befand er sich bereits im Schütze desAbschirmfeldes. Reine, kühle und SauerstoffhaltigeLuft strömte in seine mächtigen Lungen.

Deighton stand wegen des begrenztenSchirmvolumens dicht neben dem Tisch. Er nahm dieKeule mit beiden Händen und stellte sie

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vorsichtshalber mit ihrem dicken Ende neben sich aufden Boden.

Draußen schien die Hölle ausgebrochen zu sein.Leuchtende Gasschwaden drangen in denKonservierungsraum. Explosionen über Explosionenzeugten vom bevorstehenden Ende dieser Station.

Deighton wartete, bis der Neandertaler die Lideröffnete. Er erblickte relativ kleine Augen mitbräunlich verfärbten Augäpfeln. So starrten sich diebeiden Lebewesen einen Augenblick lang an.

Deighton lauschte angespannt auf dieGehirnimpulse des Urmenschen. Zu seiner größtenÜberraschung vernahm er nicht die erwartetenWogen der Panik, Angst und des Unbegreifens,sondern Wellen der Resignation und des klarenErkennens der Sachlage.

Der Neandertaler, soeben noch für primitivgehalten, dachte in einigermaßen logischen Bahnen.Er hatte verloren; er gab auf. Er war außerdemfriedfertig und bereit, den Anweisungen zu folgen.

Deightons Hand löste sich vom Griff derBetäubungswaffe. Notfalls hätte er blitzschnell einenLähmungsschuß abgeben müssen. Körperlich wäre erdem Neandertaler auf keinen Fall gewachsengewesen.

Der Blick des behaarten Riesen klarte sich.Deighton begann mit ruhiger, suggestiver Stimme zusprechen.

Nach weiteren zehn Minuten stieß der Urmenschden ersten Laut aus. Er klang wie „zwiehiebus“.

„Ich werde dich Lord Zwiebus nennen“, sagteDeighton lächelnd. „Komm, mein Freund, es wirdZeit. Hörst du?“

Der Neandertaler regte sich nicht. Als er jedochDeightons hochgereckten Finger und seineangespannt lauschende Haltung bemerkte, drehte erden Kopf.

Deighton beobachtete mit Erstaunen, daß sichLord Zwiebus weder vor dem Energiefeld noch vordem gefährlich aussehenden Bergungsroboterscheute. Beim Anblick der Maschine knurrte derNeandertaler lediglich bösartig.

Deighton erfaßte seine riesige Pranke und zerrtedaran. Lord Zwiebus verstand. Er richtete sichlangsam auf, duckte sich unter dem kugelförmigenSchirm und folgte dann willig DeightonsAnweisungen.

Er gab dem Neandertaler die schwere Keulezurück. Zum ersten Male bemerkte Deighton eineSchockwirkung. Der Urmensch starrte ihn mitgrößter Verwunderung an. Spielerisch leicht wog erdie Keule in seiner Hand. Deighton lachte. DieFreundschaft war geschlossen. Es war unglaubhaft;aber Deighton fühlte, daß er einen Freund gewonnenhatte. Vielleicht war es gerade die urmenschenhaftePrimitivität, die dem Neandertaler sagte, daß dieser

kleine, schwache Mensch alles riskierte, um ihn inSicherheit zu bringen.

Sie hasteten im Schutzfeld des Roboters durchglühende Luftschichten. Als sie endlich dieBohröffnung erreichten, war das Labyrinth schon zueinem Hexenkessel geworden. Die Explosionennahmen kein Ende mehr. Der Wassereinbruchverstärkte sich. Ein ständig anschwellendes Grollenwurde vernehmbar. Hier und da wölbte sich derBoden auf, und weißglühende Lava quoll aus denRissen.

Sie fanden den zurückgelassenen Antigravleiter,bestiegen ihn und glitten damit nach oben.

Als Deighton mit seinem Schützling dieEnergieblase erreichte, waren nur noch vierFeldzonentürme mit ihren Besatzungen vorhanden.Das kostbare Gerät war bereits auf dem Weg nachoben.

„Das war aber höchste Zeit!“ vernahm DeightonHasselets Stimme. „Sie können Ihren Helm öffnen.Die Luft ist hier gut. Wie benimmt sich Ihr Baby?“

„Großartig. Es hat mehr Verstand, als Sie glauben.Vor allem weiß Lord Zwiebus sehr genau, woGefahren lauern und wo nicht. Er besitzt nochInstinkte, die der heutige Mensch längst verlorenhat.“

„Wie nennt er sich?“„Lord Zwiebus. Ich habe mir erlaubt, ihm einen

vornehmen Namen zu geben. Unter meinen Füßenbebt der Boden. Wo ist mein U-Boot?“

„Verschwunden. Kommen Sie in Turm drei. Wirsteigen gemeinsam auf. Beeilen Sie sich. Inspätestens einer halben Stunde ist hier der Teufel los.Turm drei, rechts von Ihnen.“

Der Bergungsroboter schaltete seinen Schirm ab.Der Neandertaler richtete sich aus seiner gebücktenHaltung auf. Deighton klappte seinen Schutzhelm aufdie Schultern zurück.

Er mußte den Kopf in den Nacken legen, um LordZwiebus in die Augen sehen zu können. Wieder ließder Urmensch ein tiefes Knurren hören. Er betasteteden Boden und stampfte mit dem Fuß darauf. Er warnervös; er wollte warnen.

Deighton nickte nur, deutete auf denFeldzonenturm drei und begann zu rennen. LordZwiebus zögerte keine Sekunde. Er folgte, indem ersich auf die langen Arme sinken ließ und wie einVierbeiner davonsprang.

Deighton erkannte, daß bestimmte Merkmale derAffenmenschen doch noch nicht verschwundenwaren. So schnell, wie der Neandertaler den Turmerreichte, hätte es kein moderner Mensch geschafft.

Die Atomreaktoren der Feldzonentürme liefen aus.Die Energieblase sank in sich zusammen. Danndröhnten die unter Hochdruck stehendenWassermassen gegen die Terkonitflanken der Türme.

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Ihre großen Tauchtanks waren schon vor demZusammenbruch des Energiefeldes gelenzt worden.So geschah es, daß sie mit atemberaubenderGeschwindigkeit nach oben glitten und bald daraufüber der Wasseroberfläche erschienen.

In der Tiefsee aber fand das Wasser einen neuenWeg. Es schoß in den großen Bohrschacht hinein,verdrängte spielend die unter einem weit geringerenDruck stehenden Luftmassen und vermischte sich mitden anderen Elementen.

Der von Dr. Hasselet prophezeite Vulkanausbruchbegann. Er zerstörte das rätselhafte Labyrinth unterder Meeresbodenkruste und verschüttete zu einemgroßen Teil den Tonga-Graben. Die Menschen aufden benachbarten Inselgruppen wurden in aller Eileevakuiert.

Zu dieser Zeit landete Galbraith Deighton bereitsin Terrania. Dringende Nachrichten, die von derHyper-Groß-funkstation der solaren Hauptstadtausgestrahlt wurden, durchrasten Raum und Zeit.

Sie galten Perry Rhodan, dem amtierendenGroßadministrator des Sonnensystems.

Deighton jedoch beschäftigte sich mit seinemSchützling. Unmittelbar nach der Ankunft in Terraniahatte sich Lord Zwiebus verändert. Er war plötzlichängstlich und zurückhaltend geworden. Er knurrtesogar Deighton an.

Die sachliche Erklärung für dieses Verhalten warschnell gefunden. Der Neandertaler hatte kurz nachseiner Erweckung aus dem Tiefschlaf angenommen,er sähe sich Lebewesen gegenüber, die ihn in diesenZustand versetzt hatten. Daher sein Zutrauen, diefehlende Angst und das Selbstverständliche seinerHandlungen.

Nunmehr aber hatte er festgestellt, daß alles ganzanders war als zur Zeit seiner Einschläferung. Erfühlte instinktiv, daß etwas nicht stimmte. So zog ersich physisch zurück, ging in eine gewisseAbwehrstellung und sann darüber nach, waseigentlich mit ihm geschehen war.

Der Fall war für die routiniertenGalaktopsychologen der Solaren Abwehrvollkommen klar. Die seelischen Beweggründe desUrmenschen gaben keine Rätsel auf. Dafür schweltedie ungelöste Frage nach seiner Herkunft nach wievor.

Wer hatte ihn dazu verdammt, zweihunderttausendJahre in einer Energiekonserve schlafen zu müssen?Wer hatte vor einer so langen Zeitspanne die dazuerforderlichen wissenschaftlichen Kenntnissebesessen?

Es mußte sich um Lebewesen gehandelt haben, dieäußerlich dem Neuzeitmenschen glichen, oderZwiebus hätte bei seinem Erwachen anders reagiert.

Galbraith Deighton hatte keine Zeit mehr, sichlänger mit dem Problem zu beschäftigen. Die

Wissenschaftler würden eine Lösung finden.Deighton hatte allerdings das bestimmte Gefühl, alswäre die Angelegenheit mit der Rettung desNeandertalers und dem glücklich überstandenenUntersee-Vulkanausbruch noch nicht abgeschlossen.

Der Fusionsreaktor ging ihm nicht mehr aus demSinn. Wohin war die Energie geflossen? Gab es eineGefahr für die Erde?

Wenige Stunden nach diesen Ereignissen ließ sichDeighton bei Reginald Bull anmelden, demStaatsmarschall und Vize-Großadministrator desSolaren Imperiums. Bull war außer Perry Rhodan derletzte noch lebende Mensch, der vortausendvierhundertneunundfünfzig Jahren mit einemprimitiven Raumschiff den irdischen Mondangeflogen hatte. Er leitete während RhodansAbwesenheit die Staatsgeschäfte.

Deighton nickte dem untersetzten, rothaarigenMann zwanglos zu und suchte sich einen Sessel.Bulls Zimmer glich eher einer Schaltzentrale alseinem Raum, in dem man schriftliche Arbeitenerledigen konnte.

Solarmarschall Julian Tifflor, Oberbefehlshaberder Heimatflotte, Homer G. Adams, ErsterFinanzsenator des Imperiums und Professor Dr.Geoffry Abel Waringer, der ErsteWissenschaftssenator, waren ebenfalls erschienen.

Sie waren die letzten Menschen, die den großenUmsturz überlebt hatten. Jeder von ihnen warAktivatorträger und über tausend Jahre alt.

Bull faßte sich kurz. Deighton fühlte, daß derStaatsmarschall eine anormale Ruhe ausströmte.

„Schwierigkeiten, Sir?“ erkundigte sich derGefühlsmechaniker.

Bull warf ihm einen undefinierbaren Blick zu.„Sie bemerken meine schlecht verborgene

Nervosität, nicht wahr? Ja, es gibt Schwierigkeiten.Perry Rhodan befindet sich auf Epihilon III, demPlaneten Taura. Die Nachricht kam vor einer Stundedurch.“

„Wahnsinn!“ erklärte Deighton.„Sie sagen es. Die Tauraner sind einer der

unsichersten Faktoren in unserer galaktischen Politik.Das System ist noch autark, jedoch wird es von dendrei großen Reichen mit allen Mitteln umworben.Perry hat sich auf ein gewagtes Spiel eingelassen.Davon zeugt schon der Staatsempfang.“

Professor Waringer, der vor etwa tausend JahrenRhodans Schwiegersohn geworden war, wirkte nochimmer wie ein großer Junge mit linkischenBewegungen. Er räusperte sich und fragte:

„Wie - äh - wie sah denn dieser Staatsempfang aufTaura aus? War man unhöflich? Wurden die gültigenRegeln der intergalaktischen Diplomatiedurchbrochen?“

Reginald Bull, von seinen Freunden seit fast

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fünfzehnhundert Jahren „Bully“ genannt, schüttelteden Kopf. Deighton fühlte, daß der Staatsmarschallum den Freund bangte.

„Im Gegenteil, Abel, im Gegenteil! Ihr verehrterHerr Schwiegervater ist mit einem Pomp empfangenworden, daß mir beim Betrachten der überspieltenFilmaufnahmen beinahe übel wurde. Die Tauranersind weder machtlüstern noch wirtschaftlichehrgeizig. Trotzdem lehnen sie großzügigeHilfeleistungen von allen Seiten niemals ab. Zu alldiesen Gummieigenschaften - verzeihen Sie denAusdruck - kommt eine Prunk- undVergnügungssucht hinzu, die mich einigermaßenfassungslos werden läßt. Ein wirtschaftlichunterentwickeltes System, dessen Regierung allenGrund hätte, sich mit Terra zu liieren und vernünftigeHandelsverträge abzuschließen, sollte daraufverzichten, achtzig Millionen Solar aufzuwenden, nurum einen galaktischen Staatsmann zu empfangen.Rhodan war schockiert und wahrscheinlich innerlichniedergeschlagen. Mein Gott - was ist aus den spätenNachkommen jener wagemutigen Kolonistengeworden, die wir vor etwa tausend Jahren miterstklassigen Schiffen und kostspieligenAusrüstungen starten ließen, damit sie sich eine neueHeimat suchen konnten.“

„Was ist denn nun geschehen, Sir?“ unterbrachDeighton mit der ihm eigenen Ruhe.

Bull verlor die Beherrschung.„Die Terraner spielten verrückt. Perry Rhodan

landete mit der INTERSOLAR auf einemRaumhafen, der teilweise mit einem Teppichbodenaus echter Wolle ausgelegt war! Bitte, halten Siemich nicht für verrückt, aber das entspricht denTatsachen. Terranische Schafwolle gehört zu denteuren Handelsgütern der raumfahrenden Völker.Man scherte sich den Teufel um den glühendenDüsenstrahl des Ultraschlachtschiffes, der denRiesenteppich nahezu restlos verbrannte.“

Julian Tifflor begann zu lachen. Er tat es sointensiv, daß Homer G. Adams einfiel.

Bulls Gesicht rötete sich. Ergrimmt schaute er zuden beiden Männern hinüber.

„Wenn ein Raumfahrer über solche Scherze lacht,kann ich es noch verstehen. Ein Finanzminister solltedagegen in Zahlen denken und möglichst in Schweißausbrechen. Sie enttäuschen mich, Homer! Nachdemder Teppich zu einer Masse verkohlt war, wurdeRhodan mit einem Ochsengespann abgeholt.Beherrschen Sie sich, Mr. Deighton. Ich sagte:Ochsengespann! Sie sind ein relativ junger Mann vonknapp vierhundert Jahren. Was ein Ochsengespannist, können Sie eigentlich nicht mehr beurteilen. DieTauraner jedoch hatten die terranische Geschichtestudiert und festgestellt, daß viele Siedler imachtzehnten und neunzehnten Jahrhundert in Afrika

und Amerika mit solchen Fuhrwerken in die Wildnisvorstießen. Was hat man getan! Acht terranischeOchsen - auf der Erde sind sie kaum noch zu haben -wurden angekauft oder gezüchtet, nur damit Rhodanachtspännig abgeholt werden konnte. Unser HerrGroßadministrator saß also auf einem naturgetreunachgebauten Planwagen der mittlerenEntwicklungsepoche und mußte sich vonschnaufenden Horntieren durch die Prachtstraßen dertauranischen Hauptstadt ziehen lassen. Wenn ichdaran denke, wie sehr die ausgeklügeltenSicherheitsmaßnahmen darunter gelitten haben, läuftes mir jetzt noch kalt den Rücken hinunter. Wassagen Sie dazu, Herr Abwehrchef?“

Deighton war der dritte Mann, der zu lachenbegann. Seine Antwort verstand niemand.

Reginald Bull resignierte. Anschließend berichteteer noch von weiteren Dingen, die von dertauranischen Regierung wahrscheinlich als besondereGags zu Ehren ihres terranischen Gastes veranstaltetworden waren. Es war haarsträubend.

Rhodans ochsengezogener Prärie-Planwagen warvon getreu maskierten Indianern und anschließendvon schwarz angemalten Bewohnern desafrikanischen Kontinents überfallen worden. Diedazu erforderlichen Pferde, Wurfspeere und was derDinge mehr waren, hatten Künstler nach historischenVorbildern gefertigt. Homer G. Adams wußte amEnde der Besprechung, daß dieser Spaß bestimmtmehr als achtzig Millionen Solar gekostet hatte. Derkonstant schwindsüchtige Staatshaushalt desEpihilon-Systems war ganz gewiß in Bedrängnisgekommen.

„Die Regierung von Taura dürfte bald um einenAufbaukredit nachsuchen“, erklärte Adams nüchtern.„Aber nicht von uns, bitte sehr! Wenn das ImperiumDabrifa in die Kasse greift, soll es mir recht sein. DerChef des Protokolls dürfte dem Wahnsinn nahe sein.“

Adams ahnte nicht, wie wahr er sich ausgedrückthatte. Das Protokoll war nicht nur völligdurcheinander geraten; der dafür verantwortlicheMann hatte auch sein Amt niedergelegt. Taura, dritteWelt der gelben Sonne Epihilon, hatte seine Nervenzu sehr strapaziert.

3.

Perry Rhodan, der größte und bedeutendste Mannder neuen terranischen und solaren Geschichte, hatteversucht, das Unmögliche möglich zu machen.

Auf Taura, einer erdähnlichen Welt, lebten zweiMilliarden Menschen, die alle von terranischenFrühkolonisten abstammten.

Die gelbe Sonne besaß acht Planeten; Taura wardie dritte Welt. Auch darin glichen die Verhältnisseden solaren Gegebenheiten.

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Rhodan war vor drei Tagen Standardzeit - sieorientierte sich an der irdischen Zeiteinteilung - aufTaura gelandet. Seine Berater hatten vor demUnternehmen gewarnt. Es schien ausgeschlossen, dieBevölkerung dieses Planeten und dieMenschenmassen, die auf den anderen Welten dergelben Sonne lebten, zu Vertragspartnern des SolarenImperiums zu machen.

Rhodan hatte tagelang mit Tauras wichtigstenPersönlichkeiten verhandelt. Man war sehr höflichgewesen, ausgesprochen respektvoll, und der Jubelder Massen schien keine Grenzen mehr zu kennen.

Der Name „Perry Rhodan“ war ein Begriff, dersich mit der Expansion und kulturellen Entwicklungder modernen Menschheit seit dem Jahre 2000 soinnig verband, daß eine Trennung nicht mehrmöglich war. Außerdem wußte man, daß dermächtigste Staatsmann der bekannten Galaxiseingetroffen war.

Der Planet Terra, Mutterwelt der weitverstreutenMenschheit, war ein Symbol. Die Erde und die dortverbliebene Menschheit mit ihrem enormwissenschaftlichen, technischen, wirtschaftlichen undkulturellen Entwicklungsstand wurden auf vielenWelten von der Art des Planeten Taura in höchstenTönen gepriesen.

Die sozialen Einrichtungen der Terraner warenbeispiellos in der gesamten Galaxis. Es gab keinanderes System, das seinen absolut freien undmeinungsungebundenen Bürgern derart hoheSozialzuwendungen bieten konnte. Ein erkrankteroder erholungsbedürftiger Terraner wurde auf Kostendes Imperiums ohne langwierige Amtsvorgänge zuden schönsten und für seinen speziellen Fallgeeignetsten Planeten befördert, um dort unter einemhochwertigen Aufwand an Fachärzten undanderweitig spezialisierten Wissenschaftlern seineGenesung abzuwarten.

Die Solare Großindustrie besaß dieFertigungskapazität von mindestens fünfhundertSternsystemen, die auf Grund ihrer eigenenWarenerzeugung durchaus der Meinung seinkonnten, fortschrittlich, preiswert undkonkurrenzfähig zu sein.

Die Erde und mit ihr die anderen acht Planeten desSolsystems, die Monde eingeschlossen, war nach wievor ein Faktor, der sich weder politisch, militärischoder wirtschaftlich übersehen ließ. Dazu kam dasBewußtsein, daß jedermann indirekt von dieser Erdestammte.

Die Tauraner hatten den Gegebenheiten Rechnunggetragen. Sie hatten ihre Planung überspitzt; aber daswürde ihnen folgerichtig bewußt werden.

Es grenzte schon an Irrsinn, einen Raumhafenteilweise mit einem riesenhaften Wollteppichauszulegen. Die Triebwerke der INTERSOLAR, des

neuen Flaggschiffs der Solaren Flotte, hatten daraufkeine Rücksicht nehmen können. Eine sonnenheißePartikelflut, erzeugt von zwanzig Impulstriebwerkenmodernster Bauart, war nun einmal nicht zurTeppichpflege geeignet. Das hätten die tauranischenEmpfangsplaner berücksichtigen sollen.

Rhodan war dem Weinen näher gewesen als demLachen. Die grinsenden Gesichter derSchiffsoffiziere hatten ihn noch stundenlang verfolgt.Er, der nüchterne Denker und Planer, hatte sich sofortmit den Kosten befaßt. Sie mußten erschreckendhoch sein.

Die Unzahl der angesetzten Empfänge hattenRhodan an den Rand seiner körperlichenLeistungsfähigkeit gebracht. Die fremdartigenDelikatessen aller Art hatten ihm Magenschmerzenbeschert.

Am dritten Tage des offiziellen Staatsbesuches warder Großadministrator in politischer Hinsicht umkeinen Schritt weitergekommen, doch dafür hatte erLand und Leute kennen gelernt. Die Bevölkerung desPlaneten Taura war friedfertig undbegeisterungsfähig. Der Chef des Protokolls - er wardreißig Stunden nach Rhodans Ankunft mit einemNervenschock in die Bordklinik der INTERSOLAReingeliefert worden - bezeichnete die Tauraner als dievornehmsten Selbstmörder der Galaxis. IhrePrunksucht und ihre Eßsitten waren beispiellos.Selbst Perry Rhodan hatte in seinem langen Lebennoch nie so viele dickleibige und selbstzufriedeneMenschen gesehen wie auf Taura.Zweihundertzwanzig Pfund Lebendgewicht gehörtenzur gesellschaftsfähigen Norm. Einhochgewachsener, schmalhüftiger Mann wie PerryRhodan war im Grunde genommen eine Beleidigungfür den Schönheitssinn der Tauraner.

Auf Grund dieser Tatsachen war es nichtverwunderlich, daß die Tauraner bei jeder passendenund unpassenden Gelegenheit versuchten, demRegierungschef und Flottenbefehlshaber des SolarenImperiums die fehlende Speckschicht möglichstschnell aufzuzwingen. Rhodan war noch nie inseinem Leben so satt gewesen wie während desStaatsbesuches auf Taura.

*

Oberst Hubert Maurice, Abwehroffizier und Chefdes für Rhodans Sicherheit verantwortlichenBegleitkommandos, stand kerzengerade aufgerichtetvor dem Großadministrator.

