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Astron. Nachr. 306 (1985) 2, 71-76 71 Messung der Lichtablenkung wahrend der Sonnenfinsternis am 15. Februar 1961 F. SCHMEIDLER, Miinchen Mit einer Abbildung (Eingegangen 1984 April 24) Wahrend der totalen Verfinsterung der Sonne wurde auf dcm Monte C6nero bei Ancona (Italien) cine photographische Aufnahme der Sterne in Sonnennahe erhaltcn, auf der 12 Sterne mel3bar waren. Der Vergleich rnit einer spateren Aufnahnie des Sternfeldes am Nacht- hinimel zeigte, daO die wahrend der Finsternis gemachte Aufnahme eine starke Verzerrung aufwies, deren Ursache mit holier Wahr- scheinlichkeit eine Storung der Refraktion wegen der tiefen Stellung der Sonne war. Die Koordinatendiffercnzen zwischen beiden Plat- ten mufiten durch einen allgemeinen Ansatz dargestellt werden, der alle Glieder bis einschlieDlich des zweiten Grades umfaDte. Fur die Lichtablenkung am Sonnenrand ergab sich der Wert L = 1Y98 0:’46. During the total eclipse, a plate of the stars near the Sun was taken on the Monte C6ncro near Ancona in Italy, on which 12 stars were measurable. Comparison with another plate of the same stars taken at night showed strong distortion on the eclipse plate which was very probably due to anomalous refraction. The differences of coordinates between both plates were represented by a general second- order expression. The value L = 1:98 & or46 was derived for the gravitational deflection on the solar limb. 1. Die Beobachtungen Die totale Sonnenfinsternis, die in den Morgenstunden des 15. Februar 1961 im siidlichen Europa sichtbar war, bot eine Moglichkeit zur Messung der von der Relativitatstheorie behaupteten Lichtablenkung der Sterne in der Nahe des Randes der Sonne, bei der wegen der winterlichen Jahreszeit und dem niedrigen Stand der Sonne keine beson- ders groBen Aussichten auf einen guten Erfolg bestanden. In der Tat ergab sich aus den in dieser Arbeit berichteten Beobachtungen, daR sie zwar durch unerwartet gunstiges Wetter begiinstigt waren, andererseits aber durch eine Storung der astronomischen Refraktion stark beeintrachtigt waren. Die Schwierigkeiten, die der analytischen Er- fassung dieser Refraktionsstorung im Weg standen, sind auch der Grund, warum die Resultate der Messungen erst jetzt veroffentlicht werden konnen. Trotz der ungunstigen Aussichten wurde im Jahre 1960 beschlossen, eine Expedition zur Beobachtung der Fin- sternis am 15. Februar 1961 zu unternehmen, an der aul3er dem Verfasser dieser Arbeit Herr Dr. W. KREIDLER und Herr Oberwerkmeister F. KORNER teilnahmen. Als Ort der Beobachtung wurde der Monte C6nero bei Ancona an der italienischen Adriakiiste ausgewahlt ; iiber nahere Einzelheiten der Planung und der Durchfuhrung dieser Expe- dition ist bereits an anderer Stelle (SCHMEIDLER 1961) berichtet worden. Auch uber die erfreuliche und fruchtbrin- kende Zusammenarbeit rnit italienischen astronomischen Kollegen sowie mit den italienischen Behorden sind dort die notwendigen Angaben gemacht. Wahrend der totalen Phase der Finsternis konnte eine photographische Aufnahme des die Sonne umgebenden Sternfeldes mit einer Belichtungszeit von fast zwei Minuten erhalten werden, die fur die Messung der relativisti- schen Lichtablenkung bestimmt war. Ende April 1961 wurde wahrend eines zweiten Aufenthalts auf dem Monte Conero erneut das Sternfeld, in dem die verfinsterte Sonne am 15. Februar gestanden hatte, aufgenommen; diese Aufnahme enthielt zwei Expositionen von je 15 Minuten Belichtungszeit. Mit dieser langen Belichtungsdauer wurde die bei fruheren Beobachtungen (FREUNDLICH, V. KLUBER und V. BRUNN 1931) gemachte Erfahrung beriicksichtigt, daR die bei photographischen Aufnahmen von Sternen in der Nahe der verfinsterten Sonne erreichte Grenzhellig- keit niedriger liegt als bei Aufnahmen am Nachthimmel. Tatsachlich waren auf der im April erhaltenen Aufnahme des Sternfeldes alle Sterne sichtbar, die auch auf der wahrend der Finsternis am IS. Februar gemachten Aufnahme aufgefunden werden konnten. Das Instrument, rnit dem die Aufnahmen wahrend der Finsternis und spater am Nachthimmel gemacht wurden, war das gleiche, mit dem bereits die totale Sonnenfinsternis am 2. Oktober 1959 bei in der siidlichen Sa- hara (SCHMEIDLER 1962) beobachtet worden war. Nahere Einzelheiten iiber das Instrument und das Beobachtungs- verfahren sind in der genannten Publikation mitgeteilt. Geringfugige Abweichungen zwischen den Beobachtungen von 1959 und 1961 sind im Bericht uber die Expedition von 1961 nach Ancona referiert (SCHMEIDLER 1961). Auch das Verfahren der Auswertung der Aufnahmen von 1961 war im Prinzip das gleiche wie im Fall der Beobachtungen der Finsternis von 1959; es wurde jedoch die damals ausgenutzte Verstarkung der Kontraste auf der Finsternis- platte durch Hilfsmittel der Fernsehtechnik nicht verwendet, weil sie wegen der nicht vorhandenen Verschleierung der am 15. Februar aufgenommenen Platte nicht erforderlich war. Zu erwahnen ist noch die Tatsache, daR die Auf- nahmen wahrend der Finsternis und am Nachthimmel auf Platten gemacht wurden, die die von der Firma Kodak hergestellte hochempfindliche Emulsion Royal X trugen ; die gleichen Platten waren auch fur die Beobachtung der

