29
MESS- und TÄTIGKEITSBERICHT des RADIOLOGISCHEN MESSLABORS des LANDES SALZBURG (RMLS) am INSTITUT FÜR PHYSIK UND BIOPHYSIK der UNIVERSITÄT SALZBURG Vorstand: O.Univ.Prof.Dr. Friedrich Steinhäusler Techn. Laborleiter: Ing.Dr. Herbert Lettner Mitarbeiter: Dr. Alexander Karl Hubmer Mag. Christian Erlinger Ing. Alois Achleitner Mag. Ulrich Mack Berichtszeitraum 1. April 2004 – 30. September 2004

MESS- und TÄTIGKEITSBERICHT des RADIOLOGISCHEN ......2004/04/01  · MESS- und TÄTIGKEITSBERICHT des RADIOLOGISCHEN MESSLABORS des LANDES SALZBURG (RMLS) am INSTITUT FÜR PHYSIK

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

  • MESS- und TÄTIGKEITSBERICHT des RADIOLOGISCHEN MESSLABORS

    des LANDES SALZBURG (RMLS) am

    INSTITUT FÜR PHYSIK UND BIOPHYSIK der

    UNIVERSITÄT SALZBURG

    Vorstand: O.Univ.Prof.Dr. Friedrich Steinhäusler

    Techn. Laborleiter:

    Ing.Dr. Herbert Lettner

    Mitarbeiter: Dr. Alexander Karl Hubmer

    Mag. Christian Erlinger Ing. Alois Achleitner

    Mag. Ulrich Mack

    Berichtszeitraum

    1. April 2004 – 30. September 2004

  • INHALTSVERZEICHNIS

    1. ZUSAMMENFASSUNG 1

    2. KONTROLL- UND EICHMESSUNGEN DER MESSANLAGEN 2

    3. AUFTRAGSMESSUNGEN FÜR DIE LANDESREGIERUNG 3

    3.1. Radonmessungen in Radstadt 3

    3.2. Radonmessungen im Polizeiwachzimmer Bahnhof 3

    4. RADIOAKTIVES INVENTAR VON GLETSCHERN 4

    4.1 Untersuchungsgebiete und Beprobung 5

    4.2. Bemerkungen zur Fragestellung 7 4.2.1 Literaturübersicht – Radionuklide auf Gletschern 11 4.2.2 Messergebnisse 13

    4.3 Diskussion 23

    4.4 Zusammenfassug und Schlußfolgerungen 24

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 1

    1. Zusammenfassung 1) Im Berichtszeitraum (1. Oktober 2003 – 31. März 2004) wurden laufend alle

    technischen Einrichtungen gewartet und kalibriert. 2) In der Hauptschule Radstadt wurden aufgrund Bedenken seitens der Lehrerschaft

    Radonmessungen im Auftrag der Landessanitätsdirektion (Dr. Oberfeld) durchgeführt. Die gemessenen Mittelwerte liegen im Bereich von 20 Bq/m³ und können daher in keinen Zusammenhang mit irgendwelchen gesundheitsbedenklichen Wirkungen ausgeschlossen werden.

    3) In ehemaligen Räumen der Bahnhofswache Salzburg wurde ebenfalls auf Ersuchen der

    Landessanitätsdirektion (Dr. Oberfeld) die Radonkonzentration bestimmt. Die vorgefundenen Konzentrationen im Bereich von 45 Bq/m³ sind vergleichsweise niedrig und können nicht in kausale Verbindung mit aufgetretenen Krebsfällen unter den diensthabenden Polizeibeamten gebracht werden.

    4) Der Bericht enthält die Ergebnisse einer Studie über die Radionuklidbelastung von

    Gletscherablagerungen (Kryokoniten). In diesen Ablagerungen konnten 137Cs Aktivitätskonzentrationen bis 200.000 Bq/kg gefunden werden. Das sind die höchsten jemals in der Natur festgestellten Kontaminationswerte künstlicher Radionuklide. Es ist vorerst nicht möglich zu quantifizieren, wie im Zuge des Abschmelzen der alpinen Gletscher Freisetzung und Fernverfrachtung des Radionuklidinventars und in-situ Deposition zueinander stehen.

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 2

    2. Kontroll- und Eichmessungen der Messanlagen Die Einsatzfähigkeit des RMLS ist nur gewährleistet bei wiederholter Durchführung von Kontroll- und Eichmessungen der nukleartechnischen Anlagen und ständiger Überwachung der gerätetechnischen Peripherie. Dazu gehören folgende Geräte am RMLS: 1 Oberflächen - Kontaminationsmonitor

    3 Gammadosisleistungsmeßgeräte

    3 Reinstgermanium - Detektoren mit Vielkanalanalysator und PC- Datenerfassung.

    1 Mobiles Gammaspektrometer mit Vielkanalanalysator

    1 Ganzkörperzähler mit Vielkanalanalysator und PC-Datenerfassung

    1 Alphaspektrometer mit Vielkanalanalysator

    1 Probenaufbereitungssystem mit elektronischer Wägevorrichtung und Infrarot-Probentrocknung.

    1 Elektrisches Luftsammelgerät (High-Volume Sampler)

    1 EDV System mit vernetzten Computern und Zugang zum Internet

    1 Tragbare Strahlenschutzausrüstung für Notfälle (Strahlenschutzkoffer)

    Die Kalibrierung der Meßgeräte wird unter Verwendung von international üblichen Eichstandards mit Eichzertifikat durchgeführt. Die Überprüfung der Einsatzfähigkeit der RMLS Anlagen erfolgt routinemäßig gemeinsam mit jener der übrigen nukleartechnischen Einrichtungen.

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 3

    3. Auftragsmessungen für die Landesregierung

    3.1. Radonmessungen in Radstadt In der Hauptschule in Altenmarkt gab es seitens der Lehrerschaft Bedenken bezüglich Erkrankungen von Mitgliedern des Lehrkörpers. Aufgrund dieser Bedenken wurde der Umweltmediziner Dr. Oberfeld um Mithilfe gebeten. Dr. Oberfeld ersuchte seinerseits die Abt.IV/54 (DI Schönleitner) um Untersuchung der Radonkonzentration, der sich wiederum an das RMLS wandte mit der Bitte, im Rahmen des Vertrages mit der Salzburger Landesregierung die Messungen zu übernehmen, was auch getan wurde. Die Radon-Messgeräte wurden von Ing. Alois Achleitner im Büro des Direktors und im Konferenzraum aufgebaut. Während des Zeitraum zwischen 5. April und 4. Mai 2004 erfolgte die Messung der Radonkonzentration im Büro des Direktors, sowie im Konferenzzimmer. Die Messung umfaßte die Bestimmung des zeitlichen Mittelwertes während der Meßperiode von einem Monat mittels integrierender Radon Detektoren (Elektret SST), sowie eine zeitlich auflösende Meßreihe. Die genauere zeitliche Auflösung erfolgte im Konferenzraum mit einem aufzeichnenden Gerät (Alphaguard) zur Messung der aktuellen Radonkonzentration in 10 Minuten-Intervallen. Tab.3.1: Radonmessungen in der Hauptschule Altenmarkt

    Detektor Raum Exposition (+- 10 min) 222Rn ------- [Bq/m³] -----

    SST SS0251 Büro Direktor 05.04.04 09:10 - 04.05.04 08:10 26

    SST SS0110 Konferenzraum 05.04.04 09:10 - 04.05.04 08:10 24

    Alphaguard Konfernzraum 05.04.04 09:30 - 13.04.04 13:10 Mittelwert: 13

    Maximalwert: 52

    Meßergebnisse: Im Büro des Direktors und im Konferenzzimmer beträgt die mittlere Radokonzentration 26 Bq/m³ bzw. 24 Bq/m³. Diese Meßwerte sind praktisch ident, wenn man die statistische Unsicherheit, die bei diesem niedrigen Konzentrationsniveau bei mindestens 20% liegt, in Betracht zieht. Die genauere zeitliche Auflösung ergab einen Mittelwert von 13 Bq/m³ und einen Maximalwert von 52 Bq/m³. Die großen Unterschiede zwischen den Meßergebnissen der verschiedenen Methoden sind in dem beobachteten Niedrigkonzentrationsbereich durchaus nicht ungewöhnlich. Die ermittelten Radonkonzentrationen sind insgesamt als vergleichsweise niedrig einzustufen. Zum Vergleich dazu liegt das weltweite Mittel bei ca. 40 Bq/m³ in Innenräumen. Der Mittelwert für das gesamte Bundesland Salzburg liegt bei 70 Bq/m³. In eher kühleren Klimaregionen, zu denen Radstadt wohl auch zu zählen ist, werden im allgemeinen aufgrund des Lüftungsverhaltens normalerweise wesentlich höhere Werte registriert. Hinsichtlich irgendwelcher gesundheitlicher Auswirkungen kann bei dem beobachteten Konzentrationsbereich ein Beitrag durch Radon ausgeschlossen werden.

    3.2. Radonmessungen im Polizeiwachzimmer Bahnhof Salzburg Im Polizeiwachzimmer Bahnhof Salzburg gab es – wie in den Medien ausführlich dargelegt - in der Vergangenheit mehrere auffällige Krebserkrankungen. Deshalb veranlassten die Betriebsärztin und Dr. Oberfeld alle dem Land zur Verfügung stehenden Messungen hinsichtlich Luft, Staub,

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 4

    elektromagnetische Felder, Radioaktivität usw.; Dabei wurde auch der Wunsch nach einer Radonmessung in den alten, bis 1998 genutzten Räumen der Wachstube geäußert, da auch mehrere Lungenkrebsfälle unter den registrierten Krebserkrankungen aufgetreten waren. Das RMLS stellte für die Messung die notwendigen Detektoren zur Verfügung. Von DI Pankraz Schönleitner (Abt. VI/54) wurden am Freitag, den 6.8.2004, drei Messdosen zur integrierenden Radonmessungen in drei verschiedenen Räumen der ehemaligen Wachstube aufgestellt, wo sie bis zum 30.8.2004 verbleiben.

