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Kolumne vom 12. Oktober 2004 Gastfreundschaft von Martin Zenhäusern ([email protected]) In diesem Jahr war ich an verschiedenen Oberwalliser Feriendestinationen zu Gast. Das Fazit vorne weg: In der Regel waren Angebot und Dienstleistung in Ordnung. Wenn dann auch noch die herrliche Landschaft dazukommt, dann ist das Ferienerlebnis perfekt. Allein das Matterhorn, um ein Beispiel zu nennen, hat schier unermesslichen touristischen Wert, der wohl nur in Milliarden Franken zu beziffern ist. (Zum Vergleich: Die UBS als wertvollste Schweizer Marke wird mit 8 Mia. Franken veranschlagt). Nur – dass das Matterhorn dort steht, wo es steht, dafür können wir nichts. Wofür wir jedoch etwas können, ist die Gastfreundschaft. Zum Glück hat sich aus meinen Erfahrungen in diversen Walliser Stationen dabei das geflügelte Wort „Wie der Herr so das Gscherr“ nicht bewahrheitet. Drei Beispiele. Wir haben für eine Woche in einem schönen Hotel gebucht. Ein nettes Gespräch am Telefon mit dem Besitzer. Dann die Ferien: Hervorragende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Deutschland, sehr freundlich, wirklich perfekt. Die Gastgeber zeigen sich während der ganzen Woche nicht, obwohl wir die einzigen Gäste sind, welche für eine Woche gebucht haben. Am Abreisetag sitzt das Gastgeberehepaar bei offener Türe im Büro hinter der Réception. Sie sehen uns, reagieren nicht. Keine Verabschiedung, nichts. Das wird in Zukunft auch nicht mehr nötig sein: Dort buchen wir nicht mehr. Zweites Beispiel: Wir haben in einem schönen Restaurant reserviert. Die Küche hat bis um fünf Uhr nachmittags geöffnet. Wir sind um vier Uhr da. Die Wirtin hetzt uns, schon bevor wir Platz genommen haben. Was wir essen möchten, ob wir schon wüssten, welche Vorspeise. Wir haben den Salat noch nicht halb gegessen, schon serviert sie den Hauptgang. Wir fragen die Bedienung, warum denn die Chefin so gestresst sei. Anscheinend müsse der Koch ins Tal, deshalb die Eile. Wenn das schon so ist, dann hätte man uns dies auch sagen können! Beim Abschied reden wir noch fünf Minuten mit der sehr netten Bedienung. Die Wirtin steht kaum zwei Meter hinter der Türe, kein Wort, keine Erklärung, gar nichts. Das war’s dann wohl mit uns als Gästen! Ein drittes Beispiel. Das Gartenrestaurant schliesst in einer halben Stunde. Die Terrasse ist gut besucht, in der Vitrine stehen noch verschiedene Kuchen. Was macht die Bedienung? Sie stuhlt auf, bis die Gäste von hochgestellten Stühlen umgeben sind. Um sechs Uhr, das war wohl die Absicht, ist niemand mehr auf der Terrasse. Was hätte sie tun können? Zum Beispiel die Gäste darauf hinweisen, dass um sechs geschlossen wir, dass sie noch eine letzte Runde bestellen können, die Kuchen zu einem günstigeren Preis abgeben, damit eine gute Ambiance schaffen. Fazit, wenn nur Dienst nach Vorschrift gemacht wird: Die Gäste sind weg, die Kuchen noch da. Kleine Beispiele, natürlich. Nur: Sie beeinflussen die Meinung über einen Ort, über ein Hotel oder ein Restaurant. Die Gäste entscheiden, ob sie wieder kommen oder nicht. In Sachen Gastfreundschaft sind es oft die Kleinigkeiten, welche entscheiden. Mit wenig Aufwand kann hier viel Gutes bewirkt werden. Da haben viele Hoteliers und Restaurateure noch viel Nachholbedarf. Noch etwas: Wie hat es der Luzerner Tourismusdirektor Kurt Illi formuliert? „Gastfreundschaft kommt von Gast. Und die Gäste kommen wegen der Gastfreundschaft.“ Eben!