Messung der Lichtablenkung während der Sonnenfinsternis am 15. Februar 1961

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Astron. Nachr. 306 (1985) 2, 71-76 71

Messung der Lichtablenkung wahrend der Sonnenfinsternis am 15. Februar 1961

F. SCHMEIDLER, Miinchen

Mit einer Abbildung (Eingegangen 1984 April 24)

Wahrend der totalen Verfinsterung der Sonne wurde auf dcm Monte C6nero bei Ancona (Italien) cine photographische Aufnahme der Sterne in Sonnennahe erhaltcn, auf der 12 Sterne mel3bar waren. Der Vergleich rnit einer spateren Aufnahnie des Sternfeldes am Nacht- hinimel zeigte, daO die wahrend der Finsternis gemachte Aufnahme eine starke Verzerrung aufwies, deren Ursache mit holier Wahr- scheinlichkeit eine Storung der Refraktion wegen der tiefen Stellung der Sonne war. Die Koordinatendiffercnzen zwischen beiden Plat- ten mufiten durch einen allgemeinen Ansatz dargestellt werden, der alle Glieder bis einschlieDlich des zweiten Grades umfaDte. Fur die Lichtablenkung am Sonnenrand ergab sich der Wert L = 1Y98 0:’46.

During the total eclipse, a plate of the stars near the Sun was taken on the Monte C6ncro near Ancona in Italy, on which 12 stars were measurable. Comparison with another plate of the same stars taken a t night showed strong distortion on the eclipse plate which was very probably due to anomalous refraction. The differences of coordinates between both plates were represented by a general second- order expression. The value L = 1:98 & or46 was derived for the gravitational deflection on the solar limb.

1. Die Beobachtungen

Die totale Sonnenfinsternis, die in den Morgenstunden des 15. Februar 1961 im siidlichen Europa sichtbar war, bot eine Moglichkeit zur Messung der von der Relativitatstheorie behaupteten Lichtablenkung der Sterne in der Nahe des Randes der Sonne, bei der wegen der winterlichen Jahreszeit und dem niedrigen Stand der Sonne keine beson- ders groBen Aussichten auf einen guten Erfolg bestanden. In der Tat ergab sich aus den in dieser Arbeit berichteten Beobachtungen, daR sie zwar durch unerwartet gunstiges Wetter begiinstigt waren, andererseits aber durch eine Storung der astronomischen Refraktion stark beeintrachtigt waren. Die Schwierigkeiten, die der analytischen Er- fassung dieser Refraktionsstorung im Weg standen, sind auch der Grund, warum die Resultate der Messungen erst jetzt veroffentlicht werden konnen.