    Elektret Aufstellungsort* Expositionsdauer Rn [Bq/m³] SF6958 1 6.8.04 – 30.8.04 44 SS0251 2 6.8.04 – 30.8.04 48 SF7016 3 6.8.04 – 30.8.04 44

    * lt. Angaben Abtl.VI/54 Meßergebnisse: Die in den Räumen der ehemaligen Bahnhofswache ermittelten Radonkonzentrationen variieren zwischen 44 Bq/m³ und 48 Bq/m³. Dabei handelt es sich um zeitliche Mittelwerte über den Expositionszeitraum von ca. 3 Wochen während des Sommers mit einer statistischen Unsicherheit des Meßergebnisses, die bei diesem Konzentrationsniveau etwa bei 15% liegt. Erfahrungsgemäß ist aufgrund des Beobachtungszeitraumes im Sommer, in dem wetterbedingt nicht geheizt und viel mehr gelüftet wird als in der kalten Jahreszeit, davon auszugehen, dass die Mittelwerte während des Winters erheblich höher sein können. Im Mittel wird von doppelt bis dreifach so hohen Winterwerten ausgegangen. Die beobachteten Mittelwerte liegen, ebenso wie in Radstadt der Fall, unter der für Salzburg ermittelten mittleren Radonkonzentration von 70 Bq/m³ (ÖNRAP Projekt). Auch unter der Annahme wesentlich höherer Winterwerte von ca. 150 Bq/m³ ist davon auszugehen, daß der Jahresmittelwert im Bereich des Salzburger Mittelwertes liegt. Bei den gegebenen Radonkonzentrationen handelt es sich um vergleichsweise geringe Werte. Als ursächlich in kausaler Verbindung stehend mit den aufgetretenen Krebsfällen können die vorgefundene Radonkonzentration zwischen 44 und 48 Bq/m³, bzw. 150 Bq/m³ als theoretischer Winterwert, ausgeschlossen werden.

    4. Radioaktives Inventar von Gletschern

    Im Rahmen eines radioökologischen Projektes wurde auf dem Stubacher Sonnblickkees begonnen, die radioaktive Belastung dieses Gletscher zu untersuchen. Diese Tätigkeit fand beachtliches, Interesse in den Medien und in der Öffentlichkeit. Begonnen haben die Arbeiten im Spätsommer 2003, nach einer Perioden intensivster Abschmelzung des Gletschers, die eine ungewöhnlich gute Zugänglichkeit der abgelagerten Sedimente erst ermöglichte. Die Arbeiten wurden heuer, witterungsbedingt und allerdings nur in geringem Umfang weitergeführt. Es ist geplant, diese Thematik in einem ausgedehntem Forschungsprojekt intensiv zu bearbeiten.

    Aufgrund der Topographie werden im alpinen Raum ferntransportierte Schadstoffe bevorzugt abgelagert, das gilt vor allem für weit verfrachtete Radionuklide, wie die Kernwaffenversuche nach dem zweiten Weltkrieg und der Reaktorunfall in Tschernobyl in eindeutiger Weise demonstriert haben. Schadstoffe und Radionuklide werden vorwiegend über den Mechanismus der Naßdeposition abgelagert. Die der vorherrschenden Windrichtung zugewandte Seite der Bergregionen ist einerseits durch die Bildung von Regen in Stauwetterlagen und andererseits durch den generellen Anstieg der Niederschlagsmenge mit der Seehöhe besonders betroffen. Daher liegen in Österreich die Gebiete mit

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 5

    der höchsten radioaktiven Kontamination in den Alpen. Gleichermaßen begünstigt durch diese Mechanismen wird die Ablagerung von Schadstoffen und Radionukliden auf den alpinen Gletschern.

    Im Zuge der allgemeinen Klimaänderung ist allen Prognosen nach mit einer deutlichen Erwärmung im alpinen Raum zu rechnen, die ein Abschmelzen oder zumindest einen weiteren starken Rückgang der Gletscher zufolge haben wird. Dadurch besteht die Möglichkeit der Freisetzung des in Gletschern gebundenen Schadstoff- und Radionuklidinventars. Die Freisetzung, und in weiterer Folge der Abtransport der Schadstoffe, sind eng mit ihrem Verhalten im aquatischen System verbunden. Die Mechanismen, die das Mobilitätsverhalten kontrollieren, stehen daher im Zentrum der radioökologischen Forschung auf diesem Gebiet. Z.B. produzieren Gletscher infolge ihrer Bewegung über dem Untergrund erhebliche Mengen an Feinstsubstanz, die durch ihr großes Bindungsvermögen für Schadstoffe und Radionuklide eine Fernverfrachtung dieser Substanzen über den Wasserpfad ermöglichen.

    Die Mobilität von Radionukliden ist ein wesentlicher Einflussfaktor auf die Höhe der Konzentration in der Vegetation und letztendlich in allen Gliedern der Nahrungskette. Im Gasteinertal gibt es eine auffällige Korrelation zwischen hohen Transferfaktoren und relativ hoher Cs-Konzentration im Wasser der Gasteiner Ache. Neben diesen Faktoren scheint der Einfluss der mikrobiellen Biomasse auf die Verfügbarkeit und den Transfer von Radionukliden in die Pflanze von erheblicher Bedeutung zu sein. Bodenmikroorganismen (bes. Pilze und Bakterien) nehmen in der Mobilisierung und Speicherung von Nährelementen eine Schlüsselrolle ein, indem sie anfallende organische Substanzen am und im Boden abbauen, umsetzen und die freigesetzten Nährstoffe zum Aufbau eigener Biomasse nutzen bzw. für Pflanzenwurzeln verfügbar machen.

    Aus diesen Überlegungen bzw. offenen Fragen ergeben sich für das vorliegende Projekt folgende Ziele:

    • Bestimmung des Radionuklid-Inventars auf dem Schlapperebenkees

    • Quantifizierung des korngrößenabhängigen Schadstofftransportpotentials

    • Wasserchemie und Zusammenhang mit erhöhter Radionuklidführung und Transfer

    • Quantifizierung des Einflusses der mikrobiellen Biomasse auf den erhöhten Transfer

    4.1 Untersuchungsgebiete und Beprobung Alle Untersuchungsgebiete liegen am Alpenhauptkamm (Abb.4/1), das Stubacher Sonnblickkees und das Schlapperebenkees auf der Salzburger, der Hohe Sonnblick auf der Kärntner Seite. Das Schlapperebenkees wurde gewählt, weil aus dem Gebiet (Gasteiner Nassfeld) schon viele Messwerte existieren (Almprojekt) und eine Beziehung zu Messwerten aus dem Bereich des Gletschers interessant erschien; allerdings ist der Gletscher leider nur schwer zugänglich. Das Stubacher

    Abb.4/1: Untersuchungsgebiet, Hauptkamm der Hohen Tauern

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 6

    Sonnblickkees wurde dagegen wegen seiner leichten Erreichbarkeit (Seilbahn zur Rudolfshütte), der Infrastruktur der Rudolfshütte (Dependence der Universität Salzburg), und weil der Gletscher gut bekannt und leicht zugänglich ist, gewählt. Der Hohe Sonnblick einet sich, weil wegen der Station auf dem Gipfel wichtige Umweltdaten zur Verfügung stehen, außerdem wegen der ebenfalls leichten Zugänglichkeit. Vom Stubacher Sonnblickkees (Fläche 1.8 km²) wurden Proben von drei Stellen entnommen, dem unteren Teil der Gletscherzunge, ca. 2500 m Seehöhe, und zwei flachen Stellen aus dem Nährgebiet, einer Fläche unter der Granatspitze (Code GR, ca. 2900 m SH), und dem Fieleggboden (Code FB, ca 2800 m SH). Die Situation ist auf Abb.4/2 dargestellt. Vom Gletscher abschmelzendes Eis wird teilweise vom Gletscherbach abgeleitet, der in den Weißsee (Stausee eines ÖBB-Kraftwerks) unter der Rudolfshütte mündet. Der Bach verläuft relativ steil und turbulent, größere Sedimentierungsbecken sind nicht erkennbar. Die Sedimente sammeln sich daher vermutlich vor allem in dem See, sind aber wegen seiner Tiefe (im Sommer, wenn die Stauhöhe hoch ist) nicht leicht zugänglich. Aufgrund der topographischen Gegebenheiten gelangt allerdings ein Teil des Schmelzwassers nicht direkt in den Bach, sondern strömt über einen flachen Bereich am Fuß des Gletschers, wo größere Sedimentflächen zu erkennen sind (Abb.4/5). Abb.4/3 zeigt das Schlapperebenkees und den oberen Teil des Schlapperebenkars, vom Gletscher durch eine Felsstufe getrennt. Unterhalb des Gletschers, in den flachen Teilen des Kars zwischen den Felsstufen, liegen Sedimentationsflächen mit teilweise erheblichen, sehr feinkörnigen Sedimentkörpern.

    Stubacher Sonnblickkees

    2900 m

    2800 m

    2500 m2900 m

    2800 m

    2500 m

    Abb.4/2: Untersuchungsgebiet Stubacher Sonnblickkees mit den drei Probenahmestellen.

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 7

    Abb.4/3: Schlapperebenkar;

    1: Gletscher

    2: Gletscherbach, Wasser- und Sedimentprobe

    3: Kar mit Sedimentflächen (Abb. 3.5)

    In den Nähe des Gletscherbaches am Fuß des Gletschers liegen kleine Sedimentierungsbecken, Abb.4/4, weiter unterhalb relativ große Flächen, Abb.4/5.

    Abb.4/4: Sedimentbecken nahe des Gletscherbachs (dahinter), ca. 2450 m SH

    Abb.4/5: Sedimentierungsflächen am Boden des Schlapperebenkars, ca. 200 m unterhalb des Gletschers

    In der flachen Zone des Kars liegen ausgedehnte Sedimentierungsflächen (Abb.4/5), aus denen Proben genommen wurden. Wasserproben aus diesem Bereich, wo sich der Gletscherbach mit Bächen, die in den Schotterflächen und seitlichen Flanken des Kars entspringen, vereinigt, wurden bereits in einem früheren Projekt (Radalp-2) isotopenhydrologisch untersucht und ihre unterschiedliche hydrologische Herkunft (Alter des Wassers) bestätigt. Probenahme und -aufbereitung Sediment- und Kryokonitproben wurden mit Handschaufeln genommen, im Labor getrocknet und grobe Verunreinigungen entfernt. Einige Sedimentproben wurden in Korngrößen aufgetrennt. Aus Wasserproben wurde Cäsium vor der gammaspekrometrischen Messung mittels Phosphatfällung abgetrennt.