Maurices Blick entging nichts. Er entdeckte einStäubchen auf der Uniform mit ebenso pedantischerSicherheit wie Giftstoffe an der Verfärbung gewisserSpeisen. Man sah ihn niemals herzlich lachen. Seineheftigste Gefühlsäußerung bestand in einem dezenten

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Lächeln.An Maurice war überhaupt alles dezent. Der

Schnitt seiner grauen Haare, der Sitz seiner Kleidung;seine Umgangsformen und sogar seine Stimme hättenzu einem aristokratisch geschulten Superbutlergepaßt. Sein Räuspern war berühmt-berüchtigt. Eskonnte alles bedeuten; auf jeden Fall aber eine Rüge.

Schlank, fast dürr, mit einer Haltung, als hätte ereinen Spazierstock verschlungen, stand er in demAnkleidezimmer.

Die tauranische Hotelverwaltung hatte denRiesensaal jedenfalls mit diesem Begriffgekennzeichnet.

Rhodan war wesentlich weniger dezent, vornehmund zurückhaltend als der Chef desSicherungskommandos.

Er zerrte fluchend an den Magnetverschlüssen derwadenhohen Prunkstiefel, die sich über derhautengen Uniformhose nicht zusammenfügenwollten.

„Ha - hämm ...!“ räusperte sich Hubert Maurice.Rhodan sah auf. Die Haare hingen ihm in der Stirn.

„Fangen Sie nur nicht an zu husten. Was gefälltIhnen jetzt schon wieder nicht?“

„Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Sir,dann...!“

„Sie dürfen sich keine erlauben“, unterbrachRhodan gereizt. „Wer hat die verflixten Stiefelausgesucht? Muß ich die Dinger anziehen? Herr, ichhabe fünf Pfund zugenommen und meine Waden inVerdacht, als hätten sie sich an demFettablagerungsprozeß beteiligt.“

„Gewiß, Sir. Es wäre vielleicht vorteilhaft, dieQuetschfalten aus den Verschlüssen zu entfernen.Wenn Sie die Bemerkung gestatten, Sir.“

Ein helles, fast quietschend klingendes Lachen ließRhodan den Kopf drehen. Er nahm den rechten Fußvon dem Prunklager herunter. Maurice bliebgelassen, zog noch gelassener ein Tuch aus derTasche und wischte über die Stelle, wo Rhodanseinen Stiefel aufgesetzt hatte.

Das Lachen wurde noch schriller. Rhodan standschweratmend und schweißwischend vor dem Lagerund starrte zu dem anderen Sofa hinüber, auf dem essich der Mausbiber Gucky bequem gemacht hatte.

Gucky unterdrückte seine Heiterkeit, wälzte sichherum und lag nun auf dem Bauch.

„Deine Blicke zeugen von bösen Gedanken“,kicherte er. „Warum so nervös? Übermorgen geht esnach Hause. Wird auch Zeit! In Ordnung - ich höre jaschon auf zu lachen. Wer wollte denn unbedingt aufTaura landen, eh? Ich vielleicht? Paß auf, großerFreund: Die Brüder werden dir die Kosten für deinenBesuch irgendwie in Rechnung stellen.“

Rhodan schloß endlich die Stiefelverschlüsse.Maurice musterte ihn aufmerksam.

„Sind der Herr zufrieden?“ erkundigte sich Rhodanmit beginnender Resignation.

„Es wäre hinsichtlich verschiedenerVorkommnisse und der Ermittlungsergebnisse derSicherheitsorgane erforderlich, eine handlicheSpezialwaffe zum Zwecke der Selbstverteidigung zuführen, Sir. Ich darf darauf hinweisen...“

„Mein Gott, seien Sie doch nicht so entsetzlichschwülstig, Maurice. Ich kann es nicht mehr hören.“

„Wie Sie meinen, Sir. Ich darf dennoch mitgebotenem Respekt raten, einen Röhrennadler mitintermittierender Schnellschußfolge undhalbautomatischer Ausfahrmechanik zu tragen.“

Rhodan seufzte. Gucky meinte, die Klimaanlageversage schon wieder. In dem Saal herrschte eineHitze von einundvierzig Grad Celsius.

„Maurice, wie Sie scharfäugig bemerken werden,bin ich bereits angekleidet! Ein Röhrennadler wirdauf der Haut des rechten Unterarmes getragen.“

„Bei Rechtshändern, Sir!“„Ich bin Rechtshänder“, entgegnete Rhodan, und

seine Zähne knirschten.„Ich verdrücke mich“, meinte Gucky und kletterte

von dem Sofa. „Hier wird es mir zu brenzlig. Nein,ich bleibe doch. Vielleicht bekommt MauricePrügel?“

Der hoffnungsvolle Blick des Kleinen erfaßte diebeiden Männer. Maurice blieb unbewegt. Über solcheWorte hörte er hinweg, besonders dann, wenn sie vondem als respektlos geltenden Mausbiberausgesprochen wurden.

Rhodan begann plötzlich so zu grinsen, wie es einGroßadministrator und galaktischer Staatsmann aufkeinen Fall tun sollte.

Er öffnete die Uniformjacke, zerrte sie auseinanderund bemühte sich, die Ärmel abzustreifen.

Maurice schien zu erstarren. Seine Augen quollentatsächlich etwas aus den Höhlen hervor.

Gucky lachte so schrill wie selten. Rhodan hatteplötzlich jede Nervosität verloren.

„Fehlt Ihnen etwas, Herr Oberst?“„Aber - aber Sir, Sie tragen ja weder Unterwäsche

noch Oberhemd! Sir, ich - ich bin entsetzt. Wenn ichmir erlauben dürfte, Sie auf die unumgänglicheEtikette hinzuweisen, so...!“

Es war an diesem Tage Maurices Schicksal,ständig unterbrochen zu werden. Rhodan schlug sichmit beiden Händen auf die nackte Brust, atmete tiefein und reckte sich.

„Herrlich. Ich pfeife auf Ihre Etikette. Wohlfühlenwill ich mich! Und wenn Sie noch längerprotestieren, erscheine ich in der Badehose. Dasdürfte in den Annalen der tauranischenGeschichtsschreibung als unüberbietbarer Gagnachzulesen sein. Also, wo ist der Röhrennadler?“

„Er liegt hinter Ihnen, Sir, auf dem kleinen Tisch“,

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gab Maurice innerlich gebrochen Auskunft.Rhodan nahm die seltsame Verteidigungswaffe

und überprüfte sie. Sie bestand aus einemHochenergie-Abstrahlungsrohr, das von einemblitzschnell reagierenden Schleudermechanismus umfünfunddreißig Zentimeter ausgefahren werdenkonnte. Somit befand sich die Mündung weit genugvor den Fingerspitzen.

Die Reaktionskammer war flach, schmiegte sichder Muskulatur des Unterarmes an und wurde durchzwei selbstspannende Klammern gehalten.

Der Ausfahrmechanismus wurde durch einebestimmte Handbewegung betätigt. Es gehörteÜbung dazu, um den Abstrahllauf des Röhrennadlersnicht bei einem harmlosen Händedruck aus demÄrmel hervorschnellen zu lassen. EineZielvorrichtung gab es nicht. Sie mußte durch daskunstfertige Ausrichten des gesamten Armes ersetztwerden.

Rhodan schaltete auf Sofortschuß. Wenn er dieWaffe zur Selbstverteidigung benötigte, kam es aufZehntelsekunden an.

„Das - das ist aber sehr gefährlich, Sir“,bemängelte Maurice mit einer Spur von Nervosität inder sonst so gelassen klingenden Stimme. „Wenn derNadler versehentlich ausfährt...!“

Diesmal unterbrach sich der Sicherheitsoffizierselbst. Rhodans Blick hatte ihn zum Verstummengebracht.

„Diese USO-Spezialwaffe ist noch niemals ohnemeinen Willen ausgefahren“, wurde Maurice belehrt.„Bitte, helfen Sie mir in die Jacke. Was steht heuteauf dem Programm?“

Das zu erklären, wäre eigentlich Sache desProtokollchefs gewesen. Da er jedoch erkrankt war,hatte sich Maurice auch diesen Dingen gewidmet. Ererledigte sie gewissenhaft und ohne sich jemals zuirren.

„Ein Uhr dreißig Ortszeit, nach dem Essen, zu demSeine Weisheit, der Hohe Verweser allerHafenanlagen, Emined Bain-Bain, eingeladen hat,erfolgt die Besichtigung der neuen vollautomatischenBe- und Entladestationen des Raumhafens vonAghiktare. Ich darf darauf hinweisen, daß EminedBain-Bain als sehr einflußreiche Persönlichkeit imRegierenden Rat des Planeten Taura einzustufen ist.Es wäre ratsam, Sir, den dargereichtenGaumengenüssen mit besonderem Eiferzuzusprechen. Rülpser sind sehr erwünscht und einGebot der Höflichkeit.“

Rhodan stöhnte und betastete seinen Magen.„Gut, ich werde es versuchen. Noch etwas?“Hubert Maurice erklärte die nachfolgenden

Programmpunkte. Der Zeitplan würdeerfahrungsgemäß nicht eingehalten werden. Rhodanhoffte, dadurch unter Umständen die beiden großen

Essen gegen fünfzehn und siebzehn Uhr umgehen zukönnen.

„Andere Völker, andere Sitte“, kicherte Gucky.„Ich werde auf dich aufpassen.“

„Das wäre ratsam!“ beteuerte Maurice. „Taura istein Sammelpunkt für Agenten der drei großenSternenreiche. Durch die bevorstehenden Neuwahlenim Solaren Imperium könnte man sich dazu hinreißenlassen, den aussichtsreichsten Kandidaten für dasAmt des Großadministrators auszuschalten.“

„Sie denken an Mord?“„Jawohl, Sir. Ihr stärkster Rivale, der Kandidat

Herp Isidonis, Administrator des Planeten Mars, wäreunseren politischen Gegnern als neuerGroßadministrator wesentlich willkommener als Sie,Sir. Isidonis ist meiner Auffassung nach nicht derMann, der Sie auch nur annähernd ersetzen könnte.Seine politischen Ziele sind teils absurd,überwiegend aber gefährlich. Sein Radikalismuswürde fraglos zu einem intergalaktischen Kriegführen. Sie wissen, daß Isidonis die unschlüssigenSystemstaaten gewaltsam unter die SolareOberhoheit zwingen möchte.“

Rhodan verzichtete auf eine Antwort.Erinnerungen bedrängten ihn. Er sah sich nochmalszum irdischen Mond fliegen. Er glaubte, die Stimmender Arko-niden Thora und Crest zu hören.

Er entsann sich an das Donnern startenderRaumschiffe, mit denen er in den Jahren zwischen2200 und 2400 Milliarden Auswanderern den Wegzu neuen, unbesiedelten Planeten mit gutenLebensbedingungen geebnet hatte.

Schon damals hatte er gewußt, daß es ihm auf dieDauer nicht gelingen würde, mehr als fünftausendbesiedelte Sonnensysteme als Kolonien der Erde zuerhalten. Die Geschichte der Menschheit bewies, daßes immer und zu allen Zeiten zuFreiheitsbestrebungen gekommen war, die durchWaffengewalt nur kurzfristig unterdrückt werdenkonnten.

Rhodan hatte darauf verzichtet, die abfallendenVölker zu bedrohen, oder sie gar durch die SolareFlotte angreifen zu lassen.

Die heutige Situation war voraus berechenbargewesen. Rhodan hatte sich frühzeitig daraufeingestellt und den besten Weg gefunden, derüberhaupt gefunden werden konnte. Darüber warenaber nur wenige Vertraute informiert.

Rhodan griff zur prunkvoll besticktenDienstmütze. Er wog sie nachdenklich in der Hand.

„Maurice - solange ich lebe und solange ich diegeringste Chance habe, für weitere sechs Jahre dasStaatsschiff des Solaren Imperiums lenken zukönnen, solange wird kein Mensch auf einen anderenMenschen schießen! Ich werde auch dann nicht denFeuerbefehl geben, wenn sich die drei großen Reiche

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entschließen sollten, gemeinsam über das SolareImperium herzufallen. Anzeichen für ein solchesVorhaben sind leider vorhanden. Ich werde sie insLeere stoßen lassen.“

„Wie, Sir?“Rhodan lächelte nur.„Sie sind ein ehrenhafter und vertrauenswürdiger

Terraner, Maurice. Ich habe seit fünfhundert Jahrenfür diesen Fall gewisse Vorbereitungen getroffen. Siewerden rechtzeitig davon hören. Gehen wir? EminedBain-Bain - seltsamer Name! - soll uns nicht derUnpünktlichkeit bezichtigen können. Whisper...!“

Rhodan sah sich suchend um.„Whisper, nun komm schon.“Auf einer Skulptur ruhte ein tennisballgroßer

Gegenstand. Er bewegte sich. Aus dem dunklen Ballschoben sich glitzernde Pünktchen hervor. Sieglichen weiß blauen Brillanten und brachentausendfältig das Licht.

Das Gebilde entspannte sich. Je mehr es seinerunde Form verlor, um so durchsichtiger undstrahlender wurde es.

Nach einigen Augenblicken hatte sich Whispervollkommen entfaltet. Jetzt glich er einem ein Meterzwanzig langen und siebzig Zentimeter breitenGespinst von höchster Feinheit und Transparenz.

Etwa zweihundert strahlende Organe bedecktenden schwarzschimmernden Körper einesLebewesens, das Rhodan vor Jahren gefunden undvor dem Hungertode bewahrt hatte.

Whisper richtete die eine Ecke seines Körpers aufRhodan aus und begann unbeholfen zu flattern. Essah aus, als triebe ein Schal, oder ein Umhang vonfeinster Webart im Winde.

Whisper war hochintelligent und seiner Natur nachein Symbiont. Er war nicht fähig, seineGrundnahrung selbst zu beschaffen. Lebewesendieser Art waren gezwungen, mindestens alleeinundzwanzig Tage mit ihrem gesamten Körper ineine Flüssigkeit einzutauchen, die unbedingteiweißhaltig sein mußte.

Rhodan hatte es mit konzentriertem terranischenMilchpulver versucht. Whisper hatte die Nahrungangenommen und war als zusammengefaltete Kugelin dem Topf verschwunden.

Als er wieder erschienen war, hatte die Flüssigkeitnicht abgenommen, aber sie besaß kein Eiweiß mehr.

Whisper flatterte in all seiner durchsichtigenSchönheit und der strahlenden Pracht seinerzweihundert Außenorgane auf Rhodan zu. Er legtesich mit einem Ende über Rhodans linke Schulter,saugte das andere Ende unterhalb der rechtenAchselhöhle an der Uniform fest und ließ sodannseinen entfalteten Körper nach unten gleiten.

So bildete Whisper einen kurzen Schulterumhangvon exotischer Pracht. Er tastete mit seinen

telepathischen Sinnen nach RhodansWachbewußtsein.

„Du mußt wieder fort?“ vernahm Rhodan diewispernde Telepathieübertragung.

„Leider“, gab Perry in gleicher Weise zurück.Gleich darauf fühlte er Whispers Tätigkeit. DasLebewesen wirkte wie ein Verstärker, der in der Lagewar, Rhodans Sinneseindrücke und die Schnelligkeitseiner Überlegungsvorgänge ums Dreifache zusteigern. Die Anhebung des Gesichtsinnes war sostark, daß Rhodan infrarotempfindlich und dahernachtsichtig geworden war. Rhodans geringetelepathische Gaben konnten allerdings nicht soangehoben werden, daß er wie Gucky telepathischeFernkontakte aufnehmen konnte. Allerdings konnteer parapsychische Anrufe einigermaßen verstehen.

Whisper war zufrieden. Er brauchte nur auf derSchulter zu hängen und den Kontakt aufrecht zuerhalten. Die geringe Energie, die er zur Verstärkungder Sinnesleistungen aufwenden mußte, konnte durchein Eiweißbad leicht ersetzt werden; und - an Bordder INTERSOLAR gab es genug konzentrierteEiweißstoffe.

4.

Der Raumhafen von Aghiktare, der Hauptstadt desPlaneten Taura, war ein Gelände von nurmittelmäßiger Ausdehnung. Dennoch wurden hierHandelsgüter im Werte von etwa zweihundertMillionen Solar pro Planetentag umgeschlagen. Dasrelativ hohe Zollaufkommen ließ die ewigenFinanzkrisen verwunderlich erscheinen; diesbesonders deshalb, weil Taura weder eine Raumflottenoch anderweitige feste militärische Einrichtungenunterhielt.

Nach Rhodans Auffassung und der seinerSachberater wurde auf Taura einfach zuviel Geld fürabstrakte Zwecke ausgegeben. Dieses von Terranernasiatischer Prägung abstammende Volk hatte keinenSinn für die Realitäten des Daseins.

Die neuen Be- und Entladungseinrichtungenentsprachen einem technischen Standard, den manauf Terra und dem Handelsplaneten Mars schon vorvierhundert Jahren zum alten Eisen gelegt hatte.Rhodan war tolerant und liebenswürdig genug, denStolz der Tauraner wegen der „neuen“Errungenschaft nicht zu schmälern. Er fühlte sichnach dem üppigen Mahl im Prunkpalast SeinerWeisheit Bain-Bain zwar dem Erstickungstod nahe;aber das war kein Grund, das höfliche undliebenswerte Volk durch abwertende Bemerkungenvor den Kopf zu stoßen.

Rhodan hatte es sogar über sich gebracht, dieDichtervorlesung eines tauranischen Meistersanzuhören und nach dem Ausruf: „Ich bewundere

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mich“, mit aller Gewalt zu rülpsen und von untengegen die niedrigen Tische zu treten.

Gucky, der Teleporter, hatte fluchtartig den Saalverlassen, um nicht unangenehm aufzufallen.Rhodans Rundreise des guten Willens hatte mit demBesuch auf Taura fraglos eine gewisse Krönungerfahren.

Rhodan wankte im Sinne des Wortes zwischen denrobotgesteuerten Entladungseinrichtungen hindurch.Emined Bam-Bam, ein mittelgroßer Mann vonannähernder Kugelgestalt, erklärte schnaufend,rülpsend und schweißüberströmt die Funktion einesNiederenergie-Nahtransmitters, von dem dierobotisch gelöschten Handelswaren der gelandetenRaumschiffe zu Einheiten von je tausend Tonnenaufgenommen, zieljustiert und direkt in dieLagerhallen der Empfänger abgestrahlt wurden.

Rhodan war hochinteressiert. Seine Bewunderungwar grenzenlos. Die Männer des Sicherheitsdienstes,zu denen auch jene vier Mutanten gehörten, die alseinzige Aktivatorträger die Second-Genesis-Kriselebend überstanden hatten, achteten weniger auf dieüberschwänglichen Erklärungen des HohenVerwesers.

Ihre Aufmerksamkeit galt der unübersichtlichen,von Maschinen eingeengten Umgebung, in der sichleicht hundert und mehr Attentäter versteckenkonnten.

Gucky und Fellmer Lloyd, die einzigenTelepathien, die dem weit zurückliegenden Chaosentgangen waren, lauschten mit ihren Parasinnenaufmerksam auf Hirnimpulse von anomaler Prägung.

Politische Attentate waren neuerdings an derTagesordnung. Darüber war man sogar auf Taurainformiert. Man sah jedoch über dasWachkommando hinweg, als wäre es nichtvorhanden.

Rhodan stand vor dem rotmarkierten Warnkreisdes Versandtransmitters. Vor einigen Augenblickenwar ein Güterschub hindurchgegangen und offenbarrichtig am Ziel angekommen.

„Wir werden die hohen Lagerkosten erheblichsenken können“, erklärte Bain-Bain strahlend. „WieSie wissen, Exzellenz, ist dieser Faktor entscheidendfür einen Hafen mit hohem Umschlag. Nochbedeutender jedoch für einen Planeten, derüberwiegend vom Handel, weniger aber durch dieEigenerzeugung von Gütern aller Art lebt.Lagerkosten und Hafengebühren gehen Hand inHand. Je schneller ein Schiff gelöscht werden kann,um so rascher kann es wieder starten. Also:Ersparnisse in jeder Form. Wir...“

Emined Bain-Bain stieß einen Entsetzensschreiaus. Nur einem zuspringenden Wächter desterranischen Kommandos hatte er es zu verdanken,daß er nicht ebenfalls vom Antigrav- und Saugfeld

eines blitzschnell niederstoßenden Lastenheberserfaßt und in die Höhe gerissen wurde.

Perry Rhodan befand sich näher amWirkungsbereich. Er wollte sich noch zur Seitewerfen, aber es gelang ihm nicht mehr.

Ehe er die Sachlage folgerichtig erfassen konnte,wurde er bereits angehoben und mit einem Schwenkdes Hebers über die Gefahrenlinie desGroßtransmitters befördert.

Zwischen den rotleuchtenden Energiesäulen desWarentransmitters wogte das wesenloseAuflösungsfeld. Rhodans erster und vordringlichsterGedanke war, daß dieses Entstofflichungskraftfeldganz sicher nicht mit einem Empfangsgerät synchrongeschaltet war. Bei einer Abstrahlung bedeutete dasden Tod im Hyperraum.

Oberst Hubert Maurice hatte die Situationebenfalls sofort erfaßt. Seine Männer jedoch starrtenhilflos und mit angeschlagenen Waffen zu ihremobersten Chef hinauf, der soeben von demAntigravheber über die Linie gezogen wurde.

Rhodan hörte die Kommandos. Er vernahm auchdas Schreien der Tauraner und Maurices Stimme.Was gesagt und gerufen wurde, verstand er nicht. Diebeiden Teleportermutanten Gucky und Ras Tschubaiwaren in der Nähe eines arbeitenden Transmittershilflos. Die hyperenergetischen Streustrahlungenverboten einen Teleportersprung von selbst.

Perry Rhodan hörte Ras Tschubai etwas schreien.Er verstand den Sinn nicht. SeineÜberlegungsvorgänge liefen mit atemberaubenderSchnelligkeit ab.

Er konnte sich in dem tragenden und saugendenFeld noch recht gut bewegen. Nur wenige Meterentfernt bemerkte er die flammenden Energiesäulendes Warentransmitters.

Er hatte es Whispers Verstärkungsimpulsen zuverdanken, daß er sich in diesen wenigen Sekundenan die Schaltstation des Lastenhebers erinnerte. Erwar daran vorbeigegangen, hatte sie ohne großesInteresse registriert.

Nun wußte er es wieder. Er warf sich in demtragenden Energiefeld herum.

Weiter vorn, etwa dreißig Meter entfernt, endetendie Energie-Zuführungsleitungen an demverkleideten Kasten, in dem auch derAntigravprojektor installiert war. Das war das einzigebemerkenswerte Ziel, denn es gab keine organischlebenden Attentäter, die seine Männer hättenvertreiben können.