Trotz der ungunstigen Aussichten wurde im Jahre 1960 beschlossen, eine Expedition zur Beobachtung der Fin- sternis am 15. Februar 1961 zu unternehmen, an der aul3er dem Verfasser dieser Arbeit Herr Dr. W. KREIDLER und Herr Oberwerkmeister F. KORNER teilnahmen. Als Ort der Beobachtung wurde der Monte C6nero bei Ancona an der italienischen Adriakiiste ausgewahlt ; iiber nahere Einzelheiten der Planung und der Durchfuhrung dieser Expe- dition ist bereits an anderer Stelle (SCHMEIDLER 1961) berichtet worden. Auch uber die erfreuliche und fruchtbrin- kende Zusammenarbeit rnit italienischen astronomischen Kollegen sowie mit den italienischen Behorden sind dort die notwendigen Angaben gemacht.

Wahrend der totalen Phase der Finsternis konnte eine photographische Aufnahme des die Sonne umgebenden Sternfeldes mit einer Belichtungszeit von fast zwei Minuten erhalten werden, die fur die Messung der relativisti- schen Lichtablenkung bestimmt war. Ende April 1961 wurde wahrend eines zweiten Aufenthalts auf dem Monte Conero erneut das Sternfeld, in dem die verfinsterte Sonne am 15. Februar gestanden hatte, aufgenommen; diese Aufnahme enthielt zwei Expositionen von je 15 Minuten Belichtungszeit. Mit dieser langen Belichtungsdauer wurde die bei fruheren Beobachtungen (FREUNDLICH, V. KLUBER und V. BRUNN 1931) gemachte Erfahrung beriicksichtigt, daR die bei photographischen Aufnahmen von Sternen in der Nahe der verfinsterten Sonne erreichte Grenzhellig- keit niedriger liegt als bei Aufnahmen am Nachthimmel. Tatsachlich waren auf der im April erhaltenen Aufnahme des Sternfeldes alle Sterne sichtbar, die auch auf der wahrend der Finsternis am IS. Februar gemachten Aufnahme aufgefunden werden konnten.

Das Instrument, rnit dem die Aufnahmen wahrend der Finsternis und spater am Nachthimmel gemacht wurden, war das gleiche, mit dem bereits die totale Sonnenfinsternis am 2. Oktober 1959 bei in der siidlichen Sa- hara (SCHMEIDLER 1962) beobachtet worden war. Nahere Einzelheiten iiber das Instrument und das Beobachtungs- verfahren sind in der genannten Publikation mitgeteilt. Geringfugige Abweichungen zwischen den Beobachtungen von 1959 und 1961 sind im Bericht uber die Expedition von 1961 nach Ancona referiert (SCHMEIDLER 1961). Auch das Verfahren der Auswertung der Aufnahmen von 1961 war im Prinzip das gleiche wie im Fall der Beobachtungen der Finsternis von 1959; es wurde jedoch die damals ausgenutzte Verstarkung der Kontraste auf der Finsternis- platte durch Hilfsmittel der Fernsehtechnik nicht verwendet, weil sie wegen der nicht vorhandenen Verschleierung der am 15. Februar aufgenommenen Platte nicht erforderlich war. Zu erwahnen ist noch die Tatsache, daR die Auf- nahmen wahrend der Finsternis und am Nachthimmel auf Platten gemacht wurden, die die von der Firma Kodak hergestellte hochempfindliche Emulsion Royal X trugen ; die gleichen Platten waren auch fur die Beobachtung der

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Finsternis von 1959 verwendet worden. Auch die Entwicklung der Platten wurde in der gleichen Weise wie 1959 ausgefiihrt.

Nach AbschluB der Expedition wurden die Differenzen der Koordinaten der Sterne auf der Finsternisplatte und der Nachtaufnahme auskmessen. Es ergaben sich starke Hinweise, daB eine Storung der astronomischen Refrak- tion von so erheblichem Betrag vorlag, daB es zweifelhaft war, ob aus den Aufnahmen ein brauchbarer Wert fur die Lichtablenkung abgeleitet werden konnte. Da sowohl wahrend der Finsternis als auch wahrend der nachtlichen Aufnahme das Sternfeld in einer Hohe von nur 15" uber dem Horizont stand, konnte dieses Ergebnis nicht als uber- raschend angesehen werden.