    4.2. Bemerkungen zur Fragestellung Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Fragestellung, wie viel an Chernobyl- und global Fallout, das auf Gletschern deponiert wurde, noch dort zu finden ist, bzw. was mit ihm passiert ist. Die

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004

    Untersuchungen haben bald gezeigt, dass die „naive“ Bestimmung von radioaktiven Inventaren, wie etwa in Böden, auf Gletschern nicht einfach durchführbar ist. Gründe sind • der Abtransport, bzw. die Umlagerung von Fallout gleich nach der Deposition durch

    Schmelzen oder Windverfrachtung (kurzfristiger Prozess); • die Gletscherdynamik, die dazu führt, dass kontaminierte Schichten - so vorhanden – mit dem

    fließenden Gletscher horizontal und vertikal transportiert werden (langfristiger Prozess), und daher i. a. nicht zu erwarten ist, dass sich nach etlichen Jahren nach der Deposition die Radionuklide noch am Ort ihrer Deposition befinden;

    • Lokale mechanische Umlagerung, Verdichtung in Flecken, Gruben und Löchern; • Transformation des Fallouts durch chemische oder biologische Aktivität. Als Folge ist der Fallout extrem kompliziert und „unübersichtlich“ verteilt und mittels Standardmethoden wie flächenbezogene oberflächliche Probenahme, Bohrkerne oder in situ-Gammaspektrometrie nicht quantifizierbar. Im besonders heißen Sommer 2003 ist auf vielen Gletschern fast der gesamte Schnee abgeschmolzen, auch das Eis selbst war vom Abschmelzen stark betroffen. Die Gletscher sind „schmutzig“ erschienen, ihre Oberfläche war deutlich grau. Ursache sind die Kryokonit genannten Sedimente. Erste Proben haben ergeben, dass sie teilweise stark mit 137Cs belastet sind, die weitere Untersuchung hat sich deshalb auf die Kryokonite konzentriert, erstens weil zu erwarten ist, dass ein erheblicher Teil des Fallouts in ihnen gespeichert ist, und zweitens, weil sie ein bisher radiologisch fast nicht erforschtes Umweltmedium sind. Was ist Kryokonit ? Sogenannte äolische Sedimente (vom Wind transportierte Teilchen, Aerosole, erodierter Fels oder Boden, Sand aus der Sahara, organische Reste,...) werden, wie überall, auch auf den Gletschern abgelagert. Die speziellen Verhältnisse in Schnee und Eis führen zu einem besonderen Verhalten dieser Sedimente. Wenn Schnee und Eis sozusagen unter den Sedimenten wegschmelzen, ohne diese abzutransportieren (was nicht geschieht, solange keine kräftigen Schmelzwasserströme entstehen), werden die Sedimentschichten immer dicker und dunkler. Damit verringert sich das Reflexionsvermögen (Albedo) der Oberfläche, es wird mehr Wärme absorbiert und der Schmelzprozess dadurch noch verstärkt. Die Anwesenheit der Kryokonite bewirkt somit eine Selbstverstärkung (positive Rückkopplung). Dieser Effekt ist öfter beschrieben worden (z. B. Takeuchi, Internet; Frey et al. 2001). Unser derzeitiges – provisorisches und nur qualitatives – Verständnis des Prozesses geht von einer „kaskadenhaften“ Entstehung der Kryokonitkörper aus. Die (oft mikroskopischen) Sedimentkörner konzentrieren sich im 1. Schritt kleinsträumig lokal zu mm- bis cm-großen Flecken oder Körnern, vielleicht durch lokalen Transport mit Schmelzwassertropfen. Diese kleinen Flecken schmelzen, sobald sie an der Oberfläche exponiert liegen, wegen ihres hohen Wärmeabsorptionsvermögens in diese ein und bilden die häufig zu beobachtenden Kryokonitlöcher. Die Bildung von Kryokonit-„Lagern“ (größere Sedimentkörper) beginnt anscheinend mit solchen „Kryokonitlöchern“; dazu Takeuchi (Internet; Literatur s. d.):

    „A cryoconite hole is a water filled cylindrical melt-holes on glacial ice surface. It has been reported from glaciers in many parts of the world: Arctic, Antarctic, Greenland, Canada, Tibet, and Himalayas. (…) At bottom of the cryoconite holes, dark colored material called cryoconite is deposited. As the cryoconite absorbs solar radiation and promotes melting of the ice beneath it, the cylindrical holes are formed. Cryoconite holes have been suggested to play important roles in the glacier ecosystems because many kinds of living organisms have been reported from this structure on the glaciers, for example, algae, rotifer, tardigrada, insects and ice worm. (it has been) suggested that cryoconite holes are individual ecosystems with distinct boundaries, energy flow, and nutrient cycling. Cryoconite holes of Himalayan glaciers were also reported to provide semi-stagnant aquatic habitats to various organisms on the glacier

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004

    such as algae, insects and copepods (…). Thus, it is important to know the basic characteristics of Himalayan cryoconite holes, such as morphology, distribution, and stability, to understand the glacier ecosystem of this region.”

    Abb.4/5: Kryokonitloch (aus Takeuchi, internet)

    Abb.4/6: Kryokonitlöcher, Stubacher Sonnblickkees

    Takeuchi betont den Beitrag biologischer Aktivität zur Kryokonitbildung und den daraus folgenden Einfluss auf die Gletscherdynamik, siehe auch Abb.4/5, 6, Abb.4/7: “Blooms of snow algae can reduce the surface albedo (light reflectance) of snow and ice, and largely affect their melting (…). For example, some glaciers in Himalayas are covered with a large amount of dark-colored biogenic material (cryoconite) derived from snow algae and bacteria (…). The albedo of the intact surfaces bearing the cryoconite was substantially lower than that of the surface from which the cryoconite was artificially removed (5% versus 37%). The melting rates of the intact surfaces were reported to be 3 times larger than that of the surfaces without the cryoconite. Thus, snow algal activity possibly affects heat budget and mass balance of glaciers.”

    Abb.4/7: Mögliche Rolle von Mikroorganismen bei der Kryokonitbildung- und transformation und ihr Einfluss auf die Gletscherdynamik, aus Takeuchi (Internet)

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004

    Abb.4/9: Am Grund einer ehemaligen Gletscherspalte angereicherte Sedimente

    Das Algenwachstum führt demnach zur Bildung der Kryokonit-Körner (Takeuchi, Internet):

    “Cryoconite granules are dark-colored spherical algal mats and the main component of cryoconite (biogenic surface dust on glaciers). The granules consist of mineral particles, organic matter, bacteria and cyanobacteria (blue-green algae). Size of the granules are usually from 0.2 - 2.0 mm in diameter. The granules are growing up by cyanobacterial activity. Cryoconite granules are usually depositted at the bottom of cryoconite holes. This granule structure is common on glaciers all over the world.”

    Die Kryokonitlöcher wachsen und bilden Sedimentfallen. Das über ihnen stehende Schmelzwasser kann wieder einfrieren oder auch horizontal oder vertikal abfließen (Spalten und Poren im Eis), Sedimente dadurch an Orten angereichert werden, wo das Wasser stagniert, Senken im Gletscher, Boden von Gletscherspalten, die stufenförmigen Ablationskanten („Jahresringe“) usw. Auf diese Weise können erhebliche Sedimentvolumina entstehen, wie sie auf dem Stubacher Sonnblickkees tatsächlich zu finden sind.

    Abb.4/8: Wege des Schmelzwassers im Gletscher. Aus Jansson et al. (2003)

    Beispiel Gletscherspalten Von der Gletscheroberfläche erodiertes Material sammelt sich auch am Rand und am Boden von Gletscherspalten. Die Gletscherspalte schneidet sediment-führende Schichten an, die auf diese Weise zugänglich werden Wenn der Gletscher schmilzt, werden auch Spalten u. U. bis zum Boden abgetragen, sodass die Sedimente frei in seichten, grabenartigen Gruben liegen (Abb.4/9).

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004

    Beispiel Ablationskanten Das Eis schmilzt nicht gleichmäßig ab, sondern die Eisoberfläche schräg schneidende Eisschichten bleiben als Stufen bemerkbar, vermutlich weil sedimentreichere (dunklere) Schichten zwischen den Jahreslagen schneller schmelzen und daher Gruben bilden. In Abb.4/10 ist die Situation schematisch dargestellt, Abb.4/11 zeigt einen realen Fall.

    Abb.4/10: An die Oberfläche tretende alte Eisschichten (Querschnitt), abgelagerte

    Schmutzschichten (Pfeil). Strichlierte Linie: Gletscheroberfläche. Die Stufen sind wenige cm hoch und nicht immer deutlich zu erkennen. Vor den Stufen liegen Bänder mit dunklem, feinkörnigen Material, das beim Abschmelzen der Schichten dort abgelagert wird. Diese Schichten sind Sedimentfallen und es ist zu erwarten, dass in ihnen auf dem Gletscher deponierte Materie angereichert ist.

    4.2.1 Literaturübersicht – Radionuklide auf Gletschern Zum Thema „künstliche Radionuklide in Gletschern“ gibt es nicht sehr viel Literatur, vielleicht weil glaziale Ökosysteme als biologisch nicht relevant erachtet wurden, oder wegen der methodischen Schwierigkeiten ihrer Untersuchung. Das Chernobyl-137Cs-Inventar eines Gletschers zu bestimmen, wurde gemäß zugänglicher Literatur unseres Wissens noch nie versucht. Es gibt allerdings einige Arbeiten, in denen die Chernobyl- und Bombenfallout-„Signale“ im Eis identifiziert werden. Die meisten Untersuchungen verwenden das 137Cs als Tracer zur Bestimmung von Akkumulationsraten.

    In Österreich wurden Mitte der 60er Jahre Schneeschächte in der Akkumulationszone des Stubacher Sonnblickkeeses gegraben und darin Radioaktivitätsprofile bestimmt (Ambach et al., 1969). Dabei wurden klare, auf den Atombombenfallout zurückgehende Profile festgestellt, sogar die jahreszeitlichen Schwankungen der Deposition waren in den Profilen konserviert. Auf der Suche nach dem Chernobyl-Fallout wurden schon Anfang Mai 1986 Schneeproben in Nordgrönland und Spitzbergen genommen (Pourchet 1986). Die kontaminierte Schneeschicht war damals einfach zu identifizieren. Die Proben wurden mittels Gammaspektrometrie gemessen.

