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34 APPLICA 5/2019 MESSE Zehntelmillimeterarbeit: Eine computergesteuerte CNC-Fräste fräst V-Nuten in Gipskartonplattenstücke, die anschliessend zu einem Würfel geformt werden können. eher am FAF-Forum in der Halle 7 vorge- stellt, einer Plattform für Referate und Events. Nicht weniger als 15 Präsentati- onen befassten sich mit elektronischen Möglichkeiten für die Unternehmens- führung. Zuerst einen Plan erstellen Einen guten Überblick darüber, wie Un- ternehmer bei der Digitalisierung ihres Betriebs vorgehen sollten, bot Klaus Tessmann, Geschäftsführer und Inha- ber von Fourwinds 37-9, einer Beratungs- firma in Bielefeld (D). «Gehen Sie die Digitalisierung umfassend an», riet er. Zuerst muss eine Roadmap (Strassen- karte) erstellt werden, darin sind die wichtigen Wegpunkte zu markieren und daraus die Massnahmen abzuleiten, die nötig sind, um das Ziel zu erreichen. Grundlage dafür ist die Analyse des Ist- Zustands und der Ziele in fünf Hand- lungsfeldern: Strategie des Unternehmens. Produktivität: Austausch zwischen Büro und Baustelle, Werkzeugver- waltung usw. Arbeitskultur: Umgang mit Mit- arbeitenden, zum Beispiel kann eine WhatsApp-Gruppe gegründet werden. Kunden: Der Kunde hat dank dem Internet Vergleichsmöglichkeiten, was ihn mündiger macht. Darum gewinnt die proaktive Kommunika- tion zwecks Kundenbindung an Be- deutung. Für diese braucht es ein geeignetes CRM-System (Customer Die Digitalisierung beginnt im Kleinen Text und Bilder Raphael Briner Die technische Revolution vollzieht sich (noch) nicht auf der Baustelle, sie beginnt im administrativen Bereich des Unternehmens. Dieses Fazit hat sich an der Leitmesse Farbe, Ausbau & Fassade (FAF) in Köln aufgedrängt. Wichtig ist, dass der Unternehmer jetzt mitmacht, denn die Digitalisierung des eigenen Betriebs ist nicht fakultativ sondern unumgänglich. Wer an der FAF 2019 Bahnbrechendes in Sachen Digitalisierung erwartet hat- te, der wurde enttäuscht. Roboter, die Wände streichen oder Decken verputzen, gab es an der bedeutendsten Messe der Welt für Maler und Gipser-Trockenbauer keine zu sehen. Einige der Aussteller präsentierten hingegen Kameras, die mit dem Foto gleich das Ausmass machen kön- nen; computergesteuerte CNC-Frä- sen frästen zehntelmillimetergenau V-Nuten in Gipskartonplattenstücke, die anschliessend zu Würfeln geformt werden konnten. Wirklich neu ist das alles nicht. Innovationen wurden schon

MESSE Die Digitalisierung beginnt im Kleinen · Wer an der FAF 2019 Bahnbrechendes in Sachen Digitalisierung erwartet hat-te, der wurde enttäuscht. Roboter, die Wände streichen

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Zehntelmillimeterarbeit:

Eine computergesteuerte

CNC-Fräste fräst V-Nuten in

Gipskartonplattenstücke,

die anschliessend zu einem

Würfel geformt werden

können.

eher am FAF-Forum in der Halle 7 vorge-stellt, einer Plattform für Referate und Events. Nicht weniger als 15 Präsentati-onen befassten sich mit elektronischen Möglich keiten für die Unternehmens-führung.

Zuerst einen Plan erstellen

Einen guten Überblick darüber, wie Un-ternehmer bei der Digitalisierung ihres Betriebs vorgehen sollten, bot Klaus Tessmann, Geschäftsführer und Inha-ber von Fourwinds 37-9, einer Beratungs-firma in Bielefeld (D). «Gehen Sie die Digitalisierung umfassend an», riet er. Zuerst muss eine Roadmap (Strassen-karte) erstellt werden, darin sind die wichtigen Wegpunkte zu markieren und daraus die Massnahmen abzuleiten, die nötig sind, um das Ziel zu erreichen. Grundlage dafür ist die Analyse des Ist-Zustands und der Ziele in fünf Hand-lungsfeldern:

■■ Strategie des Unternehmens.■■ Produktivität: Austausch zwischen

Büro und Baustelle, Werkzeugver-waltung usw.