Die Mechanik des Lastenhebers reagierte wederauf Zurufe noch auf schußbereite Waffen. Sie erfülltelediglich eine programmierte Aufgabe, die allerdingsmit teuflischer Schlauheit ausgeklügelt war.

Rhodan sah sein Ziel. Der Lastenheber war so weitherumgeschwenkt, daß die Schaltanlage in Perrys

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Blickfeld geriet.Rhodans rechte Hand fuhr mit einem so scharten

Ruck nach unten, daß sich die Unterarmmuskelnruckartig anspannten. Das war der Auslöser für denMechanismus seines Röhrennadlers.

Das Rohr wurde ausgefahren. DieFeldtrichtermündung schrammte über RhodansHandwurzel, drückte die Finger zur Seite und kametwa fünfzehn Zentimeter vor den Fingerspitzen zumStillstand.

Im gleichen Sekundenbruchteil begann dieprogrammierte Mechanik zu feuern. UltrahelleEnergieblitze zuckten aus der Mündung. Der Strahlererreichte pro Sekunde dreißig Schußfolgen.

Rhodan riß den rechten Arm hoch und visierte mitihm die Schaltstation an. Die sonnenheißenIntervallschüsse zuckten über den Boden hinweg,warfen kleine Glutvulkane auf und wanderten dannin die Höhe.

Nach einer Viertelsekunde hatte Rhodan sein Zielgefunden. Die zweite Thermogarbe berührte denunteren Rand der Schaltstation, kletterte noch etwashöher und schlug anschließend mit all ihrerEnergieentfaltung in die Verkleidung hinein.

Rhodan sah eine Stichflamme emporschießen.Weißglühende Gegenstände flogen davon undexplodierten noch vor dem Aufschlag in der Luft.Beim letzten Schuß der zweiten Nadlergarbedetonierte das große Gerät.

Der Schwenkarm stand plötzlich still; das tragendeEnergiefeld erlosch. Rhodan reagierte instinktiv. Erwarf sich herum, zog die Beine an und versuchte, denAufprall zu mildern.

Er schlug schwer auf dem Stahlplastikbelag desGeländes auf. Ein stechender Schmerz durchzucktesein rechtes Bein. Dennoch gelang es ihm noch, sichnach links davonzuwälzen, um demEntstofflichungsfeld zu entgehen.

Zwei Männer seines Wachkommandos zogen ihnaus dem Gefahrenbereich. Weiter hinten lagenVerletzte. Sie waren von Splittern desexplodierenden Schaltelementes getroffen worden.

„Alles in Ordnung?“ vernahm Rhodan eine lauteStimme. Er sah nach oben. Hubert Maurice knieteneben ihm.

„Ja, ja, es sieht so aus“, entgegnete Rhodan mitkratziger Stimme. „Mein rechtes Bein scheintgebrochen zu sein. Maurice, teilen Sie der Regierungmit, daß ich auf Grund der Vorkommnisse in zweiStunden starte. Alles absagen - alles! Das geht zuweit!“

Maurice ließ seine Männer einen Schutzwallbilden. Die Gäste sahen in die Mündungsfelderterranischer Waffen.

„Das war der ausgeklügeltste Mordanschlag, denich je erlebt habe“, behauptete Maurice bitter. „Es tut

mir leid, Sir. Mit dem Lastenheber habe ich nichtgerechnet. Jemand muß gewußt, haben, daß Sie andieser Stelle stehen würden.“

„Natürlich. Verdächtigen Sie aber nicht Bain-Bain.Er wäre ums Haar ebenfalls erfaßt worden. Raten Sieihm, er sollte sich seine Mitarbeiter ansehen.“

*

Die INTERSOLAR startete genau zwei Stundennach dem mißlungenen Attentat. Die Regierung desPlaneten Taura und des Epihilon-Systems waruntröstlich; aber Rhodan hatte sich nicht erweichenlassen.

Der Staatsbesuch war schneller beendet worden,als es die daran Beteiligten angenommen hatten.

Rhodan sah den Planeten auf den Bildschirmenkleiner und kleiner werden. Schließlich wurde er zueinem Leuchtfleck unter Milliarden anderenLeuchterscheinungen.

Die Oberschenkelfraktur, die er sich bei demAbsturz zugezogen hatte, schritt bereits demHeilungsprozeß entgegen. Das nach der Einrichtungeingespritzte Biomolplast-Kunstgewebe arbeiteteschnell und sicher. Druckfelder mit individuellangepaßter Stärke und Formgebung hielten diebeiden noch getrennten Knochenenden haargenau inder natürlichen Streckung.

Andere Mittel, die direkt das harteKnochengewebe angriffen und es zu einertausendfach schnelleren Neubildung über derBruchstelle anregten, sorgten für einen raschenHeilungsverlauf.

Während Rhodan in der Bordklinik lag, hörte ersich die Berichte an. Taura war für das SolareImperium verloren. Die Machthaber desCarsualschen Bundes, ein aus drei Ertruserngebildetes Triumvirat, waren wahrscheinlich für denAnschlag verantwortlich.

Exakte Beweise gab es nicht. Fest stand nur, daßRhodan verloren gewesen wäre, wenn er sich nichtselbst geholfen hätte. Maurice hatte zwar ebenfallsdaran gedacht, den Lastenheber stillzulegen, aber erhatte nicht schnell genug die Schaltstation findenkönnen.

Die INTERSOLAR ging in den Linearraum mitKurs auf das Solare System. Die Reise des gutenWillens war beendet.

5.

Unter der Bevölkerung des Solsystems gab eseinige hunderttausend Sektierer und ewigUnbelehrbare, die der Auffassung waren, die besteRegierungsform für ein großes Sternenreich mitseinen überwältigend großen Problemen sei eine

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Diktatur.Perry Rhodan, die Minister seiner

Regierungsmannschaft und zahlreicheFachwissenschaftler hatten seit Jahren vergeblich zuunterrichten versucht. Besonders Rhodan, der bereitsvor fast fünfzehnhundert Jahren Diktaturen in allihrer Verwerflichkeit, Brutalität undMenschenunterdrückung kennen gelernt hatte, warals ständiger Mahner aufgetreten.

Seine Argumente waren einleuchtend. Hätte er zuMenschen sprechen können, die Mitte des 20.Jahrhunderts, also zu Rhodans Jugendzeit, ihr Hauptvor uniformierten Verbrechern hatten beugenmüssen, so hätte er es einfacher gehabt. Nun aber, imJahre 3430, konnte man sich nach einerfünfzehnhundertjährigen demokratischenRegierungsform mit ihren Vorteilen für jedermannnicht mehr vorstellen, man könnte beispielsweisegezwungen werden, auf das Recht der Beschwerdeund freien Meinungsäußerung zu verzichten.

Wenn Rhodan anführte, zu diesen düsteren Zeitendes Planeten Erde sei man sogar wegen seinerbevorzugten Kleidung oder Haartracht bestraftworden, so erntete er Gelächter.

Ein Argument jedoch gab zu denken: nämlich dasBeispiel des Imperiums Dabrifa. Rhodan hattebeweisen können, daß eine so genannte „gemäßigte“Diktatur immer in einer Gewaltdiktatur endete.

Totalitäre Herrscher, die aus Gründen derpolitischen Zweckmäßigkeit und derMassenverdummung genügend Intelligenz undpsychologisches Einfühlungsvermögen aufbrachten,um so lange wie möglich den Anschein einergewissen persönlichen Freiheit ihrer Bürgerschaft zuwahren, wurden in dem Augenblick zu gnadenlosenBestien, sobald ihre Macht gefährdet war.

Dann zeigten sie ihr wahres Gesicht. Dann ließensie ihre Geheimpolizei ohne richterliche Verfügungschalten und walten; dann marschierten ihre Armeenund starteten ihre Raumflotten zu Blitzkriegen undÜberfällen ohne vorangegangene Kriegserklärungoder sonstige Warnungen.

Ein Terraner, ein Soziologe, hatte einmal gesagt:„Diktatoren mit Verstand verstehen es, den

Anschein des Rechts so lange zu wahren, bis siedurch die Bedrohung ihrer eigenen Person ihretatsächliche Hemmungslosigkeit offenbaren müssen.“

Ein Diktator dieser Art war Imperator Dabrifa,Herrscher über das große Sternenreich mit deroffiziellen Bezeichnung Imperium Dabrifa. Er warein kluger, gewandter Mann mit gepflegtenManieren; ein geistvoller Plauderer mitumfangreichen Kenntnissen auf vielen Gebieten undder strahlenden Herzlichkeit eines duldsamen Vatersder Nation.

Dabrifa war in der Lage, jeder Situation gerecht zu

werden; auch solchen Dingen, die weit außerhalbseines Interesses lagen. Diese allerdings wurdenblitzschnell, möglichst unauffällig und mitgnadenloser Härte bereinigt.

Seine Zurschaustellung war eine Mischung ausAbsolutismus und gemäßigter Diktatur. Sein Wortgalt; seine Meinung hatte die Meinung der von ihmbeherrschten Völker zu sein.

Rhodan hatte Dabrifa als typisches Beispiel einesMachthabers gewählt, der bis zum Extrem einedemokratisch-freiheitliche Regierungsorientierungvorgaukeln konnte. Man hielt ihn für gemäßigt, aberer war es nicht.

Perry Rhodan hatte die Zweifler im eigenenSonnensystem gewarnt. Er war auf Unglaubengestoßen. Gerissene Diktatoren waren und bliebenglänzende Schauspieler.

*

Die Grotte war klein, dürftig beleuchtet undspartanisch eingerichtet. Notfalls fanden in ihr jedochfünfzig bis sechzig Personen Platz.

Der einzige Zugang lag unter derWasseroberfläche eines Meeres, das auf Nosmo, demZentralplaneten des Imperiums Dabrifa, den Rufseltene Schönheit und herrlicher Küstenlandschaftengenoß.

Dabrifala, die Hauptstadt des Planeten und desSternenreiches, lag nur wenige Kilometer entfernt anden Flanke einer großen Bucht.

Die terranischen Kolonisten, die vor etwaneunhundert Jahren auf Nosmo gelandet waren,hatten gewußt, warum sie ihre erste Ansiedlung ander Küste dieser Bucht erbauten.

Sie war landschaftlich reizvoll, bot ein gesundesKlima und weite Strande. Die umschließendeBergkette hielt die heißen Winde der Hochebene ab.

Diese Hochebene wiederum war mit einemLuftfahrzeug in wenigen Minuten zu erreichen. Siewies einen durchgehenden felsigen Untergrund aufund hatte dadurch die Festigkeit und Stabilität, dieman zur Errichtung eines Raumhafens benötigte.

Dabrifala war die Perle des Imperiums Dabrifa,das nach dem letzten Stand der Expansionskladdesechshundertvierzehn Sonnensysteme mit vielenbewohnbaren Planeten beherrschte.

Die so genannte Expansionskladde war im Grundenicht mehr als eine sorgsam geführte Liste übererfolgreiche Eroberungen fremder Welten.

In der Grotte hielten sich etwa zwanzig Personenauf. Man hätte sie für Terraner halten können.

Sie besaßen moderne Strahlwaffen irdischerFertigung und schienen entschlossen zu sein, sie imGefahrenfalle auch anzuwenden. Die Läufe warenauf den Wasserspiegel eines fast runden Beckens

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gerichtet.„Sichern Sie doch Ihre Waffen“, bat einer der

Männer mit steigender Nervosität. „Eine unbedachteBewegung, und Sie erschießen eine der größtenPersönlichkeiten der Galaxis.“

Einer der Bewaffneten drehte den Kopf. Er schauteden Mahner düster an.

„Wenn er vor seinem Auftauchen nicht dieKodesonde mit dem für heute gültigen Signalablaufen läßt, werden wir schießen. Sie sind aufNosmo, mein Bester! Hier kann einWiderstandskämpfer nur dann überleben, wenn erjeweils um eine Zehntelsekunde schneller ist. Dassollten Sie als USO-Spezialist wissen. Außerdemsind Sie doch wohl schon lange genug hier, um dieVerhältnisse zu kennen. Dabrifas Polizei ist hart imNehmen, noch härter im Geben. Also verzichten Siebitte auf Belehrungen, die auch Ihr Leben kostenkönnen.“

Major Arfin Stregman, aktiver USO-Spezialist undChef des USO-Geheimkommandos auf derHauptwelt des Imperiums Dabrifa, preßte die Lippenzusammen. Er trug noch den Froschmannanzug, mitdem er den Kanal zwischen dem Ozean und derGrotte durchschwömmen hatte. Sie lag auf demNiveau der Meeresoberfläche.

Er versuchte es noch einmal. „Lordadmiral Atlanist unter größten Schwierigkeiten und in Maske aufNosmo gelandet, um mit Ihrer OrganisationVerbindung aufzunehmen. Sie sollten nicht dasRisiko eingehen, ihn durch ein denkbares Versagender Sonde zu töten.“

„Sie versagen niemals“, wurde Stregmanabgewiesen. „Seitdem die Khonan-Tap existiert, hates noch nie technische Mängel gegeben. Sollte esjedoch einmal dazu kommen, dann werden wirentsprechend handeln.“

„Also feuern?“„Was dachten Sie! Die Gesetze einer

Unterorganisation mit weit verzweigtenVerbindungen, zahlreichen Nebengruppen undlebenswichtigen Geheimdepots sind streng. Wirkönnen es nicht wagen, den Fall eines Versagers inBetracht zu ziehen und deswegen um eine Sekundezu spät zu schießen. Auch wenn wir dabei eineneigenen Mann töten - es muß sein! Sicherheit gehtüber alles. Sehen Sie jetzt klar?“

Omarin Ligzuta, der geheimnisvolle, seit Jahrengesuchte Chef der Widerstandsbewegung gegen denImperator Dabrifa, hatte laut und sachlichgesprochen. Es war ein älterer, grauhaariger Mannmit zerfurchten Zügen und klugen Augen.

„Dann wollen wir hoffen, daß Ihreüberholungsreifen Signalsonden auch in diesem Fallefunktionieren“, resignierte der USO-Major.

Ligzuta konterte schnell und vorwurfsvoll.

„Wenn die USO und die Solare Abwehr unserendringenden Bitten um Lieferung von Waffen,Material aller Art und Nahrungskonzentratenschneller und besser entsprochen hätten, brauchtenSie sich jetzt nicht um die Funktionstüchtigkeit einesschwimmenden Kodegerätes zu sorgen. Sie habensich erst an uns erinnert, als wir Ihnen diebevorstehende Geheimkonferenz auf unseremPlaneten meldeten. Da sind Sie munter geworden,nicht wahr? Das scheint typisch zu sein. Man wirderst dann reichlich unterstützt, wenn es gefährlichwird. Ich sage Ihnen nochmals, daß Dabrifa, dieHerrscher des Carsualschen Bundes und einigeKalfaktoren der Zentralgalaktischen Union hierzusammenkommen, um das Solsystem zu überfallen.Das dürfte gar nicht mehr so lange dauern. Haben Siewenigstens unsere Berichte undErkundungsergebnisse an den Lordadmiraldurchgegeben?“

„Wort für Wort“, bestätigte der Major peinlichberührt. Die Kämpfer gegen die Diktatur auf Nosmowaren in der Vergangenheit tatsächlich etwasvernachlässigt worden.

Arfin Stregman entschloß sich, dazu noch etwas zusagen.

„Was die Lieferung von Verteidigungswaffen,atomaren Einsatzmitteln und sonstigen Güternanbelangt, mußten wir vorsichtig sein. Atlan undRhodan sind strikt dagegen, Hochenergiegeräte allerArt an ... sagen wir ... Gruppen auszuhändigen, derenZielsetzung nicht in jedem Falle mit der Befriedungder gesamten Menschheit identisch ist.“

Omarin Ligzuta blieb auffallend sachlich.„Akzeptiert, Herr Major! Nur deshalb haben wir

nicht härter gedrängt. Mittlerweile sollten Sie aberwissen, was hier gespielt wird. Wenn es uns gelingt,Dabrifa zu stürzen und mindestens fünfzig Prozentseiner Mordschergen zu isolieren, wird es keinImperium Dabrifa mehr geben. Wir haben besteVerbindungen zu maßgeblichenFlottenbefehlshabern. Glauben Sie nur nicht, aufNosmo und den anderen Planeten des Imperiumswäre jedermann mit dem Terror einverstanden.“

„Der Chef der USO wird Ihnen alles erklären.Wollen Sie nicht doch Ihre Strahler sichern?“

Ligzuta schüttelte den Kopf. DieSelbsterhaltungsgesetze der Khonan-Tap warentatsächlich hart.

*

Das dunkle Wasser wurde plötzlich aufgewühlt.Ein nur fingerlanger, torpedoförmiger Körper schoßinfolge seiner Geschwindigkeit aus dem nassenElement hervor, fiel zurück und kam zur Ruhe. Diewinzige Schraube lief aus.

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Aus dem verdickten Vorderteil zucktenLichtblitze. Sie waren von rhythmischer Folge.

„Gut, Tageskode erkannt“, erklärte ein Techniker,der die Lichtsignale mit einem röhrenförmigenTastergerät aufgenommen und sie in derelektronischen Klarschrift identifiziert hatte.

Die Vertreter der Khonan-Tap schoben dieSicherungen herum. Die Feldmündungen der Strahlerflimmerten zwar immer noch, aber jetzt konntewenigstens nicht aus Nervosität geschossen werden.

Nur wenige Augenblicke später wurden dieKonturen eines Schwimmers erkennbar. Auf seinerBrust hing ein leistungsfähiges Atemgerät, das keineLuftblasen aufsteigen ließ. Sie konnten bereits dasLeben kosten.

Die zahlreichen Schnellboote und Küstengleiterder Polizei warfen augenblicklich hochexplosiveWasserbomben, sobald ein nicht registrierterSporttaucher geortet wurde.

Atlans Körper glitt durch den Schraubendruck desOttergerätes halbwegs aus dem Wasser hervor.

Omarin Ligzuta schaute unvermittelt m dieMündung eines Hyperschallstrahlers, der auch unterWasser angewendet werden konnte. Atlan hatte nichtgesichert!

„Vorsichtig ist er auf alle Fälle“, meinte der alteMann, und ein Lächeln erschien auf seinen Lippen.„Willkommen, Sir. Wir ... Nanu, Sie tragen ja nureine Badehose? Das ist gefährlich! Zehn Meter unterder Küste verläuft eine eiskalte Strömung.“

Mehrere Männer reichten dem Arkoniden dieHand und zogen ihn aus dem Wasser. Atlansweißblonde Haare wurden im Nacken von einemelastischen Band zusammengehalten.

Er zog das Mundstück des Atemgerätes zwischenden Lippen hervor, atmete tief ein und sah sich um.Jemand legte ihm eine Decke um die Schultern.

„Danke, das tut gut. Das Wasser ist ab acht Metertatsächlich eisig.“

„Gut gegen Ortungen aus der Luft“, erklärteLigzuta. „Man kann nicht vorsichtig genug sein. Siesind also der sagenhafte Ex-Imperator desArkonidenreiches?“

Atlan wischte sich das Gesicht ab. Stregmanmassierte seinen Rücken.

„Sie sagen es. Das ist seit tausend Jahren vorbei.Die neue Blütezeit der Arkoniden betrifft mich nichtmehr. Habe ich das Vergnügen mit dem Chef derKhonan-Tap, Professor Omarin Ligzuta?“

Der grauhaarige Widerstandskämpfer lachte bitterauf.

„Vielen Dank für den schönen Titel, Sir. Den gibtes hier nicht mehr. Ich bin dem Rang nach einFachlehrer; Dozent für neuere Geschichte aufNosmo. Selbstverständlich gibt es keinenlinientreueren Mann als mich. Ich verkehre im Palast

des Imperators, besitze Auszeichnungen überAuszeichnungen und was der Dinge mehr sind.“

„Ich verstehe, Professor.“„Ich hoffe es, Sir. Wie ich hörte, sind Sie in der

Maske eines galaktischen Freihändlers gelandet. Sehrgut. Kennen Sie unsere letzte Liste?“

„Wenn Sie die Aufstellung über Ausrüstungsgüteraller Art meinen - ja!“

Ligzutas Gesicht spannte sich.„Und? Wie ist die Meinung der unendlich Reichen

und Mächtigen?“Atlan musterte den Wissenschaftler.„Für Sie positiv. Unendlich reich sind weder Perry

Rhodan noch ich, aber wir werden bedeutende Mittelaufwenden, um Sie und Ihre Leute zu versorgen. DieBerichte über Ihre Tätigkeit lauten zufrieden stellend.Sie gehören offenbar auch nicht zu jenen Hitzköpfen,die seit allen Zeiten der Meinung waren, mit einempolitischen Attentat die Galaxis umkehren zu können.Sie handeln überlegt, gewinnen daher Freunde überFreunde und unterminieren ein System, das wirverurteilen müssen. Sie erhalten die angefordertenWaffen und Geräte. Die KULAMORT, meinangeblicher Freifahrer-Frachter, ist mit dreißigProzent seiner Ladekapazität für Sie bestimmt.“

„Ich - ich kann es kaum glauben!“ zweifelte derWissenschaftler, und seine Stimme bebte.

„Sie dürfen es glauben. Wenn das Solare Imperiumerst einmal entschlossen ist, geknechteten Menschen,die schließlich indirekt von der Erde abstammen, zuhelfen, dann leistet man hundertprozentige Arbeit.Das trifft auch für die USO zu. Wir haben IhreAufstellung noch etwas ergänzt.“

„Inwiefern?“„Wir liefern Ihnen Kleintransmitter mit autarker

Energieversorgung. Sehen Sie sich diese Grotte an.Sie besitzt nur einen Zugang. Wenn Sie hier einmalwährend einer Versammlung geortet werden, sitzenSie in der Mausefalle. Um das zu verhindern, stellenwir Ihnen Kleintransmitter mit einerTransportkapazität von zweihundert Masseneinheitenzur Verfügung. Das entspricht dem Gewicht und derKörpermasse von zwei voll ausgerüsteten Personen.Dazu kommen noch siganesischeMikroausrüstungen, mit denen Sie der hiesigenGeheimabwehr größte Sorgen bereiten können. SindSie zufrieden?“

Omarin Ligzuta streckte zögernd die Hand aus.Atlan drückte sie fest.