    Abb.4/11: Ablationskante mit Schmutzschicht

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004

    Anfang Juli 1986 nahmen Haeberli et al. (1988) 9 Kerne aus Schnee und Firn hochgelegener Schweizer Gletscher. Die Kerne wurden in 10 cm lange Stücke geschnitten und mit LSC und Gammaspektrometrie untersucht. Dabei wurde in allen Fällen der Chernobyl-Horizont identifiziert. Unterhalb 4000 m wurde ein Redistributionseffekt durch Schmelzwasser festgestellt. Der Chernobyl-Horizont ist dadurch relativ stark „verschmiert“. In ausreichender Höhe kann angenommen werden, dass das Schmelzwasser in tieferen Firnschichten wieder festfriert, aber ein (schwer quantifizierbarer) Verlust von 137Cs durch Abschmelzen und horizontalen Transport ist ebenfalls anzunehmen. In Österreich haben Ambach et al. (1987a-d, 1988a,b, 1989a-e, 1991), Eisner & Ambach (1988) Gletscher auf 137Cs hin untersucht. Zwischen Juli und November 1986 wurden in den Akkumulationszonen von Tiroler Gletschern 55 Tiefenprofile genommen. Schichtdicken betragen 15 cm, gemessen wurden die eingedampften Proben mit Gesamt-Beta und Gammaspektrometrie. Der Chernobyl-Horizont konnte eindeutig identifiziert werden, in tieferen Schichten wurden Kontaminationen gefunden, die mit Perkolation von Schmelzwasser erklärt wurden. Jedenfalls war bis November 1986 nicht die gesamte Chernobyl-Schicht abgeschmolzen. Bei Nachmessungen auf einem Gletscher (Kesselwandferner, Ötztaler Alpen, ein temperierter Gletscher, 3250 m) in den Sommern 1987 und 1988 wurde die Chernobyl-Schicht zwar wieder gefunden, wenn auch von neuem Schnee überdeckt, aber mit niedrigeren Aktivitätskonzentrationen, und deutlich „verschmiert“, sodass der Schicht keine eindeutige Tiefe zugeordnet werden kann. Schmelzwasser aus dieser Schicht ist weiter nach unten gedrungen und zum Teil an Schmutzschichten gebunden worden. Die Perkolation erfolgt nicht räumlich gleichförmig, sondern entlang von Kanälen. Daraus ist zu schließen, dass das Inventar räumlich anderes verteilt ist als die ursprüngliche Deposition. - Die Autoren bestimmen keine Cäsium-Inventare der Gletscher. Sie nehmen an, dass die relativ scharfe Oberkante der Chernobyl-Schicht (verschmiert nur nach unten) noch lange feststellbar sein sollte und als Referenzschicht für Akkumulationsberechnungen dienen kann. Jaworowski et al. (1997) beschreiben eine klar zu identifizierende Chernobyl-Schicht in einem norwegischen Gletscher, untersucht 1989-90. Im Eis wurden bis zu 1156 Bq/kg 137Cs gefunden, in „Staub“ bis zu 832 Bq/g (!). Die horizontale Variabilität der aus der vertikalen Verteilung bestimmten Depositionsdichte ist extrem groß, sie wird von den Autoren auf den Anteil an hot particles zurückgeführt. Unterhalb der Chernobyl-Schicht wurde keine Perkolation gefunden. Dibb (1989) entnahm 1987-88 in Grönland Schnee- und Eisproben vom Rand zu diesem Zweck gegrabener Gruben um den Chernobyl-Horizont zu finden. Aus 1 kg Schnee bzw. Eis wurde mittels Ionenaustausch Cäsium isoliert und gammaspektrometrisch gemessen. Die gefundene sehr hohe horizontale Variabilität des 137Cs Inventars wird auf Umverteilung des kontaminierten Schnees mit dem Wind erklärt. Aus der Tiefe des Chernobyl-Horizonts wurden Akkumulationsraten berechnet. Pourchet et al. (1995) verwenden die Tiefen der 137Cs-Horizonte in Gletschern von Spitzbergen zur Bestimmung der Akkumulationsraten der Gletscher. Zu diesem Zweck wurden Eisbohrkerne genommen und je 20 cm lange Stücke nach Konzentration durch Ionenaustausch mittels Gesamt-beta und Gammaspektrometrie untersucht. Die Untersuchung hatte keine Inventarbestimmung zum Ziel. In der Untersuchung trug die natürliche Radioaktivität dominant zur Gesamt-Betaaktivität bei. Pinglot & Pourchet (1995) beschreiben im Detail die radiometrischen Techniken, unter anderem Gammaspektrometrie mit Comptonreduktion. Die Identifizierung der Chernobyl- und Bombentest-Horizonte wird an Beispielen französischer Gletscher (teilweise weit über 4000 m hoch gelegen) gezeigt. Das 137Cs-Inventar (stammend von den Atombombentests) der Antarktis wurde von Pourchet et al. (1997) bestimmt. Gefilterte Wasserproben aus Schnee wurden mittels Gammaspektrometrie mit aktiver Comptonreduktion auf 137Cs, 210Pb und andere Radionuklide untersucht. Letzteres Nuklid kann zur Datierung verwendet werden. Die Verhältnisse in antarktischen und österreichischen Eisflächen sind allerdings nicht vergleichbar. In Gletschern der Rocky Mountains und des Himalaja bestimmten Green et al. (2000) 36Cl (natürlichen Ursprungs, aus der Wiederaufarbeitung und aus global fallout) und 137Cs in Eiskernen. Dabei wurden in Eisschichten, die der Zeit des maximalen global Fallout zuzuordnen sind, bis zu fast 0.8 Bq/kg Eis gefunden. Inventare wurden auch von diesen Autoren nicht zu bestimmen versucht. Mit der Mikrobiologie glazialer Ökosysteme (Alpen, Himalaja, Arktis, Antarktis) beschäftigen sich unter anderem Sattler et al. (2002), Psenner & Sattler (1998) und Takeuchi (Internet). Trotz der

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004

    scheinbaren Ungemütlichkeit dieser Ökosysteme ist etwa in Kryokonitlöchern ein florierendes mikrobiales Leben zu finden, das auf die Natur der Kryokonite – und dadurch ihrer Funktion im Gletscherökosystem - vielleicht bedeutenden Einfluss hat. An der Universität Innsbruck gibt es einen Forschungsschwerpunkt Alpiner Raum, in dessen Rahmen unter anderem Untersuchungen glazialer und arktischer Mikrobiologie betrieben werden (B. Sattler u. a.). Die Arbeitsgruppe Glaziologie des Instituts für Umweltphysik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg beschäftigt sich seit einiger Zeit mit der Rekonstruktion von Klima-Zeitreihen aus den in Eiskernen enthaltenen Informationen. Zu dem Zweck werden auch radiometrische Untersuchungen durchgeführt, nicht allerdings 137Cs-Inventarbestimmungen. Mit dem Leiter der „Eisgruppe“, Dietmar Wagenbach, wurde Kontakt aufgenommen. Auch an der Universität Grenoble gibt es eine prominente glaziologische Forschungsgruppe (//glaciog.ujf-grenoble.fr/), die u. a. radiometrische Methoden anwendet. Untersucht werden Gletscherdynamik und ebenfalls Klimazeitreihen.

    4.2.2 Messergebnisse Isotopenverhältnisse 137Cs ist in Chernobyl- und global fallout enthalten, 134Cs praktisch nur in Chernobyl-Fallout (Cigna et al. 1971). Diesen Umstand macht man sich zunutze, um den global-Anteil des 137Cs zu bestimmen. Zur Trennung der von Chernobyl und global fallout stammenden Anteile des 137Cs muss allerdings das Verhältnis QCs := 137Cs/134Cs im Chernobyl-Fallout bekannt sein. Das global-137Cs wird dann berechnet, 137Cs(global) = 137Cs(gesamt) – QCs * 134Cs. Für die Region Hohe Tauern kann ein QCs = 1.715 angenommen werden (Bezugsdatum 1.5.1986; Bossew 2004). Ähnliches gilt für die Plutoniumisotope 239/240Pu (alphaspektrometrisch nicht auflösbar) und 238Pu. Das Verhältnis 238Pu / 239/240Pu ist im Chernobyl-Fallout gleich 0.461 (Irlweck & Wicke 1998), im global fallout 0.035 (Perkins & Thomas 1980). Aus den gemessenen 239/240Pu- und 238Pu-Aktivitäten können daraus die Beiträge der beiden Quellen berechnet werden. Die meisten Proben wurden gammaspektrometrisch auf 137Cs und 134Cs hin gemessen, einige auf Plutonium und 90Sr. Zusätzlich wurden zwei Proben gammaspektrometrisch detaillierter untersucht. Neben 137Cs und 134Cs wurden folgende gammastrahlende Radionuklide identifiziert: 125Sb, 60Co, 241Am, 154Eu, 94gNb und möglicherweise 129I (anthropogen), sowie 40K und Mitglieder der 238U-, 235U- und 232Th-Reihen (natürlich). Die Egebnisse sind in Tab.4/1 zusammengestellt. In einigen Fällen wurden sehr hohe 137Cs-Aktivitätskonzentrationen gefunden, wie sie in Umweltmedien außerhalb der Exklusionszone von Chernobyl sonst kaum zu finden sind.

    Radionuklidfraktionierung Die Radionuklide verhalten sich chemisch unterschiedlich. Dementsprechend können sie in einem natürlichen Medium im Vergleich zum Fallout verschieden an- oder abgereichert sein, wenn sie Transportvorgängen unterworfen sind, die chemisch differenzieren. Ein Beispiel ist die Lösung im Wasser: verschiedene Ionen sind im Wasser unterschiedlich stark löslich. Der Vergleich der Nuklidzusammensetzung in einem Medium mit der im Fallout kann daher Auskunft darüber geben, ob ein chemischer Fraktionierungsprozess stattgefunden hat. Für Kryokonit ist das bisher nicht bekannt. In Tab.4/2 sind die Ergebnisse für die Proben zusammengestellt, in denen Plutonium gemessen wurde und die gammaspektrometrisch im Detail untersucht wurden. Die Nuklide wurden nach Herkunft – Chernobyl bzw. global Fallout – getrennt und die Aktivitätsverhältnisse mit den Werten verglichen, die aus dem Fallout bekannt sind. Dazu wurden Literaturwerte herangezogen und Messungen von Bodenkernen der Hohen Tauern, von denen anzunehmen ist, dass der gesamte Fallout in ihnen gespeichert ist.

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 14

    Tab.4/1: Messergebnisse Kryokonit. Werte in Bq/kg TS; Bezugsdatum 1.5.1986. Für 137Cs und Plutonium sind die Anteile aus Chernobyl- und global Fallout auseinandergerechnet, siehe Abschnitt 3.5.