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Kolumne vom 12. Oktober 2004

Gastfreundschaft von Martin Zenhäusern ([email protected])

In diesem Jahr war ich an verschiedenen Oberwalliser Feriendestinationen zu Gast. Das Fazit vorne weg: In der Regel waren Angebot und Dienstleistung in Ordnung. Wenn dann auch noch die herrliche Landschaft dazukommt, dann ist das Ferienerlebnis perfekt. Allein das Matterhorn, um ein Beispiel zu nennen, hat schier unermesslichen touristischen Wert, der wohl nur in Milliarden Franken zu beziffern ist. (Zum Vergleich: Die UBS als wertvollste Schweizer Marke wird mit 8 Mia. Franken veranschlagt). Nur – dass das Matterhorn dort steht, wo es steht, dafür können wir nichts. Wofür wir jedoch etwas können, ist die Gastfreundschaft. Zum Glück hat sich aus meinen Erfahrungen in diversen Walliser Stationen dabei das geflügelte Wort „Wie der Herr so das Gscherr“ nicht bewahrheitet. Drei Beispiele. Wir haben für eine Woche in einem schönen Hotel gebucht. Ein nettes Gespräch am Telefon mit dem Besitzer. Dann die Ferien: Hervorragende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Deutschland, sehr freundlich, wirklich perfekt. Die Gastgeber zeigen sich während der ganzen Woche nicht, obwohl wir die einzigen Gäste sind, welche für eine Woche gebucht haben. Am Abreisetag sitzt das Gastgeberehepaar bei offener Türe im Büro hinter der Réception. Sie sehen uns, reagieren nicht. Keine Verabschiedung, nichts. Das wird in Zukunft auch nicht mehr nötig sein: Dort buchen wir nicht mehr. Zweites Beispiel: Wir haben in einem schönen Restaurant reserviert. Die Küche hat bis um fünf Uhr nachmittags geöffnet. Wir sind um vier Uhr da. Die Wirtin hetzt uns, schon bevor wir Platz genommen haben. Was wir essen möchten, ob wir schon wüssten, welche Vorspeise. Wir haben den Salat noch nicht halb gegessen, schon serviert sie den Hauptgang. Wir fragen die Bedienung, warum denn die Chefin so gestresst sei. Anscheinend müsse der Koch ins Tal, deshalb die Eile. Wenn das schon so ist, dann hätte man uns dies auch sagen können! Beim Abschied reden wir noch fünf Minuten mit der sehr netten Bedienung. Die Wirtin steht kaum zwei Meter hinter der Türe, kein Wort, keine Erklärung, gar nichts. Das war’s dann wohl mit uns als Gästen! Ein drittes Beispiel. Das Gartenrestaurant schliesst in einer halben Stunde. Die Terrasse ist gut besucht, in der Vitrine stehen noch verschiedene Kuchen. Was macht die Bedienung? Sie stuhlt auf, bis die Gäste von hochgestellten Stühlen umgeben sind. Um sechs Uhr, das war wohl die Absicht, ist niemand mehr auf der Terrasse. Was hätte sie tun können? Zum Beispiel die Gäste darauf hinweisen, dass um sechs geschlossen wir, dass sie noch eine letzte Runde bestellen können, die Kuchen zu einem günstigeren Preis abgeben, damit eine gute Ambiance schaffen. Fazit, wenn nur Dienst nach Vorschrift gemacht wird: Die Gäste sind weg, die Kuchen noch da. Kleine Beispiele, natürlich. Nur: Sie beeinflussen die Meinung über einen Ort, über ein Hotel oder ein Restaurant. Die Gäste entscheiden, ob sie wieder kommen oder nicht. In Sachen Gastfreundschaft sind es oft die Kleinigkeiten, welche entscheiden. Mit wenig Aufwand kann hier viel Gutes bewirkt werden. Da haben viele Hoteliers und Restaurateure noch viel Nachholbedarf. Noch etwas: Wie hat es der Luzerner Tourismusdirektor Kurt Illi formuliert? „Gastfreundschaft kommt von Gast. Und die Gäste kommen wegen der Gastfreundschaft.“ Eben!