„Der Frachter ist ein speziell präpariertesVersorgungsschiff: für Widerstandskämpfer. DieAusrüstungsgüter sind in der Ladung verborgen.Befürchten Sie keine Entdeckung. Wir wissen, wiewir die Zolluntersuchungen des Imperiums Dabrifazu umgehen haben. Das wäre alles, was Sie in dieserHinsicht interessieren könnte. Nun berichten Sie mir

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bitte, ob die Meldungen über eine bedeutungsvolleZusammenkunft der Machthaber von Carsual,Dabrifa - und der ZGU richtig sind, ob manübertrieben hat, oder ob Sie gar übervorsichtig in derBeurteilung waren. Was wird auf Nosmo gespielt?“

Der Chef der Khonan-Tap begann mit seinenErklärungen.

Atlan lauschte zwei Stunden lang, sah sich Plänean und hörte anschließend den Kommentar desUSO-Kommandeurs auf Nosmo.

Major Arfin Stregman verschleierte nichts. Er warein routinierter USO-Mann.

„Hier, das ist der Sonnenpalast des Imperators; sogenannt, weil dreißig in Antigravfeldern kreisendeAtomsonnen den hundert Quadratkilometer großenPark beleuchten. Ein atemberaubendes Schauspiel beiNacht. Der Park ist quadratisch. Fast genau imMittelpunkt erhebt sich der Palast; ein Gebäude mitmodernsten technischen Einrichtungen und in derTrichterform der Arkoniden erbaut.Sockeldurchmesser fünfhundert Meter, lichte Weiteder obersten Trichterrundung dreitausend Meter;Höhe ebenfalls dreitausend Meter. Ringstraßen inSerpentinwindungen sind an den Außenwandungenvorhanden. Der obere Kranz ist durchweg alsLandeplatz für Luftgleiter ausgebildet.

Weitere Gebäude dieser Art, jedoch wesentlichkleiner, sind vorhanden. Die Sicherungsmaßnahmensind atemberaubend.“

„Kostenpunkt fünfhundert Milliarden Solar,ungefähr“, stellte Atlan trocken fest. „Der Herrversteht zu leben.“

„Und wie! Der Trichterbau enthält in seinergewaltigen Innenrundung die phantastischsten Geräteder bekannten Galaxis. Schwimmbäder, Studien,Wandelgänge, interne Lauben, einen kleinen See mitimportierten Saurierungeheuern und was derVergnügungen mehr sind, wurden eingebaut. EinEindringen in den Sonnenpalast ist für normaleMenschen unmöglich. Mutanten versagen wegen derhochgezüchteten mechanischen Para-Abwehr. JedesLebewesen mit anomalen Hirnfrequenzen, die ja fürechte Mutanten typisch sind, werden augenblicklichund warnungslos angegriffen. Es gibt Tausende vonSpezialrobotern, die lediglich auf Mutantenreagieren. Wenn also die von Herrn Ligzutaausgekundschaftete Besprechung derRegierungschefs tatsächlich im Sonnenpalaststattfindet, können weder Normalmenschen nochMutanten eingesetzt werden. Außerdem verfügen wirnur noch über vier parapsychisch begabteLebewesen. Die Blütezeit der Mutanten ist durch dieErfindung der Para-Abwehr endgültig vorbei. Manweiß sich neuerdings vor Rhodans Elite-Spezialistenzu schützen.“

„Wem sagen Sie das! Ich habe die

Second-Genesis-Krise erlebt. Dabrifas Zellaktivatorstammt fraglos von einem Mutanten, der imGen-Wahnsinn verstarb. Wie geht es weiter?“

„Die Besprechung der Machthaber von Carsual,Dabrifa und der Zentralgalaktischen Union ist fürheute angesetzt. Uhrzeit einundzwanzig,Planetenrhythmus. Nosmo rotiert in 27,3 Stunden umseine Polachse. Es wird offiziell ein pompöserEmpfang stattfinden. Alles, was Rang und Namenhat, dürfte in den inneren Gärten lustwandeln.Professor Ligzuta ist ebenfalls eingeladen.“

Atlan nickte dem Wissenschaftler anerkennend zu.„Maßarbeit, Professor. Ich bedaure nicht, meinem

Freund Perry Rhodan geraten zu haben, Sierückhaltlos mit Material zu unterstützen. Was könnenSie persönlich tun, um das Ergebnis der Konferenzzu erfahren?“

„Überhaupt nichts, Sir“, bedauerte OmarinLigzuta. „Es ist ausgeschlossen. Der Palast ist einLabyrinth, das wir nur annähernd kennen. Sie müssenIhre besten Spezialisten einsetzen, oder wir erfahrennie, was dort geplant wird. Die Installation vonAbhöranlagen oder die Anwendung vonstrahlgerichteten Fernmikrophonen ist wegen derStörstrahlung und der Eigenfrequenzortungunmöglich. Dabrifa versteht es, sich abzusichern.Leider hat mir Major Stregman nicht mitteilenwollen, welche Maßnahmen er bereits ergriffen hat.Das haben Sie doch getan, oder?“

Atlan begann zu lächeln. Stregman warf ihm einenbezeichnenden Blick zu.

„Sie unterschätzen die Kommandooffiziere derUSO, Professor.“

Atlan schaute Stregman an.„Wenn ich mich nicht irre, haben Sie an eine

siganesische Erkundung gedacht?“„Genau, Sir. Nur die kleinen Männer von Siga

haben eine Chance, überhaupt in den Palastvorzudringen. Sie werden mit Ligzutas Gleiter dieäußeren Sperrzonen durchdringen und dannversuchen, die Unterredung zu belauschen. Hier sinddie genauen Details. Ich bitte um Ihre ungeteilteAufmerksamkeit, meine Herren ...!“

6.

USO-Spezialist Captain Szark Kalutsin war einSiganese und 15,1 Zentimeter groß. Er galt seinerAusbildung nach als Fachmann zum Durchdringenvon Energiefeldern.

USO-Spezialist Leutnant Barna Olphener stammteebenfalls von Siga und war 15,3 Zentimeter groß. Erwar der Maskenkünstler des Zweimann-Teams.

Die beiden umweltangepaßten Menschen standenseit achtzig Jahren in den Diensten der USO. Siewaren zuverlässig, tausendfach bewährt und hielten

22

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überhaupt nichts von der gewaltsamenUnterdrückung des menschlichen Individuums. Daswar gut so!

Beide „Männer“ hatten einen Auftrag erhalten, dersie das Leben kosten konnte. Daran aber war manunter den USO-Spezialisten seit einem Jahrtausendgewöhnt. Lordadmiral Atlan hatte selten Einsätzeanzubieten, die nicht lebensgefährlich gewesenwären.

Nur solche Lebewesen, die weder ein mutiertesund daher anpeilbares Mutantengehirn, oder dienormale Körpergröße eines Terraners besaßen,konnten in der Lage sein, in den Sonnenpalast desImperators Dabrifa unerlaubt einzudringen undüberdies Ermittlungen einzuleiten, die man nur durchUnauffälligkeit und blitzschnelles Ausweichen imGefahrenfalle zu Ende führen konnte.

Die zwei Siganesen waren ein Team mitausgefeilten Fähigkeiten und einem großenErfahrungsschatz.

Professor Odarin Ligzuta war pünktlicherschienen.

Für die Siganesen war es eine Kleinigkeitgewesen, sich in dem angemeldeten, positronischregistrierten und daher unverfänglichen Luftgleiter zuverstecken, obwohl er von Spürgeräten durchsuchtworden war. Ligzuta war zwar ein offiziell geladenerGast, was aber nicht ausschloß, daß man ihn trotzdemgenau kontrollierte. Er hätte keine Bombe in denPalast bringen und sie in selbstmörderischer Absichtzünden können.

Verzweiflungsattentäter dieser Art hatte es aufNosmo schon mehr als einmal gegeben. Keiner hattesein Ziel erreicht: die Beseitigung des Diktators.

So waren die beiden Mikro-Spezialistenunauffällig durch die Schutzschirme und in denInnenhof des riesigen Bauwerkes gekommen. Esglich einem gewaltigen, auf seinem dünnen Stilstehenden Trichter, der seine weite Eingußöffnungvertikal in die Luft reckte. Diese Bauweise hatteImperator Dabrifa von den alten Arkonidenübernommen.

Der Innenhof durchmaß drei Kilometer. Je tieferman kam, um so geringer wurde der Abstandzwischen den schräg abfallenden Seitenwandungen.

Ganz unten, dort, wo der fünfhundert Meterdurchmessende Sockel endete, gab es den ebenfallsfünfhundert Meter durchmessenden See, in dem sichUngeheuer fremder Welten tummelten.

Die Anlage war architektonisch bedeutsam undstatisch überragend. Niemand wußte allerdings, wietief der Trichtersockel in den Boden reichte und wieer sich dort ausbreitete. Man ahnte nur, daß dort diegroßen Maschinenanlagen untergebracht waren.Dazu zählten noch einige Tiefbunker, die man demHörensagen nach kannte.

Szark Kalutsin und Barna Olphener kümmertensich nicht um die Energieversorgung desSonnenpalastes. Ihnen kam es darauf an, sich nachdem geglückten Durchdringen der Außensperren anjene Personen zu heften, die wenig später eineGeheimkonferenz im unauffälligen Rahmen einergesellschaftlichen Veranstaltung abhalten würden.

Die Art der Zusammenkunft war typisch für einenphantasiebegabten Mann wie Dabrifa. Natürlich hätteer auch mit einem Raumschiff starten und im freienRaum seine Bundesgenossen treffen können. Er hätteüberhaupt die Möglichkeit besessen, die Besprechungan allen nur denkbaren Orten abzuhalten, oder sie garoffiziell als Staatsbesuch zu tarnen.

Er hatte nichts dergleichen getan. SeinerWesensart entsprach das Ränkespiel mit tausendHintertüren. Er berauschte sich an dem Gedanken,vor aller Öffentlichkeit etwas durchzuführen, wasnormalerweise anderweitig hätte geregelt werdenkönnen.

Das war ein Fehler gewesen; ein Fehler, wie er fürdurchaus kluge und vorsichtige, hier und da aberselbstüberhebliche Diktatoren typisch war. Dabrifahatte das Stadium der gewissenhaften Selbstkontrollebereits überschritten. Er näherte sich der Periode desSiegesbewußtseins. Damit hatte er bereits viel vonseiner ursprünglichen Gefährlichkeit eingebüßt.

Im weitgeöffneten Kelch einer exotischen Pflanzelag ein kleiner Mann. Die Pflanze war so kräftig, daßsie die wenigen hundert Gramm Körpergewichttragen konnte. Die geringfügige Neigung des Kelcheswar unauffällig. Er war ohnehin erst aufgegangen, alsdie dreißig Atomsonnen über dem weiten Park ihrkünstliches Feuer entzündet hatten.

Im Innenraum des Trichterpalastes gab es keineandere Leuchtquelle. Die Kunstsonnen ersetzten dasTageslicht.

Allein die Innenräume, die sich alle zwischen deräußeren und inneren Trichterwandung befanden,wurden künstlich erhellt. Das war aber immer so. Diein der Mitte gelegenen Säle erhielten nie wirklichesSonnenlicht.

Ein Ziervogel von leuchtender Gefiederprachtüberflog den See der Ungeheuer. Niemand achteteauf ihn. Es war ein Barracu, im Rumpf dreizehnZentimeter lang und mit einem Federschweif vonzweiundzwanzig Zentimetern ausgestattet.

Das metallisch leuchtende Rot seiner Bauchseite,das blauschwarze Rückengefieder und dieockergelben Schwingenfedern waren von einmaligerSchönheit.

Barracus waren Exportvögel einer fremden Welt.Sie galten als gelehrig, zutraulich und sprachbegabt.Hunderte ihrer Art bevölkerten den terrassenförmigabgestuften Innengarten des Trichterpalastes.

Der Vogel landete mit kräftig flatternden

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Schwingen auf dem Zweig, an dessen Ende sich derKelch mit dem USO-Spezialisten befand.

In der Bauchseite öffnete sich ein Luk. Ein kleines,grünhäutiges Gesicht schaute hervor. Es wurde vonden künstlich hergestellten Federn eingerahmt.

Kalutsin drehte sich um und richtete sich auf dieKnie auf. Er trug einen Kampfanzug siganesischerFertigung, Die meisten Teile waren so klein, daß sieein menschliches Auge kaum noch hätte wahrnehmenkönnen. Siganesen dachten in anderenGrößenverhältnissen.

Der angebliche Vogel, in Wirklichkeit eineFlugmaschine der siganesischen Maskenkunst, hüpftenäher. Der Zweig beugte sich nach unten.

„Vorsicht!“ schrie Captain Szark Kalutsin.Er konnte es wagen, zu „schreien“. Sein

Stimmchen war so dünn, daß sogar ein Wächter mitsehr scharfem Gehör aus nächster Nähe nichts mehrvernommen hätte.

„Wie sieht die Lage aus?“ erkundigte sich derEinsatzleiter gemäßigter. „Hast du sie gesehen?“

„Alle“, rief Barna Olphener, der Maskenfachmann,aus dem Brustluk zurück. „Dabrifa gefällt sich nochin der Rolle des exzellenten Gastgebers. Er macht dieHonneurs. Ich saß übrigens auf seiner Schulter undließ mich füttern.“

„Bist du wahnsinnig geworden?“Olphener kicherte.„Durchaus nicht. Keine Beleidigungen, bitte. Was

hätte ich mit meiner Außenaufnahme sonst anfangensollen? Das Stimmengewirr der Riesen überlagertejedes interessante Wort. So aber konnte ichzusammen mit Dabrifa Wege beschreiten, die ichsonst nie entdeckt hätte. Er fühlte sich geschmeichelt,denn ich knabberte zärtlich an seinem Ohrläppchenherum und nannte ihn ,süßer Spitzbube'. Es gefielihm so, daß er beinahe einen Lachkrampf bekam.Nehmen muß man diese widerlichen Burschen. Siesind in neunundneunzig Prozent aller Fälle eitel.“

Captain Kalutsin grinste. Barna war ein Meisterseines Faches. Außerdem war es nicht einfach, eineVogelimitation so exakt zu beherrschen, daß selbstein Kenner an dem Flügelschlag nichts auszusetzenhatte. Die Schwingenmechanik, im Rumpf eingebaut,war ein Wunderwerk der Super-Feinmechanik.

„Was also war los? Hast du exakte Ergebnissemitgebracht?“

„Ja. Dabrifa begrüßte die drei Ertruser desCarsualschen Triumvirats. Es handelt sich um NosVigeland, Terser Frascati und Runeme Shilter.“

„Also nach wie vor die alte Garde?“„Genau. Die lassen sich auch nicht ausbooten.

Außerdem sind sie biologisch unsterblicheAktivatorträger. Jeder besitzt einenHochleistungsschutzschirm auf der Basis unsererHÜ-Abwehr. Sie scheuen sich nicht, die riesigen

Tornisteraggregate auf dem Rücken zu tragen. Daswäre ein vorzügliches Versteck für dich.“

„Wurde über die Konferenz gesprochen?“„Ja, in unverfänglicher Form. Drei Kalfaktoren der

Zentralgalaktischen Union sind ebenfallsangekommen.“

„Welche?“„Die drei Ersten Sprecher. Karten Tain, Roser

Sakilate und Fereth Haynesto. Es sind die bestenKöpfe der einundzwanzig regierenden Kalfaktoren.Ihr Gespräch mit Dabrifa konnte ich nichtbelauschen. Es ist jedoch sicher, daß die Konferenzeine Stunde nach dem Essen beginnen soll. Dabrifaläßt sich vorübergehend durch ein Robotdoublevertreten. Das wäre alles.“

Captain Szark Kalutsin überlegte schnell undgründlich. Die Zeit drängte.

„Ich werde handeln. Unterrichte Omarin Ligzuta.Die einzige Möglichkeit, den Überwachungstasternund Schutzschirmen des inneren Palastes zuentgehen, besteht darin, mich von einem derKonferenzteilnehmer tragen zu lassen. Funkverkehrist ausgeschlossen. Die Geräte orten alles. Ich werdeauch meinen Energieblock stilllegen.“

„Und meine Aufgabe?“„Du bleibst in deiner Vogelmaske hier. Es genügt,

wenn ein Mann in den Direkteinsatz geht. Sollte ichentdeckt werden, gebe ich die gewonnenenErgebnisse mit einem Rafferimpuls durch. Bleibe aufEmpfang. Die Ertruser eignen sich hervorragend alsTransporteure.“

Von dem blühenden Zweig erhob sich ein Barracu.Er überflog die Menschenmassen, landete hier und dain direkter Nähe diskutierender Gäste auf einem Astoder sonstigen Gegenstand und hörte die Gesprächeab. Das Mikrobandgerät lief fast ununterbrochen.

Allein durch diese Tätigkeit erfuhr Barna OlphenerDinge, die ihn erblassen ließen.

Besonders die dem Imperator nahe stehendenMänner, darunter hohe Offiziere der DabrifaschenFlotte, schienen bereits eine Ahnung von denbevorstehenden Ereignissen zu haben.

Nach einer halben Stunde erreichte derPseudo-Vogel den Chef der Widerstandsbewegung.Er unterhielt sich mit Künstlern des Reiches.

Für Kalutsin jedoch begann eine der gefahrvollstenPhasen des Einsatzes.

*

Ein Fluggerät auf der Basis eines Antigravgleiterskonnte der siganesische USO-Spezialist wegen derhohen Ortungsgefahr nicht verwenden. Selbst einenMikroreaktor von Fingerhutgröße hatte er nichtmitnehmen können. Auch damit wäre eraugenblicklich ausgemacht worden.

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So hatte er als Stromversorger für seineRückenhubschraube einen Batterieblock erhalten. Erbesaß eine geringe Lebensdauer. Die Energieabgabewar so bemessen, daß der Aufbau einesDeflektorfeldes unmöglich war. Der Block wäre inwenigen Minuten erschöpft gewesen. Es war eineHochladerbatterie, in der keinerlei Kernprozesseabliefen.

Der Captain war durch diese einsatzbedingtenSchwierigkeiten gezwungen, mit äußersterBehutsamkeit vorzugehen. Er war klein, gewiß! Erkonnte sich auch jederzeit verstecken, dafürgarantierte schon die enorme Geschwindigkeit seinerBewegungsabläufe.

Je kleiner die Siganesen von Generation zuGeneration wurden, um so schneller wurden ihreReaktionen. Das war ein Naturgesetz. Dennochbestand Entdeckungsgefahr. Niemand hätte dentrainierten Siganesen mit der Hand einfangenkönnen. Das war bei ihm, da er Intelligenz undGeschick besaß, noch unmöglicher, als wenn einTerraner hätte versuchen wollen, eine Maus imunübersichtlichen Gelände mit der Hand zuerhaschen.

Ein Strahlschuß war jedoch noch schneller - undhaargenau, sobald er von einem Roboter abgegebenwurde.

So sahen Szark Kalutsins Probleme aus.Die beiden gegenläufigen Hubrotoren seiner

Rückenschraube erzeugten ein verhaltenes Pfeifen.Nachdem er an den Terrassen entlanggeflogen war,kam er weiter oben in die Region dergalakto-exotischen Zierpflanzungen.

Hier konnte er sich noch leichter verbergen, dochdafür tauchte eine andere Gefahr auf. Es gabfremdartige Tiere und größere Vögel, die vor einemumweltangepaßten Menschen durchaus keinenRespekt zeigten. Für ihren Instinkt war er ein kleines,fliegendes Etwas, das man unter Umständen fressenkonnte.

Olphener hatte die Schwierigkeiten des Freundeserkannt. Ihn störte vordringlich das Pfeifen derRotoren.

So war er wieder zurückgekehrt und kreiste nunüber dem fliegenden Menschlein. Er zeigte Kalutsinnicht nur den Weg zu den drei Ertrusern, sondernsorgte auch noch durch lauten Flügelschlag undkrächzende Vogelschreie für die akustischeÜberlagerung des Gerätegeräusches.

Nach einer halben Stunde hatte Kalutsin diePrunkterrasse des Imperators erreicht. Sie lagunterhalb des so genannten Abwehrringes, über demdas straßenähnliche Rund der Trichterzinne begann.Dort waren die Luftgleiter abgestellt.

Der Captain ging in der Astgabelung einesZierbaumes in Deckung und schaltete die

Hubschraube aus. Olphener landete neben ihm.Beiden USO-Spezialisten bot sich aus dieser Höhe

ein prächtiger Anblick über die Innenrundung desSonnenpalastes. Es war taghell. Direkt über demGebäude kreisten zwei flammende Atomsonnen, dieihr Licht verschwenderisch über der kostspieligenAnlage abstrahlten.

Weit unten, etwa zweieinhalbtausend Meter tiefer,begannen die Wasserspiele.

„Das Essen wird serviert“, schrie Olphener ausdem Brustluk der Maschine. „Jetzt kannst du dieErtruser nicht anfliegen. Sie sitzen oder liegen imhellen Licht, und du findest keine Anflugdeckung.Wir müssen warten. Ich gehe auf Erkundung. Es stehtfest, daß die führenden Raumoffiziere und Politikerschon etwas ahnen. Man munkelt von einem baldigenEnde der solaren Vormachtstellung in der Galaxis.Die neuesten Perry Rhodan-Witze habe ich auchaufgezeichnet. Du wirst Tränen lachen. Ernster ist dieNachricht von einem Mordanschlag auf denGroßadministrator. Die Meldung kam soeben durch.Perry konnte sich retten, aber er hat den Staatsbesuchauf Taura sofort abgebrochen. Warte hier auf demBaum. Die Deckung ist gut, und du kannstbeobachten, was sich ereignet.“

Barna Olphener schwirrte wieder davon. SeineMaschine verfügte über eine starke Laderbatterie. Erkonnte noch einige Stunden ungestört fliegen.

*

Die prunkvolle Zeremonie war beendet. Dabrifatrug ein togaähnliches Kleidungsstück miteingewebten Howalgoniumkristallen. Sie strahlten inunwirklichem Feuer.

Das Fest stand unter dem Motto prähistorischerSitten des Planeten Erde. Diese Fassung schien einenSinn zu haben.

Die Gäste waren gezwungen, die Mahlzeit nachden Gebräuchen altrömischer Vornehmeneinzunehmen. Man lag halbwegs auf flachenPolstern, amüsierte sich über den neuen Einfall desImperators und zeigte offen seine Erheiterung, wennjemandem ein Mißgeschick unterlief. Schließlichmachte man sich einen Spaß daraus, die kostbarstenDelikatessen der Galaxis mit den Fingern zuergreifen und sie in den Mund zu schieben.

Die drei Ertruser des Carsualschen Triumviratswaren in ihrem Element. Sie zerrissen riesigeBratenstücke und aßen wie Barbaren der Frühzeit.

Dann aber, nach einer guten Stunde, begann fürCaptain Kalutsin der eigentliche Einsatz. Das Mahlwar beendet.