    ZU = Stubacher Sonnblickkees, Gletscherzunge (2500 m SH); GR = Stubacher Sonnblickkees, Granatspitzkees (2900 m SH) FB = Stubacher Sonnblickkees, Fieleggboden (2800 m SH); SO = Hoher Sonnblick, Gletscherzunge

    137Cs 134Cs 137Cs 137Cs 239/240Pu 238Pu 239/240Pu 239/240Pu 238Pu 238Pu 90Sr 125Sb 241Am 60Co 154Eu 94mNb

    gesamt Chernobyl global gesamt gesamt Chernobyl global Chernobyl global

    ZU01 24717

    ZU03 22195 5298 9086 13108 93.71 3.75 1.11 92.60 0.51 3.24

    ZU04 10647 140.10 5.71 1.89 138.21 0.87 4.84

    GR01 378

    GR02 488

    GR03 906 0.66 0.12 0.23 0.43 0.10 0.02

    GR04 1198 233 400 798

    GR05 115690 63887 109566 6124 4.27 0.53 0.89 3.38 0.41 0.12

    GR06 201570 108211 185582 15988 3.04 0.89 1.85 1.19 0.85 0.04

    GR07 178838 85496 146626 32213 6.63 0.80 1.34 5.29 0.62 0.19

    GR08 115946 26985 46280 69666 6.66 0.74 1.18 5.48 0.54 0.19

    GR09 109426 64616 110817 0 6.00 0.64 1.01 4.99 0.47 0.17

    GR10 58507 32443 55640 2868

    FB01 2910

    FB02 83577 45095 77338 6239 2.45 0.34 0.60 1.85 0.27 0.06

    FB03 143426 54734 93868 49558 3.52 0.77 1.53 1.99 0.71 0.07

    FB04 87613 45975 78846 8767

    FB05 133930 74531 127820 6110 4.45 0.69 1.25 3.20 0.58 0.11

    FB06 132277 68121 116827 15450 9.57 0.68 0.82 8.76 0.38 0.31 2269 4.38 20.14 16.7

    FB07 83086 53323 91448 0

    FB08 137721 72617 124537 13184 7.86 0.66 0.90 6.96 0.41 0.24

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 15

    Tab.4/2: Fraktionierung einiger Radionuklide. Die Zahlen bedeuten die Verhältnisse der Aktivitätskonzentrationen des Nuklids in der Kopfzeile zu 137Cs (Chernobyl oder aus global Fallout

    239/240Pu 238Pu 239/240Pu 238Pu 125Sb 60Co 154Eu 94mNb Chernobyl Chernobyl global global Chernobyl Chernobyl Chernobyl Chernobyl ZU03 1.22E-04 5.62E-05 3.04E-02 7.06E-03 GR05 8.16E-06 3.76E-06 5.51E-04 1.93E-05 GR06 9.94E-06 4.58E-06 7.45E-05 2.61E-06 GR07 9.12E-06 4.20E-06 1.64E-04 5.75E-06 GR08 2.55E-05 1.18E-05 7.87E-05 2.75E-06 GR09 9.15E-06 4.22E-06 FB02 7.70E-06 3.55E-06 2.97E-04 1.04E-05 FB03 1.63E-05 7.51E-06 4.01E-05 1.40E-06 FB05 9.79E-06 4.51E-06 5.23E-04 1.83E-05 FB06 6.99E-06 3.22E-06 5.67E-04 1.98E-05 0.019 1.72E-04 1.43E-04 FB08 7.21E-06 3.32E-06 5.28E-04 1.85E-05 FB10 6.99E-06 3.22E-06 1.25E-03 4.38E-05 FB11 1.19E-05 5.46E-06 2.13E-04 7.47E-06 FB12 1.63E-05 7.50E-06 4.87E-04 1.70E-05 SO01 3.51E-05 1.62E-05 8.70E-03 3.04E-04 0.032 1.41E-04 3.29E-04 6.44E-05

    Plutonium Besonders bemerkenswert erscheint die Fraktionierung von Plutonium und Cäsium. Für 137Cs und die Plutoniumisotope 239/240 und 238 kann die Herkunft aus Chernobyl oder globalem Fallout festgestellt werden. Tab.23 zeigt die Verhältnisse 239/240Pu : 137Cs in den hier untersuchten Kyrokonitproben, Boden aus der Umgebung (Nassfeld) und Luftfiltern aus Salzburg zur Zeit des Durchzugs der kontaminierten Luft nach dem Reaktorunfall von Chernobyl. Tab.2/3: Aktivitätsverhältnisse 239/240Pu : 137Cs in verschiedenen Medien. Bezugsdatum 1.5.1986

    Chernobyl global Boden (Almprojekt 2000) 1.0 E-4 0.016 Bodenprofil Nassfeld-A (2003) 6.2 E-5 0.017 Kryokonit (2800-2900 m SH) (Med. n=14) 9.5 E-6 4.9 E-4 Kryokonit (2500 m SH) (n=1) 1.2 E-4 0.030 Luftfilter Sbg. (Irlweck & Wicke 1998) 6.6 E-6 Folgende Resultate sind zu erkennen: 1) Das typische von Chernobyl stammende Pu:Cs-Verhältnis ist in den Hohen Tauern deutlich von dem in der Stadt Salzburg verschieden. Dass dieses Verhältnis regional variiert, ist in Irlweck & Wicke (1998) gezeigt und wird mit der Herkunft der Kontamination aus verschiedenen Phasen (und entsprechend Freisetzungstemperaturen) des Unfalls erklärt. Dieses Ergebnis zeigt, dass offenbar die Kontamination in der Stadt Salzburg und in den Hohen Tauern (teilweise) von verschiedenen Phasen stammt. 2) Die Pu:Cs-Verhältnisse in Kryokonit unterscheiden sich von denen im Boden: In den hohen Teilen des Stubacher Sonnblickkeeses (2800-2900 m SH) ist Plutonium gegenüber Cäsium abgereichert, im unteren Teil (2500 m SH) angereichert. Quantitativ ist das in Tab.4/ gezeigt. (Als Vergleichswert für die Umgebung dient das GM der beiden Bodenproben, 8E-5 für Chernobyl und 0.0165 für global fallout.)

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 16

    Tab.4/4: An- und Abreicherung von Plutonium relativ zu Cäsium in Kryokoniten

    verschiedener Höhenstufen Chernobyl global

    Kryokonit (3000 m SH) Abreicherung 1 : 8 Abreicherung 1 : 34 Kryokonit (2500 m SH) Anreicherung 1.5 : 1 Anreicherung 2 : 1 Plutonium aus dem globalen Fallout ist stärker ab- bzw. angereichert als das aus Chernobyl. Dies lässt an einen Zeiteffekt denken, wonach das Phänomen mit der Zeit stärker wird, denn global-Pu wurde im wesentlichen in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts deponiert, also mehr als 20 Jahre vor Chernobyl.

    Gammastrahler In Tab.4/ sind die Verhältnisse der anderen gammastrahlenden Radionuklide zu 137Cs(Chernobyl) zusammengefasst, zusammen mit den Werten im Fallout.

    Tab.4/5: : Verhältnisse der Aktivitätskonzentrationen zu 137Cs(Chernobyl); Bezugsdatum 1.5.1986. (*) unerklärter Ausreißer

    125Sb 60Co 154Eu 94gNb FB06 (dieses Projekt) 0.019 1.7E-4 1.4E-4 - SO01 (dieses Projekt) 0.032 1.4E-4 3.3E-4 6.4E-5 GM(FB06,SO01) (dieses Projekt) 0.025 1.6E-4 2.2E-4 6.4E-5 Profil Nassfeld-A (2003) (0.27 *) - 6.6E-4 - Nassfeld Almprojekt 2001 0.035 2.5E-4 3.8E-4 ca. 1E-5 Koralpe (Bossew & Wenisch 1990) 0.037 1E-4 3.8E-4 - alle Proben Öst. (Bossew & Wenisch 1990) 0.050 8E-4 8E-4 - Kopachi / Chernobyl (Bossew et al. 2004) 0.068 0.22 0.016 9.5E-5 Für 125Sb, 60Co und 154Eu scheint in den Kryokoniten eine leichte Abreicherung gegen 137Cs stattzufinden, für 94gNb (schwer zu messen) sind nicht genügend Vergleichswerte verfügbar. Wenn man die Werte aus dem Almprojekt 2001 als Vergleichsbasis heranzieht, liegen die Abreicherungsfaktoren für Sb, Co und Eu bei ca. 1.4, 1.6 und 1.7, also sehr ähnlich hoch, aber niedriger als für Plutonium im hohen Bereich des Stubacher Sonnblickkeeses (Tabelle 4.3). Für eine genauere Diskussion müssten allerdings mehr Messwerte zur Verfügung stehen.

    Americium-241 241Am (432 Jahre Halbwertszeit) ist sowohl im global Fallout enthalten, als auch, in größerem Ausmaß, ein Folgeprodukt des im Chernobyl- und globalen Fallout enthaltenen 241Pu (14.33 a HWZ). Durch dessen Zerfall steigt die 241Am-Konzentration in der Umwelt, anstatt zu fallen wie es bei den anderen hier diskutierten anthropogenen Radionukliden der Fall ist. (Die maximalen 241Am-Konzentrationen werden ca. 2050 erreicht sein.) Die 241Am-Aktivität entwickelt sich gemäß:

    ( )ttPuAmPu

    AmtAmAm

    PuAmAm eeAeAtA λλλλλ

    λ −−− −−

    += )0()0()(

    Pu = 241Pu, λAm = 0.0016 a-1, λPu = 0.0481 a-1. Das Verhältnis 241Pu : 239/240Pu = 70.6 in Chernobyl- und 1.02 in global Fallout (bez. 1.5.1986; Irlweck & Wicke (1998), Kelley et al. (1999)). Da keine Fraktionierung der Plutoniumisotope

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 17

    anzunehmen ist, ergeben sich für die beiden Kryokonitproben FB06 und SO01 und den Boden Nassfeld Aktivitätskonzentrationen gemäß Tab.4/.

    Tab.4/6: 241Pu in Kryokonit- und Bodenproben, berechnet aus 239/240Pu. Bezugsdatum 1.5.1986 Chernobyl global Kryokonit FB06, Bq/kg 57.9 8.94 Kryokonit SO01, Bq/kg 29.7 18.2 Boden Nassfeld (2003), Bq/m² 95 168 Boden Nassfeld (2000), Bq/m² 184 279 Daraus wird die 241Am-Konzentration berechnet, die aus dem Zerfall von 241Pu entsteht. Unter der Annahme, dass im Chernobyl-Fallout ursprünglich praktisch kein 241Am enthalten ist, muss die Differenz der berechneten und der gemessenen 241Am-Konzentrationen der Anteil des Am sein, der nicht erst seit 1986 aus 241Pu entstanden ist, sondern zu diesem Zeitpunkt im global Fallout schon vorhanden war. Die Ergebnisse sind in Tab.4/7 zusammengestellt. Tab.4/7: 241Am in Kryokonit- und Bodenproben und Verhältnisse zu 137Cs. (Bezugsdatum

    1.5.1986) FB06 SO01 Boden Nassfeld Boden Nassfeld (Bq/kg) (Bq/kg) 2003 (Bq/m²) 2000 (Bq/m²) 241Am (Chernobyl) 1.1 0.6 2 3 241Am (global) 3.3 7.6 9 28 241Am (global)/gesamt 75 % 93% 83% 91% 241Am(Chernobyl)/gesamt 25 % 7% 17% 9% 241Am/137Cs (Chernobyl) 9.5E-6 4.7E-5 5.8E-5 1.1E-4 241Am/137Cs (global) 2.1E-4 3.7E-3 9.1E-4 6.2E-3 Die Kryokonitergebnisse bestätigen die bekannte Tatsache, dass der größte Teil des 241Am aus dem globalen Fallout stammt. Um eine mögliche Fraktionierung des Am gegen Cs im Kryokonit festzustellen, reicht die Datenbasis vorläufig nicht auf. Auch die aus den Bodenproben ermittelten Am/Cs-Verhältnisse streuen zu stark, um eine verlässliche Basis darzustellen.