Wegen solchen Zweifeln an der Brauchbarkeit der erhaltenen Aufnahmen und auch wegen der Unklarheit dar- uber, wie die vorliegende Refraktionsstorung am besten analytisch behandelt werden konnte, blieb die Arbeit der endgultigen Reduktion der Messungen eine Reihe von Jahren liegen. Erst als mir die Arbeit von BOUET (1980) be- kannt wurde, in der auf einen statistischen Zusammenhang zwischen der Sonnenaktivitat und den gemessenen Werten der Lichtablenkung hingewiesen wurde, wurde die Reduktion der im Jahr 1961 aufgenommenen Platten weitergefiihrt. Es erschien dringend erwunscht, jede mogliche Anstrengung zur Gewinnung eines Wertes fur die Lichtablenkung zu machen, da das Jahr 1961 in der Nahe eines Maximums der Sonnenaktivitat lag.

2. Die Reduktion der Aufnahmen

Auf der Aufnahme der Umgebung der verfinsterten Sonne, die am 15. Februar gemacht wurde, konnten die Bilder von 12 Sternen iclentifiziert werden. Die notwendigen Angaben uber diese Sterne sind in Tabelle I gegeben; darin enthalt die erste Spalte die Nummer des Sterns im Band 11 bzw. fur die drei letzten Sterne im Band IZ der Kataloge der Yale-Sternwarte (SCHLESINGER und BARNEY 1939 und 1940). Die folgenden Spalten der Tabelle I geben die genaherten Koordinaten der Sterne fur das Aquinoktium 1950, die visuelle Helligkeit und den Spektraltyp ; diese Angaben sind aus den Yale-Katalogen entnommen. Die letzte Spalte der Tabelle I gibt den Abstand des Sterns von tler Sonne zur Zeit der totalen Finsternis am 15. Februar 1961 in Grad an.

Tabcllr I Angnlxn libcr dic ;uiE tlcr Finstcmisplattc idcntilizicrtcn Stc i nc.

7737 7753 7750 7766 7781 7780

7798 7807

8233 8247

7790

8204

-

21"47m0 50.3 50.9 52.3 55.7 56.3 57.1 58.4

22 1.4 21 50.6

55.8 57.9

- 12'57' 10 48 10 33

12 54 1 1 31 10 33 I3 16 13 16 13 47 I3 29 1.3 59

I2 I 2

Om4 7.1 7.8 8.1

7 4 8.0 8.0 7.7 7.6 5.4 7.3 8.0

RO 1 :73 KO Z.IB B9 2.34 A 0 0 69 G5 0.45

F5 2.35 F5 1.20 AO 1.89 FO 1.32 G5 0.86 FO I .56

KO 1.38

~. _ _ _ ~ -

Die Differenzen der Orter der in Tabelle I gegebenen Sterne zwischen der Finsternisplatte und der spater erhal-' tenen Nachtaufnahme wurden mit dem gleichen Verfahren und der gleichen Apparatur gemessen, die fur die Auf- nahmen der Finsternis von 1959 benutzt und in der damaligen Publikation (SCHMEIDLER 1962) beschrieben wurde.

Es wurde zunachst versucht, die gemessenen Koordinatendifferenzen Ax, Ay mit Hilfe der ublichen Formeln

darzustellen, in denen x, y die rechtwinkligen Koordinaten (x positiv nach Osten, y positiv nach Norden) bedeuten und in denen a, h die Nullpunktdifferenzen, a der Richtungsunterschied der Achsen, S der Skalenunterschied, fi, q die Neigungsunterschiede zwischen beiden Platten und L die Lichtablenkung am Sonnenrand sind. Es ergab sich, daB die gemessenen Koordinatendifferenzen Ax, Ay in keiner Weise durch (I) dargestellt werden konnten, ohne daB Restfehler der vollig unzulassigen GroBenordnung von 20" bis 40" blieben. Die rechnerische Berucksichtigung der differentiellen Refraktion, die wegen der Unterschiede des Luftdrucks und der Temperatur zwischen der Finster- nisaufnahme und der spateren Nachtaufnahme bestand, verkleinerte die Widerspriiche nur wenig.