Dabrifa, ein schlanker Mann mit vollendeterKörperbeherrschung, gab einige unauffälligeZeichen.

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Er verschwand zuerst in den Torbogen. Die dreiKalfaktoren der ZGU folgten ihm einzeln inAbständen. Niemand achtete darauf.

Die Ertruser erhoben sich zuletzt. Sie hattenungeheure Speisenmengen verschlungen undschienen daher guter Laune zu sein. Sie trennten sichvoneinander und verkündeten lautstark, sich etwasbewegen zu müssen.

Kalutsins Hubschraube begann wieder zu surren.Sprungbereit kauerte er auf der Astgabel. Einer derErtruser, es war das Triumviratsmitglied NosVigeland, lenkte seine Schritte auf den exotischenPark zu.

Plötzlich erschien auch wieder dieVogelnachahmung aus den siganesischenWerkstätten der USO. Er flog dem Ertruser nach undbegann krächzende Rufe auszustoßen. CaptainKalutsin startete.

Der kleine Spezialist wußte, daß er nun alles aufeine Karte setzen mußte. Er hatte die riesigenRückenaggregate der Ertruser studiert. Es warenGeräte von fast einem Meter Höhe und siebzigZentimeter Breite.

Kalutsin wußte aus dem Schulungsprogramm derUSO, wie es innerhalb der Verkleidungen aussah. Erflog den Ertruser von hinten an. Der Vogel schrienoch schriller und umflatterte den breiten Schädeldes zweieinhalb Meter großen Giganten. NosVigeland schlug unwillig nach dem zudringlichenBariacu.

Genau zu diesem Zeitpunkt landete Kalutsin aufdem Verschluß einer breiten Klappe, hinter der dieKontroll- und Justierungsschaltungen desEnergietornisters untergebracht waren.

Kalutsin warf sich mit dem gesamten Körpergegen die Sperre der Magnethalterung. Als er sietrotzdem nicht niederdrücken konnte, nahm er dieVortriebsleistung seiner Hubschraube zur Hilfe. Jetztknackte es, und die Klappe fiel federnd nach unten.

Der Captain schlüpfte hinein. VerschiedeneKontrollen leuchteten. Dem Siganesen genügte derLichtschein.

Wieder nahm er die Hubschraube als Hilfsmittel,um die Klappe hochziehen zu können. Der lärmendeVogel belästigte den Ertruser immer noch.

Barna Olphener flog erst davon, als sich dieKlappe wieder geschlossen hatte. Kalutsin war inSicherheit.

Der verfügbare Raum war auch für einenSiganesen eng. Dennoch begann der Captainunverzüglich mit der Arbeit.

Er bohrte ein winziges Loch in dieKunststoffklappe. Für ihn war die Öffnung großgenug, um durch sie ausreichend viel wahrnehmen zukönnen. Dann wartete er.

Er lag lang gestreckt auf der Halteleiste der

Klappe. Es war einigermaßen bequem. Es durfte nurniemand auf die Idee kommen, das Gerät zuüberprüfen. Dann wäre er verloren gewesen. NosVigeland jedenfalls spürte nichts von dem geringenGewicht des Siganesen.

*

Szark Kalutsin ahnte nicht entfernt, wohin er mitseinem seltsamen Transportbehälter gebracht wordenwar.

Seine Meßgeräte hatten ihm lediglich verraten, daßder Ertruser zahlreiche Sperren aller Artdurchschritten hatte. Selbst ein Siganese mit vollerHochenergieausrüstung wäre dort niemalshindurchgekommen.

Besonders sorgfältig war die Parapsi-Ortunggewesen. Der Spezialist erkannte daran miterschreckender Deutlichkeit, daß die Zeit derUnüberwindlichen, nämlich die der terranischenMutanten, vorbei war. Sie konnten nur noch dorteingesetzt werden, wo es eine solche Paraortungnicht gab. Terras Macht, vor knapp fünfzehnhundertJahren überwiegend durch fähige Mutanten gestützt,hatte einen Rückschlag erlitten.

Die drei Ertruser waren argwöhnisch. Sie besaßenzwar die biologische Unsterblichkeit, aber mankonnte sie ebenso leicht töten wie jeden anderenMenschen. Sie waren Giganten, aber einem gezieltenStrahlschuß würden auch sie zum Opfer fallen.

Sie hatten ihre Energietornister nicht abgelegt. Sowaren sie jederzeit in der Lage, enorm starkeAbwehrfelder auf der Basis des terranischenHochenergie-Überladungsschirms um sich zuerrichten. Dann konnten sie ihre überragendeKampfkraft voll ausspielen.

Der USO-Spezialist hatte nur wenig erspähenkönnen. Sein „Träger“, der Ertruser Nos Vigeland,wandte Dabrifa und den anderenKonferenzteilnehmern natürlich das Gesicht zu.

Kalutsin konnte nur dann einen der Beteiligtendurch das Bohrloch sehen, wenn jemand mehr oderweniger erregt aufstand und durch den Konferenzsaalschritt.

Dieser Saal war eine Abschirmeinheit für sich.Kein Agent der SolAb, kein hochgewachsenerSpezialist der USO hätte jemals in diesen Raumvordringen können.

Er war absolut abhörsicher und außerdem derartdurch Schutzfelder, Spezialroboter und Leibgardistenabgeschirmt, daß normalerweise nicht die geringsteAussicht bestanden hätte, ein Wort der Unterredungzu erfahren.

Sie hatte nur zwei Stunden gedauert. Daraus ginghervor, daß die wichtigen Vorgespräche zwischenden Beteiligten schon längst geführt worden waren.

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Hier, im Sonnenpalast, ging es nur noch um dieBeschlußfassung.

Szark Kalutsin hatte jedes Wort mit seinenMikrobandgeräten aufgenommen. Hier und da warenihm Fotografien geglückt.

Es handelte sich um eine militärische Planung vonallergrößter Tragweite. Die Daten lagen fest; dasEinverständnis der Partner galt als selbstverständlich.

Captain Kalutsin hatte also keinen Grund gehabt,sich zu amüsieren. Dennoch hatte er es hier und dagetan.

Die Ursache dafür war die Art gewesen, wie diemächtigen Beherrscher der drei außersolaren Reichemiteinander sprachen, wenn kein Unbeteiligter in derNähe war.

Dabrifa hatte seine Liebenswürdigkeit völligverloren. Er hatte mit klarer und scharfer Stimmegesprochen. „Verluste an Menschenmaterial“ warenmit der grausamen Sachlichkeit alterArmeebefehlshaber erörtert worden. DieVerbündeten hatten untereinander um jedes Detailgefeilscht. Ausdrücke und Begriffe waren gefallen,die man außerhalb dieses Spezialraumes niemalsgebraucht hätte.

Niemals zuvor hatte Szark Kalutsin dieErbärmlichkeit dieser verschiedenartigen Machthaberso eindringlich gespürt und im Wort gehört. Sieunterschieden sich in keinem Detail von anderenMenschen. Dennoch wollten sie nach außen hin alsÜbermenschen gelten.

Die drei bevollmächtigten Kalfaktoren derZentralgalaktischen Union hatten sich noch amvernünftigsten verhalten. Dieses Sternenreich wurdeeinigermaßen nach demokratischen Richtliniengeführt. Trotzdem hatten sie sich beeinflussen lassenund schließlich ihre Einwilligung gegeben.

Dabrifas abschließende Erklärungen hattenbewiesen, daß er, der absolute Alleinherrscher, dieTriebfeder des Komplotts war.

„Das Solare Imperium existiert nur noch demNamen nach. Niemand kann uns das Recht streitigmachen, die Heimat unserer Vorfahren zuannektieren und den lebenden Anachronismus,genannt Perry Rhodan, zu beseitigen.

Seine Politik ist der Menschheit, der wir alleentstammen, wegen seiner ständigenKompromißbereitschaft, militärischer Rückzieherund wegen der Vergeudung ungeheurerSteuersummen für so genannte Soforthilfenunwürdig. Rhodans Regierungsform, die wegen ihrerbegrenzten, durch Wahlen eingeengtenBefehlsperioden keine harten Maßnahmen erlaubt, istfür das hoch stehende Individuum Mensch einständiger Hemmschuh. Die Machtentfaltung derSolaren Flotte wird eingeengt. Die von unsgegründete Antiterranische-Koalition wird mit diesen

Mißständen aufräumen. Erfolg hat nur der Starke. Ichlege mit Ihrem Einverständnis den 30. Oktober 3430Standardzeit als Tag X fest. Wir sind uns einig, daßder Angriff auf das Solare System erst dann mitäußerster Schlagkraft stattfinden darf, wenn unserevorher gelandeten Spezialkommandos dieHerstellungsgeheimnisse der neuen terranischenTransformkanone, des terranischenParatron-Schutzschirms und des terranischenDimetrans-Triebwerks für Fernflüge von Galaxis zuGalaxis sichergestellt haben. Perry Rhodan hat diesetechnisch-wissenschaftlichen Errungenschaften vonden ehemaligen Schwingungswächtern, den Uleb,übernommen und sie im Verlauf der letztenJahrhunderte wesentlich verbessern lassen. DieKonstruktionsdaten des neuen terranischenLinearkonverters, nach Professor Waringer,Waring-Konverter' genannt, sind für uns ebenfallsinteressant. Weisen Sie bitte Ihre Flottenbefehlshaberan, den entscheidenden Angriff erst dann zubefehlen, wenn die Einsatzkommandos zum Zielgekommen sind.“

Kalutsin hatte nur noch gestaunt. DabrifasBrutalität war grenzenlos.

Anschließend hatten die Konferenzmitglieder denSaal verlassen. Sie waren möglichst unauffällig inden Palastgarten zurückgekehrt, wo sie sich unter dieGäste gemischt hatten.

Captain Kalutsin und Barna Olphener jedochhatten sich sofort zum Luftgleiter desWiderstandskämpfers Omarin Ligzutazurückgezogen. Es gab nichts mehr zu erkunden. DieWürfel waren gefallen.

Kalutsin hatte bei seinem abschließendenEinsatzbericht lediglich noch erwähnt, er habe esnicht versäumt, das winzige Bohrloch in derWartungsklappe so sorgfältig zu verschließen, daßdavon nichts mehr zu bemerken wäre. Irgend jemandhätte sonst argwöhnisch werden können.

*

Atlan startete mit der KULAM-ORT beiTagesanbruch. Das Fest des Imperators war beendet.Ziel des angeblichen Freifahrer-Frachters war dasSonnensystem, in dem die Erde als dritter Planetihren Platz einnahm. Atlan wußte, daß der seitJahrhunderten vorausberechnete Zeitpunktgekommen war. Der Fall Laurin war eingetreten.Terra und Perry Rhodan sollten ausgeschaltetwerden.

7.

Die Kalenderuhren zeigten den 14. Oktober desJahres 3430 nach Christi an. Es war einer der

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bedeutsamsten Tage in der neueren Geschichte derSolaren Menschheit.

Parlament und Großadministrator wurden andiesem Tage von dreizehneinhalb Milliardenstimmberechtigten Menschen für weitere sechs Jahregewählt.

Nachdem Perry Rhodan von seiner Rundreisezurückgekehrt war, hatte er nur noch wenige Tage fürseinen Wahlkampf aufwenden können. Die anderenKandidaten für das höchste Amt des SolarenImperiums, acht Persönlichkeiten, darunter derAdministrator des Mars, Herp Isidonis, hattendagegen wesentlich mehr Zeit gehabt, ihre Personund ihr politisches Programm vorzustellen.

Das Amt des Großadministrators, das denOberbefehl über alle Waffengattungen desImperiums in sich einschloß, wurde nach der mitZweidrittelmehrheit erfolgten Änderung der SolarenVerfassung im Jahre 2930 nach Christi nicht mehrvon den Parlamentsmitgliedern, sondern von dergesamten Menschheit in direkter Personenwahlvergeben.

Rhodan hatte seine Regierungsmannschaft erst inletzter Sekunde vorstellen können. Es waren Namendarunter, die einen guten Klang hatten.

Nun liefen die Wahlen auf allen besiedeltenPlaneten und Monden des Sonnensystems. Bürger,die sich zur Zeit auf fremden Welten oder mit ihrenRaumschiffen im All befanden, gaben ihre Stimmenbei den zuständigen Botschaften oder bei denjeweiligen Bordgremien ab.

Die Ergebnisse wurden nach positronischerKontrolle mittels Hyperfunk an die Hauptpositronikin Terrania übermittelt.

Für die Mitglieder des Parlaments war die einfacheStimmenmehrheit gültig.

Allein der Großadministrator mußte die absoluteMehrheit, nach der Solaren Verfassung alsomindestens 50,01 Prozent aller Stimmen auf sichvereinen. Falls das nicht sofort möglich war, wurdeim dritten Wahlgang ebenfalls mit der einfachenMehrheit entschieden.

Perry Rhodan stand vor dem Problem, mindestens6,76 Milliarden Wähler für sich zu gewinnen; unddas bei einer Gegenkandidatur von weiteren achtbedeutenden Männern.

Die Meinungen waren geteilt. Seltsamerweisehatten größere Gruppen der Solaren Menschheit anRhodans Regierung nichts zu bemängeln, bis auf dieTatsache, daß man ihm zu große Toleranz imUmgang mit abgefallenen Kolonialvölkern und zuweitgehende Rücksichtnahme beim Einsatz derRaumflotte vorwarf. Das konnte zu einementscheidenden Faktor werden, nämlich zu einerNiederlage.

Der radikale Administrator des Mars, erst vor

einem Jahr wieder gewählt, hatte dagegen denEinsatz der terranischen Machtmittel zumProgrammpunkt Nummer Eins erhoben. Es warfraglich, ob die Wählerschaft gewillt war, einenvoraussehbaren galaktischen Krieg zu fördern, oderob man begriff, wie richtig Perry Rhodan gehandelthatte.

Hätte er bei den ersten Anzeichen derMenschheitszersplitterung in drei Riesenreiche undviele lockere Bünde mit aller Härte angegriffen, wärees wahrscheinlich nicht dazu gekommen. Das hatte erin seinen überhastet abgefaßten Wahlreden auch überSolar-Television eingestanden.

Was aber wäre danach geschehen? Wie hätten sichdie unterdrückten Völker später verhalten? Hätte mansie dauernd in die schußbereiten Kanonenterranischer Schlachtschiffe blicken lassen sollen?Wäre nicht ein kosmischer Guerillakrieg größtenAusmaßes provoziert worden? Wären terranischeRaumfrachter nicht angegriffen, gekapert odervernichtet worden?

Es gab noch viele andere Argumente, die Rhodanzur Verteidigung seiner gemäßigten Politik angeführthatte.

Außerdem hatte er zu bedenken gegeben, daß dieFlotte sofort eingegriffen hatte, wenn es zuverbrecherischen Handlungen gekommen war.

Niemals zuvor in der Geschichte des SolarenImperiums war der Wahlausgang so ungewißgewesen wie an diesem 14. Oktober 3430.

Die Bewohner der abgefallenen Kolonien,autarken Reiche und der lediglich in wirtschaftlicherHinsicht von Terra abhängigen Welten waren seit derVerfassungsänderung vom 30. April 2930 nicht mehrzur Wahl zugelassen. Nur die im Sonnensystemheimischen Menschen waren berechtigt, ihrenGroßadministrator zu bestimmen.

Rhodans Wahlhauptquartier lag im dreißigstenStockwerk eines Hotels. Es befand sich in der Näheder Solar-Hall, in der sofort nach Beendigung derWahlen die Vereidigung vorgenommen wurde.

Die Bildschirme liefen ununterbrochen. Die vonder Hauptpositronik ermittelten ersten Ergebnissetrafen ein. Es sah nicht gut aus. Herp Isidonis lagweit vorn. Dabei handelte es sich allerdings nur umdie Stimmen der Marsbevölkerung. Die Ergebnisseder Erde, der anderen Planeten und Monde sowie derSchiffsbesatzungen standen noch aus.

Genau zu diesem Zeitpunkt kam Atlan auf derErde an. Er brachte Nachrichten mit, die sobestürzend waren, daß sich Reginald Bull weigerte,sie vorzulegen.

„Bitte, warten Sie noch einige Stunden, Atlan.Perry gleicht einer Salzsäule. Er ist zwaransprechbar, aber seine Gedanken beschäftigten sichnur mit der Menschheit, die sich ohne sein Wirken

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wahrscheinlich schon vor vierzehnhundert Jahrengegenseitig die Köpfe eingeschlagen hätte. Icherinnere mich noch sehr gut an die damaligenVerhältnisse. Warten Sie, alter Freund.“

Und Atlan wartete. Er wartete bis spät in die Nachthinein, aber die Entscheidung war noch immer nichtgefallen. Das positronische Wahlgehirn hattefestgestellt, daß drei Monde und große Einheiten derWachtflotte noch keine Meldungen abgegebenhatten.

Gegen acht Uhr früh lief jedoch der letzteFunkspruch ein. Perry Rhodan war von der SolarenMenschheit erneut zum Regierungschef gewähltworden.

Er hatte zwölf Milliarden und dreihundertachtzehnMillionen Wählerstimmen erhalten.

Die Vereidigung erfolgte nur wenige Stundenspäter. Ein todmüder Mann wankte in seine Räume.Er hatte dem neuen Vize-Großadministrator undstellvertretendem Flottenchef, StaatsmarschallReginald Bull, die gesellschaftlichen Pflichtenübertragen.

8.

Zwanzigster Oktober 3430, 10:32 Uhr.Solare Kreuzer der Fernerkundungsverbände

durchrasten Raum und Zeit. Die zehn geheimenUSO-Stationen, die von Atlans ehemaligemStützpunkt-System noch übrig geblieben waren,dienten in vielen Fällen als Relaissender füreingehende Funksprüche.

Von Nosmo wurden regelmäßig neueInformationen übermittelt. Die Männer und Frauender Khonan-Tap arbeiteten eng mit demSpezialistenkommando der USO zusammen.

Imperator Dabrifa führte fast ununterbrochenBesprechungen. Hohe Offiziere der Flotte gingen imSonnenpalast ein und aus. Kuriere flogen dieHauptplaneten des Carsualschen Bundes und derZentralgalaktischen Union an.

Die Flottenverbände der drei großen Reichewurden zusammengezogen. Angeblich handelte essich um Manöver an den Grenzen jenerRaumsektoren, die von den nichtmenschlichen Bluesund neuerdings auch von eingewanderten Tefrodernbeansprucht wurden.

Die Nachrichten über die Raummanöver wurdenbetont harmlos gehalten. Es gab jedoch tausenderleiEinzelheiten und Beobachtungen, die auf ganz andereAbsichten schließen ließen.

Jede noch so unbedeutend erscheinende Einzelheitwurde von dem Mammutgehirn Nathan auf demirdischen Mond koordiniert und ausgewertet. Darausergab sich plötzlich das Bild einesFlottenaufmarsches von hervorragender strategischer

Planung. Selbst die kleinsten Verbände schienenSonderbefehle erhalten zu haben. Es gab nirgendsauffällige Massierungen; aber wenn man dieKoordinaten zog, die Beschleunigungs- undFlugzeiten der verschieden schnellen Schiffstypenberechnete und den bekannten Ausbildungsstand derBesatzungen einkalkulierte, ergab sich einerschreckendes Bild.

Rhodan und seine Planer wußten von da an, daßdie Ermittlungsergebnisse der beiden siganesischenSpezialisten richtig waren.

Rhodan traf daher im engsten Vertrautenkreis alleVorbereitungen für die Erklärung des solarenNotstands. Ferner wurde der seit fünfhundert Jahrenerwartete Fall Laurin ausgerufen. Damit war allesentschieden. Ein Zurück gab es nicht mehr.

Die Strategen der Antiterranischen Koalitionrechneten sicherlich mit einer terranischenAufklärungstätigkeit. Schließlich kannte man Rhodanund seine Flottenbefehlshaber.

Man mußte auf der anderen Seite annehmen, Terrawäre argwöhnisch geworden und diese Erkenntnis indie Gesamtplanung einbeziehen.

Selbst wenn man Rhodan als genau unterrichteteingestuft hätte, mußte ihm der Zeitpunkt desAngriffs unbekannt sein. Das war ein Faktor, mitdem man in Dabrifas Hauptquartier kalkulierte.

Die terranische Auswertung der Gegebenheitenrichtete sich danach. Der Gegner wurde auf keinenFall unterschätzt, jedoch besaß Rhodan einenTrumpf, den man in der Koalition nicht kannte: Erwar auf die Stunde genau über den Angriffstermininformiert.

Die Kommandeure der terranischenFlottenverbände erhielten die seltsamstenAnweisungen ihrer Laufbahn. WichtigeWachtpositionen mußten sofort verlassen und weitweniger bedeutungsvolle Raumgebiete angeflogenwerden.

Planetensysteme, die weder strategisch nochwirtschaftlich wertvoll waren, wurden als Zieleangegeben.

Nur die wenigen Wissenden unter denStabsoffizieren der Solaren Flotte wunderten sichnicht.

Etwa vierzigtausend terranische Frachtraumschiffeerhielten ebenfalls bestimmte Anweisungen.Passagierraumer und Schiffe mit besonderswertvollen Rohstoffladungen wurden nach Hausebeordert. Andere Einheiten hatten sich inRaumsektoren einzufinden, wo sie wenig später, oderfast zum gleichen Zeitpunkt von solarenKampfverbänden aufgenommen wurden.

Innerhalb einer Woche zeichnete sich im freienRaum eine Schiffsbewegung ab, die denKommandeuren der Antiterranischen Koalitionsflotte

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rätselhaft blieb. Es ließ sich kein Schemahineinbringen.

Am erstaunlichsten war aber die Tatsache, daßPerry Rhodan nur zehntausend Kampfschiffe in dasSonnensystem befahl. Über vierzigtausend Einheitenblieben draußen im Raum und verschwanden dort inSektoren, die kein Mensch genau kannte.

Die terranischen Befehlshaber dagegen wußten,was der Fall Laurin zu bedeuten hatte. Sie kanntennicht die gesamten Auswirkungen, sondern warenlediglich der Auffassung, aus bestimmten Gründenvon der Bildfläche der Geschehnisse verschwindenzu müssen.

So landeten starke Verbände auf Planeten, diebislang nur von Schiffen der Explorerflotteangeflogen worden waren. Seltsamerweise fand mandort Verbindungsoffiziere der Solaren Abwehr undder USO vor.

Man entdeckte plötzlich streng geheimeFunkstationen, Ausrüstungsdepots und Werften, dieweit unter der Oberfläche des jeweiligenHimmelskörpers lagen.