■■ Arbeitskultur: Umgang mit Mit-arbeitenden, zum Beispiel kann eine WhatsApp-Gruppe gegründet werden.

■■ Kunden: Der Kunde hat dank dem Internet Vergleichsmöglichkeiten, was ihn mündiger macht. Darum gewinnt die proaktive Kommunika-tion zwecks Kundenbindung an Be-deutung. Für diese braucht es ein geeignetes CRM-System (Customer

Die Digitalisierung beginn t im Kleinen

Text und Bilder Raphael Briner Die technische Revolution vollzieht sich (noch) nicht auf der Baustelle, sie

beginn t im administrativen Bereich des Unternehmens. Dieses Fazit hat sich

an der Leitmesse Farbe, Ausbau & Fassade (FAF) in Köln aufgedrängt. Wichti g

ist, dass der Unternehmer jetzt mitmacht, denn die Digitalisierun g des eigenen

Betriebs ist nicht fakultativ sondern unumgänglich.

Wer an der FAF 2019 Bahnbrechendes in Sachen Digitalisierung erwartet hat-te, der wurde enttäuscht. Roboter, die Wände streichen oder Decken ver putzen, gab es an der bedeutendsten Messe der Welt für Maler und Gipser-Trocken bauer keine zu sehen.

Einige der Aussteller präsentierten hingegen Kameras, die mit dem Foto gleich das Ausmass machen kön-nen; computergesteuerte CNC-Frä-sen fräste n zehntelmillimeter genau V-Nuten in Gipskarton plattenstücke, die anschliesse nd zu Würfeln geformt werde n konnten. Wirklich neu ist das alles nicht. Innovationen wurden schon

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teurmeister fest: Es reicht nicht mehr, nur eine Internetseite zu haben. Vor-bei sind auch die Zeiten, in denen man eine Offerte einreichen und dann auf die Reaktion des Kunden warten konn-te. Christmann nannte einige Punkte, welche die heutige Kommunikation zwi-schen Unternehmen und (potenziellen) Kunden prägen:

■■ Die Werbung auf Papier schwin-det immer mehr. Heute fahndet der Kunde auf dem Handy mit Such-maschinen nach Handwerkern und das rund um die Uhr.

■■ Darum muss die Erreichbarkeit per Telefon, E-Mail, WhatsApp usw. im Sinne eines 24-Stunden-Call centers auch am Abend und am Wochenen-de sichergestellt sein. Und es muss innert nützlicher Frist geantwortet werden. Die schriftliche Kommu-nikation online hat unter anderem den Vorteil, dass schon alle Daten des Kunden erfasst sind, wenn man diesen besucht.

■■ Damit eine Firma im Internet ge-funden wird, braucht es neben der Website weitere Kanäle. Heu-te ist Facebook wichtig, auf dem man zeigen kann, wie toll es in der Firma läuft. Künftig kann es eine andere Plattform sein. Je mehr Ak-tivität eine Firma im Internet ent-wickelt, desto besser wird sie von Google gefunden. Trends soll man aber nur mitgehen, wenn es für die eigenen Bedürfnisse Sinn macht.  ➝

Relationship Management = Kun-denbeziehungsmanagement).

■■ Geschäftsmodell: Es kön-nen sich durch technische Ent-wicklungen neue Geschäfts-felder eröffnen. Ein Beispiel ist Smart Home, also Systeme zur Automatisierung in Wohn räumen, die Wohn-/Lebens qualität, Sicher-heit und Energie nutzung verbes-sern  sollen.

Nicht zu viel wollen

Trotz dieses umfassenden Ansatzes rät Tessman, in der Umsetzung die Digitali-sierungsaktivitäten nach Prioritäten zu ordnen und in dem Bereich anzufangen, in dem einerseits schnell ein grosser Effekt erzielt werden kann und ander-seits die Mitarbeitenden ohne Schwierig-keiten mitziehen können. Dieser grund-sätzliche Ratschlag war oft zu hören auf dem FAF-Forum. Noch etwas ist ent-scheidend: «Der Technologiemarkt ist

ein Dschungel», stellte Tessmann fest, in dem es viele Berater gebe, die nur ihre Produkte verkaufen wollten. Diese nüt-zen aber nichts, wenn sie keine Schnitt-stellen zu anderen Systemen haben. Wenn jedoch das digitale Tool, zum Bei-spiel eine Betrieb ssoftware, möglichst viel kann, dann spart das Unternehmen viel Geld und Zeit für Koordination.