Die wahrscheinlichste Erklarung dieser Diskrepanzen bestand in der Annahme, daB die 'astronomische Refrak- tion wahrend der Finsternis erheblich gestort war. Diese Annahme war auBer wegen dem tiefen Stand der Sonne auch deswegen als wahrscheinlich anzusehen, weil in der gleichen Himmelsrichtung, in der die verfinsterte Sonne am 15. Februar stand, in einer Entfernung von IOO bis ZOO Metern vom Standort des Fernrohrs das Gelande steil nach abwarts abfiel; aus diesem Grund war eine entsprechende Deformation der fur die Refraktion maBgeblichen Schich- ten gleicher Luftdichte durchaus moglich.

SCHMEIULER, I;. : Mcssung dcr Lichtablerikui~g walireiid dcr Solilieiifiiistcrriis 7 3

Obgleich die Annahme einer Kefraktionsstiirung die gr6Bte Wahrsclieinliclikeit fur sicli Iiatte, wurdeii zunachst andere Moglichkeiten der Erklarung fur die Widerspruche in den Messungen gepriift. Es wurde untersucht, ob sic a) durch eine unterschiedliche optische Verzeichnung auf beiden Platten oder b) durch einen Unterschied der Lage des Mittelpunkts, von dem aus die Verzeichnung eintritt oder c) durch einen Zentrierungsfehler auf einer der beiden Aufnahmen erklart werderi konnten. In keinem dieser Falle ergab eine tlieoretisclle Berechnung der entsprechenden Abbildungs- fehler einen Verlauf der Koordinatendifferenzen Ax, Ay iiber die Platte hinweg, der auch nur genahert mit den Mes- sungen iibereinstimnite.

Dagegen erwies es sich als moglich, eine brauchbare Darstellung der Messungen durch die Annahme zu erzielen, daB cine Stiirung der Refraktivn vorlag. Unter dieser Voraussctzung miiBte jeder Stern auf der Platte uni den Be- trag

4% = k ( z - 2,) ( 2 )

in Richtung zum Zenit gehoben werden, wobei z die Zenitdistanz des Sterns, zo die des Mittelpunktes der Platte und k eine noch zu bestimmenden Konstante ist. Bezeichnet man mit q den Winkel, den am Plattenmittelpunkt die Kichtungen zum Zenit und zum Nordpol dcs Himinels bilden, dann ist

z - 2, =I N ( x sill q + y cvs y) ( 3 ) wobei N einen Zalilenfaktor bedeutet, dcr die in linearem hlaW auf der Platte geinesseneii Koordinaten in Grade verwandelt. Beriicksiclitigt nian die Tatsache, daB die durcli (2) ausgedriickten Anderungen der Zenitdistanz An- dcrungen der Koordinaten zur Folge haben, die in der x-Kichtung durcli Multiplikation mit cos erlialten werden, dann ergibt sich als gesamte Differenz der Koordinaten aus (I), (2) und (3 ) bei Vernachlassigung der nichtlinearen Glieder

A x = a + cry + Sx + ~ N ( x sin q + y cos q) sin q dy = b - crx + Sy + kN(x sin q + y cos q) c o s y . (4)

Andererseits konnten die tatsachlich gemessenen Koordinatendifferenzen Ax, Ay zwischen der Finsternisplatte und der Naclitaufnahme in guter Naherung durcli die Rusdruckc

Ax,, = -3.650 - 0.80vy + 0 . 0 6 0 ~

Ay, = -5.610 + 0.146~ - 0.025~ (5)

dargestellt werden, wobei auf den rechten Seiten x und y in Einheiten von IOO inm einzusetzen sind und die Koordi- nateridifferenzen selbst sich in nim ergeben. Koeffizientenvergleich von (4) und (5) ergibt demnach

S + kN sin2 q = +o.oGo

a + kN sin q cos q = -0.800 -a + kN sin q cos q = -0.025

S + kN cos2 q = S0.146

Die Unbekannte q kann aus (6) in der Weise bestimmt werden, daB man bildet

kN(cos2 q - sin2 q) = kN cos 2q = +0.086 2kN sin q cos q = kN sin 2q = -0.825

Durcli Division erhalt man aus den beiden Gleichungen (7)

(7)

t g z q = -9.6 und q = -42" (8) Die Ubereinstimniung mit dem fur den Zeitpunkt der Finsternis bereclineten Wert q = -38" ist sogut, daB in ihr eine Bestatigung der Hypothese gesehen werden kann, daR die Aufnahme des Sternfeldes um die verfinsterte Sonne am 15. Februar 1961 durch eine Refraktionsstorung der Gestalt von (2) beeinfluot war. Theoretisch ware auch moglich, daB die Sttirung auf der Nachtaufnahme bestanden hat und die Finsternisaufnahme ungestort war; aus physika- lischen Grunden ist das jedoch sehr unwahrscheinlich. Nicht ganz auszuschlieBen ist die Moglichkeit, daB ein kleiner Anteil des gesamten Effekts zu Lasten der Nachtaufnahme geht.