    Jod-129 Zu den anthropogenen Radionukliden gehört das langlebige 129I (15.7 Millionen Jahre Halbwertszeit). Quellen sind Bomben-Fallout, Emissionen von Wiederaufarbeitungsanlagen (La Hague, Sellafield) und in unbekanntem Ausmaß Chernobyl. (Abgesehen davon gibt es in kleinen Mengen auch natürliches 129I.) Üblicherweise wird dieses Radionuklid mittels Aktivierungsanalyse oder Massenspektrometrie bestimmt; bei hohen Konzentration (z. B. in Algen nahe La Hague) kann eine Gamma-Linie (39.6 keV) ausgewertet werden, allerdings nicht einfach (Comptonhintergrund, Selbstabsorption). In einer Probe (FB6) wurde eine Linie gefunden (Abb.4.12), die auf die Anwesenheit von 129I hindeutet; allerdings wurde sie wegen der genannten Probleme nicht quantitativ ausgewertet. Größenordnungsmäßig ist mit 40 Bq/kg zu rechnen. (Möglich ist allerdings auch eine Interpretation als Fluoreszenzlinie von natürlichem oder anthropogenem Samarium.) Das Studium von 129I könnte zum Verständnis von ökologischen Transportvorgängen beitragen; als Anion verhält es sich anders als die meisten anderen, kationischen Radionuklide (typisch Cs).

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 18

    38 40 42 44 46113000

    114000

    115000

    116000

    117000

    118000

    39.5: Sm-X ?

    39.6: 129I

    40.9+41.5 keVEu-X

    imp

    / chn

    E (keV)

    Abb.4/12: Gammaspektrometrischer Hinweis auf die Anwesenheit von 129I in der

    Kryokonitprobe FB6 (Stubacher Sonnblickkees).

    Räumliche Variabilität Abb.4/13 zeigt schematisch (nicht maßstabsgerecht) einen Ausschnitt aus dem Untersuchungsgebiet FB (Fieleggboden, Stubacher Sonnblickkees, ca. 2800 m SH) mit den 137Cs-Aktivitätskonzentrationen in Kryokonit.

    FB01FB04

    FB02

    FB03

    FB05

    FB14

    FB13

    FB12FB11

    FB10FB8+9

    2m

    3m

    3m5m5m

    15m30m

    20m

    10m

    site=Fieleggboden

    crevassecrevasse clearly visibleablation edge

    FB6+710 m

    1.9659.0

    56.3

    96.6

    90.2

    2.98

    2.67

    21.0

    82.172.3

    92.872.6

    89.156.0

    7.4%

    4.9%

    33%

    1.9%

    9.1%

    4.6%0.2%

    7.0%

    9.1%0%

    Abb.4/13: gelb unterlegt: 137Cs, Bq/kg TS in Kryokonit (Bezugsdatum: 9.7.2003 ); lila: Anteil

    Bomben-137Cs. Nicht maßstäblich ! – Bergab: ca. Richtung nach rechts. Hohe Konzentrationen an 137Cs treten unterhalb (auf dem Plan rechts) von Probe FB13 auf, sowie in „Löchern“ darüberliegender Eisschichten, FB02 - FB05. Diese selbst sind relativ schwach belastet,

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 19

    Proben FB01, FB13, FB14. Abb.4/14. zeigt, wie die Situation (möglicherweise) im Querschnitt aussieht.

    Abb.4/14: Schematischer Querschnitt durch das Probenahmegebiet FB (Fierleggboden,

    Stubacher Sonnblickkees) Unklar bleibt auch nach diesem Modell die räumliche Variabilität der Verhältnisse der Aktivitätskonzentrationen. Es ist anzunehmen dass sich verschiedenen Schichten mischen, vielleicht findet auch neue Kontamination vorhandener Kryokonite durch neuen Fallout statt, als Erosionsprodukt der Umgebung ebenfalls mit Chernobyl- und globalem Fallout belastet. Um diesen Prozess genauer zu verstehen sind sicher umfangreichere Untersuchungen notwendig. In Abb.4/5 ist der Verlauf der 137Cs-Konzentrationen in Kryokonit entlang einem Transekt auf dem Granatspitzboden (GR, Stubacher Sonnblickkees, ca. 2900 m SH) dargestellt, sowie die Anteil an global-137Cs und die Verhältnisse Pu/Cs.

    0 20 40 60 80 100100

    1000

    10000

    100000

    GR

    01

    GR

    02

    GR

    03

    GR

    04

    GR

    05

    GR

    06

    GR

    07

    GR

    08G

    R09

    GR

    10

    downslope

    i c es n o w

    137 C

    s-to

    tal,

    Bq/k

    g

    approx. distance (m)

    010203040506070

    239/240Pu/137Cs-Chernobyl (10-6)

    239/240Pu/137Cs-global (10-5)

    137Cs-global/137Cs-total (%)

    fract

    ions

    Abb.4/15: Stubacher Sonnblickkees, Granatspitzboden: 137Cs in Kryokonit (Bezugsdatum

    3.7.2003), Konzentrationsverhältnisse global-137Cs, Plutonium/Cäsium Die Verhältnisse sind hier etwas weniger kompliziert als bei FB: Nach der Probe GR04 steigt die 137Cs- Belastung sprunghaft um ungefähr 2 Größenordnungen. Es ist anzunehmen, dass etwa an

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 20

    dieser Stelle ein Chernobyl-Horizont die Gletscheroberfläche schneidet. Unklar ist aber auch hier die Interpretation der Konzentrationsverhältnisse, etwa der hohe Anteil an gobal-137Cs in der Probe GR08.

    Oberflächen- Gamma-Beta-Dosisleistung Mittels eines Kontaminationsmonitors wurde die Gamma/Beta-Zählrate an der Oberfläche verschiedener Schichten gemessen. Dabei zeigen sich nur geringe Unterschiede, tendenziell eine „fleckige“ Struktur. Deutlich höher kontaminierte Schichten konnten in dem Gebiet auf diese Weise nicht gefunden werden. Die oberflächliche Untersuchung der Sedimentflächen im Schlapperebenkar mit dem Kontaminationsmonitor hat ebenfalls nur schwache Unterschiede in radiologischer Hinsicht zwischen verschiedenen Zonen dieser Sedimente, offensichtlich ältere (mit Vegetation) und jüngere, am Rand des Baches oder weiter weg, ergeben. Möglicherweise wegen des relativ hohen natürlichen Strahlungshintergrundes (Gneis mit relativ hohem Uran- und Thoriumgehalt) sind mögliche Unterschiede der Cäsiumkontamination auf diese Weise nicht leicht zu entdecken. Ortsdosisleistung Am 20.8.2003 führte die Gendarmerie (Strahlenspür-Einheit) einen Übungsflug über den Gletschern der Stubacher Sonnblickgruppe durch. Dabei wurde mittels einem Dosisleistungs-Messgerät (SSM-1) die ODL gemessen und simultan die Position aufgezeichnet (Abb.4/16). Dadurch können „Strahlenkarten“ hergestellt werden. Die Rohdaten dazu wurden uns von der Gendarmerie zur Verfügung gestellt, die Interpolation von uns durchgeführt.

    391500 392000 392500 393000 393500 394000 394500 395000 395500 396000

    220000

    220500

    221000

    221500

    222000

    222500

    223000

    223500

    25

    50

    75

    100

    125

    cps

    coord: BMN (m)

    Gamma dose rate (cps) Sektoren 1-4, 20 Aug 2003

    391500 392000 392500 393000 393500 394000 394500 395000 395500 396000

    220000

    220500

    221000

    221500

    222000

    222500

    223000

    223500

    391500 392000 392500 393000 393500 394000 394500 395000 395500 396000

    220000

    220500

    221000

    221500

    222000

    222500

    223000

    223500

    391500 392000 392500 393000 393500 394000 394500 395000 395500 396000

    220000

    220500

    221000

    221500

    222000

    222500

    223000

    223500

    391500 392000 392500 393000 393500 394000 394500 395000 395500 396000

    220000

    220500

    221000

    221500

    222000

    222500

    223000

    223500

    391500 392000 392500 393000 393500 394000 394500 395000 395500 396000

    220000

    220500

    221000

    221500

    222000

    222500

    223000

    223500

    391500 392000 392500 393000 393500 394000 394500 395000 395500 396000

    220000

    220500

    221000

    221500

    222000

    222500

    223000

    223500

    391500 392000 392500 393000 393500 394000 394500 395000 395500 396000

    220000

    220500

    221000

    221500

    222000

    222500

    223000

    223500

    391500 392000 392500 393000 393500 394000 394500 395000 395500 396000

    220000

    220500

    221000

    221500

    222000

    222500

    223000

    223500

    1

    2

    34

    5

    6

    7

    8

    9

    Abb.4/16: Gamma-Dosisleistung über dem Untersuchungsgebiet, gemessen vom Hubschrauber der Gendarmerie aus. 1 Weißsee, 2 Schafflkoglsee, 3 Gletscherbach, 4 Sonnblickkees, 5 Fürleggkees, 6 Rabenkees, 7 Landeggkees, 8 Prägratkees, 9 Granatspitzkees. Punkte: Flugstrecke

    Die Gletscherumrisse sind der ÖK50 (elektronische Version, Amap3D) entnommen, sie dürften der Ausdehnung von 1992 entsprechen (nicht klar feststellbar). Die Gletscher zur Zeit der Befliegung im August 2003 sind sicher kleiner als den eingezeichneten Umrissen entspricht ! Details zur Interpolation:

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 21

    Input = 3006 Messpunkte, z = 20 ... 166 cps, AM ± SD = 85.5 ± 36.4 cps, Med = 87; Korrelationsstruktur: Semivariogramm mit Surfer-7, Nugget = 30 cps², Var = 1322 cps². Doppelt sphärisches Modell: 1: scale = 650 cps², range = 1800 m, Anisotropie = 1 (=keine); 2: scale = 650 cps², range = 400 m, Anisotropie = 1; Daraus wurde mit Surfer software ein grid berechnet, node dist = 25 m, Interpolation: point kriging, kein Trend. Das empirische Variogramm und das angepasste Variogramm zeigt Abb.4/7, die interpolierte Oberfläche Abb.4/6.

    0 200 400 600 800 1000 1200 1400 1600 1800 2000 2200

    Lag Distance (m)

    0

    200

    400

    600

    800

    1000

    1200

    1400

    1600

    Gam

    ma

    (cps

    2)

    Direction: 0.0 Tolerance: 90.0

    Var = 1322 cps²

    Abb.4/17: ODL-Messung, Gendarmerie, empirisches Variogramm (schwarze Punkte) und angepasstes Modell (2-stufig sphärisch, lila Linie)

    Weißsee, Sonnblickkees (4), Prägratkees (8), Fürleggkees (5) und teilweise Landeggkees (7) sind anhand der niedrigeren ODL zu erkennen, ebenso der Weißsee (1) und andeutungsweise der Schaffkogelsee (2), das Rabenkees (6) dagegen nicht (abgeschmolzen ?). Näher untersucht werden sollten die Stellen mit besonders hoher ODL: der Fleck ca. 0.5 km südlich des Weißsees nahe Kalser Tauern, Flecken am östlichen und südlichen Rand des Sonnblickkeeses, Stellen westlich des Fürlegg- und nördlich des Landeggkeeses, und unterhalb des Prägratkeeses Richtung Landecktal, das für hohe Cäsiumkontamination bekannt ist.

