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© 2014 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Rezensionen 91 Ber. Wissenschaftsgesch. 37 (2014) 85 – 98 DOI: 10.1002/bewi.201401676 Michael Eckert, Arnold Sommerfeld. Atomphysiker und Kulturbote 1868 – 1951. Eine Biograe, (Deutsches Museum. Abhandlungen und Berichte – Neue Folge; 29) Göttingen: Wallstein 2013. 604 S., 35 Abb., 39,90. ISBN 978-3-8353-1206-7. Der Name ‚Sommerfeld‘ ist jedem Physikstuden- ten ein Begriff – spätestens mit der weiterführen- den Fassung der Bohr’schen Quantenbedingung. Allerdings ist Arnold Sommerfeld (1868 – 1951), im Gegensatz zu Max Planck (1858 – 1947), Wer- ner Heisenberg (1901 – 1976), Albert Einstein (1879 – 1955) oder Erwin Schrödinger (1887 – 1961), über die Physik hinaus weniger bekannt. Eckerts Schrift, die im Umfang etwa der Heisenberg-Bio- grae David Cassidys (785 S.) oder Walter Moores Schrödinger: Life and Thought (513 S.) entspricht, sollte geeignet sein, Sommerfeld über die Grenzen der Physik hinaustreten zu lassen. Der Physik im Ganzen: Obwohl Sommerfeld zu den Begründern der modernen Atom- und Quantentheorie zählt, umfassen seine Arbeiten auch zahlreiche Beiträge zu weiteren mathematischen und technischen Themen. Eine Vielzahl hiervon wird von Eckert angemessen gewürdigt. Der Aufbau der Sommerfeld-Biograe folgt der klassischen Gliederung dieses Genres und umfasst 14 Kapitel. Hiervon beschäftigen sich die ersten drei Kapitel mit Sommerfelds Kindheit, seiner Schulzeit und dem Studium sowie seiner ersten Privatdozentur. Geboren 1868 und aufgewach- sen im ostpreußischen Königsberg, besuchte er nach dem „gut bestandenen Abitur“ (S. 23) das mathematisch-physikalische Seminar an der Kö- nigsberger Universität. „[D]ie Bilanz nach sechs Studienjahren – ein Doktorgrad und das bestan- dene Lehramtsexamen“ (S. 43). Der anschließende Wechsel nach Göttingen und die Annahme einer Assistentenstelle bei dem Mineralogen Theodor Liebisch brachten ihm zunächst wenig Freude. Die Annäherung an den ‚großen Felix‘, wie der Göttinger Mathematikprofessor Felix Klein gerne in Mathematikerkreisen genannt wurde, wendete das Blatt. Sommerfeld wurde Assistent unter Klein und es entstand eine Zusammenarbeit, die ihn weit über seine Göttinger Zeit hinaus begleitete. „Klein führte seinen Studenten in seinen Vorlesungen im- mer wieder vor Augen, wie eng die Mathematik mit der Physik verknüpft war. Dies kam nirgends so deutlich zum Ausdruck wie bei den partiellen Differenzialgleichungen […]“ (S. 75). Hier wollte Sommerfeld sein eigenes Forschungsthema zu Hause wissen. So behandelte seine Habilitati- onsschrift (1895) die mathematische Theorie der Beugung. Als Privatdozent verblieb Sommerfeld zunächst in Göttingen. In diese Zeit el auch seine Verlobung mit Johanna Höpfner, einer Tochter des Kurators der Göttinger Universität. Das vierte und fünfte Kapitel haben Sommerfelds Clausthaler und Aachener Zeit zum Inhalt. Der erste Ruf erfolgte 1897 auf die Mathematikprofessur an die Bergaka- demie Clausthal, 1900 wechselte er an die Techni- sche Hochschule Aachen, wo er die Professur für Mechanik übernahm. Zentral für beide Ordinariate war deren ausgeprägter technischer Bezug. Seinen endgültigen Platz fand er, als er 1906 den Lehrstuhl für theoretische Physik an der Münchner Univer- sität annahm: „Wer Sommerfeld kannte, wusste, dass er damit nicht nur einem Ruf, sondern einer Berufung folgte: ‚Sie kehren dort ein bei der Physik, der Mutter aller Wissenschaften, in deren Schoß Sie sicher sich glücklich fühlen werden‘“ (S. 193). Hier sprach David Hilbert Sommerfeld aus der Seele. Mit Beginn des sechsten Kapitels beginnt

Michael Eckert, Arnold Sommerfeld. Atomphysiker und Kulturbote 1868-1951. Eine Biografie, (Deutsches Museum. Abhandlungen und Berichte - Neue Folge; 29)

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Page 1: Michael Eckert, Arnold Sommerfeld. Atomphysiker und Kulturbote 1868-1951. Eine Biografie, (Deutsches Museum. Abhandlungen und Berichte - Neue Folge; 29)

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Rezensionen

91Ber. Wissenschaftsgesch. 37 (2014) 85 – 98

DOI: 10.1002/bewi.201401676

Michael Eckert, Arnold Sommerfeld. Atomphysiker und Kulturbote 1868 – 1951. Eine Biografie, (Deutsches Museum. Abhandlungen und Berichte – Neue Folge; 29) Göttingen: Wallstein 2013. 604 S., 35 Abb., € 39,90. ISBN 978-3-8353-1206-7.

