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Chirurg 2014 · 85:950–951 DOI 10.1007/s00104-014-2759-1 Online publiziert: 12. November 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 B.P. Müller-Stich · M.W. Büchler Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie, Universitätsklinikum, Heidelberg Metabolische Chirurgie Bei der metabolischen Chirurgie geht es um ein revolutionäres Therapiekonzept, das eine bisher traditionell internistisch behandelte Erkrankung, das metaboli- sche Syndrom, erfolgreich minimal-inva- siv chirurgisch angeht. Adipositas und as- soziierte Erkrankungen wie Diabetes mel- litus, arterielle Hypertonie, Dyslipidämie und nichtalkoholische Steatohepatitis bis hin zur schweren Leberzirrhose werden in den nächsten Jahren stark zunehmen. So wird erwartet, dass die nichtalkoholi- sche fettinduzierte Leberzirrhose in den nächsten Jahren die häufigste Indikation zur Lebertransplantation darstellen wird. Die verfügbaren konservativen Therapie- möglichkeiten sind bis auf weiteres nicht in der Lage, diesem Problem nachhaltig Herr zu werden. Bariatrische Operationen, die in der metabolischen Chirurgie zum Einsatz kommen, sind den konservativen inter- nistischen Therapieansätzen hinsichtlich Wirksamkeit und Nachhaltigkeit deutlich überlegen. Sie bringen anhaltenden Ge- wichtsverlust, eine verbesserte Diabetes- kontrolle, wenn nicht gar Diabetesremis- sion, eine bessere Blutdruckeinstellung und Lipidsenkung [1, 2]. Dennoch wird die metabolische Chirurgie von vielen Diabetologen nicht als Alternative oder zumindest Option in Ergänzung zur kon- servativen Therapie angenommen. Dies spiegelt sich am deutlichsten in der Tat- sache wider, dass die operative Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 in den Thera- pieleitlinien der deutschen Diabetesgesell- schaft kaum Erwähnung findet. Zukunfts- weisender erscheint daher die Einstellung des Endokrinologen Matthias Blüher, wel- cher eine aktivere Rolle der Diabetologen in der Selektion von Patienten für die metabolische Chirurgie fordert [3]. Eine mögliche Ursache der fehlenden breiten Akzeptanz der metabolischen Chirurgie ist das fehlende Verständ- nis ihrer Wirkungsweise, wenngleich es schon ein breites Hypothesenfeld gibt. So ist es mittlerweile unbestritten, dass Kalo- rienrestriktion und Malabsorption nicht alleine den Effekt metabolischer Opera- tionen erklären können. Darüber hinaus scheinen Veränderungen der Physiologie ausgelöst zu werden, welche die ursäch- lichen Probleme der Adipositas und des assoziierten metabolischen Syndroms ad- ressieren. Marco Bueter und Kollegen ha- ben die bestehenden Theorien zusam- mengefasst [3]. Das Verständnis der Me- chanismen wird der metabolischen Chir- urgie hoffentlich zu mehr Akzeptanz ver- helfen. Darüber hinaus wird es mögli- cherweise zu neuen pharmakologischen Therapieansätzen führen, welche künftig genutzt werden können. Trotz der offensichtlichen Vorteile der metabolischen Chirurgie bleiben viele Fragen offen. So ist einerseits die Frage nach dem „besten“ operativen Verfah- ren weiterhin nicht abschließend beant- wortet. Jürgen Ordenmann und Kollegen versuchten für unser Schwerpunktheft trotz fehlender hochgradiger Evidenz, das Verfahren mit dem besten Nutzen- Risiko-Verhältnis herauszukristallisieren [4]. Die zweite wesentliche Frage ist die- jenige nach einer geeigneten Patientense- lektion. Bislang beruht diese hauptsäch- lich auf dem Body-Mass-Index. Da sich die bariatrische Chirurgie zwischenzeit- lich zur metabolischen Chirurgie weiter- entwickelt hat, liegt es auf der Hand, dass wir andere Selektionskriterien brauchen. Zum einen ist es unmöglich, alle Adipo- sitas- und Diabetespatienten in Deutsch- land zu operieren, zum anderen ist es un- denkbar, dass das Körpergewicht alleine 950 | Der Chirurg 11 · 2014 Einführung zum Thema

Metabolische Chirurgie; Metabolic surgery;

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Page 1: Metabolische Chirurgie; Metabolic surgery;

Chirurg 2014 · 85:950–951DOI 10.1007/s00104-014-2759-1Online publiziert: 12. November 2014© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

B.P. Müller-Stich · M.W. BüchlerKlinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie, Universitätsklinikum, Heidelberg

Metabolische Chirurgie

Bei der metabolischen Chirurgie geht es um ein revolutionäres Therapiekonzept, das eine bisher traditionell internistisch behandelte Erkrankung, das metaboli-sche Syndrom, erfolgreich minimal-inva-siv chirurgisch angeht. Adipositas und as-soziierte Erkrankungen wie Diabetes mel-litus, arterielle Hypertonie, Dyslipidämie und nichtalkoholische Steatohepatitis bis hin zur schweren Leberzirrhose werden in den nächsten Jahren stark zunehmen. So wird erwartet, dass die nichtalkoholi-sche fettinduzierte Leberzirrhose in den nächsten Jahren die häufigste Indikation zur Lebertransplantation darstellen wird. Die verfügbaren konservativen Therapie-möglichkeiten sind bis auf weiteres nicht in der Lage, diesem Problem nachhaltig Herr zu werden.