Allein auf der Hundertsonnenwelt der Posbis,einem Planeten tief im Leerraum, trafen fünftausendschnelle Einheiten des Solaren Imperiums ein.

Am 28. Oktober 3430 nach Christi schien es imgalaktischen Raum keine terranischen Schiffe mehrzu geben. Es war, als wären sie von Geisternverschlungen worden.

Die Folge dieser Operationen war eine steigendeUnruhe auf jenen Systemen, die bisher noch mitTerra sympathisiert hatten.

Noch nervöser wurden die Regierungen jenervierzehnhundertfünf Systeme, die sich als absolutautark bezeichneten und weder mit Terra noch mitden drei großen Reichen irgendwelche Handels- oderBündnisverträge abgeschlossen hatten.

Die Abwesenheit der als unschlagbar geltendenSolaren Flotte wirkte wie eine Ernüchterung auseinem Freudentaumel. Man sah sich unvermitteltschutzlos den Ansprüchen von Machtgruppenausgesetzt, die bislang vor der neuen terranischenTransformkanone, dem einzigartigenParatronschutzschirm und der überragendenKampfkraft solarer Schiffe Respekt gezeigt hatten.

Das allgemeine Unbehagen führte zu hastigenBesprechungen zwischen den Regierungen derabsolut freien Systeme.

Die dreizehnhundertfünfundachtzig Systeme, dieTerra nahe standen, ohne jedoch eine terranischeRatgebung in außenpolitischen Angelegenheiten zudulden, erhielten Besuch von RhodansBevollmächtigten.

Die Regierungen wurden darauf hingewiesen,Terra wäre stets bereit, gesetzwidrige Übergriffe zuahnden.

Im Weltraum herrschte ein allgemeines Chaos.Vielen Völkern, die gestern noch über ihrewirtschaftliche Bindung an Terra gemurrt hatten,gingen die Augen auf. Man nahm an, Perry Rhodanwolle ein Exempel statuieren. Wie und weshalb er estat, war unklar.

Unter den hohen Offizieren derKoalitions-Raumflotte gab es mindestens hundertverschiedene Ansichten. Wenn Rhodan diebevorstehende Offensive, ahnte, oder wenn er gardurch seine vorzüglichen Geheimdienste konkreteDaten erfahren hatte - warum zog er dann seinefünfzigtausend schweren Einheiten nicht dortzusammen, wo sie am nötigsten gebraucht wurden;nämlich an den Grenzen des Solaren Systems?

Der Fall war verworren. Niemand begriff, daßRhodan mit diesen Maßnahmen zwei Zweckeverfolgte.

Einmal wollte er eindringlich mahnen, ohne jedocheine einzige Note zu wechseln, oder offen über dieDinge zu sprechen; andererseits mußte er auf Grundder Situation jene Schritte unternehmen, die seitfünfhundert Jahren vorbereitet worden waren.

*

In den späten Abendstunden des 28. Oktober 3430traf Perry Rhodan im Bunkerhauptquartier vonTerrania mit seinen engsten Mitarbeitern zusammen.

Die Aktivatorträger waren schon frühererschienen. Es waren Reginald Bull, Julian Tifflor,Homer G. Adams und Professor Dr. Abel GeoffryWaringer.

Rhodan schaute den Gatten seiner längstverstorbenen Tochter Suzan Betty Rhodan-Waringerlange an. Suzan war an der Seite ihrer Mutter, MoryRhodan-Abro während des Panither-Aufstandes imJahre 2931 ermordet worden. Das war vor etwafünfhundert Jahren gewesen; dem Jahr, in dem dieKrise begonnen hatte, die nun ihrem Höhepunktzustrebte.

Damals waren die Kolonien und verbündetenautarken Systeme abgefallen. Plophos hatte auchdazu gezählt. Mory als Regierender Obmann hatte esnicht verhindern können, daß die plophosischenPanither die Macht an sich rissen.

Fast zur gleichen Zeit war es zurSecond-Genesis-Krise unter den Mutantengekommen. Es waren Jahre des Schreckens gewesen.Selbst Gucky war es nicht mehr gelungen, dasVerbrechen an Mutter und Tochter zu verhindern. Ertrug heute jenen Zellaktivator, der einmal RhodansGattin gehört hatte.

Perry sah die Schreckensbilder dieser Zeit vorseinem geistigen Auge aufsteigen. Immer, wenn erWaringer begegnete, überfielen ihn die

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Erinnerungen.„Wie geht es, Abel?“Der Wissenschaftler drückte zögernd Rhodans

Hand.„Den Umständen entsprechend. Ich fühle mich

nicht wohl in meiner Haut.“„Ich auch nicht“, bestätigte Rhodan mit einem

bitter klingenden Unterton. „Aber das hatten wirkommen sehen, nicht wahr? Als damals diegeschädigten Mutanten japanischer Abstammung aufdie Impulse ihrer Aktivatoren negativ zu reagierenbegannen, warst du der erste Wissenschaftler, der denAnfang vom Ende prophezeite. Nun kommt diesesEnde auf uns zu. Es liegt an dir und denWissenschaftlern deines Teams, ob unserFünfhundertjahres-Plan gelingt, oder ob wirausgeschaltet werden.“

Der Konferenzraum hatte sich gefüllt.Solarmarschall Julian Tifflor, Befehlshaber derHeimatflotte, warf unwillig ein:

„Von einem Ausschalten kann keine Rede sein,Sir. Wenn das Unternehmen Laurin nicht dengewünschten Erfolg bringt, werde ich nicht tatenlosin die feuernden Mündungen der Koalitionsschiffesehen. Die anderen Kommandeure auch nicht.Darüber sollten Sie sich keinen Illusionen hingeben,Sir.“

Rhodan schaute den Marschall sinnend an.„Ja, ich weiß. Eine kleine Palastrevolte, nicht

wahr?“„Auf keinen Fall, Sir. Sagen wir besser:

berechtigte Notwehr. Wir verfügen überfünfzigtausend moderne Einheiten, vomStädtekreuzer angefangen bis hinauf zumUltraschlachtschiff der Galaxis-Klasse. Wir habendie wesentlich verbesserte Transformkanone mitKernschußweiten bis zu fünfzehn MillionenKilometern und mit dem Paratronschirm eineDefensivwaffe, die kaum zu überwinden ist. Von denFernflug-Dimetranstriebwerken wollen wir gar nichtreden. Wir sind dem Gegner in jeder Hinsicht weitüberlegen. Sie werden begreifen, Sir, daß sich dieKommandeure weigern, tatenlos zuzusehen, wiefünfundzwanzig Milliarden freie Menschen getötetoder versklavt werden.“

„Ich weiß seit Wochen, Julian, daß Sie mitverschiedenen Befehlshabern eine Geheimkonferenzabhielten. Fragen Sie unseren tüchtigen GalbraithDeighton nach dem Wortlaut. Er hat ihn aufTonband.“

Tifflor drehte nicht einmal den Kopf.„Wir haben damit gerechnet. Es handelt sich nicht

um einen geplanten Sturz der Regierung, also IhrerRegierung, Sir, sondern lediglich umVorsichtsmaßnahmen, die im Plan Laurin viel zuwenig berücksichtigt wurden. Nochmals, Sir -

überdies in aller Eindringlichkeit: Wenn derwissenschaftliche Versuch mißlingt, wird die Flottemit allen Mitteln zuschlagen. Wir können dieZerstörung des Sonnensystems durch verbrecherischeDiktatoren nicht dulden.“

„Dann haben wir den Krieg, Tiff!“„Genau, Sir. Wir werden ihn notfalls führen

müssen. Mein Flaggschiff nimmt es mit siebenSchlachtschiffen des Imperiums Dabrifa auf. Siekönnen sicher sein, daß die Herren nicht zu einemkonzentrischen Punktbeschuß kommen werden.“

Etwa dreihundert Männer, Regierungsmitgliederund Flottenoffiziere hielten die Luft an.

Rhodan schaute gelassen in die Runde.„Sehen Sie, meine Herren, diese Offenheit ist einer

der Gründe, warum Julian Tifflor seit vielenJahrhunderten Solarmarschall ist. Ich verstehe Sievollkommen, Tiff. Wenn Laurin mißlingt, erhaltenSie weitere Befehle. Ich bin aber überzeugt, daßniemand unter Ihnen gezwungen sein wird, auf dieNachkommen unserer galaktischen Auswanderer zuschießen. Noch etwas, Tiff: Ich nehme Ihnen IhreGeheimbesprechung nicht übel. Ihre Abwehrplanungfür den Fall der Fälle ist exzellent.“

Tifflor sah den Großadministrator etwasfassungslos an. Reginald Bull schmunzelte diskret,zwinkerte Tifflor zu und folgte Rhodan.

Die Endbesprechung begann. Rhodan gab letzteErklärungen ab.

„Der solare Notstand tritt nach Paragraphhundertneun der Verfassung am 29. Oktober, zwölfUhr Terrazeit, in Kraft. Ich übernehme in meinerEigenschaft als Großadministrator und auf Grund derverfassungsmäßig verankerten Sondervollmachtenfür den amtierenden Regierungschef die alleinigeVerantwortung. Die Mitglieder des Kontrollrates sindanwesend. Sind die Herren mit der Anordnung desNotstandes einverstanden? Haben Sie nach dervorangegangenen Unterrichtung über meineAbsichten untereinander abgestimmt?“

Homer G. Adams, Erster Finanzsenator desSolaren Imperiums, meldete sich.

„Die Abstimmung ist erfolgt. Wir stimmen derAusrufung einheitlich zu. Wir sind ebenfallseinstimmig zu der Auffassung gelangt, daß wir keineWahl mehr haben. Wir hoffen jedoch zuversichtlich,daß die Abwehr der bevorstehenden Offensive nichtmit Waffengewalt durchgeführt werden muß.“

„Ich danke Ihnen, Mr. Adams. Der ErsteGefühlsmechaniker des Imperiums, SolarmarschallGalbraith Deighton, hat Ihnen noch etwas zuerklären.“

Der Chef der Solaren Abwehr erhob sich. Eingroßer Bildschirm leuchtete auf. Die Szenen warenden meisten Anwesenden unbekannt. Es handeltesich um Filmaufnahmen, die während der

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Unterwasserbohrung im Tonga-Graben angefertigtworden waren.

Deighton erklärte die Vorgeschichte. Dann kam erzu seinem Anliegen.

„Die Abwesenheit des Regierungschefs zwangmich, nach eigenem Ermessen zu handeln. Ich glaubeimmer noch, damit einen wesentlichen Beitrag zumUnternehmen Laurin geleistet zu haben. Wenn derGegner im Verlauf seiner Offensive ins Leere stößt,wird er nach den Ursachen fragen. Mir liegt daran,eine einigermaßen plausible Erklärung anzubieten.Das ist gelungen.“

Die Bildfolge wechselte. Zwei Männer inSchutzanzügen erschienen. Einer filmte mit einerMikrokamera.

„Sie sehen zwei Agenten des Imperiums Dabrifa.Ich habe sie gewähren lassen. Sie beobachteten dieBergung der fremdartigen Geräte und die Rettung desNeandertalers. Die Abwehr hat anschließend für dieVerbreitung von fingierten Geheiminformationengesorgt. Sie sind von den Agenten weitergeleitetworden. Daraus kann man ableiten, daß dieterranischen Wissenschaftler den Verdacht hegen,bisher noch unbekannte Invasoren nichtmenschlicherHerkunft wären für die Vorkommnisseverantwortlich. Ich ließ später Pseudonachrichtendurchsickern. Man könnte annehmen, wirbefürchteten eine Offensive aus der Vergangenheit.Sie soll in der Form eines hyperenergetischenAusbruchs von größter Gewalt erfolgen.“

Lord Zwiebus, der Neandertaler, wurde auf demSchirm erkennbar. Er ruhte auf einem Speziallager.Tasterprojektoren waren auf seinen Kopf gerichtet.Wissenschaftler standen vor Meßgeräten.

„Sie sehen die schmerzlose Abhörung desbewußten und unterbewußten Gedächtnisinhaltes aufparamechanischer Basis. Alle Erlebnisse werden ineinem Geisterfilm wiedergegeben.“

Eine weite Landschaft erschien. Die Wogen einesgroßen Meeres brandeten gegen die Steilklippen.Zwiebus und andere Angehörige seines Stammesstanden in einem erbitterten Abwehrkampf gegenLebewesen, die dem Neuzeitmenschen glichen. Siewaren bewaffnet, besaßen bereits Wurfspeere sowiePfeile und Bogen. Steinäxte hingen in Ledergürteln.

Zwiebus floh mit anderen seines Stammes. DasBild wechselte. Moderne Gebäude erschienen.Fluggeräteunbekannter Form landeten aufausgebauten Pisten. Menschenähnliche Lebewesen inSchutzanzügen hatten Zwiebus eingefangen. IhreGesichter waren hinter Helmen nicht erkennbar. Abund zu wallten Nebel. Zwiebus hatte die Fremdenniemals genau gesehen. Sie waren nicht so vollendetin seinem Gedächtnis verankert wie dieNeuzeitmenschen, die den Fremden behilflich waren.

Zwiebus wurde durch einen endlosen Schacht in

die Tiefen der Erde gebracht. Labors erschienen.Auch hier waren die verwaschenen Formen wiedervorherrschend. Der Urmensch hatte die Geräte undMaschinen nicht begreifen können.

Er kam in einen Raum. Ein anderer Neandertalerlag angeschnallt auf einem Tisch. Dasschmerzverzerrte Gesicht wurde auf dem Geisterfilmüberdeutlich dargestellt. Das hatte Zwiebus alsbesonderen Eindruck aufbewahrt.

Die letzten Szenen zeigten einen Fluchtversuch.Zwiebus schlug zwei Neuzeitmenschen nieder. Errannte durch Gänge und Hallen. Schließlich kam ervor einer großen Stahlkammer an. Fremde inSchutzanzügen standen davor. Zwiebus schlug aufsie ein, suchte Schutz in der offen stehendenKammer, wo er schließlich durch Schockschüssebewegungsunfähig gemacht wurde.

Der Gedächtnisfilm endete mit einer Diskussionzwischen den Fremden. Zwiebus lag auf einemschmalen Tisch. Über ihm kreiste eine strahlendeKugel. Roboter gaben Injektionen.

Die Fremden verließen die Kammer. DerBildschirm verdunkelte sich. Der Film war zu Ende.

Deighton ergriff wieder das Wort.„Eine Kopie dieses Geisterfilms ist den

Dabrifa-Agenten zugespielt worden. Er beweist, daßmenschenähnliche Intelligenzwesen vorzweihunderttausend Jahren die Erde, und zwar denKontinent Lemuria, besuchten. UnsereFachwissenschaftler sind jedoch beunruhigt. Es sollteso schnell wie möglich herausgefunden werden, wasdie Fremden mit ihren Experimenten bezweckten undob Gefahr für die Erde besteht. Eins der geborgenenGeräte strahlt ununterbrochen auf sehr kurzenHyperfrequenzen. Ein Empfangsgerät, oder einVerbraucher, konnte nicht gefunden werden. Zu demRätsel zählt auch der Hochleistungsreaktor, der kurzvor der Bohrung angelaufen war. DieseUngereimtheiten haben wir demDabrifa-Geheimdienst zugespielt. Man vermutet dortbereits die tollsten Dinge. Wenn also dasUnternehmen Laurin plangerecht abläuft, kann manauf Nosmo mit gutem Grunde annehmen ... sagen wirein Langzeitunternehmen der Fremden sei erfülltworden. So wird es möglich sein, die wahrenGeschehnisse zu verschleiern, bis wir es für richtighalten, sie preiszugeben. Wann das sein wird, habeich nicht zu entscheiden. Vielen Dank, meineHerren.“

Die Konferenz währte bis in die frühenMorgenstunden. Die letzten Vorbereitungen wurdengetroffen.

Rhodan endete mit den Worten:„Sie werden mich ab zwölf Uhr des heutigen

Tages jederzeit in der Hauptschaltzentrale Merkurerreichen können. Die Durchführung der letzten

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Systemschaltungen auf den Planeten, Monden undspezialisierten Außenstationen wird von besondersvereidigtem Fachpersonal aus Professor WaringersTeam vorgenommen. Waringer selbst leitet diePrimäraktion auf Merkur. Die Solare Menschheitwird spätestens beim Auftauchen der erstenantiterranischen Koalitionsverbände erfahren, waswir in fünfhundertjähriger, mühevoller Arbeit unterallerstrengster Geheimhaltung auf dem Merkur undden anderen acht Planeten aufgebaut haben. DerKostenaufwand war enorm. Ein fünfhundert Jahrealtes Rätsel wird seine Lösung finden. Begeben Siesich nun bitte auf Ihre Positionen. Die zehn Herrendes Notstands-Kontrollrates begleiten mich bitte zurSchaltzentrale Merkur Das wäre alles.“

9.

Waringer schaute auf die Uhr. Es war drei Uhrfrüh, am 30. Oktober des Jahres 3430.

Für die Kommandeure der antiterranischenKoalitionsflotte war der Tag X angebrochen, fürProfessor Abel Waringer der Tag Laurin.

Waringer stand mit seinem Panzerschutzanzugeinige hundert Meter jenseits der Schattengrenze imgrellen Sonnenlicht. Hier, so nahe der Librationszoneam nördlichen Pol des Planeten Merkur, herrschteeine Hitze von einhundertachtundzwanzig GradCelsius.

Merkur war ein Einseitendreher. Während einesSonnenumlaufes rotierte er nur einmal um seinePolachse. So drehte er dem Muttergestirn des SolarenSystems immer die gleiche Kugelfläche zu.

Waringer lauschte auf das Summen desEnergietornisters. Er mußte unwillkürlich an diekleinen Ingenieure von Siga denken, die in der Lagewaren, Mikroreaktoren mit einer so hohen Leistungzu bauen.

Dann schaute er wieder durch die verdunkelteHelmscheibe zur Sonne hinauf. Von Merkur ausbetrachtet war sie ein flammender Atomofen, derungestüm weißglühende Gasmassen von sichschleuderte und eine Strahlungsenergie ausschickte,die noch viele Millionen Jahre lang die neun Planetenerwärmen und das Leben auf ihnen erhalten würde.

„Hoffentlich!“ sagte Waringer im Selbstgesprächvor sich hin.

Im Helmradio knackte es.„Haben Sie gerufen, Professor?“Waringer schreckte aus seinen Gedanken auf.„Nein, danke. Alte Männer sprechen manchmal

mit sich selbst. Können Sie die Sonne sehen?“„Nur die Korona über der Polrundung.“„Sie ist schön; atemberaubend schön und gewaltig.

Dabei ist sie nur ein kleiner Stern, der unter denblauen und roten Riesen der Galaxis soviel bedeutet,

wie ein atomarer Schneidbrenner auf der Erde. Ichmeine damit die Energieverschickung.“

„Ich verstehe, Professor.“„Hoffentlich verstehen Sie es in voller

Konsequenz. Was wir vorhaben, wird Mutter Sonnedoch etwas erschüttern. Sie wird nicht daranerkranken, aber sie wird sich wundern. Aber lassenwir das. Sind neue Meldungen hereingekommen?“

„Ja. Die Verbände des Carsualschen Bundes sindplötzlich von ihren Sammelpositionen verschwunden.Carsual teilt über die Hyperfunkbrücken öffentlichmit, die Manöver nahe der Eastside wären beendet.Auch Dabrifas Einheiten sind nicht mehr da.“

„Also will man es doch wagen! Sind diese Leutedenn wahnsinnig geworden? Was stört sie an Terraund der solaren Menschheit? Tun wir ihnen etwas?Bevormunden wir sie? Drohen wir ihnen dieUnterdrückung an?“

In Waringers Helmlautsprecher klang eine andereStimme auf. Rhodan hatte sich eingeschaltet.

„Diese Fragen stelle ich mir seit einigen hundertJahren, Abel. Kennst du das uralte terranischeSprichwort: ‚je mehr man hat, je mehr man will‘?“

„Nein. Es scheint aber symptomatisch zu sein.“„Du bist ein kluger Mann, Abel. Ich weiß gar

nicht, weshalb ich dich seinerzeit nicht alsSchwiegersohn haben wollte.“

Waringer lachte leise. Es klang etwas wehmütig.„Ich war linkisch, unselbständig, ständig verlegen

und dürr wie ein Laternenpfahl. Wenn ein Menschvon diesem Typ mit Ideen aufkreuzt, diewissenschaftliche Erkenntnisse radikal umwerfen,dann muß man ihn zwangsläufig als Narren,mindestens aber als Träumer einstufen. Das hast dugetan.“

„Es tut mir leid. Die Sonne meint es gut, jungerMann. Atlan möchte dich sprechen.“

„Wie - ist er doch gekommen?“„Nein, er steht außerhalb der Plutobahn. Die

Ortung der IMPERATOR spricht bereits an. Dieersten Verbände unserer Freunde tauchen auf.“

Waringer ging langsam und schwerfällig auf dieriesenhaften Bauwerke zu, die sich über einen Teildes Merkurpols erstreckten.

Er erreichte die Zwielichtzone mit ihren hartenSchatten. Merkur besaß keine Atmosphäre. Er warüberhaupt der ungemütlichste Planet in derTrabantenfamilie der Sonne. ExperimentierfreudigeTerraner hatten es lieber mit Eisplaneten vomPlutotyp zu tun.

Waringer blieb stehen. Die Gebäude duckten sichflach in die Geröllwüste. Die wichtigsten Anlagenwaren tief unter der Oberfläche errichtet worden.

Die solare Menschheit rätselte seit fünfhundertJahren daran herum, welchem Zweck diese Anlagendienen könnten. Noch interessierter waren die

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aussersolaren Machtgruppen gewesen. Sie hattenalles versucht, herauszufinden, weshalb RhodanBillionen Solar aufwendete, um ausgerechnet aufdem lebensfeindlichen Merkur Bauwerke zuerschaffen, die ohne weiteres die Ausdehnung dergrößten terranischen Industriekomplexe besaßen.Man konnte stundenlang laufen und erreichte keinEnde.

Besonders die hochragenden Türme hatten dieGemüter erregt. Sie standen weit außerhalb desbebauten Geländes. Welchem Zweck dienten sie?

Der in der Second-Genesis-Krise gefalleneAbwehrchef Allan D. Mercant hatte es meisterhaftverstanden, die neugierigen Gemüter zu beruhigen.Sein Nachfolger, Galbraith Deighton, hatte nochphantastischere Parolen in Umlauf gebracht.

Schließlich aber, dreißig Jahre nach demBaubeginn auf Merkur, hatten sich ähnlicheVorkommnisse auf allen anderen Planeten undMonden ereignet.