Der Name ‚Sommerfeld‘ ist jedem Physikstuden-ten ein Begriff – spätestens mit der weiterführen-den Fassung der Bohr’schen Quantenbedingung. Allerdings ist Arnold Sommerfeld (1868 – 1951), im Gegensatz zu Max Planck (1858 – 1947), Wer-ner Heisenberg (1901 – 1976), Albert Einstein (1879 – 1955) oder Erwin Schrödinger (1887 – 1961), über die Physik hinaus weniger bekannt. Eckerts Schrift, die im Umfang etwa der Heisenberg-Bio-grafie David Cassidys (785 S.) oder Walter Moores Schrödinger: Life and Thought (513 S.) entspricht, sollte geeignet sein, Sommerfeld über die Grenzen der Physik hinaustreten zu lassen. Der Physik im Ganzen: Obwohl Sommerfeld zu den Begründern der modernen Atom- und Quantentheorie zählt, umfassen seine Arbeiten auch zahlreiche Beiträge zu weiteren mathematischen und technischen Themen. Eine Vielzahl hiervon wird von Eckert angemessen gewürdigt.

Der Aufbau der Sommerfeld-Biografie folgt der klassischen Gliederung dieses Genres und umfasst 14 Kapitel. Hiervon beschäftigen sich die ersten drei Kapitel mit Sommerfelds Kindheit, seiner Schulzeit und dem Studium sowie seiner ersten Privatdozentur. Geboren 1868 und aufgewach-sen im ostpreußischen Königsberg, besuchte er nach dem „gut bestandenen Abitur“ (S. 23) das mathematisch-physikalische Seminar an der Kö-nigsberger Universität. „[D]ie Bilanz nach sechs Studienjahren – ein Doktorgrad und das bestan-dene Lehramtsexamen“ (S. 43). Der anschließende Wechsel nach Göttingen und die Annahme einer Assistentenstelle bei dem Mineralogen Theodor Liebisch brachten ihm zunächst wenig Freude.

Die Annäherung an den ‚großen Felix‘, wie der Göttinger Mathematikprofessor Felix Klein gerne in Mathematikerkreisen genannt wurde, wendete das Blatt. Sommerfeld wurde Assistent unter Klein und es entstand eine Zusammenarbeit, die ihn weit über seine Göttinger Zeit hinaus begleitete. „Klein führte seinen Studenten in seinen Vorlesungen im-mer wieder vor Augen, wie eng die Mathematik mit der Physik verknüpft war. Dies kam nirgends so deutlich zum Ausdruck wie bei den partiellen Differenzialgleichungen […]“ (S. 75). Hier wollte Sommerfeld sein eigenes Forschungsthema zu Hause wissen. So behandelte seine Habilitati-onsschrift (1895) die mathematische Theorie der Beugung. Als Privatdozent verblieb Sommerfeld zunächst in Göttingen. In diese Zeit fiel auch seine Verlobung mit Johanna Höpfner, einer Tochter des Kurators der Göttinger Universität. Das vierte und fünfte Kapitel haben Sommerfelds Clausthaler und Aachener Zeit zum Inhalt. Der erste Ruf erfolgte 1897 auf die Mathematikprofessur an die Bergaka-demie Clausthal, 1900 wechselte er an die Techni-sche Hochschule Aachen, wo er die Professur für Mechanik übernahm. Zentral für beide Ordinariate war deren ausgeprägter technischer Bezug. Seinen endgültigen Platz fand er, als er 1906 den Lehrstuhl für theoretische Physik an der Münchner Univer-sität annahm: „Wer Sommerfeld kannte, wusste, dass er damit nicht nur einem Ruf, sondern einer Berufung folgte: ‚Sie kehren dort ein bei der Physik, der Mutter aller Wissenschaften, in deren Schoß Sie sicher sich glücklich fühlen werden‘“ (S. 193). Hier sprach David Hilbert Sommerfeld aus der Seele. Mit Beginn des sechsten Kapitels beginnt

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Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 37 (2014): Rezensionen

© 2014 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim92 Ber. Wissenschaftsgesch. 37 (2014) 85 – 98