    391500 392000 392500 393000 393500 394000 394500 395000 395500 396000

    220000

    220500

    221000

    221500

    222000

    222500

    223000

    223500

    0

    5

    10

    15

    20

    25

    30

    35

    40

    Abb.4/28: Unsicherheit der Interpolation. Entlang der Flugstrecken ist die Unsicherheit am

    niedrigsten.

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 22

    Die Unsicherheit der Interpolation (Kriging variance, relative Einheiten) ist in Abb.4/27 gezeigt. Klarerweise ist die Unsicherheit am niedrigsten in der Nähe der Messpunkte, d. h. entlang der Flugstrecke. Gebiete mit hoher Unsicherheit der Interpolation (weit entfernt von der Flugstrecke) wurden deshalb auf Abb.4/6 ausgeblendet. Für das Stubacher Sonnblickkees wurde die Interpolation im Detail wiederholt. Das Variogramm kann hier als linear angenommen werden, siehe Abb.4/39. Hier ergibt sich Nugget = 18.6 cps², Model = linear, slope = 1.2. Die interpolierte Oberfläche ist Abb.4/20 dargestellt.

    0 100 200 300 400 500 600 700

    Lag Distance (m)

    0

    100

    200

    300

    400

    500

    600

    700

    800

    900G

    amm

    a (c

    ps2)

    Direction: 0.0 Tolerance: 90.0Column A

    Var = 956 cps²

    Abb.4/39: Variogramm, ODL Stubacher Sonnblickkees.

    393600 393800 394000 394200 394400 394600 394800 395000

    221000

    221200

    221400

    221600

    221800

    222000

    222200

    222400

    30

    40

    50

    60

    70

    80

    90

    100

    110

    120

    130

    393600 393800 394000 394200 394400 394600 394800 395000

    221000

    221200

    221400

    221600

    221800

    222000

    222200

    222400

    cps

    FB

    GR

    Abb.4/20: Gamma-Dosisleistung über dem Stubacher Sonnblickkees, wie oben.

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 23

    Aus der ODL-Messung kann nicht auf die Art der Quelle der Strahlung geschlossen werden, d.h. man weiß nicht welche Radionuklide verantwortlich sind. Die niedrigen ODL über Gletschern sind verständlich, weil dort die vom Gestein stammende natürliche Strahlung weitgehend abgeschirmt ist. Beim Weißsee wirkt der Wasserkörper als Abschirmung. Die besonders niedrige ODL über Teilen des Sonnblickkeeses könnte ein Hinweis auf besonders dickes Eis sein. Der Rückschluss auf die 137Cs-Kontamination des Gletschers aus der ODL-Karte ist deshalb schwierig. Heiße Teilchen Der Chernobyl-Fallout war teilweise gasförmig, teilweise in Form von Aerosolen, an denen Radionuklide kondensiert sind (typisch 137Cs), teilweise aber auch in Form kleiner, sogenannter Heißer Teilchen (hot particles, HP), von denen eine Art („Typ 2“) aus Brennstofffragmenten besteht (Steinhäusler, 1988). Wie groß der Anteil der HPs im Chernobyl-Fallout in Österreich ist, weiß man bisher nicht (er dürfte regional verschieden sein). Einige Kryokonitproben wurden gemäß der Methode von Hofer et al. (2004) (entwickelt für Bodenproben aus Chernobyl, basierend auf Screening flächiger, dünnschichtiger Proben mit einem Betazähler mit kleinem Fenster) auf HPs untersucht. Dabei konnten allerdings keine Teilchen identifiziert werden.

    4.3 Diskussion Die am stärksten belastete Probe, GR06, vom Stubacher Sonnblickkees, etwa 2800 m hoch, enthält 2548 Bq 137Cs/Chernobyl und 143 Bq 137Cs/B (Bezugsdatum 1.5.86). Wenn man grob (aber plausibel) eine Flächendeposition von 90 kBq/m² 137Cs/Ch und 5 kBq/m² 137Cs/B annimmt (grob geschätzt aus der Cs-Karte), ergibt sich, dass in der Probe das 137Cs/Ch von 0.028 m² und das 137Cs/B von 0.029 m² Gletscherfläche angereichert ist (auffallend gut übereinstimmende Werte !). Die Probe Gr6 mit einer Masse von 13.35 g stammt von einer Fläche dieser Größenordnung. Die von den Kryokoniten repräsentierten Sedimentfallen entsprechen also anscheinend keinem sehr großen Einzugsgebiet, insbesondere ist nicht anzunehmen, dass in ihnen das Cs-Inventar von größeren, hangaufwärts liegenden Gletscherteilen enthalten ist, sondern sie im wesentlichen für den Fallout der näheren Umgebung typisch sind. Man kann daher als Hypothese annehmen, dass an der Untersuchungsstelle nur kleinräumig Radiocäsium transportiert oder umverteilt worden ist: Das auf der Gletscheroberfläche (um den 1.5.86: Schnee aus dem gerade zu Ende gegangenen Winter) abgelagerte Cs ist anscheinend beim Schmelzen des Schnees im wesentlichen am Ort der Deposition geblieben, hat sich aber– während des Transports, während der Deposition oder auf dem Gletscher - an Partikel gebunden, etwa Staub und Teilchen aus dem umgebenden Felsmaterial, die sich lokal, mechanischen Transportprozessen folgend, anreichern. Die beiden Anteile des Radiocäsium aus Chernobyl und aus dem Bombenfallout, sind offenbar in unterschiedlicher Weise angereichert. In den bisher untersuchten Proben variiert nämlich das Verhältnis 137Cs/Ch : 137Cs/B zwischen 0.002 und 1.9. Der Grund dafür ist bisher unbekannt; eine Möglichkeit liegt in der starken lokalen Variabilität des Chernobyl-Fallouts bei relativer Konstanz des global Fallout, eine andere in Eigenheiten des langfristigen (Jahre, Jahrzehnte) Transports im Gletscher, was über diese Aufschluss geben könnte. Die österreichischen Gletscher sind, abgesehen von sehr hoch gelegenen Teilen, temperiert. Es muss angenommen werden, dass der um den 1. Mai 1986 deponierte kontaminierte Schnee im allgemeinen nicht zu einer dünnen Eisschicht gefroren ist. Vielmehr ist er wahrscheinlich größtenteils geschmolzen. Allenfalls im Eis gelöste Radionuklide sind dadurch wahrscheinlich schnell abtransportiert worden, zum Teil vielleicht in Spalten oder Senken wieder festgefroren. Der partikuläre Anteil ist aber anscheinend im wesentlichen an Ort und Stelle liegengeblieben oder nur sehr kleinräumig umverteilt worden, entsprechend einer (hypothetischen) kaskadenhaften Entstehung von Kryokonitkörpern. Bei den Untersuchungen am Stubacher Sonnblickkees sind „Linien“ identifiziert werden, unterhalb derer hohe Aktivitätskonzentrationen von Chernobyl-137Cs auftreten, oberhalb relativ geringe. Falls

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 24

    diese „Linien“ den – inzwischen freigelegten oder ausgeschmolzenen – Chernobyl-Horizont darstellen, muss man sich fragen, wieso in Kryokonit von darüberliegenden, daher jüngeren Schichten überhaupt Chernobyl-, aber auch Bombenfallout enthalten ist, da ein aufwärtsgerichteter Transport kaum zu erklären wäre. Eine plausible Erklärung liegt darin, dass anzunehmen ist, dass auch neuer Fallout (Eintrag von äolischen Sedimenten) diese Radionuklide enthält, da er ja zum großen Teil aus erodiertem Oberflächenmaterial (Steine, Boden, Pflanzen) der Umgebung besteht. Im Zuge des Abschmelzen von Schnee und Eis bleiben die Sedimente im wesentlich liegen (aber bewegen sich natürlich mit der allgemeinen Bewegung des Eises mit) und stoßen auf diese Weise auf darunter liegende Schichten, wenn das dazwischen liegende Eis wegschmilzt. Damit kann mit einer vertikalen Akkumulation der Sedimente gerechnet werden, was aber auch zur Mischung von Fallout verschiedener Herkunft (Chernobyl, global, „neuer Fallout“ mit unterschiedlicher Mischung von Chernobyl und global) führt. Da dieser Prozess sicher nicht räumlich gleichförmig verläuft, ist es verständlich, dass in einzelnen Proben, auch wenn sie von nahe beinander gelegenen Orten herstammen, sehr unterschiedliche Aktivitskonzentrationen und Mischungsverhältnisse zu finden sind. Eine schematische Darstellung des Anreicherungsprozesses von Radionukliden in Kryokonit zeigt Abb.4/24.

    Abb.4/24: Kryokonitbildung

    4.4 Zusammenfassug und Schlußfolgerungen In Kryokonit (Sedimenten) von Gletschern der Hohen Tauern wurden sehr hohe Aktivitätskonzentrationen von Radiocäsium sowohl aus Chernobyl als auch aus dem Bomben-Fallout der 1950er und 1960er Jahre gefunden. Es scheint, dass ein großer Teil des ursprünglichen Fallout in diesem Material gespeichert ist. Der Kryokonit ist über die Oberfläche des Gletschers sehr ungleichmäßig verteilt, mit lokalen Ansammlungen in Gruben und Spalten. Auch die einzelnen Proben sind sehr unterschiedlich belastet. Deshalb ist es vorläufig nicht möglich anzugeben, wie groß das radioaktive Inventar der Kryokonite ist.