Auch dort waren rätselhafte Konstruktionen in denHimmel geschossen, oder sie waren in den Bodenhineingeglitten. Es war kein Geheimnis geblieben,daß Geoffry Abel Waringer, der genialeHyperphysiker, mit einem Team vonzweihunderttausend Männern und Frauen dieArbeiten leitete.

Nur wenige Menschen hatten je erfahren, was sieeigentlich entwarfen, konstruierten und schließlich indie Tat umsetzten. Waringer hatte bei einerintergalaktischen Pressekonferenz einmal eineAuskunft gegeben, die noch Jahrzehnte später belachtwurde.

Er hatte gemeint, die Schubkarre eines Gärtnerswüßte schließlich auch nicht, warum sie schmutzigeErde anstatt Brillanten befördern müsse.

Dann aber, kurz nach dem Baubeginn auf der Erde,dem Mars, Jupiter und Saturn, war Professor ArnoKalup bei einem Experiment mit Paratronkonverterntödlich verunglückt.

Der neue Abwehrchef hatte dieses Ereignis alsAufhänger genommen, um ganz allmählichdurchsickern zu lassen, Waringer beabsichtige dasgesamte Sonnensystem nach dem Vorbild der schonhistorisch gewordenen Zeitpolizisten in einenundurchdringlichen Paratronschirm einzuhüllen.

Das war eine Auskunft gewesen, die man alsglaubwürdig angesehen hatte.

Nun waren die Arbeiten langst beendet. DieSchaltungen konnten jederzeit von einem Fachmannaktiviert werden.

Waringer ging weiter, fuhr mit einem mechanischbetriebenen Fahrstuhl in die Tiefen des Labyrinthsund betrat wenig später die Funkstation.

Sie war wesentlich größer und leistungsfähiger alsdie eines Ultraschlachtschiffes. Rhodan saß vor

einem der vielen Bildschirme.Waringer ließ sich aus dem Schutzpanzer helfen

und winkte Atlan zu, der auf dem Schirm erkennbarwar.

„Hallo, Abel. Wie geht es Ihnen?“ klang dieStimme des Arkoniden auf. „Runzeln Sie nicht sobesorgt die Stirn. Mein Richtstrahl ist schärfergebündelt als ein Laser. Die Ortung weist überdiesaus, daß sich kein fremder Körper nähert. Wirkönnen also sprechen. Ich habe letzte Nachrichtenmitgebracht. Sie kommen von Nosmo.“

„Da bin ich aber neugierig“, entgegnete Waringerfahrig. „Hoffentlich sind die Leute vernünftiggeworden. Unsere Flottenmanöver müssen ihnendoch zu denken geben. Oder ist der Mensch vonheute schon so weit, daß er Warnungen nicht mehrversteht?“

Atlan lachte trocken auf.„Verstehen schon; aber würdigen, das ist eine

andere Sache. Dabrifa hat sich deshalb zum Angriffentschlossen, weil er seit einiger Zeit über das vonIhnen entwickelte FpF-Gerät verfügt, mit dem Sievor tausend Jahren die Paratronschirme derZweitkonditionierten durchschossen haben. Wassagen Sie dazu?“

Waringer rang nach Luft. Die Augen hatte er weitaufgerissen.

„Was...?“„Ja, Ihr schönes FpF-Gerät. Dabrifa ist der

Auffassung, damit die Paratronschutzschirme dersolaren Raumschiffe durchschlagen zu können.“

„Verrückt! Wir haben den von den Ulebangewendeten Kontrafeldstrahler ums Hundertfacheverbessert. Eine frequenzmodulierteTransformladung wird m den Hyperraum abgestrahlt,als wäre nichts geschehen.“

„Das wissen Sie, nicht aber Dabrifa. Außerdemnimmt er an, daß Ihre seltsamen Bauwerke auf denSolplaneten durch sein FpF-Gerät ebenfallsausgeschaltet werden können. Seine Wissen schaftlerhaben den Modulator allerdings erheblichverbessert.“

„Bei einer Kontrafeldschaltung hilft keineVerbesserung.“

„Wie dem auch sei, Professor, man ist der Ansicht,den günstigsten Zeitpunkt gefunden zu haben. Ichbleibe außerhalb des Solsystems. Viel Glück. Inwenigen Stunden werden die Spezialschiffe der sogenannten ,Beutekommandos' aus dem Hyperraumhervorbrechen und exakt über den Planetenmaterialisieren. Man will mit Emotionsstrahlernarbeiten, die Willenskraft lahmen, landen, Ihretechnischen Geheimnisse sicherstellen undanschließend den Großangriff starten. Falls dieKommandos auf stärkeren Widerstand stoßen alsgedacht, beginnt die Offensive augenblicklich. Der

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Plan ist gut, sogar hervorragend. Er hätte alleAussichten auf Erfolg, wenn wir nicht vorbereitetwären. Dabrifa hat Raumschiffe mit längstüberholten Transitionstriebwerken bauen lassen.Damit kann er unter Umgehung des linearenAnfluges wie hingezaubert mitten im Sonnensystemerscheinen. Passen Sie auf. Mehr habe ich nicht mehrzu berichten. Perry ...“

Rhodan hatte unbewegt zugehört, aber er warerblaßt. Er schnitt dem Lordadmiral die Rede ab.

„Soll das etwa heißen, daß wir durch dieBautätigkeit und die fingierten Parolen über einensystemumspannenden Paratronschutzschirm einenentsetzlichen Fehler begangen haben? Soll dasheißen, daß Dabrifa und die anderen Machthaber mitfieberhafter Eile aufgerüstet haben, nur um noch vorder angeblichen Errichtung des Paratronschirmes dasSolare System überfallen und annektieren zu können?Sind wir den Herren plötzlich als so unendlichmächtig erschienen, daß sie ihrer Meinung nach garkeine andere Wahl mehr hatten, als uns lahm zulegen, ehe es zu spät dazu war? Atlan - ist das so?Haben deine Spezialisten in dieser HinsichtErmittlungen angestellt?“

Rhodan hatte sich erhoben. Er stand weit nachvorn gebeugt vor der Aufnahme. Im Gesicht desArkoniden zuckte kein Muskel.

„Ja. Psychologisch betrachtet, war eine derartigeÜberlegung der Auslöser. Ich darf dich aberberuhigen. Ehe du in Selbstvorwürfen versinkst,sollte ich dir mitteilen, daß die Offensive gegen Terraauf jeden Fall gekommen wäre. Du hast sie lediglichum etwa zehn Jahre beschleunigt. Wäre das Märchenmit dem Riesen-Energieschirm nicht verbreitetworden, hätte Dabrifa abgewartet, bis seine neuenWaffenkonstruktionen einsatzklar gewesen wären.Von der Seite betrachtet, hast du ihn zu einemüberhasteten Vorgehen gezwungen. Das halte ich fürstrategisch günstig. Zehn Jahre spielen in derGeschichte der Menschheit keine besondere Rolle.Der Augenblick der Entscheidung ist gekommen.Aufpassen! Es dürften mindestens dreitausendSchiffe mit Transitionstriebwerken eingesetztwerden. Sie leiten den Schlag ein. Dann folgenachtzigtausend Einheiten nach.“

„Achtzigtausend...?“„Eher noch mehr. Die drei großen Reiche haben

alles aufgeboten, was sie besitzen. Es sindBombenfrachter dabei; ausgediente Kisten mitautomatischer Steuerung. Ihre Ziele sind dieTransmiformstationen. Es wird Zeit, Perry! Laurinmuß kommen, oder du mußt doch noch aufMenschen schießen.“

10.

Solarmarschall Julian Tifflor blickte auf dieBordchronometer. Es war dreizehn Uhrzweiunddreißig am 30. Oktober 3430. Er befand sichan Bord des Flaggschiffes der Heimatflotte, desUltraschlachtschiffes LEMURIA.

Die weit vorgeschobenen Einheiten, KleineKreuzer der USO, erfüllten die vorgezeichneteOrtungsaufgabe voll und ganz. Ihren Strukturtasternkonnte nicht die geringste Erschütterung desNormaluniversums entgehen.

Tifflor verließ sich trotzdem nicht auf dieErkunder außerhalb des Sonnensystems. Er sprachüber eine Sammelschaltung zu den Kommandantender zehntausend Raumschiffe, die zwischen denPlaneten kreuzten.

„Sie kennen die letzten Nachrichten derGeheimdienste. Die Koalitionsflotte fliegt an. DerÜberraschungsangriff durch Beutekommandos mitveralteten Transitionstriebwerken wird von uns anOrt und Stelle aufgefangen. Das gilt für den Fall, daßLaurin versagt. Die Gruppierung B bleibt vorerstbestehen. Sollten Hyperschocks geortet werden,bedeutet das den Absprang der dreitausendFremdschiffe. Sie werden fast ebenso schnellankommen, wie die Hyperfunksprüche unsererErkunder bei uns einlaufen können. Eröffnen Siedaher augenblicklich das Feuer auf materialisierendeFremdeinheiten. Nochmals: Das gilt für den Falleines Laurin-Versagers. Ende...“

*

Die solare Menschheit saß seit zwei Stunden inden Atomtiefbunkern der Planeten und Monde. Nachder Verkündung des Ausnahmezustandes und demAlarm erster Stufe hatte es kein Zögern mehrgegeben. Rhodan hatte über Solar-Television dieUrsachen für diese Maßnahmen erklärt. Er hattedamit keinen großen Überraschungseffekt erzielt.Man wußte seit Monaten, daß die Lage gespannt war.

Die Abwehr hatte im gleichen Augenblickzugegriffen. Einige hundert Agenten derAntiterranischen Koalition waren verhaftet worden.In den vergangenen Jahren und Monaten hatte mandie Männer und Frauen ungestört arbeiten lassen.Selbstverständlich waren sie ständig mit fingiertenInformationen versorgt worden. Galbraith Deightonwar der Auffassung, eine erkannte Gefahr sei leichterzu beherrschen als eine unbekannte.

Es war sicher, daß es keinem derKoalitionsagenten mehr gelungen war, Nachrichtenaus dem Sonnensystem herauszuschmuggeln. EinigeFunksprüche waren von starken Sendern sofortüberlagert und unverständlich gemacht worden.

Die Uhr der Geschichte schien wieder einmalbesonders langsam zu laufen. Von den

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Erkundungskreuzern trafen in kurzen AbständenRichtstrahlsendungen ein. Sie wurden entweder vonden Raumschiffen der Heimatflotte oder direkt vonden großen Planetenstationen empfangen undaugenblicklich an die Hauptschaltzentrale Merkurweitergeleitet.

Vor den rätselhaften Bauwerken auf den Planetenund Monden waren Kampfroboter und spezialisierteEinheiten der solaren Raumlande-Armeenaufgezogen. Jedes noch so winzige Detail, seitJahrhunderten geplant und ausgeklügelt, liefprogrammgemäß ab.

*

Der Saal war sehr groß. Er lag achthundert Meterunter der Oberfläche des Planeten Merkur.

Es handelte sich um die geheimnisvolleHauptschaltzentrale, von der aus Laurin eingeleitetwerden konnte.

Weitere Säle, von der Hauptschaltzentralelediglich durch transparente Panzerplastwändegetrennt, schlossen sich an den großen Raum an.Überall saßen Wissenschaftler und Techniker vorihren Kontrollgeräten und Schalteinheiten.

Professor Geoffry Abel Waringer hatte nebenRhodan Platz genommen. Vor ihnen wölbte sich einriesiger Bildschirm, auf dem das exakt projizierteSonnensystem mit allen Planeten zu sehen war.

Es handelte sich um eine Sammelübertragung voneinigen tausend im Raum stationiertenRobotkameras, die ihre Sektorbilder zu demMerkur-Sammler abstrahlten. Ausschnittschaltungenkonnten jederzeit vorgenommen werden.

Rhodan blendete die Totalaufnahme ab und holtedas Bild des Planeten Jupiter auf den Schirm. GrünePünktchen zeigten den Standort der dort stationiertenFlotteneinheiten an.

„Tifflor meint es ernst“, erklärte Rhodan. „Sieh dirdas an! Er hat nur die schwersten und modernstenEinheiten der Solaren Flotte im Systemzusammengezogen. Die draußen im Ortungsschutzverweilenden Verbände bestehen überwiegend ausLeichten und Schweren Kreuzern. Wenn unserVorhaben nicht gelingt, Abel, werden wir die Hölleerleben. Tifflor und die anderen Kommandierendenwerden sich auf ihr Recht der Befehlsverweigerungberufen, meine Anweisungen ignorieren undzuschlagen.“

„Recht der Befehlsverweigerung!“ wiederholteWaringer heftig. Auf seinen Wangen bildeten sichrote Flecken. „Welches Recht ist das? Entweder ichbin Soldat und habe das zu tun, was mir aufgetragenwird, oder ...“

„Eben nicht“, unterbrach Rhodan. Er schien dieRuhe selbst zu sein. „Ich habe meinen militärischen

Mitarbeitern, angefangen vom Solarmarschall biszum Hilfstechniker die Freiheit eingeräumt, in Fällennachweisbarer Gewissensnot, psychisch bedingterund krankhafter Angstzustände, sowie im Falle derUntauglichkeit aus körperlichen Gründen den Befehlzu verweigern. Es geschah sehr selten. Der wichtigsteGrund aber wird nun von Tifflor und den anderenFlottenbefehlshabern angewendet. Wenn ich alsRegierungschef und Oberbefehlshaber derRaumflotte Anweisungen erlasse, die ganz eindeutigzuungunsten der solaren Menschheit ausfallen, dannkönnen die Kommandeure sogar meineDienstenthebung beschließen.“

„Wahnsinn!“„Irrtum, das ist richtig. Ich könnte ja einmal

wahnsinnig werden und den Angriff auf die Erdebefehlen. Ich könnte plötzlich den Wunschtraumhegen, diktatorischer Alleinherrscher zu werden. DieFlottengesetze sind gründlichst überarbeitet worden.Wenn Laurin also versagt und ich mich nach wie vorweigern würde, den Angreifern unsere Breitseiten zuzeigen, wird man mich übergehen. DieFlottenkommandeure handeln in diesem Falle nurzugunsten der solaren Menschheit. Sie werden nachder hervorragenden Tifflor-Planung anfliegen, dieGegner umschließen, Jägerpulks in die Phalanxspringen lassen und was der Dinge mehr sind. Dievereinte Flotte der drei Sternenreiche dürfte zufünfundneunzig Prozent vernichtet werden. Dukönntest mich jetzt fragen, warum ich nicht ebenfallsähnliche Planungen erwog.“

Waringer sah Rhodan von der Seite her an.„Du bist anscheinend zu klug dazu.“„Inwiefern klug?“ Rhodan drehte den

Schwenksessel.„Psychologen fänden eine bessere Antwort. Ich

meine, daß ein Raumoffizier von deinem Könnenzwangsläufig vor der Frage stehen muß, ob er denunanfechtbaren Verteidigungsfall zur Vernichtungseiner Gegner benutzen will oder nicht. Niemandkönnte dir einen Vorwurf machen, nicht wahr?“

„Doch, ich mir selbst.“„Das ist ein anderer Faktor. Würdest du die Flotte

einsetzen, wenn der Plan Laurin nicht existierte?“Rhodan schwieg einen Moment.„Mir bliebe wahrscheinlich keine andere Wahl.“„Schön. Dann sollten wir mit den Schaltungen

beginnen. Es wird Zeit.“„Zu früh“, lehnte Rhodan ab. „Ich...“Sirenen begannen zu gellen. Über den

Schalttischen flammten violette Lampen auf. IhrLicht kündete von Unheil und höchster Gefahr. EineRobotstimme ertönte.

„Auswertungssektor Merkur-Zentrale spricht. FallLaurin wird akut. Der Gegner greift mit derOffensivflotte an. Die Verbände gehen soeben in den

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Linearraum. Laurin ist erforderlich, Ende.“Die Sirenen heulten immer noch. Einige

verstummten mit einem zermürbenden Ton, der demWimmern gequälter Kreaturen glich.

Rhodan war aufgesprungen. Seine Finger huschtenüber Schaltleisten. Auf einem Bildschirm erschienSolarmarschall Julian Tifflor.

„Tiff, was ist los?“ schrie Rhodan in dasMikrophon des Hypersenders. „Ich dachte, zuerstsollten die Beuteverbände auftauchen.“

„Man hat uns überlistet“, erklärte Tifflor erregt.„Wahrscheinlich sind Atlans Erkunder zu häufig inder Nähe der Transitionsschiffe geortet worden. Manhat daraus den Schluß gezogen, daß der Einsatz derVorhut zu ihrer Vernichtung führen kann. Dabrifagreift an. Sir - ich erinnere an meine Mahnung. Ichziehe die Einheiten über den Planeten zurück.“

„Auf keinen Fall“, verbot Rhodan. Seine Stimmeklang jetzt so beherrscht, wie man es von ihm insolchen Situationen erwartete. „Der Anflug mit demGros kann geplant sein. Man will uns verleiten, denPlanetenschutz aufzugeben. Dann könnten dieTransitionsschiffe doch noch kommen. Das wäreüberhaupt der geschicktere Weg. Ich hätte mich vonvornherein dazu entschlossen. Man verwickelt dieAbwehrverbände in harte Gefechte, bindet sie, unddann kommen die Spezialkommandos. Sie ziehenkein einziges Schiff ab. Ist das klar, Tiff?“ DerSolarmarschall lachte stoßartig.

„Nanu, Sie werden ja plötzlich wieder vernünftig.Verzeihung, Verstanden, Sir. Die Einheiten bleiben,wo sie sind. Soll ich die Alarmstart-Anweisung andie Außenverbände durchgeben?“

„Sie kennen meine Befehle. Erst dann, wennLaurin nicht den gewünschten Erfolg bringt.“

„Habe ich in diesem Falle Ihr Einverständnis?Mein Gott, Sir, wir wollen nicht unbedingtrevoltieren. Sie müssen die Flotte führen. Sie könnendoch nicht zusehen, wie unser System vernichtetwird.“

„Sie werden meine Anweisungen ganz gewißrechtzeitig hören. Ende, Tiff...“

In diesen Sekunden lief ein Hyperfunkspruch ein.Er stammte von einem USO-Kreuzer. Der Wortlautbrachte die Entscheidung.

„USO-Kreuzer MATARO an GADMI, Merkur.Habe Angreifer mit Halbraumspürer verfolgt. Kursauf System liegt an. Ankunft bei bleibender Fahrstufem zehn Minuten. Habe Linearflug zurNachrichtenabgabe unterbrochen, gehe erneut inZwischenzone. Gezeichnet Mirulet, KommandantMATARO.“

Rhodan zögerte keine Sekunde länger. DieBefehlshaber der Koalition hatten ihren Angriffsplanumgeworfen. Sie waren argwöhnisch geworden.Unter Umständen hatte man sich sogar entschlossen,

auf die Erbeutung der terranischen Geheimnisse zuverzichten und den Angriff zu starten, ehe er infolgeweiterer Vorkommnisse unbekannter Art gänzlichunmöglich wurde.

Rhodan überschaute die Sachlage vollkommen. Erwar ein Mann, der sich mit brillanter Geistesklarheitin die Situation eines anderen Menschen versetzenkonnte.

Es war sogar möglich, daß die Planung mit den sogenannten Beutekommandos nur ein groß angelegtesTäuschungsmanöver gewesen war. Der Gedanke warnicht abwegig. Unter Umständen waren auch AtlansSpezialisten bewußt auf eine derartigeBerichterstattung hingelenkt worden.

Rhodan sah plötzlich klar. Die Flottenmassierungüber den angeblich gefährdeten Planeten schwächtedie Abwehrkraft der anderen Einheiten. Trotzdemkonnte man nicht das Risiko eingehen, TifflorsPlaneten-Verbände abzuziehen und sie überhastetzum Gros vorstoßen zu lassen. Sie mußten an Ort undStelle bleiben. Die Wahrscheinlichkeit, daßdreitausend Sprungschiffe auftauchten, warwesentlich geringer geworden, aber sie existiertenach wie vor.

Rhodan gab die entscheidenden Befehle. DerFünfhundertjahresplan wurde vollendet. Laurinerwachte.

Jemand reichte Rhodan einen Funkhelm. Er setzteihn auf, schlug die Klappen über die Ohröffnungenund schaltete den Helmfunk ein. DieHauptschaltzentrale Merkur war von einer Sekundezur anderen nicht mehr wieder zu erkennen.

Überall rumorten Maschinen. Ein dumpfesGrollen, das jede normale Verständigung unmöglichmachte, erschütterte sogar die Tiefbunker.

Einige hundert Großbildschirme flammten auf. Derwichtigste unter ihnen war jener, vor dem Rhodan,Waringer und dessen engste Mitarbeiter saßen.

Das in einer Sammelschaltung geraffte Direktbilddes Sonnensystems verblaßte plötzlich.

Ein ungeheures Gleißen, heller als die Sonne,breitete sich aus. Zwischen den Riesentürmen aufMerkurs Nordpol glitt ein mehrere Kilometerdurchmessender Energiestrahl hervor. Er warhyperschnell und nicht an Zeit und Raum desEinsteinkontinuums gebunden.

Er vereinte sich in Gedankenschnelle mit derSonne des Systems. Das war der kritischeAugenblick. Rhodan hörte Robotdurchsagen. Siewaren klar verständlich, gefühllos und rein sachlich.

Ganz anders klangen die Stimmen der Männer undFrauen, die ihre Meßergebnisse an Waringerweiterleiteten.

„Hypertronzapfer läuft. Störungen in temporalerFeldspannungs-Außenzone pendeln ein aufNormwert. Heftige Gasausbrüche auf der Sonne.

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Freiwerdende Normalmaterie und - energie wirdabgeleitet. Hypertron-Umformer erhalten von derAutomatik Grünwert. Energiefluß beginnt. Achtung -Hypertronzapfer steht auf Normal! Energieflußbeginnt ...!“

Waringer wandte den Kopf. Rhodan sah in einangespanntes Gesicht, in dem nur die Augen zu lebenschienen.

Andere Bildschirme zeigten die Planeten, Mondeund Außenstationen. Sie standen tief im Raum.

Die Hauptschaltmeister der solarenHimmelskörper waren auf den Schirmen zu sehen.Sie gaben nochmals die Meßergebnisse ihrerStationen durch, obwohl sie von den verschiedenenPositroniken längst abgestrahlt und vom Robotgehirnauf Merkur empfangen worden waren.