Aus der zweiten G1. (7) folgt in Verbindung mit (8), daB genahert kN = 0.8 ist; wegen der durch (2) und (3) fest- gelegten Bedeutung von k und N ergibt sich daraus, daB die Zunahme der Refraktion auf der Platte 0.8 mm pro IOO mm Zunahme an Zenitdistanz betrug. Da I mm auf der Platte einen Winkel von ca. 100'' bedeutet, hatte auf der Finsternisplatte ein Hohenunterschied von ca. 3" einen Refraktionsunterschied von 80" zur Folge gehabt. Eine differentielle Refraktion dieser GroBenordnung entspricht normalerweise nicht einer Zenitdistanz von 75 ", sonderii einer Zenitdistanz von 81 ". Aus dieser uberschlagsrechnung kann geschlossen werden, da13 die Refraktions- storung auf der Finsternisplatte genahert als eine Schichtenneigung von etwa 6 " interpretiert werden kann.

Eine Neigung der atmospharischen Schichten von 6" ist als groB anzusehen, aber durchaus nicht als unmoglicli. Zum Vergleich kann auf Erfahrungen von OBERGUGGENBERGER (1926) hingewiesen werden, der bei Beobachtungen in Innsbruck in Zenitdistanzen von ca. 75 " in Einzelfallen Storungen der Refraktion unterlagen, die normalerweise einer Zenitdistanz von ca. 85" entspricht; es hatte also in diesen Fallen eine Neigung der Schichten sogar im Betrag von 10 " vorgelegen .

74 Astron. Nachr. 306 (1985) 2

Aus den gemessenen Koordinatendifferenzen konnten auch Andeutungen gefunden werden, daB die Refraktions- storung scliwach vom Azimut abhing; auch die Differenz zwischen dem gemessenen Wert (8) des Winkels q und dessen theoretischem Wert kann in diesem Sinn gedeutet werden. Aus diesem Grund kann fur eine genaue Reduk- tion der Messungen die Refraktionsstorung nicht durch den genaherten Ansatz ( 2 ) wiedergegeben werden. Da auBer- dem in (2) und den daraus folgenden Gleichungen (4) nur lineare Glieder beriicksichtigt sind und mit dem EinfluB hoherer Potenzen schon wegen (I) gerechnet werden muote, bestand keine andere Moglichkeit als ein Ansatz, der alle denkbaren Glieder erster und zweiter Ordnung in voller Allgemeinheit berucksichtigte. Die gemessenen Koordi- natendifferenzen wurden deswegen durch einen Ansatz der Gestalt

dargestellt, in dem eine grooe Anzalil von Unbekannten in Kauf genommen werden muBte. Mit den Annahmen a = -a', S = S', p = p' , q = q' und wt = m' = 0, die bei ungestdrten Verhaltnissen zulassig sind, geht (9) in (I) uber.

3. Die Ergebnisse

Bei der Ausglcicliung des MeBresultats nach dem Ansatz (9) wurden fur die Koordinaten x, y , die auf den rechten Seiten von (9) als Faktoren auftreten, diejenigen Werte verwendet, die die Koordinaten auf der Nachtaufnahme aufwiesen. Da auf der Naclitaufnahme der Sonnenort nicht genau im Zentrum lag, wurden bei der Berechnung der Koeffizienten der Unbekannten L die Werte von x und y durch x - xo und y - yo ersetzt, wobei xo und yo die Koordinaten des Sonnenortes sind. Alle x und y wurden auf den rechten Seiten von (9) in de; Einheit von IOO mm eingesetzt. Auf den linken Seiten wurden, um kleinere Zahlen zu erlialten, nicht die unmittelbar gemessenen Diffe- renzen d x und dy, sondern die Werte d x - Ax, und Ay - Oy, eingesetzt, wo Ax, und dy0 die in ( 5 ) gegebenen Naherungswerte bedeuten. Eine Korrektion der Koordinatendifferenzen wegen differentieller Prazession und Aber- ration wurde nicht vorgenommen, weil diese Effekte durch den allgemeinen Ansatz (9) von selbst erfaBt werden ; dagegen wurden Korrektionen wegen der differentiellen Wirkung der Eigenbewegung angebracht, die allerdings nur in wenigen IWlen eine merkliche GroQe erreichten ; die Eigenbewegungen selbst wurden dabei den Y ale-Kata- logen entnommen. Alle Koordinatendifferenzen wurden in der Einheit von I mm eingesetzt. Unter Vertauschung der linken und rechten Seiten von (9) ergaben sich so die folgenden Bedingungsgleichungen:

a - o.Iza - 0.70s + o,.tgp + 0.08q + o.oIm - 0.571- = +O.OOI a + 0.71 - 0.40 + 0.16 - 0.28 + 0.50 - 0.20 = -0.019 a + 0.80 - 0.35 + 0.12 - 0.28 + 0.64 - 0.14 = -0.013 a + 0.18 - 0.21 + 0.04 - 0.04 + 0.03 - 0.86 = -0.o06 a - 0.08 + 0 .11 + 0.01 - 0.01 + 0.01 + 2.10 = $0.008

a + 0.81 + 0.23 + 0.05 + 0.18 + 0.66 4- 0.14 = i-o.019 a - 0.21 + 0.36 + 0.13 - 0.08 + 0.05 f 0.76 = -0.012

a - 0.21 + 0.64 + 0.41 - 0.13 4- 0.04 + 0.51 = -0.021 a - 0.42 - 0.36 + 0.13 + 0.15 + 0.18 - 0.47 = s0.011 a - 0.30 + 0.12 + 0.01 - 0.04 + 0.09 + 0.63 = -0.007 a - 0.49 + 0.32 + 0.10 - o.rG + 0.24 + 0.41 = -0.o20

b - o.rzS' - 0.70a' + 0.49"' + 0.08p' + 0.01q' - 0.08L = -0.024 b + 0.71 - 0.40 + 0.16 - 0.28 + 0.50 + 0.42 = +o.o14 b + 0.80 - 0.35 -1- 0.12 - 0.28 + 0.G4 + 0.40 = S0.025 b + 0.18 - 0.21 + 0.04 - 0.04 + 0.03 + 1.17 = -0.019 b - 0.08 + 0.11 + 0.01 - 0.01 f 0.01 - 0.64 = -0.030 b + 0.45 + 0.16 + 0.03 + 0.07 + 0.20 + 0.66 = -0.007 b + 0.81 + 0.23 + 0.05 + 0.18 + 0.66 + 0.40 = +o.oqj b - 0.21 + 0.36 + 0.13 - 0.08 + 0.05 - 0.33 = -0.023 b - 0.21 + 0.64 + 0.41 - 0.13 i- 0.04 - 0.14 = -0.025 b - 0.42 - 0.36 + 0.13 + 0.15 + 0.18 - 0.60 = -0.003 b - 0.30 + 0.12 + 0.01 - 0.04 + 0.09 - 0.98 = -0.023 b - 0.49 + 0.32 + 0.10 - 0.16 + 0.24 - 0.50 = -0.011

a + 0.45 + 0.16 + 0.03 + 0.07 + 0.20 + 0.30 = 0.000

Die Auflosung dieses Systems nach der Methode der kleinsten Quadrate ergab die folgenden Werte der Unbe- kannten :

u = -0.00387 4 o.oo1g2 b = -0.02731 5 0.00176 a = +o.oozgg f 0.00300 a' = o.ooooo f 0.00245 s = -0.01153 & 0.00289 s' = -0.00578 0.00465 p = -0.oog54 & 0.00654 p' = +0.03184 +_ 0.00610 q = +0.08072 0.00617 q' 4 +o.10025 0.00678 ni = -to.o1075 4 0.00632 m' = +o.ooz34 f 0.00621 L = f0.00549 0.00128

Der fur die Lichtablenkung gefundene Wert L muB noch in Bogensekunden verwandelt und auf den Sonnenradius statt auf die Distanz I O bezogen werden. Da der Linearmahtab auf der Platte sehr genau I mm = 96" betrug und

SCHMEIDLER, F. : Messung der Lichtablenkung wahrend der Sonnenfiiisternis 75

der scheinbare Radius der Sonnenscheibe 16' ist, mu13 die in (10) fur L angegebene Zahl mit dem Faktor 96 60116 = = 360 multipliziert werden; man erhalt dann aus (10)

L = 1'.'98 f o'l46

fur die Lichtablenkung eines am Sonnenrand stehenden Sterns. Die Darstellungsreste der einzelnen Sterne nach der Ausgleichung sind in Tabelle 2 gegeben.