Kein Kann, sondern ein Muss

«Es gibt kein Ja, aber ... Man muss sich mit der Digitalisierung auseinander-setzen und eine Lösung für seinen Be-trieb finden», stellte Michael Christ-mann, der Geschäftsführer von Stuck-Belz in Bonn (D), klar. Als Unternehmer soll man jetzt damit anfangen und nicht erst dann, wenn die Aufträge zurück-gegangen sind.

Christmann sprach darüber, wie ein Unternehmen Kunden findet beziehungs-weise wie diese das Unternehmen fin-den. Grundsätzlich stellte der Stucka-

IT-Berater Klaus Tessmann

rät Unternehmern, einen

Plan zu erstellen.

Stuckateurmeister Michael

Christmann sagt: «Digitali-

sierung ist ein Muss.»

Malermeister Markus Mass-

mann (links) und Online-

Unternehmer Ferdinand Seu-

le n sind sich einig, dass die

handwerklichen Fähigkeiten

und die Zuverässigkeit der

Mitarbeitenden wichtiger

sind als IT-Kenntnisse.

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Mit einer Betriebssoftware

bekommen die Mitarbeiten-

den mehr Verantwortung,

was ihre Motivation steigert.

(Bilder auf dieser Doppel-

seite: GHM)

Stunde bis drei Stunden für eine Offerte gebraucht, heute seien es maximal 25 Minuten.

■■ Managen der personellen Ressourcen.

■■ Administratives Arbeiten ist von jedem Ort aus möglich, sofern es dort Strom und Internet gibt.

Vorausblickend zählte der Stuckateur-meister weitere Entwicklungen auf:

■■ Verwendung von E-Transportern in der Fahrzeugflotte.

■■ Virtual Reality. Ein grosses Möbelhaus hat bereits eine App, mit der man Möbel in der eigenen Wohnung «verteilen» kann. Mit einer App könnte man in Zukunft zum Beispiel dem Kunden zeigen, wie eine dreckige Fassade aussehen wird, wenn sie wieder sauber und renoviert ist.

■■ Serienproduktion von Elementen mit 3D-Druck.

Zum Schluss gab auch Michael Christ-mann den Unternehmern den Rat: «Digi-talisierung des Betriebs bedeutet nicht, alles auf einmal zu machen. Fangen Sie an einem Ort an und bauen sie auf. Wichtig ist dabei, dass Sie Ihre Systeme miteinander vernetzen können.»

Diese Aussage bestätigte Messe-besucher René Good, Inhaber und Ge-schäftsführer der Colorado Applica-tion AG in Chur GR, am FAF-Forum im Gespräch mit der «Applica». Er hat in sei-ner Firma eine digitale Zeiterfassung ein-

■■ Nicht alles selber machen. Die Be-wirtschaftung von Online-Kanälen kann der Unternehmer an geeig-nete Mitarbeitende abgeben.

Ausmass, Preise, Marketing

Christmann nannte als weitere Möglich-keiten und Vorteile für Unternehmer:

■■ Digitales Ausmass beim Kunden.■■ Digitales Marketing, das die Firma

auch für Mitarbeitende attraktiv macht.

■■ Kalkulation mit immer aktuellen Preisen dank Vernetzung mit den Händlern via Software.

■■ Prozessoptimierung und damit Zeitersparnis durch rasches Zu-sammenführen aller Informatio-nen. Vor zwei Jahren habe er eine

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Das virtuelle Gestalten und

Einrichten von Räumen

ist eine der digitalen

Möglichkeiten.

Plattform materialrest24.de ins Leben gerufen, auf der Unternehmer anonym Material und Maschinen anbieten kön-nen. Das können zum Beispiel Dämm-platten sein, die nicht verwendet wor-den sind. Der Verkäufer und der Käufer nehmen via Plattform Kontakt miteinan-der auf. Kommt ein Geschäft zustande, übernimmt Materialrest24 die weitere Kommunikation und den Versand. Damit wird die Entsorgung neuwertigen Materi-als vermieden, was der Kasse der Unter-nehmen und der Umwelt nützt.