Sommerfelds Münchner Zeit, der Aufbau der Som-merfeldschule, sein Weg zum ‚Quantenpapst‘, die Konfrontation mit der ‚Deutschen Physik‘ und deren Niedergang. Sommerfeld engagierte sich bis ins hohe Alter für sein Münchner Institut, das er auch gerne als „Pflanzstätte der theoretischen Phy-sik“ bezeichnete. Das zehnte Kapitel greift Som-merfelds Rolle als ‚Kulturbote‘ auf. „Wenn ich im Auslande reise, so fühle ich mich nicht als einfacher Privatmann und Globetrotter, sondern als Bote der deutschen Kultur auf wissenschaftlichem Gebiete.“ (S. 395) So beschrieb er seine achtmonatige Welt-reise 1928/29, die ihn u. a. nach Indien, China, Japan und die USA führte. Seine Gastvorträge verstand er als Kulturmission und beriet sich hierüber auch mit dem Auswärtigen Amt. Die Motivation für seine Mission bezog er aus der Notwendigkeit, etwas für das Ansehen Deutschlands und der deutschen Wis-senschaft nach dem Ersten Weltkrieg beizutragen. Arnold Sommerfeld verstarb im April 1951, 83-jäh-rig, kurz nachdem er von einem Auto angefahren worden war, in einem Münchner Krankenhaus.

Eckert konnte für seine Arbeit auf einen histo-risch gewachsenen Quellenbestand zurückgreifen: In den 1960er Jahren wurden im Rahmen des Pro-jektes ,Sources for History of Quantum Physics‘, SHQP, Materialien zur Geschichte der Quan-tenmechanik zusammengestellt. Viele Briefe und Manuskripte Sommerfelds sind in einem ,Archive for the History of Quantum Physics‘ zugänglich. Der bis dahin verfügbare Quellenbestand konnte in den 1980ern durch Teilnachlässe aus dem Umfeld Sommerfelds und seiner Schule erweitert werden. Darüber hinaus ist die umfangreiche Korrespon-denz Sommerfelds verfügbar. Die gute Quellen-lage ermöglichte Eckert nun eine „Gesamtsicht auf Sommerfelds Leben und Werk“. Ergänzung erfuhr der Quellenbestand dank „wertvolle[r] Informatio-nen“ aus den Reihen der Nachfahren Sommerfelds.

Eckerts Ansprüche an die wissenschaftliche Biografik sind hoch, so schreibt er („Zur Me-thode“, S. 10 ff.): „Aber auch wenn die moderne Wissenschaftlerbiografie der Sozialgeschichte und der Wissenschaftsgeschichte verpflichtet ist, so verlangen die singulären Eigenheiten eines Lebens, die durch das familiäre Umfeld oder auf sonst eine Art und Weise einem Individuum sei-nen ganz persönlichen Charakter verleihen, vom

Biografen mehr als von einem ‚mikroskopisch‘ arbeitenden Historiker ein großes Einfühlungs-vermögen, um dem Leser die Annäherung an die Persönlichkeit des Subjektes seiner Darstellung zu ermöglichen.“ (S. 11) Eckert wird in dieser Beziehung der notwendigen Empathie, der Nähe zum Subjekt durchaus gerecht. Aber Eckert holt weit aus, viele Passagen hätten sich auch kürzer darstellen lassen. Der frei werdende Raum hätte beispielsweise gerade für das ‚familiäre Umfeld‘ und dessen Einflüsse auf die ‚Persönlichkeit‘ ge-nutzt werden können. Widmet Eckert der Verlo-bung Sommerfelds noch ein eigenes Unterkapitel, finden seine Familie, Frau und Kinder in der Folge zunehmend weniger Aufmerksamkeit. So finden noch das Unglück mit ,Ucki‘ Erwähnung, seines 1904 geborenen Sohnes Arnold Lorenz, der 1919 bei einem Badeunfall ums Leben kam (S. 312), oder sein Sohn Ernst, der Elektrotechnik studierte und bei Telefunken tätig wurde; darüber hinaus erfährt der Leser nicht viel mehr über Sommerfelds fa-miliäres bzw. privates Umfeld. Als Quelle stand Eckert u. a. umfangreiches Briefmaterial zur Verfü-gung, so zitiert er beispielsweise aus Sommerfelds Briefen, geschrieben an seine Frau Johanna, weit über 150-mal, die Inhalte ihrer Briefe finden da-hingegen selten Erwähnung. Die Zielgruppe der Biografie dürften Physik- oder Wissenschaftshis-toriker sein, deren primäres Interesse an Entste-hung und Entwicklung der Sommerfeldschule in Eckerts Studie umfangreich bedient wird, seine ‚Münchner-Zeit‘ umfasst zwei Drittel des Buches. Eckerts Anspruch, zugleich der wissenschaftlichen Biografik und der Wissenschaftsgeschichte gerecht zu werden und womöglich darüber hinaus auch historisch interessierte Physiker anzusprechen, hat zur Folge, dass die physikalische Tiefe weniger Raum findet. Aber gerade das macht das Buch wiederum für ein breiteres Publikum interessant: für Wissenschaftshistoriker und Nicht-Physiker, denen der Name ‚Sommerfeld‘ bisher kein Begriff war. In der Summe ist eine Wissenschaftlerbiogra-fie entstanden, die eine wertvolle Ergänzung in Bezug auf bereits vorhandene Physiker-Biografien darstellt und den wissenschaftshistorischen Blick auf die Epoche in einem angenehm geschriebenen Stil erweitert.

Thorsten Kohl (Bielefeld)