Tabelle 2 Die Darstellungsreste nach der Ausgleichung ~

Stern ( B - R)s ( B - R)y

7737 7753 7756 7766 7781 7786 7790 7798 7807

8 2 3 3 8247

8204

-0.001 -0.002 +o.ooz +0.003 +0.002

-0.005 + O . O O I

$0.002

+0.002

0.000

-0.002 - 0.002

-0.002 +0.002

+O.OOI

-0.003 +o.oor

+O.OOI

+o.oor

-0.003

-0.001

0.000

-0.002

0.000

4. Diskussion der Resultate

Der fur die Lichtablenkung gefundenen Wert (11) iibertrifft den theoretischen Betrag von I:'75 um fast eine Viertel- bogensekunde, was mit den Ergebnissen der meisten bisher ausgefiilirten photographischen Messungen iiberein- stimmt (MICHAILOV 1959). Wegen der GroBe des mittleren Fehlers kann das Resultat (11) nur als eine scliwache Bestatigung einer Diskrepanz zwischen Messungen und Theorie angesehen werden. Es sollte dennoch nicht uber- sehen werden, daD die Gesamtheit der Messungen deutlicher fur einen zu groBen Wert der Lichtablenkung spricht, als man allein nach dem mittleren Fehler von (11) erwarten wurde. Man erkennt das aus der Abb. I, in der die ge- messenen radialen Verschiebungen

I

Y 6r = - (x6x + ySy)

init x - xg 8% = L------- + ( B -

Y2 dy = Ly- + ( B - R)Y

').Z J Y2

als Funktion der Entfernung Y der Sterne vom Sonnenort eingetragen sind; dabei ist in (12) fur L der Wert (11) verwendet und sind fur die B - R die Zahlen der Tabelle 2 benutzt. Es zeigt sich, daD die Mehrzahl der MeBpunkte fiber den theoretischen Kurve liegt, die gestrichelt eingetragen ist.

Abb. I. Die gemessenen radialen Verschiebungen der Sterne. Die gestrichelte Kurve entspricht dern thcoretischen Wert L = I:'75,

Man erkennt weiter aus der Abb. I, daf3 der zu hohe Wert (11) der Lichtablenkung vor allem durch den sonnen- nachsten Stern verursacht ist; es handelt sich um den Stern Nr. 7781, der wahrend der Finsternis nach Tabelle I nur 1.7 Sonnenradien von der Sonne entfernt war. Die ungewijhnlich starke Verschiebung dieses Sterns fie1 bereits bei den ersten Ausmessungen der Finsternisplatte auf ; aus diesem Grund wurde seine Position immer wieder durch neue Messungen nachgepriift, wobei sich in jedem Fall ergab, daB der Stern eine radiale Verschiebung von hohem

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Betrag aufwies. Auch war dasBild dieses Sterns, obgleich er in der Korona der Sonne stand, auf der Finsternisplatte verhaltnismaBig deutlicli zu erkennen.

Es ist bedauerlich, daB der grol3e mittlere Fehler des Resultats (11) keine Aussage uber die Realitat der Differenz zwischen dem gemessenen und dem theoretischen Wert der Lichtablenkung zulaBt. Auch die Ubereinstimmung von (11) mit der von BOUET (1982) gefundenen Korrelation zwischen den gemessenen Betragen der Lichtablenkung und der Kelativzahl der Sonnenflecken ist zwar gut, aber wegen des mittleren Fehlers nur bedingt beweiskratig. Wegen der tiefen Stellung der Sonne zum Zeitpunkt der Finsternis konnte ein gunstigeres Resultat nicht erwartet werden.

Herrn cand. rer. nat. J. WUNSCH bin ich fur numerische Kontrollrechnungen zur vorliegenden Arbeit dankbar.

Literatur

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Adrcsse des Autors : F. SCHMEIDLER Universitatssternwarte D-8000 Miinchen Scheinerstr. I Bundesrepublik I)cutschland