Dirk Stefen, MyCraftnote Digital GmbH, präsentierte «WhatsApp für den Handwerker». Die Applikation ermöglicht das Projekmanagement via Handy. Die Daten sind immer aktuell und daten-schutzkonform gesichert. Bilder, Videos, Scans, Text- und Sprachnachrichten wer-den direkt dem richtigen Projekt zuge-ordnet. Rapporte und Ausmasse sind überall und projektbezogen verfügbar. Absprachen können direkt dokumentiert und einfach wiedergefunden werden.

Ganzes Unternehmen auf dem Handy

Stefens Fazit: Das Zusammensuchen von losen Zetteln und verlegten Notizen fällt weg, was Zeit spart. Und es gehen keine Informatonen verloren.

Damit sind wohl die Hauptvorteile der Digitalisierung von Unternehmen an-gesprochen. Die App zeigt auf, in wel-che Richtung die Entwicklung geht, auch wenn es etwas utopisch ausgedrückt ist: Das ganze Unternehmen befindet sich auf dem Handy des Chefs. ■

Bei Meistern und anderen Verantwor-tungsträgern sind Know-how und Erfah-rung mit digitalen Mitteln hin gegen wich-tig. Grosse Schwierigkeiten im personel-len Bereich sieht Massmann nicht. Die Jungen bringen das digitale Rüstzeug sowieso mit. Bei den Älteren brauche es am Anfang Überzeugungsarbeit, aber nach rund zwei Monaten sei die Sache «gegessen», sagte er.

Weil dann alles einfacher sowie ent-spannter werde und die Mitarbeitenden dank der Vernetzung mehr Einfluss so-wie Verantwortung hätten, seien alle zu-frieden.

Werkzeuge tracken

Diverse Referenten präsentierten wei-tere interessante Digitalisierungs-An-sätze. Thomas Müller von der Coeln Concept GmbH hat das Werkzeugsver-waltungstool UnTouch entwickelt. Da-mit können Werkzeuge/Maschinen di-gital erfasst und verwaltet werden. On-line ist jederzeit feststellbar, wo sie sich gerade befinden. Sie können sogar via GPS getrackt werden. Das Tool gibt auch Auskunft darüber, wer wann wel-ches Werkzeug benutzt hat und wann es gewartet werden muss. Das geht so weit, dass das System eine Servicemel-dung an die Wartungsfirma absetzt. Da-mit kann dem Betriebsmittelschwund entgegengewirkt werden.

Wie man Nachhaltigkeit im eigenen Unternehmen digital managen kann, war das Thema von Simon Schlögl. Der gelernte Dachdecker hat die Online-

geführt und weitet die Digitalisierung in Zusammenarbeit mit der SMGV-Partner-firma Sorba Schritt für Schritt auf ande-re Unternehmens bereiche aus.

Es macht richtig, richtig Spass

In gleiche Horn stiess Malermeister Mar-kus Massmann, Geschäftsführer des gleichnamigen Betriebs im nordwest-deutschen Städtchen Lüdinghausen. Der Firmenchef dürfe nicht zu viel auf einmal wollen, sondern solle «Step by Step» vor-gehen, sagte er im Podiumsgespräch mit dem Online- Unter nehmer Ferdinand Seu-len. Bald sehe man, dass Digitalisierung «richtig, richtig Spass» mache, denn vie-les werde einfacher.

Die beiden befassten sich unter an-derem mit der Frage, ob die Digitalisie-rung der internen und externen Abläufe ein Unternehmen für Fachkräfte attrakti-ver machen kann. Ihr Fazit: Jein. Die Digi-talisierung alleine zieht keine guten Mit-arbeitenden an, aber sie hilft als «Tüp-felchen auf dem i» in der Rekrutierung. Anderseits kann sie auf ältere Arbeits-kräfte abschreckend wirken.

Es braucht keine Computernerds

Massmann und Seulen waren sich einig, dass den digitalen Fähigkeiten von Be-werbern bei der Rekrutierung nicht ers-te Priorität zukommt. Zuverlässigkeit, Disziplin und die fachliche Eignung sei-en viel wichtiger, sagte der Malermeis-ter, «ich brauche keinen Computer nerd, der nicht fähig ist, eine Wand zu spach-teln». Das gilt vor allem für die Arbeiter.