„Schaltzentrale Jupiter. Unsere Empfangsblöckelaufen jetzt einwandfrei. DerAntitemporale-Gleichrichtungs-Konverter reagiert.Energetische Stoßfronten kommen durch. Was ist mitIhrem Haupt-Gezeitenwandler los? Achtung, ichberichtige. Stoßkontakte lassen nach, der Energieflußwird gleichmäßig. Gut so, Merkur, wir erhalten vonIhnen volle Normspannung auf Hyperebene. Ende...“

Hunderte derartiger Meldungen liefen auf Merkurein. Waringer hörte kaum darauf. Er starrte auf einenrunden Spezialschirm, auf dem die Vorgänge alsenergetische Reliefzeichnung optisch erkennbarwurden.

Pluto bekam noch keine volle Temporalspannung.Die Monde Ganymed-Jupiter und Oberon-Uranusschlossen kurz. Sie wurden nicht versorgt.

Waringer schaltete blitzschnell. Der Energiezuflußfür Jupiter und Uranus wurde variiert.

Merkur selbst glich einem explodierendenPlaneten. Die ewige Nachthalbkugel wurde vongleißenden Strahlungsschauern überschüttet.

Vierundzwanzig Sekunden nach der Stabilisierungdes Hypertronzapfers war die Para-Verbundleitungzu den Planeten und Monden aufgebaut.

Der Haupt-Gezeitenwandler auf Merkur nahm dieEnergie, die man der Sonne direkt entzog, in sich auf.Das Antitemporale-Gezeitenfeld entstand; Laurin warauf dem Vormarsch.

Allmählich mäßigte sich das Dröhnen. Auch dieBodenerschütterungen ließen nach. Auf WaringersSpezialschirm zeichnete sich umrißhaft ein Gebildeab, das aus Billionen Energielinien zu bestehenschien. Es stabilisierte sich atemberaubend schnell zueiner Kugel-Hohlschale, in der die Planeten desSonnensystems schwebten. Auch die Sonne wurdevon dem Feld umschlossen.

Letzte Klarmeldungen liefen ein. Waringer schautewieder zu Rhodan hinüber. Der Großadministratorumklammerte einen armlangen Schalthebel. Erendete in einem rotlackierten Gerät.

„Die Zukunft wartet, Perry!“ sagte Waringererstaunlich gelassen.

Rhodan riß den Hebelschalter nach unten. Einheftiger Stoß warf ihn zu Boden. Merkur schien einzweites Mal bersten zu wollen.

Die Bildschirme verblaßten. Man vernahm nurnoch ein ungeheures Tosen. Als es sich mäßigte undder normale Arbeitston wieder vernehmbar wurde,stand Rhodan auf.

Auf den Schirmen war ein rötliches Glühen zusehen. Die Milliarden Sterne der Milchstraße warenverschwunden. Das Antitemporale-Gezeitenfeld, eineWeiterentwicklung jenes Zeitfeldes, das vor tausendJahren die Bestien aus M-87 geschützt hatte, warentstanden.

Es hatte die Sonne mit all ihren Trabanten um fünfMinuten in die Zukunft versetzt. TifflorsHeimatflotte, die sich innerhalb des entstehendenATG-Feldes befunden hatte, war mitgenommenworden.

Das Sonnensystem und fünfundzwanzig MilliardenMenschen waren einer Riesenflotte ausgewichen, dienur wenige Augenblicke später aus dem Linearraumauftauchte.

Die Feuerleitoffiziere fanden jedoch kein Zielmehr. Dort, wo soeben noch die Sonne, der PlanetTerra und acht andere große Welten gestandenhatten, gab es nichts mehr. Es war, als hätte dasSonnensystem niemals existiert.

*

Nur wenige Augenblicke später, es waren genau5,03 Sekunden, geschah ein Unheil. Es war in dieserForm weder von Rhodan, noch von GalbraithDeighton geplant worden.

Das Solare Sonnensystem war bereits vor rundtausend Jahren gegen plötzliche Überfälle aus demRaum mit sechzigtausend Robotforts ausgestattetworden. Man hatte diese fliegendenGeschützplattformen „Transmiformstationen“genannt.

Am Tage X waren sie schon jahrhundertelangveraltet gewesen. Ihre Transformkanonen besaßen zukleine Kaliber, zu geringe Schußweiten; dieFernsteuerung von den Planeten aus hatte sich als zulangwierig erwiesen, und es waren noch viele Dingemehr zu bemängeln. Außerdem hatten sie sich zueiner Gefahr für die Raumfahrt entwickelt. Es warzweimal zu Kollisionen gekommen.

Die Transmiformstationen hatten bereits auf derVerschrottungsliste gestanden. Dann waren siejedoch in den Plan Laurin einbezogen worden.

Schutzfeldprojektoren gegen die Einwirkung desAntitemporalen-Gezeitenfeldes waren installiertworden. Die alten Stationen sollten den Sprung in die

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Zukunft nicht mitmachen, sondern im Normalraumverbleiben, explodieren und eine natürlicheKatastrophe vortäuschen. Zu einfach wollte Rhodanden Gegnern die Enträtselung der Geschehnisse dochnicht machen.

Die sechzigtausend Geschützforts waren überdiesmit Munitionsbeständen der Solaren Flotteausgerüstet worden. Es waren schrottreifeLagerbestände, die aber noch funktionstüchtig waren.

Jede Station war durchschnittlich mit tausendFusions-Sprengkörpern von einerEnergieentwicklung zwischen zweitausend undviertausend Gigatonnen TNT ausgerüstet worden.

Insgesamt handelte es sich um sechzig MillionenSprengkörper, die in dem Augenblick ferngezündetwurden, als das Sonnensystem durch die Errichtungdes Antitemporalen-Gezeitenfeldes um fünf Minutenin der Zukunft verschwand.

Zurück blieben sechzigtausend alte Plattformen.Sie explodierten in dem Augenblick, als die

dreitausend Transitionsschiffe des Beutekommandosdort materialisierten, wo soeben noch die Planetenihre Bahn gezogen hatten. Die Spezialeinheitenwaren also doch noch eingesetzt worden.

Sechzig Millionen Sprengkörper, auch wenn siedurchschnittlich zweieinhalb Gigatonnen freigaben,konnten bei weitem nicht die Explosion der Sonnevortäuschen. Dies zu glauben, wäre unsinniggewesen.

Die Energieentfaltung war aber so stark, daß diedreitausend Raumschiffe von einer Flut atomarerEnergie erfaßt wurden.

Die einzelnen Glutbälle vereinigten sich mit ihrenRandgebieten und bildeten einen flammenden Kreismit zahlreichen kugelförmigen Ausbuchtungen. Ausgroßer Entfernung betrachtet, glich die riesigeExplosion einer plötzlich entstandenen Kleingalaxievon diskusartiger Form.

Nur wenige Transitionsschiffe entgingen demUnheil. Die Transmiformeinheiten waren besondersin der Nähe gefährdeter Planeten stationiert gewesen.

Es geschah aber noch etwas! Nahe der Sonne hattees ein großes, ausgedientes Raumschiff gegeben. Eswar früher für Versuche mit neuartigenParatronkonvertern verwendet worden.

Der Einsatz dieses Frachters entsprach DeightonsPlanung. Die Explosion der Transmiformstationenwar schon seit Jahrhunderten beschlossen gewesen.Die Detonation der alten Paratronkonverter hatte derAbwehrchef ausgeklügelt.

Zweck des Unternehmens war es, einehyperphysikalisch auswertbare Katastrophevorzutäuschen.

Das Experimentalschiff reagierte zusammen mitden Transmiformstationen. Die vorher aufgebautenParatronschirme wurden überladen. Die Konverter

detonierten. Als Folge davon entstand dort, wosoeben noch die Sonne sichtbar gewesen war, eintypischer Strukturriß.

Eine hyperenergetische Flammensäule spaltete dasNormaluniversum auf. Die gezackten Ränder ineinem imaginären Sektor des Raumes verrieten, daßes sich um eine gewaltige Stoßfront gehandelt hatte.

Alle Dinge ereigneten sich in der gleichenSekunde. Der Raum flammte. Das Sonnensystem warverschwunden.

*

Imperator Dabrifa war ein Mann, dem manpersönlichen Mut nicht absprechen konnte. Er befandsich an Bord des Flottenflaggschiffes.

Er flog nicht in den vordersten Linien, aber er warimmerhin dabei. Die drei Ertruser des CarsualschenTriumvirats hatten sich geweigert, das Unternehmenmitzumachen. Die Kalfaktoren derZentralgalaktischen Union hatten ebenfallsabgelehnt.

Dabrifa hatte den Oberbefehl übernommen. Nunsah er auf seinen Bildschirmen plötzlich ein atomaresChaos, dem er nur mit knapper Not entgehen konnte.

Die mit halber Lichtgeschwindigkeit anfliegendeRiesenflotte drehte ab. Einige Schiffe konnten denexplodierenden Transmiformstationen nahe derPlutobahn nicht mehr ausweichen. Sie flogen in ihrVerderben.

Der Imperator, dessen Gesicht totenblaß gewordenwar, wandte sich an seine Berater, doch sie warenvöllig fassungslos.

Allein der ertrusische Kommandant desFlaggschiffs wahrte die Fassung.

„Der Angriff erübrigt sich, Euer Weisheit. Darf ichan die Agentenmeldungen bezüglich der Anbohrungeiner unterseeischen Stadt erinnern? TerranischeWissenschaftler äußerten Bedenken. Es wurde voneiner Langzeitwaffe unbekannter Intelligenzwesengesprochen. Ich bin kein Hyperphysiker, aber ichmöchte Euer Weisheit empfehlen, die Dingeüberprüfen zu lassen. Diese schlauchartigeErscheinung...“ der Kommandant deutete auf diePanoramabildschirme, „diese Erscheinung ist fraglosmit dem totalen Zusammenbruch eineshyperenergetischen Feldes identisch.“

Dabrifa starrte ihn völlig verstört an. Er schritt zuden Schirmen hinüber und klammerte sich an derSchaltleiste fest.

„Das Sonnensystem - wo ist das Sonnensystemgeblieben? Wo ist Terra?“

„Das System existiert nicht mehr, Euer Weisheit“,erklärte ein Wissenschaftler.

„Ich glaube es nicht“, wurde er von dem Diktatorabgewiesen. Sein Atem ging schwer und keuchend.

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Sie kennen Perry Rhodan nicht! Ich habe seineteuflische Taktik, seinen ungeheuren Wagemut, seinstaatsmännisches Genie und die unberechenbare Artseiner Flottenführung einige hundert Jahre langgenossen. Er hat die Galaxis erobert. Er hat sie fürdie Menschheit erschlossen. Schön - wir waren mitihm nicht mehr einverstanden. Ich dulde keinenMächtigen neben mir. Ich frage mich, weshalb er inden letzten Jahrhunderten so duldsam war. MeineHerren, wenn dieser Mann eines Tages wiederauftauchen sollte, dann ziehen Sie sich in diedunkelsten Tiefen der Galaxis zurück. Dann wird ernämlich nicht mehr so tolerant sein. Stellen Sie fest,was mit dem. Solarsystem geschehen ist. Ichverlange in spätestens vier Stunden Meldung. DieFlotte hebt ihre Fahrt auf und bleibt aufWarteposition.“

„Euer Weisheit, es könnte Überlebende aus denReihen des Beutekommandos geben“, wagte derKommandant des Flaggschiffes einzuwerfen.

Er erntete einen unfreundlichen Blick.„Sie mißverstehen die Situation, Herr Kapitän! Ich

lege keinen Wert darauf, noch weitere Schiffe zuverlieren. Wenn noch jemand aus den explodierendenEinheiten herausgekommen ist, was ich bezweifle, ister in diesem Inferno untergegangen. Wir beginnenmit der Suche, sobald die künstlichen Sonnenerloschen sind und die Sekundärstrahlung verwehtist.“

Imperator Dabrifa verließ die Zentrale seinesFlaggschiffes. Es glich den terranischen Ultrariesender Galaxis-Klasse - aber nur äußerlich.

Die Stabsoffiziere sahen dem Mächtigsten derKoalition schweigend nach. Man räusperte sich undging zur Tagesordnung über. Kritiken warenlebensgefährlich.

11.

Die Menschen, die das Ereignis einer gesteuertenZeitverschickung auf den Tageshalbkugeln ihrerWohnwelten miterlebt hatten, bemerkten vorerstnichts von dem düsterroten Leuchten und Wallen.

Nur jene, die nach dem Verlassen derSchutzbunker einen dunklen Nachthimmel über sichsahen, vermißten plötzlich das gewohnte Flimmernder Sterne. Sie sahen dieses rote Leuchten, und siewußten, daß sie ein Phänomen des Hyperraumeserblickten.

Alle anderen Gegebenheiten waren normal. DieSonne schien wie immer, und der Herbstwind wehtewie immer. Funkgespräche aller Art,Transmittersprünge von Planet zu Planet und dieintersolare Raumschifffahrt wurden in keiner Weisebehindert Die Verschiebung in die so genannteLabilzone war fast unmerklich verlaufen. Nur die

Männer und Frauen auf Merkur hatten es heftiger zuspüren bekommen.

Am kosmonavigatorischen Standort desSonnensystems hatte sich nichts geändert. Es standnach wie vor an Ort und Stelle, nur war es vonBewohnern der Normalzeit-Ebene nicht mehr zusehen. Es mußte auch jedermann völlig unmöglichsein, das Solsystem jemals wieder zu erblicken, es seidenn, es wäre in die Normalzeit zurückgefallen, oderein genialer Wissenschaftler wäre auf die Ideegekommen, Waringers Experiment genaunachzuvollziehen.

Die Labilzone war im Grunde genommen bereitsein Bestandteil des übergeordneten Hyperraumes.Das Antitemporale-Gezeitenfeld verhinderte jedocheine Entstofflichung und stellte die erforderlicheStabilität her. Die Sonne diente als Kraftquelle.

Perry Rhodan stand vor dem Problem,fünfundzwanzig Milliarden Menschen dietechnischen Vorgänge des Fünfhundertjahres-Planeszu erklären. Er hatte ferner Rechenschaft darüberabzulegen, weshalb er den durch Agentenmeldungenbekannt gewordenen Angriff nicht durch die SolareFlotte mit aller Härte und Gnadenlosigkeitaufgefangen hatte.

Die Sendung von Solar-Television lief. Rhodanwar auf einigen Milliarden Bildschirmen zu sehen.

*

„... stand es nach der Second-Genesis-Krise unddem Abfall der bisherigen Kolonien fest, daß dieNachkommen der Früh-Auswanderer ihren eigenenWeg zu gehen beabsichtigten. Ich gewährte ihnen dieabsolute Souveränität, obwohl Anzeichen für dieEntstehung einiger Diktaturen bereits im Jahre 2931erkennbar waren. Wie Ihnen aus der Geschichte derMenschheit bekannt ist, gelang es uns im Jahre 2437,die technischen Geheimnisse derZweitkonditionierten, also der so genannten ErstenSchwingungsmacht zu erbeuten. Dazu gehörten auchUnterlagen über einen Zeitgenerator auf derWirkungsbasis eines Paratronkonverters.

Meinen Mitarbeitern und mir war es klar, daß wiruns eines Tages mit Gegnern zu messen habenwürden, die ebenfalls menschlicher Abstammungwaren. Nichts in dieser Galaxis ist gefährlicher,härter und vorandrängender als das IndividuumMensch. Die drei großen Sternenreiche bildeten sich.Wir hätten diesen Vorgang mit Waffengewaltunterdrücken können. Freunde hätten wir dadurchnicht gewonnen. Die Kampfhandlungen wärenentsetzlich gewesen und hätten sich überJahrhunderte erstreckt. Ich habe daher auf einegewaltsame Erhaltung der gewohnten Ordnungverzichtet und mir ein Beispiel an der Frühgeschichte

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der Menschheit genommen. Nach Freiheit strebendeVölker können immer nur für einige Zeit beherrschtwerden. Sie kennen aus früheren Diskussionen meineBegründung. Sie wurde von der Wählerschafthonoriert.“

Rhodan unterbrach seine Ansprache, um dieFilmeinblendungen abzuwarten. Die Entstehung derHauptschaltzentrale Merkur wurde gezeigt. EinSprecher erläuterte die Vorgänge.

„Das vom Waringer-Team entwickelteAntitemporale-Gezeitenfeld basiert in derEnergieversorgung auf einem hyperschnellenLeitstrahl, Hypertronzapfer genannt. Die der Sonneentzogene Energie wird von demHaupt-Gezeitenwandler auf Merkur aufgenommen,in hyperenergetische Schwingungseinheitenumgewandelt und mittels einer Para-Verbundleitungüberlichtschnell an die Planetenstationenweitergegeben.

Diese Kraftanlagen sind mit Großfeldprojektorenzu vergleichen. Man nennt sieAntitemporale-Gleichrichtungskonverter.

Sie erzeugen das ATG-Feld, das infolge seinerStruktur in der Lage ist, das Niveau derNormalzeitebene aufzuheben und eine neutraleExistenzebene zu schaffen, die jedoch zeitlich umfünf Minuten in der Zukunft existiert. Derkosmonavigatorische Standort ändert sich nicht. DasSolsystem steht nach wie vor an Ort und Stelle, nurkann es von Bewohnern der Realzeit nicht mehrgesichtet, geortet oder gar angegriffen werden.Körper, die sich in der Labilzone des ATG-Feldesbefinden, sind für die Realzeit nicht vorhanden.“

Rhodan lauschte auf die Worte des Sprechers. DerFilm dauerte zwei Stunden. Er enthielt dieGeschehnisse der letzten fünfhundert Jahre.

Rhodan wartete die letzte Folge ab. Er ergriffwieder das Wort.

„Das Projekt erhielt die Tarnbezeichnung Laurin.Vor einigen Wochen wurde ich aus gut unterrichtetenKreisen über ein Vorhaben der drei großenSternenreiche informiert. Man hatte dieAntiterranische Koalition gegründet, mit dem Ziel,Terra auszuschalten, die Planeten zu erobern und densolaren Einfluß für alle Zeiten zu brechen. Ich standvor der Frage, ob die Solare Flotte einzusetzen sei,oder ob Laurin ausgerufen werden müsse. Ich habeden Weg in die Zukunft gewählt. Eine militärischeAuseinandersetzung mit Menschen, die vonTerranern abstammen, hätte ein Blutbadohnegleichen bedeutet. Die Kommandeure derSolaren Flotte waren zwar der Auflassung,achtzigtausend gegnerische Einheiten vernichtendschlagen zu können, aber die eigene Verlustquotewurde zu optimistisch eingestuft. Terra hättemindestens zwölf- bis fünfzehntausend Raumschiffe

verloren. Millionen Menschen hätten ihr Lebenopfern müssen. Ich habe daher das Solsystem in dieZukunft versetzt, mit der Gewißheit, daß sich die dreigroßen Reiche nach dem Verschwinden desgemeinsamen Gegners sehr schnell untereinanderentfremden werden. Meine fastfünfzehnhundertjährige Erfahrung lehrt, daß sichGruppen, die von Natur aus rivalisieren, nur dann zueiner Allianz zusammenfinden, wenn es darum geht,einen Übermächtigen zu schlagen. Dieser Faktor istdurch das Verschwinden unseres Systems nicht mehrexistent. Es wird zu Streitigkeiten kommen; dieKoalitionsflotte wird sich zersplittern. Die freienSysteme werden ihre Souveränität behalten,vorausgesetzt, die jeweiligen Regierungen verstehenes einigermaßen geschickt, die Machthaber der dreigroßen Reiche gegeneinander auszuspielen. Ichzweifle nicht daran.

Terra wird jedoch zum unangreifbaren Symbol imHintergrund der Ereignisse. Sobald sich dieVerhältnisse stabilisiert haben, werden unsereHandelsraumschiffe ihre Transportdienste wiederaufnehmen.

Wahrscheinlich werden kluge Köpfe früher oderspäter auf die richtige Lösung kommen. Man wirddie Ereignisse rekonstruieren und vermuten, daß wireinen Weg gefunden haben, um aus der Anonymitätder Zukunft heraus wirken zu können. Das sollte unsnicht stören. Wir sind jederzeit in der Lage, diezeitlich versetzte Labilzone zu verlassen und durchdie so genannte Temporalschleuse die Gegenwartaufzusuchen. Nähere Informationen darüber werdenSie in den nachfolgenden Kommentaren erhalten.“

Rhodan wechselte den Platz mit einemWissenschaftler des Waringer-Teams. Waringerwinkte dem Großadministrator zu und deutete aufeinen Bildschirm.

Rhodan trat näher. Weiter vorn erklärte derSprecher technische Details.

„Es ist gelungen“, sagte Waringer fast flüsternd.„Mein Gott - auch das ist gelungen. DieTemporalschleuse steht. Ich weiß nicht, wie man ihrelichte Weite oder ihre Länge messen sollte. Siegleicht aber einer Röhre. Die hyperphysikalischenVorgänge erlauben keinen normaldimensioniertenMaßstab. Es ist aber sicher, daß wir in dasTemporalfeld einfliegen können. Eine Orientierung,wie weit die Relativzeit überwunden wird, bieten dieFarbunterschiede innerhalb der Schleuse. Dunkelrotist unsere Labilzeit. Danach folgen die Farbenhellrot, gelb, hellgrün und anschließend weiß. Damitist die Realzeit wieder erreicht. Die Zustandsebene istbeim Durchflug gewechselt worden.“

„Ein Lob der Theorie“, spöttelte Rhodan, ohne daßer es eigentlich wollte. „Eine Etappenreise in Farben,schön. Und wenn das letzte, wahrscheinlich

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schwierigste Detail nicht gelingt, Abel? Was dann?“Waringer deutete auf einen anderen Bildschirm. Aufihm war plötzlich das Lohen zahlloser, in sichverwehender Atomwolken zu sehen.„Die erste Beobachtungssonde ist m die Realzeitzurückgekehrt. Das sind Aufnahmen aus demNormalraum. Die Transmiformstationen habengezündet.“Waringer ging schweigend davon. Er mußte mit sichund seinem wissenschaftlichen Triumph allein sein.Rhodan stand lange vor dem großen Bildschirm, derdie Außenwelt zeigte. Der Normalraum war zu einersolchen geworden.„Die neue Epoche hat begonnen. Wie wird sieenden?“ überlegte Rhodan, ohne jemand direkt

anzusprechen. „Mir scheint, als hatten wir den erstenSchicksalskreis durchwandert. Nun fangen wirwieder von vorne an. Diesmal durfte es schwierigersein, die Menschheit zu einen. Wir wollen esversuchen, und immer wieder versuchen. DieMenschheit ist es wert, daß man sich um siebemüht.“Rhodan ging ebenfalls. Über Merkur aber stand derhypertronische Zapfstrahl. Er brachte die Energie, dieman zur Erhaltung des Antitemporalen-Zeitfeldesbenötigte.

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