Bariatrische Operationen, die in der metabolischen Chirurgie zum Einsatz kommen, sind den konservativen inter-nistischen Therapieansätzen hinsichtlich Wirksamkeit und Nachhaltigkeit deutlich überlegen. Sie bringen anhaltenden Ge-wichtsverlust, eine verbesserte Diabetes-kontrolle, wenn nicht gar Diabetesremis-sion, eine bessere Blutdruckeinstellung und Lipidsenkung [1, 2]. Dennoch wird die metabolische Chirurgie von vielen Diabetologen nicht als Alternative oder zumindest Option in Ergänzung zur kon-servativen Therapie angenommen. Dies spiegelt sich am deutlichsten in der Tat-sache wider, dass die operative Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 in den Thera-pieleitlinien der deutschen Diabetesgesell-schaft kaum Erwähnung findet. Zukunfts-weisender erscheint daher die Einstellung des Endokrinologen Matthias Blüher, wel-cher eine aktivere Rolle der Diabetologen in der Selektion von Patienten für die metabolische Chirurgie fordert [3].

Eine mögliche Ursache der fehlenden breiten Akzeptanz der metabolischen Chirurgie ist das fehlende Verständ-nis ihrer Wirkungsweise, wenngleich es schon ein breites Hypothesenfeld gibt. So ist es mittlerweile unbestritten, dass Kalo-rienrestriktion und Malabsorption nicht alleine den Effekt metabolischer Opera-tionen erklären können. Darüber hinaus scheinen Veränderungen der Physiologie ausgelöst zu werden, welche die ursäch-lichen Probleme der Adipositas und des assoziierten metabolischen Syndroms ad-ressieren. Marco Bueter und Kollegen ha-ben die bestehenden Theorien zusam-mengefasst [3]. Das Verständnis der Me-chanismen wird der metabolischen Chir-urgie hoffentlich zu mehr Akzeptanz ver-helfen. Darüber hinaus wird es mögli-cherweise zu neuen pharmakologischen Therapieansätzen führen, welche künftig genutzt werden können.

Trotz der offensichtlichen Vorteile der metabolischen Chirurgie bleiben viele Fragen offen. So ist einerseits die Frage nach dem „besten“ operativen Verfah-ren weiterhin nicht abschließend beant-wortet. Jürgen Ordenmann und Kollegen versuchten für unser Schwerpunktheft trotz fehlender hochgradiger Evidenz, das Verfahren mit dem besten Nutzen-Risiko-Verhältnis herauszukristallisieren [4]. Die zweite wesentliche Frage ist die-jenige nach einer geeigneten Patientense-lektion. Bislang beruht diese hauptsäch-lich auf dem Body-Mass-Index. Da sich die bariatrische Chirurgie zwischenzeit-lich zur metabolischen Chirurgie weiter-entwickelt hat, liegt es auf der Hand, dass wir andere Selektionskriterien brauchen. Zum einen ist es unmöglich, alle Adipo-sitas- und Diabetespatienten in Deutsch-land zu operieren, zum anderen ist es un-denkbar, dass das Körpergewicht alleine

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Einführung zum Thema

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die chirurgischen Erfolgsaussichten bei metabolisch Erkrankten voraussagen kann. Wir benötigen also adäquate Se-lektionskriterien, die uns helfen, die Zahl der zu operierenden Patienten zu senken und dabei die richtigen auszuwählen. Ma-rio Colombo-Benkmann stellt diesbezüg-lich in seinem Beitrag die aktuellen The-rapieleitlinien der Deutschen Adipositas-gesellschaft vor und gibt einen Ausblick, in welche Richtung die Erforschung mög-licher Selektionskriterien gehen muss [6].

Das Ziel unseres Schwerpunktheftes zur metabolischen Chirurgie war es, das aktuelle Wissen zusammenzutragen und letzten Endes ein ganzheitliches, interdis-ziplinäres und fallorientiertes Therapie-konzept für metabolisch Erkrankte zu er-möglichen.

Prof. Dr. Beat P. Müller-Stich

Prof. Dr. Markus W. Büchler

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. B.P. Müller-StichKlinik für Allgemein-, Viszeral- und  Transplantationschirurgie, Universitätsklinikum,Im Neuenheimer Feld 110, 69120 [email protected]

Interessenkonflikt.  B.P. Müller-Stich und M.W. Büch-ler geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Literatur

1.  Müller-Stich BP et al (2014) Surgical versus medi-cal treatment of type 2 diabetes mellitus in non-severely obese patients – A systematic review and meta-analysis. Ann Surg (in press)

2.  Senft J et al (2014) Klinische Evidenz der metaboli-schen Chirurgie. Chirurg (aktuelle Ausgabe)

3.  Blüher M (2014) Insulin oder Chirurgie? Die Sicht des Diabetologen. Chirurg (aktuelle Ausgabe)

4.  Corteville C, Fassnacht M, Bueter M (2014) Chirur-gie als pluripotentes Instrument gegen eine meta-bolische Erkrankung. Was sind die Mechanismen? Chirurg (aktuelle Ausgabe)

5.  Ordemann J, Elbelt U, Menenakos C (2014) Verfah-renswahl und Technik der metabolischen Chirur-gie. Chirurg (aktuelle Ausgabe)

6.  Colombo-Benkmann M (2014) Patientenselektion als Schlüssel zum Erfolg der metabolischen Chirur-gie. Chirurg (aktuelle Ausgabe)

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Die Serie im ÜberblickZur Modulserie „Infektionen“ ist bereits ein weiteres Modul erschienen. Das dritte Modul ist für Anfang 2015 geplant: 7 Modul 1: Infektiöse Enteritis7 Modul 3: Nosokomiale Infektionen

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