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 25

    Die Kryokonite unterliegen anscheinend einem chemischen Fraktionierungsprozeß, wie daran zu erkennen ist, dass die Aktivitätsverhältnisse der Radionuklide im Kryokonit nicht mit denen im Fallout übereinstimmen; besonders deutlich ist das an der Fraktionierung von Plutonium relativ zu Cäsium zu erkennen, Elementen mit sehr unterschiedlicher Chemie. Nicht nur die Aktivitätskonzentrationen in den Proben variieren kleinräumig sehr stark, sondern auch die Anteile der Herkunft von Chernobyl oder global Fallout. Aus diesen Befunden ist zu schließen, dass wesentliche Elemente der Kryokonitentstehung und ihres Verhaltens im Gletscher bisher nicht verstanden werden. Wegen ihrer meistens sehr dunklen Färbung absorbiert Kryokonit mehr Wärme als Eis. Das Schmelzen der Gletscher führt zur vermehrten Freilegung von Kryokonitkörpern, was wiederum das Schmelzen beschleunigt. Das Schmelzwasser um die Kryokonite ist für hohe mikrobiale Aktivität bekannt, die Rolle der Mikroben an der Entstehung und Transformation des Kryokonit ist aber kaum geklärt. Es ist jedenfalls anzunehmen, dass der Kryokonit Quellen für die Kontamination von Gletscherschmelzwasser bilden kann, das in die alpine Umwelt gelangt. Die Untersuchung der Gletscher-Ökosysteme ist methodisch kompliziert. Deshalb konnten auch in dieser Studie Probleme höchstens identifiziert, aber kaum gelöst werden. Zu den offenen Fragen gehören: • Entstehung des Kryokonit aus äolischer Deposition, sein physikalisches, chemisches und

    biologisches Verhalten im Gletscher und an der Gletscheroberfläche, wenn das umschließende Eis abtaut;

    • Ein Modell für die räumliche – horizontale wie vertikale – Verteilung von Kryokonit auf dem Gletscher, als Voraussetzung für eine

    • Massen- und Aktivitätsbilanz der Kryokonite; • Die Ursache der anscheinend chemischen Fraktionierung im Kryokonit; • Quantifizierung des Einflusses des Kryokonits auf die Gletscherdynamik und seines

    Schicksals, wenn er im Zuge des Schmelzens der Gletscher ins Alm-Ökosystem gelangt. • Bisher nicht bekannt ist, welcher Teil des Fallouts an Festkörper gebunden wurde (eben die

    Kryokonite), und welcher im Eis in gelöster Form gespeichert ist. Es ist anzunehmen, dass dieser Teil beim Schmelzen abtransportiert wurde, sofern er nicht beim Kontakt mit festen Teilchen dem Wasser gemäß Herstellung eines Sorptionsgleichgewichts entzogen wurde. (Eher ist aber der umgekehrte Prozess anzunehmen, nämlich der Transfer vom belasteten Sediment ins Wasser.) Nicht geschmolzene Eis- oder Schneeschichten, oder wieder gefrorenes Schmelzwasser, könnten immer noch Radionuklide in gelöster Form enthalten.

    • Bisher ist die Dichte von Typ-2 (fuel-) Heißen Teilchen im Chernobyl-Fallout in Österreich nicht bekannt. Die hohen Aktivitätskonzentrationen im Kryokonit könnte die Ermittlung des in HPs gebundenen Anteils des Fallouts ermöglichen. Da das chemische Milieu im Gletscher vermutlich vergleichsweise milde ist, kann man annehmen, dass die HPs nicht in der Weise verwittert sind, wie das im Boden der Fall ist, und sich deshalb weitgehend im ursprünglichen Zustand befinden. Andererseits könnte die offenbar hohe biologische Aktivität auch zu einer besonders schnellen Zersetzung der Teilchen führen. Bei der Verwitterung im Boden (oder anderen biologischen Medien) bilden Heiße Teilchen Langzeit-Quellen für gelöste, und daher biologisch verfügbare Radionuklide.

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 26

    5. Literatur Almprojekt (2000): Radalp-1, Höhenabhängigkeit der Mobilität von Cs und Sr in Böden und

    deren Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Endbericht, Dez. 2000 Radalp-2 Ambach W., H. Eisner, F. A. Prantl & H. Slupetzky (1969): Studies on Vertical Total-Beta-

    Acivity Profiles of Fission Products in the Accumulation Area of the Stubacher Sonnblickkees (Hohe Tauern, Salzburg, Austria. Pure and Applied Geophysics, 74, 83-91.

    Ambach W., M. Blumthaler, W. Rehwald, U. Nickus, G. Tanzer & H. Eisner (1987a): Strahlenbelastung im Hochgebirge nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl. Wetter und Leben 39, 121-124

    Ambach W., W. Rehwald, M. Blumthaler & H. Eisner (1987b): Chernobyl fallout on alpine glaciers: a new reference horizon for dating. Eos 68 (45), 1577-1578

    Ambach W., W. Rehwald, M. Blumthaler, H. Eisner & P. Brunner (1987c): Radioactive fallout on alpine glaciers from the Chernobyl nuclear accident. Z Gletscherkunde Glazialgeologie 23 (2), 123-129

    Ambach W., W. Rehwald, M. Blumthaler, H. Eisner & P. Brunner (1987d): Reaktorunfall Tschernobyl: Kontamination von Schneeschichten auf Alpengletschern. Proc. Medizinische Physik ’87, Innsbruck 9-12 Oct 1987; p. 276-281

    Ambach W., W. Rehwald, M. Blumthaler, H. Eisner & P. Brunner (1988a): Chernobyl fall-out on glaciers in the Austrian Alps. J Glaciol. 34 (117), 255-256

    Ambach W., W. Rehwald, M. Blumthaler, H. Eisner & P. Brunner (1988b): Displacement of Chernobyl fallout in snow layers of temperate alpine glaciers. The Science of the Total Environment 76, 101-107

    Ambach W., W. Rehwald, M. Blumthaler, H. Eisner & P. Brunner (1989a): Vertical Dispersion of Chernobyl Fallout by Meltwater in a Temperate Alpine Glacier. Geografia Fisica e Dinamica Quaterniana 12 (2), 151-153

    Ambach W., M. Blumthaler, P. Brunner, H. Eisner & W. Rehwald, (1989b): Aktivitätsprofile des Tschernobyl-Fallout auf Gletschern Tirols. Polarforschung 59 (1-2), 5-8

    Ambach W., W. Rehwald, M. Blumthaler, H. Eisner & P. Brunner (1989c): Chernobyl fallout on alpüine glaciers. Health Physics 56 (1), 27-31

    Ambach W., W. Rehwald, M. Blumthaler, H. Eisner & P. Brunner (1989d): Vertical dispersion of Chernobyl fallout on Kesselwandferner, Oetztal Alps, Austria. J Glaciology 35 (120), 294

    Ambach W., W. Rehwald, M. Blumthaler & H. Eisner (1989e): Radioactive fallout from Chernobyl accident provides new tool for dating alpine glaciers. Earth in Space 1 (7), 6-7

    Ambach W., W. Rehwald, M. Blumthaler, H. Eisner, P. Brunner & K. Gabl (1991): Radioaktiver fallout auf Gletschern Tirols. Ber. nat.-med. Verein Innsbruck 78, 7-17

    Bossew P. & A. Wenisch (1990): Langlebige Gammastrahler im Tschernobyl-Fallout. Bericht des Österreichischen Ökologieinstituts.

    Bossew P., M. Gastberger, H. Gohla, P. Hofer & A. Hubmer (2004): Vertical distribution of radionuclides in soil of a grassland site in the Chernobyl exclusion zone. Subm., J Envir. Radioactivity.

    Cigna A. A. et al.: On 134Cs in rainwater from 1960 to 1969. Health Physics 21, 5 (1971) 667-672. - Assumption: 134:137Cs = 0.001 by end 1969 and no further input until 1986.

    Dibb L. (1989): The Chernobyl reference horizon (?) in the Greenland ice sheet. Geophysical Res Let 16 (9), 987-990

  • RMLS-Bericht 4/2004 – 9/2004 27

    Eisner H. & W. Ambach (1988): Radioaktive Ablagerungen im Gletscherfirn. ÖAV Mitteilungen 43 (113), 12-13

    Frey K., et al. (2001): Heat budget and decay of sediment-laden sea ice off the No coast of Alaska. In: Port and Ocean Engineering in the Arctic Conference (POAC’01), Proc. Vol.3, Ottawa, Canada, pp. 1405-1412

    Green, J. R., et al. (2000): Chlorine-36 and Caesium-137 in ice core samples from mid-latitude glacial sites in the N hemisphere. Nucl. Instr. Meth. B 172, 812-816

    Haeberli W., H. Gäggeler, U. Baltensperger, D. Jost & U. Schotterer (1988): The signal from the Chernobyl Accident in high-altitude firn areas of the Swiss Alps. Annals of Glaciology 10, 48-51

    Irlweck K. & J. Wicke: Isotopic composition of plutonium immissions in Austria after the Chernobyl accident. J. Radioanalytical Nuclear Chemistry 227, 1-2 (1998) 133-136

    Jansson P., R. Hock, Th. Schneider (2003): The concept of glacier storage: a review. J. Hydrol. 282, 116-129

    Jaworowski Z. et al. (1997): A highly radioactive Chernobyl deposit in a Scandinavian glacier. J. Envir. Radioactivity 35, 1, 91-108

    Kelley J. M., L. A. Bond & T. M. Beasley (1999): Global distribution of Pu isotopes and 237Np. The Science of the Total Environment 237/238 (1999) 483-500.

    ÖNRAP 3/3. Endbericht: Ermittlung der Strahlenbelastung der österreichischen Bevölkerung durch Radonexposition und Abschätzung des damit verbundenen Lungenkrebsrisikos - Österreichstudie.Teil 3, 3.Abschnitt. (Salzburg, Kärnten). BKA, Wien, FP (Zl. 353.020/7-VI/9/97)

    Perkins R. W., C. W. Thomas: Worldwide Fallout, In: W. C. Hanson (ed.): Transuranic Elements in the Environment, U. S. Department of Energy, 1980

    Pinglot J. F. & M. Pourchet (1995): Radioactivity measurements applied to glaciers and lake sediments. The Science of the Total Environment 173/174, 211-223

    Pourchet M., & J. C. Gascard (1986): The northerly extent of Chernobyl contamination. Nature Vol 23, 13 Oct 1986, p. 676

    Pourchet M., B. Lefauconnier, J. F. Pinglot & J. O. Hagen (1995): Mean net accumulation of ten glacier basins in Svalbard estimetad from detection of radioactive layers in shallow ice cores. Z. Gletscherkunde Glazialgeologie 31, 73-84

    Pourchet et al. (1997): Distribution and fall-out of 137Cs and other radionuclides over Antarctica. J Glaciology 43 No.145, 435-445

    Psenner R. & B. Sattler (1998): Life at the freezing point. Science, Vol. 280, 26 June 1998, pp. 2073-2074

    Sattler B. et al. (2002): Various ice ecosystems in Alpine and Polar regions- an overview. Proc. 2nd European Workshop on Exo/Astrobiology, Graz, Austria, 16-19 Sept 2002 (ESA SP-518, Nov. 2002), pp. 223-226

    Steinhäusler F. (1988): Hot particles in the Chernobyl Fallout. Proc. Int. Workshop on "Hot particles in the Chernobyl Fallout". Eds. H. Philippsborn and F. Steinhäusler, Oct 28-29. 1987, Theuern FRG. Bd 16 (1988).

    Takeuchi N. (Internet): www.chikyu.ac.jp/takeuchi/index.html